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Charlotte von Kalbs Namen ist tragisch mit dem dreier großer deutscher Dichter verknüpft: Schiller, Hölderlin und Jean Paul. Sie war eine geborne Marschalk von Ostheim und wurde ohne Neigung mit einem Offizier in französischen Diensten, dem Major Heinrich von Kalb, vermählt. Die Ehe bot, ohne gerade unglücklich zu sein, doch ihrer reich und etwas phantastisch veranlagten Natur keine volle Befriedigung. Sie verfolgte die aufblühende deutsche Literatur mit großem Interesse und liebte den Dichter der »Räuber« und des »Fiesco« lange, bevor sie ihn kennen lernte, was bei Gelegenheit eines vorübergehenden Aufenthaltes in Mannheim geschah. Auf Schiller, dem damals die eleganteren Kreise noch nicht offen standen, machte die junge, schöne, geistvolle und seelisch feinfühlende Frau sofort den tiefsten Eindruck. Sie wurde die Muse, die seinem Feuer den vornehmen Schwung hinzufügte, die ihm für seine Werke den höfischen Ton, für seine Person die höfische Gesellschaft öffnete. Er verdankte ihr viel und hat es ihr wenig gelohnt. Charlotte dachte an eine Trennung von Herrn von Kalb, um Schiller zu heiraten; aus seinen Gewissensqualen glaubte sich Schiller durch seine Flucht nach Leipzig retten zu können, doch ein späteres Zusammentreffen in Weimar warf alle Vorsätze wieder über den Haufen. Die Bekanntschaft mit den Schwestern Lengefeld lenkte Schillers Interessen in eine neue Bahn. Bei der Natur Schillers ist es auch nicht unmöglich, daß die erneute Erwartung eines legitimen Sprößlings bei Frau von Kalb den Dichter stark ernüchterte. Jedenfalls wandte er sich mehr und mehr von der bedauernswerten Frau ab, die in ihrem zügellosen Schmerz bald jedes Maß verlor und ganz Weimar zum unfreiwilligen Zeugen ihres Liebesleids machte. Es dauerte Jahre, bis sich zwischen den beiden Häusern wieder leidliche äußere Beziehungen neu knüpften. Leider hat sich der Briefwechsel aus dieser jungen heißen Zeit nicht erhalten. Charlotte selbst hat ihn in einer eifersüchtigen Regung vernichtet.
Der zweite deutsche Dichter, zu dem Charlotte in enge Beziehungen trat, war Hölderlin. Er kam als Erzieher ihrer Kinder in ihr Haus und wußte bald ihr Interesse in ungewöhnlichem Maße zu fesseln.
Wieviel diese herzenswarme, gemütstiefe Frau zu geben hatte, ersehen wir erst aus ihren Briefen an Jean Paul und seine Frau, die Dr. Nerrlich herausgegeben hat und von denen einige diesem Bande als Illustration einer vornehmen Dame jener Zeit beigegeben sind. Sie sind so gewählt, daß sie in knappen Umrissen eine Skizze des Auf und Ab ihres Lebens bieten: von der schüchternen Schwärmerei zur aufflammenden Leidenschaft, zur abgeklärten Freundschaft, zur schmerzlichen Resignation aller Lebenshoffnungen, und gleichzeitig den in jener Periode so häufigen Höhensturz von der verwöhnten, reichen Aristokratin zur ärmlichen Petentin, die die ehemaligen Freunde und hohen Gönner um allerhand Gefälligkeiten angehen muß.
Denn das Schicksal hat der in ihrer Jugend so vielbeneideten Beauté nichts von allen Bitternissen erspart, die das Leben bringen kann. Auch Jean Paul hat ihren Glückstraum nicht erfüllt. Er hat ihren eigenartigen Zauber eingeschlürft und ist dann von ihr gegangen, sich eine weniger komplizierte, behaglichere Frau zu wählen. Diesmal war Charlotte imstande – sei es, daß sie älter geworden, sei es, daß ihre Leidenschaft nicht so groß wie die erste gewesen, – ihre Gefühle in aufrichtige Freundschaft umzuwerten, die das Richtersche Ehepaar lebenslänglich umgab. Nach diesen Stürmen der Sinne kamen Stürme des Herzens: Major von Kalb erschoß sich, und nicht lange darauf auch Fritz, ihr ältester Sohn. Und Stürme des Lebens: teils durch die unglücklichen Jahre nach Jena, teils durch die Manipulationen ihres Schwagers verlor Charlotte ihr Vermögen; jahrelang blieben sogar die Revenüen, die sie aus Kalbsrieth, dem Familiengut, bezog, aus. Sie versuchte aus Stickereien, die sie anfertigen ließ und an ihre Freunde absetzte, und aus kleinen Gelegenheitsverkäufen von Waren, die sie im Großen erstand, ihren desolaten Verhältnissen ein wenig aufzuhelfen. Ihre Tochter Edda war mittlerweile als Hofdame der Prinzessin Marianne von Preußen versorgt worden. Endlich der letzte Sturm, der sie – die Folge eines jung vernachlässigten Augenübels – in ewiger Nacht des Erblindens zurückließ.
