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Philippine von Griesheim

Vergilbte Blätter aus der Vergangenheit haben immer ihren eigenen Reiz. Vor Jahren stieß ich einmal bei der Ordnung alter Papiere auf ein Konvolut von Briefschaften, die ein Vetter von mir geschrieben hatte, der aus Lust am Abenteuerlichen unter Kaiser Max in die mexikanische Armee getreten war. Die Briefe waren nur schlichte Berichte an die Mutter und Schwester, aber es wehte mir aus der Lektüre doch etwas von dem Geist jener aufregenden Tage entgegen, die in dem Trauerspiel von Queretaro ihren Abschluß fanden – ein Hauch legitimistischen Heldenmuts und ein Ahnen echter Größe.

Ähnlich mag es der Baroneß Edith von Cramm ergangen sein, als sie Einblick in die Briefe ihrer Großmutter, geborenen von Griesheim, bekam, die diese in den sturmbewegten Zeiten von 1804 bis 1813 an ihre liebste Freundin geschrieben hatte. Philippine von Griesheim war die jüngste, am 25. Juni 1790 geborene Tochter des Herrn August Heinrich Ernst von Griesheim, Offiziers in Braunschweigischen Diensten, und seiner Gattin Sophie Louise, einer geborenen Freiin von Cornberg aus dem Hause Lübbeke. Von ihrer Kindheit erzählt Philippine selbst in dem ersten ihrer Briefe, die Fräulein von Cramm, ihre Enkelin, mit pietätvoller Hand gesammelt hat und bei Egon Fleischel & Co. in Berlin erscheinen ließ. Philippine wurde in ihrem Geburtsort Halberstadt erzogen, wo ihr Vater dem Regiment des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand angehörte, jenes tapferen Fürsten, der im Feldzuge gegen Holland die Wiedereinsetzung Wilhelms V. als Erbstatthalter erzwang, in hohem Alter bei Auerstedt durch einen Schuß beide Augen verlor und bald darnach auf dänischem Gebiete, in Ottensen bei Altona, tief betrauert von seinem Volke, verstarb. Als zehnjähriges Kind kam Philippine infolge Versetzung ihres Vaters nach Braunschweig. »Aus meiner Jugendzeit«, schreibt sie, »hat sich vieles verwischt, nur soviel ist meiner Erinnerung geblieben, daß ich ein Ausbund von Wildheit und Häßlichkeit war, klapperdürr und gelb wie eine ausgepreßte Citrone. Meine erste Jugendgespielin war Julie Mahrenholz, in deren Haus ich die Abende verbrachte. Doch genügte ihr Umgang mir nicht lange, da sie 2 Jahre jünger als ich, nur Puppenspiel trieb, und ich die Knabenspiele meines Bruders und dessen Spielgenossen vorzog. Daß ich selten mit einem blauen Auge davon kam, war natürlich, denn mir war kein Spiel zu wild, kein Baum zu hoch und keine Leiter, womit die Festungen auf dem Heuboden erstürmt wurden, zu steil. Nichts trübte meine Kindheit als wenn mich der alte Philipp, unser Bedienter, des Pflaumenraubes in unserm Garten beschuldigte und ertappte, welches denn oft auf frischer That auf dem Bethe geschah, wo mein Fuß die Spur zurückgelassen und nun mit meinem Schuh verglichen wurde. Noch manches Geschichtchen könnte Dir das jetzt solide erwachsene vierzehnjähriges Mädchen erzählen, wenn sie mehr Ausdauer hätte und lange auf einem Gegenstand verweilen könnte. Denk nur, Liebe, ich habe Singstunde angefangen und mein Lehrer sagt, ich hätte eine wunderschöne Stimme, nun wirst Du epes rares hören, als Primadonna von Schöppenstedt betret ich nächstens die Bühne. Eine Gastrolle verunglückte mir schon vor mehreren Jahren dort, wo wir diesen weltberühmten Ort mit Fritzchen Asseburg auf einer Fahrt nach ihrer Eltern Guth passirten, uns für französische Emigranten ausgaben und dort allgemeines Mitleid erregten, doch ich mit meiner plumpen Lebhaftigkeit verrieth den Spaß...«

In Braunschweig wird sie bald in das lebhafte Gesellschaftstreiben hineingezogen und spielt auch bei Hofe ihre Rolle. »Die Diners und Soupers jagten sich«, erzählt sie 1805, »ach es war eine himmlische Lust!« ... Sie amüsiert sich gern; kaum sechszehnjährig geworden, erregt sie bereits das Interesse eines Herrn von Korff und empfindet nach seiner Abreise auch »eine sonderbare Leere«, setzt aber sofort hinzu, daß sie ihn »wie einen Bruder lieben würde, wäre er noch länger hiergeblieben«. Sie ist sich noch nicht klar über ihr Empfinden, und als sie endlich erfährt, daß Herr von Korff bei ihrer Mutter um sie angehalten habe, aber vertröstet worden sei, da die Mutter sie noch für zu jung hielt, um schon an eine Ehe zu denken, ist sie ganz glücklich darüber: ein Fels sei von ihrem Herzen gewälzt, »denn ich denke mir das Heirathen eine entsetzliche Sklaverei. Jetzt flieg ich wie ein Vogel in freier Luft und als Frau denke ich mir mein Loos wie ein Maikäfer, dessen Flug von einem ungezügelten Knaben an einem Faden gehemmt wird«...

Die meisten ihrer Briefe sind an ihre Herzensfreundin Charlotte von Münchhausen gerichtet, deren ältester Bruder Christian, Leutnant im Braunschweigischen Infanterie-Regiment Prinz Friedrich, im November 1804 ihre Schwester Auguste geheiratet hatte. Am 27. November 1806 erzählt sie der Freundin von den Aufregungen in Braunschweig nach Rückkehr des Herzogs. »Das herzzerreißendste, was ich je zu erleben glaube, war als man vorgestern unsern biedern Herzog mit durchschossenen Augen, seines Gesichts beraubt auf einer gepolsterten Bahre gegen Abend auf das Schloß trug. Tausende von weinenden Bürgern folgten schweigend – wie ein Leichenzug – dem geliebten, unglücklichen Fürsten bis zum Schlosse, wo er augenblicklich meinen Vater rufen ließ, ihm Verhaltungsbefehle zu geben, wenn die Feinde das Land besetzen sollten. Der Herzog wünscht, daß Vater mit dem Generalstabe ihnen entgegenreiten und sie freundlich bewillkommnen soll. Da die Truppen keinen thätigen Antheil an dem Kriege genommen und das Land neutral geblieben, so hofft unser theurer Landesvater, daß er allein als Opfer der Politik gefallen ist. Vater kam so erschüttert von dem betrübenden Anblick des hohen Kranken zurück, daß er sich gar nicht zu fassen vermochte. Ach, es ist zu schrecklich in einem Greisenalter des Gesicht's, des Ruhm's und vielleicht des Landes beraubt zu sein! ..«

