Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Rahel Varnhagen

... »Es erschien eine leichte, graziöse Gestalt, klein aber kräftig von Wuchs, von zarten und vollen Gliedern, Fuß und Hand auffallend klein; das Antlitz, von reichem, schwarzem Haar umflossen, verkündigte geistiges Übergewicht, die schnellen und doch festen dunkeln Blicke ließen zweifeln, ob sie mehr gäben oder aufnähmen, ein leidender Ausdruck lieh den klaren Gesichtszügen eine sanfte Anmuth. Sie bewegte sich in dunkler Kleidung fast schattenartig, aber frei und sicher, und ihre Begrüßung war so bequem als gütig. Was mich aber am überraschendsten traf, war die klangvolle weiche, aus der innersten Seele herauftönende Stimme, und das wunderbarste Sprechen, das mir noch vorgekommen war ...«

So schildert Varnhagen von Ense 1803 in seinen »Denkwürdigkeiten« die Person der Rahel Levin, die damals in ihrem vierunddreißigsten Lebensjahre stand. Es muß ein eigenartiger Zauber von ihr ausgegangen sein, der alle Geistesheroen ihrer Zeit zu ihr zwang, der ihr, der wenig bemittelten Tochter aus jüdischer Familie, lange vor der Emanzipation die vornehmsten Zirkel öffnete und der einen Prinzen Louis Ferdinand, einen Goethe in ihr Haus führte. Einen Teil des Zaubers finden wir in ihren Briefen wieder, deren es Legion gibt, denn, gänzlich eine Tochter ihrer Zeit, ergoß sie jedes Gefühl, jeden Gedanken, jedes Erlebnis in Briefe an ihre Freunde. Selbst hochgemut, ohne tollkühn zusein, voll werktätiger Menschenliebe und energischem Organisationstalent, wenn es galt, den Opfern des Krieges oder unverschuldet ins Unglück gekommenen Nebenmenschen zu helfen, hat sie – ein merkwürdiges Beispiel der Seelenergänzungstheorie – ihr großes und heißes Herz dreimal an Schwächlinge, an Männer ohne festen Charakter verschenkt; alle drei waren wesentlich jünger, als sie selbst. Ihre erste und größte Leidenschaft galt dem jungen Grafen Karl von Finckenstein, dessen blonde Siegfriedserscheinung und tiefe musikalische Empfindung sie entzückte. Er erwiderte ihre Liebe, war aber nicht fähig, seiner adelsstolzen Familie gegenüber eine Heirat durchzusetzen. Er legte schließlich die Entscheidung in Rahels Hände; sie verschmähte es aber, irgendwelchen Zwang auszuüben. Vier Jahre lang zog sich das unselige Verhältnis hin, dann erst erkannte Rahel die ganze Dürftigkeit seiner Natur und machte sich frei. Sie reiste mit ihrer Freundin, der Gräfin Schlabrendorff, auf einige Zeit nach Paris und kehrte ruhiger zurück. »Ich bin ohne Freund, und beinah ohne Herz«, schreibt sie 1802 an den jungen Veit, ihren Jugendfreund. Kurz darauf lernte sie in einem jungen Spanier, Don Raphael d'Urquijo, den Mann kennen, der unter glänzenden Formen eine völlige innere Roheit verbarg und dessen Temperament die »femme de trente ans« durch ihre sinnliche Veranlagung zu seiner Sklavin machte. Er ersparte ihr keine Demütigung; er riß sie aus Eifersucht aus ihrem großen, anregenden Kreise und zwang sie, ihm ganz allein zu leben. Er quälte sie in jeder erdenklichen Weise nach dem Grundsatz »Je t'aime, mais je ne t'estime pas«, und trotzdem konnte sie sich von ihm nicht frei machen, bis es 1804 zum völligen Bruch kam. Um jene Zeit lernte Varnhagen sie kennen und auf dieses Abenteuer spielt er an, wenn er sagt: »Man hatte mir von einer grade jetzt waltenden Leidenschaft gesprochen, die, nach den Erzählungen, an Größe und Erhebung und Unglück alles von Dichtern Besungene übertraf ...«

Rahel mußte den Kelch bis auf den Grund leeren: widrige Geldverhältnisse beraubten sie in den kommenden Jahren ihrer Mittel und brachten sie in peinlichste Abhängigkeit von den Ihren; Krankheit und Vereinsamung umgaben die einst Gefeierte, in deren »Salon« die Ersten ihrer Zeit ein- und ausgegangen waren. 1808 trat Varnhagen wieder in Verkehr mit ihr. Er selbst, der noch an den Folgen seiner Neigung zu Frau Fanny Herz, der schönen Mutter seiner Hamburger Zöglinge, litt, wirkte in seiner weichen Jugendlichkeit wie Balsam auf ihr schmerzendes, vereinsamtes Herz. Trotzdem war gerade der Anfang ihres Liebesbundes nicht ohne Stürme. Die unendliche Verschiedenheit der beiden an Charakter, Bildung, Alter, Herkunft mußte erst durch die Zeit ausgeglichen werden. Sieben Jahre dauerte der sonderbare Brautstand, bis Rahel dem durch mancherlei Erlebnisse zum Manne gereiften Freunde die Hand vor dem Altare reichte. Die Ehe muß – selbst wenn man die vergötternden Übertreibungen jener Zeit in Abzug bringt – trotz aller Unterschiede eine sehr glückliche gewesen sein. Freilich gab Rahel ebensowenig ihre persönliche wie ihre geistige Freiheit auf. Varnhagen war so klug, beides nie anzutasten. Er ist zeitlebens der Nehmende, sie die Gebende geblieben. Einzelnen Briefen an ihn während der Wartejahre, wie auch während des Ehestandes stelle ich als Kontrast-Auszüge Einiges aus der Korrespondenz der jungen Rahel mit David Veit, dem früh verstorbenen geistreichen Arzte, entgegen. Zwischen beiden liegen die eigentlichen Entwicklungsjahre des Weibes.

Rahel steht einzig in der Geschichte ihrer Zeit da. Ohne selbst produktiv zu sein – und darin unterscheidet sie sich von einer Madame de Staël, einer Johanna Schopenhauer u. a. – wirkte sie eminent befruchtend auf viele produktiven Denker und Dichter ein. Obwohl sie ihr Leben lang mehr mit dem Herzen folgerte als mit dem abstrakten Verstand, hätte sie einem Fichte, einem Schelling, einem Humboldt, großen Staatsmännern wie Gentz, dem Fürsten von Ligne, dem Prinzen Louis Ferdinand eine ebenbürtige Gefährtin sein können. Beethoven hat ihr vorgespielt, Heine ihr Sonette gewidmet, alte Haudegen haben ihr Paß- und Bewegungsfreiheit verschafft, wenn sie in stürmischen Zeiten Lazarette einrichtete und um Hemden und Wein bettelnd von Haus zu Haus zog. Was bereitete sie auf solche Vielseitigkeit, auf solche Verschwendung im Geben ihrer Geistes- und Herzensschätze vor? Sie war 1771 als ewig kränkelndes, wenig glückliches Kind des Levin Markus geboren und in der doppelten Enge eines kleinbürgerlichen und jüdischen Haushalts aufgewachsen. Ihre Bildung war höchst lückenhaft. Ihren jüngeren Geschwistern, drei Brüdern, die später den Namen Robert annahmen und deren Nachkommen dann den Namen Robert-tornow führten – sie selbst nannte sich nach des Vaters Tode ebenfalls Rahel Robert – und einer Schwester brachte sie eine fanatische Zuneigung entgegen. Ohne Varnhagen zu glauben, der die Brüder gelegentlich mit einer Auswahl von Schimpfworten belegt, scheint es uns doch nicht, daß diese Zuneigung sonderlich herzlich erwidert wurde. Besonders im Punkte der jährlichen Einkünfte wie der Bevormundung hat sie viel Ärger gehabt. David Veit war vielleicht der erste, der die herangewachsene Rahel auf gewisse Mängel ihrer Bildung hinwies und sie zur Selbsterziehung anhielt. So moniert er des öfteren ihre Orthographie, besonders im Französischen. Wir können ihren zahlreichen Briefen nur entnehmen, daß sie mit ihrer Zeit mitgegangen ist und wie der große Mendelssohn »autodidaktisch nachdenkend« war. Auf Spuren klassischer Bildung, umfassenderer Kenntnisse auf den Gebieten der Geschichte oder Literatur stoßen wir nicht. Der helle Leitstern ihres Lebens ist Goethe, von dem sie sich, aus dem dunklen Gefühl heraus, daß Nähe die Großen verkleinert, persönlich stets fern hielt. Nur zwei- oder dreimal ist sie mit ihrem Idol zusammengetroffen. Das eine Mal hat Goethe sie besucht und da hat sich die bekannte rührende Szene abgespielt, daß Rahel, um »Ihn« nicht warten zu lassen, im Negligé mit unförmlichem Wattrock vor ihn trat: ein Heroismus weiblicher Eitelkeit, der ihr später bittres Leid verursachte. Alles maß sie an Goethe und befand gar vieles zu leicht, was nur andersartig war. Ihren Freunden gab sie stets mit übervollen Händen; sie stützte die Schwachen, Schwankenden, sie schärfte den Geist der Energischen an dem ihren. Das ist alles viel, doch es erklärt ihre Ausnahmestellung noch nicht. Wohl aber dies: sie war die erste große Patriotin, die das Judentum hervorgebracht hat. Hatte Moses Mendelssohn wenige Dezennien vorher den Juden deutsche Bildung erschlossen, so erschloß sie ihnen den Gedanken des Vaterlandes. Sie fühlte sich als Deutsche, sie hing selbst an dem armen, zerstückelten, mißhandelten Deutschland nach Jena mit glühender Liebe. Anfeuernd und begeisternd flogen ihre Briefe in alle Welt, als 1813 das Volk aufstand. Ihre Zeilen an Varnhagen, der als Husar im Felde stand, sind ein einziger Schrei der Ermutigung. Ich brauche nicht zu erwähnen, daß die Juden ihrer Zeit ihr dies weniger dankten als die Aristokraten, in deren Kreisen sie sich heimisch gemacht hatte, lange ehe sie als Varnhagens Gattin die Taufe empfing. In ihren vaterländischen Bestrebungen standen ihre Brüder übrigens auf gleichem Boden mit ihr und haben während der Zeit tiefster Not doch immer noch ihr Schärflein für das Land übrig gehabt.

