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Man hatte zu Mittag gegessen, und die Reisegesellschaft – dreißig Frauen, samt und sonders Volksschullehrerinnen aus dem amerikanischen Mittelwesten – war von den Tischen aufgestanden und hatte den Speisesaal des kleinen, stillen Schweizer Gasthofs, in dem sie abgestiegen war, verlassen. Man stand nun nebenan in der Diele, und die Stimmen, schrill, raspelnd und metallisch, klangen zusammen in ein einhelliges, hitzig-heftiges Getös. Eine von den Frauen, die eine autoritative Miene zur Schau trug, ging nach einer Weile zum Speisesaal zurück, blieb in der Tür stehn und wandte sich heischend an zwei junge Frauen, die sich verspätet hatten und nun noch in Eile aßen:
»Miß Turner! Miß Blake! Kommen Sie?! Der Bus ist da!«
»Schon recht«, antwortete Miß Turner, die kleinere von den beiden. »Ich komm' gleich.«
»Wirklich! Beeilen Sie sich!« mahnte die ältere Frau vorwurfsvoll, eh sie sich abwandte. »Wir sind alle fertig und warten nur noch auf Sie!«
Schnell blickte Miß Turner Miß Blake an und sagte leis:
»Kommen Sie! Es ist wohl besser, wir gehn. Sie wissen ja, daß Wartenmüssen Mißlaune macht.«
»Schön! Gehn Sie also! Ich komm nämlich nicht mit«, erklärte Miß Blake ruhig. Miß Turner sah sie ein wenig überrascht an. »Ich hab' mich entschlossen, diesen Nachmittag auszusetzen. Ich hab' mehrere Briefe zu beantworten, und wenn ich es heut nicht tu', komm' ich nie dazu.«
»Das versteh' ich gut«, sagte Miß Turner. »Mir geht's genau so. Ich hab' seit vierzehn Tagen keinem Menschen geschrieben, man kommt einfach nicht dazu bei dieser Hetzerei.«
Die beiden standen auf und gingen zur Tür, wo sie stehnblieben und einander zum Lebewohl ansahen. Einen Augenblick entstand eine gespannte, verlegne Stille zwischen ihnen, ganz so, als warte immer die eine darauf, daß die andre spräche. Miß Turner war es, die das Schweigen brach.
»Nun«, sagte sie, »jetzt werden wir uns wohl lange nicht sehn.«
»Ei wieso denn?« fragte Miß Blake. »Sie kommen doch erst noch hierher zurück, eh Sie zur Bahn fahren.«
»Nein, glaube ich nicht«, erklärte Miß Turner. »Unser Gepäck ist schon zum Bahnhof gebracht worden, und ich denke mir, daß wir dort auf der Rückfahrt gleich aussteigen werden ... versteht sich, nur die Mädchen aus meiner Gruppe.«
»Ja, dann freilich nicht, dann werden wir uns erst in Wien wiedersehn«, sagte Miß Blake auf ihre merkwürdig trockne, tonlose Art.
»Ja«, sagte Miß Turner. »Und dann müssen Sie mir erzählen, wie alles war. Ich möchte beinah lieber mit Ihrer Gruppe fahren, ich hab' mir immer gewünscht, nach Italien zu reisen, fast noch mehr als an den Rhein; aber man kann nicht alles auf einmal haben, nicht wahr?«
»Ja«, pflichtete Miß Blake bei. »Bestimmt nicht.«
»Immerhin, wunderbar viel kriegt man schon zu sehn«, fuhr Miß Turner ziemlich begeistert fort. »Ich meine, wenn man bedenkt, daß die ganze Europafahrt einschließlich der Seereise nur sechs Wochen dauert, ist es wirklich wunderbar viel, was einem geboten wird.«
»Ja«, sagte Miß Blake. »Da haben Sie recht.«
»Also: – Leben Sie wohl! Ich glaub', ich muß gehn.«
»Ja. Das sollten Sie wirklich. Ich möchte nicht, daß Sie den Bus versäumen. Leben Sie wohl!«
»Alles Gute!« sagte Miß Turner. »Und auf Wiedersehn in Wien! Und viel Vergnügen, und geben Sie gut auf sich acht!«
»Schon recht!« sagte Miß Blake tonlos. »Dasselbe gilt auch für Sie!«
Miß Blake sah zu, als der Bus abfuhr. Dann ging sie schnell hinauf auf ihr Zimmer und machte sich an einen angefangnen Brief. Sie schrieb:
