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Katharina Elisabetha, die Tochter des angesehenen Schultheißen Johann Wolfgang Textor, geboren am 19. Februar 1731, war über zwei Jahrzehnte jünger als der Mann ihrer Wahl. Vielleicht war »Ihro Römisch Kaiserlichen Majestät Würcklicher Rath« Herr Johann Kaspar Goethe gar nicht einmal der Mann ihrer Wahl. Er hatte um die frische Patriziertochter angehalten, um sich »zum Gleichen der Obersten« zu machen, und sie hatte eingewilligt, weil er als vermögender Mann galt, der ihr denn auch in seinem Hause am Hirschgraben ein wohnliches Heim einzurichten verstand.
Vielleicht auch, daß ihr der Mann gefiel. Sie hatte eine Durchschnittserziehung mäßiger Art genossen und liebte wohl die bequeme Ruhe, die der Wohlstand erlaubt. Ihre Ambitionen gingen nicht hoch, und wenn es dem Kaiserlichen Rat auch nicht gelungen war, in Frankfurts Beamtenaristokratie sich eine maßgebende Stellung zu schaffen – immerhin, er war ein studierter Herr, war viel gereist und von äußerem Ansehn recht stattlich.
So wurde denn am 20. August 1748 die Ehe geschlossen. Es sind uns keine Tatsachen überliefert worden, auf deren Grund man sie für unglücklich hätte halten können. Ein kleinlicher Nörgler und Haustyrann, wie man ihn zu zeichnen versucht hat, war der Rat Goethe keineswegs. Aber allerdings: zu der temperamentvollen Elisabeth paßte er wenig. Es mag sein Unglück gewesen sein, daß der gebildete und kenntnisreiche Mann sich ohne festen Beruf behelfen mußte und dadurch allzu sehr an das Haus gefesselt wurde. Er war an Bildung seiner Frau weit überlegen und versuchte, auch sie für Kunst und Wissenschaft und ebenso für die Politik und seine Jurisprudenz zu interessieren und mag in seiner doktrinären Behaglichkeit manchmal herzlich langweilig geworden sein. Er war auch sicher ein besserer Pädagoge als Elisabeth, die dem »Hätschelhans« Wolfgang alle jugendlichen Dummheiten leichten Herzens verzieh: aber er war bei aller Rechtlichkeit des Denkens keine liebenswürdige Natur. Und diesen Mangel an frohem Sichgeben mag Frau Elisabeth oft genug schmerzlich empfunden haben.
Die beiden Kinder, die ihr aus größerer Schar verblieben, erzog sie auf ihre Art. In späteren Jahren hat sie selbst gelegentlich über ihr geringes erzieherisches Talent gespöttelt. Aber Köster hat zweifellos recht, wenn er meint, daß sie eine »ungewollte« Autorität besessen habe, und auch der Ansicht Felicie Ewarts kann man zustimmen, daß selbst der gestrenge Hausherr ihr unbefangenes Urteil zu schätzen wußte, öfters finden wir den Sohn, der den »Vaterton« wenig vertragen konnte, ihre Vermittlerrolle anrufen, und noch zu einer Zeit, da Wolfgangs Ruhm bereits gefestigt war und er eine hohe Staatsstellung einnahm, berät sie ihn in klug mütterlicher Weise. Der literarische Denkstein, den er ihr zu setzen gedachte, ist nicht zur Ausführung gekommen. Aber die Liebe zu dem Sohn, der das Herrlichste seiner Wesensart der Mutter verdankte, hat tausend andere Federn begeistert. Was das keusche Empfinden Goethes nicht vermochte, der Frau poetisch zu huldigen, deren Schoß ihn geboren hatte: das deutsche Volk hat es nachgeholt. Dem Kranze, den Bettina ihr geflochten, sind in Fülle duftige Blüten entsprossen; und sie werden nicht welken, so lange wir an das Heiligste glauben: an das Mutterherz.
Die »Frohnatur« – der köstliche Ausdruck, den Goethe für sie geprägt – war der Grundzug ihres Wesens. Auch in ihrer schlichten, unzerstörbaren Frömmigkeit offenbarte sich diese Fröhlichkeit ihres Gemüts. »Ich freu mich des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht«, schreibt sie, »suche keine Dornen, hasche die kleinen Freuden – sind die Türen niedrig, so bücke ich mich – kann ich den Stein aus dem Wege tun, so tue ichs – ist er schwer, so gehe ich um ihn herum – und so finde ich alle Tage etwas, das mich freut – und der Schlußstein, der Glaube an Gott! Der macht mein Herz froh und mein Angesicht fröhlich ...«
Die »Frohnatur« hat Goethe selbst als sein Erbe von der Mutter bezeichnet; ihr kindlicher Glaube wandelte sich bei ihm in das Metaphysische um; ihre Abneigung gegen alles unangenehm Störende war auch dem Sohn eigen. Die »Lust zu fabulieren« – wie spürt man sie in den Briefen der Frau Rat! Die »lebendige Darstellung aller Dinge«, die sie gelegentlich als eine ihrer besten Gaben rühmt, wurde unter ihrer Hand zu einer Kunst, an der nichts Gekünsteltes war; ihre wundervolle Naivität gab ihr Ausdruck und Form. Das im besten Sinne Autodidaktische war ihr Vorzug. Sie behielt immer die beneidenswerte Frische ihres Urteils, und so konnte es kommen, daß auch der große Sohn ihre Kritik schätzte, und daß Wieland ihr seine Dichtungen schickte, um in »Frau Ajas Manier« ein Wort darüber zu hören. Man kann ohne weiteres unterschreiben, was Heinemann sagt: daß der Mangel an Schulbildung bei dieser glücklichen Frau zur Tugend wurde. Gerade das »unverbildete Gefühl«, das ein reicher Schatz an Humor und Laune beseelte, verleiht ihren Briefen einen so unauslöschlichen Zauber.
Die vollständigste Sammlung dieser Briefe hat Albert Köster veranstaltet (Leipzig, Carl Ernst Poeschel). Aber auch die hier, in der originellen Schreibweise der Frau Rat wiedergegebenen werden genügen, um einen vollen Einblick in das Empfindungsleben der Mutter Goethes zu gestatten. Sie beginnen mit einem Schreiben an Maximilian Klinger, den Dichter des Ungestümen, dessen ärmliche Jugend Goethe zu reichen Unterstützungen veranlaßte, und der als russischer Generalleutnant starb. Der mitgeteilte Brief, der im Original nicht mehr existiert, den Klinger aber in einem Schreiben an seinen Freund, den Musiker Philipp Christoph Kayser, wiedergibt, ist nach Gießen gerichtet, wo Klinger studierte. Goethe hatte als junger Triumphator seinen Einzug in Weimar gehalten, und der geniale Lenz, für den Frau Aya immer große Sympathien fühlte, hatte ihr eine begeisterte Schilderung von Weimar gesandt, wo er vom April bis Dezember 1776 in Goethes Nähe weilte.
Der zweite Brief ist an Salzmann gerichtet, den Straßburger Aktuar und Tischgenossen ihres Sohnes. Die »herrliche moralische Abhandlung«, die sie erwähnt, sind die »Abhandlungen über einige wichtige Gegenstände aus der Religions- und Sittenlehre«, die auf Goethes Veranlassung soeben erschienen waren. Mit Schönborn, der Goethe 1773 besuchte, hatte auch Frau Aya herzliche Freundschaft geschlossen, wie aus vielen ihrer Briefe hervorgeht. Es folgt ein längeres Schreiben an Lavater in Zürich, schmerzdurchweht über den Tod ihrer Tochter Cornelia, seit dem 1. November 1773 Joh. Georg Schlossers Frau, der damals Oberamtmann in Emmendingen war. Schlosser heiratete schon ein Jahr später Johanna Fahlmer, die Vertraute Goethes in seiner Sturm- und Drangperiode, die Elisabeth gleichfalls in ihrem Briefe an Lavater erwähnt, der seit seinem Besuche in Frankfurt einen starken Einfluß auf sie ausübte.
Nun beginnen die Beziehungen zwischen dem Goethehause am Hirschgraben und dem Weimarischen Fürstenhause. Wieland und der Musikus Kranz hatten die Frankfurter casa santa im Dezember 1777 besucht, und da brach dann in Weimar ein förmlicher »Aya-Kultus« aus, so daß auch die Herzogin Anna Amalia sich entschloß, auf ihrer Reise nach dem Rhein in Frankfurt Station zu machen. Am 15. Juni 1778 durften Goethes Eltern die Herzogin und in ihrer Begleitung den Kammerherrn von Einsiedel und das »Thusneldchen« des Hofkreises, Fräulein von Göchhausen, in ihrem Heim empfangen. Wie glücklich die Frau Rat, deren ganzem Wesen die kernige Frische der Herzogin entsprach, über diesen Besuch war (der bei der Rückreise übrigens wiederholt wurde), davon zeugt der Brief vom 17. August 1778. Auch Melchior Kraus, der Weimarer Maler, ein Frankfurter Kind, hatte die Herzogin begleitet und wohl die Anregung zu der Übersendung des »Höllen-Breughel« gegeben, der in der neueingerichteten »Weimarer Stube« aufgestellt werden sollte. In dieses Heiligtum kommt auch das Porträt ihres Sohnes »im Frack«, für das sie sich am 30. November desselben Jahres bedankt, zugleich mit einem Dank für die Zeichnungen aus dem »Jahrmarktsfest zu Plundersweilen«, das die Herzogin am 20. Oktober auf dem Schlosse Ettersburg hatte aufführen lassen, wobei Goethe selbst den Marktschreier, Haman und Mardochai darstellte. Noch weitere Briefe an die Herzogin folgen. In dem vom 25. März 1779 nimmt Elisabeth Bezug auf die edelste poetische Frucht des Liebesbundes zwischen ihrem Sohn und Charlotte von Stein, auf die »Iphigenie«, deren erste Aufführung für den Dienstag nach Ostern, den 6. April, bevorsteht. Zu einem Jubel-Hymnus aus begeistertem Herzen aber wird der Brief vom 24. September desselben Jahres, der von dem Besuche des Herzogs erzählt. Auf der Reise nach der Schweiz mit Goethe, dem »schönen« Kammerherrn von Wedel und einiger Dienerschaft, in der sich auch Wolfgangs getreuer Seidel befindet, macht der Herzog in Frankfurt Halt, um die Mutter seines Freundes kennen zu lernen. »Goethes Mutter ist eine herrliche Frau«, berichtet Karl August an Anna Amalia, »ich habe sie erstaunlich lieb bekommen, und ich denke, sie mich auch«. Den Sohn hat sie vier Jahre lang nicht gesehen – und nun geht die Stubentür auf, und der »Hätschelhans« fällt ihr um den Hals, und der Herzog sieht lächelnd der mütterlichen Freude zu – ein unbeschreiblicher Jubel klingt aus dem Briefe.
Und doch schlichen damals durch die casa santa am Hirschgraben schon trübe Schatten. Der alte Rat siechte an schwerer Krankheit dahin. Man darf in der Beurteilung dieses Mannes nicht nur auf Mercks ätzenden Spötterton hören: Felicie Ewart ist dem Vielverleumdeten in ihrer prächtigen kleinen Studie gerechter geworden. Schon im Juni 1781 hatte Elisabeth an ihren Sohn geschrieben: »Der Vater ist ein armer Mann – körperliche Kräfte noch so ziemlich – aber am Geiste sehr schwach ...« und ein paar Monate später an Lavater: »Gedächtnis, Besinnlichkeit, eben alles ist weg. Das Leben, das er jetzt führt, ist ein wahres Pflanzenleben ...« Am 25. Mai 1782 erlöst ihn der Tod. Die Herzogin sendet an Elisabeth herzliche Beileidsworte, auf die Frau Aya am 11. Juni erwidert: »Ihm ist wohl, denn so ein Leben wie die letzten zwei Jahre, davor bewahre Gott einen jeden in Gnaden.« Im selben Briefe aber wendet sich ihr Interesse auch schon wieder dem Sohne zu, dem die Gnade seines Fürsten das bisher von Herrn von Kalb verwaltete Direktorium der herzoglichen Kammer übertragen hat, und sie hofft, sich bald einmal zu einer Reise nach Weimar aufschwingen zu können und »auf Flügeln des Windes an den Ort zu eilen, der für mich alles enthält, was mir auf diesen Erdenrund hoch, teuer und wert ist«. Noch ein paar weitere Jahre hindurch wird die Korrespondenz zwischen ihr und der Fürstin fortgesetzt; dann schläft sie allmählich ein.
