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Franz Düren war mit der festen Absicht nach Berlin gekommen, hier sein Glück zu machen. Von diesem Glück hatte er die ganze Nacht hindurch geträumt. Er war erst gestern abend aus Köln eingetroffen, mit leerem Beutel, aber den Kopf voller Pläne. Als er am Morgen erwachte, fand er sich mit dem Haupt am Fußende des Bettes liegen. Er mußte recht unruhig geschlafen haben. Das war freilich nichts Erstaunliches bei ihm. Er rieb sich die Augen und schaute blinzelnd umher. Die Stirn schmerzte ihn ein wenig. Er hatte nach seiner Ankunft ein paar Glas Bier zum Abendbrot getrunken; das war ihm nicht bekommen. Noch ein Viertelstündchen blieb er im Bett, die wachen Augen zur Decke gerichtet, und sammelte seine Gedanken, während das Sonnengold sich in breiter werdenden Strahlen zwischen den Rouleaux hervorstahl und das kleine Hotelzimmer mit freundlichem Schimmer füllte …
Vergangenheit und Zukunftshoffen begegneten sich in dem Gedankengange Dürens. In Köln war er niedergebrochen. Er stammte aus einer alten Buchdruckerfamilie, die stolz auf ihr Signet und ihre Vorfahren war, denn einer dieser Vorfahren sollte schon Gehilfe bei Schöffer in Mainz gewesen sein. So wenigstens hatte der Vater Franzens diesem oftmals erzählt. Als der alte Düren starb, hinterließ er seinem Sohne ein blühendes Geschäft. Aber der lebhafte Geist des Jungen strebte weiter. Die Accidenz- und Buchdruckerei genügten ihm nicht; das war eine Thätigkeit, die ihn langweilte. Er verband ein Verlagsgeschäft mit der Druckerei und begründete eine neue belletristische Wochenschrift, die er zu auffallend billigem Preise in das Volk brachte. Die Masse sollte das Geschäft machen. Das Unternehmen schlug fehl. Nun versuchte es Franz mit dem Verlag von Kolportageromanen besserer Art. Er wollte die Schundliteratur der Groschenhefte durch gediegenere Arbeiten zu Fall bringen, die auch nicht mehr kosten sollten. Und wieder sollte die Masse das Geschäft machen. Doch es zeigte sich, daß das Volk mehr Geschmack für die Räuber- und Mordgeschichten seiner alten Freunde, als für die eleganteren Neulinge Dürens hatte. Diesmal hatte der Krach bedenklichere Folgen als nach dem Zusammenbruch der Wochenschrift. Allerdings konnte mit Mühe und Not der drohende Konkurs vermieden werden. Aber nach dem Arrangement mit seinen Gläubigern verblieb Franz nicht einmal mehr die alte Firma; er war genötigt worden, sie zu verkaufen …
Franz war eben erst achtundzwanzig Jahr geworden, war unverheiratet und ein fröhlicher Rheinländer. Das Scheitern seiner Existenz machte ihm nicht viel Sorge. Er ging in die nächste Kneipe und brütete bei einer Flasche gutem Wein über neuen Plänen. Das Pläneschmieden hatte ihm immer ein großes Vergnügen bereitet. In seinem Kopf brausten und wirbelten die Ideen durcheinander; er hätte die Welt mit allen seinen Projekten erobern mögen. Und dann packte er seine Koffer, steckte seine letzten Banknoten ein und fuhr nach Berlin. Die allerneuste Idee hatte Form und Gestalt angenommen, war fertig, und hier in Berlin sollte sie ausgeführt werden.
Und zwar schleunigst. Franz sprang aus dem Bette, klingelte nach seinem Frühstück und begann sich anzukleiden. Noch in Hemdsärmeln zog er das Rouleau empor und stieß das Fenster auf.
