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Clara Schumann

Wie macht einen die Liebe auch so empfänglich für alles Schöne; die Musik ist jetzt ein ganz anderes Ding für mich als ehemals. Wie selig, wie sehnsüchtig stimmt sie, es ist unbeschreiblich«, schreibt Clara Wieck im Jahre 1838 an Robert Schumann. Sie hat damit die beiden Leitsterne ihres Daseins genannt: die Liebe und die Musik. Beide sind in ihr gewachsen, ohne die schöne Form zu zerstören, aber sie erfüllend bis in jede Fiber. Wenn Professor Mensing in Erfurt von der kleinen Virtuosin sagen konnte: »Sie ist dazu bestimmt, das Erhabene in der Kunst selbst zu fördern«, so können wir hinzusetzen: und die Künstler. Nicht nur durch ihre meisterhafte Wiedergabe, mehr noch durch ihre teilnehmende, begeisterungsfähige Persönlichkeit, der es sehr früh gegeben war, Marktware vom Kunstwerk zu unterscheiden, in einer Zeit, in der ein Thalberg, ein Henselt mit ihren klavierequilibristischen Feuerwerken das Konzertpodium wie den Salon beherrschten.

Ich habe aus dem reichen Material, das Berthold Litzmann in seinem ganz ausgezeichneten »Clara Schumann«-Buche gesammelt hat, zwei Briefreihen ausgewählt. Die erstere ist bis auf eine Ausnahme an Robert Schumann vor der Ehe gerichtet. Aus der Tochter des Lehrers – verdankt doch Robert Schumann der Fürsprache des alten Wieck zum großen Teil, daß seine Mutter ihren Widerstand gegen seine Musikcarrière aufgab – wird Clara die kleine Kollegin, dann die Schwärmerin, endlich die bewußt Liebende, die Braut, deren Seelenstärke mit jedem Hindernis wächst. Und der Hindernisse gab es schier unübersteigliche. Friedrich Wieck faßte plötzlich eine unbegreifliche Abneigung gegen den Bewerber, die selbst vor den Schranken des Gerichts nicht halt machte und der die gesetzlich erzwungene Einwilligung, ja die Geburt der ältesten Enkelin nur neue Nahrung gab. Ob sein Vaterherz instinktiv den schrecklichen Krankheitskeim geahnt hat, der schon damals in Robert lag und dem Zwanzigjährigen Wahnängste verursachte? Jedenfalls hat er diesen Grund vor Gericht nicht geltend gemacht; er hat aber auch keine Verleumdung gescheut, um dem endlich vereinigten jungen Paar Steine in den Weg zu schleudern. Hat er nun gefürchtet, sich selbst durch seinen sinnlosen Antagonismus unmöglich zu machen, hat Schumanns Genius ihn wirklich bezwungen: jedenfalls hat er selbst späterhin den ersten Schritt zu einer Wiederversöhnung getan. Um zu begreifen, was die arme Clara bis dahin gelitten hatte, wie sehr mit allem Fühlen ihres Herzens sie an Schumann hängen mußte, um zu handeln, wie sie es tat, muß man sich ihre Stellung zu ihrem Vater klar machen.

Clara wurde am 13. September 1819 in Leipzig geboren. Mit diesem Tage beginnt ihr Vater – der Musikpädagoge und Instrumentenhändler war – ein »Lebensbuch« von ihr, in das sie selbst späterhin alles eintrug, was sie bewegte, was ihre Zeit brachte. Spät zum Sprechen, aber früh zum Hören erwacht, beginnt sie bei Friedrich Wieck in ihrem fünften Jahre eine Art Klavierunterricht nach einem eigens für sie erdachten System, das sie mit Hilfe ihrer Begabung und unter Daransetzung der ganzen Persönlichkeit des Vaters während zehn Jahren zu dem machte, was sie wurde: der ersten Klavierkönnerin ihrer Zeit. Mit elf, zwölf Jahren beginnen, von langen Ruhepausen unterbrochen, die Konzertreisen. Aus dieser Periode datiert die Bekanntschaft mit Schumann. Leise erblüht die Liebe in ihr und kommt ihr zum Bewußtsein, als Schumann sich mit ihrer Freundin und Vertrauten Ernestine von Fricken verlobt. Eine Zeit bitteren Leides folgte, bis Robert aus eigenem Antriebe die Verlobung löste. In seiner Beichte vom 11. Februar 1838, die mit den Worten beginnt: »Lege Deinen Kopf ein wenig auf die rechte Seite, wo Du so lieb aussiehst, und laß Dir manches erzählen«, – und in der er den Beginn seines Lebens erst von dem Augenblick datiert, wo er sich über sein Talent klar geworden, sich für die Kunst entschieden und damit seinen Kräften eine wirkliche Richtung gegeben hatte, streift er zum ersten Male, den »fürchterlichsten Gedanken, den je ein Mensch haben kann, den Verstand zu verlieren«. Diese Angst, die ihn von Ort zu Ort trieb, jagte ihm der Ernestine, »einem Mädchen so gut, wie die Welt je eines getragen, in die Arme«. Trotzdem entspricht es der inneren Wahrheit, wenn er später zu Clara sagen konnte: »Du bist meine älteste Liebe. Ernestine mußte kommen, damit wir vereint wurden.« Ihre künstlerischen Erfolge blieben Clara Wieck auch als Clara Schumann treu. Nicht so immer die materiellen. Es ist verständlich, daß sie fortan die Kompositionen ihres Gatten bevorzugte, in einer Weise, für die die Zeit noch nicht reif war. Das brachte ihr manche Enttäuschung und Schumann manche Bitternis, über die er jedoch mit den prophetischen Worten: »Lass' nur, in zehn Jahren wird das anders sein« mit dem innigen Glauben des Künstlers hinwegkam. In dieser Zeit kristallisierte sich ein Teil des deutschen Musiklebens in Leipzig. Man kann wohl Mendelssohn als den Mittelpunkt des kompositorischen Interesses betrachten. Das Ehepaar liebte ihn als Menschen wie als Künstler innig, während ihr Urteil über Franz Liszt – freilich nur zufolge seiner vielen Exzentrizitäten – außerordentlich schwankend ausfällt. Für das Morgenrot, das mit Richard Wagner heraufdämmerte, hatten beide noch kein Verständnis; er war ihnen auf allen Gebieten gleich unsympathisch. Ganz eigen berührt es, daß Clara zu einer Zeit, da Meyerbeer, den sie rechtschaffen verabscheute, in aller Mund war, Beethoven sozusagen für Europa entdeckte, und erst langsam mit seiner Musik in ihren Konzerten durchdrang. Von den großen Virtuosen, denen sie in ihrem Leben begegnet ist, hat sie Rubinstein, Bülow und Joachim näher gestanden; besonders der letztere hat sich ihr während der Todeskrankheit Roberts und der nachfolgenden schweren Zeit bis zu ihrem Tode als treuer Freund erwiesen.

