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Ende der vierziger Jahre erschienen zum ersten Male »Goethes Briefe an Frau von Stein«, ein für seine Zeit musterhaftes Werk, für das man dem Herausgeber, Adolf Schöll, aufrichtig dankbar sein konnte, denn nun erst wurde uns ein klarerer Einblick in die Jugend Goethes und die ersten Weimarer Jahre möglich, für die wir bis dahin auf Anekdotisches und allerhand Klatsch angewiesen waren. Die Veröffentlichung erregte naturgemäß ungeheures Aufsehen und entfesselte zugleich einen ziemlich törichten Meinungsstreit. Man erörterte lebhaft die Frage, ob der Liebesbund zwischen Goethe und der Stein ein rein platonischer, ein ideal-freundschaftlicher gewesen sei, und ob an dem Bruch des Verhältnisses er oder sie die Hauptschuld getragen habe.
Inzwischen hat die Sammlung der Goethebriefe eine erhebliche Verstärkung gefunden. W. Fielitz sorgte zunächst für eine genauere Wiedergabe des Goetheschen Textes durch Vergleichung mit den Handschriften. Die Briefe aus Italien kamen hinzu und die allerdings nur wenigen, die sich von Frau von Stein an Goethe erhalten haben; J. Wahle ordnete sie seiner Neuausgabe ein. Endlich legte E. v. d. Hellen für die vierte Abteilung der Weimarischen Goetheausgabe den Text nach den Originalen nochmals fest, und Jonas Fränkel hat diesen Gewinn in seiner vortrefflichen dreibändigen Sammlung benützt und auch eine neue Einordnung der undatierten Briefschaften versucht, die frühere, Auffassungen korrigiert und mannigfach richtig stellt.
So besitzen wir denn heute in diesen Briefen ein Material, das uns den einzig dastehenden Liebesbund Goethes in blühenden Farben wiederspiegelt und zugleich das Bild jener Frau, deren Einfluß wir das Herrlichste zu danken haben, das Goethe geschaffen hat, in dem Lichte seiner Augen festhält.
Charlotte von Stein, am 25. Dezember 1742 geboren, war die Tochter des Weimarischen Hofmarschalls von Schardt und wurde in ihrem sechzehnten Lebensjahre Hofdame der Herzogin Anna Amalia. Die Bilder, die von ihr erhalten sind, zeigen uns keine hervorragende Schönheit, aber anmutige und sympathische Züge. 1764 vermählte sie sich mit dem Besitzer des Gutes Kochberg bei Rudolstadt, dem herzoglichen Stallmeister Josias Friedrich Freiherrn von Stein, einem ehrlichen und tüchtigen, aber geistig ziemlich unbedeutenden Manne, dem sie sieben Kinder schenkte, von denen nur drei Söhne am Leben blieben: Karl, Ernst und Fritz. »Ihr Gesicht«, so schildert Schiller die Fünfundvierzigjährige, »hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder Verstand, Gefühl und Wahrheit liegen in ihrem Wesen«. Fritz Stolberg nennt sie »ein allerliebstes, schönes Weibchen«; Charlotte von Lengefeld rühmt ihr in einem Briefe an Schiller »viel angenehme Talente und Kenntnisse« nach. »Sie hat überaus große, schwarze Augen von der höchsten Schönheit«, schreibt Zimmermann an Lavater, »ihre Stimme ist sanft und bedrückt. Ernst, Sanftmut, Gefälligkeit, leidende Tugend und feine, tiefgegründete Empfindsamkeit sieht jeder Mensch beim ersten Anblick auf ihrem Gesicht ... Ihre Wangen sind sehr rot, ihre Haare ganz schwarz, ihre Haut italienisch wie ihre Augen ...«
Der »Werther« spann die ersten Freundschaftsfäden zwischen den beiden. Mitte November 1775 begann der Briefwechsel, von dem Heinemann sagt: »Wer diese Hunderte von Briefen und Zetteln, den reinen und wahren Ausdruck innigster Liebe in dichterischer Prosa oder herrlichster Poesie unbefangen gelesen hat, der wird die hier und da noch laut werdenden Verleumdungen des Freundschaftsbundes mit Verachtung zurückweisen«. Goethe machte aus seiner Zuneigung für Charlotte vor der Weimarer Welt kein Geheimnis, und diese unbekümmerte Offenheit in seinen Huldigungen mag auch Herrn von Stein bewogen haben, seiner Frau Szenen der Eifersucht zu ersparen. Wahrscheinlich neigte er überhaupt nicht zur Eifersucht; eine gewisse laxe Auffassung der ehelichen Verhältnisse lag in der Moral der Zeit. Der Dienst fesselte ihn tagsüber an den Hof, und dort gehörte er anfänglich zu jener Clique, die Goethes wachsenden Einfluß auf den Herzog gern hintertrieben hätte, bis auch er sich schließlich nicht mehr dem Zauber seines liebenswürdigen Gastes entziehen konnte und ihm in späteren Jahren sogar ein »wertgeschätzter Freund« wurde.
Das leichte Spiel der ersten Zeit wandelt sich bald in leidenschaftlichen Ernst. »Wanderers Nachtlied« mit seinem ergreifenden Schluß »Süßer Friede, komm, ach komm in meine Brust« verrät der Freundin den schweren Kampf. Sie weist ihn zurück; das eigene Gewissen fordert gebieterisch von ihm, Maß zu halten. »Weil's denn so sein soll – sollst Ruhe vor mir haben.« Er möchte vergessen, aber er kann es nicht. Der Besitz des Gartenhauses, in dem er das herzogliche Paar und die Freunde empfängt, ermöglicht ihm, auch Charlotte bei sich zu sehen. Er wird kühner, und wieder dringt Charlotte auf Rücksicht. Der Plan zu dem Drama »Der Falke« entsteht, in dem er Lili Schönemann und Charlotte zu einer Gestalt verschmelzen will. In den »Geschwistern« deuten zahlreiche heimliche Beziehungen auf das sich immer fester verschlingende Verhältnis hin; in der »Lila« wird Charlotte zur Marianne. Corona Schroeter, die in dieser Dichtung ihre ersten Triumphe feiert, hat es auch Goethe angetan. Doch Charlotte weiß ihn von neuem zu fesseln; in Kochberg verlebt er frohe Tage mit ihr. Auch nach Cornelias Tode sucht er Trost bei ihr; von der winterlichen Harzreise 1777 aus fliegt Brief um Brief an sie zurück: aber es sind nicht mehr stürmische Huldigungen, sondern die Berichte eines wahrhaften Freundes, der seiner Herzensvertrauten die Seele preisgibt mit allen ihren in die Tiefe tauchenden Stimmungen.
Und diese rein friedliche Stimmung hält an. Er sieht in ihr den Halt seiner Seele, die »Schleife über ihm«, die ihn »als Gemähld« im Rahmen Weimars festhält, und immer wieder fordert er von ihr, sich ihm nicht zu entziehen um gleichgültigerer Freundschaft willen. In den folgenden Jahren bilden die »Briefe aus der Schweiz« (zweite Abteilung), im Druck bis zum zweiten Abschnitt fast wörtlich den Berichten an die Freundin entnommen, weitere Blüten des Liebesbundes, der in der »Iphigenie« und im »Tasso« seine reifsten Früchte treibt. Wie der »Tasso« in seiner ersten Fassung auf das Innigste mit dem Liebesleben seines Dichters verknüpft ist, zeigen die Briefe von 1780 an Charlotte.
Auch am Weitergedeihen des »Egmont« nimmt die Freundin regen Anteil, und die verschollene Entgegnung auf Friedrichs II. »De la littérature allemande« gibt er zuerst ihr zur Lektüre. Lange sind »Wilhelm Meisters Lehrjahre« das Thema der Unterhaltung mit ihr. »Wenn ich schreibe, denke ich, es sei auch Dir zur Freude ...« »An Wilhelm habe ich fortgefahren – ich denke immer dabei an die Freude, die ich Dir damit machen werde ...« Das »Tiefurter Journal«, das Anna Amalia nach dem Muster des »Journal de Paris« begründete, ist gefüllt mit Goetheschen Beiträgen, die für die Geliebte geschrieben wurden. Gemeinsam werden astronomische und physikalische Studien betrieben, wird im Herbst 1784 Spinozas Ethik gelesen.