Einer Aufforderung des Herzogs von Anhalt-Köthen, als Oberhofmeister in seinen Dienst zu treten, gibt der Vater Philippinens um so lieber nach, als er in Köthen mancherlei Verwandte besitzt. Zwar hat König Jérome ihm die Ernennung zum Brigadegeneral anbieten lassen, aber Frau von Griesheim ist dagegen. »Der Ruf des Königs ist gar zu schlecht «, schreibt Philippine. Jérome ist über die Absage empört und rächt sich dadurch, daß er der Familie Griesheim befehlen läßt, nunmehr binnen acht Tagen Braunschweig zu verlassen.

Im Januar 1808 trifft man glücklich in Köthen ein und lernt noch am Abend der Ankunft die Kusinen und den Vetter Albert von Wedell kennen, dessen Mutter eine Schwester des neu ernannten Oberhofmeisters von Griesheim war. Albert, der erst im Infanterie-Regiment Prinz Louis Ferdinand gestanden hatte und dann in den Dienst des Herzogs von Anhalt-Köthen getreten war, muß sofort Eindruck auf sie gemacht haben. Sie spricht von seiner Schönheit, seiner bezaubernden Anmut und der Ritterlichkeit seines Wesens, und schon in ihrem Briefe vom 26. April kommt ihre heimliche Liebe zu ihm beredt zum Ausdruck. Die Eltern sind anfangs nicht für eine Vereinigung der Beiden, geben aber schließlich nach. Und nun beginnt die Tragödie in dem Herzensleben Philippinens.

Albert will wieder unter die Waffen treten. Eine vorteilhafte Anstellung in einem Husaren-Regiment ist ihm sicher, aber da sein Bruder Karl sich dem Schillschen Korps angeschlossen hat, so kann er es nicht über sich gewinnen, sich von dem geliebten Bruder zu trennen und wird gleichfalls Schillscher Offizier. Schill hatte sich nach dem Gefecht bei Dodendorf am 5. Mai 1809 durch die Altmark nach Mecklenburg gewandt, um nach Rostock und Wismar zu gelangen, wo er englische Unterstützung zu finden hoffte. Von holländischen und dänischen Truppen bedrängt, rettete er sich nach Stralsund, und fand bei der Einnahme der Stadt durch die vereinigten Dänen und Holländer den Heldentod. Etwa 200 Reiter und einige Jäger schlugen sich durch und erzwangen die Bewilligung freien Abzugs nach Preußen; eine andere Abteilung entkam von Rügen aus zu Wasser nach Swinemünde, der Rest des Korps aber blieb im Gefecht oder wurde gefangen genommen.

Zu diesen Gefangenen gehörten auch die beiden Brüder Karl und Albert von Wedell. Noch am 7. Juni schreiben sie an ihren Schwager Herrn von Werder in hoffnungsfreudiger Stimmung. Von Stralsund aus wurden sie nach Braunschweig und dann nach Kassel transportiert; schließlich endete ihr Leidensweg in Wesel. Dort wurden die elf gefangenen Offiziere sofort in engere Festungshaft genommen. Ein Zeitgenosse erzählt: »Der Gouverneur von Wesel, Divisions-General Dallemagne, setzte die militärische Spezialkommission zusammen, welche die Untersuchung führen und das Urteil fällen sollte. Mit Mühe gelang es ihm, einen Präsidenten für das Blutgericht zu finden. Zuerst bestimmte er hierzu den Befehlshaber der Portugiesen, die sich in Wesel befanden, dann den Bataillonschef Jarin, beide aber meldeten sich krank. Die Spezialkommission versammelte sich zum ersten Male anfangs September im Saale der Citadelle, die Gefangenen wurden diesmal nur um Namen, Geburtsort und Dienstzeit gefragt. Ein Herr von Brinken, der dabei als Dolmetscher fungierte, sah bei dieser Gelegenheit das Dekret Napoleons wegen Verurteilung der 11 Offiziere, welches der Greffier der Kommission wohl absichtlich in der Stube des Gefangenwärters hatte liegen lassen, es lautete: ›Die 11 Offiziere des Schillschen Korps, welche mit den Waffen in der Hand gefangen wurden, sollen zu Wesel vor ein Kriegsgericht gestellt, als Räuber behandelt und gerichtet werden‹. So war also deren Tod schon beschlossen, bevor noch die trügerische Form, in der sich die Gewalt mit dem Scheine der Gerechtigkeit umhüllen wollte, ausgespielt war. Der Kapitän-Rapporteur Carin vom 21. Regiment leichter Infanterie führte die weitere Untersuchung. Von dem Mute und der Jugend der Gefangenen gerührt, legte er ihnen im ersten Verhör nur Fragen vor, die ihre militärische Stellung betrafen, und machte einen für sie günstigen Bericht, auf den hin kein Todesurteil gefällt werden konnte. Der Präsident des Gerichtshofes aber, getreu dem Befehl, daß die Gefangenen für schuldig befunden werden müßten, wies diesen Bericht zurück und trug dem Kapitän-Rapporteur auf, die Untersuchung wieder zu beginnen und den Offizieren die Frage vorzulegen, wo Schill das Geld hergenommen habe, um während des Zuges seine Truppen zu bezahlen. Die Offiziere konnten nicht leugnen, daß sie beim Durchzuge durch fremde Gebiete im Königreiche Westfalen und im Mecklenburgischen auf Schills Befehl öffentliche Kassen weggenommen hatten. Das war genügend, um sie zu verurteilen, darum wurde auch auf dieses Geständnis hin sogleich die Voruntersuchung geschlossen. Sobald die Gefangenen erfuhren, daß man sie als Räuber anklage, suchten sie sich einen Rechtsbeistand. Herr Noel Perwez aus Lüttich, der sich in Wesel als Defenseur-Offizier befand, übernahm auf die edelmütigste Weise dieses gefährliche Amt; noch ehe er es aber üben konnte, kam schon aus Paris der Befehl des Polizeiministers, daß er Wesel zu verlassen habe, um in Lüttich unter Polizeiaufsicht gestellt zu werden. Mit vieler Mühe wurde es ihm gestattet, so lange in Wesel zu bleiben, bis das Kriegsgericht sein Urteil gefällt habe. Am 16. September um 9 Uhr des Morgens trat das Kriegsgericht auf der Citadelle zusammen ... Die elf Jünglinge wurden zum Tode durch Erschießen verurteilt, zufolge dem 1. Artikel des Gesetzes vom 29. Nivose des Jahres VI, welcher lautet: ›Diebstahl mit offener Gewalt oder durch Gewalttätigkeit auf öffentlichen Wegen und Straßen begangen, Diebstahl in bewohnten Häusern mit Einbruch von außen oder Einsteigen von Leitern, soll mit dem Tode bestraft werden‹.«

