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1.
Beglückter Thyrsis, denkt der Held,
Indem er schwermuthsvoll durch lange Thäler reitet,
So wie ein Bach, der über Blumen gleitet,
Fleußt dir das Leben hin, von Sorgen unvergällt.
Nicht an die Ruderbank des Hochmuths angekettet,
Kein Ball des Glücks, bebaust du diese Höhn,
Siehst froh die Sonnen auf, noch froher untergehn,
Weil dann die Liebe dir auf ihren Rosen bettet.
2.
Allein wer kennet dich? wer danket dir sein Glück
Mit segnendem, mit nassem Blick?
Leb' ich, wie du, in einer von den Hütten,
Die schirmendes Gebirg' umzäunt;
So hätte Chloe schon den Martertod erlitten,
Auch du, ihr unglückselger Freund,
Wärst ihr gefolgt, und viel jungfräuliche Gerippe
Bedeckten künftig noch des Ungeheuers Klippe.
[193]
3.
Das ist der Vorsicht Schluß; sie schafft
Des Helden Seele groß und seinen Arm voll Kraft,
Damit er, wie ein Hirt, wenn Wölfe
Den Heerden drohn, der schwer bedrängten Menschheit helfe.
Groß ist der Lohn, den er dabey erstrebt,
Erhabnes Selbstgefühl, vom Danke seiner Brüder
Gewecket und erhöht, Verehrung, weil er lebt,
Und um sein heilig Grab der ew'gen Muse Lieder.
4.
Ja der Gedanke selbst ist süß:
Mich schrecket nicht Gefahr, mich hält kein Hinderniß;
Ich geh, und wär es nah vorbey an meinem Grabe,
Und wärs hinein, ich geh, weil ichs beschlossen habe.
Auch schmeckt, wer immer ruht, das Glück zu ruhn nur halb.
Die Flur, worauf die Wolke tief und falb
Herunter hängt, worauf sie Blitze niederschicket,
Fühlt doppelt sich nachher durch Sonnenschein erquicket.
5.
So denkt Bliomberis und setzt die Reise fort,
Bis endlich sein Bestimmungsort Massilia,
Palmyrens Stadt sich zeiget.
Ein Berg von hundert Thürmen steiget
Rings um die Stadt empor, die weißen Wälle stehn,
Beeis'ten Felsen gleich; ein kriegrisches Getön
Verbreitet sich bis zu dem nahen Meere,
Gut, denkt der Held entzückt, hier ärnd' ich wieder Ehre.
[194]
6.
Er eilet auf das Schloß zur schönen Königinn
Und überreichet Blankas Schreiben;
Erlaubet, bath er sie, erlaubet mir zu bleiben;
Vielleicht daß ich im Streit nicht überflüssig bin.
Das seyd ihr nie; doch doppelt jetzt willkommen,
Sagt ihm die Königinn; es hat in dieses Land
Ein Himmlischer, der uns in Schutz genommen,
Euch jungen Helden hergesandt.
7.
Ihr sahet kriegerische Haufen
In ihrem Waffenschmuck durch alle Straßen laufen.
Ach! nicht umsonst! Krieg dräuet unserm Staat,
Und Er ist fern, sein Schutzgott Leodat.
Vertretet ihr des Edlen Stelle,
Übt unser Volk indeß, befestigt unsre Wälle.
Der Mauritaner Fürst, der stolze Garamant
Bekriegt uns, gegen mich von Lieb' und Rach' entbrannt.
8.
Vor wenig Monden erst ist mein Gemahl verstorben,
Der König Gütron; bald darnach
Hat Garamant um meine Gunst geworben;
Denn als er einst hier eine Lanze brach,
Sah er und liebte mich, wie sein Gesandter sagte,
Und heischte meine Hand, die jetzt mein eigen wär.
Ich wies ihn ab, und das um desto mehr,
Da dieser freche Fürst mir gar zu drohen wagte.
[195]
9.
Er rüstet sich, wie nun der Ruf erzählt,
So bald es möglich ist, die Drohung zu erfüllen,
Indessen Leodat, den sich mein Herz gewählt,
Um dieses Reichs und meinetwillen
Am Hofe Radagonds, des Aquitaners, weilt.
Wir haben schon nach Aire hingesendet;
Bald ist der Sieg erkämpft, bald ist der Krieg geendet,
Wenn Leodat mit Hülfe zu uns eilt.
10.
Doch höret nun auch mein' und Leodats Geschichte;
Mir leistet Blankas Brief, doch mehr
Als dieser, jeder Zug in euerm Angesichte
Für eure Treu hinlängliche Gewähr.
Man muß ein Engel seyn mit diesen Engelszügen;
Die Tochter Gottes, die Natur,
Webt solch ein Feyerkleid für wenig Seelen nur,
Und webt es sicher nicht, uns andre zu betrügen.
11.
Galonia, das Weib des edlen Hindagar,
Ward meiner und zugleich der Lebenslast entbunden.
Mein Vater, der ein Held und alten Adels war,
Doch arm dabey, hat in dem nächsten Jahr
Im Kampf fürs Vaterland mit ehrenvollen Wunden
Den Sieg erkauft, doch auch den Tod gefunden.
Der König Gütron, seiner Pflicht
Und seinem Worte treu, verließ mich Waise nicht.
[196]
12.
Er übergab mich einer von den Damen,
Der eben dazumahl verstorbnen Königinn.
Sie war von hohem Stand' und unbescholtnen Nahmen,
Vielleicht auch tugendhaft; allein ihr leichter Sinn
Hing allzusehr am Putz und übrigen Geräthe
Der Keuschheitsfeindinn, Eitelkeit,
Und hing stets mehr daran, so wie der Hauch der Zeit
Verderblicher an ihre Wangen wehte,
13.
Ich wuchs heran, und war nun sechzehn Frühling' alt.
Viel Unschuld, etwas Wohlgestalt
Und einige Talente waren
Mein ganzer Brautschatz: doch umlagerten mich Schaaren
Bewunderer; der Ritter Leodat,
Jung, edel, schön und reich bewarb sich mehr als alle:
Ich foderte der Pflegemutter Rath,
Sie pries den Held mit prächtgem Wörterschwalle.
14.
Auch mir mißfiel er nicht, doch ruhig blieb mein Herz,
Ich theilte kaum aus Mitleid seinen Schmerz.
