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Fünfter Gesang.


1.

Die Lieb' und Ruhmbegier sind jene festen Pfeiler,
Worauf das Wohl der Menschheit ruht.
Sie hauchen in die Seel' Entschluß und Heldenmuth,
Sie sondern uns von einem Haufen feiler,
Selbstsüchtiger und träger Menschen ab.
Die gehen durch die Welt stets einen gleichen Trab,
Betrachten sie als Gasthaus, sich als Wandrer
Vollkommen unbesorgt ums Glück und Wohlseyn andrer.

2.

Zu aller Zeit gabs solcher Wichte viel,
Die bloß ihr Ich zu aller Thaten Ziel
Sich ausgesteckt; doch dieser Rasse
Arbeitete die beßre Menschenclasse
Mit aller Kraft entgegen, und zumahl
Die Lehrer jedes Volks; in ihrem Weisheitssaal
War ehedem erlaubt, daß man mit frommer Wärme
Von großen Männern sprech' und für die Tugend schwärme. [136]

3.

Nicht so bey uns; ihr wißt, die Nation
Ist aufgeklärt, das heißt: ihr findet höchstens Köpfe,
Nicht Herzen, einen feinen Ton,
Und egoistische Geschöpfe.
Der Knab', ein starker Geist, mit sechszehn Jahren schon,
Belächelt die Religion,
Legt aber bald darauf die weise Stirn in Falten,
Und heißt sie gut, das Volk in Ordnung zu erhalten.

4.

Der Freyheitsgeist beleidigt ihn,
Den Mann aus Utica Marcus Porcius Cato der Jüngere (95 - 46 v.u.Z), nach seinem Todesort auch Cato Uticensis genannt. Nach dem Vorbild seines Urgroßvaters forderte Cato vehement die Hochhaltung der altrömischen Ideale, zu denen insbesondere Unbestechlichkeit, strikte Befolgung des geltenden Rechts und republikanische Gesinnung zählten. Er leistete einen bedeutenden Beitrag zum republikanischen Widerstand gegen Caesar, der nach Alleinherrschaft strebte. Damit profilierte er sich als führender Verteidiger der ›Freiheit‹ – der herkömmlichen republikanischen Staatsordnung – gegen die aufkommende Monarchie. Alxinger, ein aktiver Freimaurer, vertrat – anders als es die Strophe V, 3 zu besagen scheint – eine betont aufklärerische, antireaktionäre und reformorientierte Position; insofern abstrahiert die Focussierung des ›Mannes aus Utica‹ bewußt von dessen konservativ-aristokratischer Grundhaltung zugunsten eines antimonarchistischen Freiheitsbegriffs. vernünftelt er zum Narren
Und findet zwecklos das Bemühn,
Die Eisenhand des Götz der Erde zu entscharren.
Er lobt sich nur die Liebe, welche frey
Herum irrt, Körper sucht und weiter nichts als kitzelt.
Doch wird dafür von ihm Petrarca's Schwärmerey
Und Gerons Dies bezieht sich auf die Verserzählung »Geron der Adeliche« (1777) von Christoph Martin Wieland. Keuschheit laut bewitzelt.

5.

Die Ruhmgier schränkt er nur auf dieses Leben ein,
Wenn hier ein Trupp von Miethlingen ihm fröhnet,
Wenn hier bey Mädchen und bey Wein
Die Wollust ihn mit Rosen krönet,
Was gehet ihn das Lob der Nachwelt an?
Er ist das Gegentheil vom Mann
Penelopens, er wünscht am Glück sich satt zu essen,
So lang' er lebt; sein Grab sey immerhin vergessen. [137]

6.

O fliehe, meine Seele! flieh
Von diesem kalten Volk nach stillen Einsamkeiten!
Versetze mich, wohlthät'ge Phantasie!
Durch deine Zauberruth' in alte Heldenzeiten,
Damit die Stimme, die mir rief,
Der Tugend Stimme, stets mir leicht vernehmbar bleibe,
Und dieser Kiel in ihr Archiv
Zu beßrer Enkel Lust noch manchen Beytrag schreibe.

