Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Leute von Alt-Catawba

An der mittelatlantischen Meeresküste des nordamerikanischen Kontinents, etwa vierundzwanzig Schnellzugsstunden von New York, liegt der amerikanische Staat Alt-Catawba. Nach Umfang und Einwohnerzahl gehört er wohl zu den Staaten mittlerer Größe; mit einem Gebiet von über fünfzigtausend Quadratmeilen ist er etwas größer als die meisten Bundesstaaten am Atlantik und freilich bedeutend kleiner als die riesigen, aber dünnbevölkerten Territorialstaaten des fernen Westens. Auf seiner Bodenfläche, die ein wenig kleiner ist als England einschließlich Wales, wohnen drei Millionen Menschen, von denen ein Drittel Schwarze sind. Catawba also ist etwa so groß wie England und hat so viele Einwohner wie Norwegen.

Rassentypus und Arteigenheit der Bevölkerung jedoch sind ausgeprägter und einheitlicher als in irgendeinem Staat Europas. Man nimmt zwar allgemein an, ganz Amerika sei wie seine Großstädte von einem nach Schlag, Sprache und Wesen bisher unverschmolznen Menschengemenge bewohnt, tatsächlich aber gibt es vielleicht auf der Welt nirgends eine homogenere Bevölkerung als in Alt-Catawba. Zwischen Nord- und Süddeutschen, Nord- und Südfranzosen, Nordengländern und Devonleuten, Nord- und Süditalienern bestehen bestimmt jeweils größere Unterschiede als zwischen Ost- und Westcatawbanern.

Der Name Catawba ist natürlich indianisch. Ihn trug ein nun fast ausgestorbner Stamm, der einst blühte und stark und an Zahl beträchtlich war. Die Catawba-Indianer saßen in der Hauptsache in Süd-Karolina, und in der York-County dieses Staats liegt heut noch eine Reservation, wo die Überreste des Stammes wohnen.

Der Staat Catawba ist durch ein gründliches Mißverständnis zu seinem Namen gekommen, denn jene Indianer, die die ersten Forschungsreisenden auf seinem Gebiet antrafen, waren gar keine Catawba. Sie gehörten wahrscheinlich einer heute völlig untergegangnen Volkschaft an. Doch die Macht der Gewohnheit, die Name und Sache verbindet, ist so groß, daß einem gebürtigen Catawbaner heute irgendein andrer Name völlig undenkbar vorkäme. Außerhalb des Staates wird oft behauptet, das Wort Catawba klänge, besonders mit dem voraufgeführten Wörtchen »Alt«, ein wenig tropisch. Tropisches oder Exotisches aber kann man kaum in Catawba finden, weder im Charakter der Erde, noch im Wesen der Bewohner. Die Bewohner halten dafür, daß der Name Catawba die Sache vollkommen ausdrückt, daß er das Kräftige, Herbe und Schlichte ihres Landes trifft.

Die Staatsdokumente aus der Zeit der königlichen Besitzherrschaft bezeichnen das Territorium nie anders als »Catawba« oder »Seiner Majestät Kolonie in den Catawbas«. Die Form »Alt-Catawba« läßt sich aktenmäßig erst in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten vor der amerikanischen Revolution belegen, und wo das »Alt« herkommt, weiß niemand. Das typische Benamsungsverfahren für amerikanische Orte heftet einfach ein »Neu« vor einen alten Ortsnamen, und so wird in Formen wie »Neu-York, Neu-England, Neu-Mexiko« der Ort von einem älteren, namensgleichen unterschieden. Während aber der Name »Neu-York« anzeigt, daß es irgendwo ein altes York gibt, sagt der Name Alt-Catawba durchaus nicht, daß es ein neues geben könne. Zweifellos war es so, daß die Siedler, die über hundert Jahre im Lande wohnten, auf einmal ganz selbstverständlich Alt-Catawba zu sagen begannen. Der Name drang aus dem Herzen, er kam nicht aus gefühlseliger Zutunlichkeit, sondern wuchs aus dem Überzeugtsein im Geiste; er ist eben so ein Name, wie ihn alle Leute gleichzeitig zu brauchen anfangen, ein vollkommener, unvermeidlicher Name, der, nachdem er insgeheim geblüht hat, ausgesprochen werden muß.

Jedermann, der längere Zeit im Staate gelebt hat, wird zwangsläufig spüren, daß es sich beim Namen »Alt«-Catawba um keine zimperliche Mache handelt, denn er drückt sehr genau die Empfindung aus, die die Erde dort in der Menschenseele auslöst. Das Land hat eine brütende Gegenwart, ungeheuer alt und männlich; es hat ein altes, ziemlich ödes Wesen und brütet doch wohlwollend streng über seinen Bewohnern. Die Erde ist ein Weib, Old Catawba aber ist ein Mann. Die Erde ist unsre Mutter und Amme, und wir können sie kennen, aber Old Catawba ist unser Vater, und, obschon wir wissen, daß er da ist, soll es so sein, daß wir ihn nie finden werden. Er ist da in der Wildnis, seine Stirn ist beschwert von der Last aus Granit, er sieht unser Leben und Sterben, und sein herbes Mitleid brütet über uns. Frauen lieben ihn, aber kennen können ihn nur Männer, Männer, die in Seelenqual und Einsamkeit nach ihrem Vater geschrien haben, Männer, die ihren Vater in aller Welt gesucht haben, – aber das schließt alle Männer ein, die je gelebt haben.