Isrelde schalt mich oft, Isrelde war der Nahme
Der Wittwe, welcher mich der König anvertraut,
Sie hieß mich schon des schönen Ritters Braut,
Doch bald besinnt die schlaue Dame
Sich anders, nimmt zurück den mir gegebnen Rath,
Und schmäht und neckt den armen Leodat.
[197]
15.
Und weiß bey mir ihn also zu verschwärzen,
Daß ich, wie viel er auch gebethen und geklagt,
Die ferneren Besuch' ihm ernstlich untersagt.
Mit meinem argwohnlosen Herzen
War ich ihr Spiel. In wenig Tagen läßt
Der König uns zu einem Freudenfest
Nach Hofe laden, wir erscheinen:
Sie schmückte mich dazu mit eignen Edelsteinen.
16.
Beym Mahle saß der König neben mir
Und schwur, daß ich am Hof der Schönen schönste wäre;
Ich dankte lächelnd für die Ehre,
Und merkte nicht, daß schändliche Begier,
Als Natter unter Blumen, lausche.
Er lobt stets heftiger, ich aber thu Bescheid
Aus dem Pocal der Eitelkeit,
Bis ich zuletzt mich ganz davon berausche.
17.
Ein böser Rausch, in meinem Alter zwar
Verzeihungswerth, selbst vor den strengsten Richtern;
Doch ward ich bald durch schreckliche Gefahr,
Ich unglückselge Thörinn! nüchtern.
Ich sah, wohin der Rausch uns führet, nur zu klar.
Man glaubt in meinem frohen Wesen,
Das bloß der Wiederschein der Eigenliebe war,
Des Lasters nahen Sieg zu lesen.
[198]
18.
Geendet war das Fest; Isrelde führte mich
Durch viele Säle durch, nach Hause, wähnet' ich,
Doch eine Thür noch … und wir standen
In einem Cabinett, wo wir den König fanden.
Er lächelt, daß wir fehl gegangen sind, er zieht
Zur Strafe, wie er sagt, uns noch aufs Ruhebette;
Und während, daß mein Aug' auf ein Gemählde sieht,
Das er mir zeigt, schlüpft sie schnell aus dem Cabinette.
19.
Ich sah um mich und war mit ihm allein;
Gott! welche Bangigkeit bemeisterte sich mein!
Ich ging zur Thür, sie war verschlossen.
Der König lief mir, seiner Beute, nach,
Er lobte, schmeichelte, versprach,
Er drohte, mich auf ewig zu verstoßen;
Doch da bey mir nicht Lob, nicht Flehn, nicht Drohen galt,
Versucht' ers endlich mit Gewalt.
20.
Die Tugend gab mir Kraft, mich von ihm loszuwinden,
Ja einen Weg sogar bis an sein Herz zu finden,
Ist dieß, so rief ich aus mit kläglichem Geschrey,
Ist dieß der Lohn für meiner Ahnen Treu,
Für meines Vaters Blut; o höret,
Die um Befreyung euch auf ihren Knien beschwöret:
Hört mich, so wie ihr einst zerknirscht und reuevoll
In euerm Tode wünscht, daß Gott euch hören soll.
[199]
21.
Er, in dem Laster noch ein Neuling, seufzet, zittert
Und öffnet mir die Thür, von meinem Flehn erschüttert:
Ich stürze wie im Sturm hinaus
Und mit zerrißnem Kleid, mit wild zerstreuten Haaren,
Noch immer bebend vor Gefahren,
Lauf' ich in einem fort bis zu Isreldens Haus.
Schon wollt ich pochen, doch es schwand die erste Regung,
Und machte Platz der kältern Überlegung.
22.
Ich sah nun durch und durch das schändliche Complot,
Und schwur mir selbst, eh in die Hölle
Hinab zu flüchten, als die Schwelle
Der Niederträchtigen, die meiner Unschuld Tod
Bereitete, je wieder zu betreten.
Ich ging zum nächsten Thor der Stadt hinaus, und fand
Ein armes Mädchen da, die mich um Geld gebethen;
Ich gab ihr Geld, Juwelen und Gewand.
23.
Ich hüllte mich in ihre Lumpen,
Ging so ins nächste Dorf und both zum Dienst mich an
Es nimmt mich auch ein Bauersmann
Ins Hüttchen auf, und heißt so gleich mich Wasser pumpen.
Doch da er meine Haut am Eimer kleben sieht,
So schüttelt er das Haupt, ruft mich und ist bemüht,
Wer und woher ich sey, mir listig abzufragen.
Ich hüte mich, die Wahrheit ihm zu sagen.
[200]
24.
Doch nachsichtsvoll und gütig war er jetzt!
Die Aufsicht über seine Heerde
Entrückte bald mich größerer Beschwerde.
Der König hatt' indeß mir eifrig nachgesetzt,
Doch blieb ich unentdeckt durch mehr als dreißig Tage,
Und schickte mich in die mir neue Lage;
Ich trieb das Wollenvieh, das mir mein Herr vertraut,
In einen nahen Hain, so bald der Tag ergraut.
25.
Da lag ich einst auf meinen Knieen,
Und dankte Gott, der mich der Lasterthat entfliehen
Und hieher flüchten ließ, wo fromm und unbekannt
Mein Leben, so wie das von meinen Schäfchen, schwindet,
Und dieses Herz weit glücklicher sich findet,
Als es sich je an Gütrons Hofe fand.
Auf einmal hör' ich leis' aus dem Gebüsche gehen,
Seh auf und seh vor mir den König selber stehen.
26.
Das Schrecken, so mich überfiel,
Beschreibt sich nicht; mir waren alle Glieder
So kalt wie Eis; fast sank ich nieder.
Sogleich umgiebt uns ein Gewühl
Von Höflingen; der Fürst faßt gütig meine Rechte,
Palmyre, spricht er, ist vom edelsten Geschlechte,
Doch edler durch ihr Herz, und ich erkläre sie
Zu eurer Königinn: er sprachs, man beugt das Knie.
[201]
27.
Betäubet hat mich diese Scene,
Erfreuet nicht; ich setzte nie mein Glück
In einem hohen Rang, und glaubet mir, ich sehne
Mich jetzt noch oft in meinen Hain zurück.
Man führte mich nach Hof; die Trauung war vorüber.
Ich reichte nur aus Pflicht dem Könige die Hand,
Und es durchbebte mich ein todtenkaltes Fieber,
Als ich mit ihm allein im Schlafgemach mich fand.
28.
Dem ungeliebten Mann die höchste Gunst gestatten,
Ach! das ist Höllenpein für jedes reine Herz!