7.

Dann sagt dereinst der fromme Greis:
Ruh sanft, du guter Mann, der goldner Freyheit Preis
In Sclaventagen sang: es seufzen zarte Schönen;
Wohl hast du selbst geliebt! und loben mich durch Thränen.
So mancher edle Jüngling küßt
Die Thränen auf, ruh sanft, spricht er auch, wahr gesungen
Hast du vom Ruhm, der werth des Schweißes Edler ist.
Dein Lied spornt uns hierzu und hat ihn selbst errungen.

8.

So urtheilt einst die Enkelwelt;
Doch ist wohl auch von meinen Zeitgenossen
Noch mancher, welcher rein sich vom Verderbniß hält,
Wie seltne Blümchen auch in Wüsteneyen sprossen.
Drum sammelt euch um mich, ihr Reinen, hört dieß Lied
Von meinem Jünglinge; sich überlassen zieht
Er in die weite Welt mit unbezwingbar'n Waffen
Der Unschuld Recht, sich selbst Celinen zu verschaffen. [138]

9.

Schon manche Tage lang durchtrabet er das Land
Bis in ein dicht Gehölz, das um der Aine Strand
Gesäet ist. Hier hört er leis' und immer leiser
Aufächzen, wie es scheint, so schrie ein Weib sich heiser
Um Hülf' und Schutz: er sucht vergebens einen Steg:
Nacht war's und ohne Mond der Himmel, ohne Sterne.
Er hauet durchs Gebüsch sich mühsam einen Weg
Und siehet Feuer in der Ferne,

10.

Von hier aus scholl das klägliche Getön:
Der Ritter flieget hin, zu sehn,
Zu retten; ach! an einen Baum gebunden,
Steht eine holde Dam' und hebet ihren Blick
Zum Himmel auf, nur den; ein dicht gewebter Strick
Hält beyde Liljenarm' umwunden.
Sie sammelt, wie er sich von weiten hören läßt,
Zum Schreyen und zum Fleh'n der Kräfte letzten Rest.

11.

Zwölf Räuber sitzen an dem Feuer
Und würfeln, wer zuerst unmenschliche Gewalt
An ihr verüben soll: still da! du kommst nun bald
Auf jene Streu! ruft Eins das Ungeheuer.
Doch jetzo trift der Hufschlag an ihr Ohr;
Sie sehen einen Mann in Waffen auf sich eilen,
Und alle raffen sich empor,
Und alle greifen nach den Keulen. [139]

12.

Bliomberis lenkt schnell sein Pferd an einen Baum,
Damit er sich den Rücken decke;
Der Führer dieser Band', ein ungeheurer Recke,
Dem selbst die größesten der jetz'gen Männer kaum
Zum Gürtel reicheten, ist rüstig vorzufechten,
Schwingt eine lange Tann' in seiner starken Rechten,
Schlägt zu auf unsern Held mit tollem Ungestüm
Und rufet: thut wie ich! Die Schaar gehorchet ihm.

13.

Der Ritter muß für sich und seinen Zelter sorgen,
Muß bald vom Baume Schutz, bald von dem Schilde borgen.
Doch nur ein Augenblick! so fährt
In einen Kreis herum sein schnell bewegtes Schwert!
Roth zittert hin und her in dessen glattem Stahle
Des nahen Feuers Wiederschein.
Das Schwert glänzt schrecklich und schlägt ein,
Ganz ähnlich einem Wetterstrahle.

14.

Hier fliegt ein breiter Kopf und dort ein rauher Arm
Deß Finger noch die Keul' umklammern.
Schon schmolz der räuberische Schwarm
Auf sieben, drey sind todt, zwey schwer Verwund'te jammern.
Ihr Hauptmann tritt dem Einen auf die Stirn,
Worein das Schwert des Ritters eine Wunde
Gefurchet, tritt, daß blutiges Gehirn
Ihm an der Ferse hängt und ruft: still da, ihr Hunde! [140]

15.