Über die letzten Augenblicke der Brüder Wedell berichtet der Zeitgenosse (nach einem Gedenkblatt, das der »General-Anzeiger für Wesel« am 17. September 1889 veröffentlichte) folgendes: »Mit aufrechtem Haupte und einem Blicke, den Freude verklärte, als könnten sie in der fernen Zukunft schon den Tag erspähen, wo ihr Tod gerächt und das Vaterland befreit würde, gingen die elf Schlachtopfer, zu zweien und dreien mit dünnen Stricken an den Armen aneinander gebunden, in der Mitte der Kanoniere. Als man die beiden Brüder Wedell, die mit rührender Zärtlichkeit die letzten Schmerzenstage ihres jungen Lebens sich zu erheitern gesucht hatten, im Hofe der Citadelle aneinander binden wollte, sagte der eine: ›Ach! sind wir nicht schon durch die Bande des Blutes eng genug verknüpft, daß man uns noch auf eine so schändliche Art zusammenbinden muß?‹ Aber auch sie mußten gefesselt den Weg zu ihrem Grabe gehen ... Die zur Exekution bestimmten 66 Kanoniere traten den Elf gegenüber. Sechs Kugeln waren für jeden bestimmt. Eine Abteilung stand in Reserve. Die Trommeln schwiegen. Als der Adjutant vom Platze den Verurteilten noch einmal das Urteil verlesen wollte, weigerten sie sich, diese unnütze Entschuldigung des gewaltsamen Mordes anzuhören. Doch baten sie, mit offenen Augen die Todeswunde empfangen und selbst das Zeichen dazu geben zu dürfen. Diese letzte Bitte wurde ihnen gewährt. Noch einmal umarmten sie sich mit den freien Armen und vor allen das Brüderpaar Wedell, allen Zuschauern ein schmerzlicher Anblick. Noch einmal schauten sie voll Wehmut nach Osten, nach dem teuern Heimatlande und sandten den Geliebten den letzten Gruß, entblößten dann Hals und Brust und riefen den gegenüberstehenden Kanonieren zu, das deutsche Herz nicht zu fehlen. ›N'ayez pas peur, les canoniers français tirent bien!‹ erwiderte einer der Schützen; darauf riefen die Heldenjünglinge: in deren hochwallender Brust die Liebe für König und Vaterland zum letzten Male aufloderte, alle zugleich: ›Es lebe unser König! Preußen hoch!‹ In diesem Augenblicke warf Ernst von Flemming, der am Ende des linken Flügels stand, zum Todeszeichen seine Mütze in die Luft, da krachten die 66 Musketen, und Pulverdampf umhüllte wie ein graues Leichentuch die Gefallenen. Zehn lagen tot auf dem kalten Rasen; einer aber, Albert von Wedell, stand noch aufrecht, ihm war nur der Arm zerschmettert; mit fester Stimme rief er dem Kommando zu, besser auf das preußische Herz zu zielen. Da trat eine neue Sektion schnell vor, und ihre Kugeln streckten auch ihn danieder. So empfingen sie die letzte Wunde der Erde in ihre männliche Brust; kein Schmerz drängte sich zwischen ihr Sterben und die Unsterblichkeit. Ihr letzter Gedanke war das Vaterland ...«

Ein dritter Wedell, Heinrich, war als Schillscher Offizier schon bei Dodendorf gefangen genommen worden. Er wurde zuerst nach Mainz, dann nach Montmédy gebracht und zur Galeere verurteilt. Acht Monate verbrachte er in Cherbourg unter den gemeinsten Verbrechern, wurde hierauf von Kerker zu Kerker geschleppt und erst 1812, nach dreijähriger Gefangenschafft entlassen. Während des Krimkrieges schickte ihn König Friedrich Wilhelm IV., zu dessen Generaladjutanten der ehemalige Galeerensklävling inzwischen ernannt worden war, in besonderer Mission nach Paris, und Napoleon III. verlieh demselben Mann, dem das entehrende T. F. (»Travaux Forçés«) auf die Schulter gebrannt worden war, das Großkreuz der Ehrenlegion, den höchsten Orden des Kaiserreichs. –

Wir geben hier die Briefe Philippinens von Griesheim im Auszuge wieder, die sich auf die Entwicklung und das Drama ihrer Liebe beziehen. Nach dem Friedensschlusse von 1813 bot ihr Herzog Friedrich Wilhelm eine Pension an und veranlaßte sie, in Braunschweig ihren Wohnsitz zu nehmen. 1815 vermählte sie sich mit dem Kammerherrn Philipp Leberecht von Cramm, doch wurde die Ehe schon nach fünf Jahren durch den Tod des Gatten gelöst. »Die Liebe und Verehrung«, so erzählt die Herausgeberin ihrer Briefe, »die ihr von allen Seiten zuteil wurde, bereiteten ihr einen selten schönen Lebensabend. Die ›alte Kammerherrin‹ mit den regelmäßigen, feingeschnittenen Gesichtszügen und den freundlich blickenden Augen war in Braunschweig und in Harzburg, wo sie jeden Sommer zuzubringen pflegte, eine bekannte und beliebte Persönlichkeit. Ebenso wie sich in ihren Jugendbriefen ihr Charakter frei von Eitelkeit, Stolz und Hochmut zeigte, bewahrte sie sich auch im Alter eine schlichte Vornehmheit, die, gepaart mit einer seltenen Herzensgüte, ihr von hoch und nieder, jung und alt eine außergewöhnliche Verehrung und Rücksichtnahme eintrug.

