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Während Bertram, der verheiratet war, am Kurfürstendamm wohnte, hatte Hans sein Junggesellenquartier im Geschäftshause: ein paar, mit Geschmack und Komfort eingerichtete Zimmer, die in gleicher Flucht mit den Privatbureaus der Chefs lagen.
In einem dieser Zimmer warteten der Graf Dassel und die Komtesse Gerda.
»I je, Papa,« sagte die Komtesse, »ist das ein närrisches Gemach. Wie der Serail des Kalifen von Bagdad; findest du nicht auch?«
»Ungefähr,« antwortete der Papa, »jedenfalls orientalisch.«
»Und mollig. Und alles so fein im Ton. Ich taxiere, der junge Herr Volcker ist eine harmonische Natur. Ohne Dissonanzen, alles schön ausgeglichen in ihm wie in diesem Zimmer.«
»Geschmack hat er –«
»Und selbständiges Empfinden, Papa. Paßte er sich der Mode an, so wäre dieses Gemach nicht türkisch, sondern Empire. Das gefällt mir nun wieder. Anpassungsmenschen kann ich nicht leiden.«
»Ich auch nicht; aber leider kommt die Selbständigkeit nicht allerwegen durch die Welt. Sag einmal, Maus: wenn die Konferenz sich nun hinziehen sollte?«
»Dann leg' ich mich auf diesen köstlichen Diwan und träume von Tausend und eine Nacht. Jedenfalls wart' ich. Wo soll ich denn sonst hin?!«
»Also gut – warte! Da steht auch ein Bücherschrank –«
»Die Bücher werden der Klausur bedürfen. Junggesellen haben manchmal ein Vorurteil gegen die Backfischlitteratur.«
»Backfisch ist gut. Zwanzig Jahre und lang und dick wie ein Gardekürassier. Uebrigens – glaubst du, daß Herr Volcker ein Taugenichts ist? Wegen deiner Anspielung auf die sekrete Litteratur da drüben.«
Der Graf lachte und faßte seine große Tochter an die Nase.
»Was du einen nicht alles zu fragen hast! Deine Tiefgründigkeit ist schrecklich. Aber ich will dir Antwort geben. Im Hause Volcker hat es noch nie einen Thunichtgut gegeben. Sonst säh' es hier anders aus. Hier ist alles massiv, alles ursolide. Denn die Volckers sind Kaufleute und keine –«
Gerda verschloß ihm den Mund.
»Nicht wieder bitter werden, Papa,« sagte sie bittend, mit dem ganzen Schmelz ihrer süßen weichen Stimme, die mit dem großen starken Mädchen gar nicht im Einklang zu stehen schien. »Dittmar hat seine Strafe weg, und ich glaube – ich glaube, in Tokio gibt es gar keine Spieltische.«
»Ich wollte, es wär' so. Leider weiß ich es anders …«
Er brach ab, da Hans in das Zimmer trat, den Grafen mit lebhafter Liebenswürdigkeit begrüßend und sich dann sofort an dessen Tochter wendend: »Komtesse, welche Ehre für mein Junggesellenheim! Denn Sie stehen hier nicht etwa auf neutralem Geschäftsboden, sondern auf meinem Grunde als Mensch.«
»Ich merkte es schon, Herr Volcker. Als Geschäftsraum hätte dies Zimmer doch einen allzu mohammedanischen Anstrich. Uebrigens ist es hübsch hier.«
»Ich bin glücklich, daß es Ihnen gefällt … Die andern Herren sind schon im Konferenzzimmer, Herr Graf … Wollen Komtesse hier bleiben, bis –«
»Ja, ich bleibe. Ich muß schon bleiben, notabene wenn Sie es erlauben. Gewöhnlich setzt mich Papa bei Schilling ab – oder in einer andern Konditorei. Und da habe ich nach und nach einen wahren Horror vor Schokolade mit Schlagsahne und Nußtorte bekommen. Konferieren Sie nur getrost darauf los – aber bitte, geben Sie mir inzwischen etwas zu lesen.«
»Wir haben Ihren Bücherschrank schon von außen gemustert,« warf Graf Dassel lächelnd ein. »Wenn er innerlich ebenso solide ist, wie er ausschaut, dann meine ich, können Sie meiner Tochter den Schlüssel unbesorgt anvertrauen …«
»Ja,« sagte er, »das könnte ich schon. Aber … wissen Sie, Herr Graf, es sind da doch so einige französische Romane … man muß sich litterarisch auf dem Laufenden erhalten … ich werde mir erlauben, Ihrer Fräulein Tochter etwas sehr Schönes herauszusuchen …«
Er schloß den Schrank auf. Vater und Tochter lachten.
»Zschokkes ›Stunden der Andacht‹ kenne ich schon, Herr Volcker,« meinte Gerda.
»Sei nicht so naseweis, Ratte,« sagte der Graf.
Hans kramte inzwischen in den Büchern herum. Herrgott, gab es da denn gar nichts für ein junges Mädchen aus gutem Hause! Prevost, Marni, Zola, Richepin – kein Band Marlitt, kein Band Nathusius oder Wildermuth – nichts als französische Litteratur in ihrer Sünden Blüte! Aber da – eine Reisebeschreibung!