Von Charlottens Söhnen war Fritz, der jüngste, von jeher Goethes Liebling. Er will ihn ganz in sein Haus nehmen und will »ihm alles sein, was ich kann«. Er schickt ihn nach Frankfurt zu seiner Mutter und nimmt ihn auf seinen Reisen nach Leipzig, Kassel und in den Harz und den kleinen Ausflügen in die Weimarer Umgebung mit: für Fritz die »glücklichste Zeit des Lebens«. 1785 weilt Goethe in Karlsbad und trifft dort Charlotte, der er vorher noch das Mignonlied »Nur wer die Sehnsucht kennt« gesandt hat. Auch im folgenden Jahre treffen die beiden sich in der böhmischen Badestadt und er begleitet die abreisende Freundin bis Schneeberg, ohne ihr ein Wort von seiner bevorstehenden italienischen Reise zu sagen. Daß diese Reise keine »Flucht« vor ihr war, beweisen seine Briefe und das Tagebuch aus Italien. Sie aber, daran ist nicht zu zweifeln, ahnte, daß das Verhältnis zu Ende ging. Wochenlang läßt sie ihn ohne Antwort, und wenn sie ihm schreibt, sind es sicher nur schmerzliche Anklagen. Als er endlich wieder heimkehrt, findet er eine gealterte, melancholische Frau, die ihn kalt und unfreundlich aufnimmt.
Der Bruch wird unheilbar, als Charlotte von Goethes »Gewissensehe« mit der Christiane Vulpius erfährt, dem frischen Mädelchen, das seine Sinne reizte, das ihm aber wahrlich nicht geben konnte, was er vom Leben und Geschick hätte beanspruchen können. Die Bitterkeit Charlottens ist menschlich und weiblich. Auch Edmund Höfer, der sie sonst wenig in Schutz nimmt, gesteht zu: »Daß sie nach ihrer Natur und Gesellschaftsstellung auf ein Wesen wie Christiane tief hinabsah; daß ihr selbst die rein äußerliche Stellung eines Mannes wie Goethe zu einer solchen Persönlichkeit, sei es unwürdig, sei es unmöglich erschien; daß sie endlich, gerade nach ihrer eigenen Verbindung mit diesem Manne, den stets begehrten und zuletzt verlangten Alleinbesitz desselben, wenn sie ihn überhaupt aufgeben sollte, am allerwenigsten, auch nur äußerlich, an Christiane Vulpius verlieren wollte und konnte – das bedarf keiner Erklärung und Entschuldigung: es versteht sich von selbst ...« Ein neuerer Literarhistoriker hat versucht, in gefälligem Gegensatz zu der kristallreinen Christiane Charlottens Bild schwarz auf schwarz zu malen und den wundersamen Liebesbund als die »größte Selbsttäuschung« Goethes darzustellen. Gegen solchen Unsinn braucht man sich ebensowenig zu wenden wie gegen den Übereifer Düntzers und anderer, die aus Charlotte eine Heilige machen wollen. Eine Heilige war sie nicht; sie war ein sterbliches Wesen auch in ihren großen Schwächen: ein Gemüt voll Tiefe und Reinheit und voll äußerster Gereiztheit; von großer Gutmütigkeit und harter Unduldsamkeit; opferungsfähig, voll bestechender Liebenswürdigkeit und wieder kühl, herb und selbstisch – und war in ihrer Liebe und Leidenschaft ganz Weib.
Ein paar Stimmen anderer mögen ihren Gemütszustand bezeichnen. Karoline von Beulwitz an Schiller (13. September 1789): »Die St. ist aufgerieben in sich – arme Seele, sie schmerzt mich, vielleicht ist sie ein sehr gutes Wesen, das ein besserer Genius hätte leiten sollen ...« Dieselbe an Schiller (24. Oktober 1789): »Die Stein sprach mir heute lange über G. Es sind böse Reminiszenzen in ihr geblieben ...« (2. November 1789): »Sie war in eine stille Trauer über ihr Verhältnis mit G. gesunken, und da schien sie mir wahrer und harmonischer als in der widernatürlichen von Gleichgültigkeit oder Verachtung. Ein zwölfjähriges zärtliches Verhältnis kann sich nicht in so niedrige Empfindungen auflösen, ohne die besten Kräfte des geistigen Lebens zu vernichten. Viele Schwächen muß G. haben, und zur Freundschaft gehört Stärke«. Frau Herder an ihren Gatten (7. November 1788): »Wie sie (Charlotte) mit Goethe steht, weiß ich nicht; sie sprach sehr kalt von ihm, und ich hüte mich jetzt, diese Seite zu berühren ...« (23. Februar 1789): »Das Verhältnis ist noch immer nicht im Gleis. Sie will nicht verzeihen und er nicht um Verzeihung bitten. Ich denke, er sei's wohl wert, daß man um ihn etwas leidet ...« (2. März 1789): »Sie ist zu selbstisch, kurz, ich gehöre nicht in ihr Reich ...«
Aus Liebe und Haß wurde allgemach wieder eine freundlichere Gesinnung, der dann und wann auch ein herzlicherer Unterton nicht fehlt. Daß Goethe trotz aller Bitterkeiten, die ihm die verlassene Geliebte nicht erspart, ihrer bis zu ihrem Tode in treuer Anhänglichkeit gedenkt, ist wohl der beste Beweis dafür, daß das Gefühl für die Bedeutung ihrer Persönlichkeit in ihm immer lebendig geblieben ist. Aus diesem Empfinden heraus konnte er auch 1820 die Verse schreiben:
Einer Einzigen angehören,
Einen Einzigen verehren,
Wie vereint es Herz und Sinn!
Lida! Glück der nächsten Nähe,
William! Stern der schönsten Höhe,
Euch verdank' ich, was ich bin.
Tag und Jahre sind verschwunden
Und doch ruht auf jenen Stunden
Meines Wertes Vollgewinn.
Lida ist Goethes dichterische Bezeichnung für Charlotte, William ist natürlich Shakespeare; Goethe denkt zurück an die letzten siebziger Jahre.
Und als er Charlotte als Dank für ihre Glückwünsche zum 28. August 1826 das Gedicht »Den Freunden« zuschickt, fügt er hinzu: »Beyliegendes Gedicht, meine Theuerste, sollte eigentlich schließen: Neigung aber und Liebe unmittelbar nachbarlich angeschlossen lebender, durch so viele Zeiten sich erhalten zu sehen, ist das allerhöchste was dem Menschen gewährt werden kann. Und so für und für!«
Charlotte starb nach Vollendung ihres fünfundachtzigsten Jahres am 6. Januar 1827. Goethe ließ sich bei ihrem Begängnis durch seinen Sohn vertreten.
Es wäre kleinlich und ungerecht, sagt Jonas Fränkel in der Einführung zu seinen Briefen Goethes an Charlotte, neben dem idealen Bilde, das von der geliebten Frau in der Seele des Dichters gelebt, das andere erwecken zu wollen, wie es sich dem kalten Blick auf Grund sonstiger Zeugnisse darstellt. Wir lehnen es als nichtig ab: nur des Liebenden Augen sehen wahr. »Wie sie ihr Recht auf Unsterblichkeit nur aus diesen Briefen des Dichters zieht, so lebt sie auch im Lichte derselben fort, der Zufälligkeiten des einstigen Daseins entkleidet – als eine Schwester der Prinzessin Leonore und der Iphigenie ...«
Es heißt, Charlotte selbst habe ihre Briefe an Goethe zurückgefordert und vernichtet. Von den späteren, nicht gerade bedeutsamen, aber für das Wiederaufleben der alten Freundschaft immerhin charakteristischen hat Wahle eine Auswahl publiziert. Die Briefe an Frau von Lengefeld, an die Schwägerin Frau von Schardt, an Schiller und seine Frau und vor allem an Fritz hat Düntzer aus den Familienarchiven gezogen. Viele Briefe an Fritz konnte ich selbst in der »Zeitschrift für Bücherfreunde« aus ehemaligem Zobeltitzschen Besitz noch ergänzen. Dieselbe Quelle benützte Ludwig Rohmann in seinen »Briefen an Fritz von Stein« (Leipzig 1907).
Zu diesen Briefen an Fritz sei noch eine kurze Erläuterung gestattet. Fritz wurde am 26. Oktober 1772 geboren (nicht am 27., wie Ebers und Kahlert mitteilen) und von seinem zehnten Jahre ab bei Goethe erzogen: »die glücklichste Periode meiner Jugend«, wie er in seiner kurzen Selbstbiographie schreibt. Aber »dieses Glück hatte nur zwei Jahre gedauert, als Goethe eine Reise nach Karlsbad und von da nach Italien unternahm, ohne es jemand anderem als dem Herzog anvertraut zu haben. Ich blieb noch, weil man stets seine Rückkehr erwartete, fast ein halbes Jahr in seinem Hause, zog jedoch zuletzt wieder zu meinen Eltern, weil es mir in dem Hause zu einsam war«.