Ich fühlte dieß, doch barg ich meinen Schmerz
Dem lüsternen, dem ungeduldgen Gatten;
Er wünschte stets, ich fürchtete die Nacht.
Zwar weiß ich, Celian, der Männerpöbel lacht
Zu dem Gefühl; doch ihr seyd keiner
Der Lachenden; gewiß, ihr denket feiner.
29.
Mit Gütrons Wahl, obschon sie mich
So unverhofft auf einen Thron erhoben,
War niemand mißvergnügt im ganzen Reich, als ich.
Es lobten mich auch die, so nicht unedel loben,
Und mein Gemahl gab mir tagtäglich Proben
Der größten Achtung, größten Huld;
Doch hätt' ich, stets zernagt von stiller Ungeduld,
Zu einer Andern gern den Zepter hingeschoben.
[202]
30.
Besonders da mein Sohn, der Eine Gegenstand,
An dem mein ganzes Herz gehangen,
Im vierten Jahre starb; wie gern wär ich ins Land
Der ungestörten Ruh dem Knaben nachgegangen!
Von diesem Augenblick war mein vergoldter Saal
Mir ein Gefängniß, alle Freuden
Des Hofes, den ich nie geliebet, mehr als schal,
Und unerträglicher mein Leiden.
31.
Mein Gram ward, ich gestehs, auch noch durch den vermehrt,
Der, wie ich jetzt erfuhr, den ersten meiner Freyer,
Den edlen Leodat, verzehrt.
Der Arme ging auf Abentheuer
Denselben Tag, als ich und Gütron uns vermählt.
Von seinen Thaten ward im ganzen Land' erzählt;
Ich freute mich, denn nun kannt' ich genau Isrelden
Und schätzte wieder den von ihr verschwärzten Helden.
32.
Doch daß noch Zärtlichkeit für mich
In seinem Busen sey, war ich entfernt zu denken,
Und Gütron auch; oft schien es ihn zu kränken,
Daß seiner Ritter Zierde sich
An fremden Höfen nur verweile.
Als aber Murcias Beherrscher, Lorican
Zum Krieg uns nöthigte; da kam mit edler Eile
Der tapfre Leodat beym Heere Gütrons an.
[203]
33.
Tod sucht' er in der Schlacht, die er allein entschieden,
Doch fand er Sieg; wie mein Gemahl bezeugt,
Und kehrte nach geschlossnem Frieden
Mit ihm zurück, doch traurig und gebeugt;
Nicht Siegern gleich: der Quell von seinen Schmerzen
War mir noch immer unbekannt,
Wiewohl beym ersten Blick sich auch in meinem Herzen,
Ich weiß nicht welche, Regung fand.
34.
Der König, der den Held zu dem Besuch gezwungen,
Hat oft mit Ungestüm der Freundschaft drauf gedrungen,
Er möchte doch gestehn, was für ein stiller Gram
An seiner großen Seele nage,
Doch Leodat blieb stumm bey dieser Frage,
So daß es mein Gemahl sich selbst zu Herzen nahm,
Und mir geboth, ich sollte mich befleißen,
Vom Herzen Leodats das Siegel wegzureißen.
35.
Vergebens sucht' ich auszulenken, er bestand
So sehr darauf, daß ich ihm nicht entschlüpfet.
O, sagt er mir, wie manches Schmerzens Band,
Das unauflöslich schien, hat eines Weibes Hand
Von unsrer Seele losgeknüpfet!
Wie manch Geheimniß, das der Grund
Des Herzens barg, ist schnell durch unsern Mund
Ins Ohr der Fragenden gehüpfet!
[204]
36.
Palmyre, darum thut, was König und Gemahl
Euch bath, euch auftrug, euch befahl:
Ich möchte nicht den edlen Mann verlieren.
Denn Radagond, Carlitus ältster Sohn
Ist sein erklärter Freund; besteigt einst der den Thron,
So wird der Held des Staates Ruder führen.
Dieß sagt' er, unser Wohl bedenkend, denn ihr wißt,
Daß dieses Reich ein Lehn des Aquitaners ist.
37.
Was war zu thun, als nachzugeben?
Es kostete mich viel, doch gab ich nach und bath
Am Morgen drauf den edlen Leodat
Zum Frühmahl; Er erschien. Ich war in meinem Leben
Nie so verlegen, und auch er
Schickt' ängstlich seinen Blick im Zimmer hin und her,
Als fragt' er: wo sind denn die andern Gäste?
Ich sahs und sprach: ich bath euch nicht zu einem Feste;
38.
Als nur zu einem Fest der Freundschaft; zwar es scheint,
Ihr habt der Zeiten ganz vergessen,
In denen ihr es gut, zu gut mit mir gemeint;
Wir brachen, und die Schuld war mir nur beyzumessen.
Doch wenn ihr prüfender auf mein Verbrechen schaut,
So wird es, wo nicht ganz, doch größtentheils verschwinden;
Ihr könnt so strafbar nicht ein junges Mädchen finden,
Das mehr auf ihr Geschlecht als auf das eure traut.
[205]
39.
Mir war es lieb. Das glaubet sicher,
O mein geprüfter Freund, mir war es herzlich lieb,
Zu hören, daß der Ruhm in seine goldnen Bücher
Den Nahmen Leodat vor tausend andern schrieb:
Doch unlieb war es mir zu sehn, daß ihr gefeyert
Von Volk und Fürsten, ihr, der viele glücklich macht,
Es selbst so wenig seyd, und Gram, schwarz wie die Nacht,
Stets eure Heldenstirn umschleyert.
40.
Ein ungetheilter Schmerz frißt tief ins Herz hinein.
Drum laßt um Theilung euch von eurer Freundinn flehen,
Denn dieses, Ritter, will ich seyn,
So lange mir die Augen offen stehen.
Ach! daß auch ihr den Mißverstand und Zwist
Vergäßet, euer Herz mit alter Freundschaft fülltet,
Und ganz vor meinem Blick enthülltet,
Damit ich säh, wie euch zu helfen ist.
41.
Wie mir zu helfen ist, so fährt mit wilden Schmerzen
Der arme Ritter auf, ihr wißt es also nicht,
Daß nun acht Jahre schon in diesem treuen Herzen
Nie ein Gedanke war, nie seyn wird, bis es bricht,
Als der Gedank' an euch! Die Liebe meiner Jugend
Verfolgt mich überall und hält mir euer Bild
Mit tausend Armen vor; es ist in Reiz gehüllt,
Jedoch umdornt von strenger Tugend.