»Eine sehr interessante Reisebeschreibung, Komtesse! ›Drei Jahre auf Borneo‹ mit Illustrationen …« Er schlug das Buch auf und stutzte. Dassel schaute ihm über die Schulter.
»Die Toilette der eingeborenen Herrschaften auf Borneo ist etwas mangelhaft,« sagte er schmunzelnd. »Aber beruhigen Sie sich, lieber Herr Volcker. Meine Tochter weiß, daß zwischen Indecenz und zimperlicher Prüderie Himmel und Hölle liegt. Sie ist adlig erzogen worden, doch nicht puritanisch. Geben Sie ihr nur ruhig das Reisewerk!«
»Na Gott sei Dank,« meinte die Komtesse, nahm das Buch in Empfang und nickte lächelnd, als Hans wieder sorgsam den gefährlichen Schrank verschloß. Dann setzte sie sich, während die Herren ihren Geschäftsangelegenheiten nachgingen, an das Fenster, wenig interessiert für Borneo und seinen Archipel, das Buch im Schoße und auf die Straße schauend …
Berlin langweilte sie. Der Vater nannte sie mit Recht die »geborene Landpomeranze«. War sie drei Tage von Uttenhagen fort, so bekam sie Heimweh. Heimweh nach allem: nach ihrer Behaglichkeit, ihren Ponies, dem Geflügelhofe und dem Kuhstall. Es dünkte sie lächerlich und nicht sehr fein. Aber es war doch einmal so. Besonders ob ihrer Vorliebe für die breitgestirnten Insassen des Kuhstalls wurde sie viel geneckt. Lieber Gott, die Milchwirtschaft warf bei der Nähe der Hauptstadt gute Erträgnisse ab, und die Zeiten waren für das flache Land jammervoll schlecht. Sie war eine tüchtige Rechnerin. Seit dem Tode ihrer Mutter stand sie als erster Adjutant des Vaters dem Hauswesen in Uttenhagen vor. Man mußte sehen, wie sie da herrschte: eine Amazonenkönigin mit ihrer stattlichen Gestalt, der hohen Büste und dem frei auf stolzem Halse getragenen Kopfe. Sie kommandierte wie ein Ulanenoberst, und doch liebten sie alle. Sie war nicht so vornehm zurückhaltend wie ihre Mutter es gewesen. Das ging auch nicht, denn sie mußte überall ihre Augen offen haben, sollte Ordnung herrschen. Und das war notwendig seit den letzten großen Verlusten, die Uttenhagen getroffen hatten, und seit man gezwungen worden war, neue Hypotheken aufzunehmen, um Dittmar über Wasser halten zu können.
Dieser leichtsinnige Junge! Er war als Legationssekretär der deutschen Botschaft in Rom attachiert gewesen und hatte dort wahnsinnige Schulden gemacht. Ein Ausflug nach Monte-Carlo sollte alle Dummheiten wieder wett machen, aber dieser Ausflug erwies sich als die größte Dummheit; nein, als mehr: als ein Frevel. Dittmar telegraphierte: bezahlen oder die Kugel. Da wurde Gerda zum erstenmal bitterböse auf den geliebten Bruder. Sie sorgte dafür, daß seine Schulden unter den größten Opfern nochmals beglichen wurden, aber sie wollte ihn nicht mehr sehen. Und auch Dittmar war mit seiner Versetzung nach Tokio ganz einverstanden …
Gerda nahm das Borneowerk von ihrem Schoße und legte es auf das Fensterbrett. Sie seufzte, als sie an Dittmar dachte. Wenn dieser leichtsinnige Strick so weiter wirtschaftete, dann war Uttenhagen verloren. Die Zeit hatte in den alten Besitz schon genug Breschen gelegt. Der Vater war nie ein rechter Landwirt gewesen. Seine Leidenschaft war die Politik; die Hälfte des Jahres verlebte er in der Hauptstadt; auf Uttenhagen schalteten die Inspektoren mit freier Hand. Als Gerda heranwuchs, wurde freilich manches anders. Der Vater pflegte sie seine »Ratte« zu nennen, weil sie so spitze weiße Zähne und so schwarzes seidiges Haar hatte; der Oberinspektor aber nannte sie das Mannweib. Denn wie ein Mann griff sie in die Zügel der Verwaltung ein und wie ein Mann regierte sie, kümmerte sich um alles, und einmal, als der Blitz in eine Scheune geschlagen, sah man sie mit gerafftem Rock und hohen Stiefeln, in einer Lodenjoppe und einer alten Jagdmütze des Grafen mitten im strömenden Regen auf dem Hofe stehen, befehlend und anordnend. Ein energisches Frauenzimmer, mit starkem Geist und starken Nerven.
