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Aus dem empfindsamen Fräulein Caroline von Dachröden, das mit dem damaligen Jung-Deutschland schwärmt und schwört, entwickelt sich schnell an der Hand Humboldts die sehnsüchtige Braut, die verständnisvolle Gattin, die Mutter. Die Mutterschaft bildete die Krönung von Carolinens Charakter, nachdem sie Humboldts Gattin geworden war. Einige Zeilen aus einem Briefe von ihr an Alexander von Rennenkampf, den feinsinnigen baltischen Edelmann, können als Motto dieser kleinen Lebensskizze vorangestellt werden: »Ja, es liegt etwas Tieferes in dieser Sehnsucht, in diesem Verlangen. Wie es den Männern ist, weiß ich nicht, brauch's auch nicht zu wissen, aber die Frau, die den liebt, dem sie angehört, die muß, die kann nicht anders, als wünschen, sein Leben, seine Liebe unter dem Herzen zu tragen, zu hegen und wenn die Stunde gekommen ist, dem Lichte zu geben. Und sollte sie wissen, daß diese Stunde die letzte ihres Lebens sein werde ...«
Caroline von Dachröden wuchs ziemlich einsam im Hause ihres Vaters, des preußischen Kammerpräsidenten in Erfurt, auf. Mutterlos geworden, lag ihre Erziehung in den Händen einer alternden, »unausstehlich prätenziösen« Französin, der Madame Dessaulx, und des Lehrers ihres Bruders Ernst. Durch Carl von Laroche, den Sohn der Sophie, der sie zärtlich liebte und später in hochherziger Weise zurücktrat, als er ihre Leidenschaft für Humboldt erkannte, wurde die junge Caroline mit dem »Tugendbund«, der sonderbaren, eigenwilligen Schöpfung der schönen Henriette Herz, befreundet, dem auch Humboldt kurze Zeit angehörte. Mit Wilhelm von Humboldts Eintritt in ihr Leben werden alle Banden der Konvention, der geistigen Einengung gelöst. Was bisher, oft unklar und verworren, in das mitempfindende Herz der schönen Caroline von Beulwitz, der Schwägerin Schillers, ihrer Intimissima, überfloß, richtete sich jetzt auf das Weltganze, dessen Mittelpunkt ihr wiederum Humboldt war.
»Wir Frauen sind ein wunderbares Volk«, schreibt sie ihm, »alles, was wir je sein können, macht die Liebe aus uns, aber sie wirft uns auch in unser Nichts zurück – nie, deucht mir, hätt' ichs inniger empfunden, wie jetzt«. Und einige Wochen später: »Ich lese wieder den Plutarch. Man verliert sich selbst bei der Betrachtung dessen, was diese Menschen taten, was sie litten und trugen. Ach wenn man seine Existenz nicht zu genießen vermag, so ist vergessen seines Selbst die einzige Möglichkeit des Daseins – an Deiner Seite würde mir die Geschichte der Helden der Vorzeit die Seele wecken, fern von Dir wiegt sie mich ein, und ich fühle mich selbst nicht mehr!«
Unter den Menschen, die Carolinens Kreis in ihrer Brautzeit bilden, ist vor allem Schiller und seine Lolo zu erwähnen, die sich anfangs aber keiner allzugroßen Beliebtheit bei ihr zu erfreuen scheinen. Caroline kann es Schiller nicht verzeihen, daß er die glänzende Caroline von Beulwitz um der bescheidnen Charlotte willen aufgab, nachdem ihr lange seine glühenden Huldigungen gegolten hatten, und erst, als neue Liebesbande die Freundin an den eleganten Coadjutor von Dalberg und später neue Ehebande an den Freiherrn von Wolzogen fesseln, vergiebt sie Charlotten die Zurücksetzung der schönen Schwester.
Die einzigen Hindernisse in der Verbindung der Liebenden waren die Titellosigkeit Wilhelms, der erst Referendarius war, und die Schwerfälligkeit des Vaters Dachröden, der sein Töchterlein nur ungern hergab, um so mehr, als sein Sohn ihm wenig Freude machte.
Im Jahr 1791 fand die Vermählung des jungen Paares statt, dessen unstetes Wanderleben sie bald von Paris nach Madrid, von Burgörner, der Dachrödenschen Besitzung, nach Rom führte. Von ihren acht Kindern ist nur Caroline, die älteste, in Erfurt geboren; zwei Kinder haben zu Jena, zwei zu Paris, zwei zu Rom und eins, die zarte Gabriele, die nachmalige Gattin Heinrich von Bülows, in Berlin das Licht der Welt erblickt. Ein Kindergrab in Paris – dessen kleine Bewohnerin Louise ihr Vater nie erblickt hatte – und zwei Gräber zu Rom bilden die Kreuzstationen auf ihrem Lebensweg. »Du hast mir aus der tiefsten Seele geschrieben«, gesteht Caroline ihrem Manne, »wenn Du in Deinem Brief sagst, es komme nicht darauf an, glücklich zu leben, sondern blos darauf, alles Menschliche zu erschöpfen und sein Schicksal zu vollenden. Geahndet hab ich es immer und es auch einmal ... ausgesprochen, aber tiefer und ganz, ganz hab' ich es seit unsers Wilhelms Tod empfunden. Die Tiefe und Unendlichkeit des Lebens hat sich seitdem vor mir auf getan, und das Großmenschliche erblüht, ersteht, wie soll ich sagen, gewiß und einzig nur da, wo das Individuum sich weder im Genuß des Glücks noch des Schmerzes schont ...«
So führt ihr inneres Leben in schöner Linie von der Sehnsucht zur Liebe, von der Liebe zum Überwinden. Und Humboldt selbst fühlt beglückt inmitten des seelischen Gleichgewichtes, das er ihr verdankt, was sie ihm ist. »Du mußt immer gesehen haben, wie ruhig, wie zufrieden, wie mit Dir und den Kleinen glücklich beschäftigt ich mit Dir gelebt habe. Du hast mir nie einen Kummer gemacht und mir so viele und so große Freuden geschenkt, die größeste durch Deine bloße Existenz neben und mit mir ... Du hast aus jeder Epoche Deines Lebens auch immer das Beste und Höchste geschöpft ... Du bist immer ganz das gewesen, was Du in jedem Moment sein mußtest!!« – das ist die klingende Melodie, die sich durch alle Briefe Wilhelms an Caroline zieht.