Dazwischen gesetzt, nach der chronologischen Anordnung des Ganzen, habe ich zwei gereimte Epistel an Fräulein von Göchhausen. Frau Aya behauptete zwar, sie könne nur in Prosa schreiben, aber die Knittelverse liebte sie gerade so wie Fräulein Thusneldchen. Einmal bedankt sich Elisabeth für einen Weihnachtswunsch, und dann wieder schenkt sie Luise ein Medaillonbild mit artigen Verslein. 1784 beginnen die Briefe an Fritz von Stein, Charlottens Sohn, den damals erst elfjährigen Liebling Goethes, der von nun ab mit zu den Weimarischen Korrespondenten der einsam gewordenen Frau Aya gehört. Sie rät ihm, ein kleines Tagebuch anzulegen, und Fritz erfüllt diese Aufgabe so gut, daß Elisabeth ganz glücklich darüber ist, weil sie nun »im Geiste alles das mitgenießt, was in Weimar getan und gemacht wird«. Sie schickt ihm zwei Schattenrisse – »freilich ist an dem großen die Nase etwas zu stark und der kleine zu jugendlich« – und beschreibt ihm, wie sie aussieht: »ziemlich groß und ziemlich korpulent, habe braune Augen und Haar und getraute mir, die Mutter von Prinz Hamlet nicht übel vorzustellen«. Sie ruht auch nicht eher, bis Fritz sie (Anfang September 1785) besucht hat, und erinnert ihn dann an diese fröhlichen Tage, da man auch Cherubims Romanze nach der Melodie »Marl'broug s'en va-t-en guerre« mitsammen gesungen hatte. Zu gleicher Zeit schickt sie ihm ein Exemplar des »deutschen Figaro«, vielleicht in L. F. Hubers Übersetzung; nach dem Riesenerfolge der Komödie Beaumarchais' in Paris am 2. April 1784 waren zahlreiche Verdeutschungen des »Tollen Tag« erschienen – mir liegen allein vier vor, die 1785 in Berlin, Leipzig, Regensburg und Kehl herauskamen. Der Besuch Fritzens in Frankfurt war auch die Ursache eines Briefwechsels zwischen Elisabeth und Frau von Stein, der schließlich eine persönliche Bekanntschaft der beiden Frauen folgte. Eingefügt sind Briefe der Frau Rat an die Schlosserschen Kinder: an Luischen, die Tochter der armen Cornelia, dann aber auch an ihre Schwester Julie und die Stiefgeschwister Henriette und Eduard, die Kinder Schlossers aus seiner zweiten Ehe mit Johanna Fahlmer – großmütterlich liebe Worte, die man nicht ohne Rührung lesen kann.
Ihr erster uns erhaltener Brief an den Sohn in Weimar datiert vom 23. März 1780. »Wenn es kein Weimar und keine so herrlichen Menschen drinnen gäbe, und keinen Hätschelhans, so würde ich katholisch und macht's wie Maler Müller«, schreibt sie: um Weimar dreht sich all ihr Lieben und jeder ihrer Gedanken. Die Briefe sprechen für sich selbst. Als er ihr das erste Buch von »Wilhelm Meisters Lehrjahren« zuschickt, wird seine Kindheit in ihr lebendig und sie sieht ihn wieder umhertollen und Elisabeth Bethmann (die Tochter des Bankiers von Bethmann-Metzler) von Max Moors, dem Bürgermeisterjungen, verprügeln. Sie freut sich auch darüber, daß er das Buch nicht in Antiqua habe drucken lassen, die sie »nicht ausstehn« kann, und erinnert ihn immer wieder an die Zusendung der Fortsetzung. Die Schilderung ihres Umzugs in die neue Wohnung im Goldenen Brunnen am Roßmarkt nimmt einen breiten Raum ein; dann folgen die Kriegsberichte, ein interessantes Gegenstück zu den lebhaften Beschreibungen der Johanna Schopenhauer aus Weimar, die wir in einem späteren Abschnitt bringen. Dem Bombardement weicht sie aus und fährt zu Sophie von la Roche nach Offenbach, kehrt aber nach der Kapitulation nach Frankfurt zurück, freilich unter Schwierigkeiten: Johann André, der Jugendfreund ihres Sohnes und Komponist von »Erwin und Elmire«, der nun als Musikverleger in Offenbach lebt, muß ihr erst einen Wagen schaffen. Auch diese schweren Zeiten gehen vorüber. Goethe besucht die Mutter, am längsten 1797, und in ihrem Briefe vom 4. Dezember gedenkt sie dieser prächtigen Wochen. Ihre Schreiben sind ihm immer eine köstliche Erquickung. Wie Köster richtig bemerkt, sind ihre gern gebrauchten Wendungen von »Krieg und Kriegsgeschrei« und ihr Lieblingsausdruck »musterhaft« sogar in den »Faust« eingedrungen – es war nur natürlich, daß der große Dichter an der ungesucht volkstümlichen Sprache der Mutter sein Wohlgefallen fand. Und wie mütterlich zeigt sie sich! Nie fehlen die Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke; sie schickt ihm »Türkenblut«, Konfekt, Kastanien, Spaawasser; sie fragt zärtlich nach seiner Gesundheit und freut sich, daß Karlsbad ihm gut bekommen ist. Sie spart für ihn, zahlt seine Kriegskontributionen, und oft genug fliegt auch blankes Geld von Frankfurt nach Weimar. Ihre Leidenschaft für das Theater ist die alte geblieben. Immer spricht sie von Oper und Schauspiel, von Kostümen und Dekorationen und sendet regelmäßig die Komödienzettel nach Weimar. Direktor Großmann und Unzelmann gehören zu den täglichen Gästen ihres Hauses, und beide schätzen ihr sicheres Urteil und ihren guten Geschmack.
Als Goethe sie 1793 besuchte, hatte er ihr offenherzig von seinem Verhältnis zu Christiane Vulpius gesprochen. Als Realpolitikerin fand sie sich ohne weiteres mit der Tatsache ab. In ihrem Briefe vom 19. Januar 1795 läßt sie in ihrer naiv derben Art noch den »Bettschatz« grüßen. Aber Christianens gute Eigenschaften, vor allem ihre Liebe zu Goethe und die Zärtlichkeit, mit der sie ihn umgibt, führt sie ihr rasch näher. Sie wird ihre »Freundin« und bald ihre »liebe Tochter«, und als sie Christiane auch persönlich kennen gelernt hat, schreibt sie ihr die herzlichsten Worte: »Das Vergnügen, so ich in Ihrem lieben traulichen Umgang genossen, macht mich noch immer froh, und ich bin meinem Sohn vielen Dank schuldig, daß er mir solches verschafft hat. So kurz unsre Zusammenkunft auch war, so vergnügt und herzlich war sie doch ...« und unterzeichnet »mit wahrer Liebe und Herzlichkeit dero treue Freundin und Mutter«. Rührend ist ihr Dankbrief vom Januar 1801, als sie von der Erkrankung Goethes an der Gesichtsrose und der aufopfernden Pflegschaft Christianens erfahren hatte. Wolfgang selbst hatte ihr darüber berichtet: »Wie gut, sorgfältig und liebevoll sich meine liebe Kleine bei dieser Gelegenheit erwiesen, werden Sie sich denken, ich kann ihre unermüdete Tätigkeit nicht genug rühmen. August hat sich ebenfalls sehr brav gehalten ...«
Der »liebe Augst« ist im Briefwechsel nun an die Stelle von Fritz von Stein getreten. Wie die Frau Rat Kindern gegenüber immer den rechten Ton zu treffen wußte, das zeigen besonders die Briefe an August, die mit der Einladung vom 28. März 1808 abschließen, auf seiner Reise nach Heidelberg, wo er die Universität besuchen sollte, bei der Großmutter Quartier zu nehmen. In diesem Briefe erwähnt sie auch »Betina« – Bettina Brentano, die damals zu Gast bei ihr war, nachdem sie Goethe zum ersten Male besucht hatte. Die schlicht natürliche Frau Rat und die phantastische Bettina – größere Gegensätze sind kaum denkbar! Aber hinter Bettinas Exzentrizität sah Elisabeth doch ihr für alles Schöne begeistertes Herz, und ihre vergötternde Liebe zu Goethe, die zu dem köstlichen »Briefwechsel mit einem Kinde« führte, veranlaßte Frau Aya schließlich zu der Bitte: »Nenne mich künftig mit dem mir so teuern Namen Mutter ...« In dem Briefe, da sie dies schreibt (vom 13. Juni 1807) teilt sie Bettina auch eine Besprechung aus Wachlers »Theologischen Annalen« mit über die von Goethe für den »Wilhelm Meister« überarbeitete Selbstbiographie ihrer alten Freundin, des Fräulein Susanne von Klettenberg, der »schönen Seele«, die er nie vergessen hat.
Wenige Monate nach ihrem letzten Briefe an August schloß die Siebenundsiebzigjährige für immer die Augen. Das war am 13. September 1808. Sie ging dahin, wie sie gelebt hatte: in ihrem festen Glauben und ihrer ruhigen Heiterkeit, die auch der bittere Tod nicht trüben konnte – eine glückliche Frau, die zu beglücken verstand.
Goethe erfuhr ihren Tod am 17. September. »Nach Tische mußte es ihm gesagt werden, er war ganz hin«, schreibt sein Schwager Vulpius darüber an August nach Heidelberg. Christiane reist zum Zwecke der Erbschaftsregulierung nach Frankfurt und findet dort bei Verwandten und Freunden durch ihr Benehmen allgemeine Anerkennung, so daß Goethe schon daran denkt, sich in seiner Heimatsstadt ein festes Quartier zu mieten und Frau und Sohn in das Bürgerrecht aufnehmen zu lassen. Aber die Formalitäten stören ihn. Was ihn an Frankfurt fesselt, ist nur noch das Grab der Mutter.
An Klinger.
[Gegen Ende Mai 1776.]
(Nach einem Brief Klingers an Kayser vom 27. Mai 1776.)
Der Doktor ist vergnügt u Wohl in feinem Weimar, hat gleich vor der Stadt einen herrlichen Garten welcher dem Hertzog gehört bezogen, Lenz hat denselbigen poetisch beschrieben, und mir zum Durchlesen zugeschickt. Der Poet sizt auch dort als wenn er angenagelt wäre, Weimar muß Vors Wiedergehn ein gefährlicher Ort seyn, alles bleibt dort, und wenns dem Völklein wohl ist, so gesegnes ihnen Gott. – Nun lieber Freund leben Sie wohl, so wohl sichs in Gießen leben läßt. Ich meine immer das wäre vor Euch Dichter eine Kleinigkeit alle, auch die schlechtesten Orte zu Idealisiren, könnt ihr aus nichts etwas machen, so müßt es doch mit dem sey bey uns zugehen, wenn aus Gießen nicht eine Feen Stadt zu machen wäre. Darinnen habe ich zum wenigsten eine große Stärcke, Jammer Schade! daß ich keine Dramata schreibe, da sollte die Welt ihren blauen Wunder sehn, aber in Prosa müßte es seyn, von Versen bin ich keine Liebhaberin, das hat freylich seine Ursachen, der poetische Kannengießer Kolbergs »politischer Kannegießer«. 5. Aufzug. hatte den nemlichen Haß gegen die Lateinische Sprache. Grüßen Sie Schleierm. Ernst Schleiermacher. von uns u. sagen Ihm, er würde künftige Messe Ihnen doch nicht allein hierher Reißen laßen, u dann versteht sich das andre von selbst, daß wir Ihn u. Sie bey uns sehen, manch Stündchen vergnügt verschwazen, allerley schöne Geschichten erzählen u. s. w.
An J. D. Salzmann.
Frankfurt, den 25. July 1776.