Verehrer hatte sie nicht viel, denn man wußte, daß sie die Erbschaft ihrer Mutter für den Bruder geopfert hatte. Auch war sie keine Alltagsschönheit, war zu groß, zu herb und zu streng für die meisten. Nur Hans Volcker fand in dem Außergewöhnlichen ihrer Erscheinung große Reize. Er war einigemal in Uttenhagen gewesen, um den Grafen Dassel politisch für sein neues Zeitungsunternehmen zu interessieren, und hatte die Komtesse dort kennen gelernt. Sie machte schon beim ersten Sehen Eindruck auf ihn. Sie war wirklich kein Mannweib, wie der Oberinspektor meinte, trotz ihrer Willenskraft und der starken Hand, die auch ein wildes Pferd zu zähmen verstand. Sie konnte ganz Mädchen sein, weich und lieb und herzenswarm. Es war rührend, mit welcher großen Zärtlichkeit sie den Vater umbettete und wie sie von ihm, der nur für die Politik Sinn zu haben schien, die Alltagssorgen fernhielt …
Hans bedauerte, daß er sich ihr heute nicht länger widmen konnte. Aber es war unmöglich: die Geschäfte gingen vor.
Im Konferenzzimmer, einem saalartigen Raum, dessen Mitte ein großer, grün bedeckter Tisch mit schweren geschnitzten Füßen einnahm, hatten sich die Herren vom Aufsichtsrat der Gesellschaft »Deutsches Morgenblatt« bereits versammelt. Sie standen noch in Gruppen umher, schwatzend und lachend, sprachen von den Geschehnissen des Tages, vom Hofe, von der Frühjahrsparade, den Ernteaussichten, den letzten Theaterpremièren, dem neuesten Klatsch. Aber als, fast gleichzeitig, von der einen Seite Hans mit dem Grafen Dassel, von der andern Bertram Volcker eintraten, wurde es stiller.
Hans kannte alle, Bertram die meisten: außer Dassel den Kammerherrn Grafen Breesen, der überall mit dabei sein mußte und den man nur selten ohne seine riesige, schwarz lackierte Aktenmappe sah – den Freiherrn von Hunding, den politischen commis voyageur Doktor Sensenschmidt, den vielgenannten Bimetallisten Doktor Bruno Pfeil, den Afrikaforscher Doktor Huhnholtz, den Bankier Nathansohn und den heute zum erstenmal einer Sitzung beiwohnenden Prinzen Inningen, der jüngst in das Herrenhaus berufen worden war und nun ernstlich daran dachte, sich die politischen Sporen zu verdienen.
Während Hans mit großer Gewandtheit die Honneurs machte, fühlte sich Bertram sichtlich geniert. Er verbeugte sich eckig vor diesem und jenem, wurde rot, als Prinz Inningen ihm die Hand reichte, und war froh, als man sich endlich um den Tisch gruppiert hatte und Hans mit seinem Vorbericht begann.
Der Plan, in der Hauptstadt eine neue Zeitung großen Stils ins Leben zu rufen, war schon vor Jahren gefaßt worden. Der leitende Staatsmann selbst hatte dazu die Anregung gegeben und Baron Hunding, den treusten seiner Getreuen, beauftragt, die Fühler auszustrecken und nachzuforschen, ob sich die Angelegenheit nicht in Gang bringen ließe. Herr von Hunding, ein reicher ostpreußischer Grundbesitzer mit politischen Neigungen, hatte nichts Eiligeres zu thun, als sich an den Mann für alles, den Grafen Breesen, zu wenden, der ohne weiteres mit Feuer und Flamme bei der Sache war. Das war er nämlich immer. Ob es sich um einen Kirchenbau, ein Denkmal, eine Wohlthätigkeitsvorstellung, eine neue Kolonie in Afrika, um die Bekämpfung des Koloradokäfers oder ein Asyl für besserungsfähige Trunkenbolde handelte: man klopfte niemals vergeblich bei ihm an. Es war eine Leidenschaft für ihn, sich um die Interessen andrer zu kümmern. Auch er war ein reicher Mann, schon ein hoher Fünfziger, aber immer sehr lebhaft und von jugendlichem Eifer, eine ruhelose Natur. Er reiste viel in der Welt umher, erschien ganz plötzlich einmal auf seinen Gütern, karriolte Felder und Wälder ab, schimpfte, fluchte und wetterte, brachte alles in Aufregung und dampfte dann wieder davon. Den Winter verlebte er meist in Berlin, wo er bei Hofe und in der Gesellschaft zuzeiten gerne gesehen wurde. Doch nur zuzeiten; bei längerem Verkehr fiel er auf die Nerven; mit seiner fürchterlichen Suada konnte er den seelenruhigsten Menschen binnen kurzer Zeit wirblig machen.