In einer der geräumigen Mansarden des Berliner Schlosses barg die Prinzessin Marianne schließlich ihren Schützling vor der Not des Alltags. Dort lebte sie noch über zwei Jahrzehnte: eine letzte Zeugin der großen Goethezeit, starb sie erst 1843 als zweiundachtzigjährige, von der Welt vergessene Greisin, sie, die einem Schiller zur Eboli, einem Jean Paul zur Titanide als Urbild gedient hatte.
An Jean Paul.
Weimar (Freitag), den 13. Mai (1796).
Zwei Drittel des Frühlings sind vorüber (wie ich eben im Kalender sehe), die Bäume stehen noch unbelaubt im schönen Park, die Nachtigall hat noch nicht gesungen, und Sie waren noch nicht hier. Alle Zeichen des Frühlings bleiben aus. Welches erwartet die andern? Er könnte kommen mit allem Reiz, der Bäume Pracht, der Blüten Duft, der Vögel Liebgesang, der Lüfte lindem Fächeln – für Ihre Freunde wär' er nicht gewesen, wenn Sie uns nicht erscheinen!
O, lassen Sie mir Ihnen von Ihren Freunden sagen oder von Sie! Sie sind der Geist unserer Verbindung. Reich sind wir alle durch die Achtung, Bewunderung und Hoffnung, die Ihre Schriften erregt. An ähnlicher Anerkennung Ihres Wertes erkennen wir, die unsere Freunde sind oder werden können. – Keines weiß und darf es wissen, daß Sie mir geschrieben und ich an Sie, als mein Mann; der auch jetzo trauret, daß er vergeblich Sie erwartet hat, in acht Tagen muß er verreisen.
Iffland ist fort und Wieland reist in wenigen Tagen nach der Schweiz, im September will er wieder hier sein.
Herder, Knebel, Karl Ludwig von Knebel, der bekannte Übersetzer und »Urfreund« Goethes., Einsiedel Friedrich von Einsiedel, Oberhofmeister der Herzogin Anna Amalie. sind hier, drei Wesen, die einer unbefangenen, hohen Freude über die Vollkommenheit eines andern fähig sind.
Sie sind ein tiefer Forscher, ein ferner Seher in Zeit und Zukunft, ein Phänomen in dieser Zeit, die Sie bedarf. Krieg und Kampf ist überall, oder ödes, totes, kaltes Nichts; schale Form, kein Inhalt. In Ihnen erscheint uns aber ein Geist, Herz und Seele, der Tausende, die schlafen, aus ihrem Todesschlummer wecken könnte. Unsere Erwartungen sind nicht zu kühn. Viele unter uns wünschten ein Schauspiel von Sie bearbeitet zu wissen. Leicht muß es Ihnen sein, von diesem reichen, hohen Stamme einen Ast hinüber zu biegen in jenes Gefild. Das war es, was ich schon bemerken ließ.
Verzeihen Sie meiner Schreibseligkeit, und damit ich nicht wieder frage, so schenken Sie dieser Frage ein Wort. Starr wird meine Hand, wenn ich mir Sie als einen satirischen Schriftsteller denke, und mir ist's selbst ein Rätsel. Aber leider vergesse ich immer über den schönern Genius, der Sie begleitet, den mächtigern, durch den Sie herrschen!
Charlotte.
* * *
(Weimar, December 98.)