Das Gute, das Rahel andern getan, den Funken der Begeisterung, den sie in ihnen geschürt, die moralische Festigkeit, die sie ihnen gegeben hat, sind das einzige positive Ergebnis ihres Lebens gewesen.

Sie, die so viel von sich, von ihren Leiden, ihrem Selbst spricht, ist die vollendetste Altruistin gewesen. Die Spannkraft, die sie auf die Nebenmenschen übertrug, sei durch den blinden Despotismus ihres Vaters in ihr selbst auf ewig gebrochen worden, meint sie verschiedentlich, und Varnhagen meint es mit ihr.

Sie hat sie nie besessen.

Sie ist auch hierin ganz Weib gewesen: nur als ergänzende Hälfte einer andern Individualität ein Ganzes bilden zu können.

Portrait

Briefe von Rahel Varnhagen.

An Veit.

Berlin, Dienstag, den 2. April 1793.

Sie wissen doch sonst immer gern so genau was ich denke, und das ist auch ein Vergnügen zu wissen; wenn man Leute fände, die einem das sagten, dann könnte man klug werden. Ich will Ihnen aber diesmal über Ihren Brief alles so sagen, Sie sollen Ihre Freude dran haben. Ich fange mit einer gräßlichen Thorheit an, zeige Ihnen also mein Innerstes; ich habe nicht geglaubt, daß Goethe so subaltern antik (Sie sehen, ich weiß kein Wort) angezogen geht, denn ein Mensch, der alles weiß, weiß auch dies, und warum sollt' er sich nicht ein bischen apprivoisirter kleiden, noch dazu da er am Hof lebt, und in den neuesten Gesellschaften ist, das käme ganz natürlich von selbst, so wie ich jetzt glauben muß, er geht mit Bedacht anders, und das begreif' ich nicht ... Was Sie mir übrigens schreiben, ist mir gar nicht aufgefallen; die Leute machen einen immer irre, und wenn die einen nicht zurecht weisen wollten, wär' man schon längst klug. Natürlich hat man sich ihn ungefähr so denken müssen, und warum sollt' er anders sein? Wer hat ein größeres Privilegium zum Mies-sein, als er? Aber da kommen die gleich mit ihren Quersachen von Stolz und andrem Dummen, kurz, so dumm als sie selbst sind. Das ›zur linken Hand antrauen‹ versteh ich auch nicht; vielleicht hat die Person Christiane Vulpius. gewollt; und überhaupt versteh ich den Werth und die Wirkung dieser Zeremonie nicht. Ignorance, mais tout de bon. Ich hab' Ihnen so geglaubt, ganz erschrecklich; glauben Sie mir, ich hab' Ihnen die Mühe der ringsum abgehauenen Vorurtheile aller Art angelesen, und Sie haben so simpel nur erzählt, was da war, wie Goethe's Karneval. Das ist eine erschreckliche Mühe, ich weiß es, weil man da nur thut, was man schon gethan hat, was das einzige ist, was man thun muß; sehen, und ehe man vorurtheilt, und sich etwa verurtheilt; das muß ein jeder thun, und dies noch einmal zu thun, ist sehr ennuyant ... Wie können Sie aber nur so grausam sein, und mich ermahnen, ich sollte oder müßte das sehen; wissen Sie denn nicht, daß ich vergehe, ganz vergehe, wie etwas, das aufhört? Ist es einem ordentlichen Menschen möglich, Berlins Pflaster sich für die Welt ausgeben zu lassen? Dies abscheuliche windige Klima nur (seit vorgestern hat's zum erstenmale geregnet, und heut ist gut Wetter), und kann ein Frauenzimmer dafür, wenn es auch ein Mensch ist? Wenn meine Mutter gutmüthig und hart genug gewesen wäre, und sie hätte nur ahnden können, wie ich würde, so hätte sie mich bei meinem ersten Schrei in hiesigem Staub ersticken sollen. (Ein ohnmächtiges Wesen, dem es für nichts gerechnet wird, nun so zu Haus zu sitzen, und das Himmel und Erde, Menschen und Vieh wider sich hätte, wenn es weg wollte (und das Gedanken hat wie ein andrer Mensch), und richtig zu Haus bleiben muß, und das, wenn's mouvements macht, die merklich sind, Vorwürfe aller Art verschlucken muß, die man ihm mit raison macht; weil es wirklich nicht raison ist zu schüttlen; denn fallen die Gläser, die Spinnrocken, die Flore, die Nähzeuge weg, so haut alles ein ...

* * *

Berlin, d. 13. December 1793.

... Was mir Lessing's Lebensgeschichte Karl Gotthelf Lessing, G. E. Lessings Leben. Berlin 1793–95. für ausnehmendes Plaisir macht, sollten Sie nicht glauben, denn wer sollte sich einbilden, was meinen verrückten Kopf interessirt; wovon ich gar nichts weiß, – das kann mich nun so recht anspannen! so zu sehen, was für theologische Schriften es giebt; was manche Leute ihr ganzes Leben durch wollen, u. dgl. ist was prächtiges für mich. Ich bin auf dem achtzehnten Blatt. Sie können sich vorstellen, daß ich nicht ganz dem Biographen folge, weil ich keinem – unwitzigen, ich meine hier was Lessing oft unter Witz verstanden hat, mehr als den gewöhnlichen Witz, – Mann zutraue, Lessing immer schnell und präzis darzustellen und zu fassen; denn er sagt wirklich manchmal schreckliche Sachen, als zum Beispiel: ›Moses würde wohl nicht immer mit ihm gespielt haben‹; der Vergleich »der Adler fände in der Nähe der Sonne keine Nahrung«; ein anderer Vergleich mit dem Bergwerkswesen, Gold und Silber, und wer weiß was; und unzählige dergleichen un glaubliche Wässrigkeiten, die einem auch nicht ein Stückchen Idee übrig lassen, daß er irgend etwas gesund beurtheilen könnte, und die einem in dem Erstaunen nur noch unbegreiflicher machen, wieso er Gottlob! so gesund von Poesie spricht, was eine solche plötzliche und völlige Genesung anzeigt; mich dünkt's wenigstens so; denn ich glaube, es beweist nicht etwa völlige gesunde Kraft, sondern ein ordentliches langes exercice damit. Der Vater aber hat mich über alle Erwartung amüsirt, das ist ein prächtiger Mann; ich habe die Vorrede, die von ihm angeführt ist, nicht genug bewundern können, solche ganz richtigen Bemerkungen trotz seiner Vorurtheile zeigen keinen kleinen Verstand an, den er auch so grad und gesund hat, daß es eine Lust ist; mich dünkt, man kann die Dinge nicht klüger nehmen, wenn man die Zeiten so recht eingesogen hat, worin man mal lebt. Dabei fällt mir etwas ein, was ich Ihnen mittendrin sagen muß, und woran ich jetzt entsetzlich oft denke, daß man nämlich, und schlimmlich, weder über sein Zeitalter hinaus kann noch über sein Alter, Geschlecht, noch sogar – Stand, noch Temperament, (darunter versteh' ich nur wässeriges oder feuriges); darum sind das auch berühmte Männer, die das einigermaßen thun! das weiß ich. – Wie mich aber Lessing selbst amüsirt, können Sie sich denken! Den – sich den noch mal so recht zu vergegenwärtigen, und sich alles dabei zu wiederholen, was man jemals von ihm gehört und gelesen, ist das schrecklichste Vergnügen. Wie man aber dann zuletzt immer ernst wird, so hat's mir so recht leid gethan, wie die eigentlichen Menschen, um es zu werden, und weil sie es sind, mit Elend zu kämpfen haben, und das Schönste, was wir von ihnen kennen, eigentlich die Ausrufungen dabei sind, ich rechne so das Streben nach Kenntnissen, das Durchsuchen aller Dinge, den allgemeinen Drang, und all das Bessre und Schlechtere mit dazu; – so mitten raus stirbt man –, Andre rezensiren unsre Rezensionen, bestimmen wozu wir gehören, ersetzen unsre äußerliche Stelle, die wir für Mittel ansahen, die sich aber in förmlichster Form für den Zweck festsetzen.