Die äußeren Verhältnisse des Paares waren stets günstige. Nach einem Jahrzehnt freien Lebens, das Humboldt zu den umfassendsten Studien auf linguistischem und astronomischem, auf künstlerischem und philosophischem Gebiet verwendet hatte, bewarb er sich wieder um eine staatliche Anstellung und wurde preußischer Gesandter in Rom, das damals noch unter päpstlicher Herrschaft stand. Hier verstrich wiederum fast ein Jahrzehnt, das »glücklichste und schmerzlichste zugleich«, so nennt es Caroline. Jedenfalls war ihr Rom eine zweite Heimat, die selbst der spätere Aufenthalt in Paris, von Humboldt so heiß ersehnt und »vorgeahndet«, nicht ersetzen konnte. »Ich habe ein unbeschreibliches Verlangen«, schreibt Wilhelm, als Caroline 1804 allein mit zwei kleinen Kindern und der Geburt des dritten entgegensehend, von Rom nach Frankreich reist, »Dich in Paris zu wissen... Amüsiere Dich nur recht, ich bitte Dich inständig; spare auch ja nicht. Wer weiß, wann Du wieder nach Paris kommst. Doch habe ich eigentlich eine Ahndung, daß wir noch auf lange in Paris wohnen werden. Es ist ordentlich närrisch damit. Ich glaube gar nicht, daß ich je Gesandter dort sein werde, ich wünschte es auch kaum. Allein es ist mir, als würden wir so lange da sein, und nach Rom wäre mir keine Stadt gleich lieb«... 1809 verließen die Humboldts Rom auf ewig. Aber ganz seßhaft sind sie nie geworden. Immer pendelt ihr Aufenthalt zwischen Berlin, Burgörner, dem weiblichen, und Tegel, dem männlichen Erbgut, hin und her. Anders stellen sich im Herbst ihres Lebens den Beiden diese Besitztümer dar, als im Lenz, wo wir häufig genug von der »Seccatur« des Landaufenthaltes mit den älteren Verwandten lesen können. In einem wunderschönen Brief an Rennenkampf spricht Caroline diese tiefe Liebe zur ererbten und unter schweren Opfern erhaltenen Scholle, auf der jeder Baum von vergangenen Zeiten spricht, klar aus. Aus den »Wickelnarren« sind erwachsene Menschen geworden; Caroline hat Kinder und Enkel um sich; unermüdlich pflegt sie die zarte Schwiegertochter Mathilde, die kleine zierliche Gabriele von Bülow, der ihr erstes Kind fast das Leben kostet. Sie hängt trotzdem mit fast fanatischer Liebe an ihren Freunden. Freilich, Schiller ist nicht mehr und Goethe hat sich alt und grämlich zurückgezogen, aber die schöne Caroline, die nunmehrige Freifrau von Wolzogen, der ein schweres Schicksal den einzigen Sohn durch ein Jagdunglück raubt. Rennenkampf und Schweighäuser, der kurze Zeit im Humboldtschen Haus als Erzieher der Knaben lebte, der schwedische Schriftsteller Brinkmann, Dorothea Schlegel u. A. m. bleiben in steter schriftlicher Verbindung mit ihr. Dann beginnt das Alter seinen Tribut zu fordern. Ein schweres gichtisches Leiden nimmt ihr wochenlang die Fähigkeit, zu schreiben, zu gehen, ja auch nur klar zu sehen. Teplitz, Karlsbad, Marienbad und Ems tauchen alljährlich am Horizonte auf. Caroline, die Älteste, konnte sich nicht entschließen, die Mutter zu verlassen, um einen eignen Herd zu gründen und folgt ihr überall hin. Eine gefährliche Unterleibsentzündung Ende des Jahres 1828 besiegelte ihr Geschick. Sie trug ihre Leiden, wie alles im Leben: sie »schöpfte das Beste und Höchste« daraus. »Ich habe auch in den kränksten Tagen, wo ich mich nahe dem Ziele glauben mußte, heitere Stunden inmitten eines großen Leidens gehabt. Das Gefühl allerbarmender Liebe, die uns zu sich zieht, und eines wundervollen Vertrauens zu dem, der uns väterlich auch im Leiden behandelt, ist oft recht tröstend und beruhigend mit mir gewesen.« Das sind ihre Zeilen an Rennenkampf. Acht Wochen darauf verschied sie. Es gibt kaum eine zweite Frau, die in ähnlicher Weise echte Weiblichkeit und Mütterlichkeit mit einer Abwehr alles Philiströsen verband, die ohne selbst zu produzieren, gleich anregend wirkte.
Die hier wiedergegebenen Briefe Carolinens sind den Sammlungen von Anna von Sydow (Berlin 1906), von Albrecht Stauffer (Berlin 1904) und von Albert Leitzmann (Halle 1901) entnommen.
An Wilhelm von Humboldt.
Burgörner 1788, den 24. August abends.
Als Du fort warst, mein Wilhelm, war eine fürchterliche Leere in meinem Herzen und eine Angst, ein Gefühl der Verlassenheit, des Alleinseins, so daß es mich forttrieb aus der Gesellschaft, in der ich war, denn ich fühlte, daß ich der Einsamkeit bedurfte und daß ich mich verraten würde, wenn ich bliebe. Ich ging gedankenlos in den Garten und kam so unvermerkt in den schattigen Pappelgang – da besann ich mich, daß ich bei Deinem Kommen den Postillon hatte blasen hören und daß ich Dich würde sehen können. Ich blieb an einen Baum gelehnt stehen, und mein volles, volles Herz erleichterte sich durch Thränen; so stand ich versunken in Erinnerungen und mannigfaltigen Gefühlen, bis mich das Blasen des Postillons aus dem wachen Traum ermunterte; wenige Augenblicke darauf sah ich Dich, o mein Wilhelm, Du rittest so schnell, so schnell – hättest Du wissen sollen, daß ich Dir nachsah, bis ich auch nicht das Mindeste mehr entdecken konnte – doch war es recht gut, daß Du es nicht wußtest, es hätte Dich nur traurig gemacht.
Es regnete heftig, ich merkte nur erst beim Nachhausegehen, daß ich durchaus naß geworden war. B. Zacharias Becker, der Volks- und Jugendschriftsteller und Erzieher von Carolinens Bruder Ernst. und mein Vater lachten mich aus, als ich ankam, aber es merkte niemand, warum ich hinausgegangen war, und mir war es tief im Herzen süßer Trost, Dich noch einmal gesehen zu haben. Nenn es Kinderei oder wie Du willst – mir ist es eine beruhigende Empfindung davon im Herzen geblieben...
Lieber Bester! daß man so lieben kann, wie wir uns lieben, das ist doch des Himmels bestes Geschenk, ist aller Thränen des Schmerzes, aller Leiden wert. Nur in solcher Liebe fühlt man sich lebendig in allen Kräften seiner Seele, erhoben über die Schläge des Schicksals und näher dem Urquell ewiger Liebe. Gott! ich danke, danke Dir für diese Stunden der Wonne, die Du Deinem schwachen Geschöpf gabest aus der Fülle meines Herzens. Dieses überströmen meiner Seele ist Dir, der Du die Liebe bist, der schönste Dank...
* * *
Den 25.
... Deine Ideen sind ganz übereinstimmend mit den meinen, meine Seele nährt sich mit diesen Hoffnungen der Zukunft, und sie allein geben ihr Ruhe und flößen ihr Stärke ein – ich weiß wohl, daß Carl nicht will, daß ich mich daran hängen soll, aber er hat unrecht, wenn er glaubt, daß ich über den Gedanken der Zukunft die Gegenwart vernachlässige. Es ist mein ernster Wille, treu und unbefangen die Pflichten zu erfüllen, die mir obliegen, ach, und ich würde ermatten, wenn man mir den Gedanken, die süße Hoffnung einer ewigen Vereinigung nähme – ich begreife nicht, wie Carl mit seinem unendlich liebenden Herzen den Gedanken ausdenken kann, ohne vor ihm zurückzuschaudern.
Wenn ich ihn so oft in stummer Entzückung, wie gestern noch Dich, an meinen Busen schloß, und es mich dann auf einmal ergriff – dies Gefühl der reinsten Liebe diese unaussprechliche Wonne, diese Empfindung, nicht unwert eines höheren Wesens, sollst Du einst entbehren, und keine Rückerinnerung dieser namenlosen Freuden wird in Dir aufdämmern – so versank mein Geist in tiefe Trauer, und ich weinte oft im Genuß der reinsten Wonne die Träne des Schmerzes.
Leb wohl, o mein Wilhelm, habe tausend Dank für Dein Kommen, für die glückseligen, ewig unvergeßlichen Augenblicke, die wir zusammen gehabt haben. Meine Seele ist bei Dir, und mein Herz umfaßt das Deine mit glühender Liebe.
* * *
(Erfurt), den 3. November 1788.
... Ich hatte, seitdem ich Dir nicht schrieb, Stunden unendlicher Freude und Trauer. Carl war bei mir. Ich habe Dir mit den wenigen Worten alles gesagt. Alle Seligkeit, die ich für jenseits hoffe, lag in dem namenlosen Gefühl, mit dem ich ihn in meine Arme schloß – aber auch der bitterste Schmerz. O Wilhelm, ich gehöre mir selbst nicht mehr – nur die Liebe zu Euch, meine ewig Geliebten, hob mich wieder über die Wellen, mit denen ich sonst auf Gefahr, in ihnen zu versinken, fortgeschwommen wäre. Aber auch besser, uneigennütziger, reiner stehe ich von diesem Kampf auf, mit dem besten Entschluß, jeden Moment meines Lebens nur dazu anzuwenden, eine Stufe der Seelenstärke zu erlangen, auf der mich der Sturm nicht mehr so ergreifen kann, mich herabzuwerfen in eine solche Tiefe des Jammers. – Ich sehe ein, daß ich bisher noch nicht den rechten Weg gegangen bin, obgleich mit reinem Herzen und Willen. Ich habe noch immer den Leiden, die einmal über mein Leben ausgegossen zu sein scheinen, die Oberhand gelassen – ich habe in dem Wahn gestanden, die höchste Tugend sei, sie mit stiller Ergebung zu tragen Caroline litt an Brustkrämpfen und Blutspucken. – aber ich komme davon zurück; ich sehe, sie werden mich so zu Boden drücken, daß keine sterbliche Macht mich wieder zu erheben vermögend sein wird, wenn ich nicht jeden Augenblick meines Lebens benutze, ihnen entgegenzuarbeiten. Ach nur noch einige solcher Scenen wie die letzte mit Carl, und Ihr habt mich verloren! –
Ihr sollt mich aber nicht verlieren – sei ruhig, mein trauter, süßer Wilhelm – gieb mir Deine liebe Hand und hilf mir mit aufwärts – sieh, ich bin allein wieder aufgestanden aus dem fürchterlichen Strudel, der mich beinah mit fortgerissen hätte, denn ich liebte Euch zu sehr, um Euch zu sagen, in welchem Zustand ich war. Noch schaudert mir dafür, aber es ist vorbei, ich will nur vorwärts nicht zurück sehen, denn die Erinnerung würde mich in dem Laufe zum schönsten Ziele aufhalten, und ich bin es Euch, meine Verbündeten, bin es meiner Caroline Frau von Beulwitz. schuldig dahin zu gelangen. Du mußt dieses herrliche Weib sehen, wenn Du hierher kommst. Laß Dir von Carl sagen, wie er sie gefunden. Sie wird eine Zierde unsrer Vereinigung Des Tugendbundes. sein, unser aller Stolz und unser Liebling ... Die Hoffnung, Dich und Caroline Beulwitz zu sehen, sind die einzigen, die ich für den Winter habe, aber sie hellen mein Leben auf zu einem schönen Frühlingsmorgen ...