Ich sende die Briefe, die ich immer mit zärtlicher Aufmerksamkeit und Innigkeit lese, und hätte ich ein besseres Auge, so müßte ich vieles vielmals lesen. Jacobi, Friedrich Heinrich Jacobi, der Philosoph und Schriftsteller. dieser Agathodämon, will Sie auch zu sich ziehen. Ich merke wohl, es hat mit dem Reich des Glaubens ein Ende, alle wollen schauen von Angesicht zu Angesicht. Baggesens Jens Baggesen, der deutsch-dänische Dichter. Brief hat mich belustigt, war aber doch recht froh, wie ich den mysteriösen, dithyrambischen, ausgelassenen Brief von dem berauschten Menschen geendigt hatte. Ich kenne ihn persönlich, und er gefällt mir viel; er belebt, aber man muß ihn in eine reine Luft versetzen, damit er nüchtern werde; dann ist er weniger, aber besser. –
Dieser Emanuel Nathanael der Israelit, in dem kein Falsch ist. Emanuel Osmund, ein israelitischer Geschäftsmann in Bayreuth. Jean Paul war mit ihm vom Jahre 1794 bis zu seinem eigenen Lebensende auf das innigste befreundet. Wären alle Christen wie dieser Jude, und alle Juden wie dieser Christusgesinnte, so wäre die Zeit vollendet, von der gesagt ist: sie sollen nur bleiben, bis der Herr kommt, das Reich der Vernunft und Liebe, wenn das Stückwerk aufhört und wir ihn erkennen, wie er ist, und in seinem Sinne wandeln. Ich war gestern ein Stündchen bei Herders. Sie waren gegen mich verschlossen und gespannt; sie faßten meine Hand nicht, wenn ich die ihrige hielt. Ich kann es mir erklären und werde es Ihnen erzählen, vielleicht vermehrt's auch häusliche Sorge und Kränklichkeit ...
* * *
(Undatiert.)
»Daß ich meine Lippen auf die Wunden Deines Herzens legen werde. Sei still, liebe Seele!« Ich habe seit gestern um 10 Uhr nichts anderes gedacht.
»Werde ruhig und hoffend!« Bei der ewigen Wahrheit, bei meiner Seligkeit, ich will es werden. Prüfe Dich nur, was Deine Liebe für mich Dir ist. Ob sie Deinem Herzen unentbehrlich ist, ob sie unendlich ist. Es ist mir, als hörte ich nur meine Liebe. Von einem mächtigen Geist vernichtet zu werden ist viel erhabener, als die höchste Ehre, Genuß und Fülle, so die Welt geben kann. O nimm mich auf, damit ich sterben kann, denn ich kann entfernt von Dir nicht leben und nicht sterben.
Heiliger Gott, gieb deinem Unsterblichen alles – alle die Seligkeit, die deine Erschaffenen entbehrten, alle die Seligkeit, die sie verkennen! Gieb ihm mein Herz, gieb ihm meine Wonne! Laß mich nur in seiner Nähe, daß ich sein Antlitz schaue! Laß mir den Schmerz, laß mir die Thränen um ihn!
* * *
(Anfang Januar 1799.)
Das menschliche Leben ist ein Traum, der Frauen Leben sind zwiefache Träume. Ist nicht das stärker, was doppelt ist? Und verlohnt es sich der Mühe zu wachen, wenn man so träumen kann, wie Deine gewonnene Seele?
* * *
(Sonnabend, den 5. Januar 1799).
Auch ich habe geträumt. Schnell ging ich durch einen dichten Nebel. Ich konnte keine Gegenstände unterscheiden, eine unnennbare Beklemmung erschwerte mir das Atmen, und die Schwermut verdunkelte mir mein Auge. So trat ich in ein Zimmer, ich kannte den Ort nicht. Als ich so in Gedanken verloren war und von meiner Bestimmung nichts wußte, erschienen mir drei Wesen. Ich erkannte sie, sie wurden mir bei ihrem Namen genannt, aber wir vergaßen die Namen und kannten nur einen: die geliebten Liebenden. Die Ruhe, das süße Lächeln, der herzliche Scherz, die Anmut des Geistes, die Bangigkeit der erregten Liebe und das Entzücken der Wehmut. Die süßen Thränen – war es nicht immer ein Zeichen der Verheißung, wenn die Sonne durch Regentropfen schien? – diese Verkünder der Seligkeit, der Augenblick, wo kein Tod mehr ist und die Seele in Gott und in der Liebe ruht.
So verging eine Zeit, vielleicht eine lange Zeit. Zwei der Geliebten verschwanden, und nur die weiblichen Herzen blieben beisammen und die Erinnerung und die Zärtlichkeit und der Einklang einer heiligen Harmonie!