– Wir sind uns mittendrin weggekommen, haben unser halbes Leben mit Aussuchen zugebracht, das Erwählte unter blutigem Kampf und Widersetzung nicht ausführen können, und fahren lassen müssen, waren endlich müde, – und gezwungen was andres zu thun, sind darin nicht weniger gestört worden, und müssen auch das halb und offen stehen lassen, weil gar der Tod kommt, – nun tadlen und beurtheilen erst die Andren! – O! heiliger Gott! und dabei ist's den letzten Tag nicht gleich, wie man hingekommen ist ›Ade was soll der Mensch verlangen‹; Goethe – lebt noch! Courage!

* * *

Den 17.

... Das Kind Hannchen, Tochter ihres Bruders Markus. wird nach und nach ein Mensch, und ist gesund. Im Anfang kamen mir bei jedem Blick darauf die Thränen in die Augen; jetzt hab' ich meine Parthie genommen, und betracht' es wie jedes Nachbars Kind; das ist noch immer sehr gut. Weil ein Kind das verehrungswürdigste Geschöpf bei mir ist, so werd' ich's mit seiner Erziehung und ganzen künftigen Leben machen. Sie wissen, daß ich mich zu halb und halb nicht stimmen kann, und die härteste Wahl ergreife, nur bald! Ungewißheit ist der eigentliche Tod, und nur in dem Betracht halt' ich das Sterben für etwas. Unser Bedienter ist ein ehrlicher, dienstwilliger, respektvoller, ziemlich unintelligenter und ungehobelter und uneleganter fellow; wär er gehobelt und elegant, so würd' er uns nicht respektiren, wäre kommoder und also nicht so dienstwillig, auch weil er nicht so viel Furcht hätte, und paßte in unser ganzes Haus nicht; dabei ist er wie alle dumme Dienstboten etwas taub; alle diese (Eigenschaften können wohl zur Ungeduld Anlaß geben, daher grunsen und schreien sie ihn genug an, wie man das auch füglich thun kann, wenn man nicht genug bedenkt, was ich hier schon angeführt habe, und daß für unser Haus ein eleganter noch weniger paßte, und die Fehler eines Tölpels zu ertragen sind, wenn man erwägt, wie schwer unter dem gebildeten Abschnitt Menschen solide Elegance zu finden ist, und welche Klasse dient. Der Ungeduldigste platzt also am öftersten raus, und das ist meine Schwägerin; ich halte ihm aber die Stange, mit Aufzählung der Gründe, die ich eben angeführt habe. Markus unterstützt mich, und es gelingt mir, weil meine Schwägerin hinwiederum sehr gelassen ist, und bald vernunftanhörig wird (besonders wenn sie keine Antworten hat), und wirklich sehr vernünftig ist. Mama besinnt sich auch geschwinde, und freut sich endlich noch mit ihren soliden Kindern, die nicht so auf das Flatterige sehen und mit Ehrlichkeit zufrieden sind. Den Kindern imponir' ich gar – mit allerhand – ich erklär' ihnen den Zustand der Dienstboten, wie sie es alle Tage werden können, wie die gar nichts wissen und gelernt haben, und wie unschicklich es ist jemandes Verdruß zu aggraviren; und lasse es mich nicht verdrießen, sie sogar sehr zu beschämen, wenn's drauf ankommt. So steht er denn fest bei uns, und wird wirklich immer besser.

* * *

Berlin, den 16. Oktober 1794.

... Unter meinen » Ruf angehen« verstehen Sie doch, wenn einer von sich oder von Andern erzählte, er hätte faveurs von mir erhalten, um die man kniet, oder, noch schlimmer, ich hätte vergeblich gekniet: Sie werden sich wundren, wenn Sie hören werden wie ich darüber denke. Aus Fakta mach' ich mir gar nichts; denn, sie seien entweder wahr oder nicht, so kann man sie abläugnen; hab' ich also was gethan, so that ich's, weil ich's wollte; und will's mir einer übel nehmen, so vertheidige ich's nicht lange, und streit' es ab, hab' ich's nicht gethan, und es will mir's doch einer übel nehmen, oder mich belügen, so bleibt mir wieder nichts als »Nein«, und ich sag's auch. Aber meinen Karakter will ich verteidigen, und gegen die Beschuldigung andrer schlechten Streiche, an Menschen, und so was, wo man mir was beweisen muß, wenn man mich anklagen will; aber keine Scene unter vier Augen; wenn Sie von einer solchen hören, so bin ich zufrieden, wenn Sie sagen: »Ich glaub' es nicht, es ist nicht wahr.« Andre Sachen muß man Ihnen beweisen, und da müssen Sie streiten, wie ich selbst thun würde, und besser: denn ofte, ofte, ofte, streit' ich nicht, und laß mir nichts beweisen! Ich bin mit ein paar Menschen zufrieden. Confessions de J. J. Rahel. ...

* * *

Berlin, d. 31. Oktober 1794.