Lieber Herr und Freund! Tausend Danck für Ihr gütiges Andencken an uns, für die überschickte, herrliche moralische Abhandlung. Mein Mann |: welcher sich Ihnen gehorsamst empfiehlt :| und ich haben die Früchte Ihres Geistes mit Erbauung und Vergnügen durchgelesen. Gott erhalte Sie, Ihren Mitmenschen zum besten, fahren Sie fort, die Geschöpfe Gottes zu belehren, zu bessern, und ihre Wercke werden Ihnen in die Ewigkeit nachfolgen. Bester Mann! dürfen wir sie nun ersuchen beikommendes Päckgen mit sichrer Gelegenheit nach Marseille zu schicken, damit es von da weiter an unsern Freund Schönborn Friedrich Ernst Schönborn, dänischer Gesandtschaftssekretär in Algier. nach Algier übermacht werden könnte. Sie können Sich unmöglich vorstellen, was für Freude der ehrliche Schönborn fühlt, wenn von Zeit zu Zeit etwas von teutschem Genie den Eingang in seine Barbarey findet.
Daß unser Sohn beym Herzog von Weimar als geheimer Legationsrath in Diensten ist, werden Sie längst wissen. Gestern hörten wir sehr viel schönes und gutes von ihm erzählen. Ein Curier vom Herrn Herzog, der in Carlsruh wegen glücklicher Entbindung der jungen Frau Markgräfin seines Hofes Glückwünsche überbringen mußte, kam, als er hier durchging, zu uns. Ich bin überzeugt Sie freuen Sich unsrer Freuden, Sie, ein so alter Freund und Bekannter vom Doktor, nehmen allen Antheil an seinem Glück, können als Menschenfreund fühlen, wenn der Psalmist sagt: »Wohl dem, der Freude an seinen Kindern erlebt!« – wie wohl das Eltern thun muß. Gott regiere ihn ferner und lasse ihn in den Weimarschen Landen viel Gutes stiften, ich bin überzeugt Sie sagen mit Uns: Amen.
Leben Sie wohl und vergnügt, behalten uns und die uns angehören in gutem freundschaftlichem Andencken und seyn versichert, daß wir alle |: in's besondere aber ich :| mit Grund der Wahrheit uns nennen werden, Ihre ganz eignen Freunde.
An Lavater.
Franckfurth den 23ten Juni 1777.
Er gibt den müden Kraft und Stärke genung den ohnvermögenden – was Er zusagt hält Er gewiß. Ein neuer, lebendiger, dastehender Zeuge sind wir, die mir unsre Cornelia †10 Mai 1777, Georg Schlossers Frau. unsere eintzige tochter nun im Grabe wissen – – und zwar gantz ohnvermutet, Blitz und Schlag war eins. O lieber Lavater! die arme Mutter hatte viel viel zu tragen, mein Mann war den gantzen Winter kranck, das harte zuschlagen einer Stubenthüre erschröckte ihn, und dem Mann muste ich der Todes Bote seyn von seiner tochter die er über alles liebte – mein Hertz war wie zermahlt, aber der Gedancke, ist auch ein Unglück in der Stadt, das der Herr nicht thut hielte mich daß ich dem Schmertz nicht erlag. Ohne den Felsenfesten Glauben an Gott – an den Gott, der die Haare zehlet dem kein Sperling fehlet – der nicht schläfft noch schlummert, der nicht verreißt ist – der den Gedancken meines Herztzens kent ehe er noch da ist – der mich hört ohne daß ich nöthig habe mich mit messern u Pfriemen blutig zu ritzen, der mit einem Wort die Liebe ist – ohne Glauben an den wäre so etwas ohnmöglich auszuhalten – – freylich fühlt sich der Mensch Paulus sagt: alle Anfechtung wenn sie da ist, düncket uns nicht Freude zu seyn – aber ein anders ist fühlen, ein anders ist mit Gottes führung unzufrieden seyn – und sich denen gleichstellen die keine Hoffnung haben – – aber wir! die wir wissen daß über den Gräbern unsterblichkeit wohnet, und daß unser spannenlanges Leben auch gar bald am Ziel seyn kan – uns ziemt die Handt zu küssen die uns schlägt, und zu sagen |: zwar mit 1000 thränen :| der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, sein Nahme sey gelobet! Lieber Sohn! Euer Brief hat mir sehr wohl gethann, Ihr seyd böße auf Euch daß Ihr nicht trösten könt – wenn ich Euch aber sage daß er mir Labsahl war, daß ich Euer gantzes warmes, gefühlvolles, Freundschaftliches Hertz Offen vor mir hatte, da wenn ich nur eine Zeile von Euch sehe mir alle die seeligen Augenblicke einfallen, da wir zusammen an einem tische assen, da Ihr unter meinem Dach ward, da Ihr Abends um 9 Uhr in meine Stube kamt, da ich Euch kaum eine minute sahe, und doch gleich wuste, auf welche Staffel von der großen Leiter worauf meine Söhne stehen ich Euch stellen solte, daß ich mich nicht geirret – wie ich bey Eurer Abreiße einen gantzen tag geweint habe – – alles das komt mir ins Gedächtnüß wann ich nur Eure Handt auf einer Adresse sehe. Verzeiht mir lieber Sohn, daß ich Euch so ein geschreibe daher schreibe – – wißt es ist jetzt eins meiner liebsten Beschäftiungen an die Freunde so meinen Hertzen nahe sind die Schmertz u Vergnügen mit mir theilen Briefe zu schreiben, ich lebe in dieser großen Stadt wie in einer Wüste, von meinem Geschlecht habe ich nur eine Fahlmern Johanna Fahlmer die mich versteht |: und die ist jetzt zum Unglück in Düsseldorf :| Nun mein Bester! Lebt wohl! Grüßt Eure liebe Frau, Pfenniger Pastor Pfenninger |: Ach der singt auch nicht mehr mit dem Engel :| Frau Schultz, Lentz und alle gute Seelen – – noch eins, ich habe zwey herrliche Briefe von meinem lieben Sohn Schlosser bekommen Er duldet wie ein Christ u Mann und – – glaubt an Gott. nun der Allmächtige seegne Euch und die Euch angehören, behaltet mir Eure Liebe, die meinige soll währen, biß an Grab ja drüber hinaus, solches sagt und wills halten Eure treue
Mutter Aja.
An Louise von Göchhausen.
[Undatirt. Nach Köster von Anfang Januar 1779.]
Dein guter Wunsch auf grün papier
Hat mir gemacht sehr viel pläsir,
Im Verse machen habe nicht viel gethan
Das sieht mann diesen Warlich an
Doch hab ich gebohren ein Knäbelein schön
Das thut das alles gar trefflich verstehn
Schreibt Puppenspiele kutterbunt
Tausend Alexandriner in einer Stund
Doch da derselbe zu dieser Frist
Geheimdter Legations Rath in Weimar ist
So kan Er bey bewandten sachen
Keine Verse vor Frau Aja machen
Sonst solldest du wohl was bessers kriegen
jetzt mußt du dich hieran begnügen
Es mag also dabey verbleiben
Ich will meinen Danck in prosa schreiben.
An die Herzogin Anna Amalia.
Franckfurth, den 25ten Mertz 1779.
Durchlauchdigste Fürstin! Die Freude und den Jubel wenn nun so ein Brief ankommt wo Hand und Pettschafft gleich verkündigen, daß, daß er von unserer Besten Fürstin ist, die Freude und den Jubel |: ich muß es noch einmal sagen :| Sollten Ihro Durchlaucht nur einmahl mit ansehn. tausendt Danck Theuerste Fürstin vor jede Zeile vor jedes Wort – Es ist vor Mutter Aja jederzeit eine erquickung in ihrer Wallfahrt durch die Sandwüste dieser Werckeltags Welt. Ja Große Fürstin! Erhalten Sie uns Dero Gnädiges Andencken, und Senden uns von Zeit zu Zeit – nur eine Lienie – nur den Theuren Nahmen Amalia – und unser Hertz wird voll Freude, und unsere Seele voll Jubel seyn. Dem Herrn geheimdten Legations Rath wünsche von Hertzen eine glückliche Entbindung und freue mich im voraus auf das liebe Enckelein, Nämlich die »Iphigenie«. in der guten Hoffnung daß es seinen übrigen Kindern gleich sehen und wir daran |: wie an den vorigen :| große Freude und Wonne erleben mögen. Wer doch den dritten Feyertag Am 6. April, dem Tage der Erstaufführung der »Iphigenie«. in Weimar wäre!!!! Wen die Büsquittger guten abgang finden, so stehen sie zu gantzen Schaaren zu befehl. Es hat mich unendlich gefreut daß doch nur etwas mir vergönt worden ist an Ihro Durchlaucht zu überschicken, den wer unterstünde sich sonst so was! So oft ich nach Weimar schreibe, es sey nun an Ihro Durchlaucht, oder an sonst jemandt, so muß ich von meiner herrlichen Dose reden – ich wüste nun in der Welt nicht was mich mehr hätte freuen können – O Beste Fürstin! Den Jubel hätten Sie hören sollen! Wie die Dose auf einem Silbern presenttier Teller in der Samstags Gesellschafft herumging, und was noch Tag täglich mit vorgenommen wird, und was noch alles mit vorgenommen werden soll. Da Sie vortreffliche Fürstin, nun als ein wahrer abglantz der Gottheit, Sich der Freude der Menschen freuen, so haben Sie Sich dadurch Selbst eine Freude zu bereittet – Wenn mann den Schattenriß ansieht mögte mann gleich niederfallen – Wer hats nur gemacht? Wer hats nur gemacht?? Wolten Ihro Durchlaucht die gnade haben, und der gnädigen Freulein Thusnelde meinen besten und schönsten gruß vermelden, wenn wir doch nur einmahl wieder zusammen lachen könnten, nun – wer weiß was Gott weiß – der Vater empfieht sich zu fernern Hohen gnaden und Frau Aja ist und bleibt biß der Vohrhang fält Ihro Durchlaucht
Unterthänigste
treugehorsambste Dienerin
C. E. Goethe.
An die Herzogin Anna Amalia.
Durchlauchtigste Fürstin.
Der 18te September war der große Tag da der alte Vater unb Frau Aja, denen seeligen Göttern weder Ihre Wohnung im hohen Olymp, weder Ihr Ambrosia noch Nectar, weder Ihr Vocal noch Instrumentthal Mucick beneideten, sondern glücklich, so gantz glücklich waren, daß schwerlich ein sterblicher Mensch jemahls größre und reinere Freuden geschmeckt hat als wir beyde glückliche Eltern an diesem Jubel und Freuden Tag – Niemahl hat mich mein Unvermögen eine sache gut und anschaulich vor zutragen mehr belästigt als jetzt da ich der Besten Fürstin |: von der doch eigentlich alle diese Freude ausgeht, die doch eigendlich die erste Ursach aller dieser Wonne ist :| so recht aus dem Hertzen heraus unsere Freude mittheilen mögte – Es gerade nun wie es wolle, gesagt muß es nun einmahl seyn.