Er wohnte im fünften Stockwerk eines Riesenhotels im Zentrum, und tief unter ihm rauschte und brandete das Leben der Weltstadt. Es war noch in früher Morgenstunde, aber Berlin schon erwacht. Es reckte sich tausendarmig, und sein gewaltiger Atem tönte wie Wogenprall empor zu dem jungen Mann, der mit großen Augen, die Brust geschwellt, hinabschaute in das summende Hin und Her. Tief unten in dem sich ineinander schiebenden Gewirr von Straßen, Plätzen und Gäßchen lebte und regte sich fiebernde Arbeitswut. Das ganze wimmelnde Menschenmeer war nur von dem Gedanken an die Arbeit des Tages erfüllt, der im leisen Tönen der Telegraphendrähte, im Surren des Telephonnetzes, im Rollen der Wagen, dem Geläut der Straßenbahnen, den hundert Geräuschen des großen Verkehrs zu lauten Accorden wurde. Der Geist der Arbeit blickte mit glühenden Augen aus den Essen der Fabriken und stieg in schlanken Rauchwolken aus den Schornsteinen auf, wehte durch die geöffneten Magazine, die weiten Bahnhofshallen, durch die ganze riesige Stadt, die wie ein ungeheures Ameisennest sich vor den Augen Dürens ausbreitete.
Ein frohes »Ah – ah« kam von seinen Lippen. So wollte er es haben, so war es ihm recht. Die Arbeit war ihm Genuß und Freude. Der Tag war ihm zu kurz, alles das in That umzusetzen, was er erreichen und erzwingen wollte. In seiner Rastlosigkeit hätte er gewünscht, nie schlafen zu brauchen, um auch noch die Nacht für die Ausführung seiner Ideen benützen zu können. Das heiße Arbeitsfieber dort unten im Getriebe der Stadt erfüllte ihn mit Jubel und mit neuem Hoffen. Freilich – er hoffte stets; er gehörte zu jenen glücklichen Naturen, die auch in Sturm und Wetter noch immer an ihren Stern glauben …
Beim Frühstück zog er sein Notizbuch hervor und schlug es auf. Wer sollte heute zuerst an die Reihe kommen? »E. M. Volcker« stand oben, am Beginn einer dicht mit feinen und eleganten Schriftzügen in Bleistift bedeckten Seite. Jawohl, die Volckers sollten die ersten sein! Aber vor zehn Uhr konnte Düren nicht zu ihnen gehen. Das schadete nichts; so blieb ihm noch Zeit, ein wenig durch die Straßen zu schlendern – er kannte die Hauptstadt nur von einem einzigen flüchtigen Besuche her.
Er machte sorgfältig Toilette und verließ dann sein Hotel. Es war im März. Auch in die Großstadt zog bereits der Frühling ein. Ein lauer Wind wehte. Auf den Bosketts, die die freien Plätze schmückten, setzten die Knospen an; ein zarter Schimmer umspann die Baumallee Unter den Linden. Düren schritt durch das Brandenburger Thor und warf einen Blick auf den Tiergarten, in dem es auch schon lenzlich zu keimen begann. Die Charlottenburger Chaussee war mit Wagen bedeckt; auch hier derselbe Odemzug schaffender Thätigkeit wie drinnen in der Stadt. Düren machte kehrt, schlenderte die Linden hinab und bog in die von starkem Leben erfüllte Friedrichstraße ein. In einer ihrer Querzeilen gedachte er sein neues Geschäftshaus zu erbauen: ein mächtiges Gebäude, würdig im Stil und praktisch in der Anlage. Dort wollte er auch selber wohnen, um das Ganze zu überwachen. Später, wenn die Sache einschlug, konnte man sich ein komfortableres Heim schaffen – ein hübsches kleines Palais in der Tiergartenstraße oder vielleicht eine Villa im Grunewald … Düren hatte nur ein paar hundert Thaler in der Tasche, den Rest seines Vermögens. Aber daran dachte er nicht. Er wirtschaftete in Gedanken mit vielen Hunderttausenden; auf eine halbe Million mehr oder weniger kam es nicht an. Und er blieb ganz ernst dabei; es schien ihm durchaus nicht drollig, gewaltige Luftschlösser zu bauen, wo er mit beiden Sohlen fest an der Erde haftete …
Gegen zehn Uhr machte er sich auf den Weg zu E. M. Volcker. Das altberühmte Verlagsgeschäft war erst im letzten Herbst von Leipzig nach Berlin übergesiedelt. Düren war erstaunt über den Riesenbau der Firma, der ein großes Quartier in der Krausenstraße einnahm. Die Front war aus Sandstein errichtet; Karyatiden trugen das Portal, über dem in mächtigen Buchstaben der Name des Hauses in den Stein gemeißelt war. Durch die Thoreinfahrt konnte man in den geräumigen Hof schauen. Aber dies war nur der erste Hof; ein zweiter und dritter lagen dahinter. Um diese drei Arbeitshöfe schlossen sich fensterreiche Quergebäude mit den Maschinensälen der Buch-, Stein- und Kupferdruckerei, der kartographischen und chromolithographischen Abteilung, der Stereotypie- und Schriftgießerei, der galvanoplastischen Anstalt, dem Klischee- und Holzstöckenlager und allen den sonstigen Räumen, deren der umfassende Betrieb des Geschäfts bedurfte.