* * *
Freitag Abend.
Wie süß hat mich Dein Brief aus Halle heut überrascht, er muß wo liegen geblieben sein ... Ich wollte schweigen über das, was in Weimar vorging, Dein Brief leitet mich noch einmal darauf zurück. Mein Herz soll sich mit derselben Wahrheit wie das Deine vor Dir entfalten. Du weißt, daß Caroline von Beulwitz. die Idee einer Verbindung mit Dir seit dem ersten Moment, wo sie Dich gesehen, aufgefaßt hatte. Ihre Briefe müssen es Dir gesagt haben. Ich fühlte, daß ich Dich lieben, daß ich glücklich sein würde, aber bestritt ihre Ideen, weil ich sie mit der Ruhe unseres teuren Carls de la Roche. unvereinbar glaubte. Als wir in Burgörner zusammen waren, beruhigte sie mich über diesen Punkt, da nahm eine andre Besorgnis die Stelle der ersteren, »wird Wilhelm ein höheres Glück in meinem Besitz als außer ihm genießen?" dachte ich – »wird nie ein drückender Gedanke, durch unsre sonderbar verschlungne Tage erweckt, in ihm rege werden?" – Wir reisten nach Lauchstädt. Carl kam. Ich überzeugte mich seiner Ruhe. Caroline sagte, Du liebtest mich, aber Du kenntest noch nicht den ganzen Umfang meiner Gefühle für Dich, Deine Briefe ließen dasselbe ahnen. Wie trug ich das alles in mir – Gott! – in wieviel schlaflosen Nächten, wo ich meinen Tod für ganz sicher hielt, habe ich darüber gemeint, daß ich sterben sollte, ohne es Dir zu sagen, wie innig ich Dich liebte. –
Du kamst hierher, wir erklärten uns. Ich gestehe Dir, daß in dem Moment, wo Du zuerst mit mir sprachst, der Ort, die Menschen um uns, die Furcht gehört zu werden, mich so bestürzt gemacht hatten, daß ich Dich nur halb verstand. Wir sahen uns den andern Morgen, nicht allein – Du weißt, was Caroline mir ist, aber für diesen Moment fühlt ich, daß ich hätte allein sein müssen. Es war etwas Gehaltenes in Dir. Ich sagte es Caroline, sie antwortete, die Idee meiner Liebe sei Dir noch zu neu, Du müßtest einige Zeit haben, Dich an sie hinzugeben, es müßte mich nichts irren, Du liebtest mich. So vergingen ein paar Tage. Wir blieben allein. Einige Äußerungen in Deinem Gespräch fielen mir auf, vor allem aber, wie Du einmal über die Verbindung sprachst, sagtest Du zu mir, »ohne sie wäre ich doch ewig von Euch entfernt geblieben, hätte Euch nie gesehen oder Euch gesehen ohne Euch zu bemerken, mein Herz war eigentlich gemacht, einen andern Gang zu gehen". In Deinem Blick lag oft so etwas Trübes, mir schien es etwas Unerwidertes – selbst in den Momenten zu bemerken, wo ich Dir meine Seele hingab. Hundert Gedanken stiegen in mir auf, an keinem konnte ich mich festhalten. – Fragen wollte ich nicht – aus einer Menge kleiner Umstände dacht ich's mir doch endlich zusammen, mein Wilhelm liebt – wen? Mein Herz nannte die Forster. Therese Forster, Tochter des Philologen Heyne, zuerst mit Georg Forster, später mit C. F. Huber vermählt. Wie ich es mir erst einmal selbst gestanden hatte – ach vergib – so bestärkten mich eine Menge oft unnennbarer Kleinigkeiten immer fester darin. Mein Herz war sehr bewegt, sehr wund, doch schwöre ich es Dir bei jedem seligen Moment unserer Liebe, nicht um mich. Ich zitterte, Du möchtest mich als ein Wesen betrachten, das fordern könnte ...
... So kam ich nach W(eimar). Das Verhältnis zwischen Lotte Charlotte von Lengefeld. und Schiller und Caroline entlockte mir einige Worte, die Dir auffielen. Bei Gott, vergleichen wollte ich nicht. Nein, meine Seele, dazu kannte ich uns alle zu gut. Aber, daß Stärke dazu gehörte, sich von dem einzigen Manne verkannt zu sehen, den man so unaussprechlich liebte, von dem man ebenso geliebt zu sein einen Augenblick gehofft und der Hoffnung entsagt hatte, ohne daß er im Herzen weniger geworden wäre – das fühlt ich auch ...
Nun ist das alles nicht mehr, nun drücken Dich und mich keine Gedanken mehr, die unsre Glückseligkeit stören könnten, ich fühle Deine Seele in mir, ich empfinde mich selbst nur in dem Bild, das Du in Dir von mir trägst ...
Lotte und Schillers Hochzeit wird bald sein. Vielleicht ist sie gar hier. Ich arbeite daran, denn ich zweifle, ob mich mein Vater wird Hinreisen lassen, und es liegt mir unendlich viel daran, bei Caroline zu sein. Sie will dann ein paar Wochen bei mir bleiben, und ich glaube, das ist gut für beide Schwestern – wie sonderbar hat das Schicksal dieses verschlungen, doch nein, sie haben sich selbst vieles verwirrt. Es ist nun zu spät, etwas zu ändern, das Erträglichste, aus dem was ist zu machen, bleibt allein zu thun übrig. Caroline hat mir versprochen, es mit Beulwitz so gehen zu lassen, ohne eine Erklärung zu haben. Ich bin sehr froh, dieses über sie gewonnen zu haben, denn es hätte gewiß die undelikatesten Scenen mit Beulwitz gegeben, und Caroline hat eine laute Art zu empfinden. Lotte muß durchaus nicht fühlen, daß sie Carolinens einziger Zufluchtsort ist, sie wird nur schon zu sehr, fürchte ich, einen arroganten Ton gegen sie annehmen. Das sind die Früchte, wenn man die Pflanze nicht in dem Erdreich läßt, für welches sie bestimmt war.
Lotte ist aus ihrer Sphäre herausgerissen. Sie war gemacht, in einem engen Kreis von Empfindungen zu leben, und sie wäre glücklich dabei gewesen und hätte nicht darüber gedacht. Man hat ihr das Höhere gezeigt, und sie hat danach gestrebt, ohne das innere vermögen zu haben, es zu genießen, das sich nie gibt. Ich bin sehr traurig um Carolinen. Sie ist unauflöslich an mein Herz gebunden und ich fürchte, sie geht noch an diesem Verhältnis zugrunde. Eine Unerklärbarkeit bleibt mir in Schiller. Hat er nie Carolinens Liebe empfunden, wie konnte er mit Lotte leben wollen? Hat er sie gefühlt, so nahm er die Verbindung mit Lotte nur als Mittel an, mit jener zu leben. – O, möge die Zeit dies freundlich lösen? ...
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(Erfurt), den 12. Februar 1790.