Catawba wurde auf folgende Weise entdeckt: – ein einäugiger Spanier, einer von den frühen Seefahrern, klopfte die amerikanische Küste ab; er kam aus den Tropen, war vielleicht auf dem Heimweg, vielleicht auch wollte er bloß mal sehen, was es da zu sehen gäbe. In seinem Reisebericht, der auf uns gekommen ist, sagt er nicht, wieso er gerade an die catawbanische Küste kam, aber die Vermutung liegt nah, daß er auf der Rückfahrt hinverschlagen wurde; es stellt sich nämlich heraus, daß sein Schiff nicht mehr recht seetüchtig war und der Ausbesserung bedurfte. Die Segel hatten Risse, der Schiffsboden leckte, die Vorräte an Speise und Trank waren fast erschöpft. Ein nächtlicher Sturm stob um eins der grausamsten, übelstberüchtigten Vorgebirge des Atlantik, und der einäugige Spanier wurde landwärts abgetrieben. Er erlitt beinahe Schiffbruch. Wie durch ein Wunder fand er im Dunkel durch eine Einfahrt, und als der Tag graute, lag er friedlich im perlgrauen Wasser einer ungeheuren Lagune.

Als es heller wurde, fuhr er an einer fast ungebrochnen Kette von Sandbänken und -inseln entlang, der öden Schranke zwischen dem offnen Meer und der Küste, die jenen Sund, in dem er sich befand, abschloß. Im Westen konnte er nun die Küstenlinie sichten; sie war gleichfalls niedrig, sandig und sah öde aus. Das kühle, morgengraue Wasser schwappte leis an die Breitseiten des Schiffs, und der Spanier erkannte, daß er aus dem ungeheuren, brüllenden Meer in die wüstenhafte Eintönigkeit dieser Küste verschlagen worden war. Einen trostloseren, unfruchtbareren Strand hatte der einäugige Spanier noch nie gesehn. Ein Mann, der viele Male die Vorlande Europas angesegelt und die angenagten Kalkklippen gesehen hatte, das saftige Grün der Hügel und die kleinen Ackerstreifen, – eine Küste, die den Seemann bei der Heimkehr von langer, gefährlicher Fahrt grüßt und ihn unsäglich bedrängt mit Erregungen, die eine seit Jahrhunderten bebaute Erde auslöst in Menschen, die ein beinah persönliches Band an jene Erde bindet, die auf ihr gewohnt haben, deren Staub in sie eingegangen ist, – einem solchen Mann mußte sie in der Tat besonders schnöde vorkommen, diese unbekannte Küste, die sich mit der ungeheuren Gleichgültigkeit der Natur weithin in die Stille und in die Wildnis erstreckte. Der Spanier empfand das bestimmt, denn das Brache und Wüstenhafte der Küste wird geziemend erwähnt in seinem Logbuch, das im großen ganzen eine recht trockne Lektüre darstellt.

Hier aber kommt eine merkwürdige Begeisterung auf. Sie packt den Spanier an, sie dringt in seine graue Schreibe, färbt seine Worte, pulsiert durch seinen Bericht. Der Widerschein der jungen, aufgehenden Sonne fällt zartrot aufs Wasser, und ungeheuer und golden kommt das große Licht herauf aus dem Meer hinter der Dünenkette, und plötzlich rauscht es wie schnelle Trommelwirbel, und Wildenten, Schof um Schof, hurtig und pfeilgrad im Flug, schwirren hoch über das Schiff hin. Und der Spanier sieht Möwen von einer ihm unbekannten Riesenart, die unheimlich schreiend das Schiff in weiten Kreisbogen umflattern. Auf starken, gleichmäßigen Schwingen, die Beine säuberlich an die Körper geklemmt, schießen die mächtigen Vögel hoch, sie stoßen herab, taumeln sich drehend durch die Luft, lassen sich mit schwerem Flügelschlag auf dem Wasser nieder, und ihr heimsucherisch krächzendes Geschrei scheint das Orchester dieser Ödnis zu sein; – es verlieh der Einsamkeit eine Stimme und erfüllte die Herzen der Männer mit fremdem Frohlocken, denn, ganz so, als hätte die Luft, die sie nun atmeten, jählings eine feine, vollkommne Verwandlung in der Chemie ihres Fleisches und Blutes bewirkt, hatte nun eine wilde Fröhlichkeit das ganze Schiffsvolk angepackt, die Männer fingen an zu lachen und zu singen und waren, wie der einäugige Spanier sagt, »wunderbarlich heiter«.

Im Lauf des Morgens wehte der Wind ein wenig frischer, der Spanier hißte Segel und hielt aufs Land zu. Um Mittag fuhr er unweit des Ufers nordwärts die Küste entlang, und am Abend war er in eine Flußmündung eingefahren. Er holte die Segel ein und ging vor Anker. Ganz in der Nähe am Ufer lag eine Ansiedlung von »jener Rasse, so diese Gegenden bewohnet«, und ganz offenbar hatte die Ankunft des Schiffs die Eingebornen sehr aufgeregt. Viele: von ihnen, die zuvor in die Wälder geflohen waren, kehrten nun zurück, und andere liefen am Ufer auf und ab, deuteten auf das Schiff, gebärdeten sich lebhaft und machten einen ziemlichen Lärm. Der einäugige Spanier aber hatte zuvor schon Indianer gesehn. Indianer waren eine alte Sache für ihn und störten ihn nicht. Was das Schiffsvolk anbetrifft, nun, die wunderbarliche Heiterkeit, die die Männer am Morgen angepackt hatte, scheint nicht nachgelassen zu haben; sie riefen den Indianern unzüchtige Spaßworte zu und »lacheten und fratzeten, als ob sie von Sinnen seyen«.