Da mir aus der Zeit ihrer Ehe seelisch bedeutsame Briefe an ihren Gatten nicht bekannt sind, habe ich mich darauf beschränkt, aus dieser lebensreichsten Periode ihres Daseins nur einen Ausschnitt ihres Tagebuchs zu geben, in dem sich gelegentlich der Schilderung des Ausbruchs von Roberts Geisteskrankheit noch einmal die ganze Innigkeit ihres Gefühls in wenigen Zeilen zusammenzudrängen scheint.

Die zweite Briefreihe ist an Johannes Brahms, den besten Freund, den sie auf dieser Welt hatte, gerichtet. Ein weicher unfertiger Jüngling noch, kam er in das Haus der Schumanns, der ersten Menschen vielleicht, die sein Genie voll erkannten. Was er sowohl dem Kranken in seinem letzten Asyl, wie der vereinsamten, zum Broterwerb gezwungenen Frau war, geht weit über den banalen Begriff Freundschaft hinaus. Es ist schwer zu sagen, wer von beiden mehr gegeben, wer mehr verlangt hat. Brahms war eine spröde, gleichsam in sich selbst gesammelte Natur, Clara von jeher offen und anschmiegend und zur zärtlichen Übertreibung neigend. So konnte es denn nicht ausbleiben, daß es mit der Zeit zu kleinen Enttäuschungen und Reibungen kam, die, rein persönlicher Natur, die künstlerische Wertschätzung der beiden nie berührte. Selbst in den Zeiten größter Verstimmung hat Clara Schumann mit Begeisterung die Brahmsche Musik propagiert, hat sich Brahms als ihr musikalischer Berater gefühlt. So lange die Körperkräfte es ihr erlaubten, ja eigentlich über ihre Kräfte hinaus, hat die alternde Künstlerin das ewig rastlose Leben der Konzertnomadin geführt, um für ihre Kinder und später ihre Enkel des Tages Notdurft herbeizuschaffen. Auf große ergiebige Jahre folgten schmalere. Die Spanne Zeit, während deren sie am Frankfurter Raffkonservatorium, unterstützt durch ihre Töchter, als Lehrerin tätig war, sind noch verhältnismäßig ihre stabilsten zu nennen. Ein kleines Häuschen in Baden-Baden war ihr ein besonders lieber Besitz. Trotz mancherlei Leiden des Gehörs wie der Glieder war ihr ein selten hohes Alter beschieden. Drei ihrer Kinder und viele ihrer Freunde gingen vor ihr dahin. Liszt, Rubinstein, ihre liebste Freundin Lyda Bendemann (Gattin des Malers), die Schröder-Devrient u. A. m. mußte sie betrauern, doch war es ihr vergönnt, ihre beiden besten Freunde Brahms und Joachim bis zum letzten Augenblicke zu behalten. Am 26. März 1896 mahnte ein erster leichter Schlaganfall sie an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Am 7. Mai sandte sie noch Brahms herzliche Worte zu seinem Geburtstag. »Tags darauf«, erzählt Litzmann in seinem großen Werke über Clara (Leipzig, Breitkopf & Härtel), »durfte ihr Enkel Ferdinand ihr wieder vorspielen: aus Schumanns Intermezzi, dann die Fis-dur-Romanze. Schweigend hörte sie zu. Nach jedem Stück fragte er, ob er weiter spielen solle. Sie bejahte durch Nicken. Nach der Romanze sagte sie plötzlich: ›Es ist nun genug!‹ Das war der letzte Klang in ihrem Leben gewesen ...« Am 20. Mai starb sie in ihrem achtzigsten Jahre. Von ihren lieblichen Kompositionen aus der Mädchenzeit wird wenig mehr gespielt. Aus ihrer Ehe sind besonders die Lieder und Romanzen lebendig geblieben. Sie selbst hat früh genug erkannt, daß bei allen weiblichen Kompositionen »das Frauenzimmerliche gar so stark zum Durchbruch kommt« und hat sich damit begnügt, die tönende Glocke für die Harmonien der Größeren zu sein, denen sie dienen durfte.

Portrait

Briefe von Clara Schumann.

An Robert Schumann.

Dresden, am 8. Juni 1834.

Lieber Herr Schumann!

Heute, Sonntag, den 8. Juni, an dem Tage, wo der liebe Gott einen so musikalischen Funken vom Himmel fallen ließ und also Sie geboren wurden, sitze ich hier und schreibe an Sie, obgleich ich heute zweimal weggebeten bin. Das erste was ich schreibe ist, daß ich meine Wünsche anbringe, nämlich, daß Sie nicht immer von allem das Gegentheil thun möchten – weniger bayrisches Bier trinken – nicht sitzen bleiben, wenn andere fortgehen, – aus Tag nicht Nacht machen und umgekehrt, – Ihren Freundinnen beweisen, daß Sie an sie denken, fleißig componieren – mehr in die Zeitung schreiben, weil es die Leser wünschen. Die von Schumann begründete und von ihm redigierte »Neue Zeitschrift für Musik« war am 3. April 1834 ins Leben getreten. Ist das aber erlaubt, Herr Schumann, so wenig Aufmerksamkeit für eine Freundin zu haben und ihr nicht einmal zu schreiben? Jedesmal bei Ankunft der Post hoffte ich ein Briefchen von einem gewissen Herrn Schwärmerer zu bekommen, aber ach! ich war getäuscht. Ich tröstete mich damit, daß Sie doch wenigstens hierher kämen, aber eben schreibt mir der Pater, daß Sie nicht kommen würden, da Knorr Mitarbeiter an der Zeitschrift. krank ist ... An meiner Thüre ist ein Zettel geklebt, worauf steht »feierlichst erwählter Mitarbeiter der neuen musikalischen Zeitung Clarus Wieck«, nächstens kommen 6 Bogen von mir, da giebt es etwas zu bezahlen ... Nun, da darf ich mir doch auch ein originelles, aber nicht originell geschriebenes (d. h.) Briefchen ausbitten, nicht wahr, Herr Schumann? Dieser geistreiche, originelle und witzige Brief empfiehlt Ihnen in aller Langsamkeit (Eiligkeit lieben Sie nicht) Ihre Freundin

