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Sechstes Kapitel

Donat stahl sich heimlich ins Bett. Er brachte es fertig, daß die Schlafgenossen ihn nicht hörten. Und er schlief bald und tief, trotz seines brennenden Herzens. Müde Glieder zählen in der Jugend mehr als eine belastete Seele.

Aber Ursula war am andern Morgen noch in seinen Gedanken. Er stand rascher auf als sonst, stand den Kammergenossen kaum Rede und erreichte, daß er der erste unten an der Arbeit war. Er hatte den Plan, sich nachher in die Halle zu stehlen und irgendwie der Abfahrt der Familie Dülberg beizuwohnen. Er war wie in einem Fieber. Es schien ihm unmöglich, Ursula nicht noch einmal zu sehen, unmöglich ihr fortan nicht mehr zu begegnen. Romantische Pläne durchzuckten sein Gehirn. Er mußte den Wohnort der Dülbergs herausfinden! Vielleicht fand er dann am gleichen Ort eine Anstellung! Einen Augenblick erwog er sogar die Möglichkeit, zusammenzupacken und mit dem gleichen Zuge wie jene abzureisen.

Henry neckte ihn. »Du bist in die kleine Deutsche verliebt, Mensch. Du siehst ja aus wie einer, der Glühwein getrunken hat.«

Er antwortete nicht. –

Auf dem Dülbergschen Frühstückstisch standen, von ihm selbst aufgelegt, nur zwei Gedecke. Aber er hoffte immer noch, auch die beiden Töchter möchten dennoch kommen. Statt dessen erschien zuletzt der Baron allein. Von den Angelegenheiten der Reise eingenommen, würdigte er Donat kaum eines Blickes, bestellte, aß und blätterte dabei in seinem Kursbuch. Als Donat kleinlaut sich erkundigte, ob die gnädige Frau nicht auch kommen werde, schnitt ihm ein kurzes, ungeduldiges Nein die Rede ab. Halb erschlagen und doch wieder von einem zornigen Gefühl des Widerspruchs und seines seltsamen Neides erfüllt, machte er sich im Saal zu schaffen und schrak zusammen, als der Baron ihn nach einer Weile bei Namen rief. Dieser hatte sein Frühstück beendet und sich schon wieder erhoben. Als erinnerte er sich überhaupt erst jetzt seiner Anwesenheit, drückte er ihm zwei große Silberstücke in die Hand und sagte: »Meine Frau läßt Sie noch grüßen.«

»Machen Sie, daß Sie es zu etwas bringen«, fügte er schon halb im Davongehen noch hinzu und verließ den Saal.

Donat nahm seine Arbeit wieder auf. Aber seine Gedanken waren nicht dabei. Die Empfindung, wie wenig er den Dülbergs bedeutete, lastete auf ihm. Und doch brachte er seine Gedanken nicht von ihnen los. Er lauschte unwillkürlich hinaus: War der Omnibus schon vorgefahren? Stiegen die Reisenden schon ein? Und plötzlich ließ er alles stehen und liegen und schlich sich durch eine Hintertür in den dunkeln Korridor, der zur Portierloge in der Halle führte. Hier mußten Dülbergs vorüberkommen!

Der Hausgewaltige, der von dieser Laube aus Ankunft und Abreise im Hotel leitete, warf ihm einen scharf mißbilligenden Blick zu und war im Begriff, ihn wegzuweisen. Aber in diesem Augenblick landete der Lift und stiegen die Dülbergs aus.

Der Portier riß seine Tressenmütze vom Kopf und nahm die Zimmerschlüssel in Empfang, die die Zofe der Baronin ihm reichte.