Trotzdem, an diesem Tag gingen sie noch nicht an Land. Der Einäugige und seine Mannen waren müde und erschöpft, sie aßen, was sie an Bord hatten, Rosinen, Käse und Wein, und nachdem die Wache bestellt war, legten sie sich schlafen und scherten sich nicht um die Feuer, die im Indianerdorf aufflackerten, nicht um den Singsang, die Laute und den Lärm, und auch nicht um die Gestalten, die barfuß am Ufer hin- und herhuschten.

Und am Himmel zog der wunderbare Mond auf und schien voll und blank herab auf die stillen Wasser des Sunds und das Indianerdorf, er schien auf das einsame kleine Schiff und den einäugigen Spanier und seine Mannschaft, auf die schweren, trübe brennenden Schiffslaternen und die schwärzlichen Schlafgesichter der Männer, auf besudelte, zerrißne, bunte Kleider und in habsüchtige kleine Gemüter, Gemüter, wie sie damals schon, ganz wie heut, von der raffgierigen Mythe besessen waren, die sich der Europäer von Amerika macht, und der er unverdrossen und blödsinnig treubleibt: – »Wo liegt das Gold auf der Straße? Führe uns zu den Smaragdplantagen, den Diamantsträuchern, den Platinbergen, den Perlenklippen! Bruder, versammeln wir uns im Schatten der Schinkenbäume, treffen wir uns im Hammelbratenhain, finden wir uns ein an den Ufern der ambrosialischen Ströme! Wir wollen in den Milchspringbrunnen baden, und die heißen, gebutterten Semmeln vom Brotbäckerbusch pflücken!«

Früh am nächsten Morgen ging der einäugige Spanier mit ein paar Mann an Land. »Als wir das Ufer betraten«, schreibt er, »war unsre erste Aktion, daß wir in die Knie fielen und Gott danketen und der Heiligen Jungfrau, ohne deren Fürsprach wir tote Männer gewesen wären.« Die nächste »Aktion« bestand darin, daß der Einäugige im Namen des Königs von Spanien »von dem Lande Besitz ergriff« und die Flagge hißte. Wenn wir heute von dieser feierlichen Zeremonie lesen, rühren uns ihr Pathos und ihre klägliche Anmaßung mit Mitleid an. Wie könnten wir sonst empfinden für diese Handvoll raubgieriger Abenteurer, die da »Besitz ergriffen« von der unsterblichen Wildnis im Namen eines anderen kläglichen Menschleins, das viertausend Meilen weit weg war, nie von dieser Erde gehört hatte und sie wohl auch nie besser verstanden hätte als diese Männer? Von der Erde kann man nicht Besitz ergreifen, die Erde besitzt.

 

Als die frommen und huldigenden Handlungen vollzogen waren, erhoben sich die Spanier von ihren Gebeten, sahen sichIndianern gegenüber, die sich während der nichtendenwollenden, salbungsvollen Zeremonie recht nah herangetraut hatten, und feuerten eine Musketensalve auf sie ab, »damit sie nicht zu dreistlich und dräuend würden«. Zwei oder drei Indianer fielen und streckten alle Viere von sich, die übrigen flohen schreiend in die Wälder. Somit waren mit einem Schlage »Christianität und Gouvernanz etablieret«.

Die Spanier richteten nun ihr Augenmerk auf das Indianerdorf. Mit jener Gewandtheit, die nur mit langer Erfahrung kommt, begannen sie zu stöbern und zu plündern, aber als sie Hütte um Hütte betraten und weder Truhen voller Goldkörner noch Kisten voller Smaragde fanden, als sie entdeckten, daß nicht einmal die Krüge, Schüsseln und Kochgeschirre aus Gold oder Silber waren, sondern unbeholfen aus gebranntem Ton geformt, da steigerte sich die Wut. Sie kamen sich betrogen und geprellt vor und zertrümmerten und zerschlugen alles, was ihnen in die Hände fiel. Das Gefühl eines ihnen angetanen Unrechts, dieses tugendhafte Empörtsein hat sich in den Reisebericht des Spaniers ebgestohlen. Dort häufen sich in der Tat höchsterbauliche Stellen der früh an Amerika geübten Kritik, Stellen, wie sie, von sprachlichen Archaismen abgesehen, gestern geschrieben sein könnten. »Die dort wohnen, seynd eine wilde Barbarenrasse und gar sehr erfüllet von Blutgier und leben so niedrig und widrig, daß dero Existenz der der wilden Bestien eher gleichkommet als der der Menschen, und hausen in Dunkelheit und seynd der uns bekannten Künste des Lebens bar und unwissend, und man möchte räsonieren, daß Gott ihrer vergessen habe, so sehre entfernet seynd sie von jeglichem Licht.«

Angewidert erwähnt der Spanier die getrockneten »stinketen Fusch« und das gedörrte Fleisch, das in allen Hütten hing, angewiderter noch berichtet er von dem vollkommnen Nichtvorhandensein von Metallen, die Töne höchster Verachtung aber spart er sich auf für »eine Art Unkraute und Planta«, die sich ebenfalls in Hülle und Fülle in den indianischen Hausungen vorfand. Dieses »Unkraute oder Planta« beschreibt er ziemlich genau. Die Blätter sind breit und rauh, im getrockneten Zustand sind sie gelb und duften stark. Die barbarischen Eingebornen waren, wie er berichtet, der Pflanze so zugetan, daß sie die Blätter in den Mund steckten und sie kauten; er habe es mit eignen Augen gesehn, sagt er; als jedoch ein paar von seinen Leuten es nachahmten und das Kraut kauten, gaben sie den Versuch schnell auf, denn sie verspürten Magenkränke, Würgen im Halse und Brechreiz. Die Hauptverwendung, die die Pflanze bei den Indianern findet, scheint dem Mann so außergewöhnlich, daß er offenbar befürchtet, seinen Worten werde nicht geglaubt, denn unter vielen, eidlichen Versicherungen fährt er fort und beschreibt, daß die getrockneten Blätter angezündet werden können »und glimmen und geben einen faulen, stinketen Schmauch«, und als Tollstes beteuert er, daß die Eingebornen wahrhaftig dieses Unkraut anbrennen und seine Dämpfe durch lange Röhren einziehen, so, daß »ihnen der Schmauch wiederkommet zu den Mäulern heraus und zu den Naslöchern auf eine solche Weis, daß man denket, das seynd Teuffel aus der Höllen anstatt sterblicher Menschen«.