Fritz studierte in Jena, wo er in engste Beziehungen zu Schiller trat, unternahm dann Reisen nach England und Schottland, weilte kurze Zeit in Weimarischem Hofdienst, ließ sich aber gegen den Willen seiner Mutter in preußischem Staatsdienst anstellen. Als Kriegs- und Domänenrat in Breslau kaufte er das nahegelegene Gut Strachwitz, wo Charlotte ihn im Frühjahr 1803 besuchte. Im Oktober desselben Jahres verlobte er sich mit Helene, der einzigen Tochter des Freiherrn von Stosch auf Gustau und Gleinig in Schlesien. Die Ehe wurde leider schon nach vier Jahren durch den Tod Helenes getrennt; sie starb nach der Geburt ihres jüngsten Kindes Marie. Auch seine beiden Söhne Lothar und Guido verlor Fritz durch frühen Tod, konnte sich aber noch an dem Herzensglück seiner Marie erfreuen, die sich mit dem Hauptmann Karl Theodor von Zobeltitz vermählte. Seine zweite Ehe mit der jungen Gräfin Amalie von Schlabrendorff-Seppau verlief nicht glücklich; er trennte sich nach freundschaftlicher Übereinkunft von ihr. Die Briefe Charlottens an ihn sind auch für die Kenntnis seines Charakters von Interesse. Er war ein durch und durch vornehmer Mann, empfänglich für alles Gute und Schöne, aber »ohne Enthusiasmus«, wie Körner, »ohne Genialität«, wie Schiller ihn beurteilte. Der Höhenflug reiner Begeisterungsfähigkeit war ihm versagt, und diesen Mangel an zündender Wärme mag er selbst schmerzlich gespürt haben: das zeigen mir manche seiner Briefe an seine ihn vergötternde Tochter Marie. Schwere Prüfungen wurden ihm nicht erspart: der Verlust seines Vermögens durch die Drangsale des Krieges, die Unglücksfälle in seinem Hause. »Das trug er mit Ruhe und Ergebung«, sagt Dr. Ebers nach persönlicher Kenntnis; »nie hörte man von ihm auch bei tiefem Schmerz die Klage des Unmuts. Aber auch des Schönen und Herrlichen war ihm viel von der Vorsehung beschieden. Trefflicher Jugendunterricht, Bildung des Geistes unter glücklichen Verhältnissen; Beruf zu mannigfachem Geschäft; heilbringende Erfolge seiner Tätigkeit; Genuß des Schönen, Wahren und Guten und glückliches Erkennen desselben; viele Liebe, treue Freundschaft, ruhiges Alter, sanfter Tod«.
An Frau von Schardt.
Kochberg, 15. August 1788.
Dein Brief hat mich sehr gefreut und besonders, daß Du mit Deinem Manne und meiner Schwester mich besuchen willst. Komm ja recht bald! Ich hoffe, das Wetter soll auch mit dem Vollmond sanfter werden. Die Ahnung, daß der Kreis der Lieben zerrissen und das Häuflein zerstreut wird, schwebt auch mir im Herzen. Goethe hat auf seinem Gewissen, den ersten Schritt dazu gemacht zu haben. Doch hoffe ich, wir bleiben uns; die Bande der Verwandtschaft werden die der Freundschaft fester knüpfen ...
An Fritz von Stein.
Frankfurt, 13. Mai 1789
Ich habe mich hier recht wohl amüsirt. Die Räthin Goethe hat mir ausnehmend gefallen, und ich könnte sie recht lieb haben und mit ihr leben; sie war zeither an einem bösen Geschwür am Backen krank. Sie hat Dich recht lieb, schreib ihr ja fleißig, denn von ihrem Sohn zu hören ist ihr ganzes Leben. Der Ring mit seinem Goethes. Kopf Den Fritz ihr geschickt hatte. hat sie ausnehmend gefreut, sie hatte ihn am Finger. Madame La Roche und viele von ihrer Familie habe ich kennen gelernt; ich war gestern den halben Tag bei ihr in Offenbach. Sie erzählt gar hübsch und interessant und würde Dir gewiß gefallen. Sie hat mich bis halben Weg in die Stadt begleitet, es war ein prächtiger Abend und die Luft voller Blütengeruch. Ich bin Dir getreu mit meiner Liebe; ich möchte noch dazu setzen: »Liebe mich!« aber ich habe Piks gegen diese Art zu schließen bekommen.
An Charlotte von Lengefeld.
Weimar, 29. März 1789.
Ich war den Winter immer nicht wohl, und da wird man geneigter zum Nachdenken, das einen im Leben nicht glücklich macht; der andere mir mühsame Begriff von meinem ehemaligen vierzehn Jahre lang gewesenen Freund liegt mir auch manchesmal wie eine Krankheit auf, und ist mir nun wie ein schöner Stern, der mir vom Himmel gefallen; wenn ich Sie sehen werde, will ich Ihnen mancherlei darüber erzählen, das ich nicht schreiben mag ...
An Fritz.
Weimar, 27. Mai 1791.
... Schreib ja dem Goethe, man hat ja mehr Briefe der Lebendigen an die Todten. Das Mitleid bemächtigt mich manchmal über ihn, daß ich weinen könnte ...
* * *
Weimar, 27. Juni 1792.
... Wenn man kein liebendes Herz hat, verdient man mehr Mitleiden als Vorwurf, denn es ist die schönste aller Empfindungen, lieben zu können, die dem Unglücklichen, der sich in sich zurückzieht, nicht mehr zu theil wird. Das ist doch Dein Fall nicht; Du bist zwar früh von einem Freund Goethe. hintergangen worden, es ist aber besser früh als spät, wo sich die Wunde nicht wieder auswächst ...
An Schiller.
10. Sept. 1794.
Ich bitte Sie, mein bester Herr Schiller, beikommenden Tisch in Abwesenheit unserer Lollochen in ihre Stube zu setzen. Ein guter Freund von Ihnen beiden hat mir den Auftrag gegeben, und ich habe es mit Vergnügen besorgt. Goethe war letzt bei mir und hat sehr gut von Ihnen gesprochen, es stimmte mit dem überein, was Sie von Ihrer neulichen Unterredung von ihm sagten, und es freute mich, daß es bei Goethe kein nur flüchtiger Eindruck war.
An Charlotte Schiller.
25. Febr. 1795.
Daß Goethe sich Schiller immer mehr nährt, fühle ich auch, denn seitdem scheint er mich wieder ein klein wenig in der Welt zu bemerken. Es kommt mir vor, er sei einige Jahre auf eine Südseeinsel verschlagen gewesen und fange nun an, auf den Weg wieder nach Hause zu denken ...
An Fritz.
14. April 1796.
Was Du von Deinen Idealen schreibst scheint, Du bist bestimmt, daß sie sich immer selbst entschleiern, wie es Dein hiesiger Freund Goethe. auch that. Sein kleiner August kommt jetzt oft als Spielkamerad vom kleinen Schiller zu mir. Es scheint ein gutes Kind. Ich schenkte ihm einige Spielereien, die ihn sehr freuten und nach drei verschiedenen Pausen, wo er vermuthlich einzeln die Geschenke in seinem Köpfchen recapitulirte, sagte er allemal ein recht ausgesprochenes: Ich bedanke mich. Ich kann manchmal in ihm die vornehmere Natur des Vaters und die gemeinere der Mutter unterscheiden. Einmal gab ich ihm ein neu Stück Geld, er drückte es an seinen Mund vor Freuden und küßte es, welches ich sonst am Vater auch gesehen habe. Ich gab ihm noch ein zweites dazu und da rufte er aus: Alle Wetter! Vor einigen Tagen schickte mir Goethe durch den Kleinen ein dick Packet Kochberger Akten, oder warens Kammerakten, die Du bei ihm hattest liegen lassen und schrieb ein recht papiernes Billet dazu. Hat er Dir wohl auf die drei Briefe, die Du ihm nacheinander schriebst geantwortet? Schillers sind nun beinahe vier Wochen hier Zu Ifflands Gastspiel. und Goethe macht Anschläge, im Fall er Ifflanden nicht hier fürs Theater engagiren kann, dem Schiller die Theaterwirtschaft, welche er zeither verwaltet, zu übergeben, da er nach Italien geht ... Lolochen Charlotte Schiller. ist von früh bis Abend bei mir; sie ist doch eine wirtliche Hausfrau worden, mehr als ich ihr zugetraut. Ich wünschte, sie wäre es mit ein bischen mehrerer Grazie. Sie ist ein engelgutes Wesen, ihre ganze Stiftung scheint ihr nur um des Mannes und Karlchens willen da zu sein ...