... Wenn ein Brief von Dir kommt, sag ich immer dem Papa zu Mittag, denn eher sehen wir uns nicht – mein Bräutigam, oder Ihr künftiger Schwiegersohn, oder il mio sposo, manchmal auch alles dreies zusammen, empfiehlt sich bestens, angelegentlichst usw. Das tue ich mit Fleiß, um unser Verhältnis dem Papa oft ins Gedächtnis zurückzurufen, denn er traktiert es gar nicht comme une affaire de conséquence. Der Koadjutor von Dalberg. spricht hundertmal mehr davon wie der Papa und berührt nicht selten den Plan mit Mainz. Dalberg sollte Kurfürst von Mainz werden und den ganzen Freundeskreis an seinem Hof sammeln. Ja, übel wäre es gar nicht, wenn, um mit Caroline zu reden, der Himmel dort seine Heiligen versammelte. Auf Titel laß Dich nicht ein, wenn sie nicht zu einem reellen Zweck führen. Ich habe so eine Antipathie gegen die Kammerherren. An Rang und vornehmen Verhältnissen werde ich auch mein Lebelang keine Freude haben. Sollte ich auch mit Dir in Berlin leben, so müßte mir so der Hofschnack u. dergl. vom Halse bleiben, das ist zum Sterben langweilig, und Langeweile macht mich krank. Nein, ich will gar nichts wissen von andren Menschen, mit meinem Wilhelm will ich leben, allein mit ihm – ...
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Erfurt, d. 14. April 1790.
... Ach wie könnte in diesem Herzen etwas Verschlungenes sein, das Deine Liebe nicht löste? Deine Liebe ist ihm ja Fülle des Lebens. O Wilhelm, Wilhelm, Du hast mir meine Seele neu erschaffen, was weniger und was mehr konnt' ich Dir geben, als sie selbst! ... nie hätte ich einen Mann gefunden, dessen Geist und Herz mir mehr gegeben, dessen Wesen mich mit höheren Gefühlen erfüllt hätte. Du allein konntest mein Herz diesem neuen Leben aufschließen, diese süße, beglückende Gewißheit, ganz verstanden zu werden, mir in die Seele legen, vor Dir existirt mein Geist fast einzig in all der Freiheit, der er bedarf, um sich lebendig zu fühlen in seinen besten Kräften, es ist auch so gar nicht eine entfernte Ahndung in mir, daß ich an Deiner Seite nicht den mannigfaltigen Gestalten meines Herzens und Geistes leben dürfte. Dies letzte, ich gestehe es, gehörte immer ausschließend zu meinem Glück. Es ist mir nichts so interessant zur Beobachtung, nichts so heilig im Zusammenleben, als die Individualitäten eines jeden Charakters. Sie in einem so engen Verhältnis wie die Ehe respektiert zu sehen, war das einzige, was ich bei dem Mann suchte, dem ich meine Hand geben wollte – was ich bei keinem fand, der mir diese Verbindung antrug. Auf Liebe hatte ich längst Verzicht gethan. Ich hatte mich fast überredet, sie für eine süße Illusion meines Herzens anzusehen. O ich könnte Dir stundenlang von den Träumen, den scheinenden Widersprüchen meines Herzens reden; wie manchmal schien mir dieser oder jener Mann angenehm, wohl gar interessant, so lange, als er mir keine Veranlassung gab, ihn mir in einem engeren Verhältnis zu denken, aber dann war's auch aus. Prätension, Indelikatesse, mißtrauisches Wesen überall, und diese hätten mein Leben vergiftet. Direkt Böses findet man gewiß selten unter den Menschen, aber Schwäche, eiserne Vorstellungen von Pflichten, Unglauben an andre, ungraziöses Wesen, Eitelkeit, Intoleranz für jede Idee, die außer ihrem Gesichtskreis liegt, dies alles ist mehr oder weniger in den meisten Menschen verwebt und da es mir an der Leichtigkeit, die meinem Geschlecht größtenteils eigen ist, fehlt, so hätte ich dies alles schwer aufgenommen und wäre gewiß unglücklich gewesen ...
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(Erfurt), Mittwoch, den 28. April 1790.
Von meinen Liebschaften soll ich Dir erzählen? – Ja, da wird's schlimm aussehen. Den ganzen Winter ist mir nichts vorgekommen, ein paar Freunde ausgenommen, die aber immer wieder fort mußten quand celà commençait à prendre. Es sind jetzt teure, klamme Zeiten. Doch ein Hannoveraner war letztens hier, der nicht uninteressant erschien, ein Herr von Berger. Wahrscheinlich Albrecht Ludwig von Berger, der 1813 von den Franzosen als Landvogt von Oldenburg erschossen wurde. Die Eroberung war gleich gemacht. Dalberg kann das so amüsieren, er hat einen eignen Ausdruck davor; wenn so etwas vorgefallen ist, sagt er immer, »nun, den haben Sie schon wieder kuriert". Eine schöne conquête ist mir diesen Winter im eigentlichen Verstande durch die Lappen gegangen, der Herr v. Salis, der die schönen Verse macht. Johann Gaudenz Frhr. v. Salis-Seewis, Generalinspektor der helvetischen Truppen und Dichter im Genre Matthissons. Caroline hat versäumt ihn mir zu schicken, elle s'en était éprise un peu elle même. Du glaubst nicht, wie mich das geärgert hat, vor fünf und sechs Jahren habe ich mich schon in den Herrn v. Salis verliebt und Verse an ihn gemacht, und nun er mir so nah war, krieg ich ihn nicht zu sehen. Caroline sagt, er sei schöner noch wie Carl, und so mild und graziös, und ich Arme seh ihn nicht. Ist das nicht ganz abscheulich? Apropos, da wir einmal von Eroberungen sprechen, Du schriebst mir letztens einmal von Leuchsenring, Der gleiche, der in der Liebesgeschichte Herders und der Caroline Flachsland eine so entzweiende Rolle spielte. der war auch einmal zum Sterben in mich verliebt. Sag ihm doch einmal etwas Schönes von mir, wenn er sich meiner noch erinnert, denn das ist schon lang her, daß er hier war, wenigstens acht Jahre. Ich erinnere mich sehr gut, daß es dazumal meiner Eitelkeit gewaltig schmeichelte, L. so verliebt in mich zu sehen, ich dünkte mich garnichts kleines mehr, wenn ich dergleichen Eroberungen machen konnte. Lieber Wilhelm, wir wollen einmal die Geschichte unserer Liebschaften treu und aufrichtig schreiben; aus denen, die um meine Hand geworben haben, wollte ich ziemlich das Alphabet komplett machen und darunter Figuren – nein, man hat keinen Begriff davon! ...
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Burgörner, den 10. Juni 1790.
... Du fragst mich wegen Deines Herkommens und wie es mit Papa aussieht. Er läßt sich nicht viel ausholen, denn er entriert gar nicht viel auf die Gespräche, die auf unsere Verbindung Bezug haben, indessen garantiere ich Dir, daß er unserer Heirat im künftigen Sommer nichts im Weg legt. Ein einzigmal habe ich noch mit ihm über die Finanzen gesprochen, da kam denn so viel heraus, 500 Thaler könne und wolle er mir wohl geben, aber nur die Madame Dessauix. drücke ihn, 100 Thaler habe er ihr versprochen jährlich, und er sähe nicht ab, wie die Madame mit 100 Thaler auskommen wolle. Das ist nun alles sehr wahr. Ich habe mit Carolinen überlegt, ob wir sie nicht woandershin placieren könnten, aber es bleibt bei Plänen, und wem kann man mit gutem Gewissen so eine Last aufschwatzen? ... Sie selbst ist mir unbegreiflich; es macht ihr Niemand Hoffnung, sie zu behalten, sie kennt mein Verhältnis zu Dir, ... und dennoch denkt sie nicht an die Zukunft, und es entfällt ihr kein Wort darüber. Ich gestehe Dir, daß es mich ordentlich interessirt zu erfassen, woher diese Sorglosigkeit bei Madame kommt, denn die Art Indolenz, die manche Menschen für ihr künftiges Auskommen haben, hat sie nie gehabt, ganz das Gegenteil, und in ihrem Anzug hat sie sie noch nicht, denn sie kauft Kleider und Wäsche, als gedächte sie 100 Jahr alt zu werden ...
... Ich schreibe so confus und so unleserlich, da ist mein Hund daran schuld, der mir immer auf dem Schooß liegen will und Possen treiben. Das wird eine neue Bekanntschaft für Dich sein, er ist ungefähr so ungezogen wie Liebchen, aber dans tout un autre genre, es ist ein Windspiel, er bekommt aber so viel zu essen, daß er noch einmal so groß wird wie die gewöhnlichen. Wer kann da helfen? – Ich habe ihm einen Namen unter den Sternen gegeben, er heißt Mira, und ich empfehle ihn vorher Deiner Gunst. Wenn Du ihm Braten giebst, so ist alles getan, meiner Mira Braten und mir recht schöne Küsse et la besogne est faite ...
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(Burgörner), den 2. Julius 1790 Freitag morgen.