Ihro Durchlaucht unser gnädigster und Bester Fürst, stiegen |: um uns recht zu überraschen :| eine strecke von unserm Hauße ab kamen also gantz ohne geräusch an die Thüre, klingelten, traten in die blaue Stube u.s.w. Nun stellen Sich Ihro Durchlaucht vor, wie Frau Aja am runden Tisch sitzt, wie die Stubenthür aufgeht, wie in dem Augenblick der Häschelhanß ihr um den Hals fält, wie der Herzog in einiger Entfernung der Mütterlichen Freude eine weile zusieht, wie Frau Aja endlich wie betrunken auf den besten Fürsten zuläuft halb greint halb lacht garnicht weiß was sie thun soll wie der schöne Cammerherr von Wedel auch allen antheil an der erstaunlichen Freude nimbt – Endlich der Auftrit mit dem Vater, das läßt sich nun garnicht beschreiben – mir war Angst er stürbe auf der stelle, noch an dem heutigen Tag, daß Ihro Durchlaucht schon eine zimmliche Weile von uns weg Sind, ist er noch nicht recht bey sich, und Frau Aja geht's nicht ein Haar beßer – Ihro Durchlaucht können Sich leicht vorstellen wie vergnügt und seelig wir diese 5 tage über geweßen sind. Merck Kriegsrath Johann Heinrich Merck, der Kritiker und Schriftsteller. kam auch und führte sich so zimmlich gut auf, den Mephistoviles kan Er nun freylich niemahls gantz zu Hauß laßen, das ist mann nun schon so gewohnt. Wieder alle Gewohnheit waren dieses mahl gar keine Fürsten und Fürstinnen auf der Meße, das war nach Unsers Theuresten Herzog Wunsch, Sie waren also garnicht genirt – Am Sontag gingen Sie in ein großes Concert das im Rothen Hauß gehalten wurde, nachdem in die Adliche Geschellschafft ins so genandte Braunenfels, Montags und Dinstags gingen Sie in die Commedie, Mittwochs um 12 uhr Mittags ritten Sie in bestem wohlseyn der Bergstraße zu, Merck begleidtete Sie bis Eberstadt. Was sich nun alles mit dem schönen Cammerherrn von Wedel, mit dem Herrn Geheimdten Rath Goethe zu getragen hat, wie sich unser Hochadliche Freulein gäntzger brüsteten und Eroberungen machen wolten, wie es aber nicht zu stände kam u. d. m. das verdiente nun freylich hübsch dramatisirt zu werden. Theureste Fürstin! Sie verzeihen diesen kalten Brief der gegen die Sache sehr zu kurtz fält – es ist mir jetzt gantz ohnmöglich es beßer zu machen – ich bin den gantzen Tag vor Freude und Wonne wie betrunken, wen sichs etwas zu Boden gesetzt hat wird meine Vernunfft auch wieder zu Hauße kommen – biß dahin Bittet Frau Aja daß Ihro Durchlaucht Gedult mit ihr haben mögten. Uns ist jetzt nichts im Sinne, als die Freude des wieder Zurückkomens, da soll der jubel von neuem angehn. Gott bringe Sie glücklich und gesund zurück, dann soll dem alten Reihnwein in prächtigen Pocalen mächtig zugesprochen werden. Wüsten Ihro Durchlaucht wie oft wir mit Freudenthränen an Ihnen dachten, von Ihnen redeten, wie Frau Aja den Tag seegnete da die Beste Fürstin Ihrem glücklichen Land einen Carl August gebohren hat, der wie es nun am Tage ist, nicht Seinem Land allein zum Heil gebohren worden, sondern auch dazu um auf unsere Tage Wonne Leben und Seeligkeit zu verbreiten – Wie dann ferner Frau Aja sich nicht mehr halten konte, sondern in ein Eckelgen ging und ihrem Hertzen Luft machen mußte; so weiß ich gantz gewiß die Beste Fürstin hätte Sich unserer Freuden gefreut – dann das war kein Mondschein im Kasten, Vergl. Goethes »Triumph der Empfindsamkeit«. sondern wahres Hertzens gefühl. Dieses wäre nun so ein kleiner Abriß von denen Tagen wie sie Gott |: mit dem seeligen Werther zu reden : | feinen Heiligen aufspart, man kan hernach immer wieder was auf den Rücken nehmen und durch diese Werckeltag Welt durchtraben und sein Tagewerck mit Freuden thun, wenn einem solche erquickungs stunden zu theil worden sind. Nun Durchlauchtigste Fürstin! Behalten Sie uns in gnädigsten Angedencken – der Vater empfiehlt sich gantz besonders – und Frau Aja lebt und stirbt als
Ihro Durchlaucht
unterthänigste treugehorsambste Dienerin
C. L. Goethe.
Frankfurth d. 24ten September 1779
An Goethe.
den 23ten Mertz 1780.
Lieber Sohn! Diesen Augenblick bringt mir Herr Paulsen Kommerzienrath J. J. Heinrich Paulsen, Bürgermeister von Jena. zwey Briefe, die mich so in einen Freuden und Jubelthon gestirnt haben, daß es garnichi ausgesprochen werden kan. Unser Bester Fürst! hat mich mit einem gantz herrlichen schreiben begnadig, und unsere Theureste Fürstin Amalia that des gleichen. O thue mir die einzige liebe und dancke unterthänigft auch vor diese der Frau Aja gemachte Freude. Wenn es aber auch kein Weimar und keine solche herrliche Menschen drinne gäbe – ferner keinen Häschelhanß – So würde ich Catholisch und machts wie Mahler Müller. Der Dichter und Maler, der 1780 zum Katholizismus übertrat. Da uns aber Gott so begnadig hat, so freuen wir uns auch dieses Erdeleben |: nach unserer Fason und wie wirs eben haben können :| sehen den 3ten Feyertag den Julius von Tarendt Das Drama von Leisewitz. u.s.w. In deinem Garten muß es jetzt wieder schön seyn, wiewohl heut bey uns noch garstig kalt wetter im Schwang geht. Der Vater und alle Auserwählte grüßen dich – der Postwagen will fort, lebe wohl1 Ich bin ewig
Deine treue Mutter Aja.
P.S. viele hertzliche Grüße an Wieland – Seinen Oberon erwarte ich und mehr gute Seelen mit Schmertzen.
An Louise von Göchhausen.
Geliebtes Freulein,
– Die Mode es ist,
Daß frommen Kindern der heilige Christ
Wann sie das Jahr hübsch brav gewesen,
manch schöne Gabe hat auserlesen.
Torten, Rosinen, Gärten mit Lichtern,
Herrn und Dammen mit höltzern Gesichtern,
Apfel und Birn, Geigen, u Flöten,
Zuckerwerk, Ruthen, Mandlen, Pasteten,
Reuter mit Pferden, gut ausstaffirt
nachdem ein jedes sich ausgeführt.
Da nun Frau Aja wohlgemuth –
Den alten Gebräuchen ist hertzlich gut
Und Freulein Thusnelde in diesem Jahr
gantz auserordtenlich artig war.
So schickt sie hier ein Bildnüß fein,
Das Ihnen wohl mögte kentlich seyn;
und bittet es zum Angedencken,
An Ihren Schwannen Hals zu hencken.
Dadurch ihm dann große Ehre geschieht
Sist aber auch drauf eingericht!
Eitel Gold von vornen von hinten,
Das müßen Sie freylich treflich finden.
Dafür verlang ich ohn Ihr beschweren
Daß Sie mir eine Bitte gewähren.
Mit Ihnen mein Freulein zu discuriren
thu ich oft großen Lusten verspühren
Doch ist der Weg verteufelt weit
Zum Reißen ists jetz garstige Zeit
Drum thu ich Ihnen zu Gemüthe führen,
mit meinem Gesicht eins zu parliren
Antworten wird Ihnen freilich nie
Allein wer läugnet wohl Simpatie!
Da wird sich mein Hertzlein vor Freude bewegen
Daß mein Gedächtnüß blüht im Segen
Bey Menschen die Bieder, gut und treu,
voll waarer Freundschafft ohn Heucheley
Den heut zu Tag sind Freundschafftthaten
so rahr wie unbeschnittne Ducaten –
Doch ist Frau Aja auserkohrn
in einem guten Zeichen gebohrn
kent brave Leute deß ist sie froh,
und singt In dulci jubilo.
Auch freut sie sich Hertzinniglich
daß sie kan unterschreiben sich
Dero wahre Freund und Dienerin,
Die ich gewiß von Hertzen bin.
C. E. Goethe.
An die Herzogin Anna Amalia
Franckfurth d 11 Juni 1782.
Durchlauchtigste Fürstin!
Den Antheil den Ihro Durchlaucht an dem Ableben meines Mannes zu nehmen die Gnade gehabt, hat mich sehr gerührt – Freylich war eine Beßerung ohnmöglich, vilmehr mußte man das was am 25 May erfolgte täglich erwarten – Doch so schnell vermuthete ich mirs doch nicht – Ihm ist wohl, den so ein Leben wie die letzten zwey Jahre, davor bewahre Gott einen jeden in Gnaden! Mit Herrn Krauße, Georg Melchior Kraus, der Maler, ein geborener Frankfurter. und dem sehr gesprächigen Herrn Paulsen habe ich mich schon sehr ergötzt – Ihro Durchlaucht können leicht dencken wovon wir reden – Ich Catechisire die guten Leute so arg, daß Ihren Lungenflügeln so lang Sie hir bleiben, eine so starcke Bewegung bevorsteht. Theureste Fürstin! Aus einem Schreiben von meinem Sohn ersehe mit Erstaunen, daß Unser Bester und Gnädigster Fürst, zu allen, nun bald an die 7 Jahre erzeigten Gnaden und Wohlthaten, noch eine mir gantz ohnerwartete Die Ernennung Goethes zum Kammerdirektor. hinzugefügt hat – Über so was kan ich nun gar nichts sagen, denn der größte Danck ist stumm – Gott segne und erhalte unsern Liebens würdigen Fürsten – Unsere Vortrefliche Fürstin Amalia, Die uns diesen wahren Fürsten-Sohn gebohren hat – Das gantze Hochfürstliche Hauß müße grünen und blühen biß ans Ende der Tage – dieß ist der heißeste, eifrigste und hertzinnigliche Wunsch, von Mutter Aja Amen. Durchlauchdigste Fürstin! Jetzt verzält sich Frau Aja die prächtigsten Mährgen, von einer Reiße nach Weimar – jch hoffe zuverläßig, daß mir der Himmel diese auserordentliche Freude gewähren wird – so geschwind kan es aber freylich noch nicht seyn – Doch Gedult! Wollen schon unsere sieben sachen suchen in Ordnung zu bringen, und dann auf Flüglen des Wind es an den Ort eilen, der vor mich alles enthält, was mir auf diesem Erdenrund hoch, theuer und werth ist. In diesen süßen Gedancken will einstweilen Leben, und mich unserer Besten Fürstin zu fernern Gnaden empfehlen biß der angenehme Zeitpunct herbey komt, da ich mündlich versichern kan, daß ich ewig seyn und bleiben werde
Durchlauchdigste Fürstin
Dero
unterthänigfte treugehorsambste Dienerin
Goethe.
An Fritz von Stein.
Franckfurt, den 9. Jenner 1784.
Lieber Sohn!
Vielen Dank vor Ihren lieben Brief, er hat mir große Freude gemacht, – es geht Ihnen also recht gut bei meinem Sohn, – o, das kann ich mir gar wohl vorstellen. Goethe war von jeher ein Freund von braven jungen Leuten und es vergnügt mich ungemein, daß Sie sein Umgang glücklich macht. Aber je lieber Sie ihn haben, und also gewiß ihn nicht gern entbehren, je zuverläßiger werden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, daß die Abwesenheit von ihm mir ofte trübe Stunden macht. Sie, mein kleiner Freund, könnten nun da ein großes gutes Werk thun – zumahl da Sie mich lieb haben, so wird es Ihnen gewiß nicht sauer ankommen, hören Sie, lieber Freund, meinen Vorschlag, – da Sie beständig um meinen Sohn sind, also mehr von ihm wissen, als Jeder andere, wie wäre es, wenn Sie so ein kleines Tagebuch hielten, und schickten es mir alle Monath, – viele Arbeit soll das Ihnen gerade nicht machen, nur ohngefähr auf diese Weise; »Gestern war Goethe im Schauspiel, Abends zu Gaste, – Heut hatten wir Gesellschaft«, u.s.w. Auf diese Weise lebte ich gleichsam mitten unter Euch, – freute mich eurer Freuden, – und die Abwesenheit verlöre viel von ihrer Unbehaglichkeit, – eine kleine Zeile Morgens oder Abends geschrieben, – macht Ihnen wenig Mühe, mir aber würde es unbeschreiblich wohl thun, – überlegen Sie die Sache einmahl, ich glaube, es geht. Wenn mein Sohn einmahl nach Franckfurt kommt, müssen Sie mitkommen, an Vergnügen soll es dann nicht fehlen, wenigstens wollte ich Alles zur Freude stimmen. Nun, das kann ja wohl einmahl geschehn, – Inzwischen behalten Sie mich lieb, ich verspreche Ihnen desgleichen, Grüßen Sie meinen Sohn, und seyn versichert, daß ich ewig bin
Ihre wahre Freundin und treue Mutter
Elisabeth Goethe.
Fr. den 30. März 1784.
Lieber Sohn!
Sie können nicht glauben, wie mich Ihr Schattenriß gefreut hat. Nun kann ich mir doch eine Vorstellung von meinem lieben Korrespondenten machen, ich danke recht sehr davor. Es wäre mir gar lieb, wenn Sie mit meinem Sohn nach Eisenach gingen, da erführe ich doch auch wie es da herginge, und Ihre Briefe lese ich mit vielem Vergnügen. Ich wünsche von Herzen, daß der ewige Schnee einmahl aufhören wollte, damit Sie in Ihrem Gärtchen sich recht erlustiren könnten, – bei uns ists noch dicker Winter, heut kann fast kein Mensch aus dem Haus vor entsetzlichem Schnee und Wind – vor einigen Tagen ist ein kleiner Luftballon von zwei Schuh in die Höhe gestiegen, es war spaßhaft anzusehn. Vor heut muß ich schließen, die Post will fort und doch lasse ich nicht gern einen Brief von Ihnen, mein lieber Sohn unbeantwortet, besser ists doch immer, ein wenig als gar nicht; seyn Sie versichert, daß ich unverändert bin
Ihre
treue Mutter
Elisabeth Goethe«.