... Ich weiß ordentlich nicht, was ich Ihnen schreiben soll: oder vielmehr, nicht wie, und mit was ich anfangen soll. Wenn Sie alles das hätten, was mir seit Ihrem Goethe-Brief und dem, den ich vorgestern erhielt, in dem Kopf wie Wolken hin und her gezogen ist, so hätten Sie einen artigen Brief mit wirklich manchen Gedanken. Jetzt aber scheint mir jedes Einzelne, was ich Ihnen sagen konnte, vage, nichtig, und ganz unbestimmt; und es alles zusammenzufassen, so viel Kunst besitze ich nicht. Jetzt werd' ich ordentlich stolz; es ordnet sich in mir alles mehr, ich zernage, zerlege, und untersuche das Untersuchte, so daß mir das, was ich drüber sagen kann, immer dümmer und unbestimmter vorkommt: will ich was Weitläufiges sagen, so muß ich vieles mit ein paar Worten voraus bestimmen; und wollt' ich mit ein paar Worten was bestimmen, so müßt' ich vorher sehr weitläufig werden. Aber Dummzeug! Ich werde suchen Ihre Briefe nach der Reihe zu beantworten. Über Ihre Konversation mit Goethe weiß ich wirklich, wie ich Ihnen schon vorher annoncirte, nichts zu sagen: nicht einmal beneiden kann ich Sie; denn wenn ich ihn auch kennte, so könnt' er doch mit mir das nicht reden. Ich habe mich also purement gefreut! Ihrentwegen, und so rasend als man nur kann! und dann meinetwegen, denn Sie sind doch nur der Einzige, bei dem ich das mitgenieße in der ganzen Welt: und der's mir zu Gefallen doppelt goutirt und verschlingt. Noch abgerechnet, was es Göttliches hat, diese entrevue – und wohlgesprochen, wie Sie sagen: »es kommt Ihnen vor, als kennten Sie alle großen Männer der Vorzeit« –, so ist es wirklich noch außerordentlich schön, daß er sich Ihrer gewissermaßen annimmt und so gütig gegen Sie war. Alles was er Ihnen gesagt hat, leuchtet mir sehr ein, und seine Bonmots (möcht' ich sagen), als die »Rechenmaschine«, das »kleine Publikum«, waren wahre Delicen für mich. Und das ist ganz neu, was er Ihnen gesagt hat, daß sie immer nach dem Effekt eine Piece machen; und auch das noch, daß man, wenn man über Kunst schreibt, nur immer festsetzen kann, was man machen soll, aber nicht wie: das ist wohl gut; aber ich glaube doch mit Maimon, von dem Sie mir einmal erzählt haben, er habe gesagt, wenn man über Schönheit oder Geschmack spricht, so müsse man nicht zeigen was schön ist, nur immer was häßlich ist, und da würde das Schöne schon von selbst übrig bleiben. So, glaub' ich auch, kann man dem größten Genie zeigen, was es nicht machen muß, und es wird sich schon von selbst überschreiten, und die verbotenen Quinten in einer Kunst schon einmal als höchste Vollkommenheit stehen zu lassen wissen; wie Goethe gesagt hat: »Mian muß wissen, wie viel unangenehme Theile dazu gehören, bis ein Ganzes angenehmen Effekt macht." Aber ich glaubte, er fühlte sich nur, als er von Genie sprach; er hat nicht allein welches zu schaffen, sondern ist Genie im Wählen, Richten, Tadeln, im Welt haben und kennen, kurz er ist Antonio, Tasso, und alles was es sonst noch giebt: aber es giebt auch noch Genie zu einzelnen fächern, und für die kann geschrieben und festgesetzt werden, denn mit was allem gränzt nicht jede einzelne Sache, und mit was allem vermischt sie sich nicht; und das große Publikum muß ja auch immer mehr wissen, was es will, und was es liest: für ihn ist nichts zu schreiben, und nichts geschrieben, und daran mag er wohl gedacht haben ... »Der Mensch kann sich gar nicht ausgeben, wie er ist« – [aus einem Briefe Veits aus Jena vom 23. Oktober 1794] ich gar nicht, und wenn ich einen großen Dichter lese, so hält fast der Ärger über das, was er doch nicht sagen und zeigen kann, der Freude über das, was er sagt, das Gleichgewicht. Man muß sich unglaublich »vollkommen kennen« und »Muth« (auch wie Sie sagen) »dazu haben«, und besonders »die Kunst der höchsten Simplizität«, wenn man sich ganz offen und wahr einem Menschen soll darstellen können. Denn: machen sie einen denn nicht von Jugend auf verrückt? Hat man nicht Mühe sich selbst oft zu finden; und zu finden was man will? geben sich viele Menschen diese Mühe? kann man sich endlich andren antrauen, als solchen? haben andre Menschen Menschenkenntnis als die sich selbst kennen? können andre nachsichtig und verständig sein, als die Menschen die den Menschen kennen? kann ein andrer als ein solcher, die Ursach und folglich die Entschuldigung für jede Bewegung in uns, die sie Mangel und Fehler nennen, mitfühlen? und wer sich nicht aus Spaß von einem Dummem, als er ist, tadlen und ertragen lassen will, wird der nicht bis am jüngsten Tag – wo denn alles raus kömmt und egale Portionen Verstand ausgetheilt werden, – lieber lügen? Man kann nicht veränderlicher als ich sein; sag' ich Ihnen. Dagegen sind Sie nichts! Was nennen Sie aber Veränderlichkeit? mich dünkt, sie ist nichts als die suchende Treue (wenn Sie dieses Wort brauchen wollen). Da sie nun aber nichts Rechtes findet, so wäre sie ein Narre, nicht weiter zu suchen, und noch ein größerer, dieselbe Unruhe beizubehalten, wenn sie schon etwas gefunden hat. Natürlich sind die treusten Menschen die suchendsten, denn die wissen so recht, was sie wollen, und was alles nicht Treue ist; denn Treue sucht Treue u. s. w. Ich komm' mir ordentlich lächerlich vor! – Auch mein Dank auf Ihre Komplimente klingt besser, und ist besser gemeint, wenn Sie's besser meinen. Besser zu höflich als zu grob; Sie haben Recht. Sie wissen, was ich auf Lebensart halte. ich erinnere mich nur Einmal, Sie Freund genannt zu haben, und auch nicht geradezu, sondern ich sagte, Sie könnten es sein, oder frug, warum Sie's nicht wären; das anderemal weiß ich gar nicht. Auch nenne ich, wie Sie, keinen Menschen so, nämlich anredend: façon de parler wohl, wie: mon ami. Weit eher nenn' ich mich Freundin, denn ich bin's auch oft. Kurz, Sie wissen wie ( ohne Großmuth) ich aus Haß und Ennui wenig fordere ...

* * *

Töplitz, den 21. September 1796.

Was ist Ihnen, Lieber? Warum antworten Sie mir nicht? Sind Sie verstockt? Ich meine nicht, wie ein Sünder; wie eine Quelle, wie ein Schmerz im Herzen, meine ich. Sind Sie abgekommen von der Stimmung, in der Sie an mich denken, in welcher Sie mir schreiben? Ich bebaute Sie; und kann doch nichts anderes vermuthen. Ich habe Ihnen zwei Briefe geschrieben, einen in der Mitte – ungefähr – vorigen Monats, und den andern von Berlin. Warum! antworten Sie mir nicht?

... Wissen Sie mir nichts mehr zu sagen, da ich Ihnen nicht schreibe? Wissen Sie nicht, daß ich nicht konnte? Ich habe es Ihnen ja gesagt. Und müsse Sie eben so schlecht sein als ich? – – – – oder, ist es wahr, und möglich, daß Sie unzufrieden mit mir sind – aus wer weiß welcher Ursache – können Sie es dennoch, irgend jemanden besser sagen, mich gerechter, für Sie, soulagirender, bei irgend einem Wesen als bei mir selbst verklagen? – Schweigen Sie aber, wie es wohl kommt, eben weil man angefangen hat zu schweigen, so ist das auch sehr unrecht. War Ihnen nicht sonst wohl, fühlten Sie sich nicht aufgelöst, wenn Sie zu mir sprachen? Und sollte man sich das wohl versagen, oder vernachlässigen?

... Ich werde – doch noch – alle Tage empfindlicher; und Goethe und ich sind so konfundirt in mir, daß ich mit seinen Worten empfinde – so falsch es ist –, nicht einmal denke. Ja, ja, es geht noch immer crescendo: der weiß es, was ich meine, er kann alles sagen. Es ist ein Gott! Lesen Sie die Idylle. Glauben Sie nicht, daß ich wegen der Idylle so frisch rase. Nein, Iphigenie lasen wir gestern, und Tasso vorher; wie die Iphigenie ist! Nun goutire ich sie erst recht. Millionenmal! hab' ich an Sie dabei denken müssen, alles was ich auswendig wußte, wußte ich von Ihnen (»Frei athmen macht das Leben nicht allein u.s.w.) und dabei dacht' ich wieder, wenn er das wüßte, müßte er sich doch freuen ...

Sie wissen, ich kann sehr umständlich sein, quoique je manque quelque fois, de me trouver mal d'une Umständlichkeit. Wie gerne käm' ich nach Leipzig! Unabhängig davon, daß ich die Idee habe, daß Goethe wohl dahin geht; und was heißt hier unabhängig! Kann man gewisse Dinge trennen? Aber ich bin arm, ich hasse diese Ohnmacht! und doch »übt sie meine Geduld, wie ein Freund«. Morgen früh reis ich zur Gräfin Pachta nach Prag. Ich mache, zum erstenmal, einen von den Streichen, die Sie mir immer wünschen; und vielleicht billigten Sie diesen doch nicht. Aber ich will auch nichts von Billigkeit wissen, sie hat mich zum Grabe gereift, soll mich aber mit meinem Willen nicht begraben helfen. Ich bin – wie ich war, lieber Veit, nur ausgebildeter, wenn Sie wollen. Ja ich habe viel gewonnen seit dem Winter ...

* * *

Berlin, d. 28. Nov. 1795.