Clara Wieck.

»Clara Wieck Doppelgänger«.

Dies bezieht sich auf einen Brief Roberts vom 13. Juli in dem er »den sympathetischen Vorschlag« macht, beide möchten zur gleichen Stunde das gleiche Adagio aus Chopins Variationen spielen und stark aneinander denken. Ihre »Doppelgänger« – angeregt durch E. Th. A. Hoffmanns Erzählung – würden sich dann begegnen.

* * *

Prag, Sonntag den 12. November 1837 abends.

Lieber Robert, Dein Brief hat mir eine unaussprechliche Freude gemacht, ich bekam das Zittern im ganzen Körper vor Freude, als mir ihn Nanny ihre Reisebegleiterin. einhändigte. Doch nun erlaube mir erst ein wenig zu zanken und Dir zu sagen, daß Du ein ungenügsamer Mensch bist. Erst wolltest Du in 8 Wochen einen Brief haben, dann in 4 Wochen, und nun schreibe ich Dir in 3 Wochen, und Du beklagst Dich! – Ich glaub' fast, Du willst mich schon im voraus die Herrschaft des Mannes fühlen lassen – schon gut, ich denk', wir werden uns vertragen. – Aber was schreibst Du da von Hoffnungen sinken? Hast Du den Sinn aus meinen Briefen gezogen? Ach, Robert, das schmerzt! Leb' ich ja doch nur einer Hoffnung, nur ein Gedanke begeistert mich in meinem Thun und Treiben, und Du kannst so etwas sagen? Nein – schreiben? – Laß das nicht weiter gehn! – Und nun, was das verheirathen betrifft, das ist allerdings bedenklich. Wenn nun so ein Diamant käme, der mich so blendete, daß ich Eusebius Florestan Fingierte Personen aus den Davidsbündlern. und wie sie sonst noch heißen, vergäße, und Du läsest am Ende in Zeitungen »Verlobung des Fräulein Clara Wieck' mit dem Herrn von Perlenschnur, oder Diamantenkrone«. – Im Ernst aber, bin ich ein kleines Kind, das sich zu dem Altar führen läßt, wie zur Schule? Nein, Robert! Wenn Du mich Kind nennst, das klingt so lieb, aber, aber, wenn Du mich Kind denkst, dann tret' ich auf und sage: »Du irrst«. Vertraue mir vollkommen. Hab ich Dir nicht einmal geschrieben, »die Not bricht Eisen«; hilft nichts mehr, so suche ich Ruhe in liebenden Armen. Nun noch – was wollt ich doch gleich? Ich meine den Ring. Also Du wolltest ihn mir wiedergeben? Hm, das wäre halt zu schauen, will mal überlegen! – Du lächelst, ich auch. – Eben schaut der Mond herein, »schönen Gruß« –, nun, lieber Robert, nicht wahr, wir lassen es beim Alten, und Du nennst mich fortan Deine treue Clara, nie anders ...

* * *

Freitag, den 17. nachmittags.

... Glaub' nicht, daß es so leicht ist, denn bei unverschlossener Thüre muß ich Dir schreiben, da Vater sehr bös ist, wenn er das Zimmer verschlossen findet, und nun sein Verdacht; denk' Dir, er hat zur Nanny gesagt, »ich weiß schon meinen Pfiff, wie ich erfahre, ob Clara an Schumann geschrieben, lange bleibt es nicht vor mir verborgen ... doch nimm ja alles recht ernst, und dann meine inständigste Bitte, erwähne nichts mehr von Zweifel, das verwundet mich tief! Habe ich doch das Bewußtsein der schönsten und standhaftesten Liebe. Baue so fest auf mich, nun wie ich auf Dich – dann ist uns kein Hindernis zu groß, wir bieten Allem Trotz, wenn nicht höhere Mächte sich zwischen uns stellen.

* * *

Wien, den 15. Dezember 1837.

... Doch schmerzlich ist es mir, wenn Du auf Vater einen Stein werfen willst, weil er für seine vielen, mir gewidmeten Stunden nur einen kleinen Lohn verlangt. Er will mich glücklich wissen, meint das durch Reichtum zu erreichen, kannst Du ihm zürnen? Er liebt mich ja über alles und würde mich, sein Kind, nie verstoßen, wenn er säh', daß nur Dein Besitz mein Glück begründen könne, also verzeih ihm aus Liebe zu mir seine natürliche Eitelkeit. Denke, daß er nur aus Liebe zu mir, so an Dir gehandelt. Du liebst mich ja auch und beglückst mich, wenn Du ihm vergiebst, von Dir möcht ich ihn nicht verkannt wissen – jeder Mensch hat seine Fehler, ich und auch Du, wenn Du es mir nicht übel nimmst! ...

* * *

den 21sten.

