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14

An einem der nächsten Nachmittage war Huguenau wieder bei Herrn Esch.

»Nun, Herr Esch, was sagen Sie: die Sache macht sich!«

Esch korrigierte Druckbogen, hob den Kopf: »Welche Sache?«

Imbécile, dachte Huguenau, doch er sagte: »Nun, mit der Zeitung.«

»Fragt sich erst, ob ich dabei mitmache.«

Huguenau wurde mißtrauisch: »Na, hören Sie, bloßstellen dürfen Sie mich nicht … oder unterhandeln Sie vielleicht schon anderwärts?«

Dann bemerkte er das Kind, das er damals vor der Druckerei gesehen hatte: »Ihre Tochter?«

»Nein.«

»So … sagen Sie, Herr Esch, wenn ich Ihre Zeitung verkaufen soll, müßten Sie mir doch den Betrieb zeigen …«

Esch wies auf das Zimmer, Huguenau versuchte ihn aufzuheitern: »Das kleine Fräulein gehört also auch dazu …«

»Nein«, sagte Esch.

Huguenau gab nicht nach; eigentlich war es ihm unklar, warum ihn dies interessierte: »Aber die Druckerei, die gehört doch dazu … die muß ich doch sehen …«

»Meinetwegen«, sagte Esch, stand auf und nahm das Kind bei der Hand, »gehen wir in die Druckerei.«

»Wie heißt denn du?« fragte Huguenau.

Das Kind sagte: »Marguerite.«

»Une petite Française«, sagte Huguenau.

»Nein«, sagte Esch, »bloß der Vater ist Franzose …«

»Interessant«, sagte Huguenau, »und die Mutter?«

Sie kletterten die Hühnerleiter hinunter. Esch sagte leise: »Die Mutter lebt nicht mehr … der Vater war Elektriker, hier in der Papierfabrik, jetzt ist er interniert.«

Huguenau schüttelte den Kopf: »Traurige Verhältnisse, sehr traurig … und Sie haben das Kind zu sich genommen?«

Esch sagte: »Sie wollen wohl alles wissen?«

»Ich? nein … aber das Kind muß doch irgendwo wohnen …«

Esch sagte unwirsch: »Es lebt bei der Schwester der Mutter … hierher kommt es bloß manchmal zum Mittagstisch … es sind arme Leute.«

Huguenau war befriedigt, da er jetzt alles wußte: »Alors tu es une petite Française, Marguerite?«

Das Kind schaute an ihm hinauf, der Schimmer einer Erinnerung glitt über das Gesicht, sie ließ Esch los, nahm den Finger Huguenaus, aber sie antwortete nichts.

»Sie kann kein Wort Französisch … es sind doch schon vier Jahre her, daß der Vater interniert ist …«

»Wie alt ist sie denn jetzt?«

»Achte«, sagte das Kind.

Sie traten in die Druckerei.

»Das ist die Druckerei«, sagte Esch, »Maschinen und Setzerei allein sind schon ihre paar Tausend wert.«

»Ältere Konstruktion«, sagte Huguenau, der noch nie eine Druckmaschine gesehen hatte. Rechts war die Setzerei; die altersgrauen Setzkasten interessierten ihn nicht, aber die Druckmaschine gefiel ihm. Das Ziegelpflaster, an vielen Stellen mit großen Betonflecken ausgebessert, war um die Maschine herum von Öl durchtränkt und braun. Da stand die Maschine, schwer und fest stand sie da, das Gußeisen schwarz lackiert, die schmiedeisernen Stangen blank, und an den Gelenken und Lagern saßen gelbe Messingringe. Ein alter Arbeiter in blauer Bluse rieb mit einem Wergbündel an den blanken Stangen, ohne sich weiter um die Besucher zu scheren.

Esch sagte: »So, das ist alles, gehen wir … komm, Marguerite.« Er entfernte sich grußlos und ließ seinen Gast einfach stehen. Huguenau sah dem Rüpel nach und es war ihm ganz recht; jetzt konnte man sich die Sache hier mit Muße betrachten. Es war eine angenehme Atmosphäre von Ruhe und Festigkeit. Er zog seine Zigarrentasche, suchte eine Zigarre heraus, deren Deckblatt etwas ramponiert war, und brachte sie dem Mann bei der Maschine.

Der Drucker sah ihn fragend an, denn Tabak war rar und eine Zigarre war immerhin ein Geschenk. Er wischte sich die Hand an seinem blauen Zeug ab, nahm die Zigarre, und weil er nicht recht wußte, wie er danken sollte, sagte er: »Das ist eine Seltenheit.« – »Jawohl«, antwortete Huguenau, »mit dem Tabak sieht es übel aus.« – »Überall sieht es übel aus«, bekräftigte der Drucker. Huguenau horchte auf: »So ähnlich sagte es auch Ihr Herr Chef.« – »Das sagt ein jeder.«