* * *
12. Januar 1801
Ich wußte nicht, daß unser ehemaliger Freund Goethe mir noch so theuer wäre, daß eine schwere Krankheit, an der er seit neun Tagen liegt, mich so innig angreifen würde. Es ist ein Krampfhusten und zugleich die Blatterrose. Er kann in kein Bett und muß in einer immer stehenden Stellung erhalten werden, sonst will er ersticken. Der Hals ist verschwollen so wie das Gesicht und voller Blasen inwendig. Sein linkes Auge ist ihm wie eine große Nuß herausgetreten, und läuft Blut und Materie heraus, oft phantasirt er. Man suchte vor eine Entzündung im Gehirn, ließ ihn stark zu Ader, gab ihm Senffußbäder, darauf bekam er geschwollne Füße und schien etwas besser, doch ist diese Nacht der Krampfhusten wieder gekommen, ich fürchte weil er sich hat rasieren lassen. Entweder meldet Dir mein Brief seine Besserung oder seinen Tod, eh laß ich ihn nicht abgehen. Die Schillern und ich haben schon viele Thränen die Tage her über ihn vergossen, sehr leid thut mirs jetzt, daß als er mich am Neujahr besuchen wollte, ich leider weil ich am Kopfweh krank lag absagen ließ, und nun werde ich ihn vielleicht nicht wiedersehen.
An Goethe.
(Ende Januar 1801).
Ich habe heute so viel Traurige zu trösten, daß ich mich nicht ganz der Freude überlassen kann Sie gesund wieder zu sehen. Wenn es Ihnen recht ist, lieber Goethe, komme ich morgen früh oder nach Tisch.
v. Stein.
Tausend Dank, lieber bester Geheimderath für die Mittheilung der Miscellen, Eine neue Cottasche Monatsschrift. aber besonders für die zwey an Körper und Geist appetitlichen Bücherchen, »Die natürliche Tochter« und das mit Wieland herausgegebene »Taschenbuch« für 1804. die, wie ich mir schmeichele, Sie mir als Geschenk bestimmen, ich habe mich sehr darüber gefreut, und der Schillern gestern Abend aufgetragen es Ihnen zu sagen da ich Ihnen meinen Dank nicht gleich zuschicken konnte; so gar war mirs, wenn gleich in einem dunkeln Gefühl, ein angenehmer Eindruck Ihren und Wielands Namen vereinigt zu finden ... Adieu lieber Goethe! Hier einen herzlichen Händedruck in Gedanken.
den 29. Octob. 1803.
v. Stein geb. v. S.
* * *
Ich höre Sie sind krank, lieber Geheimderath; da alles so um mich herum stirbt, so wird mirs Angst für alles was mir lieb ist, sagen Sie mir ein frundlich Wort, daß Sie leidlich sind ...
den 8. Jan. 1804.
von Stein.
An Fritz.
(Weimar) 19. September 1805.
Wie sehr wünschte ich lieber Fritz, Deiner Frau nützlich sein zu können, aber da ich vielleicht noch kränklicher bin als Deine Schwiegermutter, würde ich ihr nur Sorge machen. Sorge Du nur, daß Deine Frau sich die ersten 14 Tage ihrer Niederkunft recht still halte, an nichts denke, sich um nichts bekümmere. Du hast mir gar eilig Deine Schuld gesendet und zwar beinahe zwey Louisdôr mehr wie mir gehört, wer weiß ob Dichs nicht incomodirt hat, denn nie antwortest Du mir ob Du die versprochene Mitgabe bekommen, und möcht sich beynahe glauben es sey nicht. Jageman Der Maler. zaudert recht mit dem Bild, ich werde es endlich jemand anderes auftragen, auch will ich gern der Gore Frau von Gore, Gattin eines reichen Engländers in Weimar. Goethes Büste abschwatzen, genug die Louisdôrs sollen vor Dich angewendet werden. Ich schicke Dir hier eine Abschrift von einen Vermächtniß, so in meinen Schreibtisch hier liegt, und bitte mir das, was ich in Strachwitz gelassen, mir wieder zu senden oder zu verbrennen, weil ich einiges geändert habe und da Du nun verheyrathet, Deine Frau mit nichts von meinen Sachen bedacht hatte. Ich bin seit einigen Monathen recht leident und auf den linken Ohr taub, dieses mögte nun so hingehen, aber dabey habe ich das unsäglichste Lermen, Sausen und pochen im Kopf und meine eigne Worte machen mir einen so unerträglichen Klang im Kopf daß ich von meinen Worten nicht mehr gewiß bin und mögte mich besser im ordre de la trappe schicken wo man nichts mehr zu sagen hat als memento mori. Eine Sorge habe ich um Dich und die armen Schlesier wegen den anscheinenden Krieg ... Gestern Abend ging ich mit Prinzeß Caroline im Park und wir sahen den schön gestirnten Himmel an, und ich sehnte mich in einen Planeten, wo ewiger Friede wäre, und keine Eroberer oder sogenannte Helden. Lebewohl, mein guter Fritz, und grüß Deine liebe Frau aufs schönste von mir.
* * *
(31. Oktober 1805).
Unendlich erfreut mich das kleine neue Enkelchen, Marie. sag das der jungen Mutter und daß es mir lieb wäre, noch ein Töchterchen neben ihr zu haben. Schreib mir bald wieder, lieber Fritz, wie sich Mutter und Kind befindet und auch wie es mit Deiner Gesuntheit steht, es ist gar zu kalt schon, und Du hast nicht die Gabe Dich warm zu halten, und wenn ich beym niederlegen an die armen Soldaten denke mit Wunden in der Witterung, kann ich gar nicht schlafen: Ich mag die Poeten nicht mehr, welche die Eroberer besungen haben, meine letzte Montags Gesellschaft war recht traurig, ja wir haben alle geweint über die unglücklichen Nachrichten. Es sind so Viele hier, welche Brüder Freunde und Verwande bey der Oestreichischen Armee haben, besonders war die Wedeln Hofdame Henriette von Wedel. ganz außer sich. Immer fält mir der alte Friedrich ein, wie er gesagt hat von die Franzosen ces superbes tirans entrant dans vos etats Vous feront payer leur funeste assistance. Das Französische des damaligen Weimarer Hofes ließ zu wünschen übrig. Morgen komt der Russische Kayser unsre Erbprinzeß zu besuchen, ich habe eine heimliche Angst, die Franzosen könten ihn in ihre Hände bekommen ...
Daß der arme Herzog von Oels Bruder der Herzogin-Mutter, der bei dem Sohne der Erbprinzessin Pate stehen sollte, aber am Tauftage starb. hier sein Grab gefunden hat uns allen sehr leid gethan, der Erbprinz frug mich ganz traurig ob dies nicht von übler Vorbedeutung vor sein Kind sein würde, mir wars auch in den Bezug fatal, doch was sind endlich die Dinge der Erden, mir deucht es wäre alles nur um Kräfte zu üben, vielleicht erfahren wir einst zu was für einen Bezug ...
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(20. Dezember 1805).
Heute früh beym Anbruch des Tags bekam ich Deinen lieben Brief vom 13t. Schon lang hatte ich gefürchtet, daß auch Dich die Last des Kriegs drücken würde, es ist mir unbegreiflich wie Du Dein Guth Strachwitz. wirst erhalten können, da Du es mit so viel Schulden übernommen. Sag doch Deiner guten Frau, sie solle sich doch auch um meinetwillen schonen, sie müsse blühend und fröhlich sich zu der ersten Zusammenkunft mit der alten Mutter erhalten: schreib mir bald wieder etwas vom Kind, es wird gewiß leben bleiben, hier hat man die Regel, einem stillenden Kinde wenigstens nicht so bald die Kuhpocken einzuimpfen. Unßre arme Großfürstin ist recht um ihre zwey Brüder in Angst gewesen, wir bekamen erst Nachricht von einem Sieg der Russen, aber sie blieb schwermüthig, es ahndete ihr das traurige Schicksal ihrer Landsleute. Lies doch Deiner Frau den Cid vom seeligen Herder aus dem spanischen übersetzt vor. Es steht im 3t. Theil von seinen Werken, ich wollte, die Russische Armee hätte den Cid zum General gehabt, der edle brave russische Kayser dauert mich recht schmerzlich, den er wolte nur die gute Sache.