Heute war mein zweites Conzert und abermals ein Triumpf, unter vielem fand mein Conzert die beste Aufnahme. Du fragst, ob ich es aus eignem Antrieb spiele? Allerdings! Ich spiele, weil es überall so sehr gefallen, und Kenner, wie Nichtkenner befriedigt hat. Jedoch, ob es mich befriedigt, das ist noch sehr die Frage. Meinst Du, ich bin so schwach, daß ich nicht genau wüßte, was die Fehler des Conzertes? Genau weiß ich es, doch die Leute wissen es nicht und brauchen es auch nicht zu wissen. Glaubst Du, ich würde es spielen, wenn es überall so wenig anspräche, als in Leipzig? überhaupt wenn man hier gewesen, möchte man nie mehr nach dem Norden gehen, wo die Menschen Herzen von Stein haben. (Du bist natürlich ausgenommen.) Hier solltest Du einmal einen Beifallssturm mit anhören. Die Fuge von Bach und das Finale der Händelschen Variationen mußte ich wiederholen. Kein schöneres Gefühl, als ein ganzes Publikum befriedigt zu haben.

Das war ich. – Nun zu Dir ... viel Spaß hat mir die Stelle in Deinem Brief gemacht, wo Du schreibst »und so zögen wir beladen mit Schätzen wieder in unser Häuschen ein«. Ach mein Gott, was denkst Du, Schätze sind mit der Instrumentalkunst jetzt nicht mehr zu erlangen. Wieviel muß man tun, um ein paar Thaler aus einer Stadt mitzunehmen. Wenn Du um 10 Uhr abends bei Poppe Leipziger Lokal. sitzest oder nach Hause gehst, muß ich Ärmste erst in die Gesellschaften und den Leuten für ein paar schöne Worte und eine Tasse warm Wasser vorspielen, komme um 11-12 Uhr todtmüde nach Haus, trinke einen Schluck Wasser, lege mich nieder, und denke, was ist ein Künstler viel mehr als ein Bettler! Und doch, die Kunst ist eine schöne Gabe! Was ist wohl schöner, als seine Gefühle in Töne kleiden, welcher Trost in trüben Stunden, welcher Genuß, welch schönes Gefühl, so manchem eine heitere Stunde dadurch zu verschaffen! Und welch erhabenes Gefühl, die Kunst so treiben, daß man sein Leben dafür läßt! – Das Letzte und alles Übrige habe ich heute getan und lege mich zufrieden und beglückt nieder. Ja, glücklich bin ich – und werde es aber erst vollkommen sein, wenn ich Dir an das Herz fallen kann und sagen »nun bin ich Dein auf ewig, – mit mir meine Kunst«.

* * *

Am Christabend.

Wie sollt ich den Christabend schöner feiern, als mich mit Dir zu unterhalten, ich war heute sehr traurig, keinen Christbaum erblickt mein Auge. Wo magst Du jetzt sein? Ob Du recht glücklich bist? Doch ja – Dir brennt ja der Baum der Liebe! ... Von einer sehr zarten Aufmerksamkeit gegen mich hast Du vielleicht schon gehört. Schubert, Der Komponist Franz Schubert. hat nämlich unter mehreren Stücken ein Duo 4händig hinterlassen, was Diabelli jetzt gedruckt und mir gewidmet haben. Dies erschütterte mich sehr, ich kann mir kaum selbst sagen, warum. Es ist doch eigen, wie reizbar ich jetzt bin. Ich komme mir zuweilen sentimental vor ... Was soll ich Dir antworten? Sag ich »ich bin eifersüchtig«, so belüge ich Dich, und sage ich »ich bin nicht eifersüchtig«, so glaubst Du Dich belogen, so mußt Du Dich wohl noch ein wenig gedulden.

* * *

Den 26sten 11 Uhr.

... Vater hat gestern wieder zu Nanny gesagt »wenn Clara Schumann heiratet, so sage ich es noch auf dem Todtenbett, sie ist nicht wert meine Tochter zu sein«, Robert, schmerzt das nicht? Meine Empfindungen lassen sich nicht beschreiben, doch Alles will ich erleiden, wenn es für Dich ist. Ich theile Dir dies bloß mit, weil es mein Herz zu sehr bewegt, als daß ich es Dir verschweigen sollte ... Ich bin ganz außer mir, wenn ich den Vater abends noch zanken höre, wenn mich seine Flüche aus dem Schlafe stören, und ich nun höre, daß sie mein Liebstes betreffen ... Meinen Vater habe ich gar nicht mehr so lieb, ach Gott, ich kann nicht so recht von Herzen zärtlich sein, und möchte doch so gern – es ist ja mein Vater, dem ich alles danke ... Auf Deine Frage, ob ich mich durch Vater wieder einschüchtern lassen werde, die Antwort: Nein – nie.

 

An Friedrich Wieck.

Paris, d. 1./5. 39.