[206]
42.
Auch diese Tugend beth' ich an;
Warum beriefet ihr mich unglückselgen Mann?
Mein Leben, das ich hass' und das, wie leider scheinet,
Nicht ausgeblutet werden kann,
Sey fern von euch, o Zier der Schöpfung, ausgeweinet.
All ihre Martern hat die Lieb' in mir vereinet,
Doch danken will ich ihr, so bitter sie mich kränkt;
Wenn sie nur euch dafür all ihre Freuden schenkt.
43.
Hier stirbt das Wort in seinem Munde.
Ich sah die Qual, die er um mich erträgt,
Mein kaltes Herz erwarmet und sie schlägt,
Sie schlägt, die feyerliche Stunde.
Wohl hört es Leodat, allein er war zu groß
Bey meiner Schwachheit mich zu fassen,
Mich aus der Tugend sanftem Schooß
Zu ziehen und der Reu als Raub zu überlassen,
44.
Doch schimmerte der Freude Licht
Durch Thränen sanft auf seinem Angesicht,
So wie durch Wolken voller Regen
Die Sonne scheint; er faßt mit schneller Hand
Ein purpurrothes Busenband,
Das auf dem nahen Tisch gelegen,
Er küßt es, wie ein Heiligthum,
Er drückt es an sein Herz und bittet mich darum.
[207]
45.
Ihr denket wohl, daß ich ihms nicht mißgönnte;
Er litt so viel, er bath so sehr;
Ihm diese Kleinigkeit versagen, schien mir mehr,
Als Gütron selber fodern könnte.
Er, dankte mir dafür, wie für ein Königreich
Und ging getrösteter von dannen,
Ging, o Triumph der Tugend! sich sogleich
Vom Hofe wieder zu verbannen.
46.
Ich weinte dem Verbannten nach.
Der König kam zurück in mein Gemach
Und fragte mich mit neugiervoller Miene
Beym Eintritt schon; ich faßte Muth und sprach:
Der Quell von Leodats so tiefen Schmerzen schiene
Mir hoffnungslose Lieb', und die werd' allgemach
Verschwinden; doch man pflegt Zudringlichkeit zu hassen,
Setzt' ich hinzu, ihr müßt ihm sein Geheimniß lassen.
47.
Der Ritter zog nach Aire, wo sein Freund,
Prinz Radagond, der noch, wiewohl verachtet,
Für Pharamunds reizvolle Tochter schmachtet,
Mit ihm den langen Tag durchweint:
Dieß gleiche Mißgeschick zog ihrer Freundschaft Knoten
Stets enger, Eigennutz war fern, da Leodat
Hartnäckig Rang, Geschenk' und Amt verbath,
Die ihm Carlitus mehr als Einmahl angebothen.
[208]
48.
Carlitus hielt im Herbst ein prächtig Ritterspiel,
Uns lud dazu sein eigenhändig Schreiben.
Mein Gatte zog nach Air', und ich, um hier zu bleiben,
Schützt eine Krankheit vor: wie konnt' ich das Gefühl,
Das schmerzliche Gefühl des theuren Freundes mehren?
Ihn suchen, der mich edel fleucht,
Den Argwohn des Gemahls, ja seinen Haß vielleicht
Aufreizen, oder doch mir meine Pflicht erschweren?
49.
Carlitus Königsstadt umfaßt den Fluß Adour
Mit blauem Arm und schleicht auf teppichgleicher Flur
Sanft murmelnd hin, beschwebet von den Schatten
Der Linden, die am Ufer stehn.
Carlitus wollte sich am Abend einst ergehn,
Er kam dahin mit meinem Gatten.
Die Fürsten setzten sich ins angenehme Grün,
Indeß die Abendsonn' auf das Gewässer schien.
50.
Auf einmahl theilet sich das rothe Gold der Fluten;
Ein Schiffer schwebt darauf in seinem leichten Kahn,
Da wandelt sie, die an dem Ufer ruhten,
Die Lust, mit ihm zu fahren, an.
Sie steigen ein, und ihr Gefolge ziehet
An dem Gestade nach; allein das Schiffchen fliehet
So eilend fort auf nasser Bahn,
Daß mans mit Mühe nur hinunter gleiten siehet.
[209]
51.
Urplötzlich schlägt es um, um schlägt es und begräbt
Die Fürsten in dem Fluß: ach! zweymahl, zweymahl hebt
Die Welle sie empor, doch ihre Kleider tranken
(Denn faltenvoll und schwer von Golde waren sie)
So viel der Fluth, daß beyde wieder sanken.
Umsonst daß ihr Gefolg' um Hülf' und Rettung schrie;
Die Fürsten wurden aus den Wogen,
Doch allzu spät und todt herausgezogen.
52.
Carlitus Zepter war solch eine schwere Last
Dem armen Volk, er selbst so allgemein gehaßt,
Indem er nicht allein den ganzen Staat zerrüttet,
Auch einzelne gekränkt, genecket und bedroht,
Daß ihn vielleicht der Schiffer aus dem Both
Mit Vorsatz in den Fluß geschüttet;
Er selber, den kein Gold, kein faltig Prunkgewand
Beschwerte, schwamm gemählich an den Strand.
53.
Man schleppet nach der Burg die königlichen Todten;
Welch eine schreckliche Verwirrung! doch sie nahm
In wenig Stunden zu durch einen schnellen Bothen,
Der mitten in der Nacht von den Pictavern kam.
Sie, welche schwerer noch als andre Völker trugen,
Vom Landespfleger auch bedrückt, empörten sich,
Verfluchten laut den König und erschlugen
Den stolzen Unterwütherich.
[210]
54.
Auf diesen dornenvollen Wegen
Ging Radagond zum Thron; allein die Freundschaft trat
Huldlächend ihm, der sie verehrt, entgegen
Und ebnete den rauhen Pfad.
Sein Pylades, sein Leodat
Schöpft nicht allein aus tiefen Quellen
Der Weisheit ihm den allerbesten Rath,
Selbst will er in das Land der stürmenden Rebellen.
55.
Zwar Radagond erlaubt es lange nicht,
Er kaufte keine Welt mit seines Freundes Leben:
Doch wich er, als ihm der verspricht,
Nur bloß der Eintracht Band dort wieder fest zu weben.
Bevor er zog, verhieß der Fürst ihm Gütrons Lehn,
Er aber, statt den Zepter anzufassen,
War Freund genug, ihn mir zu überlassen,
Und both sich an, für mich den Kriegsdienst zu versehn.