Donat trat vor. Es schob ihn etwas. Er vergaß gänzlich, daß er hier keinerlei Obliegenheit hatte. Aber die banalen Geschehnisse der Abreise fluteten über ihn hin. Beinahe wäre er mit der kleinen Gisi zusammengestoßen, die als letzte aus dem Aufzug hervorschlüpfte. Sie war darauf erpicht, sich im Omnibus einen guten Platz zu sichern, und eilte, ohne ihn nur zu erkennen, in die Straße hinaus. Der Baron unterhielt sich mit dem tadellosen Herrn Louis Meister, dem Hotelbesitzer, der den Zylinder in Händen, den vornehmen Gästen Lebewohl zu sagen gekommen war. Da erblickte Frau von Dülberg Donat und lächelte ihm in ihrer stillen herablassenden Art zu. Aber auch sie ging vorbei und hinaus, ohne ihm noch ein Wort zu sagen. Schon wollte er, einsehend, wie überflüssig er hier war, wieder in sein Flurdunkel zurücktauchen, als Ursula, die zögernd den Eltern gefolgt war, auf ihn zutrat und ihm die Hand bot. Sie hielt sich nicht auf. Vielleicht war sie bang, die andern könnten Anstoß nehmen. Ihr wie Donat stand das Blut im Gesicht. Aber ihre Hände glitten so rasch wieder auseinander, daß niemand außer dem Portier den kleinen Vorfall beobachtet hatte.

Niemand beobachtete auch, während der Omnibus dem Bahnhof zurollte, daß Ursulas Augen eine Weile ziellos ins Weite schauten, und ihr Sinn Zeit brauchte, sich von irgend etwas, an dem er sich verfangen, loszulösen.

Die Verabschiedung der Gäste vor dem Hotel hatte auch alle andern so beansprucht, daß Donat sich unbemerkt in seinen Anrichteraum hatte zurückbegeben können. Bald stand er wieder in Hemdärmeln da, ein Handtuch in Händen, und trocknete mit zwei Kollegen Silberbesteck, das ein Spüljunge aus Seifenwasser zog. Was er tat und wo er stand, wußte er freilich noch nicht recht. Er fühlte sich sonderbar beschenkt und von aller Demütigung erlöst.

Henry begann ihn wieder zu foppen und fragte, ob er der Baronesse zum Abschied den Schuh geküßt habe.

Da schaute er ihm triumphierend ins Gesicht, versucht zu sagen: Spotte nur! Ich weiß doch, was ich weiß. Aber eine Antwort gab er auch jetzt nicht.

Der Tag ging dann hin. Donat bekam andere Gäste zugeteilt. Er blieb ein wenig kopflos und zerstreut, wälzte diesen und die nächsten Tage noch allerlei Wünsche und Hoffnungen und wartete eine Weile, ohne zu wissen auf was, auf irgendeine Nachricht von Ursula. Dann aber erlosch die Erinnerung an sie und die Ihrigen wie ein Licht, das in der Ferne noch ein paarmal aufgeglommen. An Stelle dessen wuchs die heimliche Unwirschheit in ihm über das Demütigende seiner Stellung, die Bedeutungslosigkeit seiner Herkunft und die Aussichtslosigkeit eines raschen Hochkommens. Aber auch sein Ehrgeiz wuchs und spornte ihn an. Ohne viel Hoffnung auf Erfolg tat er mit einer blinden und eigenwilligen Verbissenheit seine Pflicht. Er tat sie so wohl, daß Herr Louis Meister, der Prinzipal, auf ihn aufmerksam wurde und ihn dadurch auszeichnete, daß er ihn zur Bedienung seines eigenen Tisches heranzog.