Bis ans Ende ihres langen Lebens pflegte sie die liebevolle Erinnerung an ihren ›unvergeßlichen Albert‹ und täglich, wenn die Witterung es irgend erlaubte, ließ sie sich im Rollstuhl nach dem in Braunschweig inzwischen errichteten Schillschen Museum fahren.

Sie beschloß ihr inhaltreiches Leben im fast vollendeten einundneunzigsten Jahr, am 5. Juni 1881, von ihren Töchtern, Enkeln und Urenkeln tief betrauert.«

Portrait

Briefe von Philippine von Griesheim.

An Charlotte von Münchhausen.

Cöthen, den 26. April 1808.

Verzeih, daß ich im Sturm und des Vergnügens Wortbrüchig geworden bin u Deinen Brief nicht gleich beantwortet habe, aber wir leben hier im ewigen Wechsel der Unterhaltung, bald kommt Besuch, dann folgen wir einer Einladung, denn ich kenne fast keinen geselligeren Ort. Die Abende, wo wir nicht ausgebeten werden vereinigen sich alle Verwandte bei uns, es wird gespielt, gesungen und getanzt und nur der schnelle Flug der Zeit dabei bedauert. Unsere Cousins – jetzt ist auch der ältere Carl von Wedell hier – sind wirklich sehr liebenswürdig und interessant. Wenn anfangs ihr Aeußeres nur besticht, so fesseln bei näherer Bekanntschaft ihre trefflichen Eigenschaften noch bei weitem mehr, denn der Jüngere vorzüglich ist witzig und genial und verbindet mit diesen seltenen Eigenschaften viel Herzensgüte und Verstand. Die Anspielungen Deines Briefes, liebe Lotte, beschämen mich, und ich wage kaum den Namen Albert wieder auszusprechen. (Er zeichnet mich nur aus vor meinen Schwestern, weil ich das treueste Ebenbild seiner Mutter bin, die er über alle Beschreibung geliebt, ich kann also nicht stolz auf einen Vorzug sein, den ich nur einer Aehnlichkeit verdanke! Dennoch müßte ich undankbar sein, wollte ich die vielen freundlichen Aufmerksamkeiten, die er mir bei jeder Gelegenheit beweißt mit Kälte erwiedern ... Die Ähnlichkeit mit seiner Mutter findet man so allgemein, daß wer sie gekannt und mich sieht, darüber erstaunt ist, daher frischen meine Züge das Andenken an die verstorbene lebhafter wieder auf. Sogar findet er eine Ähnlichkeit mit unsern Schriftzügen, denn Du mußt wissen, daß er mir Aufsätze, wie Schilderungen verschiedener Charaktere, Reisebeschreibungen u. d. m. aufgibt, in deutscher und französischer Sprache. Seine Zufriedenheit ist dann mein Lohn, daher ich mir rechte Mühe gebe. Auch liest er mir schöne Gedichte vor, hebt die schönsten Stellen darin recht hervor, um meinen Geschmack zu bilden. Ach, die Liebe – Freundschaft – wollt ich sagen, ist die beste Lehrerin. So muntert er auch meine Lust zum Gesang durch die Aufmerksamkeit, mit der er mich anhört, auf. Er hat selbst viel Talent und liebt mit Leidenschaft die Musik. Jetzt fülle ich überhaupt die Stunden viel nützlicher als sonst aus, wo ich die schönste Zeit des Tages vertrödelte. Morgens fünf Uhr, wenn er zum exerziren marschirt, lohnt ein freundlicher Gruß die Ueberwindung, mich des süßen Schlafs so zeitig entzogen zu haben. Oder wenn das Wetter trübe ist, eile ich auf den höchsten Boden um die Thöne des Waldhorns aus seinem Munde zu hören, denn gewöhnlich begrüßt er den Anbruch des Tages mit einem Choral, welcher sehr feierlich klingt und von seinem Lehrer secondirt wird. Diese Musik erhebt mich mehr zum Schöpfer, als der feierlichste Gottesdienst, ich muß unwillkürlich dann die Hände falten, das Knie beugen und zum Höchsten meine Bitten senden.

Liebes Lottchen, lache nicht über diese Schwärmerei, früher war ich nicht so fromm, ich bin durch den Umgang dieses trefflichen Vorbildes viel viel besser geworden. Jetzt erst sehe ich ein wie unwissend ich war, die Schuppen fallen mir von den Augen, und ein Licht, welches zu früh erloschen, geht jetzt in meinem Gehirn auf. Früher dachte ich nur an Tanz, Putz und Spiel, jetzt hat dies nur unter gewissen Bedingungen Werth für mich. Jetzt möchte ich mich den ganzen Tag für und mit ihm beschäftigen, die Stunden wo er nicht da ist, schleichen so langsam, als ob ein Hemmschuh den Lauf der Zeit hindert und wenn er zugegen ist, läuft sie mit Extrapost.

Doch vergieb mit Deiner langmütigen Geduld Deiner geschwätzigen Freundin. Ach könnt ich Dich nur einmal sprechen, ich habe Dir so viel zu sagen und weiß doch selbst nicht recht was. Ich habe ja alle meine Gedanken zu Papier gebracht, dennoch ist mein Herz so beklommen. Ich glaube fast ich bin krank, denn ich schlafe und esse nicht wie sonst und bin so sonderbar zerstreut! Sollte das vom vielen Studiren kommen, denn mein Sommerpalast ist zu einem Studirzimmer umgeschaffen, wo ich wie ein Bücherwurm mitten unter meinen Schriften sitze ...

Dein zerstreutes, aber nicht minder glückliches
Phinchen.

* * *

Cöthen, den 1ten Juny 1808.
Morgens 5 Uhr.

Nachdem ich den leichten Schlummer Arbeitsmüder Erschöpfung, von einem süßen Traum begleitet, ausgeschlafen, ziehe ich mit bewaffneter Hand zu Felde, dich zu einem Federkampf aufzufordern. Wie soll ich dieses Schweigen deuten! Vielleicht Eifersucht! Schon in deinem letzten Briefe fielen einige Spitzfindigkeiten, von neue Freunde, die sich dem Herzen eingeschlichen und die alte Freundin verdrängt hätten, vor.