Düren konnte es sich nicht versagen, mit raschen Schritten einen Gang durch die drei Höfe zu machen. Wie winzig erschien ihm die väterliche Druckerei in Köln gegen dieses Riesenhaus! – Im mittlern Hofe stand ein Rollwagen mit Papierballen. Ein paar Arbeiter waren soeben dabei, den Wagen abzuladen. Auf einer schiefen Ebene wurden die mächtigen Ballen in ein Kellergeschoß gerollt: das Papierlager. Düren fragte nach dem und jenem und erhielt bereitwillig Auskunft. Feuersichere Gewölbe unterkellerten die Bauten. Hier lagen die Magazine für die Makulatur und Papierdefekte, die Stereotypplatten, die Originalsteine der Steinschleiferei, für Holz und Kohlen, die Kessel- und Maschinenräume für das ganze System der Transmissionen, die Wasser- und Gasleitungen und die elektrische Beleuchtung. Drüben im Parterregeschoß der Satiniersaal für das Illustrationspapier, daneben der Raum für die Rotationsmaschinen; rechts davon der Trockenraum für die Buchdruckerei und der Büchersaal mit seinen hydraulischen Glättpressen und großen Preßpumpen, alles in so geschicktem Nebeneinander angelegt, daß der Papierbogen in ununterbrochener Reihenfolge aller verschiedener Arbeitsprozesse bis zu dem Rohlager am Ende des Flügels gelangte.
Mit brennendem Interesse schweifte das Auge Dürens umher. In einem der Quergebäude, oberhalb des Geschosses, in dem sich, wie man ihm sagte, die Broschieranstalt, die Buchbinderei und das Bilderlager befanden, standen noch zwei Etagen leer. Hier waren die Fenster weit geöffnet; man konnte in die unbewohnten Zimmer hineinschauen. Ein Lächeln glitt um die Lippen des jungen Mannes. Das traf sich gut. Diese beiden leerstehenden Stockwerke paßten gerade für seine Zwecke. Von ihnen wollte er Besitz ergreifen, bis er sich ein eigenes Haus für sein Unternehmen schaffen konnte …
Er kehrte auf die Straße zurück und trat durch das neben der Thoreinfahrt gelegene Portal in das Vorderhaus, dessen Parterre von der Hauptexpedition, der Auslieferung, der Kasse und den übrigen Comptoirräumen eingenommen wurde. Düren fragte den Portier, ob einer der beiden Chefs des Hauses, Herr Bertram oder Herr Hans Volcker, zu sprechen sei. Der Portier bezweifelte es, denn es stehe eine wichtige Konferenz bevor; er nahm aber die Visitenkarte Dürens und trug sie in das erste Stockwerk, in dem die Privatzimmer der Chefs lagen, kehrte auch nach kurzer Zeit wieder mit der Meldung zurück, Herr Hans Volcker ließe bitten.