Du aber, Teufelskerl, nimm dieß!
Hier hohlt er aus und schlägt: weh, weh! Bliomberis.
Doch sieh! er hebt den Schild; an dessen Wölbung gleitet
Der Streich ab, und bevor der Räuber Zeit gewinnt,
In Ordnung sich zu bringen, reitet
Bliomberis ihn nieder, rauchend rinnt
Blut von dem Huf, der tief sich ins Gesicht gegraben;
Das Ungeheuer liegt zum Schmause für die Raben.

16.

Die andern fliehen athemlos:
Bliomberis verfolget nicht den Troß.
Er steigt vom Pferd und lös't die Schöne,
Doch diese weint noch immer Thrän' auf Thräne.
Er lieget, klagt sie, dort, dort liegt er, todt vielleicht,
Mein Bruder! helft mir, helft mir suchen!
Der Held entreißt dem Feu'r die Brände zwey Buchen
Und geht voraus. Die Finsterniß entweicht.

17.

Kaum hundert Schritte fern im tiefern Walde findet
Die Dame, den sie sucht; todt ist er, rufet sie
Mit einem lauten Schrey und wirft sich auf die Knie,
Enthelmt sein Haupt und legts an ihren Busen, windet
Die Arm' um ihn und küßt und haucht ihn an,
Küßt wieder, hauchet wieder an,
Als wollte sie ein Theil von ihrem eignen Leben
Durch diesen Hauch und Kuß dem Vielgeliebten geben. [141]

18.

Nun endlich seufzt er matt und schlägt
Die Augen auf: wo bin ich Schwester?
Wie ist's mit dir? – gut, gut, hier drückt sie fester
Ihn an den Busen an und weinet laut: bewegt,
Erschüttert sieht's ihr Retter, seine Hände
Verlieren kraftlos beyde Brände;
Das Mitleid schmelzt die Brust, die erst in der Gefahr
So eisern, als ihr Harnisch, war.

19.

Allmählich thau'n die Lebenssäfte
Des Kranken auf, die erst gestockt.
Mit dem Bewustseyn kehrt ein Theil verlorner Kräfte
In seinen Leib zurücke; wie frohlockt
Die schöne Dam'; auf ihren vollen Wangen
Sieht man das Morgenroth lebhafter Freude prangen.
Kein Seufzer hebet mehr die schön gewölbte Brust,
Die Thräne fließt zwar noch, doch fließet sie der Lust.

20.

Bliomberis indeß versammelt alle Pferde,
(Denn die der Fremden band die wilde Räuberschaar
An Bäume) bringet sie, und setzt sich auf die Erde,
Wo der Geschwister zärtlich Paar
Sich hingelagert hat: Ihr Engel, sagt die Dame,
Und küßt von Dankbarkeit durchglüht,
Des Retters Hand Und küßt … des Retters Hand. Diese Ehrenbezeigung der Damen gegen ihre Retter waren sehr gewöhnlich. ( Anm.d.Verf.), bevor er dessen sich versieht;
Wißt, sagt sie: Blanka ist mein Nahme. [142]

21.

Mein Bruder Perceval, der Welt nicht unbekannt,
Führt mich auf Gilricks Schloß, damit ich meine Hand
Dem Zärtlichsten von allen Rittern gebe:
Mein fühlend Herz besitzt er lange schon
Und kein Achill, kein Crösus, kein Adon
Entriss' es ihm; mich dünkt, ich lebe,
Ich athme darum nur, daß ich die seltne Treu
Des edlen Mann's belohn' und ganz die Seine sey.

22.

Mein Bruder war zuerst für Waldegast den Reichen;
Auch dieser warb um mich: Hört, edler Perceval
Sprach Gilrik einst, ihr habt nicht eures Gleichen
Im Lanzenspiel'; versuchen wir einmahl
Wer besser trifft, doch seys der Mühe werth zu siegen.
Ich setz' euch Hab' und Gut, ihr setzt mir Blanken dran.
Der Aufgerufne nimmt die Wette lächelnd an:
Sie wählen sich ein Ziel und ihre Lanzen fliegen.

23.