Für das neue Zeitungsprojekt war er jedenfalls der geeignetste Vermittler. Graf Dassel als Kollege im Herren- und Abgeordnetenhaus hatte ihn auf die Firma E. M. Volcker in Leipzig aufmerksam gemacht, von der es damals schon hieß, daß sie ihre Uebersiedlung nach Berlin vorbereite. Bei Hans Volcker fand der Kammerherr eifriges Entgegenkommen, und mit dessen Hilfe wurde schließlich auch der Widerstand des vorsichtigen Bertram besiegt. Der Grund war also gelegt. Breesen nahm wieder seine Aktenmappe unter den Arm und raste weiter, um die nötigen Kapitalien zusammenzubringen. Die Firma Volcker, die den Verlag übernehmen wollte, hatte fünfmalhunderttausend Mark gezeichnet; man bedurfte indessen dreier Millionen, um das Unternehmen über die ersten kritischen Jahre hinaus durchführen zu können. Drei Millionen – eine Kleinigkeit für den Grafen Breesen! Er überfiel zunächst seine wohlhabenden Parteigenossen: den Bimetallisten Doktor Pfeil, der nebenbei ein Prophet des Vegetarismus war, aber dafür Rieseneinkünfte aus seinen Spritfabriken bei Nordhausen bezog, und den Doktor Huhnholtz, den größten Gigerl des Kontinents und zugleich den rücksichtslosesten Eroberer des schwarzen Erdteils, eine Konquistadorennatur, die nicht im Handumdrehen zu durchschauen war. Dann kam der Adel an die Reihe und dann die Finanzwelt. Das kleine Coupé Breesens hielt vor allen Thüren. Man kannte den Kammerherrn; wo es anging, ließ man sich verleugnen; wen Breesen aber erwischte, der kam auch nicht mehr los. Wenn er eine Viertelstunde gesprochen hatte, begann man unbedingt nervös zu werden; nach einer halben Stunde waren die meisten so gebrochen an Leib und Seele, daß sie lieber bewilligten, was verlangt wurde, als noch länger den schrecklichen Schwätzer anzuhören. Natürlich hatte der Graf stets eine Sammlung besonders schön geschliffener Pfeile in dem Köcher seiner Versprechungen: die Aussicht auf Titel, Orden und Auszeichnungen, auf sehr gewichtige Verbindungen und eine glänzende Verzinsung der eingeschossenen Kapitalien. Jedenfalls währte es nicht lange, und er hatte die Zeichnungsscheine über die drei Millionen in der Tasche …
Das Geld war da, so rapportierte Hans Volcker. Dann nahm Bertram das Wort, um das Budget für das erste Jahr zu entwerfen. Papier- und Druckkosten, die Gehälter für die Redaktion und die Administration, die Honorare für die fest angestellten Korrespondenten und die sonstigen Mitarbeiter, der Inseratentarif – alles das wurde in den Einzelheiten erwogen und besprochen. Bertram ging, in dem Bestreben, dem Aufsichtsrat völlige Klarheit zu schaffen, auf jede Kleinigkeit näher ein, zumal da er sah, daß die meisten der Anwesenden von dem ungeheuren Apparat, den eine große Tageszeitung erfordert, gar keine Ahnung hatten. Prinz Inningen gefielen die Papierproben nicht; er wollte alles, »eleganter, eleganter, eleganter« haben und war erstaunt, als Bertram ihm vorrechnete, daß ein, nur um eine Nummer besseres Papier das Jahresbudget des Blattes um zweimalhunderttausend Mark erhöhen würde. Währenddessen wühlte Graf Breesen mit seinen ewig fieberheißen Händen in den Abzügen umher, welche die Satz- und Druckproben enthielten, und zerstreute sie über den ganzen Tisch. Der Bankier Nathansohn wollte für den Kursbericht eine größere Schriftgattung haben und fragte: ob denn nun der von ihm empfohlene Mann als Redakteur des Börsenteils angestellt werde oder nicht? Das wurde verneint; man habe sich bereits anderweitig gebunden. Hans wie Bertram waren im geheimen darüber schlüssig geworden, den Bankiers keinerlei Einfluß auf den Börsenteil, des Blattes einzuräumen. Nathansohn schwieg verletzt, stand auf, zog Doktor Pfeil in eine Ecke und wisperte und flüsterte mit lebhafter Gestikulation in ihn hinein. Seine großen Hände fuchtelten durch die Luft. Er war außer sich. »Warum stößt man mich vor den Kopf? Ich frage Sie, Doktor, warum? Ist mein Mann nichts wert? Es ist ein Ehrenmann, sag' ich Ihnen, und hat einen weiten Blick. Aber die Volckers – ich sage Ihnen, die Volckers sind Antisemiten. Graf Breesen sagt nein – ich sage ja; ich sag's …«
Fragen politischer Natur wurden am Tische aufgeworfen. Der in Aussicht genommene Chefredakteur war nicht allen gleich recht. Doktor Sensenschmidt, ein politisches Reptil, das nicht umgangen werden konnte, behauptete, daß Doktor Rempler in seiner früheren Stellung speziell in Fragen der inneren Politik zuweilen ziemlich »wolkige Begriffe« entwickelt habe; man müsse dem Mann sehr auf die Finger sehen. »Sehr, meine Herren,« wiederholte er und erhob sich dabei, den Anwesenden die pralle weiße Brustseite im Westenausschnitt zeigend; »ich kenne Rempler – kein übler Journalist, aber etwas Windfahne, mit Neigung nach links – jawohl, mit Neigung nach links, meine Herren …« Die Brüder Volcker widersprachen; die Parlamentarier im Aufsichtsrat wurden lebhaft. Graf Dassel forderte die Gründung eines Redaktionskomitees, das die politische Haltung des Blattes zu kontrollieren habe.
Aber jetzt erhob sich Bertram und bat um das Wort. Er hatte seine Scheu verloren, senkte jedoch, während er sprach, die Augen.