Nach einigen Monaten war Donat Zurbriggen nicht mehr Lehrling, sondern fest angestellter und bezahlter Kellner, der auch bei seinen Mitangestellten als voll anerkannt wurde. Er freute sich, und die Freude erhöhte seinen Eifer. Er träumte in die Zukunft. Eine Leiter führte zu irgendeiner Höhe. Vielleicht wurde er eines Tages Oberkellner, vielleicht – in weiter Ferne stand das – Besitzer eines eigenen Geschäftes. Und das war noch immer nicht die oberste Sprosse. In ihm brannte die Unzufriedenheit, das seltsame Erbteil der Mutter. Konnte er nicht in die Reihen jener Leute hinauf, die bei den Wirten Gäste waren, also noch höher standen als diese? Ursulas Bild tauchte dann manchmal wieder auf und wurde ihm unbewußt zu einer Art Symbol für jenen höheren und bevorzugten Stand, auf den schon die Mutter mit Neid und Nachahmungssucht geblickt hatte. Doch blieb dabei sie selbst in einem Dunkel, und was sie in ihm wachhielt, war ein unbestimmter Drang, eine unklare Hoffnung.

Mit seinen beruflichen Fortschritten ging indessen eine Besserung seines Verhältnisses zu den beiden Schlafkameraden Hand in Hand. Die Schätzung, die er beim Prinzipal genoß, hatte ihn in ihren Augen ebenfalls erhoben. Sie betrachteten ihn als ebenbürtig, begannen sich sogar manchmal um seine Gunst zu bemühen, weil sie von dem guten Ansehen, das er beim Chef genoß, unwillkürlich Vorteile für sich selbst erhofften. Der im Alter ihm gleichstehende Henry stand ihm dabei äußerlich näher. Sie vollführten nach Art junger, übermütiger Leute gemeinsam allerlei Streiche, entwendeten in der Küche Süßzeug und verspeisten es heimlich vor dem Schlafengehen, schafften ebenso heimlich zerbrochenes Geschirr beiseite und entzogen sich der Vergütungspflicht, mausten Zigaretten und rauchten an verbotenen Orten. Henry, ein Großstadtkind und mit allen Wassern der Frühreife gewaschen, führte Donat an Urlaubstagen in allerlei Vergnügungslokale, nicht immer einwandfreien Rufes. Bald hatten sie Dinge gemeinsam, die sie nicht an die große Glocke hängen mochten, von denen sie aber andeutungsweise und mit heimlicher Großtuerei in ihrer Kammer tuschelten. Manchmal bewunderte Donat den hübschen, mit keinen Hemmungen behafteten Henry ein wenig. Wenn er ihm gestand, er pflege auf kleinen Reisen in ersten Hotels abzusteigen und den großen Herrn zu spielen; es brauche ihm niemand den Kellner anzusehen, so entsprach das seinen eigenen, noch unentwickelten Neigungen. Er faßte eine Art brüderlicher Zuneigung zu dem andern. Henry rückte an die Stelle seines Herzens, die Ursula Dülberg leer gelassen. Er öffnete sich ihm auch seinerseits, erzählte ihm vom Haushalt des Vaters, vom Bauernleben im Hochgebirg und wie er sich nicht darein finden könne, und manchmal verriet er etwas von dem übermächtigen Drang nach Emporkommen, der in ihm bohrte.

Ganz anders und langsamer vollzog sich Donats Annäherung an den alten Charles, seinen zweiten Zimmergefährten. Dieser hatte ihn lange scheinbar kaum beachtet und war ein unwirscher Sonderling. Er erschien ihm als der Typus des alten, ausgedienten Kellners, halb Bettler, halb Spitzbube, der es in seinem Leben nie höher gebracht und sich längst mit seinem Stand abgefunden, dafür aber eine Art Berufsstolz besaß und sich gern auf den Überlegenen hinausspielte. Eines Tages wurde aber Donat zufällig Ohrenzeuge eines Gesprächs, das am Tische des Prinzipals ging und in dem die Rede davon war, daß Charles Beaudrier nun schon zwanzig Jahre im Hause und ein zwar schrullenhafter, aber äußerst sparsamer Junggeselle sei, der es mit den Jahren sicherlich auf ein ansehnliches Sparvermögen gebracht habe. Er wäre, so behauptete Herr Louis Meister, wohl imstande, sich irgendwohin in ein friedliches Altenteil zurückzuziehen, wolle aber nichts von Aufgabe seiner Stellung wissen, da er noch immer eigensinnig darauf bedacht sei, seine Ersparnisse zu vermehren. Der Prinzipal entwarf dabei ein drolliges Bild seines alten Dieners, sagte, er gehöre zu denen, die eifersüchtig darüber wachten, zwar den vertraglichen Pflichten genau nachzukommen, aber auch nicht den kleinsten Ruck darüber hinaus zu tun. Charles sei imstande, einen Teller, den er eine Sekunde vor Anbruch der Feierzeit zum Abtrocknen in die Hand genommen, nur halb trocken wieder zurückzustellen, wenn die Uhr indessen den Feierabend ankünde. Anderseits habe er sich eine solche Kenntnis der Hotelkundschaft angeeignet, daß er ihm vor fünf Jahren noch die Übernahme des Oberkellnerpostens angeboten habe. Charles habe das aber mit Entschiedenheit abgelehnt und gesagt, er wolle bleiben, was er sei. Man könne ein Rad an einem Wagen auch nicht zur Deichsel machen.