56.
So beyspiellos es ist, daß hier ein Weib regiere,
So willigt Radagond doch ein,
Glaubt aber, die vom Dank durchdrungene Palmyre
Sitzt auf dem Thron nicht lang' allein.
O fleug dahin in blitzgeschwinder Eile,
Verhaßte Trennungszeit, voll Sehnsucht und voll Schmerz!
Damit ich diesen Thron mit dem Geliebten theile,
Doch nein, nicht theile, ganz ihm gebe, wie mein Herz.
[211]
57.
O! er versteht die Kunst, sich Herzen zu gewinnen!
Auch die Rebellen zwang er bald
Durch der Beredsamkeit allsiegende Gewalt
Und machte, statt des Bluts, reuvolle Thränen rinnen.
Er sandte schon die Seinigen zurück,
Und wird nun selber bald nach Aire wiederkehren,
Ach! aber dort ein neues Mißgeschick,
Den Krieg, der uns bedräut, von meinen Bothen hören.
58.
Ihr, wenn euch nicht ein dringender Geschäft
In ferne Länder ruft, so rüstet hier die Meinen
Zum nahen Kriege. Bald wird Leodat erscheinen;
Wenn ihr zwey dann vereint auf unsre Feinde trefft,
So wird der Friede bald den Öhlzweig wieder schwingen,
Und ein gerettet Volk euch Dankesopfer bringen.
Der Süd kann, ehe noch zwey Monathe vergehn,
Die Flotte Garamants an unsre Küste wehn.
59.
So sprach die Königinn. Der Held gehorcht mit Freuden
Und handelt und befiehlt, so weise, so bescheiden,
Daß ihm der Sohn des Lands die Fremdheit gern vergiebt
Und ohne Neid ihn mit Bewundrung liebt.
Auch stellt er Wächter aus, die Fluthen zu bespähen,
Ob sie nicht doch vielleicht schon Feindesschiffe sähen,
Was ganz Massilien zu große Vorsicht hieß,
Doch der Erfolg als klug und nöthig pries.
[212]
60.
Denn einst als bey dem Mahl Palmyrens Gäste saßen,
Ertönt Geheul auf allen Straßen,
Ein Wächter stürzt herein. Sie kommen, rufet er,
Mit Angstgeschrey; kaum trägt das überdeckte Meer
Der ungeheuern Schiffe Lasten.
Ein Schloß scheint jedes Schiff; vorn blitzt im Sonnenstrahl
Der langen Schnäbel blauer Stahl,
Und in die Lüfte steigt ein ganzer Wald von Masten.
61.
So spricht der Both' und Panisch Schrecken fleußt
In aller Herz aus seinem Munde.
Die Königinn sitzt bleicher, als ein Geist,
Die Tapfern selbst versteint die fürchterliche Kunde.
Bliomberis allein leert mit Gelassenheit
Erst seinen Becher aus, weckt dann durch wenig Worte
Aus ihrem tiefen Schlaf der Feldherrn Tapferkeit
Und eilt mit ihnen nach dem Porte.
62.
Er sah die Übermacht des Feindes; Gegenwehr
Auf offnem Feld' ist wider diese schwer,
Drum rieth er, die Ligurer möchten
In ihre Stadt sich ziehn, daß sie, wenn Leodat
Und dessen Heer zu dem Entsatze naht,
Mit ganzem Muth und unvermindert föchten.
Nun schafft der Held so viel er in der Eile kann
Von Lebensmitteln her und füllt das Kornhaus an.
[213]
63.
Den andern Morgen hat der Feind sein Volk ergossen
Und mit geharnschten Reihn Palmyrens Stadt umschlossen.
Hell glänzt der Waffen Stahl und Leinenhäuser stehn
In schöner Ordnung da, gedrängt, nicht abzusehn.
Bliomberis indeß verbreitet
Durch die betäubte Stadt Entschlossenheit und Muth;
Er ists, auf dem allein der Bürger Hoffnung ruht,
Und alle preisen Gott, der ihn hieher geleitet.
64.
Zwar weiß man kaum, warum man auf ihn hofft,
Doch hoffet man und glaubt, daß es dem Volk nicht fehle,
Dem er sich weiht. So sichtbar schimmert oft
Des wahren Helden große Seele
Aus seinem Angesicht, aus jedem Blick hervor.
Auch durch Bescheidenheit kann er sie nicht bedecken,
So kann nicht hinter einen Flor
Die Mittagssonn' ihr Strahlenhaupt verstecken,
65.
Doch wenig Tage nur, und sieh! Bliomberis
Rechtfertigte des Volks Verehrung,
Indem er Nachts hinaus sich auf die Feinde riß
Mit wenig Kriegern Tod, Entsetzen und Verheerung
Durchs halbe Lager bis ans Zelt
Des Königs trug, der schlummernd in dem Bette
Gefangen war, wenn nicht der Mauren größter Held
Der edle Lysidor für ihn gewacht hätte.
[214]
66.
Der steht und kämpft mit einem Muth,
Den nichts erschüttern kann, der Wunderwerke thut
Und selbst ein Wunder ist; zwar klirren zwanzig Degen
Der tapfersten Ligurer um ihn her;
Doch unverrückt und furchtlos stehet er
In einem dichten Hagelregen
Von Streichen da mit edlem Selbstvertraun,
Obwohl sie ihm den Busch vom wunden Helme haun.
67.
So stehet ohne zu erzittern
Ein hoher Fels in dräuenden Gewittern.
Vergebens lagert schwarz, weit reichend, fürchterlich
Der Himmel Wolkenvorrath sich
Um ihn herum und schickt durch hundert Ritze
Verkündiger der Donner, rothe Blitze.
Die Donner folgen schnell; ein Eichbaum fällt zerstückt,
Der lange schon den Gipfel stolz geschmückt.
68.
Der König Garamant, den dringenden Gefahren
Entrissen und zu sich gebracht,
Versammelt immer mehr der kriegerischen Schaaren
Und endlich seine ganze Macht.
Bliomberis, nicht tollkühn in dem Glücke
Und auf die Sicherheit der Seinigen bedacht,
Zieht, während noch die schwarze Nacht
Ihm ihren Mantel leiht, sich in die Stadt zurücke.
[215]
69.
Dieß merket Lysidor und durch des Edlen Sinn
Fleugt ein Entwurf und zwar von den Entwürfen,
Die jener kalten Klüglerinn,
Der Überlegung nicht zu nahe kommen dürfen.