»Meine Herren, so geht das nicht,« sagte er. »Die Grundzüge, in denen die Politik des Morgenblattes gehalten werden soll, sind festgelegt worden und haben Ihre Billigung erfahren. Die journalistische Vergangenheit Doktor Remplers und die Lauterkeit seines Charakters bürgen uns dafür, daß er die großen Ziele, die wir uns gesteckt haben, nicht aus dem Auge verlieren wird. Wir können unmöglich jede Zeile, die er zum Druck gibt, einer besonderen Kontrolle unterwerfen. Das würde sich nicht mit seiner Würde, auch nicht mit der des Blattes vertragen. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eins bemerken. Die Zeitung soll allerdings den Interessen der Partei dienen, die hinter ihr steht. Ich kann mir aber sehr wohl Fälle denken, in denen sie auch einmal in Gegensatz zu den Wünschen der Parteileitung treten wird. Deshalb halte ich jedweden Einfluß einzelner Persönlichkeiten auf das Blatt für unzweckmäßig und bin auch gegen die vorgeschlagene Redaktionsüberwachung. Es scheint mir dringend nötig, daß Sie uns in erster Linie Ihr Vertrauen schenken …«
Nun erhob sich ein leichter Tumult. Doktor Sensenschmidt folgte, mit den breiten Schultern zuckend, Nathansohn in eine Fensternische. Er war wütend darüber, daß man nicht einmal die Aufforderung hatte an ihn ergehen lassen, Chefredakteur zu werden. Stand er nicht seit zwanzig Jahren inmitten der Partei? Was wußten denn die Volckers von der Politik? Hatten sich den Rempler von der »Allgemeinen Korrespondenz« herübergeholt! Diesen öden Leitartikler, der mit seinem anmaßenden Wesen im Preßbureau der Regierung schon zu öfterem Anstoß erregt hatte. Es war zum Lachen. Nathansohn lachte höhnisch mit. Der Börsenteil konnte auch gut werden – hahaha …
Die feine scharfe Stimme des Barons Hunding übertönte das Sprechen der andern. Einen gewissen Einfluß auf die politische Haltung des Blattes müsse man sich unbedingt vorbehalten. »Unbedingt,« meinte auch Prinz Inningen, der gewöhnlich die letzten Worte des Vorredners zu wiederholen pflegte. Die Grafen Dassel und Breesen, Doktor Pfeil und die andern Parlamentarier waren derselben Ansicht. Die Zeitung solle das Echo der Partei sein. Und die Parteileitung gebe den Ton an. Und hier stehe die Parteileitung. Kein gouvernementales Organ – ein Parteiblatt. »Ein Parteiblatt,« wiederholte Prinz Inningen mit Ueberzeugung …
Hans Volcker erwies sich als nachgiebig. Das sogenannte Redaktionskomitee wurde bewilligt und Graf Dassel, Baron Hunding und Doktor Pfeil in dieses gewählt. Sensenschmidt knirschte mit den Zähnen; das weltberühmte Reptil in dem prall gestärkten Vorhemdchen und dem wunderschönen Anzug von Stolz in London war abermals übergangen worden. Die Bearbeitung des kolonialen Teils erbat sich Doktor Huhnholtz, der mit einer stattlichen Summe an dem Unternehmen partizipierte. Er wisse freilich nicht, fügte er hinzu, wie lange er noch im Inland bleiben werde; es lüste ihn wieder nach dem Wüstenwinde.
Plötzlich fragte einer, wie das Feuilleton beschaffen sein solle. Auf »anständige« Romane müsse man Wert legen. »Ja, auf anständige,« betonte auch Prinz Inningen. Hans erklärte, man hätte das Romanfeuilleton mit einem glänzenden Namen eröffnen wollen. »Ich war selber bei Spielhagen,« fuhr er fort, »der einen Roman beendet hat. Aber Spielhagen fordert zwanzigtausend Mark Honorar.«
Alle waren verblüfft. Graf Breesen sagte, dies sei eine effektive Gemeinheit. Prinz Inningen wollte wissen, ob man denn die Romanschreiber immer so hoch besolde; das sei ja ganz schrecklich. Doktor Huhnholtz lächelte und erzählte, sein letztes Werk über Ostafrika habe ihm noch mehr gebracht; als Schriftsteller müsse man auch zu handeln verstehen. Das begriff aber nur der Bankier Nathansohn; die meisten übrigen schüttelten verstimmt die Köpfe, und Herr von Hunding meinte, er hätte von einem deutschen Dichter doch Idealeres erwartet. Uebrigens war man allgemein gegen Spielhagen, dessen tendenziöse Feder man mißbilligte. Auch müsse der Roman so sein, daß ihn jede Frau und jedes Mädchen unbedenklich lesen könne.