Franz wurde in ein großes, halbhoch getäfeltes, mit einfacher Eleganz ausgestattetes Zimmer eingelassen. ›Sehr hübsch,‹ sagte er sich, ›so werde ich mir mein Privatbureau auch einmal einrichten lassen, wenn ich erst so weit bin‹ … Die Wände über der Täfelung waren mit einer braunen Ledertapete bedeckt, deren Renaissancemuster ernst und stilvoll wirkte. Die Bücherschränke, in denen in kostbaren Einbänden die Verlagswerke der Firma standen, waren in Eiche geschnitzt, und eichen war auch der breite Arbeitstisch am Fenster, auf dem eine peinliche Ordnung herrschte. Am Pfeiler zwischen den Fenstern hing das Bild eines alten Herrn im Kostüm des vorigen Jahrhunderts: des Gründers der Firma, des Herrn Emanuel Martin Volcker …
Düren hatte nicht lange zu warten. Die Thür zum Nebenzimmer öffnete sich, und ein junger Herr trat ein, vielleicht in gleichem Alter mit Düren, aber weitaus eleganter in seiner äußern Erscheinung, groß, schlank und blond, hübsch und distinguiert, mehr preußischer Offizier als Kaufmannstypus.
Er hielt die Karte Dürens noch in der Hand und verneigte sich leicht.
»Hans Volcker,« sagte er, sich vorstellend; »womit kann ich dienen?«
Gleichzeitig schob er, ohne sich selbst zu setzen, Franz einen Sessel zu.
Doch auch Franz blieb stehen. Er war, was ihm sonst nicht leicht zu begegnen pflegte, ein klein wenig verwirrt. Das ganze Gehaben des jungen Herrn Volcker schüchterte ihn ein.
»Ich weiß nicht, ob Ihnen mein Name bekannt ist, Herr Volcker,« begann er endlich zögernd.
»Doch,« fiel der andre kopfnickend ein. »Ich kenne Ihre Firma. Eine sehr solide alte Firma … Aber mich deucht … mir ist so … haben Sie nicht in letzter Zeit Unglück gehabt, Herr Düren?«
»Ja, das hatte ich. Ein paar volkstümliche litterarische Unternehmungen, von denen ich mir viel versprach, schlugen fehl. Ich habe mein Vermögen dafür geopfert. Aber ich hoffe es auf anderm Wege wieder einzubringen. Deshalb bin ich nach Berlin gekommen.«
»Sie wollen also in Berlin bleiben?«
»Ja. Ich habe mein Kölner Geschäft verkauft. Ich kann die Idee, die ich plane, nur hier zur Ausführung bringen. Und für diese Idee möchte ich auch Ihr Haus, Herr Volcker, interessieren.«
»Sehr liebenswürdig, Herr Düren, aber … aber wir sind zur Zeit so stark engagiert –«
»Ich glaube, daß Sie trotzdem meinem Projekt näher zu treten wünschen werden, Herr Volcker. Darf ich es Ihnen in Kürze auseinandersetzen?«
Herr Volcker bat darum, aber in einem Tone, der dieser Bitte widersprach. Er wies nochmals auf den Sessel, und Düren setzte sich, während der junge Volcker aufmerksam seine Fingernägel betrachtete.
»Es handelt sich also,« begann Düren von neuem, »um die Begründung einer Zeitung für –«
Weiter kam er nicht. Volcker zuckte empor, schaute Franz groß an und rief: »Aber, verehrtester Herr Düren, wissen Sie denn nicht, daß wir selber ein neues großes Zeitungsunternehmen planen?! Daß alle Vorbereitungen getroffen sind, und wir im Oktober mit unserm ›Deutschen Morgenblatt‹ an die Oeffentlichkeit treten wollen?! …«
Franz war wie aus allen Himmeln gefallen. Das war ihm in der That neu. Er war in der letzten Zeit von seinen eignen Angelegenheiten so in Anspruch genommen worden, daß er sich um nichts andres hatte kümmern können. Er war blaß geworden. Wie, auch die Volckers planten eine neue Zeitung? Das war eine böse Konkurrenz, zumal sie mit riesigen Mitteln arbeiten konnte. Aber freilich – wahrscheinlich würde das Volckersche Blatt ganz andrer Art werden als das, dessen Gründung ihm selbst vorschwebte. Er beschloß, vorsichtig anzupochen. Herrgott, wäre das ärgerlich, wenn sich die Volckers mit einer ähnlichen Idee trügen wie er! –
Er erhob sich.