Zwar wer sie ganz verhöret, ist ein Thor;
Auch Helden hören sie, doch nur mit Einem Ohr,
Das andre können sie der Ehre nicht versagen,
Besonders dort, wo sie allein sich wagen,
70.
Das ist der Menschheit Loos! oft trennt ein schmaler, kaum
Dem Weisen selbst sichtbarer Raum
In diesen finstern Prüfungsthälern
Der Zeitlichkeit die Tugenden von Fehlern
Und was verfluchenswerth, von dem, was edel scheint.
Es ist gewiß, fragt nur die wahren Seher,
Vom Brutus zum Clemens weit näher,
Als der getäuschte Pöbel meint.
71.
So bald Bliomberis den Seinigen gebothen,
Sie sollten sich zurück in ihre Veste ziehn,
Laurt Lysidor, schleppt einen ihrer Todten
Unmerklich weg, entkleidet ihn,
Hüllt sich in die Ligurer Waffen,
Nachdem er erst gesorgt sich schnell herbey zu schaffen,
Weß er bedarf, mischt sich in sichrer Feinde Reihn
Und dringet mit in ihre Stadt hinein.
[216]
72.
Er kennt genau die Straßen und Gebäude
Und eilet unerkannt im feindlichen Geschmeide
Zum Kornhaus, wo die Wach' ihn dennoch anruft; er
Antwortet mit dem Dolch und des Durchbohrten Speer
Hilft ihm am Thor die Eisenriegel sprengen;
Er geht hinein, er leget Feuer an,
Doch Feuer, das mit Öhl die schlauen Griechen mengen,
Unlöschbar einem Ocean.
73.
In Augenblicke fahren Funken
Hoch in die Luft und Flammen folgen schnell,
Sie machen weit umher die ganze Gegend hell.
Fern stehet Lysidor und siehet wonnetrunken,
Wie athemlos das Volk zum Löschen eilt,
Die Brunnen fast erschöpft und in das Feuer leeret,
Das immer weiter um sich greift,
Von ihren Wassern nicht getilget, nein! vermehret.
74.
Verzweifelnd heult das Volk; Bliomberis gebeut
Mit Sand zu löschen; sieh! dieß Eine Mittel glücket.
Das Feuer wird, doch ach! zu spät ersticket.
Indeß die Städter noch das Herz voll Bangigkeit,
Die Hände voller Arbeit haben;
Befestigt Lysidor zum Rückzug' einen Strick
Am hohen Walle, läßt daran sich in den Graben
Und kehret unverletzt zu seinem Heer zurück.
[217]
75.
O Muse sage mir, denn deine Götteraugen
Vermögen selbst den Vorsatz auszuspähn,
Indeß die unsrigen nur That und Folgen sehn,
Der Wahrheit Heiligthum kaum zu erreichen taugen,
Meist in der ersten Halle stehn,
Wo ihnen Zweifel, mit der Stirne
Die voller Falten ist und die oft falsche Dirne
Wahrscheinlichkeit entgegen gehn.
76.
O Muse, sage mir, was spornte wohl den Held,
Den edlen Lysidor, daß er zum offnen Schlunde
Des Todes sich so nahe hingestellt?
Die Liebe flistert' ihm mit nimmer lassem Munde
Die Hoffnung zu, so könn' er der Gemahl
Gesenens werden; seine Wahl
Verstieg sich kühn bis zu Gesenen
Der Tochter Garamants, der Schönsten aller Schönen.
77.
Ihn ängstigte der Nebenbuhler Schaar,
Worunter Vasaon, sein eigner Bruder war
Und nebst den Mächtigsten im Land auch fremde Prinzen
Aus Africas entlegensten Provinzen.
Doch war allein der edle Lysidor
Der Fürstinn leiser Wunsch; sie sprach den Tag zuvor,
Als er, Palmyren zu bekriegen,
Mit seinem Könige das große Schiff bestiegen,
[218]
78.
Freund, sprach sie, euer langer Schmerz
Verräth ein zärtliches, verräth ein treues Herz.
Ich will euchs länger nicht verhehlen,
Ich wählet' euch, dürft' eine Fürstinn wählen.
Doch schafft vielleicht der Krieg Gelegenheit,
Zu meines Vaters Gunst euch einen Weg zu finden,
Und ihn durch eure Tapferkeit,
Durch eine große That zum Danke zu verbinden.
79.
Wißt Lysidor, mein Vater wollte schon
Zum Stadtverweser Euch ernennen,
Doch glückt es mir, es also drehn zu können,
Daß euer Bruder Vasaon
Dieß Amt erhielt; wahr ists, ich zage nun und möchte
Den Schritt, der in Gefahr euch stürzet, fast bereun.
Doch werden, angefleht von mir, die Himmelsmächte
Euch hierdurch Ruhm und – was ihr wünscht, verleihn.
80.
Dieß waren der Prinzessinn Worte.
Sie drangen an das Herz des armen Lysidor,
Der ihre Hand ergriff und bey der Liebe schwor,
Entweder zu der schwarzen Pforte
Des Todes oder hin bis in ihr Brautgemach
Sich einen kühnen Weg zu bahnen.
Die Liebe sendet schnell dem Worte Thaten nach,
Sie läßt sich minder noch, als selbst die Ruhmgier, mahnen.
[219]
81.
Kühn war die That, die Lysidor vollbracht,
Und hätte bald den ganzen Krieg entschieden.
Schon will der Städter Muth, ihr Eifer schon ermüden.
Womit sie Monden lang sich wohl versorgt gedacht,
Das fraß die Flamm' in einer Stunde.
Vergebens spornt, so sehr Beredsamkeit es kann,
Bliomberis die träge Hoffnung an.
Man klagt selbst wider ihn, wiewohl mit leisem Munde.
82.
Der Vorrath, den der Held dem Feuer noch entriss,
Reicht höchstens hin, das Volk acht Tage lang zu nähren.
Zwar bald soll Leodat mit Hülfe wiederkehren;
Doch dieser säumt vielleicht; tief fühlt Bliomberis
Das schreckliche Vielleicht; er ließe gern ihn bitten,
Den Zug zu fördern; aber mitten
Durchs Maurenlager gehn, wer kann, wer waget dieß?
Die Wege sind besetzt, der Zugang abgeschnitten.
83.