Die Lanze meines Bruders steckt,
Wie denn das Glück so gern Verliebte neckt,
Um eines Messerrückens Breite
Dem Ziele näher, doch den edlen Gilrik reu'te
Auch jetzo seine Wette nicht.
Ich that, was ich gekonnt, seufzt er, und das war Pflicht.
Mein Bruder, dessen Herz in Mitleid nur zerronnen,
Giebt ihm die Wette gern gewonnen. [143]

24.

Die Helden werden eins, daß unser Hochzeitfest
Auf Gilricks Schloß gefeyert würde;
Denn seine Mutter, tief gebeuget von der Bürde
Des Alters, das sie kaum aus ihrer Kammer läßt,
Hat ihrem guten Sohn es dringend anbefohlen.
Er flog zu ihr und schmückt aufs nahe Fest sein Haus
Mit Prunkgeräth und mit Tapeten aus.
Mein Bruder aber ging, mich frohe Braut zu hohlen.

25.

Das Schloß des Bräutigamms liegt Turnays Mauern nah,
Celine, die ich schon ein langes Jahr nicht sah,
Schrieb jüngst, sie hoff' uns, eh die hochzeitlichen Myrthen
Noch ganz verwelket sind, in Turnay zu bewirthen.
Celine liebt mich zärtlich; uns verband
Als Kinder schon der Freundschaft sanfte Hand,
Sie brennet, mich zu sehn; ich brenn', ihr zuzueilen;
Denn schöner ist ein Glück, das wir mit Freunden theilen.

26.

Ich und mein Bruder ziehn von unserm Schlosse her.
Ein angenehmers Schloß seh ich wohl nimmer mehr.
Bey Langres hebt es sich auf traubenreicher Höhe
Und unten an des Berges Fuß
Entspringet, eingefaßt mit immer grünem Klee
Der Marne fischevoller Fluß.
Es fehlet nicht daselbst an kühlen Bogengängen,
Voll Frühlingsduft, voll Nachtigallgesängen. [144]

27.

Doch aller Reiz, den über unsre Flur
Die weise Hand parteyischer Natur
Gegossen hat, verließ ich ohne Klage.
Zu Gilrik ging es ja; wir reisen zehen Tage.
Mein Bruder, ach er ist so gütig! schwatzte nur
Von meinem Bräutigamm und schwatzte jede Plage
Und jedes Ungemach des langen Wegs mir leicht.
So ward es heute Nacht, eh wir ein Dorf erreicht.

28.

Auf einmahl fühl ich rückwärts mich gefasset,
Mich von dem Roß gezogen und zugleich
Seh ich den Bruder auch durch einen Kolbenstreich
Vom seinen sinken: für erblasset,
Nicht für betäubet nur hielt ihn der Räuber Schwarm:
Der Eine nahm mich auf den Arm
Und band mich an den Baum, seht noch vom Strick die Wunden!
Verzweifelnd schrie ich, bis ein Gott mich losgebunden;

29.

Denn dieses seyd ihr uns: drum, Ritter, zaudert nicht,
Weg mit dem Helme, zeigt uns Euer Angesicht.
Glaubt, eure Wohlthat floß gewiß nicht undankbaren,
Nicht ungroßmüthgen Seelen zu.
Geliebter Bruder, fleh auch du
Dem Edlen, wer er sey, uns doch zu offenbaren.
Der Bruder fleht. Wir sehen, Perceval,
So sagt Bliomberis, uns nicht zum ersten Mahl. [145]

30.

An der Geberd' und an dem Tone
Erkennt ihn jener, Trotz des Dunkels des Visiers.
Ha! ruft er freudig auf, Bliomberis seyd ihr's?
Ich sagt es ja, ihr würdet einst die Krone
Der Ritter seyn und euer Nahm' ein Wort,
Das die Verehrung weckt in jeder Erdenzone.
So glorreich ihr begannt, so glorreich fahrt ihr fort.
Doch, darf ich fragen? was trieb euch an diesen Ort.

31.