»Sie sehen, wie verblüfft ich bin, Herr Volcker,« sagte er. »Ich wäre natürlich nicht zu Ihnen gekommen, wenn ich eine Ahnung von Ihrem Vorhaben gehabt hätte … Darf ich fragen, ob es sich bei Ihrem Unternehmen um eine politische Zeitung handelt?«
»Ja natürlich, Herr Düren – um eine politische Zeitung – großen Stils und nationaler Richtung …«
Franz unterdrückte das »Gottseidank«, das ihm auf den Lippen schwebte. Ein Stein fiel ihm von der Brust. Es war also keine Konkurrenz zu befürchten; was ihm vorschwebte, war etwas ganz andres. Trotzdem war er klug genug, seine kummervolle Miene beizubehalten.
»Schade,« meinte er, »sehr schade … aber es hilft nichts … Es bleibt mir nur noch übrig, Sie meiner Störung halber um Verzeihung zu bitten …«
»O – Sie störten durchaus nicht, verehrter Herr Düren. Ich habe die Ehre …«
Volcker begleitete Franz bis zur Thür und empfahl sich mit kühl höflicher Verbeugung. Dann trat er in das Nebenzimmer, das Privatcomptoir seines Bruders.
Bertram stand am Fenster und prüfte eine Reihe von Klischeeabzügen, die der Vorsteher der Bilderabteilung, Herr Steffens, der selbst ein ausgezeichneter Radierer war, ihm aus einer großen Mappe reichte. Steffens, ein Mann in den Vierzigern, von einnehmendem Aeußern und mit intelligentem Gesicht, verneigte sich respektvoll beim Eintritt des jüngern Chefs.
»Morgen, Herr Steffens,« sagte Hans Volcker kopfnickend, »was bringen Sie Gutes?«
»Die Autotypieen für das Langensche Reisewerk, Herr Volcker. Und ich glaube in der That, daß sie uns gut gelungen sind.«
»Wenigstens lassen die Abzüge nichts zu wünschen übrig,« bemerkte Bertram. »Nur hier, bei Nummer vierzehn, könnten die tiefen Schatten etwas aufgelichtet werden. Aber das ist eine Kleinigkeit. Die Bilder sind tadellos. Es ist eine wahre Freude, wie weit wir in der Technik gekommen sind. In Bezug auf die Herstellung großer und dabei doch nicht kostspieliger Illustrationswerke reicht keine andre Firma an uns heran.«
»Uns kann keiner,« fiel Hans lachend ein. Aber Herr Steffens seufzte.
Hans behielt seine Heiterkeit bei. »Das kam aus tiefer Brust, Steffens,« meinte er. »Wem galt der Seufzer? Wetten wir, daß ich es weiß?«
»Ich glaube es auch zu wissen,« setzte Bertram hinzu. »Der neuen Zeitung. Nicht wahr, Steffens?«
Steffens nickte. »Warum soll ich lügen, meine Herren? Ich habe so meine Sorgen. Nicht etwa, weil ich fürchte, das ›Morgenblatt‹ könne keine Zukunft haben. O nein! Es kann ganz brillant gehen und doch ein Stein des Anstoßes für uns werden. Es wird uns auffressen.«
»Uuh – wie kannibalisch!« rief Hans lustig. »Uns auffressen! Mit Haut und Haaren, Steffens, und mit Stumpf und Stiel? Ganz und gar, so daß nichts von uns übrig bleibt?«
Steffens packte seine Mappe wieder zusammen.