Es war ein Flüstern unter ihnen; es war ein Bekennen der Jugend, der Sehnsucht, der Vorsätze, der Hoffnungen! Der Tag verging, die Nacht kam, die Morgenröte bestrahlte wieder den Horizont, und immer noch schaute ein Auge in das andere Auge, um sein eigenes Selbst, seine Liebe, seine Trauer, seine Rettung zu ahnden. Sie waren innig vereint, und beide dachten: in Ewigkeit. Da erschien der geliebteste Geist. Als er mich sah, wollte er mich umfassen und seine Lippen auf meine Lippen legen. Aber ich schloß mein Auge, ich verbarg mein Angesicht, ich hielt fest mein Herz. Da neigtest Du Dein Haupt, da zuckte die Wehmut über Dein Angesicht, da erblicktest Du den sehnsuchtsvollen, glänzenden Blick der mir Getrauten. Deine Seele erkannte die ihre. Ihr waret eins, sie war Dein! Als ich Eure Gelübde vernahm und von dem Anschauen dieser Vereinigung entzückt war, da bewegte sich wieder mein Wesen, und ich umfaßte sie, und Du sahst meine Thränen fließen und mein inniges Glück, und Du riefst: die Liebe! Ja, die Siebe, sagte ich, aber nicht die verlangende, die gestillte, die seligste! Und ich legte meine Hand auf ihr Herz, auf ihr Auge, und sagte: mein Herz, meine Seele! Da verschwand die Täuschung, der Irrtum, der Wahn. Die Sonne der ewigen Liebe leuchtete uns, sie leuchtete immer, sie wärmte immer mehr, Wir erblickten noch zerstreut die Lilien- und Rosen-Bande, aber sie waren schon verwelkt vom heißen Strahl und viele ganz verschwunden. So war't Ihr Eins, und die Allmacht selbst konnte Euch nicht trennen!
Die Liebe, und es war ein heiliges Schweigen! Da erschien Dein Getrauter, und er erblickte nun auch das Licht der Wahrheit, und erhaben wie Du stand er vor Dir und sagte: Sie ist Dein! Als Du wie ein Gott ihr erschien'st, als Du mit zerstörender Innigkeit und Gedankenmacht um ihr schwebtest, als Du, Genius der Liebe, Dich mit einem Herzen vermählen wolltest, da verschwand es Dir. »Nur ein Sterblicher konnte der Sterblichen Seufzen fassen«. »Ich nahm Deine Liebe auf und pflegte sie, aber keine sterbliche Lippe heilt die Wunden der göttlichen Liebe«. Sie ist gereift. Ich habe ihr Herz gehalten, als es vergehen wollte. Nimm stärker, rein und heilig wieder, was Du mir gegeben hast. Die Täuschung schwindet, die Sehnsucht zerrinnt, die Liebe vereint uns.
Da ward ich bleich und bleicher, und sie sagten: Ist das der Tod oder ist sie verklärt? Und Du tratst mir näher und sagtest: Es ist die Liebe! die Liebe stirbt nicht. Und sie faßte meine Hand und Du mein Auge; da ward es heller und ich sah Dich auch verklärt. Daß meine Seele gerettet wurde, umschlang mich die Zauberei. Sie ist gelöst. Du befreitest mein Herz von den Banden des Todes, Du gabst mich dem Göttlichen wieder. Bleibe bei uns, sagte sie. » Ich bin nichts ohne Dich«. Nur von den Liebenden wird die Liebe erkannt. Sie ist der göttliche Atem, der die Gestalten belebt.
* * *
Kalbsrieth (Sonntag, den 16. Juni (99).
Als ich allein auf der Landstraße fuhr, war mein Gedanke mit wenigen Personen beschäftigt. Ich dachte an Paul zweimal, und den dritten Teil meiner Zeit erfüllten die andern Bekannten meiner Seele. Auch ich war mir eines solchen freien, ruhigen, voll Liebe und Gedanken erfüllten Gemütes bewußt, daß ich selbst von meinem willenlosen und hoffnungslosen Wesen innigst bewegt war. Ach nein, doch hoffnungsvoll, denn Du wirst mich immer lieben, und was fehlt mir dann zum höchsten Glück, als Deine Gegenwart? Keine Gegenwart hat Bedeutung ohne die Liebe. Kein Wesen hört, keines versteht das andere ohne die Liebe. Sie ist das Licht, ohne das kein sterbliches Wesen eine Seele erkennen kann. Es giebt nichts Schmerzlicheres, als die gleichgültige Gegenwart eines Wesens, das sonst uns nahe war, das einst zu unserm Herzen sagte: Du bist mein. »Die Zeit ist vorbei, in der wir nicht liebten, uns nicht kannten, – jetzo ist die Ewigkeit, in der wir's thun«, das ist die schönste Zeile Deiner Hand, die ich besitze. Am 24. Juni 1796 hatte Paul ihr geschrieben: »Ich reiche Dir die Hand über Zeit und Raum, es war eine Zeit, ehe ich Dich kannte und liebte; die Ewigkeit beginnt für den Liebenden«, so erwähnt Dr. Nerrlich in den von ihm herausgegebenen »Briefen.« Als ich neulich Deine Briefe wieder las, haben diese Worte einen hohen Mut mir gegeben, und Du hättest schwören können, ich liebe Charlotte nicht – ich hätte geschworen, er liebt mich dennoch. Wir werden die Welt verlassen, in der wir uns nicht erkennen und lieben konnten. Du wirst die Geliebten Deines Herzens zu Dir rufen und unter ihnen auch mich; meine Liebe wird erscheinen dürfen, leicht, gefällig, innig und thätig, huldigend und belohnend. Du wirst mich nicht mehr verkennen, und in dieser Stimmung liegt alles, was meine Seele verlangt ...