Was, wenn es nöthig wär', mich in die Hölle triebe,
Der größte Sporn, der größte Lohn
Für jeden bessern Erdensohn,
Der Menschen Seligkeit, der Engel Glück – die Liebe.
Bliomberis erzählt dem Ritter jetzt
Wahr, doch nicht ohne große Lücken,
Welch einen Preis der König aufgesetzt,
Und wie ihn dieß bewog, zur Fahrt sich anzuschicken.

32.

Der liebende Bliomberis
Ward nun der liebenden Gefährtinn doppelt theuer.
Celine, sagt sie ihm, wird euer,
Muß euer seyn: der Himmel gönnt gewiß
Vereinigung zwey so erhabnen Seelen.
Wie will ich wonnevoll der Fürstinn es erzählen,
Daß ihr, o Held, auf eurer ersten Fahrt
Der Schutzgott ihrer Freundinn war't. [146]

33.

Und ich, ich will der Ritterwelt es melden,
Nimmt Perceval das Wort, daß mich Bliomberis
Dem Tode, dich der Schand' entriß.
Lob von den Lippen eines Helden
Ist Wohllaut meinem Ohr, wird von Bliomberis
Erwiedert, aber wißt, und ihr auch schöne Dame!
Verändert, denn – ein – Zufall hatte dieß
Mir abgenöthiget, verändert ist mein Nahme.

34.

O deutet das Celinen an,
Sagt ihr, ich hieß' ich hieße – Celian.
Sagt's Arbogasten auch, doch laßt es Pharamunden
Und seinem ganzen Hof ein tief Geheimniß seyn,
Und nur als Celians erwähnt in Turnay mein.
Bliomberis ist todt in diesen Prüfungsstunden,
Wann sie geendigt sind, wann Lieb' ihr Heiligthum
Ihm aufschleußt, dann, erst dann erwacht er wiederum.

35.

So sprachen sie; indessen rückte
Die Mitternacht heran mit unbemerktem Schritt.
Die Dame, welche nur für ihren Bruder litt,
Hub einen Brand empor und schickte
Mit Hülfe deß ihr Aug auf alle Seiten aus.
Sie schaut und schaut als wollte sie ein Haus
Herbey schau'n, doch umsonst! sie müssen sich bequemen,
Baumwurzeln heute Nacht für Küssen anzunehmen. [147]

36.

Der edle Perceval, wiewohl der starke Schlag,
Der ihn betäubt, so gar die Pickelhaube
Verbogen hat, schläft ruhig auf dem Laube,
Wo seine Schwester ihm gebettet; wachend lag
Sie noch bey ihm, als läge sie auf Kohlen
So unruhvoll und horcht auf jedes Athemhohlen,
Besorgt, wie nur ein Weib besorgt zu seyn vermag,
Und ohne Schlummer find't sie noch der junge Tag.

37.

Bliomberis erfüllet Blanka's Bitte,
Und giebt ihr das Geleit, zumahl da noch Gefahr
Zu fürchten und noch schwach ihr theurer Bruder war.
Sie zogen ruhig fort, bis matt vom langen Ritte
Der Kranke Ruhe wünscht, und lagerten sich jetzt
Auf einer angenehmen Fläche,
Wo ein geschwätzig Paar Mäanderischer Bäche
Voll Abendroths beblümte Wiesen netzt.

38.

Nicht fern vom Ort, wo sie der Ruhe pflegen,
Erhebet sich ein Schloß und auch in Blanka's Brust
Der Wunsch, den Bruder dort auf weichen Flaum zu legen.
Bliomberis eilt hin, Rauchfänge, dick berußt,
Erblicket er und Mauern voller Wust.
Er pochet an das Thor; kein Schlüssel klirrt entgegen;
Zu war, zu blieb das taube Thor,
Wohl aber trifft ein leiser Ton sein Ohr. [148]

39.

Um Gottes willen nehmt, Herr Ritter,
Das Seil hier, helfet euch damit
Auf das Gesims' und dann auf des Altanes Gitter.
Erbarmt euch mein! Ach! keine Dame litt,
Was ich seit zehen Monden leide,
Und itzt … sie zünden schon den Scheiterhaufen an!
O armer Palissant! O unbarmherz'ger Heide!
Sie klagt noch, und schon steht der Held auf dem Altan.