... Ich werde suchen die schlesischen Provinzial Blätter zu bekommen, es scheint, man legt gern was unparteiisch und gerecht seyn soll in Deine Hände ... Ich möchte wissen was Mariechen Fritzens Tochter. macht, ob das liebe Kind besser ist? Du machst es doch nicht wie ein gewisser Herr von Soten, der, als seine Frau um die Kinder sorglich war, ihr sagte, du hast mich ja geheyrateth und nicht die Kinder. Ich lese jetz Garbes Briefe an Weise, und Soltikofern mit großem Interesse, vielleicht hast Du sie schon gelesen ... Ich bringe den Winter wegen ewigen Kopfschmerz meist zu Hauß zu, doch bin ich nicht Bettlägerig, ich könte auch wie Einsiedel, Der Oberhofmeister. als ihm der Herzog nach seiner Gesundheit fragte, antworten, erträgliche Schmerzen überall; mich interessiren Garbes Briefe Gemeint sind die 1801–1804 veröffentlichten Briefe des ewig kränklichen Philosophen Christian Garve auch, weil ich seine Leiden begreifen kann. Deiner Frauen Charakter kommt mir gar liebenswürdig vor, wir schickten uns recht gut zusammen, ich in der ruhigen Ergebung des Alters in den Schicksalen der Welt, und sie in den jugendlichen Wiederstreben gegen die Uebels. Eben war Goethe bei mir, ich las ihn einige Stellen aus Deinen letzten Brief die ihm gefielen. Er freute sich auch Deiner wohlangebrachten Blumen Stöcke, ich muß beynah allen Blumen in der Stube entsagen, ich bitte Dich ja keine in Dein Zimmer zu setzen, die lieblichen Gerüche dieses anmuthigen Geschlechts müssen den Lüften des freyen Himmels dienen.
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Weimar den 15. Jan. 1806.
Lieber Guter Fritz. Ich danke Dir für Deinen Antheil an meinen Geburthstag, gern hätte ich Dich auch dabey gehabt, daß Du ganz glücklich wärst; trennte mich nicht der weite Weg und mein nicht geschicktes Alter zu einer zweyten Reise nach Schlesien, ich glaube ich könnte Deiner Frau dort nützlich seyn. Ich habe mir auch in meiner Jugend ein phantastisches Bild gemacht, wie ein Ehe Mann ganz anders sein müsse als ihn die Natur gemüthet hat, und schwerlich geht ein Mann in alle unßre Leiden ein; mit der Zeit, wenn Helenchen die romanhafte Begriffe über die Männer wird abgelegt haben, wird sie gewiß besser mit Deiner ernsthaften Natur simpathiesiren; da sie Verstand hat, muß es eine Seite geben wo man ihr beykommen kan. Sollte es möglich seyn daß wir uns den Sommer sähen, so schreib ich Deiner Frau und bitte sie das Kind nicht mitzubringen, da sie es unter guter Aufsicht zurück lassen kann, aber die entsetzliche Theuerung, da die Armeen alles aufzehren, läßt es kaum hoffen reisen zu können, und nun noch dazu Deine Kriegs Abgaben, die Märkter haben es gescheut gemacht den König gleich ein Geschenk zum mobil machen seiner Armee zu geben, da könte jeder nach seinen würklichen Vermögen geben, anstatt daß mancher Schlesier von Gütern zahlen muß, wo drey Theile davon nicht seine sind. Die Amalie von Stein, geb. von Seebach, Gattin Karls, ältesten Sohnes der Charlotte. schreibt mir von Kochberg sie käme sich jetzt wie eine Gastwirthin vor, zum Glück sind ihre Einquartirung artige bescheidene Leute, die meisten Preusen betragen sich bey ihren Wirthen hülfreich, auser einzelne ... Die Theater Casse ist wohl die einzige, die bey der Einquartierung gewinnt, der armen Schillern kostet es wohl schon auf 50 Rth. Die Gräfin Barkoff Backow, Gattin eines Diplomaten. will ihr Hauß drüber weg geben, es drückt alle, die etwas Vermögen haben, hingegen die Armen essen mit die Soltaden welch letztere ihr Brod mit ihnen theilen dafür, daß sie ihnen den Soltaden etwas kochen. Die Preusische Beckerey ist jetz in Belvedere, unßre Becker konnten vorher wegen den unendlich backen gar nicht mehr zu bette kommen. Goethens Vorlesungen gehen alle Mittwoche ihren Weg, ein Viertelstündchen wird der Politik gewidmet oder viel mehr den jetzigen Begebenheiten, doch hat er das nicht gern. Vor 8 Tagen war eben seine Schwägerin, die jüngere Schwester seiner demoiselle Vulpius. gestorben und zwar wie wir eben da waren, aber alle todesfälle in und außer seinen Hauß läßt er sich verheimlichen, bis er so nach und nach dahinder komt, doch soll er sie beweint haben, sie war schon lang an der Auszehrung krank, sein Bube komt mir auch nicht vor als könte er lange leben, gebe der Himmel, daß er nicht vor ihm stirbt, seine demoiselle sagt, man betrinkt sich alle Tage, wird aber dick und fett, der arme Goethe der lauter edle Umgebungen hätte haben sollen! doch hat er auch zwey Naturen. Er ließt uns jetzt über die Farben, sagt daß sie in unßern Augen liegen, drum verlange das Auge die Harmonie der Farben wie das Ohr die Harmonie der Töne usw.
Unser Erbprinz mit seiner Gemahlin ist noch in Berlin, unßre par force Jagd ist endlich abgeschafft, da unser Herzog ins Feld zieht, ich hoffe die Lämmer zu weiden, denn nun wärs doch wohl zu spät zuzuschlagen, ein Augenzeuge hat uns hier erzählt wie die armen 18 tausend gefangen Russen abscheulich behandelt werden, manchmahl werfe ich die Zeitung vor Zorn auf die Erde, sage mir denn, daß es mich nichts angeht – aber die Menschheit ist doch ein Ganzes. Leb wohl, der Himmel beschütze Dich, grüß Helenchen, küß Marie und die Mutter von mir.
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18. November (1806).
Endlich ist eine Sorge wieder überstanden. Möge nur Deine liebe Frau mit ihrem neugebohrenen Söhnchen Lothar. nichts vom Schrecken einer Belagerung leiden, und nichts von den losgelassenen Deufeln aus der Hölle der Plünderers. Wenn ich jetzt nur ein französische Stimme höre, so schaudert mirs, und noch kann ich nicht einschlafen noch aufwachen, ohne daß mir diese Schreckensbilder vorschweben, und in diesen Zustand sind so viele tausende mit mir, die armen Lübecker haben auch dieses Schicksal gehabt. – Wie dauert mich der arme König!
Möge der neugebohrene Sohn glücklichere Zeiten erleben als wir; Deiner Frau tausend Glückwünsche. Es ist mir sehr lieb, wenn die Ältern vom Hautcharmoy Einem ihr von Fritz anempfohlenen verwundeten preußischen Offizier. kommen, so habe ich eine Sorge weniger, aber einen traurigen Anblick haben sie zu erwarten. Lebewohl guter Fritz; unser Erbprinz geht heute nach Berlin und er hofft seinen Vater auch dort zu finden, das Schicksal vom Hohenloh hat mir weh gethan. Wenn unser Herzog zurück komt, wissen wir nicht, er wird seine Unterthanen als Bettelleute wieder finden, denn die Dörfer sind auch ausgeplündert und nun die unmenschliche Contribution, sie müssen all davon gehen.
Ich freue mich immer auf Deine Briefe, Gott beschütze Euch.
Deine treue Mutter.
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Am 19. Novbr. (1806).