Du hast mir oft tiefe Schmerzen gegeben! Dichterbiographen wie Du, das heißt, wie Du allein bist, sehen, fassen, bilden, zeichnen und schaffen tief die Menschheit. Aber die Wirklichkeit eines festen, unzerstörlichen, liebenden Gemüts fassen sie nicht. Ich glaube fast, sie sind besorgt, daß in den Zügen, in der Seele der Menschen etwas ist, was Ihren Idealen gleicht. Sie sind eifersüchtig auf die Kinder ihres Gemüts und ihrer Phantasie. Die Wirklichkeit darf ihre Begeisterung nicht erfüllen, sie sind zu stolz und zu mutlos. O, das Herz des Menschen, welch' ein stolzes und verzagtes Ding! Ich verzage nicht an meinem Herzen, aber verstummen, erstarren wird es wohl müssen, denn das Herz, die Liebe bildet hier auf Erden nur den Geist zu höheren Begriffen, und mangelnd und unbeseligt wird mein Geist das Leben verlassen. Ja, mein Teurer, ich sage Dir jetzo nicht, wie oft ich gelitten habe, wie zerstörend, so daß ich mein Herz Deiner Gewalt entziehen müßte, (wenn Du es nicht haben willst) als länger den Tod der Liebe so oft zu schmecken. Denn sie erwacht immer wieder in Deiner Gegenwart, ach, leider auch durch Deine Bücher, und ich muß mit St. Preux Aus Rousseaus »Julie«. sagen: On veut te fuir le fantome est dans ton coeur. Du bist nicht schuld daran, ich weiß es wohl, verzeih also meiner Klage. – Du bist nicht Schuld daran – Du bist, das weiß mein Herz, und darum will es zu Dir! – Wenn einst glücklicher ich neben Dir ruhe, will ich Dir vieles erzählen, und dann wird die Thräne der Wehmut sich mit den Thränen der Freude mischen, dann küssen wir die letzten Zeichen unserer vergangenen Leiden innig von den Wangen, und keine ähnlichen Klagen erpressen wieder diese Zeugnisse einer ewigen Liebe! ...
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den 19. Juni.
... Ich will heute über Ihr Buch Jean Pauls »Briefe«. schreiben, was mir einfällt.
Die Vorrede hat schöne Gedanken. Es kann sich eine bessere Zeit in stillen Gemütern verbreiten, aber sie wird es schwer, wenn der Mann für sich das Evangelium in dem selbstsüchtigen Eigennutz will, aber für die Frauen das strenge Gesetz. Auch giebt's Ansichten der Dinge, die nichts wirken. Keine Karikatur bessert oder kann moralische, das heißt ruhige, glückliche Menschen machen. Die »Wandernde Aurora« Alles aus den »Briefen« von Jean Paul. hat mir sehr gefallen, so die Abhandlung über den Traum und fast auch ganz der Philosophie-Brief, ich hab' darüber an den Herder geschrieben; dann Luna am Tag und die Neujahrs-Nacht. Der Hutverein ist gut; ich ahnde die feine Satire und ihre Gestalten.
Das Testament für die Töchter ist eine zu leichte Arbeit für sie. Ich muß einmal ein Testament für Töchter schreiben, wenn ich einmal so dumm bin, meine eigenen Irrtümer zu bekennen. Das Testament der Männer an die Töchter lautet ungefähr so: Ihr habt kein Recht [an]s Leben, keine Liebe giebt's für euch, ihr werdet verachtet oder genossen. Ihr müßt lieben und einen einzigen beglücken, aber ihr dürft weder Verstand noch Willen haben; keinen Wunsch, keine Freude und Teilnahme dürft ihr bezeigen, nicht euer Verlangen allein, auch das unsere wird euch in der Erinnerung als Schuld angerechnet. Aber wenige Männer in gebildeten Ständen haben diese Vorstellung, und Jean Paul wird solche Stellen, die ihn zu einem Falk gesellen, in andern Auflagen vermeiden. Ich kenne nichts Schwächeres und Lächerlicheres an einem Manne, als wenn er solche Offenbarungen des weiblichen Herzens bekennt und gewiß nicht vertilgen, sondern uns kund thun möchte.