»England war unser erstes Reiseziel. Wir landeten und blieben eine Woche, aber während unsres Aufenthalts in London hat es die ganze Zeit geregnet. Der Kaffee dort schmeckt abscheulich. Der ganze Fahrverkehr in England bewegt sich links, und daran konnte sich keins von uns Mädchen gewöhnen. Es hätte nicht viel gefehlt, und Miß Cramer, ein Mädchen aus unsrer Reisegesellschaft, wäre überfahren worden, weil sie, als sie über die Straße ging, in die falsche Richtung geguckt hatte. So kommen, wie ich weiß, in London viele Verkehrsunfälle vor. In London war es auch, wo Miß Jordan beim Aussteigen aus einem Bus ausglitt, hinfiel und sich den Knöchel verstauchte. Sie ist ein Mädchen aus unsrer Reisegesellschaft, aber von London kriegte sie nichts zu sehn, weil sie während unsres ganzen Aufenthalts dort im Bett lag, und seitdem geht sie mit verbundnem Knöchel und an einem Stock. Wir haben in London zwei Autobusrundfahrten gemacht und sind auf diese Weise in der ganzen Stadt herumgekommen. Vormittags sahen wir die Bank von England, den Tower und die Kronjuwelen; dann aßen wir zu Mittag in einer alten Schenke, wo Dr. Johnson, ein guter Freund Shakespeares, zu speisen pflegte. Das war besonders interessant für Miß Barrett, weil sie Englisch für Oberklassen an ihrer Schule in Moline gibt. Sie ist ein Mädchen aus unsrer Reisegesellschaft. Nach dem Mittagessen sahen wir den Trafalgar Square mit Nelsons Monument, die Westminster Abbey mit der Poets Corner und den Buckingham Palace mit den auf und ab stolzierenden Wachtposten. Wir kamen dort gerade an, als der King und die Queen ausfuhren. Sie konnten wir genau sehn, aber vom King beinah nichts, weil sie so einen großen Hut aufhatte, Der arme Mann tat einem einfach leid. Wie Miß Webster sagte, er sah klein aus wie ein Pantoffelheld neben dem großen Hut. Miß Webster ist ein Mädchen aus unsrer Reisegesellschaft.
Einen Tag verbrachten wir in Oxford. Wir hatten schönes Wetter, und den ganzen Tag dort hat es nicht geregnet. Und wieder einen Tag verbrachten wir in Stratford-on-Avon, wo Shakespeare geboren wurde. Aber, wie Miß Webster sagte, seitdem er drin gelebt hat, ist sehr viel an und in dem Haus zurechtgemacht worden. An jenem Vormittag regnete es nicht, aber als wir von Stratford wieder abfuhren, fing es schon wieder an. Es regnete die meiste Zeit, die wir in England waren. Kein Wunder, daß alles so grün ist.
Das nächste Land, das wir besuchten, war Holland. Von allen Ländern, die wir bisher gesehn haben, gefällt mir Holland am besten. Dort ist alles so sauber. Wir blieben drei Tage, und während der ganzen Zeit hat es nicht geregnet. Einen Tag waren wir in Amsterdam und fuhren hinaus auf die Insel Marken, wo die Leute noch ihre altmodischen Volkstrachten tragen und selbst die kleinen Kinder Holzschuhe anhaben, ganz so, wie es seit Jahrhunderten gewesen ist. Miß Turner hat von ein paar Kindern Aufnahmen gemacht. Sie macht eine Sammlung von Bildern, um sie zu Haus ihren Klassen zu zeigen. Ihre Sammlung ist sehr interessant, und die meisten von ihren Aufnahmen sind geglückt. Miß Turner ist ein Mädchen aus unsrer Reisegesellschaft.
Je einen Tag verbrachten wir in Haarlem und im Haag. Wir sahen den Friedenspalast und mehrere Gemälde von Rembrandt, darunter die ›Anatomie‹, die zu sehen mich sehr interessiert hat und gewissermaßen Wasser auf meine Mühle war, denn wenn die Schule wieder anfängt, werde ich dieses Material gut für meine Zeichenstunden ausnützen können.