»Herr Volcker,« sagte er, »ich weiß, daß Ihr Herz an der Sache hängt. Und mein eigner Herzenswunsch ist es, daß das ›Morgenblatt‹ sich prächtig entwickeln möge. Ich glaub's auch beinahe, denn Sie haben eine glückliche Hand; das hat sich bei dem Werke von Rossipoff gezeigt, von dem wir gar nichts erhofften. Meine Angst ist nur, daß die Zeitung das ganze übrige Verlagsgeschäft ins Hintertreffen schieben wird –«
»Ist Unsinn, Steffens! Zeitung und Verlag bleiben vollständig voneinander getrennt.«
»Die Konten, ja, und das Personal. Aber das Interesse und die Arbeitskraft der Herren Chefs wird sich mehr und mehr dem neuen Unternehmen zuwenden. Das ist ganz verständlich und doch jammerschade. Endlich haben wir es so weit gebracht, daß unser Verlag auch in artistischer Beziehung an der Spitze der deutschen Buchhändlerwelt marschiert. Die graphischen Künste haben bei uns die höchste Ausbildung erreicht; der Chromolithographie und der farbigen Radierung haben wir sozusagen eine neue Epoche eröffnet; unsre Holzschnitte sind mustergültig; selbst in den niedern Techniken haben wir so Meisterhaftes geschaffen, daß man auch hier von Kunst sprechen kann. Schauen Sie sich doch einmal die Zinkos zu dem Langenschen Werke an, Herr Hans! Wer macht uns das nach? – Vorläufig keiner – aber sie wird schon kommen, die Konkurrenz! Und deshalb müssen wir die Augen offen behalten, meine Herren –«
»Woll'n wir ja auch, Steffens!«
»Werden wir's können? Wenn die Zeitung erst –«
Diesmal war es Herr Bertram, der den in Eifer Geratenen unterbrach. Er nahm die Bildermappe, schob sie unter den rechten Arm Steffens' und klopfte ihm dann mit gutmütigem Lächeln auf die Schulter.
»Abwarten, Steffens,« sagte er. »Vorläufig bin ich auch noch da. Und ich garantiere Ihnen, daß diese schreckliche Zeitung uns nicht das Verlagsgeschäft ruinieren soll. Im Gegenteil – in gewisser Weise wird sie dem Verlag dienen. Und damit, denke ich, können wir das Thema fallen lassen.«
»Vergebung, wenn mir wieder einmal die Zunge durchging, Herr Volcker.«
»Hat nichts zu sagen. Ich habe Ihre Galoppsprünge zuweilen ganz gern. Guten Morgen, Steffens …«
Der Vorsteher der Bilderabteilung ging mit ernstem Gesicht.
»Ein Rabe,« sagte Hans, nachdem sich die Thür hinter Steffens geschlossen hatte. »Krächzt gar zu gern.«
»Ein tüchtiger Mann,« entgegnete Bertram, an seiner Brille rückend. »Ich möchte ihn nicht entbehren. Und was sein Krächzen betrifft – ich habe auch gekrächzt, als du mir zuerst mit dem Zeitungseinfall kamst. Ich krächze heute noch.«
Ueber die Stirn des Jüngern flog ein rascher Schatten.
»Liebster Bert, wir wollen nicht wieder auf alte Geschichten zurückkommen. Du hast dich endgültig einverstanden erklärt, und damit basta. Ein Zurück gibt es nicht mehr.«
»Nachdem die Sache so weit gediehen ist, allerdings nicht mehr …« Bertram hatte wieder an seinem Schreibtische Platz genommen. Er war zwölf Jahre älter als Hans, ganz der Gegensatz von dem eleganten Bruder: kaum mittelgroß, der Kopf etwas in den Schultern sitzend, mit einem klugen, aber unschönen Gesicht und eckigen Bewegungen. Seine Augen waren braun und ausdrucksvoll, aber da er kurzsichtig war und stets eine Brille trug, so hatte er sich ein häßliches Blinzeln angewöhnt, das bei Leuten, die ihre Mitmenschen nach dem Aeußern zu beurteilen pflegten, den Eindruck erweckte, er sei scheu und heimtückisch.
Hans hatte seine Uhr gezogen und einen Blick auf das Zifferblatt geworfen.
»Gleich Elf, Bert,« sagte er; »die Herren können jeden Augenblick da sein. Willst du nicht … verzeih mir – aber es scheint mir doch richtiger, wenn du die Herren nicht in deinem Bureaurock empfängst …«
Bertram schaute von seinen Papieren auf und dann mit sarkastischem Lächeln auf das unscheinbare Röckchen, das er trug.