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Berlin, d.14. Jenner (1806).
... Sie wissen, wie alt mein Wille ist, mich der Erziehung zu widmen. Als Jacobi hier war, wollt' ich ihm davon sagen, ich sah ihn aber nur den letzten Tag, ich habe mehr darüber gedacht und einiges darüber zu Papier gebracht. Ich gehöre aber ins practische Leben mit Spekulation, nicht diese zum Schreiben – denn meine Augen werden täglich matter. Die Gesellschaft vermeide ich, so viel ich kann, ich will einsam bleiben mein Lebe lang, wenn ich nicht für die Jugend leben soll.
Diese Idee zu einer Erziehungsanstalt wollte ich der Königin überreichen, es geschieht vielleicht noch, denn wie es auch sei, mein Plan wird wahrscheinlich ausgeführt.
Heute las ich, daß für die Töchter der Ehrenlegionäre in Paris drei Anstalten, jede zu hundert Kindern, errichtet werden. Dies brachte, mich dahin zu eilen, damit meine Meinung bekannt werde, denn die Idee ist nun aufgeregt, Früher hätte man vielleicht das Heilsamste für Unsinn und lächerlich gehalten ... Ich will die Direktion einer solchen Anstalt; an der Einnahme, für meine Person nämlich, liegt mir nicht. Ich will nicht[s] haben, aber frei und gut wünsche ich handeln zu können.
In Bayern wird durch den Verlust der Klöster das Bedürfnis für die Erziehung jetzt mehr anschaulich, dann sind auch schon Lokale [und] Gebäude vorhanden und Gärten, die dazu können verwandt werden. Das Klima ist besser und die Menschen kräftiger als im nördlichen Deutschland, wenn man ihnen vergönnt, gut und gebildet zu sein. Aber ich bitte Sie, eilen Sie, diese Blätter nach München zu schicken, seien Sie nicht saumselig und handeln nach Laune, sondern nach dem Gesetz Ihres Geistes und Herzens! ...
Eine jedem denkenden Wesen wichtige Beobachtung ist jetzo die Beschaffenheit des Zustandes für den Unterricht und die Pflege der weiblichen Jugend in den reichen, wohlhabenden Ständen, aus der Kindheit bis zum jungfraulichen Alter ...
Die meisten, wohl alle vorsorgenden Anstalten, die in Deutschland für Töchter zu finden, sind deutsche oder französische Privatfamilienpensionen, die wohl meistens durch viele gute Eigenschaften dieses vertrauen wert sind; aber sie können nicht mit dieser wichtigen Pflicht ihren Geist und (ihr) Gemüt ausschließend, einzig beschäftigen, und nie kann eine solche einzelne Privatunternehmung die Gaben vereinigen, deren Wohltätigkeit die Jugend beglücken könnte.
Einiges, was im allgemeinen die Mode betrifft, die man bei dem Unterricht und der Erziehung hier und da anwendet, dürfte bemerklich sein. Besonders bei denen, die französische Erzieherinnen haben, könnte es noch der Fall sein, daß die Kinder lange nicht die Erzieher, und diese hinwieder nicht die Lehrer verstehen, die für den Unterricht sorgen sollen. Unsere reiche, schöne Sprache wird nicht frühe den Kindern eigen. Es verhindert gewiß die Entwicklung des Geistes, wenn es Kindern nicht gestattet wird oder nicht möglich ist, ihr Wünschen und Meinen mit den Lauten ihrer ursprünglichen Neigung auszusprechen.
Der Geist des Individuums lebt meistens nur in einer Sprache; selten ist das Genie, welches mehrere Sprachen gleich mächtig ist. Man kann viele Sprachen kennen und doch keinen Sprachreichtum besitzen.
Der Jugend zwar ist der Unterricht in fremden Sprachen anständig, nur darf er nicht die eigene verdrängen wollen, wo dadurch die Fähigkeit selbst geraubt wird, die Schönheiten einer fremden zu fassen. Diese Bemerkung könnte heute überflüssig scheinen, da die Zeit vorüber, wo zuweilen Wesen verbildet wurden, die in keiner Nation heimatlich waren ...
Sollte nicht auch die in unsern Tagen so sehr betriebene Schreibfertigkeit den meisten Frauen undienlich sein? Oft soll gegeben werden, wo noch nicht gesammlet ist, Diese öde Spannung des Gemüts wird selbst dem Talent nachteilig. Vor hundert Jahren wurde von den Frauen gesagt, sie schrieben die schönsten Briefe; es ist die Frage, ob, wenn diese Schreibeiligkeit dauert, man dies noch von ihnen rühmen würde ...