... Recht, Veit, loben Sie mich als Frau, das hab' ich am liebsten. Das streiten mir Alle am liebsten ab; weil sie mich nicht verstehen; und man ist doch gerne verstanden. Sie wissen, daß ich Klassen nicht leiden mag, und mich zu keiner gerne einschränken lasse, als zu den Menschen. Aber gehören thut man doch zu einer, und »Edel sei der Mensch, hülfreich und gut«, besonders das Weib, sag' ich, und darum soll man mir anmerken, daß ich zu ihnen gehöre; denn was können denn die weiter? Das Beste muß man doch thun, von dem was man kann. (Ich bin auch groß genug an meine fautes, nicht défauts, nicht zu denken sonst.) Muß mir hier mein Fehler wieder einfallen! Aber er rührt mich wahrhaftig nicht: ich weiß ihn nur. »So wunderbar ist dies Geschlecht verwickelt«, Iphigenia. Leben Sie wohl! und besuchen Sie sich fleißig in sich. Sein Sie versichert, daß ich immer, wie auch der Schein darwider sein sollte, Ihre beste Freundin bin. Warum auch nicht! Sie wissen es selbst. Hören Sie nie! andere Leute und Menschen über mich. Nur immer sich, und mich.

R. L.

* * *

Paris, den 2. April 1801.

Veit, das ist nicht wahr! aber Sie irren sich bloß. Als ich noch in Berlin war, konnt' ich mir, und hatte ich mir schon ausgerechnet, wenn du in Paris bist, schreibst du Veit; und was ist natürlicher oder vielmehr gewöhnlicher, als daß ich's doch nicht that. (Die gewöhnliche Faulheit und Nachlässigkeit ist's doch nicht.) Aber seitdem ich alle Tage, auf Wiesen, Feldern und Zimmern, beständig, und wie ich mag, von Ihnen spreche, wäre es sündlich, mein Freund, nicht auch zu Ihnen zu sprechen; und alle diese herzlichen (herzliche treue Meinung, sagt Goethe) Gedanken wie Götterdank, bloß im Herzen zu behalten, oder so umsonst auffliegen zu lassen. Daß man Liebe zu Schüssen und Wunden vergleicht, ist einfacher, als man denkt; man fühlt sie bloß, das ist ihr Wesen; und da bleibt einem denn nichts, als das Vergleichen. So hat Bokelmann Ein junger Hamburger Kaufmann, den Veit ihr empfohlen hatte. meine ganze Liebe zu Ihnen aufgeregt: und ich fühle sie wirklich, wie einen alten Schaden; wie ich mir Wunden mit verhaltenen Kugeln denken muß, und wie ich wirklich oft alte Krankheiten erregt fühle. Glauben Sie denn, daß irgend etwas Wichtiges, Gescheidtes, Gutes so vor mir vorüber gehen kann, wie bei andern Leuten – wie Wolken über dem Wasser – wäre zu hübsch gewesen, um es hier anzuwenden. – Unmöglich! Das ist mein einziger Werth, durch den ich mich, als ich erkenne, und von Andern unterscheide. Das thun Sie auch! Ich bitte Sie, trauen Sie mir ganz; Sie verlören sonst zu viel dabei! Eins seien Sie noch gewiß – und wie sollte ich dabei schlechter werden? – es hat noch immer keines Menschen Meinung, in keiner Sache, unter keinen Umständen Einfluß auf meine Gedanken und hat es bis jetzt niemand gehabt. Das kann ich mit der heiligsten Untersuchung versichern! Damit müssen Sie zufrieden sein: und mich ewig lieben. Ich bin auch von Ihnen so überzeugt, wie von mir selbst. Nur sehen möcht' ich Sie wieder! Sie mich auch? ganz besonders gern? Sie sollten. Könnt' ich Ihnen nur gegenwärtig werden, wie Sie mir!

... Auch glaub' ich steif und fest, gewisse Menschen müssen sich kennen lernen; nicht allein, wenn sie zusammen sind; sondern, die Umstände müssen sie zusammen besorgen. Mein Aberglaube! Sie werden mit scharfem Geiste und geordneten Worten, genau zu bestimmen wissen, welch ein himmelweiter Unterschied zwischen unsern Anlagen und unserer Ausbildung ist, ich weiß es, auch ohne es sagen zu können oder sagen zu mögen – abfragen könnt' ich's mir meisterhaft lassen – und doch kann ich vortrefflich mit Bokelmann leben. Er hat so ein solch liebenswürdiges braves Gemüthe, ... daß auch kein Irrthum jugendlicher Unwissenheit oder Beschränktheit bei ihm ist, sondern alles Reinheit und Gesundheit. Und meinem Alter ist nichts besser, als seine Jugend. Urtheilen Sie, ob ich ihn liebe. Wenn wir nicht einer Meinung sind, so kommen wir gleich auf den Punkt, wo wir eigentlich scheiden, und wir scheiden in Frieden und mit Bedacht: welch ein Vorzug, welchen hellen, unbefangenen, regsamen Geist setzt das voraus. Sie wissen wie ich das Gegenteil hasse und wie man damit in diesem Jammerthal zu kämpfen hat! – oder, wie das vielmehr der ächteste, eigentlichste Jammer in diesem beliebten mir beliebten Erdenthale ist. Ich kann mir nicht vorwerfen, daß ich das Schlechte nur hasse: ich liebe das Gute, was ich finde, mit der leidenschaftlichsten, tiefsten Verehrung, mit dem deutlichsten Bewußtsein; – und das ist mein Glück! – meine Schönheit, die mir der Himmel gab, das Geschenk der Götter! Ich darf nicht einmal murren. Veit! Sie haben zu Bokelmann gesagt, »unser Verhältniß sei Ihnen das liebste gewesen, und es sei doch auch nichts«. Nein! mein Galeerensclave, Bezieht sich auf einen Ausspruch Veits: »Nur Galeerensclaven kennen sich«. das ist nicht wahr! Oft mag es seine Grazie verloren haben; seine Würde und seine Ewigkeit – bis Sie mir ein anderes Wort schaffen – nie! Und wie wir besser werden, wird es auch besser. Ich werde wirklich besser: also bin ich es von Ihnen überzeugt und alles ist gut. Nur der Zweifel kann uns dieses Glück rauben! ich leid' es nicht: und ich zweifle nie. Ist das erhaben, so bin ich es. So, denk' ich mir, ist Religion; man bedarf sie, und dann hat man sie gleich. Wer braucht Geschichte: brauchen wir Beweise? Wir wollen Stifter sein, mögen uns Andere nachglauben. Dabei bleibt's; ich kann Sie zwingen; ich fühl's und ich thu's. Ich werde die erste Gelegenheit ergreifen, nach Hamburg zu kommen; das sein Sie gewiß. Ihrenthalben. Und ich ergreife jetzt gut. Ich bin verwundet nach Frankreich gereist, und kehre gefaßt zurück. Wer ohne Panzer seinen Busen in der harten Welt umherträgt, der muß verwundet werden; das wußt' ich nur nicht: der Schreck ist das Meiste, und wenn man das Bluten noch für Sterben hält. Wunden werden immer kommen, aber nicht unerwartet. »Er komme und sage es mir zum zweitenmale«, sagt Gräfin Orfina.

Ich schrieb mir letzthin in ein kleines Büchelchen: »Lange existiren die guten Dinge, ehe sie ihr Renommee haben, und lange existirt ihr Renommee, wenn sie nicht mehr sind." Das ist alles, was ich Ihnen über Paris sagen möchte. Lange, dünkt mich, ist es und kann es nicht mehr Paris sein; nachdem seit Jahrhunderten ganz Deutschland Paris geworden ist. Denn mir kömmt Paris vor, wie ein zusammengedrängtes Deutschland, und wenig verschieden. Das könnt' ich sehr ausspinnen: ein andermal! thun Sie's selbst, derweile. Eine Nation, die Vaudeville's haben kann, kann keine Musik haben. Die große Oper ist tragisch, und das Tragische hat viel von der ©per. Ich bin unpartheiisch: das würden Sie mir bei jedem einzelnen Urtheil zugestehen; aber für unbedingtes Lob zu deutsch. Daraus machen Sie nun, was Sie wollen! Steif, bornirt usw. wie Sie wollen.

 

An Varnhagen.

Berlin, den 24. Mai 1808.