Mein geliebter Vater,

Deine Briefe aus Dresden haben wir erhalten, und ich danke Dir für Deine lieben Zeilen; große Sehnsucht hätte ich, Dich, mein lieber Vater, wieder zu sehen und mit Dir so recht in aller Liebe und Eintracht einmal zu reden; so laß es mich jetzt wenigstens schriftlich thun. Ich las Deinen Brief an Emilie Emilie Leiser, eine Jugendfreundin. und gestehe Dir aufrichtig, daß Du Manches berührt, was schon längst in mir sprach, und worüber ich schon viel im Stillen nachgedacht. Meine Liebe zu Schumann ist allerdings eine leidenschaftliche, doch nicht blos aus Leidenschaft und Schwärmerei lieb ich ihn, sondern weil ich ihn für den besten Menschen halte, weil ich glaube, daß kein Mann mich so rein, so edel lieben und mich so verstehen würde, als Er, und so glaub ich auf der anderen Seite auch ihn mit meinem Besitz ganz beglücken zu können, und gewiß keine andere Frau würde ihn so verstehen wie ich. Du wirst mir verzeihen, lieber Vater, wenn ich Dir sage, Ihr Alle kennt ihn doch garnicht, und könnte ich Euch doch nur überzeugen von seiner Herzensgüte! Jeder Mensch hat ja seine Eigenheiten, muß man ihn nicht darnach nehmen? Ich weiß, was Schumann fehlt, das ist ein Freund, ein erfahrener Mann, der ihm beisteht und hülfreiche Hand leistet; bedenke, daß Schumann nie in die Welt gekommen war – kann es denn nun auf einmal gehen? ach Vater, wärest Du ihm ein Freund – Du solltest ihn gewiß nicht undankbar finden und würdest ihn gewiß achten; glaubst Du denn, daß ich Schumann so liebte, wenn ich ihn nicht achtete? glaubst Du nicht, daß ich wohl seine Fehler weiß? Aber auch seine Tugenden kenne ich. Uns würde zu unserem Glücke nichts fehlen als ein, wenn auch kleines, doch sicheres Auskommen, und Deine Einwiligung; ohne letzteres wäre ich ganz unglücklich, ich könnte nie Ruhe haben und Schumann, der ja so viel Gemüth hat, würde das auch unglücklich machen; ich sollte verstoßen von Dir leben und Dich unglücklich wissen! Das hielt ich nicht aus ... Nie kann ich von ihm lassen, und er nicht von mir – nie könnte ich einen anderen Mann lieben – ich bitte Dich versprich es mir, sage mir aufrichtig was Du verlangst, was Du in Deinem Innern denkst, mache mir keine Hoffnung, wenn es Dir nicht Ernst damit ist. Ach wie glücklich kannst Du uns machen! mein Herz ist so voll Liebe – willst Du es brechen? Das hätte ich nicht verdient! Du hältst mich nicht für gut, Du sagst mein Charakter sei verdorben, ich wisse nicht, wie Du mich liebst, ich sei undankbar – ach Vater, da thust Du mir doch gar zu Unrecht. Emilie und Henriette Henriette Reichmann, eine talentvolle Stuttgarterin. sind Zeuge, mit welcher Liebe ich von Dir spreche, immer, selbst nach Deinen vorwurfsvollen Briefen! oft meinte ich schon im Stillen von Dir getrennt zu sein, Dich auf Deinen Spaziergängen nicht begleiten zu können, mich von Dir undankbar genannt zu wissen und so Vieles noch! Hing ich je an Dir, so ist es jetzt. Du zanktest mich in Leipzig, daß ich nie heiter war; bedenke doch einmal in welchem Zustande ich in Leipzig war und wie man überhaupt ist, wenn man liebt, daß man da liebevoller, theilnehmender Umgebung bedarf – hatte ich die? Durfte ich Dir je von meiner Liebe sprechen? Mit wem möchte man wohl lieber darüber sprechen als mit den Eltern? und vollends mit Dir! wie oft versuchte ich es, Dich durch mein Vertrauen zu Dir teilnehmender zu machen, hingegen machte ich Dich immer zorniger; nichts durfte ich! im Gegentheil ich mußte meine Liebe in mich verschließen, und mußte, ach so oft! mich und den Gegenstand meiner Liebe verspottet sehen – das kann ein liebend Herz wie das meine nicht ertragen ... Ich bitte Dich, schreib mir gleich wieder, ich kann nicht lange in der Unruhe bleiben; Du solltest sehen, wie ich meiner Kunst leben würde; Du meinst, ich liebe meine Kunst nicht? ach Gott, giebt es Augenblicke wo ich ganz allen Kummer vergesse, so ist es am Clavier ...

 

An Robert Schumann.

Am Sylvester (1839).

Den Neujahrskuß laß Dir geben, mein geliebter Robert, mit welchen Gefühlen ich das neue Jahr betrete, kann ich Dir nicht sagen, es sind freudige, aber auch ernste. Ich soll Dir nun bald ganz angehören, das erregt mich freudig, mein ganzes Lebensglück liegt dann aber auch in Deiner Hand. Ein unbegrenztes vertrauen hab ich zu Dir, Du wirst mich ganz beglücken. Aber auch ich will Dir immer von ganzer Seele ergeben sein, mein ganzes Sinnen und Trachten ist ja Dein Glück. Gieb mir Deine Hand, mein Robert, treu will ich mit Dir durch's Leben gehen, Alles mit Dir theilen, und kann ich es, Dir auch eine gute Hausfrau sein ... Ach, Ich liebe Dich ja so innig, so ganz unendlich! Bald Dein glückliches Weib Deine Clara.

 

Aus Claras Tagebuch.

Freitag den 10.