Ach nein, liebe Lotte, das Gefühl für Albert ist anders, ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll. Ich habe viel Vertrauen zu ihm und kann Ihm doch nicht sagen, was ich empfinde, ich bin so wohl und doch beklommen in seiner Nähe, ist er nicht da, so sind meine Gedanken bei ihm.

Ich nehme ein Buch, will lesen, und ertappe meine Augen, daß sie nicht ins Buch, sondern nach der Kirchhofecke blicken, um die er biegen muß, um zu uns zu kommen. Ist er nun nah, so fühle ich es an die Doppelschläge meines Herzens, ohne Ihn zu sehen, sehe ich nun die liebe Gestalt, dann werde ich roth, verlegen, befangen und möchte entfliehen, bleibe aber dennoch.

Auch er ist zurückhaltend, nicht mehr so munter und unbefangen wie sonst! Ich glaube wir haben beide das Wechselfieber! –

Wärst du doch hier, liebe Lotte! Du warst stets mein treuester Wegweiser, jetzt ist mein Schridt so unsicher, ich bedarf eines Raths und weiß nicht an wen ich mich wenden soll, denn seine und meine Schwestern deuten unsern freundschaftlichen Umgang falsch.

Sie glauben Albert sei – – ach ich schäme mich es auszusprechen – – in mich verliebt.

Anfangs wurde ich von ihnen geneckt, seine Schwester Minette nannte mich eine Herzensdiebin, da ich Ihrem Bruder Kopf und Herz geraubt, sagte mir, nachdem er mich zum ersten mal gesehen, hätte er beim weggehen geäußert »Die Eine oder Keine.« Jetzt nun werde ich verspottet, verhöhnt, ja sogar verläumdet und verklatscht. Denn die Schwestern wünschen ihn mit einem reichen Frl. von Bieren zu verheirathen, die sich sehr für ihn interessiren soll. Daß dies unedle Betragen eine schroffe Scheidewand zwischen uns zieht und mich mit mir selbst entzweit, ist natürlich, jedoch fühle ich mich je weiter ich mich von ihm entferne jemehr zu ihm hingezogen, denn er bleibt sich stets gleich, beweist mir seine Aufmerksamkeiten, wo sich ihm Gelegenheit zeigt und wird mir täglich lieber. Auch lasse ich alle Schmähungen über mich ergehen, denn ich leide ja diese kleinen Kränkungen seinetwegen, und ist er mit mir zufrieden, so kümmert mich die Mißgunst seiner Schwestern nicht ... Ach, Lottchen, wo ist meine fröhliche Stimmung geblieben! Verläumdungen und Zweifel peinigen mich und dennoch bin ich oft so glücklich wie früher nie. Löse mir diesen Widerspruch, beneide und bemitleide

Deine Philippine.

* * *

Cöthen, den 26ten Juny 1808.

Sei tausendmal an dies glückliche Herz gedrückt, meine teuerste Lotte. Wie hat sich Alles um mich verändert, der Himmel hat sich mir aufgethan, ich bin zu glücklich. Alle Zweifel sind gelößt, denn ich liebe und werde geliebt! – Ach, in diesen Worten liegt ja Seligkeit! Ich muß Dir alles schreiben, um einen Ableiter meiner Gefühle zu haben. Doch nein, es läßt sich nur empfinden, nicht in Worte einkleiden!! Das Betragen unserer Schwestern brachte unsere Empfindungen immer näher, gegenseitige Mitteilungen und Klagen über ihre unfreundliche Behandlung gab unseren Gedanken Worte.

Er hatte aus Pflichtgefühl bisher geschwiegen und mich vermeiden wollen, doch die Zweifel an meiner Gegenliebe haben ihn fast getödtet, er hat nur Gewißheit haben, dann sich auf immer von mir trennen wollen. O laß mich immer ein wenig stolz darauf sein das edelste beste tugendhafteste Herz zu besitzen. Du glaubst es nicht wie gut er ist, wie herrlich seine Grundsätze sind! er ist in Allem so reich begabt! – – –

Gestern, Theuerste, wo ich der Welt geboren wurde und mein 18. Wiegenfest feierte, hat er sich mir erklärt, und ich habe dadurch ein neues glücklicheres Dasein begonnen, denn mir scheint die ganze Schöpfung verherrlicht. Ich unerfahrene Thörin hielt lange das für Freundschaft, was der höchste Grad von Liebe war. O Lottchen, wärst du Zeuge meines Glücks! der ganzen Welt möchte ich es verkünden und dennoch muß ich schweigen, da Niemand um unsere Liebe wissen darf ...

Jetzt wacht gewiß, außer dem Höchsten dieses Städtchens, dem Thurmwächter – – und mir glücklichsten der Sterblichen, keiner im Oertchen, doch ich suche vergeblich Ruh, mein Gemüth ist zu sehr aufgeregt. Dennoch möchte mein nächtliches Schreiben auffallen, denn die Mitternachts-Glocke hat längst ausgethönt. So will ich denn versuchen, von ihm und dir zu träumen, denn Liebe und Freundschaft sind nah verbunden.

Deine unaussprechlich glückliche
Philippine.

* * *

Cöthen, den 2. August 1808.

... Meiner Cousine Minette, Minette von Wedell, Schwester von Albert und Karl, Hofdame in Köthen, verlobt mit Herrn Hans von Werder auf Petkau. die selbst Braut, scheint unsere Neigung zu bemerken und ihr nicht mehr entgegen zu sein, denn sie giebt uns öfter Gelegenheit uns allein zu sprechen. Wenn es möglich wär, so würde er mir täglich lieber, denn ich entdecke täglich mehr schätzenswerthe Eigenschaften an ihm. Durch seine witzigen Bemerkungen unterhält er oft eine ganze Gesellschaft, dabei ist er voll wohlwollender Gutmüthigkeit. Selbst sein bescheidenes zurückhaltendes Betragen gegen mich, macht ihn mir schätzenswerth. Denn Du weißt, wie sehr mir süße Zudringlichkeit und läppische Complimente verhaßt sind. Denn die Liebe besteht ja nicht in zärtliches Verschmachten und sich wie Roman Helden das Lebenslicht ausblasen wollen, ach nein, diese Art ist zu theatralisch, ich liebe das Natürliche, und sein ungekünsteltes Bekenntniß, daß ich seine erste Liebe bin und ewig bleiben werde hat mehr Werth für mich als tausend schöngewählte sentimentale Worte ...