Als Sie mich gestern Abend ganz zerschlagen und abgemattet verließen, hatte ich Ihnen hundert ganz deutliche und gutzuverstehende Dinge zu sagen: zu schreiben nämlich. Aber vergebens! ich konnte nicht mehr. Es hätte mich die Nacht gekostet. Ich fühle aber doch noch eine Verdrießlichkeit in mir und das soll nicht sein.

Ist es nicht verdrießlich, wenn ich eine dunkle Angst vor dem Abend fühle? wenn ich mir gar nicht richtig erklären kann, woher sie kommt, da Sie mir lieb sind, und noch tausendmal lieber sein sollten: ich sehe meinem Tag nicht mehr heiter und unbefangen entgegen! Es ist nicht mehr, als ob er mir gehörte; dies Göttergefühl, dies mein einziges Glück, ich liebe es nicht mehr. Nicht mehr wie einen »Gleichgesinnten« sehe ich Sie kommen, nicht als solche können wir mehr neben einander und mit einander leben; wie ein auf mich wirkendes, mich angreifendes Wesen nähern Sie sich mir, und gleichsam wie meinen innern Augen auch zu nah. Ich bin auch nicht mehr frei in Ihrer Gegenwart, bei allem denke ich, es könnte Sie, oder es ist Ihnen zuwider. Sie selbst sind in keiner natürlichen unbefangenen Gemüthslage. Entweder eine Uebellaune macht, daß Sie mich necken wollen, oder Sie verstummen, oder Sie vergehen in Traurigkeit. Ich bin nicht mehr ich: ich bin ein kluger, wenigstens bemühter Schiffer, der mich selbst zu lenken sucht: aber auch das vergeblich. Sind wir allein, so geht's an Berichtigung des Tages; und dann, an's Ringen, Bosheit, Beschämung, Klage. Ich möchte jetzt aus Beschämung vergehen! Sie sollen dies lesen! Die süßesten Liebesworte, die Worte der süßesten Liebe sollten von einer Jugendgöttin, an Herz und Leib, zu Ihnen strömen! Und vielleicht weiß ich, noch mehr als Sie, welche Horizonte von Glück sich Ihnen erschließen könnten. Betrübt, beschämt, und gelähmt zugleich bin ich. Und gerührter sogar könnt' ich sein, säh' ich Ihr reiches festes Gemüthe auf ein anderes Weib gerichtet: mich verwirrt es, auch in den Gedanken; ich denke, ich bin es nicht: es ist ein Irrthum, nur die Empfindung ist wahr. – Ich kann es gar nicht sagen! – Ich kann der Richtung gar nicht folgen, die entzückend wäre – da sie bei mir still steht. Ich bin unwürdig. Fühlen das Andere nicht so deutlich, wenn sie es sind? Ich könnte zu Ihren Füßen stürzen, um eine andere Ordnung in Ihrem Herzen zu machen. Besinnen Sie sich, Varnhagen, eh' Sie zu mir kommen! Und lassen Sie mich wieder unbefangen sein! Denken Sie deutlich vorher: es sollen solche Scenen nicht wieder kommen: Sie haben diese Kraft, ich weiß es. Denn ich hatte sie bei der größten Leidenschaft. Und Sie haben mehr, als ich. Ich halte es nicht aus, glauben Sie das. Ihren Werth kann schwer jemand besser auffassen, als ich, noch konnte ich es Ihnen nie in guten Worten sagen: wie ich beinah nie kann, aber Sie würden's erleben mit der Zeit, wodurch alles nur eine sichtliche Gestalt bei mir gewinnt; Ihren ganzen Werth, den für ein verliebtes Herz, denke ich mir auch hinzu; und der redlichste tapferste Freund kann in seinem Herzen keine stärkere Empörung für Sie fühlen, wenn Ihnen Unwürdiges begegnet, als die ist, die in meinem arbeitet. Ich zeige es Ihnen sogut ich kann: dies ist aber schlecht. O! ich fühle es wohl. Es ist mir so wichtig, was mit Ihnen jetzt vorgeht; Sie überwiegen mich hierin so sehr; daß mir beinah kein Blick für mich bleibt: aber bei der ersten Ruhe find' ich wohl die Beleidigung, die auch für mich, in diesem Vorfall – wie soll ich es nennen – liegt. Sie verstehen mich nicht; und würden in Zorn entbrennen, wenn Sie wüßten, was ich sagen wollte, aber nicht, wenn Sie mich wirklich verstünden. Wir denken verschieden: und darauf achten Sie nicht einmal. Heißt das nicht ehren? mehr sage ich nicht! und schelten Sie mich nicht »schwer«; sagen Sie nicht, ich müsse alles nur so haben, wie ich es schon gesehen habe; vielleicht würden sie selbst nicht so weich, so gewandt, und leicht nehmen, als ich, wenn Sie Fremdes so überwältigt! Ich kann ihm liebevoll zusehn; nie kann es mich umkehren. Adieu, Varnhagen.

* * *

Sonntag Vormittag um 10, den 30. Oktober 1808.

Du entzückst mich ja! zu Geliebter! Worauf soll ich denn nun zuerst antworten!... Du wirst es gewiß nicht rathen, worauf ich nun doch zuerst antworten muß! »Daß sie es so geformt und ausgestellt haben, das, was mir sonst im ›Meister‹ gefiel, ist mir jetzt zum größten Mißfallen«. Solche Worte, mein geliebter Knabe, mein rechtmäßiger Liebling, schreibst Du mir! Was ich jahrelang in mir verheimliche; oder eigentlicher, was keine Worte zum Kleide finden konnte, und keinen Platz zum Auftreten, spinnst du mir hervor, du bildsamer Kunstverständiger! ... Und das ist es nicht, was mich entzückt! Nein, was mir den Trost in's Herz gießt, ist, die große Freude über diese schwer zu findende Wahrheit! Jeder solche Fund, jedes solches Wort, diese Fähigkeit, macht dich mir gewiß; versichert dich mir. Sieh mein ganzes Herz! Ich bin ganz selbstsüchtig: wie zur Beute geht's in mir her, da du einmal weg von mir bist: da Trennung möglich war! Als gestern deine Lobströme aus deinem geliebten Brief über mich kamen, frug ich am Ende, warum ich nicht bescheidener wäre, nicht beschämt? Ich fühlte nichts von dem; nur Befriedigung; ich freute mich. Nein, nein! Da unser Leben nun einmal äußerlich getrennt ist; da es hat sein können, da ich dir mein Herz und seine Liebe doch nicht reichen kann, da es das Element der Lebenstage zusammengebracht, doch nicht aufnehmen will; mußt du eingenommen von mir sein! Treibhaushitze muß vorzeitig, verwirrt, matter, oft in Winterluft stärker scheinend, hervorbringen, was große Sonne beachten und gedeihen lassen sollte, zu ihrer eignen Freude. Teurer, Teurer! vielgeliebter! Es war falsch, daß wir uns trennten. Wir mußten – umgekehrt, wie es Andre machen – nicht wie sehr wir vereinigt sind: wie groß die Vereinigung war; aus jedem unsrer Worte bricht's hervor; aus jedem Augenblick des Entferntseins entwickelt sie sich: in Schmerzen arbeitet sie sich aus unserm Innern hervor. Laß es dir sagen, mit nichts zu theuer erkauftes Gut! Nur deine Schmerzen stillen meine: wenn du mich liebst, ist es mit meinen auch so. Wenn mir uns auch einander ermahnen, ruhig zu sein, und zu leben! Nur Einen uneigennützigen Gedanken habe ich gehabt, seit du weg warst. Vor meiner Krankheit ging ich in unsrer Gegend; die Stadt war zu ruppig; eine erstickende Leere; Angst befiel mich – wie am meisten auf der Gasse – und da rief ich zuerst aus wahrem Herzen: »Nein, es ist gut, daß er wenigstens weg ist, und dieser tötende Anblick und Eindruck ihn nicht treffen kann!" Das war das einzige Mal. Es ist uns beiden gleich zu Muthe, meiner Seele Geliebter! ..

* * *

Montag früh nach 11 Uhr, den 31. Oktober.