Gottlob, daß Du keinen Schlafrock trägst, denn sonst war's mit uns aus, lieber Wilhelm – die ganze Heurat wäre zurückgegangen, und das wäre doch schade gewesen. Schon als ein Kind von sechs bis sieben Jahren – denn damals hatt ich gewaltige Heuratsprojekte – nahm ich mir vor, keinen Mann zu nehmen, der im Schlafrock herumwanderte, und nun hatt ich Unbesonnene doch vergessen, mich danach zu erkundigen. Je l'ai échappée belle! Meine Antipathie gegen diese Tracht ist ohne Maß. Der Himmel lohne die Forstern Therese Forster. – zwar aus dem Himmel macht sie sich nicht viel – also Du Ich vergesse meine unumschränkte Gewalt und den Brinkmann'schen Karl Gustav v. Brinkmann, der schwedische Schriftsteller. Orakelspruch: » Wenn sie es will!« mit dem ich freilich den Schlafrock auch ohne die Forstern hätte bannen können. Mais pour ne mettre jamais l'oracle en défaut, ne vaudra-t-il peut-être pas mieux ne pas vouloir, mon doux ami? – Ich studiere sonst viel die Physiognomik und erinnere mich, daß eine gewisse Art gerader Stirnen mir für das Zeichen eines sehr festen Sinnes galt. Sieh das Petschaft an, mit dem ich gesiegelt habe. Ist es nicht hübsch? Es ist eine Venus Victrix. Willst Du sie mir zur Schutzheiligen lassen?
Ich ging heute früh mit Papa in dem Garten auf und ab und hatte die Schmidtin Die langjährige Haushälterin. mitgenommen. Am Ende ist eine Laube. Ich sagte zu Papa, wegen der hübschen freien Aussicht auf den Kirchberg möchte er doch eine Bank hineinsetzen lassen. Er versprach's. »Ich will«, sagte ich zur Schmidtin, als Papa ein paar Schritte entfernt war, »da des Morgens den Kaffee mit Humboldt trinken« – indem fiel es mir aber anders ein, und ich setzte ohne weitere Überlegung hinzu, »nein, doch nicht, die Laube ist zu frei, man kann sich nicht küssen!« Es war einmal heraus. Die Schmidtin lachte wie unklug, und Papa wollte wissen, was da gesagt worden wäre. Ich lies es ihr erzählen, weil es doch einmal sein sollte. Wahrhaftig, ich glaube, Papa hat da zuerst gemerkt, daß ich was aufs Küssen halte, denn er machte ein Gesicht wie zu einer neuen Entdeckung, und vorhin kam ich in sein Zimmer; er blätterte im Katalog der Rostischen Kunsthandlung. »Liebe Caroline«, sagte er, »hier einen notwendigen Hausrat in deine künftige Wirtschaft«. Als ich zusah, war es ein Opfer an die Liebe, ein Basrelief. Ich nahm es mit Dank an ...
»Denn«, hat Papa gesagt, »um die Caroline ist's nun getan, wie ich wohl sehe, länger wie den künftigen Sommer habe ich sie nicht mehr.« ... Im Grund verliert er mehr an mir in der Einbildung als in der Realität, denn wenn man, die Essenszeit mit eingeschlossen, sich gewöhnlich täglich drei Stunden sieht und in diesen äußerst selten eine Unterredung hat, die man nicht auch mit jedem Andern haben könnte, so seh ich nicht ein, was man an einem hat. Aber mein Respekt für die Ligenheiten der Menschen geht bis auf ihre Chimären, wenn ich sehe, daß sie darin glücklich sind, und Papa schmerzt mich. Das Bild Ihr Bruder Ernst, spottend stets »das Bild« oder »das Sternbild« genannt. ennuyiert ihn eigentlich, Papa wird nun auch alt, ist schwächlich, und wird immer mehr durch Verzärtelung seines Körpers und beständiges Medizinieren – wenn er es ernstlich würde? – ich könnte den Gedanken nicht tragen, daß er blos bezahlte Wartung um sich hätte. Das Vernünftigste, was Papa tun könnte, wäre doch eigentlich mit uns zu ziehen und das Sternbild an den Zeitzischen Himmel zu versetzen. Im letzten Brief schreibt es, der jetzige Stiftsrat habe nun förmlich refignirt, er aber noch nicht mit dem Koadjutor gesprochen. Aus der einen Seite tentieren ihn die 800 bis 1000 Thaler, auf der andern hängt er sehr an Erfurt ...
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(Erfurt), 21. Januar 1791 abends.
... Ach Bill, was einem für Menschen aufstoßen, und wie sie über Liebe reden. Heut mittag aß Loos Daniel Friedrich Loos, Medailleur. und ein Herr von Oertel bei uns, ein junger Mensch, den Du vielleicht hier gesehen hast, und der eben von einer Reise zurückkam, die er mit dem Herrn v. Kotzebue – dem Verfasser der vielen schlechten Schauspiele – nach Paris gemacht hat. Kotzebue war im vorigen Sommer mit seiner Frau aus Reval nach Weimar gereift. Sie kommt dort nieder und stirbt. Kotzebue – in dem Moment, wo ihm der Hofrat Starke aus Jena, Schillers Arzt., den man wegen der vorhandenen Gefahr hatte kommen lassen, sagt, daß seine Frau nicht zu retten sei, wo sie aber noch lebte, verläßt sie, wirft sich in eine Postchaise, fährt nach Paris und schreibt seiner in Weimar lebenden Mutter, sie werde ihn nie wiedersehen; nun er seine Frau in Weimar verloren habe, würde er nie wieder hinkommen. Ich wußte diese Geschichte, hütete mich aber, sie aufs Tapet zu bringen, weil ich nicht gern von dergleichen rede. Oertel brachte mich aber endlich doch darauf, weil er so viel von des Herrn v. Kotzebue Traurigkeit um den Verlust seiner Frau sprach. – Mit was denkst Du wohl, daß Oertel dies Betragen entschuldigen wollte? Damit: Kotzebue hätte ihm geschworen, wenn er den Moment des Todes seiner Frau abgewartet hätte, so würde es ihm das Leben gekostet haben. Ich sagte ihm: »Aber, wenn er sie so liebte, wie er es vorgibt, so konnte ja das sein einziger Wunsch sein.« Oertel sah mich an, ich fühlte, daß ich etwas ihm Unverständliches gesagt hatte, und schwieg und ließ ihn alle Absurditäten ruhig vortragen, die er noch sagte ... Er räumte Loos ein, Kotzebue würde gewiß in einem Jahre wieder verheiratet sein, und blieb bei der Behauptung, er würde mit seiner Frau gestorben sein, wenn er nicht den Entschluß gefaßt, sich schnell zu entfernen ...
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(Rudolstadt), Dienstag, 24. Julius [1792].
Noch einen Gruß meinem Bill, eh ich mich niederlege, ach könnt' ich in ihn alle die Sehnsucht hauchen, die mir die Seele füllt ... Wir waren ... nach Cumbach gefahren, es wehte eine so köstliche Luft – wie schweifte mein Blick umher in der lieblichen Gegend, auf dem reinen Spiegel des Wassers, dem frischen Grün der Wiesen, und welch' ein Zauberlicht umglühte die fernen Berge – die Sonne war untergegangen, und es flammte noch gleich einem Feuermeer der Himmel, – ich konnte still sitzen, indes die andern sprachen, die Seele entfloh mir in unaussprechlicher Sehnsucht, mein Herz bebte verloren im süßesten Schmerz und unendlicher Freude, denn hatte ich nicht Liebchen, Caroline, am 16. Mai 1792 in Erfurt geboren, 1837 unvermählt in Berlin gestorben. hielt ich das süße Geschöpf nicht in meinen Armen, drückt es nicht sprachlos an meinen Busen? Ach, wie versteht es mein Herz, Dich wiederzufinden in ihm, und doch – wie vermisse ich Dich mehr wie jemals ... Teurer, geliebter Mann, wenn in begeisterten, in den schönsten Momenten meines Daseins ich Dich ganz empfinde, allbelebend das Gefühl Deiner Schönheit sich über mich ergießt, neigt sich meine Seele vor Dir in heiliger Anbetung – so empfange ich Dich in meine Arme, aber Du ziehst mich hinüber zu Dir mit der Glut Deiner Seele – es strömt mein innerstes, geheimstes Leben Dir zu –, mein Wesen wagt es, Eins zu werden mit dem Deinen – Eins mit dem Urbild aller Schönheit und Größe, die ich so ewig in Dir empfinde ...
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(Jena 1795) Freitag Nachmittag.