Ehe wir diesen Einäugigen verlassen, wollen wir um der Ironie willen bei der Verachtung verweilen, mit der er von jenem ›Gold auf der Straße‹ spricht, nach dem er mit allen Sinnen trachtet. Als ein Beispiel dafür, was es heißt, nur mit einem Auge zu sehen, ist der Fall kaum zu überbieten. Denn da war ja Gold, da war die unerschöpfliche Ader, da, aus dem wunderbaren Lehmboden jenes Landes, floß und schoß das Gold, endlos gedieh da etwas, das die Menschheit endlos genießen und mit schwerem Geld bezahlen sollte. Und dieser von Goldsucht verzehrte Spanier schneidet eine Fratze des Abscheus, rümpft die Nase und merkt nichts. Seine Einstellung ist sowohl geschichtlich wie prophetisch wichtig; sie enthält im Kern die ganze Fehlauffassung, die Europa von Amerika hat.

Von den Forschungsreisenden und Abenteurern – den frühen wie den späten, von allen denen, die von ihren Fahrten nach den beiden Amerika heimkehrten, erbittert, weil sie kein Gold auf der Straße gefunden hatten – muß nämlich gesagt werden, daß sie versagten nicht etwa deshalb, weil kein Gold da war, sondern weil sie nicht wußten, wie und wo man es sucht, und es auch dann nicht erkannten, als es vor ihrer Nase zutage lag, weil sie, kurz gesagt, auf einem Auge blind waren. Daß Gold, wirkliches Gold, das echte, ehrliche Metall in großen Vorkommen da war und oft sogar, ganz, wie es diese Männer sich eingebildet hatten, auf der Erdoberfläche lag, hat sich mittlerweile genugsam erwiesen; das ist bloß eine von den kleinen und weniger interessanten Episoden aus der Geschichte Amerikas, – und außerdem beiläufig die Bestätigung eines europäischen Märchens. Die Europäer wollten sich die schönste Fabel von der Welt ausdenken, und sie, diese Geldverächter, erfanden die Geschichte vom ›Gold auf der Straße‹.

Die Geschichte vom Gold auf der Straße ist so herzenseinfältig, aber nicht so schön wie der Kindertraum vom Limonadenquell, den Sahneeisgebirgen und den Zuckerzeug- und Baumkuchenwäldern, – doch, wie dem auch sei, – Amerika hat in einem kurzen Jahr seiner Geschichte den Wahrheitsbeweis für dieses Märlein vom Gold auf der Straße erbracht, und dann ging es daran, aus den Taschen der Erde Schätze von solcher Fülle zu fördern, daß an ihr gemessen die Wunschträume der alten Forschungsreisenden geradezu lächerlich wirken. Himmelwärtsspringende Petroleumströme wurden erbohrt, Gebirge aus Kohle, Eisen- und Kupfererz wurden zutage gebracht, Jahr um Jahr wurden zweitausend Quadratmeilen Bodenfläche mit goldnem Weizen bestellt und abgeerntet, Schienenbänder wurden über Ödlande geworfen, und der Kontinent wurde mit dem Donner großer Räder überbrückt, Wälder wurden umgelegt, und die ungeheuren Baumstämme wurden stromab geflößt, Baumwolle wurde gebaut für die Welt, und auf der Scholle gediehen Pflanzen voll mit Zuckerstoffen und Fruchtsäuren und tausend schlichte und exotische Gewächse, – und immer noch blieb das Geheimnis der amerikanischen Erde unoffenbart, blieben ihr größter Wohlstand und ihre größte Macht unbekannt.

Von all dem ahnte der einäugige Spanier nichts. Er plünderte das Dorf, mordete ein paar Indianer und drang, nach Schätzen lugend, achtzig oder hundert Meilen ins Inland vor. Was er fand, war eine trostlose Ebne, ganz flach, sandiger Mergelboden, eine rohe, unbesondre, von hehrer Einsamkeit heimgesuchte Landschaft, dicht und wirr bewaldet, über weite Strecken hin vornehmlich mit einer Langnadelkiefer. Weiter inland wurde der Boden schwerer, üppiger, gelber, die Scholle war lehmig-klebrig, und bei Regenwetter verfluchte der Spanier diesen Boden. Dort wuchsen rauhe Gräser, zähe struppige Pflanzen, stand das Unterholz heckig und dicht; – dort hätte der Spanier auch genug von dem scharfen Unkraut anbauen können, dessen Dämpfe ihn so anwiderten, das aber die Nase der Menschheit aufimmerdar mit Rauch füllen sollte. An Wild und Vögeln war Überfluß, und so brauchte der einäugige Spanier keinen Hunger zu leiden, aber Goldkörner fand er keine und nicht einmal einen einzigen Smaragd.