40.

Die Dame schiebet weg der Thüren Eisenriegel
Und eilt, als Wegeweiserinn,
Zugleich der Furcht, zugleich der Hoffnung Flügel
An ihren Füßen durch die Säle rauschend hin.
Sie kommen in den Hof, worin das trübe Feuer
Der Fackeln strahlt: denn schon verbreitet war der Nacht
Graunvoller Mantel, hier noch schrecklicher gemacht
Durch hohes schwärzliches Gemäuer.

41.

Von einer Treppe, die bedeckt
Bis in den Hof, wo schon der Scheiterhaufen schreckt,
Sich schneckengleich hinunter schlinget,
Ergießet sich ein Zug, der einen Jüngling bringet.
Groß war er, sehnenvoll die Arm', untadelich
Die Schenkel, goldnes Haar umwallte seine vollen
Und festen Hüften, kurz er wich
An Kraft und Schönheit kaum des Alterthums Apollen. [149]

42.

Auch war er nackt wie der, doch ach! so ruhig nicht.
Ein finstrer Schmerz umwölkte sein Gesicht,
Doch ward darauf zugleich Standhaftigkeit gefunden.
Die Arme, siebenfach mit dichtem Strick umwunden,
Bezeigen, daß er itzt, auch itzt noch Furcht erregt.
Ein Henkerspaar, das ihn begleitet, trägt
Zwey scharfe Beil' und lechzt, entblößt von jedem Reste
Der Menschlichkeit, nach einem blut'gen Feste.

43.

Und nun befahl der Schloßherr Mandragor:
Haut ihm die Schenkel ab, dann werf't ihn in das Feuer.
Der schreckliche Befehl trifft kaum der Henker Ohr,
So rüsten sich die Ungeheuer.
Bliomberis, mit Rache glüh'ndem Sinn,
Und die geballten Fäust' ins Kreuz gelegt, stürzt hin,
Steht mitten, läßt die Arm' itzt aus einander fliegen.
Zwey Klatsch', und beyde Schurken liegen.

44.

Sie liegen zitternd athemlos.
Zurücke weicht der ganze Troß,
Er aber zieht den langen Degen.
Das Schloßgesinde flieht, auf das ein dichter Regen
Von Streichen fällt; der Schloßherr fleugt zum Saal,
Wo seine Rüstung hängt, kommt dann das zweyte Mahl
Dem wartenden Bliomberis entgegen,
Und drohend schwinget er den damascierten Stahl. [150]

45.

Die Schöne wußt' indeß die Waffen
Dem liebenswürdigen Gefangnen zu verschaffen,
Von dessen Händen sie die Stricke selber schnitt.
Der Jüngling, (denn der Kampf war schon begonnen,) tritt
Nun zu Bliomberis, mit ihm sich zu vereinen.
Pfuy, rufet der, zwey wider Einen!
Der andre fleht: erlaubt die Rache mir.
Laßt, sagt Bliomberis, ich bin nun einmahl hier.

46.

Der fürchterliche Kampf währt eine ganze Stunde,
Und beyde sind noch ohne Wunde,
Doch Mandragor fühlt alle seine Kraft
Verronnen, seinen Arm erschlafft.
Er pfeift, und in dem Augenblicke
Löscht jede Fackel aus; zwar tobt Bliomberis
Und hau't und sticht; allein im Schutz der Finsterniß
Zog Mandragor sich schnell zurücke.

47.

Herr Ritter, ruft die Dame jetzt,
Was gilt's, er hat im Thurm zur Wehre sich gesetzt?
Mag er's! wir ziehn unaufgehalten
Aus dem verfluchten Schloß. Ziehn, fährt mit Ungestüm
Ihr Freund sie an; ich ziehen, eh' ich ihm
Das ungetaufte Haupt gespalten?
Herr Ritter, mehret noch die Wohlthat, überlaßt
Den Unhold mir, der ihn mit größerm Rechte haßt. [151]

48.