... Ich werde Sonntag mit den Kindern kommen Nach Weimar. und Dich abholen. Es war erst meine Meinung, Dir nur die Li... zu schicken, aber da Du mir versicherst, daß es Goethen gar keine Unbequemlichkeiten macht, mich einige Stunden im Hause zu haben, so will ich kommen, vielleicht – ich kann es nicht ändern, fährt Lolo Charlotte von Schiller. mit nach Weimar. Es ist nur für die paar Stunden fahren, denn sie will bei der Stein Charlotte von Stein, Goethes Freundin. essen, und die Baggesen Gattin des deutsch-dänischen Dichters Jens Baggesen. und Kalb Charlotte von Kalb. besuchen. Also wird sie uns bei Goethe nicht genieren. Noch eine andere Möglichkeit aber ist, daß gar Schiller und Lolo nach Weimar fahren. Schiller ist nämlich gestern den ganzen Nachmittag mit Lolo und dem Carl Schillers ältester Sohn. ausgefahren und hat sich so im Freien gefallen, daß er es nun ins große treiben will ... Mache nur, daß Goethe niemand anders bittet. Wir sind hübscher allein ... Ich bin leidlich wohl, aber traurig, da mir die schöne Zeit so mächtig zu (Ende geht und Brüderchen Wilhelm, geboren zu Jena 1794, gestorben 1803. so ganz der Mutter Brust entwächst. Ach, so tief hat mich kaum je etwas geschmerzt, wenn er nun schon für einen großen Jungen und für keinen Säugling mehr gelten wird. Der große Zunge wird nicht mehr so mein sein, wie es der Kleine war. Ich werde nichts, nimmer, nichts mehr haben, was in diesem Sinne mir mehr so gehören wird wie dieser Junge. Es ist mein bestes Rind, ich bin dessen so sicher, und vermag nicht, so kindisch ich auch fühle, daß es ist, vermag nicht, mich ohne tausend Tränen von ihm zu trennen. Ach, denn Trennung ist's doch, man mag auch sagen, was man will, Trennung von etwas mehr, als es beim ersten Blick aussieht – ...
An Karl Gustav von Brinkmann.
Jena den 3ten December 96.
... Goethe schreibt eine Idylle in 6 Gesängen, von der die größere Hälfte fertig ist. Herrmann und Dorothea. Es ist etwas durchaus neues, weder er, noch sonst ein Dichter hat je etwas Ähnliches gemacht und eine Situation aus dem gewöhnlichsten Lebens- und Menschenkreise so behandelt. Göthens antike volle Menschheit atmet lebendig in dem Gedicht.
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Jena, den 3ten December.
Die Schlegels würden Ihnen bald ins klare kommen, wenn Sie sie eine Stunde sähen. Der ältere verheiratete, Bürgers junger Aar, ist der Sonettendichter und Uebersetzer des Shakespeares, der jüngere ist der Dresdner und scheint mir in jeder Rücksicht der vorzüglichere, nur daß er zu früh eine zu hohe Meinung von seinen Talenten zu bekommen scheint ... Die Xenien übers Theater sind alle – von Schiller. Doch, wünsche ich, daß Sie dies für sich behalten: Er und Goethe sehen es nicht ganz gern, wenn man in der Welt die Grenzen so scharf erkennt. Haben Sie Agnes von Lilien Den Roman der Caroline von Wolzogen, der zuerst in Schillers »Horen« 1796 erschien. in den Horen gelesen? und wen halten Sie für den Verfasser? Man zerbricht sich hier den Kopf darüber und viele nennen Göthe.
An Johann Gottfried Schweighäuser.
Paris den 2ten September
15 Fruktidor (1800).
Ich habe etwas länger gewartet Ihnen zu schreiben, mein theurer, lieber Freund, weil ich die Tage her durch mancherlei Dinge mehr als gewöhnlich beschäftigt war. Mademoiselle Levin ist mit der Gräfin Schlabrendorf, einer Nichte unsres hiesigen Freundes, vor 10 Tagen angekommen und wir haben diesen Damen bei zweimaligem Ein und Ausziehen geholfen, wir selbst haben auch eine Wohnung für den Winter genommen, die wir den 1ten Vendemiaire beziehen werden, Hotel Vauban Nro. 88, au second, fast dem Passage des Feuillans in der Rue Honoré gegenüber. Sie sehen, mein lieber Schweighäuser, Sie werden bei Ihrer Zurückkunft nicht mehr eine Stunde Zeit brauchen, um bis zu uns zu kommen. Allein ich fürchte Ihre Zurückkunft noch auf weit hinausgeschoben ... Was mich in diesen Tagen fast ausschließend beschäftigt, mich so eingenommen hat, daß ich keines andren Gedankens fähig war, ist der Wallenstein, den die Berliner Frauen Rahel Levin und Gräfin Schlabrendorff. mitgebracht haben. Ich kann Ihnen unmöglich ein Urteil darüber schreiben, mein Gemüt ist zu sehr davon erfüllt um schon jetzt darüber ruhig zu sprechen, eine Welt von Empfindungen und Gedanken muß Schiller in sich getragen haben, während er in dieser Arbeit lebte, denn er erregt in dem sinnigen Leser eine Welt von Empfindungen und Gedanken. Ich sage Ihnen aber, nach der Lektüre des letzten Stücks war ich wie zerstört – er hat das Haus Wallenstein wie ein Haus der Atriden endigen machen – überall, in dem ganzen Gange des Stücks, der drängenden Handlung das fürchterlich durchgreifende unerbittliche Schicksal. Wie in den alten Tragödien, wie im Shakespeare das ganze Leben in seinem unendlichen Kreis liegt, wie man es ermißt in seinen Höhen und Tiefen, so auch im Wallenstein steht es einem vor der Seele. Jede Natur ist in ihrer tiefsten und feinsten Individualität ganz entfaltet und mit wenig bedeutend Zügen ausgedrückt. Die Hauptcharaktere haben durchaus eine Höhe, die ihnen eine idealische Haltung giebt, neben den reinsten menschlichen Bewegungen des Herzens, die mit der ergreifendsten Wahrheit ausgesprochen sind. Die Geschichte, die Liebe des Max Piccolomini mit Thecla, Wallensteins Tochter, hat Schiller ganz aus sich genommen – er hat den vielgestaltigen Charakteren der Menschheit zwei durchaus neue und durchaus natürliche gegeben – die Liebe ist mit einer Größe behandelt, die sie für einen Strahl des Himmels erkennen macht – die beseeligende Kraft der Gemüter, die sie ganz einnimmt, fühlt man einzig als ihr Werk. Thekla ist von einer Mädchenhaftigkeit, einer Weiblichkeit, die der schönsten, rührendsten wahrsten, die Göthe je erschienen, nichts nachgiebt, und damit verbindet sie eine Größe, Klarheit, einen in sich gegründeten Sinn, den einem noch kein Dichter vor Schiller anzuschauen gab. Mit einem Worte, selbst mit dem Bekenntnis einiger Fehler im Wallenstein, einiger Geschmacklosigkeiten, vieler schlechter Verse, ist und bleibt das Stück doch das größte, was man in unsrer Sprache gemacht hat. Es ist die Frucht des gereiften Genies und ich gestehe, daß die Kälte, die in Deutschland über dies erstaunliche Produkt zu herrschen scheint, mir ganz niedrig und abgeschmackt vorkommt ...
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Rom den 10ten Januar 1803.