Der Spanier fluchte, er wandte sich um, ostwärts, wieder dem Meere zu. Hoch und schnell und geraden Flugs wie Musketenkugeln schwirrten die Wildenten über ihn hin, die nach den Marschen an der Küste flogen. Das war alles. Die ungeheure Erde hüllte sich wieder in ihre Stille. Westwärts, von den Spaniern nicht gesichtet, lag ein hohes Gebirg; dort wanderten Wolkenschatten über die zeitlose Wildnis, und nachts krachten Bäume nieder und fielen quer über helle, strudelschaumige, steilabstürzende Bergwasser, und da war das Blitzen und Blinken von Billionen winzigen Augen, war Geschlupf und Gerege, war der lallende, lullende Laut der Dunkelheit, der Donner von Fittichen und die Symphonie der Wildnis, in die noch keiner gedrungen war, der Schuhe an den Füßen trug;

Der Spanier bestieg sein Schiff und hißte fröhlich die Segel. Er sah nur auf einem Auge, und Gold hatte er keins gefunden.

 

Die Leute von Catawba sind ein großes Volk, sofern es auf Wortstreite aller Art und sinnige Erörterungen ankommt. Der hitzigere Mann aus Süd-Karolina oder dem Staat Mississippi wird jähzornig und händelsüchtig, sobald du sein Wort bezweifelst oder etwas gegen seine Meinungen vorbringst; die Augen des Catawbaners aber erglühn dann von den ganz andern Feuern der Debattierlust. Der Catawbaner hat eine schottische Liebe zum Argument, und nichts tut ihm wohler als so ein Disput. Überleitend-einladend wird er dir sagen: »Nun, sehn wir doch mal gleich zu, ob sich der Fall nicht klären läßt! Sehn wir zu, ob wir der Sache nicht auf den Grund gehn können!« Und dann wird einer langen, ernsten und sogar leidenschaftlichen Diskussion stattgegeben, während der die beiden Parteien gemeinhin bis zum Letzten gutartig-gütig und tolerant bleiben, obschon das Für und Wider mit Hitze und Hartnäckigkeit verfochten wird. Bei solchen Aussprachen werden einige interessante Charakterzüge des Catawbaners schnell offenbar. Der Catawbaner ist, wie sich dann herausstellt, von Haus aus ein Philosoph; es geht ihm nichts über abgezogne, tüftelige Fragen, und liebend gern erörtert er etwa die Natur des Schönen, Guten und Wahren, das Wesen des Besitzes, das Problem Gott. Außerdem stellt sich heraus, daß er in schlichten Sätzen und Bildern spricht, daß seine Rede von würzigen, der Umwelt und dem erlebten Alltag entnommenen Gleichnissen strotzt. Und so wird bei der Diskussion einer ethischen Frage – sagen wir bei einem Streit über das ›moralische‹ Recht eines Nutznießers auf sein Eigentum und über die Grenze, bis zu der beim Verkauf Profit zulässig sei – ein Catawbaner sich ungefähr auf diese Weise ausdrücken: –

»Nun ja, Joe, greifen wir mal einen Fall heraus. Angenommen, ich kauf meinem Nachbar ein Maultier ab und zahl' ihm hundertundfünfzig Dollar dafür ...«

»Handelt es sich um ein einäugiges Maultier oder nicht?« fragt Joe und zwinkert der lauschenden Zuhörerschaft deftig zu.

»Nein, das Tier sieht auf beiden Augen«, erklärt der Erste gutmütig. »Aber wenn Du was dagegen einzuwenden hast, mir tut es auch eines, das auf einem Aug blind ist.«

»Ei zum Teufel! Nein, Jim!« versichert Joe. »Ich hab' nichts dagegen einzuwenden, bloß, wenn Du ein zweiäugiges Maultier hast, mußt Du mir mit was Beßrem als einem einäugigen Argument kommen.«

Brüllendes Männergelächter, begleitet von herzhaftem Schenkel- und Knieklatschen und hohen Schluckserlauten, begrüßt diese Bemerkung.

»Gottverdammt!« ruft, noch halb außer Atem, einer von den dankbaren Zuhörern. »Der Joe hat Dir's aber auf 'ne Weile gegeben, Jim!«

Die Zusammenstellung, ›zweiäugiges Maultier und einäugiges Argument‹ hat in der Tat einen ungeheuren Erfolg. Sie paßt genau in die landesüblich allbeliebte Ausdrucksweise, und eine weite Verbreitung ist ihr in der ganzen Gemeinde gewiß. Sie kann sogar zur Würde der stehenden Redewendung erhoben werden, und dann wird man sagen hören: »Nun, aber das ist ein zweiäugiges Maultier in einem einäugigen Argument, wenn mir je so was vorgekommen ist.« Ganz bestimmt aber kann der unglückselige Jim damit rechnen, in nächster Zeit begrüßt zu werden mit Worten wie:

»Wie geht's, Jim? Stimmt's, daß Du neuerdings mit Maultieren handelst?« Oder: »Hey Jim! Du wirst doch nicht kürzlich ein zweiäugiges Maultier gekauft haben, was?« Oder: »Hallo, Jim! Sag mal, ist Dir vielleicht jemand begegnet, der mit 'nem einäugigen Argument 'rumlief und nach einem zweiäugigen Maultier sucht!«

Jim weiß natürlich ganz genau, daß man ihn solcherart aufziehen wird, aber er lacht gutherzig mit; sein ohnehin ziegelrotes Gesicht ist noch röter geworden, und. er wartet störrisch entschlossen auf den Fortgang der Debatte.

»Nun, das ist ja alles ganz schön«, erklärt er, sobald er sich Gehör verschaffen kann, »aber ob's ein einäugiges Maultier ist oder ein zweiäugiges, das ist weder da noch dort.«

»Kann immerhin sein, daß das eine Aug da und das andre dort ist«, wirft da jemand ein, und wieder wird auf Jims Kosten gelacht. Jim aber besitzt die Ruhe des zur Debatte entschloßnen Philosophen, und obschon sein Gesicht mittlerweile knallrot geworden ist, bleibt er fest bei der Sache.