... Ich dachte, Jean Paul wüßte nichts mehr von mir! und das Bischen, was er wissen könnte, wäre böse. Ich schrieb ihm zuletzt über die Weiber, die er immer vorkommen läßt, und verlangte andere. Das, dacht' ich, hätte ihn gebissen! nämlich mich für dumm und vorwitzig zu halten. Er ist aber ganz gut ... Daß seine Meinungen sich so biegen, steht hell und klar in seiner Aesthetik und Levana: »Vorschule der Aesthetik«. 3 Bände. Hamburg 1804: »Levana, oder Erziehungslehre«. 3 Bände. Braunschweig 1807. schlechte Bücher. Anpochende, aufhauende Meinungen fürchtet er; und daher imponiren sie ihm auch. Und da die letzten gerade so waren, so fügte er sich unter, mit zu vieler Liebe, wie ein bestraftes fürchtendes Kind. Dabei ist sein Arbeiten spinnenartig, und gleich kommt jeder Vorrath in sein neuestes Gewebe. So hat ihm auch die führte Richtung der neumodischen Empfindsamkeit, nach Altmodischem, als Katholizism und dergleichen, erschreckt; und seine kriecht ihr etwas nach, ihr eignes natürliches Gehege vergessend. Der muß sich für allein halten, um original zu bleiben; jedes, viel, alles, kann er mit dieser Gabe nicht ergreifen. Sein Traum einer Wahnwitzigen ist göttlich; und seit recht lange mal wieder acht. Wie schön gleich geschrieben! Da sieht man recht, wenn er sich versenken, isoliren will, was er dann ist; Umgang mit noch lebenden Schriftmenschen, auch nur ihre Bücher, ihre Kritiken nun gar! – ist ihm totschädlich. Wie so er mich nur für humoristisch hält; mich dünkt, ich habe nie etwas in seiner Gegenwart gesagt: aber ich weiß schon, weil ich sein Komisches so rasend goutire. Und das weiß er. Dazu gehört auch Humor... Daß er sagt, ich müßte unverheiratet bleiben, da thut er mir nicht sowohl Unrecht, als den Ehen. Denkt er noch an vorräthige, abzulebende, und sollen die nicht, wie das Leben, eben gelebt werden? Es ist wahr, ich bin so auch gut: weil ich gut bin. Aber wie schlecht könnte man auch da gedeihen! Und will er mir Kinder absprechen? Oder hat er mir ein Fürstenthum in der Unordnung für Bastarde zu geben? Darin hat er Recht: einer schlechten Ehe würd' ich mich nie fügen; denn wer meinen innersten Beifall und meine Neigung verletzt, behält mich nur als Gefangene; und das müßt ich sagen, weil ich's wüßte; und da nicht lügen würde, wo nichts als Wahrheit schön sein kann, und wo ist Schönheit zu Hause!...

* * *

Berlin, Sonnabend, den 14. Januar 1809.

... Du, mein Theurer, Geliebter, Du reisest nach Hamburg. In jedem Fall. Du mußt sie sehen, die Frau; mußt mit ihr leben; mußt genau wissen und erfahren, wie Eure Herzen sich entwickeln. Frau Fanny Herz, deren Söhne Varnhagen erzog und in die er beim Beginn seiner Bekanntschaft mit Rahel verliebt war. Sind Wunden da, müssen welche gerissen werden, so müssen sie rein ausheilen: entweder durch glückliches Zusammenleben, oder reine Trennung. Ich, Lieber, Guter, mag Dich nicht eher wiedersehen. Stärker, baumfester, reiner, entschlossener, leichter einsehend, in mich selbst eindringender, werd' ich mit jeder Nacht; nichts Schwächliches, Verwundetes, Zweideutiges, Krankes, Hinhaltendes, Erbärmliches, Panari-artiges Panaritium, eine Art Klauenseuche. in Seelen, kann ich mehr dulden. Du weißt das, und Du weißt, wie lieb Du mir bist. Mein Entschiedenes wird Dich entschieden machen, und Dein Entschiedenes Fanny'n. Wohin Du Dich nur entscheidest, ist Glück: ohne Dein reines, kann mir von Dir keines kommen. Nicht einmal Ruhe zu einem edlen, freien, natürlichen Umgang. Etwas war schief mit Fanny; gleiche es zu ihrem Glücke, wenn es geht, mit ihr aus: oder so schmerzlos als möglich. Ich mag hinfort mit keiner neuen Frau – ist sie nicht wie ich – etwas zu schaffen haben; sonst würde ich Dir sagen, zeig' ihr alle meine Worte: aber im Gegentheil! ich verbiete es Dir! Ich habe, und will mit niemand zu schaffen haben, als mit Dir; und nicht einmal, nur negativ ... Du, Lieber sei ruhig! Ich bin es auch. Und lasse Dich in Hamburg nicht abwinseln! Ich kenne Frauen; das Edle in der Mischung hält grade den Wahnsinn zusammen und den Unsinn ...

* * *

Berlin, Montag den 12. November 1810.

Ich kann gar nichts Besseres thun, als heute Abend gleich auf der Stelle auf Deinen Brief aus Steinfurt antworten. Ich weiß aber nicht wie! – beinah zum erstenmal im Leben, – Du wirst es schwer glauben wollen; ich habe die Grazie verloren; ich kann nicht mehr leiden und lieblich schweigen. Das konnt' ich sonst, und habe es, so wahr ein richtender, wissender Gott lebt, lang geübt, und wie kein Erdenmensch! Man kennt seine Kräfte nicht, so wie man nicht weiß, wenn man sterben soll; nun kann ich es, mir selbst plötzlich, nicht mehr. Ich kann Unrecht haben, in Beurtheilung – ich habe es gewiß – der Erscheinung Deines äußeren Seins: aber daß Du mich Zeit, Geld und Behagen, und Ruhe gekostet hast, bleibt wahr, wie es wahr ist. So wisse auch Du, daß Du es nicht missen konntest, ohne es zu rathen; weil ich es Dir mit meiner jugendlichen Grazie verschwieg, verbarg. Weil unser Zusammensein – laß es mich so nennen – ein paar Jahre mein Ziel, mein Zweck war. Daß ich Dir die unbedingte Freiheit vorhielt, verführte Dich. Das war recht, muß ich noch einmal sagen: es war recht, daß Du Leben, Welt, Krieg, Existenz aus Deinen Mitteln suchtest, begehrtest, fandest. Was aber in der Welt, soll ich dabei machen, als Dir gratuliren. Wär' ich jung, und Europa kindisch, oder jung, oder jetzt eben reizend, so sucht' ich mir auch ein Schicksal in der Welt. So aber bin ich nur auf die Natur verwiesen; und das Glück, was ich habe, besteht noch in der Einsicht darüber. Sonst war ich gar lächerlich, und in Agitation; elend. Du hast weise gesehen. Ruhe will ich haben. Lieber! Wie hast Du dies Wort aussprechen können, und noch so viele andere?! Und wie kommt es, daß Deine Worte so in Liebe gedacht und geschrieben mir das Herz aufreißen und drücken? Wieso versteht alle Deine Liebe mir nicht wohl zu thun? Laß mich in der Ruhe, die mehr als Schlachten mir endlich eingedrückt hat! Laß mich, bis wir uns sehen! Ich habe nach Dir einen Menschen gekannt, von dem ich nichts mehr weiß, mit dem ich's auch scharf nahm. Ich kann nicht mehr anders. Ich habe gebüßt genug auf der Erde, mit dem ganzen Erdenleben – ... für die Lüge, daß ich nicht forderte, was ich verlangte, und gab ... Nach der großen Verunglückung meiner Geburt und des Lebens dacht' ich: die sagen, sie lieben mich, zu denen könnt ich sprechen; auch nicht. Nun, gut! Der Schmerz war nichts gegen die anderen. Auch ist für mich alles Schicksal, Entwickelung, Geschichte. Ich schiebe nichts auf Menschen. Ein höheres Gebiet regiert dies. Dies ist meine ganze Religion; darin leb' ich. Aber laß' mich endlich. Ich habe viel Unglück erlebt: dazu hatte ich Talent: der größte Virtuos bin ich darin. Heraus bin ich aus der Sphäre; mein Loos ist raus aus dem Lotto; am Körper kann ich nur noch torturirt werden: mit der Natur hab' ich noch zu schaffen ... Sehen mir uns, so findest Du mich lebendig wieder; nicht allein nicht begraben, sondern, zum Weiterleben mit Geist und Verstand, und aller redlichen, lebendigen Theilnahme fertig ...

* * *

Berlin, den 27. April 1813 Mittags 1 Uhr.

Heller, warmer Sonnenschein, und doch Wolken
und Wölkchen am Himmel. Lerchen in den
Straßen übertönen Alles jetzt. Blüthen
strotzen vor Frische und Jugend des Moments.