»Ja – unbedenklich!« rief der Prinz. »Jedes Mädchen und jede Frau! Unbedenklich! …«
Die Rede kam im allgemeinen auf die Haltung des neuen Blattes. Man wünschte in allen Teilen die gleiche Vornehmheit bewahrt zu wissen. Die lokale Chronik und das Forensische dürften nichts enthalten, was in der Familie Anstoß erregen könne; es sei abscheulich, mit welchem Eifer die Zeitungen gräßliche Verbrechen und häßliche Gerichtsverhandlungen aufzubauschen pflegten … Bertram erklärte, daß er Sensationshascherei nicht dulden würde; die objektive Berichterstattung ließe sich aber schwer beschränken; ein trübes Sittenbild könne unmöglich mit heiteren Farben geschmückt werden; derartiges völlig aus dem Blatt verbannen zu wollen, hieße das Wesen der Publizistik verkennen. »Das Morgenblatt soll ja doch kein Organ für junge Mädchen und die edle Weiblichkeit sein,« fuhr er, erregter werdend, fort, »sondern in erster Linie ein Journal für ernste und erwachsene Männer! Wenn Sie wünschen, daß wir alles das fortlassen, was dem Empfinden eines Backfisches widerstreben könnte, so müßten wir eben darauf Verzicht leisten, eine Chronik der Zeit, ein Spiegelbild des Lebens zu sein. Unter solchen Verhältnissen, mit solchen Schranken aber läßt sich keine große Zeitung schaffen! Ich bitte Sie, meine Herren, stellen Sie sich auf eine höhere Warte, sonst können wir uns mit unserm Unternehmen von vornherein begraben lassen! …«
Hans schaute erstaunt auf seinen Bruder. Er gab ihm recht, aber sein Ton gefiel ihm nicht; man konnte das alles viel diplomatischer sagen. Bertram war unvorsichtig und ungeschickt … Doktor Sensenschmidt griff die Phrase von der »höheren Warte« auf. Er legte die rechte Hand auf das blendende Vorhemdchen, stellte sich in Positur und hielt eine längere, sehr schöne Rede. Die höhere Warte solle die Zeitung sein. Sicher könne man auch das Häßliche und Widerwärtige in den Kreis der Betrachtung ziehen, müsse es sogar, um der Wahrheit die Ehre zu geben, aber alles unter den Gesichtspunkten idealer Zwecke und Ziele und veredelt durch den Hauch – »ich möchte sagen durch den Ozon feinster Bildung« … Er sprach ununterbrochen weiter, während man ihm von allen Seiten Beifall zollte, reckte sich immer höher und gefiel sich sichtlich in seiner schönen Männlichkeit und mit dem sonoren Klang seines Organs …
Bertram war still geworden. Er hatte sich wieder gesetzt und blätterte in seinen Papieren. Gerade dieser Doktor Sensenschmidt war ihm von Grund aus zuwider: ein Reisender in Politik, wie andre in Flanelljacken und Buckskin reisten, ein Nachsprecher fremder Gedanken, ein Mensch ohne Rückgrat und eigenes Urteil, der sich gegen klingenden Sold für die Ansichten andrer begeisterte. Aehnlich wie Bertram schien übrigens auch Graf Dassel zu empfinden, denn er rückte unmutig auf seinem Stuhl hin und her und ließ seinen graugrünen Knebelbart mit nervöser Bewegung durch die Finger gleiten. Und kaum hatte Sensenschmidt mit einer letzten tönenden Phrase geendet, so bat Graf Dassel um das Wort.
»Meine Herren,« sagte er, »auf diese Weise kommen wir nicht weiter. Im Grunde genommen sind das doch alles nur Erörterungen ziemlich unfruchtbarer Natur, theoretische Auseinandersetzungen, Schüsse ins Blaue. In der Praxis wird sich und muß sich auch alles anders gestalten. Eine Zeitung ist kein Familienblatt – kann es nicht sein, denn sonst würde sie am innersten Wesen ihrer Natur, die Strömungen der Zeit gleichwie in einem riesigen Spiegel zu sammeln und zu reflektieren, Einbuße erleiden. Ich kann Herrn Bertram Volcker nur recht geben: das Blatt soll von großen und vornehmen Gesichtspunkten aus redigiert werden; sie würden indessen zu lächerlicher Kleinlichkeit zusammenschrumpfen, wollten wir in jeder Zeile Rücksicht auf Boudoir, Kinderstube und Pensionat obwalten lassen. Daß die richtige Mitte und der rechte Ton getroffen werde, daß die Anständigkeit der Gesinnung ohne Heuchelei und Prüderie zum Ausdruck komme, ist Sache der Redaktion –«
»Und des überwachenden Komitees, lieber Herr Graf,« fiel Breesen ein.
»Dies Komitee, lieber Herr Graf, hat sich nach meinem Ermessen nur um die Politik zu kümmern, um nichts weiter. Wenn wir den Leitern des Blattes Bleigewichte an die Federn hängen wollen, kann die Zeitung sich niemals eine Machtstellung erobern. Und das wollen wir doch. Wir wollen, daß sie eine Macht werde, herrschend und befehlend und auch anfeuernd und bekehrend. Eine Macht, wie sie bereits die gegnerische Presse geworden ist, der wir ein Paroli bieten und die wir aus dem Felde schlagen möchten. Das kann man aber nur mit starken Waffen und mit scharf geschliffenen. Rostfrei sollen sie sein und fleckenlos und ehrlich, doch scharf, meine Herren – ich wiederhole es! Stumpfen wir sie nicht vorzeitig ab – geben wir unsern Strategen, unsern Redakteuren, soweit das Parteiinteresse es zuläßt, plein pouvoir! Ich halte es nicht für gut, daß wir uns um Interna bekümmern, von denen wir als Außenstehende – seien wir doch offen – im allgemeinen herzlich wenig verstehen …«
Doktor Sensenschmidt zuckte mit den Schultern und flüsterte dem Doktor Pfeil eine boshafte Bemerkung zu. Auf die meisten andern aber blieben die Worte des Grafen Dassel nicht ohne Wirkung. »Wenig verstehen,« sagte Prinz Inningen, »ganz richtig! …« Herr von Hunding schlug vor, abzuwarten. Man wolle die Entwickelung des Blattes durchaus nicht hemmen; auf diese und jene Einzelheit könne man später immer noch zurückkommen. Aber etwas Näheres über die Einteilung des Blattes wünschte er doch zu erfahren.