»Schon recht«, erklärt er schließlich. »Sagen wir also der Einfachheit halber so: – ich hab' ein Maultier, und zwar ein gutes, und es hat mich hundertundfünfzig Dollar gekostet. Und nun gib acht!« Er hält inne und hebt eindrucksvoll den Zeigefinger. »Ich nehm' das Maultier und laß es volle vier Jahre auf meiner Farm arbeiten. Es ist ein gutes Maultier, ein gutes Arbeitstier, und in den vier Jahren macht es sich mehr als doppelt bezahlt. Also!« Wieder hält er inne, er wirft seinem Diskussionsgegner einen Siegerblick zu.

»Schon recht! Schon recht!« sagt geduldig-ergeben Joe. »Ich hab's gehört. Behauptet hast Du noch nichts. Bewiesen auch nicht.«

»Also!« fährt Jim langsam und triumphant fort. »Ich hab' für das Maultier hundertundfünfzig Dollar gegeben, und es hat für seinen Unterhalt gearbeitet und sich darüber hinaus mehr als doppelt bezahlt gemacht.«

»Ich hab's gehört! Ich hab's gehört!« sagt Joe geduldig.

»In andern Worten«, erläutert jemand, »Du hast Dein angelegtes Kapital aus dem Maultier herausgewirtschaftet und noch obendrein hundertundfünfzig Dollar an Wert.«

»Ganz genau das!« bestätigt Jim mit Entschiedenheit, der Gruppe zugewandt, die nun gespannt lauscht. »Ich hab' meinen Kapitalwert zurückgekriegt und obendrein hat das Tier mir noch hundertundfünfzig Dollar verdient. Und nun also kommt einer daher, ...« Er deutet in ein Irgendwo am westlichen Horizont. »... der Mann braucht ein gutes Maultier, sieht meines und macht mir ein Kaufangebot.« Wieder hält Jim inne, er blickt sich um, sieht die Zuhörer an, Siegesgewißheit steht in seinen Mienen geschrieben.

»Ich hab's gehört und hör' immer noch«, erklärt Joe mit geduldiger, eintöniger Stimme.

»Wie hoch ist das Angebot?« erkundigt sich jemand.

»Eine Minute Geduld, bin gleich soweit!« erklärt Jim mit beschwichtigender Gebärde. »Also: der Mann kommt zu mir und sagt: ›Ziemlich gutes Maultier, das Sie da haben.‹ ›Es tut seine Arbeit‹, sag' ich, ›ich kann nicht klagen.‹ ›Ich trag' mich mit dem Gedanken, ein Maultier zu kaufen‹, sagt er. ›So?‹ sag' ich. ›Ja‹, sagt er, ›auf meiner Farm könnte ich gut noch ein Maultier brauchen. Sie denken wohl nicht dran, dieses da zu verkaufen, was?‹ ›Nein‹, sag' ich, ›denken tu' ich nicht dran.‹ ›Also‹, sagt er, ›würden Sie ein Angebot erwägen?‹ ›Also«, sag' ich, ›das hängt davon ab.‹ ›Für wieviel würden Sie es hergeben?‹ ›Nun‹, sag' ich, ›ich hab's nicht vorbedacht. Mir war's lieber, Sie machten das Angebot.‹ ›Nun‹, sagt er, ›dreihundert Dollar. Wie wär's?‹

Während Jim sich mit sieghaft-schlüssiger Miene umsieht, entsteht eine lebendige Stille.

»Also!« ruft er nun aus, mächtig und entschieden. Er lehnt sich nach vorn, die Linke aufs Knie gekrallt, sein rechter Zeigefinger deutet auf die Zuhörer.

»Ich höre«, sagte Joe. Ruhig und ahnungsvoll.

Jim fängt an zu rekapitulieren: »Das Maultier hat mir mein Geld wiedereingebracht ...«

»Ja, und obendrein noch hundertundfünfzig Dollar erarbeitet«, wirft ein Hilfsbereiter ein.

»Das heißt«, erläutert Jim, »ich habe an meinem Geld hundert Prozent Profit gemacht. Und nun steht da dieser Mann, und bietet mir zu allem noch dreihundert Dollar für das Tier. Das wären mithin dreihundert Prozent Profit.«

Schlüssig hält er inne.

»Also?« fragt Joe schwerfällig. »Fahr fort! Ich wart' immer noch auf Dein Argument. Was also?«

»Ei«, sagt Jim. »Die Frage ist die: – Nachdem ich mein Geld zurückgekriegt habe, ...«

»Das wissen wir jetzt«, sagt Joe. »Du hast Dein Geld zurückgekriegt und obendrein hundert Prozent profitiert.«

»Also«, sagt Jim, »die Frage ist die: – Habe ich irgendein Recht, die dreihundert Dollar anzunehmen, die mir der Mann bietet?«

»Recht?« sagt Joe und starrt Jim an. »Ei, wovon redest Du denn? Natürlich hast Du jedes Recht. Das Maultier gehört doch Dir, nicht wahr?«

»Ah«, sagt Jim mit einem wissenden Blick, »das ist's ja! Gehört es wirklich mir?«

»Du hast doch selber gesagt, daß Du's gekauft und bezahlt hast, nicht wahr«, bemerkt jemand.