Sehr gern, erwiedert ihm voll Achtung und voll Liebe
Bliomberis; ja, wenn's beym Kämpfen bliebe,
So sagt die Dame, dann hielt' ich euch selbst nicht ab.
So aber … kommt, ach kommt! ihr findet euer Grab
In diesem Thurm, wo's hundert schon gefunden.
Ein Leopard wohnt drin und hütet ungebunden
Den großen Schatz des Heiden; er
Schleppt' ihn mit sich von seinem Atlas her.

49.

»Und wenn der ganze Thurm voll Leoparden wäre,
Ich ginge doch hinein.« Recht so, Herr Ritter, spricht
Bliomberis, und ich entsteh' euch nicht;
Der Menschheit Glück, des Ritterthumes Ehre
Ruft laut uns zu: vertilgt den Bösewicht!
Nur, schöne Dame, schafft uns Licht.
Mit bleichem Mund' und immerwarnend brachte
Die Dame Licht; indeß die Thür schon krachte.

50.

Ein Schlag noch mit dem Degenknopf,
Und krak! ab sind die Angeln; leichter springen
Die Henkel nicht an einem ird'nen Topf.
Die wohlgemuthen Ritter dringen
In den geräum'gen Thurm; nun gilt's des Unholds Kopf.
Bliomberis führt an: des Tapfern Hände schwingen
Zwey Fackeln, unterm Arm hält er das bloße Schwert
Und lächelt, wie er noch die Dame winseln hört. [152]

51.

Von schwarzem Marmor ist die schmale,
Die lange Wendeltrepp' und führt zu einem Saale,
Den man doch eher nicht, als man darin ist, sieht.
Das fühlt Bliomberis, denn plötzlich pfeift ein Degen
Auf seinem Helm, er stürzt dem Hauenden entgegen
Und schlägt, eh' der zurück sich zieht,
Die Fackel ihm zum Kopf: es flimmern Feuerflocken
Im Saal umher; der Heide weicht erschrocken.

52.

Er weicht und treibt den schwarzen Dampf
Mit beyden Armen weg; kaum ist der Dampf verwehet,
Als schon vor Mandragorn der andre Ritter stehet.
Du Bube, du verdienst zwar keinen Ehrenkampf,
Sagt der; doch komm! ich bin der letzte,
Deß nahe Todesqual dein Teufelsherz ergetzte.
Frey ist nun dieser Arm, du fühle sein Gewicht.
Der Heide murret Flüch' und stellet sich; man ficht.

53.

Bliomberis steckt eine seiner Fackeln
Auf einen Stuhl und mit der andern Rest,
(Halb schlug er sie entzwey,) durchsuchet er das Nest
Des Räubers; plötzlich fährt, daß Tisch und Stühle wackeln,
Aus einer Eck' ein Leopard hervor.
Der Ritter hält die Flamm' empor,
Das feuerscheue Thier zieht in dem Augenblicke
In seinen Winkel sich zurücke. [153]

54.

Ha! Feiger, ruft der Held, so war es nicht gemeint!
Doch wie der Herr, so ist der Diener.
Er sagts und haut, o halt, o halt doch allzu Kühner!
Haut mit dem Schwert auf den gefleckten Feind.
Der Schmerz erpreßt dem Unthier laute Töne,
Es fletschet, nun nicht feige mehr,
Auf den Beleidiger die scharfgespitzten Zähne
Und stellet sich zur Gegenwehr.

55.

Auf dieses scheint Bliomberis zu harren.
Doch huy! ein Sprung! so liegt der Vordertatzen Paar
Auf seinen Schultern schon; die scharfen Klauen scharren
Beynah den Panzer durch; nun wächst mit der Gefahr
Des Ritters Muth; er sieht dem Thier ins Weiße
Der Augen unverwandt, drückt ihm, daß es nicht beiße,
Die Kehle zu, drängts mit Gewalt von sich
Und hebt sein Schwert und giebt ihm einen Stich.

56.

