Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

48

Um jeden Papierballen, den man geliefert haben wollte, mußte man sich herumschlagen, und obwohl Esch für das Quantum des »Kurtrierschen Boten« einen behördlichen Zuweisungsschein in Händen hatte, mußte er allwöchentlich zur Papierfabrik hinaus. Und fast ein jedes Mal gab's einen Krach mit dem alten Herrn Keller oder mit dem Betriebsleiter.

Es war eben Betriebsschluß, als Esch die Fabrik verließ. Auf der Straße holte er den Meister Liebel und den Maschinisten Fendrich ein. Den Liebel mochte er eigentlich nicht leiden, diesen strohblonden Turmschädel mit der dicken Ader auf der Stirn.

Er sagte: »'n Abend.«

»'n Abend, Esch, haben Sie fleißig mit dem Alten gebetet?«

Esch verstand nicht.

»Na, damit er Ihnen Papier liefert.«

»Blöde Witze«, sagte Esch.

Fendrich blieb stehen, zeigte auf seine durchlöcherten Schuhsohlen: »Das kostet sechs Mark … da hat man was davon, daß die Löhne steigen.«

Für Esch war es ein Anknüpfungspunkt: »Mit den Löhnen allein ist es eben nicht getan, das ist der Irrtum von all den Gewerkschaften.«

»Wie ist das, Esch, wollen Sie Fendrichs Stiebel auch mit der Bibel flicken …« und er entdeckte: »Bibel, Stiebel, das reimt sich.«

»Blöde Witze«, wiederholte Esch.

Fendrichs Augen glänzten dunkel in fiebrigen Höhlen; er war tuberkulös und bekam zu wenig Milch. Er sagte: »Glauben ist vielleicht auch ein Luxus, den sich bloß die Reichen leisten können.«

Liebel sagte: »Majore und Zeitungsherausgeber.«

Esch sagte, gleichsam entschuldigend: »Ich bin bei der Zeitung auch bloß ein Angestellter«, doch dann fuhr er auf: »überhaupt ist das ein Blödsinn, als ob die Gewerkschaften das Gelübde der Armut abgelegt hätten!«

Fendrich sagte: »Es wäre schon ganz schön, wenn man glauben könnte.«

Esch sagte: »Ich habe etwas herausgefunden: auch der Glaube muß sich erneuern, auch für ihn muß ein neues Leben kommen … in der Bibel steht, daß erst der Sohn das Haus wird bauen dürfen.«

Liebel sagte: »Natürlich wird's die nächste Generation besser haben, das ist keine Neuigkeit … ich kann mit meinen hundertvierzig Mark nicht mehr leben, auch wenn man die Erzeugungsprämien dazu rechnet … das sieht der Alte nicht ein … dabei bin ich sozusagen Meister.«

»Ich habe auch nicht mehr«, sagte Esch, »und selbst wenn man das Haus dazurechnet … ich habe zwei Mieter, von denen ich anständigerweise keinen Zins verlangen kann, arme Teufel … das Gebäudekonto ist bei mir passiv.«

Der Abendwind frischte auf. Fendrich hustete.

Liebel sagte: »Nun ja.«

Esch gestand: »Ich war schon beim Pfarrer …«

»Wozu?«

»Wegen der Bibelstelle, der Idiot hat nicht einmal zugehört … hat was von Beten und Kirche gequatscht, und das war alles. Der blöde Pfaff … man muß sich selber helfen.«

»Ja«, sagte Fendrich, »keiner hilft einem.«

Liebel sagte: »Wenn man zusammenhält, hilft man sich gegenseitig … das ist der Vorteil der Gewerkschaften.«

»Der Doktor findet, ich müßte ins Gebirge, hat auch schon zehnmal bei der Krankenkasse eingereicht … aber wer nicht aus dem Feld kommt, der kann jetzt warten, und ich huste immer weiter.«

Esch zeigte seine ironische Miene: »Mit Gewerkschaften und Krankenkassen werden Sie's nicht viel weiter bringen als ich mit dem Pfaffen …«

»Allein muß man krepieren«, sagte Fendrich und hustete.

Liebel fragte: »Was wollen Sie eigentlich!«

Esch dachte nach: »Früher meinte ich, daß man bloß fortmüßte … nach Amerika … mit einem Schiff über ein großes Meer … damit man ein neues Leben beginnen kann … aber jetzt …«

Liebel wartete auf die Fortsetzung: »Und jetzt?«

Doch Esch sagte unvermittelt: »Vielleicht sind die Protestanten besser dran … der Major ist auch Protestant … aber man muß erst selbst drüber nachdenken … man müßte sich zusammensetzen und die Bibel lesen, damit man sich ein Bild machen kann … wenn man allein ist, bleibt man immer im Zweifel, auch wenn man noch so viel nachdenkt.«

»Wenn man Freunde hat, ist es leichter«, sagte Fendrich.

»Kommen Sie zu mir«, sagte Esch, »ich zeige Ihnen die Stelle in der Bibel.«

»Ja«, sagte Fendrich.

»Und was ist mit Ihnen, Liebel?« fühlte Esch zu fragen sich verpflichtet.

»Erst müßt Ihr mir erzählen, was Ihr miteinander ausgeknobelt habt.«

Fendrich seufzte: »Jeder sieht's nur mit eigenen Augen.«

Liebel lachte und entfernte sich.

»Der wird schon noch kommen«, sagte Esch.

 


 << zurück weiter >>