... In Rom bin ich nun, wohin mir die ersten Gedanken seit meiner frühesten Jugend standen, da bin ich nun endlich in der Wirklichkeit, und Rom ist durchaus anders als ich mir, als wohl jeder es sich denkt ehe er es gesehen hat. Es heißt gewöhnlich, Rom liege in keiner schönen Gegend, und ich finde sie eine der schönsten, die man sehen kann. Die einzelnen Massen der Gebirge, die den Horizont von Rom begrenzen, sind groß und imposant und haben dennoch daneben etwas unaussprechlich Reizendes. Das ist überhaupt der Charakter der italiänischen Gegenden. Sie sind groß und lieblich zugleich, und durch diese seltne Verbindung atmen sie eine Stille, die ich mich nie entsinne je in einer andren Natur so tief und groß empfunden zu haben. Die Luft ist unaussprechlich mild, bis jetzt haben wir noch kaum 3 oder 4 Tage eigentliche Kälte gehabt, wo einem ein Kaminfeuer recht angenehm gewesen wäre, alle übrige Zeit war seit Ende Novembers, wo wir hier sind, eine milde, oft eine warme Frühlingsluft. Das Gras verbleicht, verwelkt hier nie im Winter, im Gegenteil, es ist dann schöner als im hohen Sommer – der Platz, den das hohe Coliseum umschließt, ist eine frische grüne Wiese, alle Gärten sind grün und voller Blumen, mit einem Wort man merkt kaum die unfreundlichste Zeit des Jahres. Das ist sehr viel, aber es ist nicht alles. Die Stadt, als moderne Stadt, ist unangenehm, die Gassen sind schmutzig, nicht durch die Menge der Menschen und Wagen, die sich darauf bewegen, sondern weil man autorisirt ist, allen Staub und Schmutz der Häuser, allen Abgang aus den Küchen auf die Straßen zu werfen, weil alle Häuser, ohne Unterschied, Paläste und Bürgerhäuser, mit Wäsche zum Trocknen behangen sind. Die meisten großen Plätze sind Trockenplätze der Wäscherinnen. Die schönen Häuser stehen meist versteckt, haben schlechte Eingänge und andre Unannehmlichkeiten. Nur 2 oder 3 Straßen sind eigentlich schöne Straßen und erwecken die Idee einer volkreichen Stadt – alles übrige verdient nicht genannt zu werden und Italien hat schönere Städte. Allein die wunderbarste ist es wohl, die existirt. Die nahe Verbindung eines großen und imposanten Altertums mit den Bedürfnis des Tages, tritt einem wohl nie so unter die Augen wie hier. Von einem elenden, schmutzigen, mit elenden Häusern bebauten und verbauten Platze erblicken Sie die Vorhalle des Pantheon, Sie treten hinein, und ich will den Menschen von Sinn und Gefühl sehen, den die Harmonie dieses einzig schönen Gebäudes, der lichte Glanz, der durch die geöffnete Kuppel hineinfällt, nicht in ein stilles Staunen versetzt. So ist alles in Rom. Dicht an die übrig gebliebenen Spuren menschlicher Größe drängt sich auch das letzte und niedrigste Bedürfnis der Notwendigkeit, und was einem, glaub' ich, hier in die Länge eine sehr ernste und vielleicht eine wehmütige Stimmung geben muß, ist die Frechheit mit der das geschieht und der Sieg des Niedrigen über das Hohe.
Von Menschen haben wir bis jetzt noch wenige gefunden, die uns besonders interessiren und der beste vielleicht unter diesen, Fernow Karl Ludwig Fernow, der Kunstschriftsteller. verläßt im Frühjahr Rom, um nach Jena zu gehen. Sonst leben wir so häuslich und still, wie Sie es von uns gewohnt sind und das ist sehr gut an Rom, daß es einem wenig gesellschaftlichen Zwang auferlegt. Einige der Künstler, die in Paris täglich bei uns waren, sind auch hier, z. B. Schick und Graß. Gottlieb Schick und Karl Graß, Maler. Gropius Der Maler Karl Wilhelm Gropius. haben wir mit Herrn Salmon Ein reicher Mäcen, der Gropius zu den Reisen eingeladen hatte. in Livorno wieder gesehen. Sie haben dort, nachdem sie ihre sicilianische Reise vollendet haben, beinah drei Monate auf günstigen Wind geharrt um nach Smyrna zu gehen ... Tieck Friedrich Tieck, der Bildhauer. haben wir zuletzt in Weimar gesehen, wo wir noch drei Tage mit unsren Freunden verlebten, und wo er in mancherlei Arbeiten für das neue herzogliche Schloß begriffen war ... Mein Herz ist der Zukunft zugewandt, und doch lebe ich unaussprechlich in der Gegenwart. Auch ist die, die mich umgiebt, schön und beruhigend. Meine Kinder wachsen mir zur Freude heran und ihre physisch vollkommene Bildung verspricht mir auch einen immer gesunden und schönen Sinn ...
An Wilhelm von Humboldt.
Augsburg, 28. März 1804.
Ich habe entsetzlich getrieben, um hierher zu kommen, meine innigstgeliebte Seele, und nun wir hier sind habe ich keine Briefe von Dir gefunden und bin recht traurig und niedergeschlagen ... Ach, und wie unaussprechlich ich mich sehne, vermag ich Dir nicht zu sagen. Eine Tagereise hinter Verona wurde es so dämmrig, der Nebel zog um alle Spitzen der Berge so dick, daß er sie ganz verhüllte und sie sich mit den Wolken vermengten, und wie ich hinter mir sah, waren wir gerade auf einem Punkt, wo wir weit, weit hin den Fluß der Etsch verfolgen konnten, und die Ketten der Gebirge, und die Öffnung glänzte im lichtesten Abendrot; da umfing's mich so recht, wie Ihr Lieben da drüben wohnt in dem wärmeren Lande und unter dem schöneren Himmel. Ach, ich werde ja auch wiederkommen und bald, und für unser aller Gesundheit war, glaube ich, die Reise sehr gut. Theodor Das dritte Kind, geboren 1797, gestorben 1871. blüht recht wieder auf, seine Züge verlieren das ängstlich Gezogene, was mich so lange peinigte, seine Lebhaftigkeit ist grenzenlos ... Genährt sind wir sehr gut worden, mit dem Anastasio bis auf den letzten Augenblick zufrieden, es ist ein honnetter Mensch, und wann er in Rom zu Dir kommt, so nimm ihn ja freundlich auf. Die Maultiere sind indes etwas mager geworden und möchten die, die sie nach Florenz zurückbringen, nicht in 12½ Tag wie uns hierher bringen. Gestern mittag in einem Dorfwirtshaus sind unsre letzten Provisionen, ein Stück Parmesankäse und eine geräucherte Bologneser Wurst, alle geworden, und das war ordentlich noch ein Abschied ...
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Erfurt, 18. April 1804.
Ich wünsche sehr, daß der Mai so hinschlendere, denn das Gehen aufs Land mit Papa ist eine wahre Seccatur, indessen, tun kann ich eigentlich nichts dazu. Sonntag, den 15., aß ich mit Papa bei dem Gouverneur Graf Wartensleben. Es sollte ein Diner en mon honneur et gloire sein. Die alten wohlbekannten Stuben, die alten Gestalten mit einigen neuen verbrämt, machten mir, ich kann es nicht leugnen, einen sonderbaren Eindruck ... Montag vormittag kamen Caroline Caroline v. Wolzogen. und Lolo Charlotte v Schiller. aus Weimar herübergefahren, ganz allein ohne Kinder. Caroline sieht sehr wohl und munter aus und ist ordentlich jugendlicher und hübscher geworden, Die Ehe mit Beulwitz war 1794 geschieden worden und die Eheschließung mit dem Oberhofmeister v. Wolzogen bereits erfolgt. Lolo aber schien ungemein angegriffen und hatte um die Augen so tiefliegende Züge ... Es ist Schiller und Carolinen gewaltig bange, daß sie wieder einen Anfall von Verrücktheit bekomme, wie das vorige Mal, und sie sieht auch furchtbar aus ...
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Burgörner, 20, Mai 1804.
... Donnerstag, nachmittags den 17., fuhr ich nach Naumburg und Freitag über Freiburg und Querfurt hierher. Hinter Freiburg begegneten wir Ernsten, Ernst v. Dachröden, Carolinens Bruder. der wohl eingepackt in seiner Chaise denselben Weg machte wie ich. Er lud mich mit den Kindern in seinen Wagen ein, und wir fuhren von Querfurt bis hierher miteinander, wo wir Papan sehr munter antrafen. Das Familienleben ist ganz das alte, wie Du es kennst, und Burgörner auch. Der Platz vor dem Hause ist noch immer so unaufgeräumt wie vor 12 Jahren. Die unteren Zimmer stocken wegen der Feuchtigkeit, die Schwellen faulen. Papa baut einen Schafstall und wird nie mit Bauen fertig werden. Ernst hat sich auffallend verändert, er hat äußerst gezogene Züge, sieht älter aus als Papa und ist grämlich und verdrießlich. Die Gattin, Eine geborene v. Carlsburg. der arme Narr, manchmal tut sie mir doch leid, wenn ich bedenke, wie freudlos ihr das Leben hingeht. Von einem andern Manne hätte sie doch wohl ein paar Kinder und fühlte sich in einer gewissen Tätigkeit ...
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(Paris) 18. Julius 1804.