An Louise Schlosser.
Den 21ten Aprill 1784.
Liebes Enckelein!
Mich hat dein Brief sehr gefreut. Der Eduart, Stiefbruders Louisens. das muß ja ein ganzer Bursche sein! Der kan dir schon die Hände drücken – Aber was wird das vor ein spaß sein, wenn Er mit dir und deinen zwey Schwestern im Garten herum laufen kan – hübsch achtung muß du freylich auf ihn geben, daß er nicht auf die Naße fält. Wegen der schönen Strümpfe die du mir gestrickt hast, schicke ich dir hiemit einen Strickbeutel – dem Julgen Julie, Louisens Schwester. auch, damit es auch fleißig wird – die Bilder sind dem Henriettgen. Stiefschwester Louisens. Der Strickbeutel und die sielbernen Maschigen mit dem rothen Band sind dein, die mit blau dem Julgen. Jetzt Lebe wohl und behalte mich Lieb. Ich bin immer, deine treue Großmutter
Goethe.
An Fritz von Stein.
Franckfurth den 9 September 1784
Lieber Sohn!
Ungeachtet Sie dieses Schreiben durch die Post ehnder würden erhalten haben, so konnte es dem Überbringer dieses ohnmöglich abschlagen, der mich sehr ersuchte, ihm etwas mitzugeben. Ich dancke Ihnen von ganzem Herzen vor die Schilderung Ihrer mir so lieben und interessanten Person – besonders freut es mich, daß Sie Ihr Gutes und Nichtgutes schon so hübsch kennen. Bravo! lieber Sohn! Das ist der einzige Weg, edel, groß, und der Menschheit nützlich zu werden; ein Mensch, der seine Fehler nicht weiß, oder nicht wissen will, wird in der Folge unausstehlich, eitel, voll von Pretensionen, – intolerant, – niemand mag ihn leiden, – und wenn er das größte Genie wäre, ich weiß davon auffallende Exempel. Aber das Gute, das wir haben, müssen wir auch wissen, das ist eben so nöthig, eben so nützlich, – ein Mensch, der nicht weiß, was er gilt, der nicht seine Kraft kennt, folglich seinen Glauben an sich hat, ist ein Tropf, der keinen festen Schritt und Tritt hat, sondern ewig im Gängelbande geht und in seculum seculorum – Kind bleibt. Lieber Sohn, bleiben Sie auf diesem guten Wege, und Ihre vortrefflichen Eltern werden den Tag Ihrer Geburt segnen. Es ist ein großes Zeichen Ihrer Liebe und Freundschaft, daß Sie eine genaue Beschreibung von meiner Person verlangen, hier schicke ich Ihnen zwei Schattenrisse, – freilich ist an dem großen die Nase etwas zu stark, – und der kleine zu jugendlich, mit alle dem ist im Ganzen viel Wahres drinnen. Von Person bin ich ziemlich groß und ziemlich korpulent, – habe braune Augen und Haar, – und getraute mir die Mutter von Prinz Hamlet nicht übel vorzustellen. Viele Personen, wozu auch die Fürstin von Dessau gehört, behaupten, es wäre gar nicht zu verkennen, daß Goethe mein Sohn wäre. Ich kann das nun eben nicht finden, – doch muß etwas daran seyn, weil es schon so oft ist behauptet worden. Ordnung und Ruhe sind Hauptzüge meines Charakters, – daher thu' ich Alles gleich frisch von der Hand weg, – das Unangenehmste immer zuerst, – und verschlucke den Teufel |: nach dem weisen Rath des Gevatters Wieland :| ohne ihn erst lange zu bekucken; liegt denn Alles wieder in den alten Falten, – ist Alles unebene wieder gleich, dann biete ich dem Trotz, der mich in gutem Humor übertreffen wollte. Nun, lieber Sohn, kommen Sie einmal und sehen Sie das Alles selbst mit an, – ich werde Alles anwenden, um Ihnen Freude und Vergnügen zu verschaffen.
Seyn Sie versichert, daß ich ewig bin
Ihre
wahre Freundin und treue Mutter
E. G.
An die Schlosserschen Kinder.
An Meine Liebe Enckeleins
Louise, Julie, Henriette, u Eduardt
Mich freuts ihr Lieben, daß mein Christkindlein Euch wohl gefallen hat – fahret fort so geschickt und brav zu seyn wie bißher, das wird Eure Lieben Eltern und die Großmutter hertzlich freuen – auch soll der Heilige Crist |: wen ichs erlebe :| Euch wieder viele hübsche sachen mitbringen. Dancke auch vor Euer liebes Schreiben, es hat mir große Freude gemacht zu sehen, wie geschickt meine Louise und Julie sind. Vergeßt die Großmutter nicht, die Euch alle hertzlich liebt.
Elisabet Goethe.
An Fritz von Stein.
Fr. den 18. Dezember 1785.
Lieber Fritz! damit ich hübsch im Gedächtniß meines lieben Sohnes bleibe und er auch seine gute Mutter nicht vergißt, so schicke ich ihm hier ein kleines Andenken, dabei kommen auch die zwei Lieblingslieder und da ich nicht weiß ob der deutsche Figaro Von Beaumarchais in Hubers Übersetzung. in Weimar Mode ist, so folgt hierbei das Liedchen Cherubims Romanze. auch; – lieber Fritz, erinnert Er sich noch, wie wirs zusammen sangen, und dabei so fröhlich und guter Dinge waren. Fröhlichkeit ist die Mutter aller Tugenden, sagt Götz von Berlichingen, – und er hat wahrlich recht. Weil man zufrieden und froh ist, so wünscht man alle Menschen vergnügt und heiter zu sehen und trägt Alles in seinem Wirkungskreis dazu bei. Da jetzt hier Alles sehr still zugeht, so kann ich gar nichts Amusantes schreiben – ich thue also besser, ich schreibe das Lied von Figaro ab. Ich wünsche vergnügte Feiertage und bin und bleibe
Ihre
wahre gute Freundin
E. G.
* * *
Fr. den 22. Februar 1788.
Lieber Sohn!
Vor die Pandora Bertuchs Taschenbuch. und den Hofkalender Den Gothaischen Hofkalender. danke aufs Beste. Ich habe einen Brief vom 3ten d. aus Rom, wo mein Sohn schreibt, gegen Ostern wollte er mir kund thun, ob ich ihn dieses Jahr zu sehen bekäme oder nicht, – ich glaube daher, daß es noch höchst ungewiß ist, ob er über Frankfurth zurück geht; – daß er gegen seine Freunde kalt geworden ist, glaube ich nicht, aber stellen Sie sich an seinen Platz – in eine ganz neue Welt versetzt, – in eine Welt, wo er von Kindheit an mit ganzem Herzen und ganzer Seele dran hing, – und den Genuß, den er nun davon hat. Ein Hungriger, der lange gefastet hat, wird an einer gutbesetzten Tafel bis sein Hunger gestillt ist, weder an Vater noch Mutter, weder an Freund noch Geliebte, denken, und Niemand wird's ihm verargen können. Ich muß Ihnen noch einmal vor die Pandora danken, – es ist die Königin aller andern Calender, Almanache, Blumenlesen u.s.w., es sind ganz vortreffliche Sachen darin. Leben Sie wohl und behalten in gutem Andenken
Ihre
Freundin
E. G.
An Goethe.
den 19ten Decemb. 1792.
Lieber Sohn!
Hir schicke ich Christkindleins bon bon mit Bitte dem jungen Herder Augst August. benamset etwas in meinem Nahmen davon zu komen zu laßen. Hir Leben wir in Furcht und Erwartung der Dinge die kommen sollen – Die Höchsten und Hohen Herrschaften versichern uns zwar daß alles gut gehen werde, das ist verdolmescht daß die Francken nicht wieder kommen würden – so lange aber Maintz nicht in deuschen Händen ist – dürfen wir noch nicht Vicktoria rufen – und die Wolfhaut noch nicht feilbieten. Du wirst dich jetzt von deinen gehabten Strapazen in deinem neuen schönen Hauß und unter deinen Freunden erholen – daran thuts du nur sehr gescheidt. Ihro Durchlaucht die Frau Herzogin Amalia haben die Gnade gehabt mich wegen der Kriegsunruhen nach Weimar zu invitiren – dancke Hochdenenselben in meinem Nahmen – und sage dieser vortreflichen Fürstin – Ich hätte guten Muth der Gott der mich biß hieher gebracht, würde weiter sorgen. Ihro Durchlaucht der Herzog befindet sich wohl und vergnügt – deßgleichen Ihro Königliche Majestät von Preußen – Gott gebe dir ein fröliges Neuesjahr – und uns den edlen Frieden – diß ist der Wunsch deiner treuen Mutter
Goethe.
* * *
den 15ten Mertz 1793.
Lieber Sohn!
Es ist Raum genung in der Frau Aja ihrem Häußlein, kome du nur – freylich mußt du dich mit dem zweiten Stockwerck begnügen – aber einem Mann der eine Cammpangne mitgemacht und dem die Erde sein Bett und der Himel sein Zelt war, verschlägt nun so was nichts – Übrigens sols an nicht fehlen was zur Leibes Nahrung und Nothdurft gehört. Ich habe jetzo eine sehr brave Einquartirung – und ich rechne es mir vor ein wahres Unglück, daß sie in ein paar Tagen fortgeht – was ich hernach bekomme muß in Gedult erwartet werden. Aber daß der König die Meße |: wie mann mich gestern vor gewiß versichert hat :| hir bleibt das ist mir und der gantzen Stadt ein wahres Jubelfest – den so wie der König von uns allen geliebt wird, ist wohl schwerlich noch ein Monarch geliebt worden – wenn Er einmahl weg geht; so weine ich dir gewiß 8 Tage, und vergeßen wird Er von uns allen Zeitlebens nicht. Den andern Monath wird es nun wahrscheinlich über das bedauerungswürdige Maintz hergehen! Wir können Gott nie genung dancken, daß wir noch so zu rechter Zeit von den Freiheits-Männern sind befreit worden! Wenn wir sie nur nicht wieder zu sehen kriegen! Gantz bin ich noch nicht beruhigt, so lange Maintz–Worms und Speier in ihren Händen und sie nicht über den Reihn gejagt sind; so lange ists imer noch so, so. Alles was nun noch zu sagen wäre – wollen wir aufs mündliche erzählen verspahren – denn ich schwatze ohnehin lieber als ich schreibe – Herr Gerning Der spätere homburgische Gesandte in London. läßt sich dir bestens empfehlen – und freut sich einen Brief von dir zu erhalten. Lebe wohl! Gott! Schenke uns eine fröhliche Zusammenkunft! Dieses wünschet hertzlich
Deine treue Mutter
Goethe.
* * *
den 19ten Jenner 1795.
Lieber Sohn!