... bekam Robert eine so heftige Gehörsaffektion die ganze Nacht hindurch, daß er kein Auge schloß. Er hörte immer ein und denselben Ton und dazu zuweilen noch ein anderes Interval ... Alles Geräusch klingt ihm wie Musik. Er sagt, es sei Musik, so herrlich, mit so wundervoll klingenden Instrumenten, wie man auf der Erde nie hörte ... Freitag den 17. nachts, als wir nicht lange zu Bett waren, stand Robert wieder auf, und schrieb ein Thema auf, welches mir, sagte er, die Engel vorsangen. Nachdem er es beendet, legte er sich nieder und fantasierte nun die ganze Nacht, immer mit offenen, zum Himmel aufgeschlagenen Blicken; er war des festen Glaubens, Engel umschweben ihn, und machen ihm die herrlichsten Offenbarungen, alles das in wunderbarer Musik; sie riefen uns Willkommen zu und wir würden beide vereint noch ehe das Jahr verflossen bei ihnen sein ... Der Morgen kam und mit ihm eine furchtbare Änderung, die Engelsstimmen verwandelten sich in Dämonenstimmen mit gräßlicher Musik; sie sagten ihm, er sei ein Sünder, und sie wollten ihn in die Hölle werfen, kurz sein Zustand wuchs bis zu einem förmlichen Nervenparoxismus, er schrie vor Schmerzen ... die Ärzte brachten ihn zu Bett und einige Stunden ließ er es sich auch gefallen, dann stand er aber wieder auf und machte Correcturen von seinem Violoncellconzert. Er meinte dadurch etwas erleichtert zu werden, von dem ewigen Klang der Stimmen ... Soviel glaubte er, wenn ich ihm sagte, er sei krank, ... aber von dem Glauben an die Geister brachte ich ihn keinen Augenblick ab, im Gegenteil sagte er mir mehrmals mit wehmütiger Stimme, Du wirst mir doch glauben l. Clara, daß ich Dir keine Unwahrheiten sage! ... Montag den 20. verbrachte Robert den ganzen Tag an seinem Schreibpult, Papier, Feder und Tinte vor sich, und horchte auf die Engelstimmen, schrieb dann wohl öfter einige Worte, aber wenig und horchte immer wieder, er hatte dabei einen Blick voll Seligkeit, den ich nie vergessen kann; und doch zerschnitt mir diese unnatürliche Seligkeit das Herz ebenso, als wenn er unter bösen Geistern litt. Ach, es erfüllte ja dies alles mein Herz mit der furchtbarsten Sorge, welch ein Ende dies nehmen solle; ich sah seinen Geist immer mehr zerstört und hatte doch noch nicht die Idee von dem, was ihm und mir noch bevorstand ... Dabei aber hatte er soviel Klarheit des Geistes, daß er in dem wundervoll rührenden, wirklich frommen Thema, Gedruckt im Supplementband der kritischen Ausgabe unter Nr. 9 »Thema Es-dur für Pianoforte«. welches er in der Nacht des 10. niedergeschrieben, ebenso rührende, ergreifende Variationen machte ... In den Nächten hatte er oft Momente, wo er mich bat, von ihm zu gehen, weil er mir ein Leid antun könnte, ich ging dann wohl auf Augenblicke, um ihn zu beruhigen, kam dann wieder zu ihm, so war es wieder gut ... Er schrieb die Variationen ins Reine, noch war er an der letzten, da plötzlich ... verließ er sein Zimmer und ging seufzend ins Schlafzimmer, Marie Das älteste Töchterchen. glaubte, er werde gleich wiederkehren, doch er kam nicht, sondern lief nur im Rock im schrecklichsten Regenwetter ohne Stiefel und Weste fort ... Alle ... liefen fort, ihn zu suchen, fanden ihn aber nicht, bis 2 Fremde ihn nach etwa einer Stunde nach Hause geführt brachten ... Da war er in der Angst, im Fieberwahnsinn in den Rhein gesprungen, glücklicherweise aber gleich gerettet worden. Dies geschah am 27. Februar 1854. Ich ahnte es damals nur, erst jetzt habe ich es als gewiß erfahren. Nachdem fand ich Papiere, wo unter anderem stand: »Liebe Clara, ich werfe meinen Trauring in den Rhein, tue Du dasselbe; beide Ringe werden alsdann sich vereinigen.« Damals gab ich dem weiter keine Bedeutung, doch als man mir in Endenich Heilanstalt des Dr. Richarz. sagte, man habe nie den Trauring an seiner Hand gesehen, da fiel mir das gleich ein und ist mir jetzt zur schmerzlichen Gewißheit geworden. Sonnabend der 4. brach an, Oh Gott, nun stand der Wagen vor unserer Thür, Robert zog sich in großer Eile an, stieg in den Wagen, frug nicht nach mir, nicht nach seinen Kindern, und ich saß da ... in dumpfer Betäubung und dachte, nun muß ich unterliegen! ... Das Wetter war herrlich, so schien denn doch wenigstens die Sonne zu ihm. Ich hatte dem Dr. Hasenclever Dem begleitenden Arzt. noch ein Bukett für ihn gegeben, dies gab er ihm auch unterwegs. Er hatte es lange in der Hand gehalten, ohne daran zu denken, doch plötzlich roch er daran und drückte dem Hasenclever dabei lächelnd die Hand! Später schenkte er jedem im Wagen eine Blume daraus. – Hasenclever brachte mir die seinige, mit blutendem Herzen bewahrte ich sie ...

 

An Brahms.

Wiesbaden, den Juli 1858.

Wie sehr, mein lieber Johannes haben mich Deine Volkslieder erfreut! Dürfte ich darüber sprechen, wie mir's ums Herz ist! Doch ich fühle immer mehr, wie ich lernen muß, es in Fesseln schlagen. Daß ich es Dir gegenüber auch musikalisch soll, tut mir schrecklich weh, denn eigentlich solltest und müßtest Du wissen, daß nicht blinder Enthusiasmus für Dich aus mir spricht. Kam es nicht vor, daß ich mich durchaus für das Eine oder Andere von Dir nicht freudig stimmen konnte, und Dir entschieden entgegen trat? Thut das blinder Enthusiasmus? Und wenn Du gar glaubst, ich wolle den Meinigen anderen aufdrängen, da verkennst Du mich sehr. Ich spreche mich warm aus, wo ich Empfänglichkeit zu finden glaube, was ein weibliches Herz gar leicht herausfühlt, wohingegen Du mir viel zu theuer und hoch stehst, als daß ich Deinen Namen mißliebigen oder kalten Menschen gegenüber nur über die Lippen bringen könnte. Mit Solchen, wie Grimm, Julius Otto, der Komponist. Joachim, Der berühmte Geiger. Woldemar, Musiker. Kirchner Theodor Kirchner, der Komponist. u. A., da gebe ich meinen Empfindungen den freien warmen Ausdruck, wie er aus vollster Seele kommt, von denen verlange ich aber auch schnelles Erfassen des Genialen, das Du schaffest, und fand es auch bei allen, nur beim Woldemar etwas langsamer, weil der immer erst ahnet und dann findet. Ich wollte, Du legtest meine Empfindungen edler aus, als Du es oft tuest; wer läse was Du mir über meinen Enthusiasmus schreibst, müßte mich für eine äußerst exaltierte Person halten, die ihren Freund als Gott anbetet ... Daß ich aber oft mächtig erfaßt werde, von Deinem reichen Genius, daß Du mir immer erscheinst als Einer, auf den der Himmel seine schönsten Gaben herabgeschüttet, daß ich Dich liebe und verehre, um so vieles Herrlichen willen, daß das tief Wurzel in meiner Seele gefaßt hat, das ist wahr, liebster Johannes, bemühe Dich nicht, dies durch kaltes Philosophieren in mir zu ertödten ...

* * *

Den 8. Juni 1858.