Doch wagt es Galamen, ein edelmüthger Greis:
Er sah der Königinn bejammernswerthe Lage
Und sprach zu seinem Sohn: Timander, viele Tage
Durchlebt' ich, lange sind mir Bart und Scheitel weiß.
Zwey deiner ältern Brüder sanken
Im Kampfe neben mir, als Helden sanken sie,
Und ich bereue nicht ihr früh
Verströmtes Blut; du weißt, was wir den Herrschern danken.
[220]
84.
Auch jetzt beweis' ich noch der guten Königinn,
Daß man an mir Wohlthaten nicht verschwendet.
Ich will in dieser Nacht durchs Maurenlager hin
Zum edlen Leodat, dort wo der Fluß sich wendet
Und um den Eichenwald die blauen Arme flicht;
Dort stehn die Zelte minder dicht,
Dort hoff' ich leicht und unverrathen,
(Du kennest ja die Furt,) im Finstern durchzuwaten.
85.
Dieß sprach der edle Mann und schwieg von der Gefahr,
So wohl bekannt sie ihm in ihrer Größe war,
Den edlen Jüngling nicht zu kränken.
Doch sieht sie der und sagt, gespornt von Ruhmbegier,
Besorger für den Greis: was für ein Mann seyd ihr,
Mein Vater! ihr allein vermochtet ihn zu denken,
Den herrlichen, den schönen Plan;
Doch mir vertraut nun die Vollführung an.
86.
Wie könnte mirs die Welt, und die ich, dem Gesetze
Der Gottheit treu, noch mehr als Welten schätze,
Wie meine Mutter mirs verzeihn?
Wenn ich Unwürdiger euch in Gefahren schickte
Und eine feige Last indeß den Wall hier drückte!
O nimmermehr! Das kann, das darf nicht seyn!
Die Schatten meiner bessern Brüder
Entstiegen ihrem Grab' und flucheten mich nieder.
[221]
87.
Sie hatten Ruhm mit euch auf unser Haus gebracht,
Sie gaben, (Lorican empfand es!) in die Schlacht
Euch edelmüthig das Geleite,
Und nur der Heldentod riß sie von eurer Seite:
Ich aber, o der ewgen Schmach!
Ich blieb und folgte nicht dem tapfern Vater nach?
Hört auf mir dieses zuzumuthen,
Von eigner Hand durchbohrt sollt' eh mein Busen bluten.
88.
So sprach der Sohn; nach einem langen Streit,
Wobey dem alten Mann vor Vaterszärtlichkeit
Die Thränen aus dem Auge rollen,
Beschließen sie, daß beyde ziehen wollen.
Sie eilen, denn die Sonne schoß
Die letzten Strahlen schon herunter nach dem Schloß
Der Königinn, ihr und dem jungen Helden
Den rühmlichen Entschluß zu melden.
89.
Die weise Königinn verspricht
Mit Ehrenämtern und Geschenken
Bey ihrer Wiederkunft die Tapfern zu bedenken:
Doch dieß Versprechen rührt sie nicht.
Wir fühlen, sagt der Greis, wir fühlen eure Güte;
Doch glaubt, daß uns hieher nicht Geiz, noch Ehrsucht rief,
Nur Dankbarkeit, denn diese wurzelt tief
In einem redlichen Gemüthe.
[222]
90.
Wißt ihr, im letzten Mangeljahr
Kam ich in diesen Saal, worin der König war
Und ihr bey ihm; ich bath euch um Getreide;
Ja riefet ihr, gerührt von meinem Leide,
Dem Könige noch vor, ja lieber Galamen,
Ich kenn' euch, eure Söhne' starben
Jüngst in der Schlacht; eh wollt' ich selber darben,
Als euch in einer Noth, mein grauer Vater, sehn.
91.
So sagtet ihr und ließt mir Korn ertheilen,
Die Menge Korn; ich gab davon
Den armen Nachbarn noch; und folglich ist der Lohn
Für die Gefahr, in die wir jetzund eilen,
Und die Besorglichkeit vielleicht zu groß sich mahlt,
Uns reichlich und voraus bezahlt;
Doch will ich Königinn noch eine Bitte wagen,
Und eure Großmuth wird mir diese nicht versagen.
92.
Ich hab' ein edles Weib, es hängt an ihr mein Herz;
Wir theilen nun seit vierzig Jahren,
Als redliche Gefährten, Freud' und Schmerz.
Sie weiß es nicht, daß ich durch dichter Feinde Schaaren,
Ich und ihr Sohn, ihr letzter, gehn.
Es ist das erste Mahl, daß ich ihr was verschweige;
Doch, arme Claudia, der Himmel ist mein Zeuge!
Ich kann nicht deine Thränen sehn.
[223]
93.
O nehmt euch ihrer an in ihren alten Tagen,
Dafern sie mich, dafern sie den vermißt
Und in der weiten Welt verlassen, einsam ist:
Die Hoffnung, Königinn, laßt uns von hinnen tragen,
Sie wird uns Licht in finstern Nächten seyn,
Und unsern Muth erhöhn, wenn rings Gefahren dräun.
Er sprachs und frommer Mitleidszähren
Kann sich kein einzig Aug' im ganzen Saal erwehren.
94.
Die Königinn verspricht dem edlen Galamen,
Sie werde seines Weibs mit Tochterliebe pflegen;
Indeß verdichten sich die Schatten und nun gehn
Die tapfern Bothen; Wünsch und Segen
Begleiten sie bis an das Thor.
Bliomberis vertrauet ihrem Ohr
Den Plan, den er entwarf, damit sie Leodaten
Zur Zeit des Angriffs klug nach diesem Plane rathen.
95.
Sie wandeln durch die Nacht, die ihren Schleyer heut
Verdoppelte; schon sind die Helden weit
Voraus gedrungen; niemand höret
Den leichten, Zephyrgleichen Schritt;
Kein Wächter ruft sie an, kein Argwohnvoller tritt
In ihren Weg; sie kommen ungestöret
Bis an den hohen Eichenwald,
Wo in ihr horchend Ohr ein fern Getrabe schallt.
[224]
96.
Ha! rief der Jüngling mit Entzücken,
Mein Vater, höret ihr? man naht;
Die Aquitaner sinds, der edle Leodat,
Sonst wäre das Geräusch ja hinter unserm Rücken.
Du schließest recht, erwiedert Galamen,
Der seine Bangigkeit nicht mit dem Sohne theilen,
Der sie verbergen will, doch laß uns immer eilen!
Zur Rechten hin, wo dichte Büsche stehn!
97.