Seine Ansichten über die Zukunft und der Glaube an Verbindung getrennter Seelen steht so fest bei ihm, daß wenn ich je in diesem Punkt wankend gewesen, er mich überzeugt hatte. Er spricht gern über diesen Gegenstand, so wenig ernst er auch sonst ist. – – – – –

Ueberhaupt giebt er meinen Gedanken oft Worte, denn er spricht so ganz aus meiner Seele; wenn wir gleich zuweilen verschiedener Meinung sind so sucht er sein, ich mein Recht zu verfechten und diese kleinen Abwechslungen geben immer neuen Stoff zur Unterhaltung, so daß mir nie wortarm sind und mir uns immer mehr zu sagen haben als es der schnelle Flug der Zeit erlaubt. Um vieles würde mein Glück noch erhöht, wenn Du dies liebe Ideal kenntest! Doch nein, da unsre Gesinnungen sich stets gleich sind, möchte sich dies auch auf unsern Geschmack übertragen und ich das Opfer davon sein, denn überleben würde dies Deine Philippine nicht.– –

* * *

Den 10. Oktober 1808.

Ich sehe mich von Widerwärtigkeiten ereilt, ehe ich noch einen deutlichen Begriff von des Lebens und der Liebe Schattenseite hatte! Meine theuerste Lotte! Das betrübteste was Liebende treffen kann ist – Trennung – diese steht uns, mit bebender Hand schreibe ich es, bevor. Schon war ich entschlossen mich aus kindlichem Gehorsam gegen meine Eltern, die mißbilligend unsre Neigung bemerkten, von meinem Albert zu trennen, einen Zufluchtsort bei Dir, liebes Lottchen, zu suchen und Trost in den Armen der Freundschaft zu finden. Aber Albert war außer sich über diese Absicht, gab mir sein Ehrenwort, daß wenn ich mich entferne, er nicht 24 Stunden bliebe und mir nachfolge und wenn es ans Ende der Welt wäre. Nie hörte ich diese leidenschaftliche Sprache aus seinem Munde und doch sprach sich in jedem Wort seine Liebe aus. Jedoch in eine Trennung wollte er nicht willigen. Er versprach mich zu meiden, wenn ich es aus Pflichtgefühl gegen meine Eltern wünsche. Wir wurden bei dieser lebhaften Unterredung von der geheimen Polizei (seiner Schwester) belauscht und mußten sie abbrechen. – Eine Wedell war mit ihrem Bruder Karl mehrere Wochen auf ihren Guth Kriegsdorf, jetzt, nun sie zurück, haben wir eine scharfe Beobachterin mehr. Albert liebt diesen Bruder unbeschreiblich und hat nichts vor ihm verborgen, er ist still, fast tiefsinnig und scheint auch eine heimliche Qual zu bekämpfen, daher er uns wenigstens innigst bemitleidet und höchst theilnehmend und gütig gegen uns ist.

Die Augen fallen mir zu. Schlafe Du besser und ruhiger als

Deine Philippine.

* * *

Cöthen den –ten–

Dieser Brief folgt seinen Vorgänger recht schnell nach, beste Lotte! und doch liegt in diesen kurzen Zeitraum eine Ewigkeit für mich. Die Freude des Wiedersehns nach einer Trennung weniger Tage war Verräther unserer Gefühle geworden; ein schweres Gewitter zog sich über uns zusammen, dessen Schläge nicht kalt an uns vorüberzogen. Bittere Stichelreden von Seiten der Schwestern und sanfte Vorwürfe meines Vaters, die das Innerste meiner Seele trafen, trübten meine ganze Zufriedenheit.

Man ließ es meinen Albert empfinden, daß er kein willkommener Gast in unserm Hause mehr war, er vermied es daher, und wir sahen uns nur noch beobachtet und unter Zwang. Wenn er sich mir nährte war mein Betragen abgemessen und kalt, keine zusammenhängende Unterredung kam mehr in Gang. Das Mienenspiel unserer Blicke war nur schwacher Ersatz, es entstanden einige Spaltungen, ich nahm ihn in meiner verbitterten Stimmung manches übel. Es stand eine Maskerade bevor, wo mir aber nicht bewilligt wurde in einer Tyroler Quadrille seine Tänzerin zu sein. Er war gekränkt, niedergeschlagen und hat beim Herzog angehalten nach Roßlau versetzt zu werden, was ihm abgeschlagen ist – Was ich dabei leide, weiß Gott im Himmel allein! ...

* * *

Cöthen den 7ten Januar 1809.

Wie unbeständig ist das Glück und wie sehr bin ich dem launenhaften Schicksal unterworfen, welches mich vom höchsten Gipfel des Erdenglücks in den tiefsten Abgrund wirft ... Nun sind alle schönen Hoffnungen begraben, denn denk nur, Lottchen, meine Hand ist einem andern bestimmt, Einem Grafen Siersdorf (Siersstorpff), der aber von seiner Werbung zurücktrat. ich soll auf ewig meinem Albert entsagen!! Kannst Du Dir jetzt den Umfang meines Kummers denken? – – – – Ich fühle mich heute zu sehr angegriffen, um weiter zu schreiben, die Hand zittert mir, und meine Gedanken verlassen mich!! – – –

* * *

Den 16. Februar 1809.

In der zufriedensten Stimmung eile ich dir zu sagen, daß ich wieder mit meinem Albert vereint, folglich sehr glücklich bin... Alberts Aufnahme in unsern Hause war anfangs sehr steif und kalt, doch unsre stille Freude uns wieder zu sehen so groß, daß wir alle Nebenumstände übersahn und nur Glück empfanden. Wir fühlen und gestehen es uns täglich, daß wir nicht einen Tag ohne einander leben können. Man nehme mir Alles nur seine Liebe nicht. Ich habe mich auch jetzt mit Philosophie bewaffnet, trage das Unvermeidliche, thue nichts Unrechts, suche aus Liebe alle Untugenden abzulegen, denn je besser ich werde, je ähnlicher werde ich seiner schönen Seele. Wie arm bist Du an Freuden, gute Lottine, so lange Du nicht die Liebe kennst, weder Kummer, Leiden noch Sorgen vermögen dieses himmlische Gefühl auszurotten, verliebe Dich bald, liebe Alte, um so glücklich zu werden wie

Dein Philippinchen.