Viel ist für des Mannes Bildung gethan, für uns, die Jungfrauen, nicht genug. Er hat alles durch sich, Zufriedenheit, Ehre und Ruhm, aber das Glück? – das Glück sind wir!
Deutschland hat noch keine Anstalt, die allbekannt, wo wohlhabende Eltern jedes Standes selbst mit den besorgtesten Forderungen ihre Töchter vertrauen könnten.
In Berlin ist diese Idee am möglichsten ausführbar. Eine große Stadt vereinigt alles, auch alles Gute. Hier aber ist das Vortrefflichste, das Höchste und Mächtigste, unser König, unsere Königin. Mit diesen schönsten Gedanken, den die hoffende Menschheit haben kann, ist alles beseelt, was ich hier sagen werde. Unsere Königin, die würdigste Frau, sie nur allein kann eine Verfassung stiften, die vielleicht nach Jahrhunderten noch gesegnet wird. In Rußland, in Frankreich, in allen Teilen Europens vielleicht, aber in Deutschland ist noch kein Tempel jeder jungfräulichen Tugend geweiht und allen Grazien, und von einer Regentin gestiftet und beschützt. Ein solches Vorbild kann nur Luise, Preußens Königin, geben dieser Zeit und der künftigen ...
An Karoline Richter.
(Berlin, d. 6. Februar 1806.)
... Das Leben ist eigentlich etwas Unbequemes; mehr noch, wenn es nicht von dem Geist getrieben, erfüllt, erhalten ist, den wir kennen und anbeten. In meinem Alter achtet wohl keine innige Seele die Gesellschaft mehr, wenn sie für uns die einzige thätige Aufmerksamkeit des Geistes sein soll. Blumen darf sie streuen und Früchte darbieten, aber auf diesem Boden wachsen sie nicht und werden auch nicht erhalten.
Dafür muß der Geist eine andere Stätte suchen. Wie gesagt, die nur strahlenden, glänzenden Seifenblasen des Geistes in dem gesellschaftlichen Leben haben gewiß für viele etwas Ermattendes, ohne Folge, Lohn und Erholung. Ich meine, der hohe, reiche Geist der Welt sollte auch Strahlen und Ströme ableiten zur regen Sorge, zur herzlichen That für die Jugend und die weibliche Jugend. In Farbe und Form können wir auch heute sagen: das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu worden. –
* * *
(Berlin), 10. Juli 1809.
In langer, langer Zeit hatte ich nichts Erfreuliches vernommen. Die erste angenehme Nachricht war, daß Richter durch die Sorgfalt und Achtung des Fürstprimas Freiherrn von Dalberg. einen Gehalt von der Akademie zu Frankfurt erhält. So ist endlich einmal einer meiner Wünsche erfüllt worden, und der letzte! Denn für mich wünsche ich nichts, mit dem Wünschen, Hoffen usw. schadet man immer der Gegenwart, denn die Zukunft ist immer ein anderes, als wir ahnden und meinen. Der nun bald ein halbes Jahrhundert mit so trüben Ereignissen erfüllt ward, das Wesen wird nicht zagen noch die letzten Scenen des Lebens fürchten.
Sie werden nun mehr südlicher ziehen, sobald der Landesfriede die Wahl eines Aufenthalts in jenen Gegenden gestattet. Wer in jenen Gegenden wohnt, hat zwiefach gelebt, die mildeste Frucht der Genüsse labt ihn. Die Gesellschaft ist im allgemeinen wie überall zu vermeiden. Ach, aber es ist immer der Hauptgewinst, wenn sich der Pilger eine Heimat schafft und ein Glück. In uns ist alles, und das außer uns muß er zu genießen verstehn. Einen leichten Gang hat nur das sorgenfreie Herz – – Nichts mehr von diesem Wissen und dieser Mühe. Sagen Sie mir nur ja bald, wie es mit Ihnen steht in der Gegenwart und Ihrem notwendigen Vorhaben...
An Jean Paul.
Berlin, 18. Juli 1810.
... Ich habe noch kein Buch oder Gegenstand von einem Weibe verfaßt gelesen, welches den Wunsch in mir erregt hätte, ich möchte diese geschrieben haben; dieses ist mir sogar à l'horrend, wenn ich mich als Verfasserin dessen gedenken sollte. Frau v. Stael hat Genie und Tiefsinn, sie gehört zu denen, die einen Einfluß auf die Geisterwelt gehabt haben und haben. Bei andern war dies nicht der Fall oder es ist schon vorüber.