Ich hoffe bald wieder auf Nachricht, wie es der Wöchnerin geht und was mein Enkelchen macht, ob Du auch noch in Besitzthum von Deiner Habe bist. Vorgestern kamen Briefe von des Hautcharmoy Ältern, auch ich bekam einen von der Mutter. Was es mich schmerzt, daß sie nicht ahnden, daß er wohl nicht zu retten ist: bis ins Frühjahr könne er vielleicht sein Leben erhalten, sagt Hufeland Der Arzt ... Viel Ordnung ist bei der französischen Armee, die Plünderers müssen die gestohlenen Sachen alle ihren Obern abliefern und bekommen einen Schein darüber ... In den Zeitungen schreibt man nichts von den Greuelthaten, stell Dir vor, daß die alte Mundschenken, des Kästners Schwester, eigendlich ein Abscheu zur Lust, auch die ist mißhandelt worden. Kästner Der erste Erzieher Fritzens, Pagenhofmeister in Weimar. hat mirs selbst erzählt, der arme Kästner ist auch recht ausgeplündert, er hat noch immer junge Leute bey sich, die er erzieht, dem einen haben sie seine Flöte weggenommen, die er sehr hübsch bläßt, ich hatte noch zwey von Deinem seeligen Vater, wollte sie ihm geben, aber sie waren auch weg ... Grüß Deine liebe Frau, ich küsse Marie und das neugeb. Söhnchen in Gedanken, Gott segne sie. In Deinem letzten Briefe war kein Dadum, ich weiß also nicht eigentlich den Tag, da dieses liebe Enkelchen geboren ist, vermutlich der 11te oder 12te. Lebt wohl, gute Kinder
Deine treue Mutter.
Goethe läßt Dir Glück wünschen zum neugebohrnen Sohn, es schien ihm zu freuen, seine Besuche sind mir nicht wohlthätig, ich kann nicht offen gegen ihn seyn, manchmal ist er ganz wie verrückt ...
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den 26. Juli (1808).
Ich kann mir das liebe junge Wesen Fritzens am 16. Juli im Wochenbette verstorbene Frau Helene. gar nicht im Grabe denken, es zerreißt mir das Herz, und nun fallen mir tausend Sorgen ein, ob etwas versäumt worden ist; Hatte sie denn ausgerechnet? oder kam sie zu frühzeitig nieder? ... Du schreibst so gefaßt und so gelassen wie jemand, der sich selbst aufgegeben hat, sag mir ja bald von Deiner Gesundheit, wie gern käme ich zu Dir, hätte ich die Kräfte dazu, nun bin ich so alt und kann niemand mehr nüzlich seyn, was wird aus den armen Kindern werden, die Großmutter ist wohl zu kränklich, um sie zu sich zu nehmen – die armen Großältern ihr einzig Kind zu verlieren, wie werden sies ertragen können. Die gute Mlle. Gerstmeyer Erzieherin der Kinder Fritzens. ist noch mein Trost, ihr mögte ich etwas Gutes erweisen können, ich hoffe sie nimmt sich Deiner an ... Könntest Du bey mir seyn um Dich wieder zu erholen, ich gäbe Dir etwas zum Reisegeld, aber wie bey jezigen Zeiten sein Hauß verlassen, alles alles wird jetzt unglücklich was nur irgend Ruhe und häußliches Glück genoß. Ich schließe mit einer Stelle aus Goethens Pandora, wo er mir den ersten Theil in Manuscript neulich aus Carlsbad zugeschickt:
Was zu wünschen ist, ihr unten fühlt es,
Was zu geben sey, die wissen's droben,
– – – – – – – aber leiten
Zu den ewig Guten, ewig Schönen
Ist der Götter Werk; die laßt gewähren.
Es nehmen hier so viele Menschen Antheil an den Tod der guten hingegangenen daß mein Schmerz nur immer mehr aufgereizt wird. Lebewohl guter Fritz schreib mir ja bald wieder ... Goethe trägt mir in seinen Brief auf, Dir für die Abtrücke von sehr interessanten Medaillen zu danken und zwar aufs beste, was Du darüber zu wissen begehrst will er Dir schreiben wen er wieder nach Hauß komt.
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den 27. Juli (1808).
Wen man alt wird fühlt man recht wie nothwendig einen der Tod ist, um von allen Schmerzen auszuruhen, die man im Leben hat ertragen müssen. Indessen ist der guten Helene auch wohl im Grabe, denn sie fühlte sich doch nicht glücklich, was auch der Himmel vor vielen andern für Gutes ihr beschert hatte, hübsche Gestalt, Vermögen, einen rechtschaffnen Mann usw., aber ein inneres Unbehagen welches wohl eine schwache Gesundheit verursachte, lies ihr dies nicht geniesen. Die Welt ist auf gesunde Menschen calculirt; ich habe mir viele Gefühle des lieben Wesens wohl erklären können, ich muß ihr nun viele Thränen weihen, aber ich fühle, daß ich solche Schmerzen nicht die Kraft mehr habe zu ertragen; ich bin nun äußerst um Deine Gesundheit besorgt, könnte ich Dir nur noch nüzlich seyn, meine Gedanken kommen gar nicht von Dir, schreib mir ja bald wie Du Dich einrichten wilst und ob Dir die Franzosen noch etwas zu leben lassen.
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15. August 1808.
Ich habe die Denckrede der guten Helene an die Freunde vertheilt, sie hat mir sehr gefallen und ich wundre mich nur über Deine Fassung, so alles haben besorgen zu können. Ich komme auf alten Volksglauben zurück. Den Sterbetag von Deiner Frau hat mich eine ungewöhnliche Traurigkeit überfallen, eine kleine Gesellschaft ladede mich ein zum Mitglied, der Prinzeß Caroline in ihrem Gärtchen ihren Geburtstag zu feyern, denn sie ist noch in Wilhelmsthal – auf den andern Tag, welches der 18. war – ich weigerte mich erst und gestand, ich hätte einen unüberwindlichen Hang, einsam zu seyn, endlich ging ich doch, um nicht absurt zu scheinen, es war hübsche Musik im Garten, schöne Kuchens pp., aber von allen genoß ich nichts und ich ging endlich fort. Es war meine Traurigkeit nicht auszuhalten, so daß die Gesellschaft es bemerkte und sich nun jetzt diese Ahndung zu erklären weiß. Ich weiß nicht, war es einige Nächte darauf oder dieselbe Nacht, als ich grad um Mitternacht mit Schrecken aufwachte von dem Schrey einer Eule, die mir zum Fenster, das ich aufgelassen hatte, weil es sehr heiß war, herein schrie; die Bose Fräulein v. Bose, die bei Charlotte wohnte. hörte es auch, es hatte uns beyden geschauert, denn nie halten sich Eulen da auf. Ich konnte nicht unterlaßen, mir zu sagen, der Weisheits Vogel bedeutet mir nichts gutes. Ein Traum hatte mir schon längst gesagt, daß mir ein Verlust, der Dich anginge, bevorstünde, aber nimmermehr fiel mir ein, daß es die arme Helene seyn könnte; sich ähnliche Geister wissen sich in geheimnisvoller Sprache etwas zu sagen, das habe ich oft erfahren. Deine Briefe habe ich besorgt. Noch ist alles abwesend, den 23ten heißt es, kommen die Herrschaften von Wilhelmsthal ...
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31. Dezember 1809.
Den lezten Tag im Jahr will ich noch mit einen Brief von dir endigen mit den Wunsch, daß das künftige Dir möge glücklicher erscheinen als so manche es nicht waren, seitdem Du Dein Vaterland verlassen hast. Ich habe manche schlaflose Nacht um Dich, besonders seit einem Brief von Deinem Schwiegervater, in welchem er schreibt, er werde suchen Deiner Kinder Vermögen zu retten, übrigens machten Deine zerrütteten Umstände Deinem Charakter Ehre; ich sehe also, daß er nichts vor Dich thun wird im Fall einer tringenden Noth; verkaufts Du Dein Guth so kanst Du ja nicht mehr Landschaftsrepresentant seyn, also auch da ein Verlust, und es zu behalten ist auch ohnmöglich weil beinahe nichts mehr dran Dein ist nach allen Kriegsverlust ...
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Weimar, den 27. April (1810).
In 14 Tagen ohngefähr wird das Kästchen mit Münzen Ein Geschenk Goethes für Fritz. durch Gelegenheit des Buchführers Hoffmann hier abgehen. Ich habe lange nichts von Dir gehört, wie geht Dirs lieber Fritz? bist Du wohl und glücklich? ... Unser Herzog ist jetzt in Dresden; die Prinzes Amelie von Baden ist zu Ihrer Mutter gereißt mit 5 Wagen von Petersburg, wo sie 6 Jahre war, hat sich einige Tage hier aufgehalten. Künftigen Sonnabend erwarten wir Prinzes Wilhelm von Preußen. Ich lebe in der Stille, sehe nur Prinzes Karoline von Weimar. so viel als möglich, da wir uns bald trennen müssen. Goethe hält sich schon lange in Jena auf, schreibt mir nicht ein Wort, aber er ist wohl, hat sogar in Drachendorf Drackendorf. bei Ziegesars Der Familie des Altenburgischen Ministers v. Z., mit dessen jüngste Tochter Silvie Goethe befreundet war. getanzt, wurde aber schwindlich, fiel hin, es hat ihm aber nichts geschadet, es ist schade, daß eine so ausgezeichnete Natur nicht immer jung bleiben kan. Was macht Deine Braut Gräfin Amelie von Schlabrendorff. wird sie sich vor glücklicher halten als Helene sich hielt? Das Blatt mit die bunten Bilderchen so ich Dir mitschicke gieb Mariechen von mir, grüß alle meine alte schlesische Bekannte ... Deiner Braut sag aber vorzüglich recht viel liebes und Gutes in meinem Namen. Ich hoffe sie noch kennen zu lernen und freue mich drauf ...