Nach diesem Gespräch wendete Donat dem alten Mann mehr Aufmerksamkeit zu als bisher. Ein paarmal überraschte er ihn, wie er nach Feierabend Barschaft zählte und sorgfältig in eine kleine eiserne Kasse verschloß, auch in einem abgegriffenen Notizbuch über seine Bestände Rechnung führte. Das erstemal war Charles bei seinem Eintritt erschrocken und hatte seine Habe eilig beiseite geschafft. Nach und nach verlor sich sein Mißtrauen und ließ er sich durch Donats Nähe nicht mehr stören. Als dieser sich eines Tages entschuldigte, weil er Beaudrier wieder über seiner Rechnerei betroffen, sagte der Alte: »Laß gut sein! Du bist ja ein ehrlicher Mensch, Donat.« Dabei taten sich Donat zum erstenmal ein Paar merkwürdig ernste dunkle Augen auf, die er in dem glattrasierten, langweiligen Faltengesicht unter den stark vorspringenden Stirnerkern bisher nicht beachtet hatte. Er war erstaunt, betroffen. Das war nicht der trinkgeldversessene, verdrossene Mann, sondern ein Mensch mit einem fast gütigen Gesichtsausdruck, in dessen Blick er etwas wie Zuneigung zu erkennen glaubte. Hatte Charles, von dem er glaubte, daß er sich kaum um ihn bekümmert hätte, ihm heimlich doch etwelche Teilnahme zugewendet? dachte er bei sich selbst. Ein paar Tage später bekam er die Antwort.

Es war Sonntag, der stillste Tag der Woche. Henry war dienstfrei und ausgegangen. Charles und Donat gingen ihrer Arbeit nach. Aber Charles hatte Zimmerdienst, und sie sahen einander tagsüber selten. Als Donat sich indessen in der Nachmittagsarbeitspause in seine Kammer hinaufbegab, fand er Beaudrier hemdärmelig und rauchend unterm offenen Dachfenster sitzen. Er schien, wie gewohnt, nicht zugänglich und tat, als bemerkte er Donats Eintritt nicht. Was sollte er die Kammer länger als nötig mit dem Brummbär teilen, dachte dieser und war bereit, gleich wieder zu verschwinden. Aber während er in seinem Koffer nach einem Taschentuch kramte, klang plötzlich und unerwartet die Stimme des schweigsamen Rauchers aus der Stille hinter ihm auf.

»Früher habe ich diese öden Sonntagnachmittage immer verschlafen«, sagte Charles. »Jetzt muß ich froh sein, wenn ich nachts schlafen kann.«

Donat horchte auf. Er hatte nicht gewußt, daß der andere an Schlaflosigkeit litt. Es hätte ihn wohl auch nicht gekümmert. Jetzt aber traf die kleine Klage ihn um der plötzlichen Zutraulichkeit willen, die in ihrem Ton lag. »Woher kommt das?« fragte er.