Manches in ihren Schriften ist mir zuwider. Doch thut es bei mir der Bewunderung der andern herrlichen Offenbarungen der tiefsten, dem Leben der Welt abgenommenen concentrirten Menschenkenntnis keinen Abbruch. Ihre Nebenfiguren, die Intriguants des Stückes, sind immer die besseren Zeichnungen; am wenigsten mag ich die Paradescenen, doch diese sind bei einer Improvisatrice ja unentbehrlich und sind das Wesentliche.
Es werden einige meiner Freunde fast bedauern, daß ich keine Versuche machen konnte, um durch Schriftstellerei mir etwas zu erwerben. Ich weiß auch nicht, welcher Dämon mich fesselte; an Ideen fehlte es nicht, aber an Form, Unleserlich. Lust und Streben, denn es hat eher stets was Widriges für mich. Früher war ich zu zerstört, zu erdrückt in meinem inneren Leben; das Unglück hat jetzo etwas Bestimmteres, und daher bin ich auch ruhiger; freilich kommt mir das Alter zu Hülfe und meine gute Gesundheit. Wenn jetzo ein Mann wie Jean Paul an demselben Ort mit mir lebte, mit seinem umfassenden Geist, seiner Kenntnis meiner Individualität (jetzo von so manchem Wahn befreit, den er wohl ehemals im Guten und Schlimmen haben konnte) so könnte es wohl möglich sein, daß ich ihm Briefe und allerlei zuschickte, was ich geschrieben; er möchte es dann einschalten in Bücher oder Journale. Denn solches Zeug geht mitunter und ist selten besser, als wie ich es auch geben könnte, Unleserlich. aber es wird doch bezahlt und wenn das wäre, das ist das einzige, was ich dabei ehren und schätzen würde. Ich muß leider mich noch immer mit solchen Modelumpereien abgeben. Wäre es nur mit schleunigem Absatz verbunden, so wäre es allgut; ich könnte leben, bezahlen und meinem Sohne wohlthun; so ist aber das erste schlecht, und das andere kann nicht stattfinden ...
* * *
Kalbsrieth, den 29. Mai 1816.
Ich bewohne für diesen Sommer diese Auen, wo ich vor 18 Jahren am Campanerthal, dem Hesperus mich erfreute, wo ich Ihre Briefe mit Sehnsucht erwartet, mit Innigkeit beantwortet habe.
Alles Erkennen und Wollen, das aus dem Geist frei hervortritt, ist zwar in seiner Erscheinung bedingt nach Neigung und Alter, aber es erzeugt gleichsam einen neuen Zweig des Lebens, die wir im Geisterreich wachsen. Die Indivitualität teilt einer andern diese Kraft mit, kollektiv, nach Pestalozzi zu reden, und außer diesem Anschaun. Absichtlich darf ein solches Band nicht sein, ohne sich zu schaden. So ist es in allen höheren Verhältnissen der Gesinnung, ohne Unterschied der Geschlechter, Wenn wir auf dem Punkt sind, wo wir das Leben verlassen könnten, so fragen wir uns: Was hat dir den Mut und die Klarheit gegeben, es zu überwinden, zu überschauen? Obgleich nur solchen die tiefsten Schmerzen entstanden, denn nur ein Lebendes kann leiden, so auch wieder dadurch Erneuerung und Stetigkeit im Streben nach einer seligen Ruhe, der Friede Gottes, der höher wie alle Vernunft, den Heiden eine Thorheit, den Juden ein Ärgernis war und es leider den Nationen noch ist.
In so alten Jahren war ich des Sommers nicht gewärtig, nicht froh geworden, aber länger konnte ich nicht entbehren. Es würde mein Befinden zerstört haben und von mir vernunftwidrig gewesen sein, hätte ich diesen ländlichen Aufenthalt nicht aufgesucht, obgleich selbst meine Kinder [meinen], es werde mir Unannehmlichkeiten bringen, weil dieses Gut so sehr verschuldet ist. Doch sie reden, ich finde hier manche Bequemlichkeit und die unentbehrlichen Genüsse. [Man] könnte meinen, ein Familien-Entscheid hätte mich hierher geführt, wenn meine Sorgfalt künftig durch die Thätigkeit anderer unterstützt würde ...
Wir erleben nun das erste Friedensjahr; der Himmel wolle, daß es nicht wieder das letzte sein möge. Ich möchte es gern anwenden, um das Wort, den Grund einer würdigen Existenz für unsere ökonomischen Verhältnisse zu legen ...
Ich finde hier viel litterarische Novitäten, Journale, Zeitungen aller Art. Wer achtzehn Jahre in einer Gegend nicht war, erkennt die Veränderung der Bewohner. Was man ehemals nicht hat nennen dürfen, (wie eine fremde Sprache) ist jetzo gewöhnlich bald allgemein ...