»Ja so,« meinte er. »Selbstverständlich werde ich meine Toilette wechseln. Zwei Grafen und ein Baron – ich weiß schon, was sich schickt … Sage mal, Hans: warum legst du denn zu dieser feierlichen Gelegenheit nicht Uniform an? – Der blaue Koller steht dir ganz besonders gut …«
»Bert, mußt du mich denn immer kränken?! …«
Es lag etwas in dem Ton des Bruders, das die kleine Bosheit Bertrams auf der Stelle entwaffnete. Er streckte Hans beide Hände entgegen.
»Gib mir die Patsche, mein Junge. Es war nicht böse gemeint. Es war nur ein schlechter Witz … du weißt ja, welch ein fürchterlicher Pedant ich bin! Wenn ich nicht in meinem alten Bureaurock stecke, geht mir die Arbeit nicht so recht von der Hand. Aber der andre Rock hängt draußen neben dem Paletot, ein tadelloser Rock, fast neu und sitzt auch ganz gut. Ich werde dir keine Unehre machen … Sag mal, du hattest vorhin Besuch. Eine Geschäftssache?«
»Ein gewisser Düren aus Köln. Wollte der Abwechslung halber auch eine neue Zeitung gründen.«
»Das scheint in der Luft zu liegen. Aber warte mal – Düren – der Name muß mir schon einmal aufgestoßen sein …« Er öffnete ein Schubfach seines Schreibtisches und entnahm ihm ein längliches Notizheft mit alphabetischer Registratur, in dem er den Buchstaben D aufschlug. »Da haben wir's! Jetzt weiß ich Bescheid. Du entsinnst dich, daß wir die Idee hatten, eine Filiale des ›Morgenblatts‹ für Westdeutschland in Köln zu errichten. Als Leiter der Filiale empfahl man mir den jungen Düren. Ich zog deshalb Erkundigungen über ihn ein. Und zwar lauteten diese: ›Als Verleger und Buchdrucker gleich tüchtig, sehr fleißig und gewandt; organisatorisch fast genial veranlagt; ein spekulativer Kopf, aber‹ – es kommen noch verschiedene Aber, die zu berücksichtigen sein würden, doch ist die Auskunft immerhin eine so gute, daß ich sie mir notiert habe, um auf den Mann einmal zurückgreifen zu können.«
»Da thut es mir leid, daß ich ihn ziemlich kühl behandelt habe,« sagte Hans. »Ich konnte ja nicht wissen … Hätt' ich mir wenigstens seine Adresse geben lassen! Ein organisatorisches Genie könnten wir schon brauchen. Ich werde an ihn nach Köln schreiben und der Post die Auffindung seines Aufenthalts überlassen.«
»Thu das, Hans – und nun will ich endlich meine Toilette in Ordnung bringen, damit ich die Herren vom Aufsichtsrat würdig empfangen kann. Ich sehe, daß der Friedrich eine Visitenkarte in der Hand hat – wer ist da, Friedrich?«
»Herr Graf Dassel,« meldete der eingetretene Bureaudiener, indem er Hans zugleich die Karte übergab.
»Dassel, Bert –«
»Weiß schon,« entgegnete dieser, mit Hilfe des Dieners hastig seinen Rock wechselnd; »der alte Herr mit dem graugrünen Knebelbart. Mir der liebste von allen, trotzdem er nichts gezeichnet hat. Führe den Herrn Grafen in das Konferenzzimmer, Friedrich.«
»Schön, Herr Volcker – und das Fräulein? Soll das Fräulein –«
»Welches Fräulein?« – Hans wurde lebhaft. »Ist die Komtesse mit?«
Friedrich nickte. »Jawohl, Herr Volcker, das Fräulein Komtesse ist mit.«
»Esel,« murmelte Hans. Man wußte nicht recht, wem die Schmeichelei gelten sollte. Er stürmte davon und ließ seinen Bruder kopfschüttelnd stehen.