Den besten und schönsten Danck vor deinen Willhelm! Wilhelm Meister. Das war einmahl wieder vor mich ein Gaudium! Ich fühlte mich 30 Jahre jünger – sahe dich und die andern Knaben 3 Treppen hoch die preparatoien zum Puppenspiel machen – sahe wie die Elise Bethmann brügel vom ältesten Mors Max Moors, Goethes Kinderfreund. kriegte u.d.m. Könte ich dir meine Empfindungen so klahr darstellen – die ich empfand – du würdest froh und frölig seyn – deiner Mutter so einen vergnügten Tag gemacht zu haben – Auch die Romantzen die Reichart Kapellmeister. zum Glück vor mich in den Clavier schlüßel gesetzt hat machten mir große Freude besonders was hör ich draußen vor dem Thor – was auf der Brücke schallen? die wird den gantzen Tag gesungen – also noch einmahl vielen Danck. Freund Stock Frankfurter Rathsherr. war über deine Güte und Höfflichkeit sehr gerührt auch in seinem Nahmen dancke ich – Schlossern habe sein Exemplar so gleich überschickt – dem wird es auch wohlgethan haben, nun noch etwas vom äußern – was ist das vor herrlich Papier was vor vortrefliche Lettern!! das ließt sich mit Lust – Tausendt Danck daß du das herrliche Werck nicht mit Lateinischen Lettern hast drucken laßen – ich habe dir es schon einmahl geschrieben daß ichs nicht ausstehn kan. Jetzt von meinem Thun und laßen nur so viel, daß ich Gott Lob bey der entsetzlichen Kälte auser einem Cathar mich wohlbefinde – daß ich meinem Oberauditor nebst Ehegemahlin noch zur Einquartirung habe, daß es vor jetzt hir gantz ruhig ist |: versteht sich wegen der Franzosen :| denn sonst ist Lerm und Romur genug bey uns – die gantze Armme wird von hieraus versorgt 500 Wagen gehen beständig hin und her – mann weiß weder obs Sonn oder Werckeltag ist – Wenn nicht Friede wird, so fürchtet mann sehr aufs Frühjahr – Ich habe mich Gott sey Danck noch nie gefürchtet – und jetzt mag ich nicht anfangen – müßens abwarten – nehmen einstweilen die guten Tage mit – und grämen uns nicht vor der Zeit – Ein einziger Augenblick kan alles umgestalten. Schlosser lebt jetzt in Anspach – Ihm gefälts wohl – aber die Schlossern der ist ihr Mährgen in Brunen gefallen – alles war drauf angelegt in Düsseldorf den Frieden abzuwarten – nun sind die Jacobis Friedrich Heinrich. selbst nach Wansbeck emigrirt. Noch eins! die Fortsetzung vom Willhelm wird doch nicht lange ausenbleiben – denn ich habe ihn noch nicht binden laßen – laße einem nicht so lange auf die Forsetzung harren – denn ich bin gar begirig drauf. Lebe wohl! Küße den kleinen Aug[u]st – auch deinen Bettschatz Christiane Vulpius von deiner
* * *
den 24ten Augst 1795.
Lieber Sohn!
Schon längst hätte ich dir eine Beschreibung meines Aus und Einzugs überschickt – aber ich wollte erst deine Rückkehr nach Weimar abwarthen – Gott sey Danck! der dir das Carlsbad so wohl hat gedeihen laßen – auch freuts mich, daß ich etwas dazu habe beitragen können. Die Lüster wirst du wohl erhalten haben? Auch ist ein Fuhrmann unterwegs der dir 12 Bouteillien vom alten Tyrannen Blut – und 6 ditto von verschiedenen Sorten |: wovon der Preiß hir bey kommt :| von Zierat Blum Weinhändler. der unser Hauß gekauft hat überbringt – solte bey Hoff oder in der Stadt sich jemandt finden dem er behagte; so solte mir es lieb seyn ... Schon 6 wochen wohne ich in meinem neuen Quartir – mein Aus und Einzug ging so glücklich von statten, daß ich wenig oder gar keine Ungemächlichkeit davon empfunden habe – zwey Preußische Soldaten haben mir alles hin getragen – weder Schreiner noch Fuhrwerck habe ich nöthig gehabt und nicht das mindeste ist beschädigt worden. Freuen wirst du dich wenn du einmahl herkomst – wenn du mein niedliches logiegen sehen wirst. Eingerichtet bin ich gantz exelentz – ich habe gerade so viel als ich brauche – 3 gar schöne Stuben in einer reihe, eine von 4 Fenster die auch wohl einen Saal vorstellen könte ist so lange mann noch nicht einzuheitzen braucht, meine Wohn und Besuch Zimmer – die zweyte von 3 Fenster ist mein Schlafzimmer – die von zwey Fenster haben meine zwey Mägde – ich habe letzere so hübsch eingerichtet, daß wann ich die Freude habe, dich bey mir zu sehen – es dein Zimer wird – meine Leute will ich schon Hintenaus verstecken – Ferner ist ein schöner geräumiger Vorplatz hinter den Zimmern wo alle meine Schränke stehn – eine schöne helle Küche – alles auf einem Platz auch noch Speißekamer – Holtzplatz – so daß ich die Treppe nicht zu steigen brauche, als wenn ich ausgehe – das ist das innre – aber nun die Aussicht – da ists ohne allen streit das erste Hauß in Franckfurth – die Hauptwache gantz nahe – die Zeil da sehe ich biß an Darmstädter Hof – alles was der Catharinenporte hinein und heraus kommt so mit der Bockenheimerstraße u.s.w. und denn das jetzige Soldaten weßen! So eben werden die Anspacher auf dem Paradeplatz gestelt – um 11 uhr die Wachtparade mit treflicher Kriegerischer Musick alles an mir vorbey – und Sontags wenn die Catharinenkirche aus ist – und die Wachtparade dazu kommt so siehts auf dem großen Platz aus wie am Krönungstag – sogar an Regentagen ist es lustig die vielen hundert Paraplü vormiren ein so buntes tach – das lustig anzuschauen ist – ich muß dir auch noch sagen wie ichs mit der Einquartirung habe – das Hauß ist auf gemeine eingeschrieben jetzt hat es 4 Mann vom Regiment Taden – 2 hat der Haußherr – die andern 2 haben wir nehmlich Herr Bernus – Frau Rittern und ich – Frau Rittern gibt die Stube, Bettung – ich gebe täglich dem einen vor Kost 8 Xr Herr Bernus dem andern ebenfalls 8 Xr – weiter hören und sehen wir von ihnen nichts und bleiben im übrigen ruhig. Ich bin mit einem Wort sehr vergnügt – bereue meinen Tausch gantz und gar nicht und dancke dir noch vielmahls daß du mich auf den guten Gedancken gebracht hast. Nun ich weiß daß du wieder in Weimar bist, soll auch der Judenkram Frankfurter Ausdruck für allerhand Schnittwaren. bald erscheinen – das beste davon sind zwey Neßeltüchern Kleider wovon das eine recht hübsch ist – sage aber noch nichts davon – damit es mehr Spaß macht. Den Brief habe bestelt – Gerning grüßt dich – Noch etwas! Ich habe von meinen Möbel die ich nicht mitnehmen konte noch wolte einen Ausruf im alten Hauß gehalten – was draus gelößt worden weiß ich noch nicht – ich hoffe doch so viel um die Tapeten im neuen Hauß umsonst zu haben. Jetzt lebe wohl! Auf die Fortsetzung des Romans freue mich sehr. Grüße alles
von deiner treuen Mutter
Goethe.
* * *
den 22ten Juli 1796
Lieber Sohn!
Aus den Zeitungen wirst du die jetzige Lage deiner Vatterstadt erfahren haben – da aber das Tagebuch von Frau Aja zuverläßig nicht darinnen steht und ich doch mit Zuversicht glaube daß es dir nicht gleich gültig ist wie ich diese Epoche überstanden habe; so werde ich eine kleine Relation davon abstatten. Vor denen Frantzosen und ihrem hereinkommen hatte ich nicht die mindeste Furcht daß sie nicht plündern würden war ich fest überzeugt – wozu also einpacken? ich ließe alles an ort und stelle und war gantz ruhig – auch glaubte kein Mensch daß die Kay[s]erlichen sich hir halten wollten – es war wie die Folge auch gezeigt hat wahrer Unsinn – da sie es aber doch thaten; so fing die Sache an bedencklich zu werden – das Hauß wo ich wohne ist in Zeiten der Ruhe eins der schönsten in der Stadt – aber desto fürchterlicher in solchen Tagen wie die vergangenen wahren – der Kay[s]erliche Commandtant wohnte gegen mir über, nun sahe ich all den Specktackel – die Frantzosen mit verbundenen Augen – unsern Burgemeister – alles in Furcht was das werden solte u. s. w. den 12ten gegen Abend fing das Bombardement an wir setzen uns alle in die untere Stube unsers Haußherrn wie es etwas nachließ ging ich schlafen – gegen 2 uhr früh morgens fings wieder an wir wieder aus den Betten – nun fing ich an auszuräumen nicht vor den Frantzosen aber wohl vor dem Feuer – in ein paar Stunden war alles im Keller biß auf die Eißerne Kiste die uns zu schwer war – ich ließ meines Schwager Major Schuler Goethes Oheim. seinen Fourirschutz nebst noch einem starcken Mann, holen – die brachten sie denn glücklich in Keller. Biß an diesen periodt war ich noch gantz beruhigt – jetzt kamen aber so schreckliche Nachrichten wie der wie jener |: es waren Leute die ich kante :| der von einer Haupitze Todt geschlagen dem der Arm dem der Fuß vom Leib weg u.d.g. nun fing mir an Angst zu werden und ich beschloß fortzugehn freylich nicht weit – nur dem Bombardement auszuweichen – da war aber kein Fuhrwerck ums Geld zu haben – endlich hörte ich, daß in meiner Nachbahrschaft eine Familie nach Offenbach führe – ich ließe sie bitten mich mitzunehmen – und es wurde mit vieler Höfflichkeit bewilliget. Ich bin keine von den verzagten Seelen, aber diese schreckliche Nacht die ich gantz ruhig in Offenbach bey Mama la Roche Sophie de la Roche. zubrachte, hätte mir in Franckfurth vielleicht Leben oder doch Gesundheit gekostet – den 12ten 13ten und 14ten bliebe ich also in meiner Freystadt – den 15ten früh kam die Nachricht daß die Capitulation geschloßen und nichts mehr Leib und Leben betrefendt zu befahren sey – nur müßte mann machen den Tag noch zurückzukommen weil den 16ten die Frantzosen einrücken würden und alsdann die Thore geschlossen seyn würden – nun wäre ich um keinen Preiß in Offenbach geblieben – einmahl weil mann mich vor Emigrirt hätte halten können – zweytens weil meine schöne Zimmer als gantz lehr stehend |: denn meine Mägde hatte ich auch mitgenommen :| hätten weggenommen werden können. Nun war wieder Holland in Noth! war wieder kein Fuhrwerck zu haben – da erbarmte unser alter Freund Hans Andre Johann André, der Komponist von Goethes »Erwin und Elmire« über mich, gab mir sein artiges Kuschgen und rasch war ich wieder im goldenen Brunne danckte Gott von gantzem Hertzen vor meine und vor die Bewahrung meiner Wohnung. Es ist gantz begreiflich daß ein größerer Unglück das kleinere verdrängt – wie die Canonade aufhörte – waren wir wie im Himel – wir sahen die Frantzosen als Retter unsers Haab und Beschützer unserer Heußer an – denn wenn sie gewolt hätten so stünde kein Hauß mehr – und zum löschen spantten sie ihre Pferde vor die Spritzen die von den Dorfschafften zum löschen herbey eilten. Gott! Schencke uns den Frieden! Amen! Lebe wohl! Grüße alles in deinem Hauße, und behalte lieb
deine
treue Mutter
Goethe.
* * *
den 1ten Augst 1796.
Lieber Sohn!