»Ja«, sagt Jim. »Das stimmt.«

»Ei zum Teufel, Jim!« ruft ein andrer aus der Gruppe. »Du redest ja närrisches Zeug! Jeder Mensch hat doch das Recht, sein Eigentum zu verkaufen.«

»Das legale Recht, ja«, sagt Jim. »Das legale Recht hat er. Also davon rede ich nicht. Ich spreche vom moralischen Recht.«

Die Männer stieren den Jim an, die Kinnbacken hängen ihnen herunter, auf ihren Mienen malt sich eine mit bangen Befürchtungen gemischte Verdutztheit. Und Jim fährt fort:

»Ein Mann hat das Recht, etwas zu kaufen und es wieder zu verkaufen und einen anständigen Profit dabei zu machen. Das bestreite ich nicht. Aber! Hat irgend jemand, frage ich, das Recht, das moralische Recht auf einen Profit von dreihundert Prozent?«

Somit hat Jim seine Frage aufgeworfen, nun ruht er sich ein Weilchen aus in Erwartung der Attacke, die da kommt, und zwar unverzüglich kommt. Und im Augenblick erhebt sich der Tumult: – Proteste, Hohnlachen, heftig-abfällige Worte, keinerlei Zustimmung. Joe mit seinem kräftigen Bariton überdröhnt schließlich den Lärm.

»Ei Jim!« dröhnt er. »Das ist die verdammteste Logik, die mir je vorgekommen ist! Ich hab' Dir wenigstens ein einäugiges Argument zugetraut, aber verdammt will ich sein, wenn das Argument, das Du da vorbringst, überhaupt Augen hat!«

Gelächter und Zustimmungsrufe.

»Ei Jim!« scherzt einer mit feierlich-ernster, tiefbesorgter Miene. »Du solltest wirklich mal zum Arzt gehn, Junge! Du redest ja so schwaches Zeug! Merkst Du's nicht selber?«

»Schon recht! Schon recht!« sagt Jim störrisch. »Ihr könnt lachen, soviel Ihr wollt, aber diese Sache hat dennoch ihre zwei Seiten, ganz gleich, wie Ihr drüber denkt.«

»Ei Jim!« meldet sich wieder einer, dem das lockre Grinsen um den Mund spielt. »Was willst Du denn mit Deinem zweiäugigen Maultier anfangen? Willst Du's am End dem Mann da schenken, bloß weil Du mehr als Dein Geld aus ihm herausgekriegt hast?«

»Das sagt' ich ja gar nicht!« behauptet Jim fest. Sein Gesicht ist puterrot, weil er ausgelacht wird. »Ich sag' nicht, was ich täte; vielleicht nämlich tat ich's, vielleicht auch nicht.«

Wieder wird im Chor gebrüllt vor Heiterkeit, und diesmal ist das Hohnlachen vordringlicher als zuvor. Aber seit einer Weile schon, während die andern lärmen, schweigt einer aus der Gesellschaft; er sitzt stumm da, in tiefe Nachdenklichkeit versunken, in der Haltung ernster Meditation. Und nun richtet er sich auf und blickt sich um, einen Ausdruck befehlerischer Wichtigkeit im Gesicht.

»Gebt mal 'nen Augenblick Ruh!« sagt er. »Das steht alles gar nicht so fest! Ich weiß nicht, ob der Jim wirklich so ein Narr ist, wie Ihr meint! Mir scheint, es ist was dran an dem, was er sagt.«

»Hei!« erklärt Joe bündig. »Hab' ich's nicht schon immer gesagt? Die Wälder sind voller Käuze. Wieder einer, der nicht ganz bei Trost ist.«

Und jetzt erst fängt der Wortwettstreit richtig an, und erst von nun an wird er allen Ernstes und mit aller Heftigkeit geführt, und die beiden Horatiusse halten tapfer die Brücke, und ihre Kampf- und Überzeugungskraft wächst mit jedem Ansturm. Ein bemerkenswerter Umstand ist, daß in Catawba bei solchen Aussprachen die Ansieht der Minderheit stets einen oder mehrere Fürstreiter findet, Männer, die, während die andern laut und lauter hohnlachen und hohnschreien, zusehends unsichrer und nachdenklicher werden, Männer, die, nachdem sie anfänglich einen milden Zweifel angemeldet haben, sich bald kampfeshitzig auf die schwächere Seite stellen, Männer, deren Mut und Überzeugtheit mit jedem Atemzug zunimmt, mit jedem Einwand, den sie vorbringen, mit jeder Attacke, die sie reiten oder abschlagen.

Und so ist es schon immer gewesen mit den Leuten von Catawba. Ihr Charakter hat ausgesprochen schottische Züge, sie sind vorsichtig und versonnen, kommen nur langsam zu radikalen Entschlüssen. Sie sind große Redner und glauben an Gebete und Argumente. Immer wollen sie »ein Ding zu Ende denken«, immer wollen sie im Austausch der Meinungen »einer Sache auf den Grund gehn«, immer sind sie bereit, mit Hilfe von Diplomatie und Kompromiß eine Angelegenheit zu erledigen. Sie sind vielleicht die ungeheuerlichsten Konservativen, die es auf Erden gibt, sie respektieren die Autorität, die Tradition, das Führertum, aber wenn sie sich einmal für etwas entschieden haben, dann stehen sie unverrückbar zu ihrem Entschluß, und wenn der Entschluß Krieg heißt, kämpfen sie mit der Wut von Beseßnen und halten bis zum Letzten durch.