»Vielleicht vom vielen Rauchen«, erwiderte der andere.

Donat erinnerte sich, ihn in der Freizeit nie ohne Zigarette gesehen zu haben. »Lassen Sie es doch«, riet er kurz.

Da fuhr der andere fort: »Mit dem einen Laster hält man sich andere, Trunk und Frauen, vom Leibe und das Nachgrübeln über Dinge, die nicht so geworden sind, wie man gehofft hat.«

Donat wußte nicht, warum und wieso er auf einmal seinen Sessel dem Sprecher zuwendete und seine Absicht, wieder zu gehen, aufgab.

Beaudrier sah ihn an und lächelte. »Ich habe dich heimlich beobachtet, Mensch«, sagte er, »das hast du wohl nicht bemerkt. Du bist ein Streber. Du weißt, was du willst. Wenn du Glück hast, wirst du es zu etwas bringen.«

Donat staunte. Die Tatsache machte ihm Eindruck, daß Beaudrier ihm ein gutes Fortkommen prophezeite. Er hakte ein wenig das Gefühl, als hebe ihn einer eine steile Leiterstufe empor. Seit er von Hause fort war, hatte niemand sich um seine Zukunftsaussichten gekümmert.

Aber schon fuhr Charles weiter: »Ich meinerseits habe kein Glück gehabt.«

Donat machte ein mitleidiges Gesicht und wartete auf eine Erklärung.

Sie kam. »Wahrscheinlich bin ich selber schuld«, fuhr der andere fort. »Ich war nicht zäh genug oder zu faul oder – zu eingebildet. Die gebratenen Tauben fliegen einem nicht ins Maul. Und man soll nachher nicht die Achsel zucken und sagen: Meinetwegen. Man muß dem Glück nachlaufen. Ich habe dazu kein Talent.«

»Ich will es haben«, trotzte Donat, als habe Charles es ihm abgesprochen.

»Warum nicht«, gab Beaudrier zu. »Man darf eben den Augenblick nicht verpassen und nicht ein Dickschädel sein wie ich, der nie einen zweiten Schritt machte, wenn der erste nicht ans Ziel führte.«

»Der Ehrgeiz hilft einem schon«, behauptete Donat.

Charles machte mit dem Arm eine weitkreisende Bewegung. »Ideen braucht es«, meinte er, »und Schwung, Federn in den Beinen. Wenn man so trippelt wie ich, hier ein Schrittlein und dort eines und eines zurück, wenn man zwei voran getan, kommt man nie an.«

Donat erinnerte sich der Ersparnisse, die der Prinzipal Beaudrier zugeschrieben. »Sie können sich doch jederzeit selbständig machen«, meinte er.

»Dazu ist es zu spät«, entgegnete dieser. »Ich habe auch nicht mehr den Mut dazu. Ich zähle mein Geld zuviel und zittere, ob es jedesmal ein wenig mehr ist. Ich wage nichts. Ich habe nie etwas gewagt.«

Er saß jetzt ganz in sich hineingebogen und sah alt aus und als hätte er vom Geldzählen einen hohen Rücken bekommen. Plötzlich murmelte er: »Es ist auch nicht viel, was ich mit der Zeit zusammengekratzt habe.« In seinem Blick glomm ein jähes Mißtrauen auf. Es reute ihn sichtlich, dem andern so viel verraten zu haben.

»Wenig ist mehr als nichts«, gab Donat böse und ungeduldig zurück. »Nichts ist, was ich habe.« Seine Armut und Unbedeutendheit stachen ihn mehr als je.