* * *

Mittwoch den 29ten März.

Mit zitternder Hand und der tiefsten Wehmuth im Herzen füge ich noch einige Zeilen zu meinem, gestern schon geendeten Brief hinzu. Das Misgeschick scheint wieder seine üble Laune an uns auslassen zu wollen, denn mein Albert hat seinen Abschied genommen und verläßt schon morgen Cöthen. Albert von Wedell hatte einen Günstling des Herzogs infolge eines Streits zum Zweikampf gefordert. Der Herzog stellte sich in dieser Angelegenheit auf die Seite des Geforderten, und Wedell erbat sich seinen Abschied, um in preußischen Dienst zu treten. Das Eintreffen des Schillschen Korps änderte seinen Entschluß. – – – Vergieb, ich kann nicht weiter schreiben die Thränen verwischen meine Schriftzüge.

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Cöthen den 16. Mai 1809.

... Seit 3 Wochen war ich sehr krank an der reißenden Gicht im Kopf. Mein theuerer Vater litt so unbeschreiblich an diesem Kopfübel, daß ich Gott anflehte, mir doch an seiner Stelle diese Schmerzen zu übertragen, da ich sie geduldig tragen wollte, wenn ich meinen Vater davon befreit wüßte, denn was sind Körperschmerzen, gegen die der Seele. – – – Meine Bitte wurde bald erhört. Doch bei meinem Vater, bei dem die Gicht zu schnell vertrieben schien, stellte sich eine tödtliche Krankheit ein, die ihn dem Rand des Grabes zuführte. Am 3. Mai, dem Geburtstag des theuren Patienten, wurde er uns aufs Neue vom Himmel geschenkt, denn die Nacht erklärten ihn die Ärzte für gerettet... Am 3. Mai wurde nicht allein des theueren Kranken Geburtstag und Genesung, sondern auch die Ankunft des Schillschen Corps gefeiert. Viele Heldensöhne stehen mit an der Spitze dieses tapfern Unternehmens. Sie wollen in Vereinigung mit mehreren Frei Corps das unterjochte Vaterland erretten. Auch meine theuern Wedells und ihr Freund Zaremba sind entschlossen sich diesem Kriegszuge anzuschließen. Der Onkel Griesheim hatte Alberten eine vortheilhafte Anstellung in einem Husarenregiment bewirkt, doch er kann sich nicht entschließen, sich von seinem Bruder zu trennen, wird daher als heldenmütiger Patriot mit zum Kampfe ziehen, das Vaterland aus den Händen der Tyrannen zu befreien. Möchte ihr Unternehmen den glücklichsten Erfolg haben! – So kommen noch zu meinen vielen Sorgen und körperlichen Leiden die Angst um meines Alberts Leben. O, könnt ich ihn unsichtbar umschweben, ihn warnen wenn er tollkühn sein Leben auf das Spiel setzt oder ihn als barmherzige Schwester pflegen wenn er krank oder verwundet wird. Gern wollte ich alle Beschwerden, Gefahren und Mangel mit ihm theilen, könnt ich nur unerkannt bei ihm sein, ach, und mit ihm sterben wär ein beneidenswerthes Loos!! – – – – –

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Cöthen den 8. Juny 1809.

Eben, Mittwoch, traff die trostlose Nachricht hier ein, von der Niederlage des Schill'schen Corps. Den 31. Mai ist in Stralsund ein Gefecht gewesen, wo der tapfere Schill an der Spitze von einigen hundert Helden, gleich einem Leonidas, bedeckt mit tausend Wunden, sein Leben gelassen hat. Meine Angst um das Schicksal meiner theuern Wedells läßt sich nicht beschreiben, als ein Brief mit einigen flüchtigen Zeilen von M. von Rohr uns meldet, daß sie wie Verzweifelte gefochten, dennoch der ungeheuren Uebermacht hätten weichen müssen, entwaffnet worden, und Kriegsgefangene wären. Das Unternehmen des braven Schill schien von der Vorsehung nicht unterstützt zu sein, denn alle damit verwebten Unternehmungen sind mißglückt. In Cassel, das vom Obrist von Dörenberg Oberst von Dörnberg machte gegen König Jérome einen verunglückten Aufstandsversuch, flüchtete nach Böhmen und trat dann in das Korps des Herzogs von Oehls durch Verrath entdeckt, die Vereinigung mit dem Herzog von Oehls durch Umstände verspädtet, die Waffen und Gelder der Engländer ausgeblieben; sodaß er, zu schwach dieses kühne Werk allein zu verfechten, seinen Untergang fand. Friede sei mit des tapfern Helden Asche! So hat denn abermals die Hoffnung ihre beste Kunde an mir verloren. Jedoch will ich nicht murren, denn mein Albert ist ja da, wo so viele ihr Ende fanden, gerettet...

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Cöthen, den 26ten Juny 1809.

O, wär ich jetzt bei Dir, mein Lottchen, wie glücklich würde ich sein, vereint mit Dir und meinem Albert. Denn er ist in Deiner Nähe in Braunschweig! Meine Schwester Röder Karoline, Gattin des Freiherrn Philipp Roeder von Diersburg, Hauptmann im Braunschweigischen Infanterie-Regiment von Griesheim. schreibt, daß die Kriegsgefangenen viele Freiheit hätten und sehr gut behandelt würden!... Roeder und mehrere andere haben die beiden Brüder zur Flucht bereden und behülflich sein wollen, da man doch einen übeln Ausgang befürchtet. Jedoch Wedell's haben diesen Vorschlag nicht annehmen wollen, da sie 9 Kamaradten zurücklassen müßten, denen man ihre Flucht entgelten lassen und sie Mishandlungen aussetzen würde, auch hätten sie sich durch einen Schwur verbindlich gemacht, sich nicht einzeln durch Flucht zu trennen, dies nur anzunehmen, wenn sie zusammen dazu Gelegenheit fänden. – – – Sie werden hoffentlich nach einer französischen Festung transportirt! Vergebens such ich mir dies einzureden, da man auch schon Beispiele hat, daß die Kriegsgefangenen zur Galeeren Sklaverei verdammt worden sind. O, weg mit diesen greßlichen Gedanken, sie zerrütten mein Gehirn! – – –

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Cöthen, den 1ten Octobre.