Sie gehen, doch die schwachen Füße
Versagen dem erschöpften Greis
Bald allen fernern Dienst, er wirft schwer athmend, heiß
Und mit gesenktem Haupt, dort wo die Finsternisse
Gedrängter sind, sich auf den Boden hin.
Sohn, spricht er, wenn in deiner Seele
Gehorsam wohnt, nicht Stolz, nicht Eigensinn;
So thu und alsogleich thu, was ich dir befehle.
98.
Eil' unverzüglich zu dem Fluß;
Und daß du ja nicht wiederkehrest,
Was du auch immer siehst, was du auch immer hörest!
Vergiß nicht, daß man links, stets links zu waten muß.
Du wirst nicht mehr entdeckt, nicht mehr ereilet werden,
So bald du nur am andern Ufer bist:
Doch fliege dann, so schnell es möglich ist,
Nach Aire flieg' auf immer neuen Pferden.
[225]
99.
»Und ihr mein Vater?« ich will hinter dem Gesträuch
Den – Leodat erwarten; aber siehe!
Mich dünkt, daß schon der Stern dort blasser glühe.
O fleuch, wenn du mich liebest, fleuch!
Durch dich muß Radagond bald diese Nachricht wissen,
Die Leodat durch mich erfährt.
Noch decket dich die Nacht mit ihren Finsternissen;
Fluch, Fluch dir, wenn dein Fuß säumt, oder wiederkehrt!
100.
So hält der Greis die schrecklichste der Sorgen
Und die gerechteste, daß jetzt nicht Leodat,
Daß sich ein Trupp von Mauritanern naht,
Dem edlen Jünglinge verborgen.
Auch wars ein solcher Trupp, den tiefer in das Land,
Dort von dem Aquitaner-Heere
Kundschaften einzuziehn, der König hingesandt,
Zweyhundert Reisige, bewehrt mit Schild und Speere.
101.
Timander, ob sich gleich sein zitternd Herz gesträubt,
Ging eine Weile fort, halb zitternd, halb betäubt
Und ungestört; nun aber kommts, nun rauschet
Es nah an ihm vorbey; er lauschet,
Er hört sie sprechen und zu Eis
Stockt ihm das Blut in jeder Ader;
Ach! er erkennt die feindlichen Geschwader
Und zittert für den armen Greis.
[226]
102.
Er fleugt zurück, doch auf den nähern Wegen;
Wagt über Gräben weg so manchen kühnen Satz,
Macht durch das Dorngesträuch sich jetzt mit seinem Degen,
Jetzt, ohne daß ers fühlt, mit blutgen Händen Platz.
Bald kann er, da die Wolken grauen,
Kaum funfzig Schritte fern, des Vaters Busch erschauen.
Schon zog bey diesem Busch der ganze Trupp vorbey;
Schon jauchzt der gute Sohn und glaubt den Vater frey.
103.
Doch selten beut den Thätern großer Thaten
Das wandelbare, falsche Glück
Sich zur Gefährtinn an! zwey Mauren sehn zurück:
Weh ihm! der arme Greis wird durch den Helm verrathen,
Der in der Dämmerung das schwanke Laub durchblinkt.
Die Mauren sagens schnell dem Führer an und deuten
Ihm mit dem Finger hin; er, dem es wichtig dünkt,
Macht Halt, mit ihnen hinzureiten.
104.
Der Jüngling siehts; was soll er nun,
Den Vater zu befreyn, was soll, was kann er thun?
Soll er hervor und knieend eine Bitte
An Feinde wagen? soll er rasend in die Mitte
Des Haufens stürzen und den Tod,
Den schönen Tod der Helden sterben?
Doch eh noch Schwert und Lanze purpurroth
Im Blute der Erschlagnen färben?
[227]
105.
Auf einmahl schimmert ihm die Hoffnung durch den Sinn:
Wirf deine sichre Lanze hin,
Vielleicht entfliehen die Barbaren,
Im Wahn, es lauern hier die Aquitaner Schaaren.
Gedacht, gethan! Der Speer zischt durch die Dämmerung;
Die Mauren lauschen; leer ist eines ihrer Pferde
Und machet einen Seitensprung;
Der Reiter röchelt auf der Erde.
106.
Hoch ragt der Speer aus seiner Brust empor;
Der Führer sieht es, ras't und donnert in das Ohr
Der muthlos zaudernden Begleiter:
Was steht ihr an? mir nach ihr Reiter,
Und nichts verschont! hier stürzt er, wo versteckt
Der Alte sitzt, hinein; nun aber, aufgeschreckt
Und sinnlos stürzt mit lautem Angstgestöne
Aus seinem Busch der zärtlichste der Söhne.
107.
Mich ruft er, mich! ich warf den Speer;
Bey allen Heiligen im Himmel! nichts that der;
Er wollt', er konnte nicht! – Umsonst! schon fährt hernieder
Das Schwert des Führers und durchsticht
Den Busen Galamens, der matt und zitternd ficht.
Er sinket, Blut strömt über seine Glieder;
Roth ist der Grund, roth ist der Büsche Laub,
Sein Leben in der Luft, sein graues Haar im Staub.
[228]
108.
So sinket morsch und ohne Saft die Eiche
Im Hain, wo sie vordem als Königinn stolziert,
Sie sinkt gefällt von Einem Streiche,
Den eine Riesenhand geführt.
Der Donner hat von ihren Ästen allen,
Auf denen gern das Federvolk gewohnt,
Nur einen einzigen geschont,
Und dieser war bestimmt mit ihr zugleich zu fallen.
109.
Nach Rache lechzend haut Timander bis hinan
Zum Führer sich durch Pferd' und Reiter eine Bahn,
Stößt ihm das Schwert tief in des Busens Höhle
Und läßts darin, nicht mehr um Gegenwehr bemüht,
Stürzt auf die Leich', umarmt und küßt sie; da entflieht
Mit diesem Kusse sanft die engelreine Seele:
Der ganze Himmel schaut auf ihn herunter, weint
Vor Freuden und empfängt den neu verklärten Freund,
110.
O glitte doch nur Eine dieser Thränen
Herunter auf mein Saitenspiel!
Dann würde dieses Lied, wie Seraphslieder, tönen,
Werth dieses edlen Paars; und heiliges Gefühl
In alle Herzen überwallen,
Es würde mit dem Lauf der Zeiten nie verhallen;
Stark, ungeschwächet schwebt es hin
Bis zu dem letzten Sohn der Deutschen Enkelinn.