Bis in die jüngste Zeit hinein blieb dieses Volk fast unberührt von der Zuwandrung »Fremder«, aus Europa sowohl, als auch aus den andern Staaten der Union. Selbst heute noch ist die Zahl »fremdbürtiger« Bürger sehr gering; innerhalb der Nation hat dieser Staat den höchsten Prozentsatz »staatsbürtiger« Einwohner. Der alteingeseßne Menschenschlag stammt in direkter Linie von den frühen Siedlern ab, die Engländer, Deutsche und Schotten waren, vornehmlich aber Schotten. Auffallend häufig sind schottische Familiennamen – Graham, Alexander, MacRae, Morrison, Ramsay, Pettigrew, Pentland –, und ebenso auffallend häufig sind Züge schottischer Art und schottischen Körperbaus: – die hagere, lange, sehnige, eckige, grobknochige Gestalt, die schlacksig lockeren Gelenke, der langschrittige Lupfgang und auch die ungeheure Lebenskraft und Ausdauer, besonders unter den Gebirgseinwohnern im Westen des Staats. Tatsächlich, während des letzten Kriegs stellte die Musterungskommission statistisch fest, daß Catawba die größten Soldaten stellte, insofern deren Durchschnittsgröße anderthalb Zoll über dem Durchschnitt für das ganze Land lag. Man soll aber keineswegs annehmen, wie es einige philologisch gebildete Pädagogen mit der bei ihnen oft berufseignen tüftelgenauen Ungenauigkeit getan haben, das Alt-Catawba von heute sei ein großartiger Anachronismus, ein Land, bewohnt von polternden und eisenfressenden Elisabethanern, die (weidlich erfreut haben es die Pädagogen behauptet) »dieselben Lieder singen, die ihre Ahnen vor vierhundert Jahren in England sangen, und dazu treuüberliefert, in einer sozusagen reinbewahrten Form«, – oder gar ein Land, bewohnt von wahnsinnig dreinblickenden Keltenkriegern, die noch immer dieselben Gesänge anstimmen, mit denen einst ihre Ahnen, von den Bruces geführt, über die Grenze stürmten.

Nein. Der Catawbaner von heute ist nicht so, und er möchte auch nicht so sein. Er ist kein Kolonist, kein Siedler, kein verpflanzter Europäer. Im Lauf seiner drei Jahrhunderte in der Wildnis ist er Eingeborner, ist er bodenständig geworden im Land, das er bewohnt; im Lauf dieser drei Jahrhunderte hat seine Faser die Farbe seiner Erde angenommen, hat er einen eignen Charakter bekommen, eine eigne Überlieferung aufgebaut, eine eigne Geschichte gelebt. Seine Geschichte ist dunkel und der Welt unbekannt, und in den Büchern der Historiker steht sie nicht. Und trotzdem ist sie großartige Geschichte, erfüllt von Heldentum, Ausdauer und dem unsterblichen Stillesein der Erde. Diese Geschichte lebt im Herz und Hirn des Catawbaners und in seinen unaufgezeichneten Taten, und damit gibt er sich zufrieden und empfindet keinerlei Bedürfnis nach Balladen und Armaden, wie sie ihn trügerisch ins Ruhmeslicht rücken wollen.

Er hat es nicht nötig zu sprechen, zu behaupten und zu bestreiten, er hat es nicht nötig, seine Kraft und seine Leistungen darzustellen, denn sein Herz ist ein einsames und heimliches Herz, sein Geist ist ungemein tapfer und demütig, er hat allein in der Wildnis gelebt, er hat die Stille der Erde vernommen, er weiß, was er weiß, und gesprochen hat er noch nicht. Wir sehen ihn stillschweigend und ohne Herold im kurzen, grellen Licht aufgezeichneter Ereignisse stehen, – er steht in den Reihen der amerikanischen Revolution, und achtzig Jahre später steht er ruhmreich, aber schweigsam in den Reihen des Bürgerkriegs. Seine wirkliche Geschichte aber ist viel länger und bei weitem ungewöhnlicher als das, was beim grellen Schein der Kriegsfackel sichtbar wird. Sie ist eine Geschichte, die durch drei Jahrhunderte hinreicht an die Anfänge Amerikas, eine befremdende, unergründliche Geschichte, die ans Dunkle, Übernatürliche rührt, die durch Armut und Daseinshärten, Einsamkeit und Alleinsein, Todesnot und unsäglichen Lebensmut in die Wildnis zurückweist. Denn die Wildnis ist es, die zur Mutter dieser Nation ward; es geschah in der Wildnis, daß die seltnen und einsamen Menschen, die noch nicht gesprochen haben, sie, die das ungeheure Land zwischen Atlantik und dem Stillen Ozean bewohnen, sich zum erstenmal selber erkannten; es war die lebendige Wildnis, in der sie einander auf zehn Schritt gegenüberstanden und sich niederschössen, und es ist die Wildnis, in der sie noch immer leben.

Die wirkliche Geschichte von Alt-Catawba ist dem Wesen nach keine Geschichte von Krieg und Aufruhr, keine Geschichte von Politik und korrupten Beamten, keine Geschichte von Demokratie oder Plutokratie oder überhaupt von Regierungsformen, keine Geschichte von Geschäftsleuten, Puritanern, Schurken, Narren, Heiligen oder Helden, keine Geschichte von Kultur oder Barbarei.

Die wirkliche Geschichte von Alt-Catawba ist eine Geschichte von Einsamkeit, von der Wildnis und der ewigen Erde, ist die Geschichte von Millionen Menschen, die alle in der Wildnis lebten und starben, von Billionen unaufgezeichneten Handlungen und Augenblicken aus dem Leben dieser Menschen, ist eine Geschichte von der Sonne, dem Mond und der Erde, von dem Meer, das ewig an die öde Küste schäumt, und von großen Bäumen, die in der tiefen Einsamkeit der Wildnis niederkrachen.

Die Geschichte von Alt-Catawba ist die Geschichte von Millionen Menschen, die allein in der Wildnis leben, die ihre kurzen Leben in der Stille auf der immerdardauernden Erde gelebt haben, die der Erde und den Millionen Zungen der Erde gelauscht haben, deren Leben der Erde anheimgegeben war, deren Fleisch und Bein wieder in die Erde eingegangen ist, in die ungeheure und furchtbare Erde, die keine Antwort gibt.


 << zurück weiter >>