Hans Volcker stand ihm bereitwillig Rede. Er legte den Herren ein vorgedrucktes Schema vor. Genau so sollte die Zeitung ausschauen: mittelgroßes Format, zwei bis drei Bogen stark, je nach dem Eingang der Inserate, für die man bereits die Reklametrommel zu rühren begonnen hatte. Der textliche Inhalt werde die folgenden Abteilungen umfassen: den Leitartikel, die innere Politik in kurzen Entrefilets, die äußere Politik in den Berichten der Korrespondenten mit redaktionellen Glossen; die Parlamentsstenogramme und parlamentarischen Nachrichten; dann die Lokalchronik mit der Gerichtshalle, das Vermischte aus dem Reiche und dem Auslande, Militär und Marine, Turf und Sport, eine kritische Revue der Presse, endlich die Börse.
»Die Börse!« wiederholte Herr Nathansohn und seufzte. Doktor Huhnholtz aber fuhr heftig empor und rief: »Nun, und das Koloniale, Herr Volcker?! Wo bleibt das Koloniale?!«
»Das gehört mit zur Politik, Herr Doktor,« erwiderte Hans ruhig. »Ich kann den Inhalt jeder Nummer natürlich nur in großen Zügen skizzieren. Zuweilen werden Verschiebungen eintreten; dieser und jener Teil wird fortfallen; man wird bei passender Gelegenheit selbständige Artikel einstellen – auch über koloniale Fragen, Herr Doktor Huhnholtz, wenn es der Tag gerade so mit sich bringt. Bleibt noch das Feuilleton mit dem Roman –«
»Dieser Spielhagen!« warf Graf Breesen grimmig ein. »Zwanzigtausend Mark sagten Sie, Herr Volcker?«
»Wir haben einen andern, auch recht guten Roman zu billigerem Honorar erworben, Herr Graf. Daneben treten als ständige Rubriken Theater, Kunst, Wissenschaft und Litteratur.«
»Wieviel Redakteure haben Sie angestellt, wenn ich fragen darf?«
»Elf im ganzen, Herr Graf –«
»Sackerlot, das ist viel. Was so eine Zeitung kostet!«
» Dieu, wir haben ja drei Millionen!« rief Prinz Inningen.
Bertram warf einen ernsten Blick auf den Sprechenden und zog aus seinen Papieren einen mit zahlreichen Ziffernreihen bedeckten Bogen hervor.
»Das klingt viel, Durchlaucht,« entgegnete er. »Aber ich glaube, Sie ahnen kaum, was ein derartiges Unternehmen verschlingt. Ich will Ihnen nur wenige Zahlen anführen. Die elf Redakteure beziehen zusammen ein Jahresgehalt von siebenundvierzigtausend Mark; unsre Korrespondenten in Wien, Paris, Petersburg und London je sechstausend Mark; die in Madrid, Konstantinopel, Bukarest, Washington je dreitausend Mark; die Reporter und Rechercheure, notabene nur die fest angestellten, erhalten gegen zehntausend Mark; die parlamentarischen Berichterstatter –«
»Hören Sie auf!« rief Herr von Hunding lachend; »Donnerwetter, sind das Summen! Ich habe mir die Geschichte doch ungleich billiger gedacht.«
»Enorm,« meinte der Prinz, »ganz enorm.«
»Und dabei,« fuhr Bertram fort, »habe ich Ihnen nur einige der geringfügigeren Summen genannt. Vergessen Sie nicht, wie kostspielig der ganze Verwaltungsapparat, die Reklamen, das Papier und der Satz sind. Auf der andern Seite stehen uns freilich dafür auch erhebliche Einnahmen in Aussicht – falls nämlich die Zeitung einschlägt und die Inserenten kommen, was ich mit Ihnen hoffen will …«
Die lebhafte Stimmung in der kleinen Gesellschaft war plötzlich verflogen. Man widersprach nicht mehr so eifrig wie vordem, sondern hörte Bertram und Hans ruhig an. Nathansohn hatte sich in eine Ecke gesetzt, die Hände über den rundlichen Leib gefaltet und gähnte. Das alles interessierte ihn gar nicht. Ihn interessierte lediglich der Börsenteil, und da schien man ihn kalt stellen zu wollen. Er ärgerte sich nicht mehr. Schließlich würde man ihm doch kommen. Man bedurfte seiner Informationen – und auch seines Geldes. Eine Zeitung ist wie ein Raubtier; sie frißt den Mammon. Wenn die drei Millionen à fond perdu geschrieben wurden, konnte aus der Sache vielleicht etwas werden; da konnte sich der neue Einschuß mit – o ja, mit dreißig Prozent verzinsen. Nathansohn hatte Aehnliches schon erlebt. Aber er schwor sich zu, keinen Pfennig weiter zu opfern, wenn man ihn mit seinen Interessen fortgesetzt beiseite zu schieben willens war. Eine Gefälligkeit ist der andern wert …
Das Gähnen Nathansohns wirkte ansteckend. Baron Hunding zog die Uhr und meinte, es sei Frühstückszeit. Graf Breesen wollte um ein Uhr einer Komiteesitzung beiwohnen, die über die Begründung eines Kinderhospitals an der See zu wichtigen Entschlüssen kommen sollte. Noch ein paar andre hatten es eilig. Und plötzlich wurden alle sehr liebenswürdig gegen Bertram und äußerten, das Zeitungsunternehmen läge bei ihm ja in bester Hand. Selbst Doktor Sensenschmidt, der sich nach seinem Stammtisch sehnte, äußerte, es könne eine »große Sache« werden.