Du verlangst die näheren Umstände des Unglücks unserer Stadt zu wißen. Dazu gehört eine ordentliche Rangordnung um klahr in der Sache sehen zu können. Im engsten Vertrauen sage dir also, daß die Kay[s]erlichen die erste ursach geweßen sind – da sie nicht im stande waren die Frantzosen zurück zu halten – da diese vor unsern Thoren stunden – da Franckfurth keine Festung ist – so war es Unsinn die Stadt ohne daß sie den minsten vortheil davon haben konnte ins Unglück zu bringen – mit alledem wäre allerwahrscheinlichkeit nach kein Hauß gantz abgebrannt – wenn der fatale Gedancke : den sich niemand ausreden ließe : die Frantzosen würden plündern – nicht die Oberhandt behalten hätte – das war das Unglück von der juden gaße – denn da war alles ausgeräumt – beynahe kein lebendiges weßen drinnen – der Unsinn ging so weit, daß sie vor die lehren Häußer große Schlößer legenten. Da es nun anfing zu brennen, so konte erstlich niemandt als mit Gewalt in die zugeschloßenen Häußer – zweytens waren keine juden zum löschen da – drittens waren gantz nathürlich in den Häußern nicht die minstefte anstalt – wenn es die Christen eben so horndumm angefangen hätten, so wäre die halbe Stadt abgebrannt – in allen Häußern – waren die größten Bütten mit Wasser oben auf die Böden der Häußer gebracht – so wie eine Kugel zündete waren naße Tücher – Mist u.d.g. bey der Hand – so wurde Gott sey Danck – die gantze Zeil – die große und kleine Eschenheimer gaße – der Roßmarckt – die Tönges und Fahrgaße gerettet – daß nicht ein Hauß gantz niedergebrandt ist – ja beßer zu sagen gar nichts das der Mühe werth wäre zu sehen – Der andre Theil der Stadt der Römerberg Maynzergaße und so weiter kamme ohnehin wenig hin – und that garnichts. Auf der Frieburger gaße ist unser ehemahliges Hauß abgebrandt – auch der gelbe Hirsch hintenhinaus. Von unsern Bekannten und Freunden hat niemandt etwas gelitten – nur ein Bekandter von mir Kaufman Graff der in unserm Sonntags kräntzen bey Stocks Rathsherr. ist – hat durch die Einbildung es würde geplündert einen großen Verlust gehabt – Er glaubte nehmlich wenn er sein gantzes Waaren lager bey jemandt der in Preußischen Dinsten wäre und wo der Preußische Adler über dem Eingang angebracht wäre; so seye alles gerettet. In unserm alten Hauß auf der Frieburger gaße wohnte nun ein preußischer Leutenant – also brachte der gute Mann seyn Haab und Fahrt in dieses Haus in höltzerne Remisen – nun ist ihm alles verbrandt – und die vielen Öhlfäßer – der ungeheure vorrath von Zucker |: er ist ein Spetzerey Händler : machte zumahl das öhl das Feuer noch schrecklicher – noch andre Leute folgten dem unglücklichen Beyspiel – trugen aus ihren sicheren Wohnungen alle ihre Sachen – Geld – Silber – Betten – Geräthe Möbel – in dieses unglückselige Hauß – und verlohren alles. Überhaubt hat der Gedancke der Plünderung der Stadt mehr Geld entzogen – als selbst die Brandschatzung – denn es sind Häußer die das Packen – fortschicken 600–1000 und noch mehr gekostet hat – daß der gute Hetzler Frankfurter Schöffe. und Schlosser Bruder von Johann Georg Schlosser. als Geißlen sind mitgenommen worden, wirst du aus den Zeitungen wißen. Unsere jetzige Lage ist in allem Betracht fatal und bedenklich – doch vor der Zeit sich grämen oder gar verzagen war nie meine Sache – auf Gott vertrauen – den gegenwärtigen Augenblick nutzen – den Kopf nicht verliehren – sein eignes werthes Selbst vor Rranckheit /: denn so was wäre jetzt sehr zur Unzeit : zu bewahren – da dieses alles mir von jeher wohlbekommen ist, so will ich dabey bleiben. Da die meisten meiner Freunde Emigrirt sind – kein Comedienspiel ist – kein Mensch in den Gärten wohnt, so bin ich meist zu Hauße – da spiele ich Clavier ziehe alle Register paucke drauf loß, daß man es auf der Hauptwache hören kan – leße alles unter einander Musencalender die Weltgeschichte von Voltäre – und so geht der gute und mindergute Tag doch vorbey. So wie weiter was wichtiges vorgeht – das sonderlich bezug auf mit hat, solts du es erfahren. Küße deinen Lieben Augst in meinem Nahmen – Grüße deine Liebste – von
deiner
treuen Mutter
Goethe.
N.S. Aber wo bleibt der Willhelm?
An August von Goethe.
den 15ten October 1796
Lieber Augst!
Das ist ja vortreflich daß du an die Großmutter so ein liebes gutes Briefelein geschrieben hast – nimmermehr hätte ich gedacht, daß du schon so geschickt wärest – wenn ich nur wüßte womit ich dir auf kommenden Christag eine kleine Freude machen könte – weißt du was? sage was du gerne haben mögstet deinem Vater – und der soll mir es schreiben – besinne dich, denn es hat noch Zeit – Zur Belohnung deines schönen Briefes, schicke ich dir hir etwas bon bon – Aber den Christag soll eine große große Schachtel voll ankommen – du mußt brav lernen und recht geschickt seyn – da wirst du bald groß werden – und dann bringt du mir die Journahle und Mercure selbst. Lebe wohl! Grüße Vater und Mutter von
deiner dich hertzlich liebenden Großmutter
Elisabetha Goethe.
An Christiane Vulpius.
den 24en Augst 1797.
Liebe Freundin!
Das Vergnügen so ich in Ihrem Lieben traulichen Umgang genoßen macht mich noch immer froh – und ich bin meinem Sohn vielen Danck schuldig daß Er mir solches zu verschaffen die Güte hat haben wollen. So kurtz unsere Zusammenkunft war, so vergnügt und hertzlich war sie doch – und die Hoffnung Ihnen meine Liebe einst auf längre Zeit bey mir hir zu sehen erfreut mich zum voraus – Da wir nun einander kennen; so wird die Zukunft immer vergnügter und besser vor uns werden – behalten Sie mich in Liebevollem Andencken – und von meiner seite glauben Sie das nehmliche. Die Gründe die mir mein Sohn von seiner Reiße vorgestelt hat konte ich nicht wiederlegen – Er geht also in die Schweitz – Gott Begleite Ihn und bringe Ihn so gesund und heiter wieder zu uns als Er weg geht; so wollen wir uns über seine Abweßenheit beruhigen, und Ihm dieße Freude das schöne Schweitzer land nach so viel Jahren einmahl wieder zu sehn von Hertzen gönnen – und wenn ich Ihn bey seiner Rückkunft wohl genährt und gepflegt habe – Ihnen meine Liebe wohlbehalten wieder zurück spendiren werde – das wiedersehn wird uns allen große Freude machen – das soll denn einstweilen unser Trost sein. Vor Ihren Lieben Brief dancke Ihnen hertzlich – auch dem lieben Augst dancken Sie durch einen hertzlichen Kuß von der Großmutter vor den seinen auch sagen Sie Ihm, daß das Mädelgen mit den Schellen sich als noch hören ließe – und daß ich Infanteri und Cavaleri aufs Christkindlein bestellen wolte. Leben Sie wohl! Behalten diejenige in gutem Liebevollen Andencken, die mit wahrer Liebe und hertzlichkeit ist und sein wird
dero treue Freundin und Mutter
Elisabetha Goethe.
An Goethe.
Den 4ten December 1797.
Lieber Sohn
Das erste ist, daß ich dir dancke daß du diesen Sommer etliche Wochen mir geschenckt hast – wo ich mich an deinem Umgang so herrlich geweidet – und an deinem so auserordentlichen guten an und Aufsehen ergötzt habe! Ferner daß du mich deine Lieben hast kennen lernen worüber ich auch sehr vergnügt war, Gott erhalte Euch alle eben so wie bißher – und Ihn soll dafor Lob und Danck gebracht werden Amen. Daß du auf der Rückreiße mich nicht wieder besucht hast that mir in einem Betracht leid – daß ich dich aber lieber den Frühling oder Sommer bey mir habe ist auch wahr – denn bey jemand anders als bey mir zu wohnen – das ertrüg ich nicht – und bey schöner Jahres Zeit ist auch Raum genung vorhanden – mit entzücken erinnre ich mich wie wir so hübsch nahe beysammen waren – und unßer Weßen so miteinander hatten – wenn du also wieder kommst wollen wirs eben wieder so treiben nicht wahr? Deine zurückgebliebenen Sachen würden schon ihren Rückmarsch angetreten haben, wenn ich nicht die Gelegenheit hätte benutzen wollen – ein Christkindlein zu gleich mitzuschicken – packe also den Kasten alleine aus damit weder Freundin noch Kind vor der Zeit nichts zu sehen bekommen den Confect schicke wie nathürlich erst in der Christwoche nach. Solte das was ich vor meine Liebe Tochter gewählt habe nicht gefallen – indem ich unsere Verabredung bey deinem Hirseyn gantz vergeßen habe; so schicke es nur wieder her und ich suche etwas anders aus – mir hat es sehr wohl behagt – aber daraus folgt nicht daß es derjenigen vor die es bestimmt ist auch gefallen muß – heute wird noch vor den lieben Augst allerley zusammen getribst – und ich hoffe, daß künftigen Freytag den 7 dieses die Raritäten auf den Postwagen gethan werden können – wenigstens will ich mein möglichstes thun – Was Herrman und Dorothea hir vor große Wirkung verursacht hat – davon habe schon etwas an meine Liebe Tochter geschrieben. Hufnagel ist so gantz davon belebt daß Er bey Copulationen und wo es nur möglich ist gebrauch davon macht – zur Probe dienet innliegendes – Er behauptet so hättest du noch gar nichts geschrieben ... Vor den Frieden sey Gott Tausendmahl gedanckt! Wenn das wieder losgegangen wäre – was wäre aus unserer guten Stadt geworden!!! Jetzt prepariren wir uns auf das Friedensfest – unser vortreflicher Theater Mahler Fuentes? mahlt Decorationen dazu – der Singsang ist auch fertig – Paucken und Trompeten sind auch bey der Hand – das wird ein Jubel werden – an der Hauptwache wird er ausposaunt! alle meine Freunde wollen aus meinen Fenstern den Jubel mit ansehn auf so viele Angst verdient mann doch wieder einmahl einen fröhligen Tag zu haben. Seit dem du weg bist hat unser geschickter Mahler 3 neue Decorationen gemacht – ein sehr schönes Zimmer – eine Stube vor arme Leuthe die ganz vortreflich ist – und einen Garten der zum erstenmahl im Don Juan sich presentirt hat – alles mit großem Ablaudisement. Ich schicke dir auch alle Comedien Zettel mit, über die eingeführten kleinen wirst du lachen – solte man glauben daß das ein Ersparnüß jährlich von 700 f ist! Dein Looß ist mit 50 f heraus gekommen 5 wurden abgezogen vor die übrigen 45 f habe wieder ein neues zur 13ten Lotheri genomen 728 ist die No: Das wäre so ohngefähr alles vor diß mahl. Lebe wohl! Behalte mich in gutem Andencken – Grüße deine Lieben von
deiner
treuen Mutter
Goethe.
An Christiane Vulpius.
den 15ten Februar 1798.
Liebe Tochter!
Sie haben mir durch die überschickten Bücher eine große Freude gemacht besonders war ich entzückt Angnes von Lilien Den Roman der Karoline von Wolzogen, zuerst in den »Horen« gedruckt. jetzt gantz zu besitzen, die ich mit großer Begirden in der Horen suchte aber immer nur stückweiß fande – ich machte mir also ein rechtes Freudenfest und ruhte nicht biß ich damit zu Ende war – so viel ich mich erinnere von meinem Sohn gehört zu haben ist die Frau Verfaßerin eine Schwägerin von Schiller – – O! laßen Sie dieser vortreflichen Frau meinen besten Danck vor dieses herrliche product kund und zu wißen thun. Auch Julie hat mir sehr behagt wer ist denn die Verfaßerin davon? Ja meine Liebe! Sie können kein beßeres und verdinstlicheres Werk an Ihrer Sie liebenden Mutter thun, als daß Sie die Güte haben, wenn Ihnen solche liebliche Sachen zukommen mich in meiner Geistesarmuth theil darann nehmen zu laßen – auch verbinde ich mich im Fall Sie Ihre Bibliotheke mit ausschmücken wollen – das was Sie etwann verlangen sollten wann ich es geleßen wieder zurück zuschicken. Wir haben hir das Thirische Leben betrefendt an nichts mangel – aber dem Geist geht es wie Adonia dem Königs Sohn im Alten Testament 2. Buch Samuelis 13, 4. – von dem geschrieben steht wie wirst du so mager du Königs Sohn. Also nochmahls meinen besten Danck, vor die gute und genüßbahre Speiße womit Sie mich erquickt haben. Es freut mich überaus daß alles was mir in Weimar lieb und theuer ist sich wohlbefindet – Auch das ist recht und brav daß Sie sich den Winter in Ihrem häuslichen Circul als außer demselben Vergnügen machen – denn die heiligen Schriftsteller und die profanen muntern uns dazu auf, ein fröhliges Hertz ist ein stetes wohlleben sagen die ersten – und fröhligkeit ist die Mutter aller Tugenden steht im Götz von Berlichingen. Wegen des Krieges wachssen mir auch keine grauen Haare – das was ich neulich an Ihnen schriebe – daß wenn es in Weimar gut mit meinen Lieben geht und steht mich das lincke und rechte Reinufer weder um Schlaf noch appetit bringt – ist noch heut dato meine Meinung. Künfigen Montag wird seyn der 19te ist mein Geburthstag – da trincken Sie meine Gesundheit – das werde ich durch Simpathi spüren und fühlen und wird mir wohl thun. Leben Sie wohl! Grüßen meinen Lieben Sohn – und glauben daß ich ewig bin
Ihre
Sie von hertzen liebende Mutter
Goethe.