... Unruhe erfüllt mich, dunkle Ahnungen Am 16. September waren KarI und Albert von Wedell in Wesel erschossen worden. zerreißen mein leidendes Gemüth. Ich sehe wachend und träumend schwarze Bilder und Todesgestalten vor Augen, oft höre ich deutlich von seiner Stimme meinen Nahmen rufen. – – Welch ein greßliches Vorgefühl zerschneidet wie ein Dolchstich meine Seele! – – –

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Cöthen, Decembre 1809.

Ein Zwischenraum von drei schmerzhaften Monaten liegt zwischen uns, liebe Lotte, in denen ich in gefühlloser Geistesabspannung oft die Feder ergriff, Dir mein tiefes Leid zu klagen! Du allein weißt was ich verlohren, Du allein kannst meinen gerechten Schmerz abmessen!! Warum mußte ich aus den langen Schlaf zur Erinnerung erwachen! Ach, vernichtet ist mein Dasein, ein offenes Grab ist meine Zukunft, der Kirchhof meine Heimath. Gott wie wird mir – – – –

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Einen Tag später.

Eine willkommene Ohnmacht raubte mir einen Augenblick meine zerrütteten Sinne und gab mich der glücklichen Vergessenheit hin! Mit dem traurigen Bewußtsein kehrt auch das meines Unglücks, mit zermalmender Gewalt wieder ein! – – – –

O, warum gab mir die greßliche Nachricht nicht augenblicklich den Todesstoß, warum mußte ich die fürchterlichen Worte, die mein Ohr noch immer durchschneiden »Dein Albert ist nicht mehr, das Urtheil ward über ihn gesprochen, sein Loos war der Tod" überleben!!

Vernichtet sank ich bewußtlos zusammen; mehrere Tage soll ich in diesem Zustand gewesen sein, als mir die bittende Stimme meines kranken Vaters die Besinnung wieder gab und ich zu einem fürchterlichen Dasein erwachte!! ...

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Cöthen, den 28ten Décembre 1809.

Der Arzt verordnet Luftveränderung und Trebnitz ward zu meinem Aufenthaltsort bestimmt. Mein guter Vater glaubt, daß Veränderung der Gegenstände wohlthätig auf meine kranke Seele wirken wird und zu seiner Beruhigung nehme ich jeden Vorschlag an. Doch mein heilbringendster Arzt ist mein Vater selbst, nur fürchte ich, daß er seine eigene Gesundheit durch seine Theilnahme aufreibt, darum reise ich lieber. – Er spricht oft mit dem rührendsten Antheil von meinen lieben Verschiedenen. Wie sie noch, bevor die tödtliche Kugel ihre Brust durchbohrt ein lautes Vaterunser gebetet – wie Albert, mit unverbundenen Augen seine Brust entblößt und mit dem Ausruf »es lebe der König" gefallen ist.

Vier und zwanzig Stunden zuvor ist ihnen ihr Todesurtheil vorgelesen worden, welches sie im Bewußtsein ihrer Unschuld, mit Fassung angehört. Die wenige Stunden, die ihnen noch vergönnt waren zu leben, haben sie noch mit Abschiedsbriefen ausgefüllt. Albert schreibt meinem Vater einige sehr schöne Worte, in denen er für alle Liebe und Güte, die er ihm stets bewiesen dankt und um Vergebung anfleht für den Kummer, den er ihm nicht aus böser Absicht zugefügt, er tröstet die Seinigen, findet sein Loos beneidenswerth und ist stolz darauf als Opfer für sein Vaterland zu fallen, er fühlt sich erhaben über sein unverdientes Geschick, und bedauert den verblendeten Tyrann, der dies verschuldet. – Eine Stunde vor Alberts Tod hat die französische Bosheit noch ein Mittel ersonnen die Festigkeit seines Sinnes schwankend zu machen. Ein französischer Offizier vom Gouverneur gesandt, hat ihm seine Freilassung verkündet, da es wider die Gesetze stritte einen jungen Mann, der noch nicht sein 20tes Jahr erreicht, zu erschießen, – doch nur unter der Bedingung, daß er den französischen Kaiser den Eid der Treue leistete und in dessen Dienste trete, verächtlich hat Albert diesen Vorschlag abgewiesen und dem Abgesandten versichert, daß der martervollste Tod, einem Ehrlosen Dasein vorzuziehen sei, und er lieber unschuldig aus der Welt ginge, wie als Meineidiger auf der Erde bliebe. – Wie veredelt diese Denkungsart noch das Andenken meines unvergeßlichen Alberts, allerdings konnte er ruhig dem Tod entgegengehn, denn nie ist vielleicht unschuldigeres Blut geflossen! Ach, und dennoch gehört viel Religion dazu, um in der Blüthe der Jugendkraft sein Dasein abgekürzt zu sehen. –

Deine Philippine.

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Cöthen, den 26. Juny 1810.

... Gestern war mein Geburtstag! Ach, welch ein Unterschied zwischen damals und jetzt! In der Laube von duftenden Rosen, wo wir sonst, am lauen Sommerabend Luftschlösser für die Zukunft entwarfen, sitz ich allein! Am Clavier, wo wir zweistimmige Lieder sangen, sing ich allein! Die Canarienhecke, wozu Albert mir den Stammvater geschenkt, die uns zusammen gehörte, die wir zusammen pflegten und ihr Nahrung gaben, pfleg ich jetzt allein und habe keine Freude mehr daran! – – Ach überall bin ich jetzt allein, wo ich einst so glücklich mit ihm war. In der Einsamkeit suche ich mir sein Bild lebhaft zu vergegenwärtigen, dann ist mir, als umschwebt mich sein Geist, er ist mir auf Augenblicke wiedergegeben, ich fühle seine Nähe! – Doch wenn ich aus meinen Glücksträumen erwache und es mir klar wird, daß es nur ein Schattenglück war, dann bin ich in einer verzweiflungsvollen Stimmung und suche an der Ruhestätte unserer Väter – deren Grabeshügel nach dem Wunsche meines Vaters – dicht aneinander stoßen, Trost in den Gedanken, daß auch ich bald einen Platz an ihrer Seite finden werde, denn mein Glücksstern ist untergegangen, nie geht für mich die Sonne wieder auf.

Deine Philippine.


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