Das war nicht die Antwort, die Huguenau hören wollte: »Rauchen Sie doch an«, kommandierte er. Der Mann biß, ein wenig wie ein Nußknacker, mit starken bräunlichen Zähnen die Zigarrenspitze ab und zündete an. Sein Arbeitsanzug und sein Hemd standen offen und ließen den weißen Pelz auf der Brust sehen. Huguenau hätte für seine Zigarre gerne eine Gegenleistung eingestrichen; der Mann sollte irgend etwas erzählen; er ermunterte ihn: »Feines Maschinchen, was?« – »Es tut's«, war die karge Antwort. Huguenau, dessen Sympathien der Maschine gehörten, war für diese ob des geringen Lobes beleidigt. Und weil ihm nichts anderes einfiel, das Schweigen zu unterbrechen, fragte er: »Wie heißen Sie?« – »Lindner.« Dann schwiegen sie definitiv und Huguenau überlegte, ob er nun nicht doch gehen sollte, – als sein Finger wieder von einer Kinderhand ergriffen wurde; Marguerite war auf ihren bloßen Füßen unhörbar heruntergekommen.

»Tiens«, sagte er, »tu lui as échappé.«

Das Kind schaute verständnislos zu ihm hinauf.

»Ach ja, du kannst nicht Französisch … schäm' dich, das mußt du lernen.«

Das Kind machte eine wegwerfende Bewegung, die gleiche, die Huguenau schon an Esch bemerkt hatte: »Der droben kann auch Französisch …«

Es sagte: der droben.

Huguenau war befriedigt; er sagte leise: »Du magst ihn nicht?«

Finsteren Gesichts schob das Kind die Unterlippe vor, aber dann entdeckte es, daß Lindner rauchte: »Herr Lindner raucht!«

Huguenau lachte und öffnete die Zigarrentasche: »Willst du auch eine Zigarre?«

Das Kind schob die Tasche von sich und antwortete langsam: »Schenk mir Geld.«

»Was! Geld willst du haben? wozu brauchst du denn Geld?«

Lindner sagte: »Jetzt fangen sie eben schon zeitig an.«

Huguenau hatte sich einen Stuhl herangezogen; er nahm Marguerite zwischen die Knie: »Weißt du, Geld brauch ich selber.«

Das Kind wiederholte mit seiner verbissenen Langsamkeit: »Schenk mir Geld.«

»Ich schenke dir Pralinés.«

Das Kind schwieg.

»Wozu brauchst du Geld?«

Und obwohl Huguenau wußte, daß »Geld« ein sehr wichtiges Wort ist, und obwohl es ihn nicht losließ, konnte er sich plötzlich nichts darunter vorstellen und mußte angestrengt nachdenken: »Wozu braucht man Geld?«

Marguerite hatte die Arme auf seine Knie gestemmt und hielt sich sehr steif zwischen seinen Beinen.

Lindner brummte: »Ach, lassen Sie sie laufen«, und zu Marguerite, »mach, daß du raus kommst, die Druckerei ist nichts für Kinder.«

Marguerite hatte böse, schiefe Augen. Sie nahm wieder den Finger Huguenaus, begann zur Türe hin zu zerren.

»Eile mit Weile«, sagte Huguenau, der sich erhoben hatte, »nur die Ruhe kann es machen, was, Herr Lindner?«

Lindner wischte wieder wortlos an seiner Maschine, und da ergab sich für Huguenau mit einem Male eine unerklärliche Verwandtschaft zwischen dem Kind und der Maschine, gewissermaßen eine geschwisterliche Beziehung. Und als könnte er die Maschine damit trösten, sagte er noch rasch, ehe er bei der Tür war, zu dem Kinde: »Ich gebe dir zwanzig Pfennig.«

Als das Kind die Hand ausstreckte, überkam ihn neuerdings der sonderbare Zweifel am Geld, und behutsam, als handle es sich um ein Geheimnis, das nur sie beide anging und von dem niemand, selbst die Maschine nicht, etwas hören durfte, zog er das Kind dicht an sich heran, beugte sich zu seinem Ohr: »Wozu brauchst du Geld?«

Die Kleine sagte: »Gib.«

Wie aber Huguenau nichts dergleichen tat, überlegte sie finster. Dann sagte sie: »Ich sag' dir's«, drängte sich aus seiner Umklammerung und zerrte ihn zur Türe hinaus.

Als sie im Hofe standen, war es merkwürdig kühl geworden. Huguenau hätte das kleine Wesen, dessen Wärme er eben gespürt, gerne auf den Arm genommen; es war unrecht von dem Esch, ein Kind zu dieser Jahreszeit bloßfüßig herumlaufen zu lassen. Er war ein bißchen verlegen und putzte seine Brillengläser. Erst als das Kind wieder die Hand ausstreckte und »gib« sagte, erinnerte er sich an die zwanzig Pfennig. Doch er vergaß nach dem Zwecke zu fragen, öffnete die Börse und fingerte die beiden Eisenmünzen heraus. Marguerite nahm sie, lief davon, und Huguenau, allein gelassen, wußte nichts Besseres zu tun, als nochmals den Hof und die Gebäude zu mustern. Dann ging auch er.

 


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