An August von Goethe.
den 21ten July 1798.
Lieber Augst!
So ofte ich ein so schön und deutlich geschriebenes Heft von dir erhalte; so freue ich mich daß du so geschickt bist die Dinge so ordentlich und anschaulich vorzutragen – auch schäme ich mich nicht zu bekennen, daß du mehr von diesen Sachen die von so großem Nutzen sind weißt als die Großmutter – wenn ich so gerne schriebe wie du; so könte ich dir erzählen wie elend die Kinder zu der Zeit meiner Jugend erzogen wurben – dancke du Gott und deinen lieben Eltern die dich alles nützliche und schöne so gründlich sehen und beurtheilen lernen – daß andre die dieses Glück der Erziehung nicht haben im 30 Jahr noch alles vor Unwißenheit anstaunen, wie die Kuh ein neues Thor – nun ist es aber auch deine Pflicht – deinen Lieben Eltern recht gehorsam zu seyn – und Ihnen vor die viele Mühe die Sie sich geben, deinen Verstand zu bilden – recht viele viele Freude zu machen – auch den Lieben Gott zu bitten Vater und Mutter gesund zu erhalten damit Sie dich zu allem guten ferner anführen können. Ja lieber Augst! Ich weiß aus Erfahrung was das heißt Freude an seinem Kinde erleben – dein Lieber Vater hat mir nie nie Kummer oder Verdruß verursacht – drum hat Ihn auch der Liebe Gott gesegnet daß Er über viele viele empor gekommen ist – und hat Ihm einen großen und ausgebreitnen Ruhm gemacht – und er wird von allen Rechschaffenen Leuten hoch geschätzt – da nim ein Exempel und Muster dran – denn so einen Vater haben und nicht alles anwenden auch brav zu werden – das läßt sich von so einem Lieben Sohn nicht dencken wie mein Augst ist. Wenn du wieder so Intreßante Nachrichten gesammelt hast; so schicke sie mir – Ich bin und bleibe
deine
treue u. gute Großmutter
Goethe.
An Christiane Vulpius
den 19ten Jenner 1801
Liebe Tochter!
Preiß – Danck und Anbethung sey dem Gott! der vom Tod erretten kan, und der Hülfe gesendet hat, damit unser Glaube an Ihn auf neue gestärcket – und wir mit neuem Muth immer auf Ihn hoffen und Ihm allein vertrauen! Er stärcke meinem geliebten theuren Sohn! Schencke ihm die verlohrne Kräffte, und setze Ihn ferner zum Seegen zur Freude uns und allen die Ihn lieb und werth haben Amen. Aber meine Liebe Liebe Tochter! wie soll ich Ihnen danken, vor alle Liebe und Sorgfalt die Sie meinem Sohn erwiesen haben – Gott sey Ihr Vergelter – Er hat Ihn Ihnen jetzt aufs neue geschenckt – Sie werden jetzt ein neues Leben mit Ihm Leben – und wird Ihr beyder Wohlseyn zu meinem größten Trost biß in die spätesten Zeiten erhalten Amen. Nun meine Liebe Tochter! Jetzt eine Bitte – ich muß nun |: will ich ruhig und meine Tage nicht in Sorge unb Angst hinleben :| ehestens wieder Nachricht haben, wie es aussieht – ob die Beßerung anhält – und was es denn eigendlich vor ein Übel war – das uns so schrecklich unglücklich hätte machen können – Sie sollen nicht schreiben, erholen stärcken von der großen Mühe und von der noch größeren Angst das sollen Sie, nicht Schreiben, auch mein Sohn nicht der soll sich pflegen und erholen – Aber entweder dictiren Sie Geisten Geist, Goethes Schreiber. – oder Augst oder laßen Sie Ihren Herrn Bruder Christian August Vulpius. die Mühe übernehmen – nur ein paar Zeilen mit der ersten Post!!!! Die Kranckheit muß doch erst nach neujahr gekommen seyn, denn die Christtage habe ich Briefe die gut lauten von Ihnen und von Ihm – Nochmahls Tausend Danck vor alle Liebe – treue und Besorgung – auch vor den Brief an mich – wie leicht hätte ich es von Frembten auf die schreckhaftest art erfahren können – Leben Sie wohl! Grüßen meinen mir von Gott auf neue geschenkten Sohn – auch den Lieben Augst von
Eurer aller
treuen Mutter und Großmutter
Goethe.
An Goethe.
den 2ten December 1803.
Lieber Sohn!
Dein Liebes schreiben vom 21 November hat mir viele Freude gemacht es herschte so ein froher Geist darinnen der mir wohl that – Jetzt vom Christkindlen! Künftigen Montag den 5ten December geht das päckgen mit dem Postwagen an Euch ab, ich hoffe Freude damit zu verbreiten – öffne es allein damit der spaß dem Christag nicht entzogen wird – vor meinen Lieben Augst war die Sache etwas unbestimt angegeben – Blau Tuch aber nicht ob hell oder dunckel – da aber hir kein Mensch hell blau trägt; so kommt dunckel blau – ferner war nicht bestimmt zu was ob zum Kleid oder Überrock oder sonst was – ich nahm daher ein mitteltuch – im Fall es nicht recht ist; so wasche ich meine Hände in Unschuld. Meine Liebe Tochter schriebe mir neulich Sie würde etwas Corpulent die Kleider würden zu enge – da hat nun das Christkindlen davor gesorgt und bringt zwey schöne neue Kleider das eine von Taffend die Farbe Egyptische Erde und einen Catun der sich vortreflich waschen läßt – und den Jedermann vor Seidenzeug ansieht – mit einem Wort schön schön – In das kommende päckgen habe auch auf dein Begehren einige Comedien Zettel beigelegt – künftig sollen sie alle Monathe ordentlich erscheinen. Ich hoffe daß das Theater Jetzt eine beßre Gestalt erhalten wird – da ein thätiger Mann an der Spitze steht – und der hoffentlich der Sache gewachsen ist. Vor die überschickten Journalen und Mercure dancke schön – besonders aber vor die zwey Taschen büglein – die Natürliche Tochter und das andre da die mir so lieben Nahmen Wieland und Goethe beysammen stehn – Sage Schiller daß am Neuen Jahrtag seine Jungfrau von Orleang bey uns zum erstenmahl aufgeführt wird – der Erfolg soll von mir treulich berichtet werden. Die Castanien werdet Ihr erhalten haben – und damit Gott befohlen! Grüße an deine Lieben Hauß geister von
Eurer
treuen Mutter
Goethe.
N.S. Daß zu rechter Zeit prächtiger Christags Confect erscheinen wird – darauf gebe ich Euch mein Ehren Wort.
* * *
Franckfurth d. 2ten May 1805.
Ich endes unterzeichnete bekenne öffendtlich mit diesem Brief, daß Vorzeiger dieses Julius Augst von Goethe Sich währendt seines hiesigen Aufenthalt brav und Musterhaft aufgeführt; so daß es das Ansehn hat, als habe Er den Ring im Mährgen |: Nathan des Weisen :| durch Erbschaft an Sich gebracht der den der ihn besitzt angenehm macht vor Gott und Menschen – daß dies bey oben erwähnten Julius Augstus von Goethe der fall ist bestätigt hiermit
Seine Ihn
Liebende Großmutter
Elisabetha Goethe.
An Bettina Brentano.
den 13ten Juni 1807.
Liebe – Liebe Tochter!
Nenne mich ins künftige mit dem mir so theuren Nahmen Mutter – und du verdinst ihn so sehr, so gantz und gar – mein Sohn sey dein inniggeliebter Bruder – dein Freund – der dich gewiß liebt und Stoltz auf deine Freundschaft ist. Meine Schwieger Tochter hat mir geschrieben wie sehr du Ihm gefallen hast – und daß du meine Liebe Bettina bist muß du längst überzeugt seyn Auf deine Herkunft freue ich mich gar gar sehr, da wollen wir eins zusammen Schwatzen – denn das ist eigentlich meine Rolle worinn ich Meister bin – aber Schreiben! so Tintenscheu ist nicht leicht jemand – darum verzeihe wenn ich nicht jeden deiner mir so theurcn Briefe beantworte zumahl da ich weiß, daß Nachrichten von meinem Sohn dir das angenehmste und liebste sind und ich von seinem jetzigen Thun und wirken so wenig weiß – aber überzeugt daß sein Lob obgleich aus frembtem Munde dir auch theuer ist; so schicke ich hir eine Recenzion aus den Theologischen Anaalen Von L. Wachler 1807, 19 Stück. die dir wohlthun und dich ergötzen wird. Bekentnüße einer schönen Seele im 3ten Band von Goethens Wercken.
Dieses in das Fach der religiösen Schrieften einschlagende Kunstwerk, ein mit Liebe gearbeitetes Meisterstück unsere größten Dichters, der Klahrheit mit Tiefe, Einfalt mit Erhabenheit wunderbahr verbindet, wird zugleich mit Iphigenie von Tauris und mit den Leiden des Jungen Werders in den Tempel der Unsterblichkeit eingehn. Vielleicht ist es nicht allgemein bekandt daß der Verfaßer mit diesen Bekentnüßen einer schon seit länger als 30 Jahren zu Franckfurth am Main entschlafenen Freundin seiner noch lebenden Frau Mutter, einer Freulein von Klettenberg die Er wie eine Mutter verehrte, und die Ihn wie einen Sohn liebte, ein beyder Theile würdiges Unvergängliches Denckmahl gesetzt hat. Je öfftert man diese geistreiche Bekentnüße Liest, um so mehr bewundert man sie, und der Verfaßer dieses kurtzen Anzeige wird sich, so lang ein Odem in ihm ist, jedes der hohen Achtung, die einem solchem mit Gottes Finger als einzig bezeichnetem Geiste gebührt – so weit ists vor dich – wenn du her kommst reden wir ein meheres – Etwas beßereres kan ich dir vordißmahl nicht zu kommen laßen – denn obiges ist gantz herrlich und was ich noch drauf hervor bringen mögte – wäre Wasser unter den vortreflichen Wein. Lebe wohl! Behalte lieb
deine
dich hertzlich Liebende Mutter
Goethe.
An August von Goethe.
den 28ten Mertz 1808.
Lieber Augst!
Werthgeschätzer Herr Enckel!
Ich schreibe dir gleich mit umlaufender Post – damit du erfährts wie es mit dir gehalten werden soll – du Logiers bey keinem Menschen als bey mir – dein Stübgen ist vor dich zubereitet – das wäre mir eine saubre Wirthschaft meinen Lieben Augst nicht bey mir zu haben – Incomodiren solst du mich nicht – dein Vater hat ja sein Wesen drinnen gehabt – deine Mutter ebenfalls – und du ditto vor zwey Jahren – Wir wollen recht vergnügt seyn – ich freue mich drauf – daß nicht viel Raum in der Herberge ist das wüst Ihr ja von je – wir loben doch die Christel und die Salome. Auf deine Herkunft freuen sich hertzinniglich Betina – Stocks – Schlossers – und noch viele andre brave Menschenkinder – die Großmutter ist auch diesen Winter gantz Alegro – sie steckt aber auch wegen ihrem Todtfeind dem Nord Ost wie in einer Baumwollenen Schachtel – ist den gantzen Winter nicht ins Comedien spiel gegannen – bey gute Freunde desto mehr – aber in Peltz gehült von oben an biß unten aus – und wenn es so fortgeht so triefts du mich gesünder an als deine Liebe Mutter mich vorm Jahr gesehen hat – da war ich an Leib und Seele sehr Contrackt und gähnte die Leute an im Tackt. Wenn ich so gerne schriebe als schwätzte; so soltet Ihr Wunder hören – dieses Glück soll dir beschieden seyn – freue dich einstweilen drauf – Wir haben jetzt auch ein Museum – da steht deines Vaters Büste neben unserm Fürsten Primas seiner – der Ehren Platz zur Lincken ist noch nicht besetzt, es soll von Rechts wegen ein Franckfurther seyn ja könt eine weile warten – bey so einer Occasion oder Gelegenheit fält mir immer das herrliche Epigram von Kästner ein Ihr Fürsten – Graffen – und Prelaten – auch Herrn und Städte ins gemein – vor 20 Spesies Ducaten – denck doch!!! soll einer Goethe seyn. Grüße deinen lieben Vater! ditto Mutter. Vivat die erste Woche im Aprill. Behaltet mich lieb