Charles blies ein Röllchen Asche, das an seiner Zigarette hing, zu Boden. Sein Mißtrauen schwand wieder. Er erriet Donats Wesen und sah bestätigt, was er seit geraumer Zeit an ihm heimlich beobachtet hatte. Die Sympathie, die er in dieser Zeit für ihn gewonnen, kam wieder zu ihrem Recht. Ihn nachdenklich betrachtend, redete er ihm zu: »Mach, daß du hier ein gutes Zeugnis bekommst. Dann mußt du weiter, in ein anderes Hotel, in ein anderes Land, in ein anderes Amt, etwa an die Empfangsstelle, aus dem Schwalbenschwanz heraus. Als Sekretär giltst du schon als Mensch. Wir andern sind nur Kulis.«

Donat vergaß Stunde und Ort. Zum erstenmal seit die Dülbergs abgereist waren, rührte ihn wieder etwas Menschliches an. Er fühlte sich zu Beaudrier sonderbar hingezogen, anders als zu dem losen Henry, anders vielleicht als zu irgendeinem Menschen bisher.

Lange noch plauderten sie dann von seinen Zukunftsmöglichkeiten.

Im übrigen änderte sich in der Folge wenig in ihrem Verhältnis zueinander. Der Dienst brachte sie selten zusammen. Zuweilen aber trafen sie sich auch in der Folge allein in der Kammer.

Einmal sagte auch Charles: »Du hast dich in die kleine Deutsche verschaut, die damals da war.«

Donat wollte widersprechen. Aber Charles unterbrach ihn: »Warum nicht! Das ist keine Schande. Wenn auch die Gesellschaft uns Kellner nicht für voll nimmt, wir begegnen vielen Frauen, und wenn wir keine Vogelscheuchen sind, schaut uns manche mit günstigen Augen an. Eine kurze Laune lang. Ich war auch einmal jung. Ich habe mir auch einmal den Kopf verdrehen lassen.« Wieder nahmen seine tiefliegenden Augen einen Ausdruck an, der Donat verblüffte. Niemand würde dem alten Serviermenschen so viel Innerlichkeit zugetraut haben.

»Sie war nicht eine Baronesse wie deine«, erzählte Beaudrier, »nur Zofe bei einer reichen Amerikanerin. Sie stammte aus meinem Dorf, irgendwo in den Vogesen. Es ist nichts geworden. Sie wollte höher hinaus. Ich habe nur nachher gehört, daß sie unglücklich geheiratet hat und einmal, schon wieder geschieden, mit einem Kind zu Hause war.«

Donat muckste nicht. Der andere sprach scheinbar gar nicht mehr zu ihm. Er lief gleichsam wie ein Narr hinter seinen Erinnerungen her und lauschte, wie sie tönten, und wiederholte gedankenvoll, was er hörte. So kam Donat auch nicht zu einer klaren Geschichte, sondern mußte allerlei erraten, was ungesagt blieb. Aber von da an wuchs seine Teilnahme für Beaudrier und eine Art scheuer Achtung vor ihm.

Wochen und Monate vergingen. Charles tat im Berufe seine Pflicht und kein Quintchen mehr. Gegen die Schlafkameraden blieb er mürrisch und wortkarg. Henry und Donat nähten ihm eines Nachts das Leintuch hoch, so daß er, als er ins Bett kroch, sich nicht strecken konnte. Er stand wieder auf, machte Licht, warf keinen Blick nach den Betten der ihn beobachtenden Sünder, sprach auch kein Wort, sondern begann nur gelassen sein Tuch loszutrennen. Es kostete ihn viel Mühe. Ganz zuletzt, als er fertig war, sagte er still: »Das hatte nicht viel Sinn«.

Donat wußte, daß er nach dem langen Arbeitstag immer sehr müde war. Es schien ihm, sein Haar sei noch nie so weiß, sein Gesicht noch nie so fahl und alt gewesen wie heute abend. Er schämte sich plötzlich. Er hätte aufspringen und sich entschuldigen mögen. Die Art, wie der andere den ihm gespielten Streich gleich einem Stäubchen gleichsam vom Ärmel blies, machte ihm Eindruck. Seine Liebe zu ihm wuchs noch. Er scheute sich aber vor Henry und blieb liegen.

Beaudrier löschte das Licht. Man schwieg und schlief ein.


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