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»Was, Sie wollen um diese Zeit noch ausgehen, Leutnant Jaretzki!« Schwester Mathilde saß neben dem Eingang des Lazaretts, und Leutnant Jaretzki, im erleuchteten Türrahmen, zündete sich eine Zigarette an.

»War bei der Hitze heute noch nicht vorm Haus …« er klappte sein Feuerzeug zu, »... gute Erfindung, die Benzinfeuerzeuge, … daß ich nächste Woche abmarschiere, wissen Sie schon, Schwester?«

»Ja, ich habe es gehört. Nach Kreuznach auf Erholung, … Sie sind wohl recht froh, daß Sie endlich hier rauskommen …«

»Nun ja … Sie müssen übrigens auch froh sein, mich loszuwerden.«

»Man kann nicht sagen, daß Sie ein bequemer Patient waren.«

Schweigen.

»Kommen Sie ein bißchen spazieren, Schwester, jetzt ist's kühl.«

Schwester Mathilde zögerte: »Ich muß bald wieder rein … wenn Sie mögen, ein wenig vor dem Haus.«

Jaretzki sagte beruhigend: »Ich bin ganz nüchtern, Schwester.«

Sie gingen auf die Straße hinaus. Das Krankenhaus mit seinen zwei Reihen beleuchteter Fenster lag zu ihrer Rechten. Die Stadt unten war in ihren Umrissen zu erkennen, noch ein wenig schwärzer als die Schwärze der Nacht. Ein paar Lichter brannten dort und auch auf den Höhen zeigte das eine oder andere Licht das Vorhandensein eines einsamen Bauernhauses an. Die Uhren der Stadt schlugen neun.

»Möchten Sie nicht auch von hier fort, Schwester Mathilde?«

»Ach, ich bin ganz zufrieden … ich habe meine Arbeit.«

»Eigentlich ist es furchtbar nett von Ihnen, daß Sie mit solch einem Suff- und Reservefritzen spazierengehen, Schwester.«

»Warum sollte ich nicht mal mit Ihnen Spazierengehen, Leutnant Jaretzki?«

»Ja, warum eigentlich nicht …« nach einer Weile: »Also Sie wollen Ihr ganzes Leben hier bleiben?«

»Das denn doch nicht … wenn der Krieg vorbei ist.«

»Dann wollen Sie nach Hause? … nach Schlesien?«

»Das wissen Sie?«

»Ach, das weiß man bald … und Sie glauben, daß Sie so einfach wieder nach Hause fahren werden … als ob nichts gewesen wäre?«

»Ich habe darüber eigentlich nie nachgedacht … es kommt ja immer alles anders.«

»Wissen Sie, Schwester, … ich bin ganz nüchtern … aber es ist meine innerste Überzeugung: so richtig nach Hause kommt keiner mehr.«

»Wir wollen alle wieder nach Hause, Herr Leutnant, wofür hätten wir denn gekämpft, wenn nicht für unsere Heimat.«

Jaretzki blieb stehen: »Wofür wir gekämpft haben? wofür wir gekämpft haben … fragen Sie lieber nicht, Schwester … übrigens haben Sie recht, es kommt ohnehin alles anders.«

Schwester Mathilde schwieg. Dann sagte sie: »Wie meinen Sie das, Herr Leutnant?«

Jaretzki lachte: »Na, hätten Sie je geglaubt, daß Sie mit einem besoffenen einarmigen Ingenieur spazierengehen werden … Sie sind doch eine Gräfin.«

Schwester Mathilde antwortete nicht. Sie war zwar keine Gräfin, wohl aber ein Fräulein v., und ihre Großmutter war eine Gräfin.

»Vielleicht ist's Wurscht … wenn ich ein Graf wäre, wär's auch nicht anders, ich müßte auch saufen … wissen Sie, wir sind jeder viel zu allein, als daß so etwas noch was ausmachen könnte … jetzt habe ich Sie böse gemacht?«

»Ach, woher …«, sie sah in der Dunkelheit die Linie seines Profils und fürchtete, daß er nach ihrer Hand greifen würde. Sie ging auf die andere Straßenseite.

»Jetzt heißt's umkehren, Herr Leutnant.«

»Sie müssen ja auch allein sein, Schwester, sonst hielten Sie es nicht aus … seien wir froh, daß der Krieg nicht aufhört …«

Sie waren wieder beim Gittertor des Lazaretts. Die meisten der Fenster waren jetzt dunkel. Man sah die schwache Notbeleuchtung in den Krankensälen.

»So, und jetzt gehe ich was trinken, trotz allem … Sie werden ja ohnehin nicht mithalten, Schwester.«

»Höchste Zeit, daß ich hineinkomme, Leutnant Jaretzki.«

»Gute Nacht, Schwester, schönen Dank.«

»Gute Nacht, Herr Leutnant.«

Schwester Mathilde fühlte sich irgendwie enttäuscht und traurig. Sie rief ihm nach: »Kommen Sie nicht zu spät heim, Herr Leutnant.«

 


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