Ich muß Dich aber bitten, geliebter Freund, schüttle nicht so alles, was ich Dir über die Volkslieder gesagt, herab auf die Lieder selbst, man braucht sich ja doch nur einfach zu fragen, was sind die Lieder ohne Begleitung, was mit Deiner? Du selbst mußt ja am besten wissen, daß solche Begleitung, ein solches Aufgehen, solches Erfassen der Charakteristik eines jeden Liedes, ein solch inniges Ineinandergreifen von Melodie und Harmonie oft in so wunderbar fein und zarten Zügen, wo man sich bald nicht mehr Eines ohne das Andere denken kann, kurz, daß nur ein Genie, ein Gemüth, das ganz Poesie und Musik ist, Solches schaffen kann, und das bist Du, und weißt auch, daß Du es bist! Diese Überzeugung steht auf dem Grunde meiner Seele, wie ein Fels, unerschütterlich. Jetzt wirst Du wieder lächeln über meinen Enthusiasmus, wer aber schafft ihn anders, als Du selbst mit Deiner Musik? Ich las übrigens neulich etwas auf Enthusiasmus bezügliches, in einem Briefe Goethes an Schiller, wo er bei Gelegenheit einer Kritik Herders über deutsche Literatur sagt: » ... Lust, Freude und Theilnahme an den Dingen ist das einzig Reelle, und was wieder Realität hervorbringt.« Wenn nun Goethe das ausspricht, soll ich mich da nicht erhaben über Deinen Tadel fühlen?

* * *

186 Picadilly. London d. 19. März 1868.

Lieber Johannes! Es ist lang geworden, ehe ich dazu komme, Deinen Brief zu beantworten, und was Alles liegt dazwischen, Freudiges und Trauriges! – Eine schwere Zeit der Sorgen, wovon Du wohl etwas wirst in Berlin erfahren haben. Ich mag gar nicht davon anfangen, denn da ist dann kein Ende. Übrigens habe ich mit Felix Ihr jüngster Sohn, der sich der Musik widmete, später aber einem Lungenleiden verfiel. doch gute Hoffnung, daß er sich den Sommer bei uns ganz erholen wird, aber was noch mit Ludwig Ihr zweiter Sohn, der leider auch im Irrenhaus endete. werden wird, darüber bin ich ganz rathlos. Jetzt hat er nun wirklich doch wieder eine Stelle in Leipzig bekommen, aber wie lange wird es dauern? Wie verschieden das ist, der Eine macht mir Sorgen durch's Bummeln, nicht arbeiten wollen, der andere durch's überarbeiten! ... Julie Ihre mit dem Grafen Marmorito in Turin verheiratete Tochter. ist nun seit 3 Wochen in Frankfurt und scheint sich viel besser als vorigen Sommer zu befinden, so wogt es eben immer auf und ab und das arme Mutterherz kommt keinen Augenblick zur Ruhe. Daß mich die vielen Sorgen gerade hier trafen, war doppelt schwer, doch der Kampf erhöht auch wieder die Spannkraft, das habe ich hier wieder einmal erfahren. Ich schreibe aber gleich von uns und wollte eigentlich gern mit Dir von Dir plaudern ... Also wirklich in Wien willst Du Dich nun häuslich niederlassen? Ich finde es so übel nicht, möchte schon auch dort leben, fände ich dort, was ich brauchte ... Du scheinst eigentlich auch der Einbildung zu leben, ich hätte wohl eigentlich genug und reiste nur zu meinem Vergnügen, solche Anstrengungen muthet man sich denn doch nicht zum Vergnügen zu. Abgesehen aber davon, so wäre doch wohl jetzt inmitten meiner größten und erfolgreichsten Tätigkeit kaum der Zeitpunct, mich, wie Du mir räthst von der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Ich war gerade diese letzten Jahre mit solch' ner Wärme aufgenommen, und spielte ich immer mit ganz wenig Ausnahmen so glücklich, daß ich kaum wüßte, warum ich gerade jetzt aufhören müßte. Ich werde mir aber die Sache bedenken, kann jedoch erst prüfen, wenn ich überhaupt erst weiß, welche Gründe Dich bewogen, mir dies Alles zu sagen, und warum Du es zu einer Zeit thatest, wo es möglicherweise einen Eindruck auf mich machen konnte, der meine Thatkraft gänzlich lähmte ... das war unüberlegt von Dir, mehr will ich nicht sagen! ...

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London d. 6. März 1870.

Ich benutze eine freie Sonntagsstunde, Dir meinen schönsten Dank für Deinen Brief zu senden, dessen Fortsetzung aber doch wohl nicht von selbst erfolgt (wie Du am Schlüsse Deines Briefes es versprachest), wofür ich denn gern ein gutes Wort einlege. Also eine schöne Wohnung hast Du? Ich kann Dir nicht sagen, wie lieb mir das ist. Ich mochte Dir früher nichts sagen, aber ich fand Deine frühere Wohnung gar traurig und dachte mir Dich immer ungern darin. Nun könntest Du Dir eigentlich eine junge nette Frau nehmen mit etwas Geld nebenbei – dann würde es doch erst recht gemüthlich werden. Freilich kenne ich Deine Gedanken über all dies, doch, weil ich Dir so sehr ein home wünsche, möchte ich immer wieder davon sprechen – Wir Frauen sind nun mal so, wir fangen immer wieder von vorn an, wenn unser Herz dabei ins Spiel kommt ... Ich bin enthusiastischer denn je aufgenommen, und habe auch trotz aller Ängstlichkeit glücklich gespielt, ich bin aber schrecklich gequält mit allerlei Erscheinungen in Armen und Fingern; jeder Tag fast bringt mir einen neuen Schreck, immer kommt es wie angeflogen und immer schone ich mich von einem Conzert zum anderen so viel als möglich, was aber Höchst unbehaglich ist. Bis jetzt konnte ich aber doch immer spielen, nur die ersten beiden Conzerte mußte ich von Calais aus abtelegraphieren, denn dort saßen wir 3 Tage und konnten nicht herüber, weil wegen des furchtbaren Sturmes keine Schiffe gingen. Das waren fürchterliche Tage; keine Menschenseele, kein Buch, Nichts bei uns, mußten uns alles kaufen, ein Clavier nicht aufzutreiben, schließlich auch kein Geld mehr. Da bin ich mal recht bestraft worden, wenn ich sagte, die 2 Stunden zur See seien nicht mehr als zweie zu Land ... Schreib' mir was über die Meistersinger, aber nicht als Anti Wagnerianerin

Ende Juli(?), 1888.