Einer nach dem andern empfahl sich. Schließlich blieb Graf Dassel allein zurück. Er hatte sich »zum Abschiede« eine Cigarre ausgebeten und steckte sich die Upmann, die Hans ihm reichte, mit behaglichem Wohlgefallen an.
»So etwas gönne ich mir nun nicht,« sagte er lächelnd, »oder doch nur zuweilen. Die Cigarre ist gut. Sie verkörpert gewissermaßen die solide Opulenz Ihres Hauses. O meine Herren, ich wünsche von Herzen, daß auch das ›Morgenblatt‹ zum Glanze Ihrer Firma beitragen möge! Wissen Sie, was ich bedauere? Ich bedaure, daß Sie die ganze Geschichte nicht aus eignen Mitteln ins Leben rufen. Dann könnten Sie den ewig dazwischen schwatzenden Aufsichtsrat entbehren.«
»Mir aus der Seele gesprochen, Herr Graf,« entgegnete Bertram. »Den Aufsichtsrat habe ich auch am meisten gefürchtet; wir hätten ihm von vornherein die Befugnis, sich um die innere Ausgestaltung des Blattes zu kümmern, beschränken sollen. Sie haben ja selber gehört, wie naiv die Herren urteilen, wie wenig sie von der technischen Seite des Unternehmens verstehen! Ich habe die größte Sorge, daß uns mit dem sogenannten Ueberwachungskomitee auch noch mancherlei schwere Kämpfe drohen werden.«
»Da bin ich ja mit dabei, lieber Herr Volcker,« sagte der Graf, »und ich werde schon dafür einzutreten wissen, daß man Ihnen nicht unnötig die Hände bindet. Im übrigen rate ich Ihnen, die Herren reden zu lassen, so viel sie wollen, und trotzdem ruhig Ihre eigenen Wege zu gehen. Und nun will ich mir meine Tochter holen, die mich sicher schon mit Sehnsucht erwartet –«
»Ich begleite Sie, Herr Graf,« wandte Hans ein, während sich Dassel mit herzlichem Händedruck von Bertram verabschiedete …
Gerda saß noch immer am Fenster und hatte das Buch im Schoße.
»Es hat etwas lange gedauert, Rattchen,« sagte der alte Herr beim Eintreten, »aber gut Ding will Weile haben –«
»Außerdem bin ich überzeugt,« fügte Hans hinzu, »daß gnädigste Komtesse sich bei den Eingeborenen Borneos außerordentlich amüsiert haben werden –«
»Doch nicht, Herr Volcker,« entgegnete Gerda; »ich bin in Berlin geblieben. Ich habe dem Leben auf der Straße zugeschaut und die hochbepackten Wagen gezählt, die in den Thorweg Ihres Hauses fuhren. Was sind das für Rollen, die auf den Wagen liegen?«
»Papier, Komtesse – nichts als Papier.«
Gerda schlug die Hände zusammen.
»Ist es zu glauben! Und alle diese ungeheuren Massen werden bedruckt?«
»Jawohl, Komtesse, und fliegen hinaus in die Welt und sollen der Menschheit Wissen bringen. Das Papierlager muß frisch gefüllt werden, da wir eine neue Auflage unsers Konversationslexikons vorbereiten …«
Gerda blieb noch eine kleine Minute am Fenster stehen; dann wandte sie sich langsam um.
»Sie sind zu beneiden, Herr Volcker. Früher, vor einigen hundert Jahren, hatten wir die Macht: der Adel. Sie lag in unsern Waffen und festen Schlössern. Nun ist die Macht auf Ihrer Seite, und Ihre Stütze ist das Papier. Närrisch, daß das Papier über Stahl und Eisen siegt! Aber ich hab' nichts dagegen … Besuchen Sie uns wieder einmal in Uttenhagen?«
Ein leichtes Rot färbte Wangen und Stirn des Angeredeten.
»Mit tausend Freuden, Komtesse – wenn Ihr Herr Vater –«
»Der Herr Vater schließt sich der Bitte der Tochter an,« fiel Graf Dassel freundlich ein. »Sie sind uns immer willkommen, lieber Herr Volcker. Ich sage also nicht Adieu, sondern auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Herr Graf … gnädigste Komtesse …«
Hans neigte sich tief über die ihm gereichte Hand Gerdas.