Tief war der Stich, und nah beym Herzen.
Noch kämpft der Leopard, doch Blutverlust und Schmerzen
Erschöpfen seine Kräfte bald;
Er sinkt und streckt die blutbeströmten Glieder:
Im gleichen Augenblick stürzt auch sein Herr danieder,
Der Thurm erbebt, die Rüstung schallt.
Sie liegen ächzend nah beysammen,
Und jeder rollt noch Augen voller Flammen. [154]

57.

Der Leopard zerfleischt mit Menschengrausamkeit
Die Hand, die täglich ihn gefüttert.
Ein gräßlich Schauspiel! doch es währt nur kurze Zeit.
Noch wenig Athemzüg', und beyder Leben zittert
Mit einem Seufzer in die Luft.
Voll Freud' und Biedertreu' umarmen sich die Ritter.
Der Fremde tritt zum Fenster, ruft:
Wir sind noch unversehrt! und steckt den Kopf durchs Gitter,

58.

Viel Schloßvolk, das den Sieg der Ritter fürchtet, sucht,
Indeß sie kämpfen, Heil in einer schnellen Flucht.
Das Gegentheil befürchtend floh Mathilde.
(So hieß die Dame, die den Strick
Herunter warf.) Doch traf sie im Gefilde
Den edlen Perceval und kam mit ihm zurück;
Er ging, so schwach er war, im blutigen Geschäfte
Dem Helden beyzustehn; denn Freundschaft lieh ihm Kräfte.

59.

Auch Blanka folgt; im Hofe sehen sie
Beym Fackelschein die Sieger; gleich verkündigt
Der wakre Palissant Pardon und Amnestie
Dem Trosse, der an ihm so gröblich sich versündigt;
Allein er schließet den Vertrag
Mit ihnen nur bedingungsweise;
Und die Bedingung ist: gebt her an Wein und Speise,
Was Küch' und Keller uns zu liefern nur vermag. [155]

60.

Der ganze Schwarm der Knecht' und Mägde querlet
Nun in dem Schloß herum; es wird im großen Saal
Durch Kerzen Tag, man schafft ein leckres Abendmahl
Und Marnewein herbey, der in dem Glase perlet.
Die Damen und der Kranke sind nach Ruh
Begieriger und gehen bald zu Bette,
Doch greifen unsre Sieger zu,
Sie leeren Flaschen aus, sie häufen Thierskelette.

61.

Jetzt, sagt Bliomberis, dem Fröhlichkeit das Herz
Geöffnet, und den Liebesschmerz
Ein Bißchen eingewiegt, jetzt beichtet: zwar erzählte
Mathilde schon, wie ihr herein kamt, doch es fehlte
Ausführlichkeit, vielleicht gar Treue dem Bericht.
Es scheint, daß sie mit Fleiß das wichtigste verhehlte.
Man sey auch noch so sehr ein Heid', ein Bösewicht,
So gar umsonst verbrennt man doch die Leute nicht.

62.

Ey, saget Palissant, ihr seyd ein scharfer Seher
Und Frager, doch bey einem Mann, wie ihr,
Giebt wohl Mathilde selbst es näher.
Auch ist nur zu bekannt, was hier
Uns beyden widerfuhr, mein Schweigen kann nicht frommen,
Da keine Seel' im Schlosse war,
Den Leoparden ausgenommen,
Ders ein Geheimniß blieb: sie wissens auf ein Haar; [156]

63.

Sie wissen auf ein Haar, was ihr, Herr Ritter, traget,
Drum sey es jetzt euch ohne Scheu gesaget;
Wiewohls in jedem andern Fall
Nicht Diomed im blutbetrieften Stall,
Procrustes nicht vor seinem Marterbette Man weiß, daß Diomed, König der Bistonen, die Fremden seinen Pferden zu fressen gab, Procrustes aber sie in ein Bett legte und ihnen, wenn sie länger waren, einen Theil der Füße abschnitt, und wenn sie kürzer waren, sie recken sieß, bis sie oben und unten anstießen. ( Anm.d.Verf.)
Aus meiner Brust herausgefraget hätte:
Von jeher … doch zuerst ein Glas voll Rebensaft
Auf gutes Abentheur und gute Brüderschaft!


[157]


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