Liebster Johannes

was soll ich sagen auf Dein so freundschaftliches Anerbieten? ich konnte mich beim Lesen Deines Briefes der tiefsten Rührung nicht erwehren. »Während ich in Geld schwimme«, hatte Brahms ihr geschrieben, »ohne dies irgend zu merken und ohne irgend ein Plaisir davon zu haben ... Wenn du mich dagegen für einen so guten Menschen hältst, wie ich es bin und wenn du mich so lieb hast, wie ich wünsche, dann ... erlaubtest du ganz ohne Weiteres daß ich mit meinem sehr überflüssigen Mammon mich z. B. dieses Jahr an deinen Ausgaben für die Enkel mit etwa 10 000 Mark betheilige ...« Worte klingen arm gegen das, was man in solch' nem Moment empfindet, und so kann ich Dir nur innigst die Hand drücken und Dir gestehen, daß die von Dir gebotene Stütze meinem Herzen ein so beruhigendes Gefühl giebt, wie ich lange nicht empfunden. Aber annehmen kann ich Dein so liebes Anerbieten jetzt nicht, es wäre unrecht thäte ich dies, ohne wirkliche ernstliche Veranlassung. Durch die Verdienste in England voriges Jahr und dieses Jahr habe ich noch eine kleine Summe, ausreichend für dieses Jahr, disponibel ... Ferner stehe ich wegen des Verkaufes der Manuscripte Roberts noch immer in Unterhandlung, die doch endlich auch einen Abschluß haben wird, so daß ich vorläufig noch nicht in der Lage bin, mein Kapital angreifen zu müssen. Meine Sorge gilt meist der Zukunft, die Aussichten auf Verdienst durch concertiren werden immer geringer, die Ausgaben für Ferdinands Des ältesten Sohnes. Kinder immer größer. So komme ich denn zu dem Schlusse, daß, da ich Dich für einen so guten Menschen halte, wie Du bist, und Dich so lieb habe, wie Du wünschest, ich Dir verspreche, mich unbesonnen an Dich zu wenden, so bald die Sorgen wirklich ernstlich an mich herantreten. Bist Du es so zufrieden? Ich hoffe es und bitte Dich im Vertrauen auf dieses mein Versprechen nichts Weiteres jetzt zu thun. Ich schließe heute, bin zu bewegt, um plaudern zu können, ... Von den Kindern soll ich Dir sagen, wie auch sie deine Freundschaft für mich tief empfinden und so nimm denn dreier dankbarer Herzen wärmste Grüße.

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Frankfurt a. M. 27. September 1892.

Lieber Johannes!

Deine guten Wünsche kamen mir in Interlaken zu, als wir im Begriff der Abreise standen, indessen sind wir noch etwas herumgereist und erst jetzt, hier in Ruhe, kann ich Deinen so inhaltsschweren Brief beantworten. »Ein Abseiten bin ich Dir leider mehr als jeder andere«, hatte Brahms geschrieben ... »konnte ich nur denken, es sei Dir nicht sympatisch, meinen Namen (gelegentlich der Schumann'schen Gesamtausgabe) dabei zu sehen ... Freunden gegenüber bin ich mir nur eines Fehlers bewußt. Ungeschicklichkeit im Umgang, es ist hart nach 40jährigen treuen Dienst (oder wie Du mein Verhältnis zu Dir nennen magst) nichts weiter zu sein, als »eine schlechte Erfahrung mehr«. Derselbe hat mich tief traurig gestimmt, es ist mir aber lieb, daß Du Dich offen aussprichst, so kann ich nun ein Gleiches thun. Du zürnst mir wegen einer Nichtachtung Deiner, gelegentlich der Schumann-Ausgabe, ich kann mich aber durchaus nicht erinnern, warum die Stücke nicht so erschienen sind, habe immer in dem Glauben gelebt, Alles in Bezug auf die Ausgabe nach Deinem Rathe gethan zu haben, sollte es aber sein, daß ich Dich gekränkt hätte, so hättest Du es mir gleich offen sagen sollen, nicht Raum geben einem solchen Verdachte, als sei mir Dein Name nicht sympathisch im Verein mit dem Roberts. Das muß Dir in einer schlimmen Stunde eingefallen sein, und ist es mir, nach so vielen Jahren künstlerischer Gemeinsamkeit ganz unfaßlich, wie Du so etwas aus mir heraussuchen konntest. Stimmt es doch gar nicht zu dem, was ich durch so viele Jahre hindurch bethätigt habe und auch nicht zu dem, was Du mir am Schlüsse Deines Briefes sagst ... »der liebende und verehrende Gedanke an Dich und Ihn wird immer hell und warm leuchten Deinem tief ergebenen J. B.« Wäre Dein Verdacht begründet, so könnte ich wirklich nicht mit zu den schönsten Erinnerungen Deines Lebens zählen.

Wohl hast Du recht, wenn Du sagst, daß der persönliche Verkehr mit Dir oft schwer ist, doch hat mich die Freundschaft für Dich immer über Unebenheiten hinweggetragen ... Doch genug hiervon, mich macht nichts trauriger als solche Auseinandersetzungen und Zerwürfnisse – bin ich doch der friedfertigste Mensch von der Welt.

 

An Breitkopf und Härtel in Leipzig.

Frankfurt, Febr. 93.

Geehrte Herren!

Dieser Tage besuchte mich Herr Brahms und teilte mir mit, daß er bereits die Stücke für den Schumann-Anhang an Sie abgesandt habe; er hoffe, Sie haben dieselben richtig erhalten, hätte freilich wohl gern eine Notiz von Ihnen darüber gehabt. – Ich habe es übernommen, Sie zu bitten, daß Sie die Correctur ihm zugehen lassen, nicht mir, denn er allein hat alles revidiert, daher ich auch bitte, daß sein Name als Herausgeber auf dem Titel genannt werde. Er hat sich einer großen Mühe unterzogen, was, von Ihnen anerkannt zu sehen, ich besonders wünschen muß ...


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