... Zwei Tage waren sehr schöne, muntere Kosacken in unserm Viertel, die Ostern hatten und nicht wenig tobten. Sie sangen und schrieen, und pochten an den Häusern bis 2 Uhr nachts, und um 5 stellten sie sich schon unter meinem Fenster, wo sie ihre Pferde anbanden. Meine Scheiben glaubt ich entzwei: ließ aber doch die Laden bis 9 Uhr zu, wo sie abritten. Diese Nacht um halb 4 klingelte Mad. Rieß bis ich erwachte; ein Koboldslärm ging los: sie schrie wie Mord, Stühle fielen, viele andere Weiber, zwei Männer schrieen, er (?) schwernothet; zuletzt drunter, um 5 höre ich einen Wagen: ich, zu krank nachzusehen, klingele Dore Das Dienstmädchen. und lasse nachsehen ... Es ist der Miethsfuhrmann von drüben; und sie fahren mit allen Vorräthen nach Spandau, wo heute Berlin hinzieht: denn es ist über. Heute zogen sie aus: siebentausend Gewehre, viele hundert Zentner Pulver, hundertfünfzig Stück großes und kleines Geschütz. Ein Baurath, der wegen der Dämme schon gestern draußen war, hat meinen Brüdern versichert, solch ein Zerschießen geschähe nur selten. Noch wenige Fuß, und alles Pulver, Spandau, Stadt, Besatzung, Menschen, und vielleicht Belagerer, wären in der Luft gewesen. Drum zogen sie ab: und darum wurde es bewilligt. Ein Kapitän Ludwig soll Wunder gethan haben und einer der ersten Artilleristen sein. Nur sechzig haben sie Todte und Verwundete zusammen. Reil Johann Christian Reil, Mediziner, geboren 1759; seit 1813 Direktor der preußischen Lazarette auf dem linken Elbufer. hat zwölf im Klinikum; Einer davon stirbt nur. Mit zerhacktem Blei schossen sie heraus! das soll Unrecht sein. Man sieht's an den Wunden ... Meine Seligkeit kannst Du Dir denken, daß der Gräuel aus ist ... Ich habe die Mädchen beschenkt. Line Kleid, Dore Tuch; eins meiner besten, für sie ein unerreichbares, ein turkisch Shawl. Könnt' ich nur auch Gutes thun, da dies Gräßliche noch so glimpflich ging ...

* * *

(Berlin), Sonnabend, den 1. Mai 1815.

Mein wichtigster Tag im ganzen Jahr: als des Jahres Geburtstag: (ich begriff sonst nie – jetzt denk' ich, es ist wegen Christus – wie es einem einfallen konnte, im Januar das zu veranstalten;) als meinen – dies war aber eine große Nebensache: außer, daß ich mir dachte, solche Luft schöpftest du zuerst, solche Gegenstände kamen deinen Augen entgegen; und daß ich daher meine Sommerliebe leitete – weil ich nie den Tag, aber wohl den Monat wußte. Nun aber haust Krieg in Gras, Milde und Blüthen. O! besänftigen heute des Himmels Mächte der Kaiser Herzen! ... Aus meinem Dienstagsbrief wirst du sehen, daß der Geheime Staatsrath Niebuhr Barthold Georg Niebuhr, der Staatsmann und Geschichtsforscher. schon weg war ... Man sagt hier – ... Schleiermacher schriebe sein Blatt ... und der Milde nach ist es auch von Schleiermacher: der, der schlechten Gesellschaft wegen, glaub' ich leiser sattelt, wenn auch nicht um ... Was soll ich aber über A. W. Schlegels Schrift »Sur les systême continentale« sagen? Erstlich, lahm geschrieben: in französisch, und ein paarmal, daher unverständlich. Dann so ohne Überzeugung, ohne Meinung. So geflissentlich, und doch so schlecht auswendig gelernt, und er studirt; in den neuesten Büchern, Aufsätzen, Zeitungen und Meinungen. Er hat so wenig Scham als Urtheil! Er entblödet sich ja nicht, Emigrantensprache zu führen: und das Heiligste in unserer Sprache, in unserem Sinn und Sein: »Denker«, mit dem Wort zu bezeichnen, welches die Franzosen noch vor dem Abscheu von der terreur her, zum Schimpfwort entstellt haben, mit ihnen es »Philosophe« zu nennen. Das Königswesen, welches aus ganz anderen Kräften und Kombinationen des menschlichen Zusammenseins hervorgeht, und heilsam hergeleitet werden kann, läßt er, als von den » philosophes« benagt, in seichten persönlichen Voraussetzungen schweben! und schwört, er ist ein braver Deutscher. (Er wäre ein braver Mann, wenn er sich mehr zu sein unterstünde; und ein Mensch zu nennen, wenn er das dringende Bedürfnis dazu in sich fühlte ...

* * *

Frankfurt a. M., Dienstag, den 28. Oktober 1817.

... Theremin Franz Theremin, protestantischer Kanzelredner, später Wirklicher Oberkonsistorialrat und vortragender Rat im Kultusministerium. kenne ich: d. h. von dem wundert es mich weniger als von manchem Anderen, wie allerlei aus ihm werden konnte: aber ich sehe doch nun erst, daß das, was ich in ihm für eine Seelenblüthe, für Milde hielt, auch nur Biegsamkeit aus Schwäche war: er pflegte meine Äußerungen schon auf eine Art zu bewundern, die den höchsten Widerspruch in ihm offenbarte, und mich nur stutzig oder ungeduldig machte; er gab mir bewundernd zu, was ich behauptete, und reservirte sich einem nicht mit Gründen zu belegenden Widerspruch; ein dunkles Bedürfnis, etwas zu vergöttern, ließ sich bei ihm spüren, wozu ihm die Macht fehlte, einen Gegenstand zu finden; weil das Bedürfnis der Vernunft und der Sinn für das, was da ist, der Wahrheitssinn, bei ihm nicht scharf genug ist. Der faule Punkt im Geschlecht, woraus sich alle Geistesepidemieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankheiten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen. Solche Elende können auch grausam werden; wie man längst darthat, daß Grausamkeit sich aus Schwäche erzeugt. Dieses ganze Gelichter von epidemischen Geisteskrankheiten wurde, in der verschrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklärern, heilsam und unschädlich durch Lächerlichmachen gehemmt; man sieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer im Volke. Ich wollte nur von Theremin sprechen, und spreche von Allen; sie empören mich zu sehr; und mein neuester Gedanke drängt sich auch hier wieder ein. Jeden großen Irrthum, nämlich der in seinen Folgen so groß werden kann, werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Je mehr in Massen gehandelt wird und geschieht, je schwerer wirken menschliche Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die sich aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie sie in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir sie gar anders nicht kennen. So sieht mein Geist ein reelles Unheil voraus, wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen ihr läppisches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon, so werden Schwerter geschwungen werden, Knüppel, Hacken: und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wunden wird's genug sein, wie am Blitz, wenn er auch trifft: die Luft wird für eine Zeit gereinigt. Gelehrte Männer, Gesetzgeber, Männer der Regierung, können nur wie große Ärzte, naturkundige Geburtshelfer, die Entbindungen des Menschengeschlechts sanft begünstigen; ihm seine großen Schmerzen erleichtern, vorschreiben wie es sich betragen darf; aber die Art der Geistesgeburt können sie so wenig vorschreiben noch bestimmen, wie jene. Natur, Klima, alles wirkt dort wie hier. Und Theremin und Konsorten wollen Religionen, Ueberzeugung usw. alles nur so herbeiempfindlen! Der Handel z. B., der den ganzen Weltverkehr mit all seinen Entdeckungen und Bedürfnissen zum Grund und zur Folge hat, ist schlechtweg sündhaft: und mehr dergleichen Dictons: ich kenne sie alle. O! armer Novalis, armer Friedrich Schlegel, der gar noch leben bleiben mußte; das dachtet ihr nicht von euren seichten Jüngern. Großer, lieber, ganz blind gelesener Goethe, feuriger ehrlicher Lessing, und all ihr Großen, Heiteren, das dachtet ihr nicht: konntet ihr nicht denken. Eine schöne Säuerei! Aber auch wir sehen sie zu befangen, weil sie uns grad ärgert: welche kleine Biegungen im ewigen Strom des Seins; das heißt, des Werdens! ... Henriette Herz


 << zurück weiter >>