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Am 8. Februar (1811).
Ich muß Dir gestehen, lieber Fritz, daß mir ganz sonderbar vorkommt, wie Du die Begebenheiten, die das Glück, Wohlstand, und Ruhe unßers Lebens ausmachen, mit einen Leichtsinn behandelst, der doch Deinen ernsthaften Charakter gar nicht angemessen ist, und mich endlich über Dich ganz besorgt macht, so hast Du es seit der unglücklichen Zeit, als Du den hiesigen Dienst verliesest, mit Deinen Güthererkauf und Deinen Heyrathen gemacht usw. Alles, was Du mir von Deiner zweiten. Frau sagst, ist noch keine Ursache, sich von ihr trennen zu wollen, vielmehr solltest Du suchen sie zu erziehen, sie mit Liebe zu gewinnen ... und Du thätest ein gutes Werk an ihr, da Du nun einmal Dich mit ihren Charakter nicht vor der Heyrath hast vorgesehen. Diese Trennung wird Dir wieder viel Geld kosten, und endlich wirst Du den panquerot gar nicht entgehen können; Dein Gut zu verkaufen bringt Dir auch den Verlust Deiner jetzigen Stelle, da Du nicht mehr Landstand bist und endlich wird man das Zutrauen zu Dir verliehren, da Du Dir Deine eigene Sachen nicht besser zu machen weißt; und jetzt, da Humbold nicht mehr in Berlin ist, hast Du nicht einmahl einen Freund, der vor Dich spräche; Du wirst vielleicht hart finden was ich Dir sage, und ist etwas wahres dran, daß die Unglücklichen immer unrecht haben, also Du armer Fritz mußt auch dieses leiden, doch hielt ich vor meine Pflicht, Dich drauf aufmerksam zu machen, Deinen Schicksal nicht zu trauen, vielmehr immer lieber das sicherste als gewagtes zu nehmen. Von Jugend auf waren alle Hände aufgehoben, Dein Glück zu machen, bald wolte Dich der eine adoptiren, Dir sein Vermögen mit einer reichen Nichte geben – es wurde nichts, bald wollte Dich ein anderer adoptiren Goethe. und nie von seiner Seite lassen und wurde nichts – hier machte man allerhand Entwürfe, was Du werden soltest – Du bliebst weg, in Schlesien gabs manche hübsche Aussicht, abermahls wurde nichts erfüllt, also hat Dich das Glück immer getäuscht, traue ihm nicht mehr, sondern rette nur ein kleines sicheres Glück, Du hast den Seegen Deines Vaters, der Dich vorzüglich liebte, den meinigen, denn Du betrübtest mich niemahls, er hat nicht gewirkt, das gehört zu den jetzigen Zeiten wo man allen Glauben ans Gute verliert. Du wirst Dich erinnern, daß ich das Capital, wovon ich mein Withum bekomme, nicht auf Dein Guth wolte gesetzt haben, weil ich Dein gewagtes Handeln voraus sah, ich erinnerte auch, nicht ein so großes Guth zu kaufen, denn es könnte Krieg kommen, aber Du kontest Deinem Schicksal nicht entgehen; wärst Du ein rechter Erdenmensch, es wäre Dir gelungen, aber es ist ein besseres Streben in Dir, gieb Dich also den Erden Glück nicht mehr preis, wage nichts mehr, es läßt Dich stecken. Nun hast Du auch wieder Dein Pferd verlieren müssen, vielleicht hat ihm die Reise nach Glogau geschadet; Hat denn Deine Frau Dir gar nichts ins Haus gebracht als den Dax und den Vogel? ... An der Herzogin Geburthstag hat man den standhaften Prinz von Chalderon aus den spanischen vom Schlegel übersezt gegeben, mir und sehr vielen hat es außerordentlich gefallen, aber freilig den grösern publikum nicht, die Schauspieler spielten vortrefflich, Goethe war ganz mit jugendlichen Feuer dabey; ich werde ihn an die Münzen erinnern ... Du hast wohl recht, nichts ist den Gedächtniß verderblicher als ein sorgliches sorgenvolles. Leben. Ich habe vor verschiedenen Jahren schon einmahl einen Professor, Gemeint ist vielleicht der sächsische Landgeistliche Kästner, ein bedeutender Mnemotechniker, der gern seine Kunst bewundern ließ. dessen Nahmen ich vergessen, hier gesehen, der nach den Regeln der Mnemomik zum erstaunen alles behielt, was wir, eine große Gesellschaft, ihn aufgaben, aber im Leben selbst glaub ich nicht, daß es anwendbar ist, es gehört schon selbst zu einen guten Gedächtniß dazu, die Preparate zu lernen. Wenn Du Lust hast zu vergessen, was ich vor Dich ausgelegt, so will ich Dirs gern lassen, aber ich kann dann nichts ferner mehr auslegen, habe auch allerhand extra Ausgaben dies Jahr, als die Tapeten zu erneuern und die zerrissene Kleidung meiner Stühle, Canape, Deckbette usw., vielleicht brauch ich bald von alledem nichts mehr, und wäre mir um so viel lieber Dir alles zu lassen, denn Du mußt Dich doch noch eine Zeitlang mit dem Leben herumstreiten. Wie wunderbar, daß ein einziger Mensch in der Welt die Gewalt hat, uns alle um unßere Existenz zu bringen, diese Unsicherheit verdirbt einen recht das Leben. Lebe nur in der Hoffnung, verdirb nicht selber was an Deinem Schicksal, vielleicht hat es Dich ausersehen, die Stütze der Amelie zu seyn, Du verspracht's ihr ja vor den Altar.
Deine treue Mutter.
An Goethe.
Gesiegelt mit dem f. Z. von Goethe geschenkten Petschaft mit der Inschrift »Alles um Liebe«.
Das Zettelchen, lieber Geheimerath, sollen Sie morgen früh bekommen; aber ich kann jetzt dem Drang nicht wiederstehen es heute Abend noch zu schreiben, da ich eben aus dem Tasso komme, den ich immer himmlischer finde je mehr ich ihn sehe, und alles wo mir nur ein Laut zukam fühlte es ebendso. Gern wäre ich noch selbst heute Abend gekommen um es Ihnen zu sagen, wenn ich nicht gefürchtet hätte Sie in Ihrer Ruhe zu stören. Der Amiant oder Asbest hat Ihnen zu Ehren den ganzen Tag in meinem Cabinet gebrannt wie vor einer Gottheit, nur schade daß ich keine goldne Lampe dazu habe, dann hätte ich sie heute Abend vor Ihr Schlafzimmer gestellt. Von der Großfürstin soll ich Ihnen die schönsten Grüße sagen, ich kam gestern noch zu rechter Zeit in die Gesellschaft. Mögen Sie die Nacht ja recht wohl schlafen und nicht etwa durch eine Art von Galvanismus Anspielung auf die physikalischen Vorträge Goethes. durch die viele heute Abend mit Enthusiasmus an Sie Denkenden beim Einschlafen gestört werden. Ihre treue Verehrerin
v. Stein.
Mittwoch Abends halb 10 Uhr
den 20. März 1811.
Etwas zum Frühstück kommt mit.
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24. Dez. 1811.
Mir deucht es wäre so ein altes Recht, das Sie, bester Geheimerath, auf einen Wachsstock von mir zum Weihnachtsgeschenk haben; hier brennt mein Stöckchen also ganz dehmüthig, da ich eigentlich nichts sinnigeres zu geben weiß das Ihrer würdig wäre, es ist doch noch immer ein Flämmchen das auf den Ihnen errichteten Altar lodert.
Sie haben wohl den Brief von der Helvig Nichte der Stein, die Dichterin Amalie von Helvig. den ich Ihnen heute Früh schickte erhalten, seien Sie doch nicht grausam und sagen auch dieser Verehrerin ein Wort. Haben Sie der Arnim Bettina. noch nicht gedacht?
v. Stein.
An Fritz.
Weimar den 1. May (1812).