Gottlob, daß ich wieder dazu kommen kann, Dir selbst zu schreiben! Meine liebe, teure Seele, wie hat mich danach verlangt, und wie haben Deine lieben, süßen Briefe mich in dieser Zeit so besonders noch gerührt und erquickt! Auch meine Entbindung und ihre nächsten Folgen sind nun vorüber, und ich bin dem Zeitpunkt mächtig nähergerückt, wo ich Dich, einzig liebes, teures und trautes Wesen, wiedersehen, Dich und die geliebten kleinen Mädchen tausend – tausendmal wieder und wieder an meine Brust drücken werde ... Die Kleine, die ich ... gewöhnlich Luise nenne, ist sehr hübsch. Schöne blaue dunkle Augen, die vielleicht wie die meinen werden, lichtbraune Härchen, deren Farbe indessen wohl noch wechseln wird, eine von der Stirn ziemlich gerade herabsteigende Nase – die Nase selbst liegt freilich noch im argen – und einen schön geschnittenen, aber nicht sehr kleinen Mund ... Übrigens ist sie schneckenfett und rund auf die Welt gekommen, trinkt ganz entsetzlich am Tage und schläft wie eine Ratz des Nachts.
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(Paris), Sonntag morgen 21. Oktober 1804.
Du ahndest nicht das Schicksal, das uns getroffen hat, mein geliebter Wilhelm, und Dein lieber Brief vom 2., den ich gestern empfangen habe, spricht mir so freundlich Mut ein ... Ach als ich die Zeilen las, lag Louise schon in der Ruhe des Grabes. Gott, bin ich bestimmt, sie auf derselben Brust sterben zu sehen, die sie mit so gänzlicher Hingebung und Treue, ach, mit so heißer sehnender Liebe und heiligen Hoffnungen nährte, und wohin aus meinen Armen, wohin führt sie der gewaltige Tod? Wohin ist nun ihr süßes Lächeln, ihr himmlischer Blick? Ist sie bei Wilhelm – pflegt er sie und liebkost sie, und freut sie sich des Gefundenen und hat der Tod sie schnell zu einem höheren Verständnis gereift? In der Nacht, Sie ihrem Tode voranging, hat sie oft, indem ihre Lippen mit Heftigkeit die Brust erfaßten, »Mammam« gesagt – vorher war nichts, was einem artikulierten Laute ähnlich gewesen wäre, von ihr gehört worden. Ach, Du hast sie nicht gesehen, mein geliebtes Herz, und gemeine Menschen werden glauben, daß ihr Verlust Dir darum weniger empfindlich sein wird ... Ich komme nicht reicher zurück, ärmer – mit so heiligen Hoffnungen ging ich hinweg, fühlte ihr zartes Leben in meinem Schooß, und in dem trüben Winter an Theodors Krankenbett, mit dem tödtlichsten Schmerz um Wilhelm im Herzen, hat sie mein Leben erhalten. Und ich konnte das ihre nicht halten. –
An Alexander von Rennenkampff.
Tegel, den 28. Sept. 1820.
... Ich bin seit dem 7. hier, nachdem ich fünf ruhige Wochen in Burgörner, umgeben von vielen älteren Verwandten und Nachbarn in süßen Erinnerungen meiner Kinder- und Jugendjahre dort verlebt habe. Das Wohnhaus, das nach unserer ländlichen Sitte schön und geräumig ist und das mein Ältervater erbaut hat, als er vor 100 Jahren aus Italien kam, ist während unserer letzten Abwesenheit im Jahre 1818 repariert und die obere Etage ausgebaut, gedielt und in wohnlichen Zustand gesetzt worden. Meine Anpflanzungen fand ich gewachsen und einen Berg, der wenige Schritte vom Gute liegt und den ich immer kahl gekannt habe, grün und im Zug anzuwachsen.
Die alten Linden vor dem Hause rauschten noch, wie, da ich blutjung war, und die wenigste Veränderung war an den alten Bäumen zu spüren. Sie kennen gewiß die Wehmut, die einen übernimmt, wenn man nach langer Entfernung die Gegenstände wiedersieht, die einen in der Kindheit und im ersten eigentlichen Erwachen des Lebens umgaben. Wenn nun gar ein geliebter Vater fehlt, der ziemlich alles noch so eingerichtet hat, wie es jetzt ist, so steigt diese Wehmut und wird wie ein dauerndes Gefühl, das neben allem andern besteht, eine Art Element, in dem man lebt und webt, von Burgörner kamen wir hierher; ich weiß nicht, ob Sie Tegel kennen, – eine Oase in einer Sandwüste. Humboldt hängt mit ähnlichen Jugenderinnerungen daran wie ich an Burgörner. Hier ist beinah kein Baum, den sein Vater oder seine Mutter nicht gepflanzt hätten, er hat das kleine, für den Ertrag sehr unbedeutende Gütchen mit großen Aufopferungen seit 1806–13 erhalten. Seit Adelheids Verheiratung bewohnt sie es im Sommer mit ihrem Mann, und Hedemann Herr v. Hedemann, Adelheids Gatte. hat die Aufsicht über den Park, die Gärten und alle reservierten Grundstücke übernommen, und die Anpflanzungen haben dadurch sehr gewonnen. Wir erwarteten hier unsere Kinder. Den 14. kam denn auch wirklich Theodor mit seiner lieblichen Mathilde Einer geborenen v. Heineken ... Den 15. kamen Adelheid und ihr Mann aus dem Holsteinschen zurück ... So ist das kleine Tegel voll, voll, ganz voll geworden, und von Berlin kommt häufig Besuch von Freunden und Bekannten.
Bülow Heinrich v. Bülow, der spätere Staatsminister. ist auch aus England wiedergekommen, und mit Gabrielchen hat sich alles entschieden und bestimmt. Nach dem neuen Jahr werden sie heiraten. Caroline hat zwei annehmbare Vorschläge zu einem Etablissement gehabt, allein sie kann sich nicht entschließen, sich von hier zu trennen. Mein Gefühl dabei ist recht eigen. Keine meine Töchter würde ich mit mehr Schmerz von mir lassen, als grade sie; allein es peinigt mich doch auch wieder der Gedanke, daß ich hinsterben könne und sie denn doch sehr allein und vereinsamt stehe, und am liebsten sähe ich sie einem braven Mann verbunden, der unsere Häuslichkeit mit uns teilen möchte. Sie hat eine solche tiefe Liebe im Gemüt – sie liebt wohl auch sehr herzlich ihren Vater – allein so leben mit ihm, wie mit mir, das wäre doch nicht der Fall. Wie einsam stünde sie, wenn meine Augen geschlossen wären! – Ach verzeihen Sie, liebster Alexander, wie bin ich doch so ins Erzählen von mir und den Meinigen gekommen; fühlen Sie das, was wahrhaft darinnen ist, meine herzliche Liebe und Vertrauen zu Ihnen ...
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Berlin, 1. Mai 1821
...So gehen die Jahre hin, geliebter Freund, eins reiht sich still und ernst den andern an, und bald steht man vielleicht am Ziele, wie Gott will ... – In Tegel läßt Humboldt bauen. Haus und Flügel, dessen Sie sich vielleicht noch aus früheren Jahren erinnern, waren so baufällig, daß durchaus etwas dafür geschehen mußte. Das geschieht nun nach einem sehr schönen und zweckmäßigen Plane von Schinkel. Das kleine corps de logis wird beibehalten, neue Flügel angebaut, und das Ganze vereinigt sich in einem Raum, in dem wir unsere früher in Rom gesammelten Marmorfragmente aufstellen können. Ich hoffe, Sie kommen einmal nach Berlin und sehen es dann selbst. Fertig wird es erst im Jahre 1823.
Wie soll ich Ihnen danken, mein Alexander, für Ihren Brief vom 23. Der Tag ist mir still im Kreise meiner Kinder, Humboldts und der Laroche'schen Familie vergangen, von ihm, dem Vater Laroche, habe ich Ihnen gewiß ehemals gesprochen. Er war mein Freund, wie er 18, ich 14 Jahre alt war. Er war auch Humboldt's Freund, mit dem er in einem Alter war, und meine erste Bekanntschaft mit Humboldt kam durch ihn. Er heiratete in eben der Zeit, in der ich heiratete. Seine Frau ist mir aber erst vor 7 Jahren bekannt geworden, nachdem ich hierher zurückkam, und wir lieben uns seitdem ... Mir ist es süß, mit ihm den Abend des Lebens zu verleben, mit dem mir der Morgen aufgegangen ist. Könnten Sie doch einmal diesen Freund sehen – seine schöne Physiognomie erklärt sein ganzes, hohes, reines, ernstes Wesen.
Es giebt eine Liebe, die gleichsam nur hereinschaut in dies Leben, so ohne alle Affektion, ohne allen Anspruch ...