... Ich hoffe, Du bist jetzt wohl, wenngleich durch neue Lasten mit Sorgen überhäuft. Wie gehts mit Deiner Frau? Wäre ich nur nicht so alt und der Krieg und Theuerung überall (bey uns wird das Brod immer theurer) so käme ich diesen Sommer nach Breßlau ...
Goethe kann das Abschied nehmen nicht leiden, er ging ohne Abschied neulich von mir, nun reißt er heute von Jena aus, wo er einige Tage war, nach Carlsbad ab, in der kalten Witterung: Er eilte so entsetzlich geschwind zu meiner Thür hinaus, daß es mir wunderbar vorkam, ich glaube ich sehe ihn nicht wieder ... Mlle. Jagemann Die Geliebte des Herzogs. hat die fürstliche Familie wieder mit einen Töchterchen vermehrt, man sagt, sie werde das Palais von der Hertzogin Mutter künftig beziehen oder bekommen, man hat Stroh in die Straßen gestreut, wo sie in Wochen lag um das Lerm der Fuhren zu dämpfen, darauf fand man ein Pasquill an ihren Hauß – die Policey nahms geschwinde ab; dieser kleine Hof soll mehr kosten wie der große, es macht im allgemeinen einen bösen Eindruck. Ich lege einen Arbeitsbeutel bey, den schenk in meinem Nahmen entweder Deiner Frau oder Mariechen.
Deine Dich herzlich liebende Mutter.
An Fritz
18. September 1802.
... Goethe ist zurück, war gleich bey mir, er sieht gut aus, aber seine Augen sind nicht mehr die alten. Es ist, als wenn er keine Ruhe habe, es treibt ihn immer fort, jetzt will er nach Jena. Zu mir ist er höflich und freundlich, manchmal als drücke ihn was und dann wieder von schöner Heiterkeit ...
An Goethe.
Gesiegelt mit dem Petschaft »Alles um Liebe«.
23. Jan. 1814.
Recht innigsten Dank, lieber bester verehrter Meister, für Ihr Geschenk das mir ein freundlicher Sonnenblick durch mein schon viele Tage umwölktes Haupt war. Wenn der Schnee sich nicht zu dick zwischen uns legt, so brech ich doch noch durch so bald es geht, und mache mir Bahn zu Ihnen, denn ich bin geizig auf Sie, und muß dem Autor auch persönlich Dank sagen. Für die gestrigen Rübchen schließ ich Ihnen, oder vielmehr der lieben Hausfrau, den schönsten Dank bei, das Gericht war sehr gut.
Ihre treue Verehrerin v. Stein.
An Karl von Stein.
7. Jan. 1817.
Hier ist gestern eine schön geputzte Braut bei Hof präsentiert worden, nämlich Fräulein Ottilie von Pogwisch mit dem jungen Goethe. August. Die Braut nebst Mutter und Großmutter Gräfin Henckel-Donnersmarck. haben mir diese glückliche Begebenheit ihrer Familie gemeldet. Zweite Neuigkeit. Der Staatsrath Kotzebue zieht nach Weimar, mit dem Titel, sagt Seebach, Oberstallmeister von Seebach. literarischer Spion. Künftigen Donnerstag, nämlich übermorgen, gibt die Großfürstin einen Ball. Lieber Sohn, ich war bisher immer krank.
An Goethe.
Den 14. Juli 1825.
Lieber verehrter Geheimderath! Für das schöne Medaillon mit Ihrem Bildniß, Von Antoine Bony in Genf 1824. das mich samt den kleinen allerliebsten Überbringers Walter und Maximilian, Goethes Enkel. sehr erfreut hat, wollte ich Ihnen gleich herzlich danken, aber ich wurde durch viele Besuche gehindert und so fort durch mancherlei, bis mir in den Augenblick eine ruhige Stunde erscheint. Könnte ich Ihnen nur etwas Gutes dafür erweisen! vielleicht wenn wir uns in dem großen Weltall wo wiederfinden –.
Ich schließe Fritzens Brief hierbei. Wenn er sie amüsieren könnte –
Ihre treue Verehrerin v. Stein.
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Tausend Glück und Segen zum heutigen Tag. Mögen die Schutzgeister auf dem himmlischen Reichstag befehlen daß alles Liebliche und Gute Ihnen, geliebter Freund, erhalten werde und mit aller Hoffnung aufs Künftige ohne Furcht verbleibe, mir aber erbitte ich, verehrter Freund, Ihr freiwilliges Wohlwollen auf meiner noch kurzen Lebensbahn.
d. 28. August 1826
Charlotte v. Stein
geb. v. Schardt.
An Fritz.
(Anfang September 1826).
Lieber Fritz! Die gute Präsidentin Schwendler nimt sich meiner möglichst an, ich seh nicht mehr recht, kann nicht mehr sprechen, bin voller Schmerzen vom Kopf bis zum Fuß, wenn mein gutes Mariechen bey mir seyn könte, ginge mirs besser, tausend Dank für ihre schöne Arbeit, ich schrieb ihr gern, aber es wird zu schwer. Deinen Brief an Amelie Amalie von Stein. habe ich ihr nach Kochberg geschickt, was Dir die Schwendlern geschrieben, kont ich nicht lesen, noch ein rechtes Leiden daß ich stark taub bin. Lebe wohl guter Fritz Gott segne Dich. Deine Dich herzlich liebende Mutter.
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(November 1826.)
Lieber Fritz! Wie sehne ich mich dich zu sehen! wäre es gutes Reisewetter und bekäme ich mein Geld ordentlich, denn die Pachters zahlen nicht, so erböte ich mich die Reisekosten für dich zu bezahlen, so werde ich dich nicht wiedersehen und das rätselhafte Dasayn bald vollendet haben. Der versprochene Besuch vom Professor Professor Steffens. auf seiner Rückreise nach Breßlau ist nicht erfolgt und der arme Guido (hat) durch diese Gelegenheit sein Kästgen mit die Frühstückstassen also nicht bekommen ... Louisgen ist jetzt bey mir, aber auch nur halb, denn die vielen guten Freundin(nen) reißen sich um sie. Der arme Fritz Sohn von Karl von Stein. von Berlin war tödlich krank, hat mir einen allerliebsten Brief geschrieben zum Zeichen seiner Besserung. Grüß freundlich die beyden Stosch Schwiegereltern von Fritz. Papa und Mama, die Großfürstin grüßt dich gar freundlich.
An Fritz.
(Anfang Dezember 1826).
Ich wünsche, daß Du meinen Brief, an den ich schon 3 Tage schreibe, mögest lesen können ... Dies die letzten Zeilen Charlottens; die Fortsetzung stammt aus der Feder ihres Enkelchens Luischen, ihrer treuen Pflegerin. Bis hierher schrieb die gute Großmutter. Seit dem ist sie aber krank geworden und liegt im Bett, an welches sie mich eben rief, um mir aufzutragen, an Dich, geliebter Onkel Fritz, diese von ihr mit schwacher Hand geschriebenen Zeilen ab zu senden und Dich noch schön zu grüßen. Großmutters Fuß ist recht geschwollen und hat eine offene Stelle bekommen an der Ferse; dabey hat sie im ganzen Körper viel Schmerzen und Übligkeit; ihr Wunsch ist Ruhe, nach welcher sie sich sehnt; mit unendlicher Geduld erträgt sie die Leiden welche sie täglich zu ertragen hat. Recht bald werde ich Dir wieder schreiben um Dir zu sagen wie es geht. Fräulein Staff Wilhelmine v. Staff, Tochter des Oberforstmeisters. welche mit mir vereint der kranken Großmutter zur Seite stehet, läßt sich Dir schön empfehlen. Wenn Du an Mariechen schreibst, so bitte ich Dich sie recht herzlich zu grüßen – wir sind so lange von einander getrennt gewesen daß ich garnicht mehr weiß wie ich mir mein Cousienchen denken soll. Die Präsidentin Schwendler hat eben ein Blättchen zur Einlage an Dich geschickt. Die Ankunft des preußischen Gesandten Jordan setzt alles hier in Bewegung, eben kam Gräfin Schulenburg Oberhofmeisterin seit 1816. mit einer langen Schleppe von Tafel, um sich nach den Befinden der Großmutter zu erkundigen, sie schläft recht sanft und fühlt wenigstens so lange keinen Schmerz. Lebe wohl, mein guter Onkel, tausend Dank für Deinen freundlichen schönen Brief und vergiß nicht zuweilen zu gedenken Deiner getreuen Nichte Louise v. Stein.