In Holland hatten wir auf der ganzen Reise den nettesten Führer. Wir alle schwärmten für ihn und haben seitdem oft an ihn gedacht und über ihn gelacht. Er war ein alter Mann, namens Singvogel, und als Miß Watson, ein Mädchen aus unsrer Reisegesellschaft, ihn fragte, was der Name bedeute, sagte er, sein Name bedeute »Song-bird«, und so haben wir ihn »our song-bird« getauft. Da konnte man sagen, was man wollte, Mr. Singvogel war nicht kleinzukriegen. Er hatte stets eine Antwort parat, und darüber haben wir seitdem immer lachen müssen, sooft wir an Mr. Singvogel dachten. –
Singvogel heiß ick, und das heißt Sonk-Birt. Singvogel dem Namen nack, Singvogel der Natur nack. Wenn Sie nett zu mir sint, mejne Damen, dann sing ick Ihnen viellejckt was vor. Nun kommen wir zu dem alten Schrotturm. Er wurde erbaut im Jahr secksehnhundertswansick mit Kontribuschionen von allen Stadtbörgern. Das Dach ist aus Golt und Silfer, das die Damen von ihrem Geschmejd und Smuckstickern und andern Kostbarkeiten hergegeben haben. Die bejden Gestalten, die Sie da droben ober der alten Uhr stehen sehn, sollen den damaligen Börgermejster Pieter van de Honderkötter darstellen und dessen Frau Matilda. Unt um Punkt drej Uhr nun werden Sie sehn, wie die bejden da droben auf die klejne Plattform herauskommen, sich herumbdrehen und mit ihren goltnen Hämmereken auf die Glock slagen ... So! Geben Sie ackt! Jetzt kommen sie! – So! Ejns! Der Börgermejster slagt ejnmal sejnersejts. – So! Jetzt! Swej! Die Dame slagt ihrersejts ejnmal – So! Jetzt! Drej! Der Börgermejster slagt sejnersejts noch ejnmal ... – unt nun ist es drej Uhr, unt alles ist herumb auf ejne Stunde, – und mejne Damen, hier erlebt man es bekanntlick sum ejnzicksten Mal, daß ejn Mann ejner Frau gegenüber das letzte Wort behält. –
Oh, der Mr. Singvogel war nicht unterzukriegen, er hatte stets eine Antwort parat! –
Nun, mejne Damen, der Bau dieses Turms hat swölf Millionen Gilder gekostet, was fünf Millionen Dollar baren Geltes sint, und an diesem Turm ist secksehn Jahre gebaut worden, und das Golt, das Geschmejd und die edlen Metalle im Dach sind allejn eine Million unt sweihundertuntfünfsick Dollar wert. Der Turm mißt swejhundertuntdrejuntsecksick Fuß vom Schejtel bis zur Sohle, unt die Treppe hat drejhundertuntfünfuntsecksick Stufen, för jeden Tag im Jahr ejne, unt in jede Stufe ist der Name eines Stadtbörgers gemejßelt, der Gelt för den Bau hergegeben hat. Unt wenn Sie die Stufen gern selbst sählen möckten, dann können Sie jetzt hinaufstejgen, ick aber werde, denk' ich, lieber hierblejben, denn obschon mejn Name Sonk-Bird bedeutet, sum Fliegen bin ick su alt. – –
Mr. Singvogel verstand, über alles und jedes einen Spaß zu machen. Wir stiegen also auf den Turm hinauf, und als wir wieder herunterkamen, sagte Miß Powers, Mr. Singvogel sei im Irrtum, sie hätte beide Male, beim Hinauf- und beim Hinuntergehn, dreihundertsiebenundsechzig Stufen gezählt; Miß Turner aber sagte, sie könne beschwören, er habe recht, denn sie hätte beide Male dreihundertfünfundsechzig Stufen gezählt. Und da sagte Mr. Singvogel: »Nun, mejne Damen, ick will Ihnen erklären, wieso das kommt. Sie sint bejde im Irrtum, wejl ick Sie angelogen habe. Ick vergaß nämlick, Ihnen su sagen, daß dies Jahr ejn Schaltjahr ist, und wenn es Schaltjahr ist, dann ist es immer ejne Stufe mehr. Dies Jahr werden sie, wenn Sie nochmal nachsählen wollen, auf drejhundertuntsecksuntsecksick Stufen kommen.«
Nun ja, da mußten wir lachen, weil man den Mr. Singvogel einfach nicht unterkriegen konnte. Miß Powers aber ärgerte sich schrecklich, und wollte einen Eid darauf leisten, daß sie beide Male dreihundertsiebenundsechzig Stufen gezählt hätte. Sie hatte einen Wortwechsel mit Miß Turner darüber, und so kommt es, daß die beiden seither kaum miteinander gesprochen haben. Aber Holland hat uns sehr gefallen, geregnet hat es nicht dort, und von Mr. Singvogel waren wir alle sehr begeistert.
In Paris blieben wir vier Tage, und es regnete nur einmal. Eigentlich aber waren wir nur drei Tage dort, denn wir kamen spät am Abend an und waren alle so müde, daß wir, im Hotel angelangt, gleich zu Bett gingen. Doch geschlafen haben wir nicht viel, denn Paris ist die lauteste Stadt, die man sich vorstellen kann, und die kleinen Taxihupen haben die ganze Nacht unterm Fenster getutet, daß es fast zum Verrücktwerden war. Ein paar von den Mädchen dachten schon, sie hätten ihr Gepäck verloren, – es kam nämlich nicht mit unserm Zug an –, und hatten deswegen beinah Tobsuchtsanfälle; endlich an dem Tage, an dem wir nach der Schweiz weiterfuhren, kamen die Koffer, und Miß Bradley sagte, die Sorge um ihr Gepäck hätte ihr den ganzen Aufenthalt in Paris verdorben. Miß Bradley ist ein Mädchen aus unsrer Reisegesellschaft.
Am ersten Vormittag machten wir eine Rundfahrt im Autobus; wir besichtigten Notre-Dame und das Quartier Latin, den Eiffelturm und den Arc de Triomphe. Dann fuhren wir zum Essen ins Hotel zurück. Nach Tisch gingen ein paar von uns Mädchen Einkäufe machen, wir andern aber besuchten den Louvre, wo wir nicht sehr lange blieben, sondern gerade lang genug, um ungefähr einen Begriff zu haben und um die Mona Lisa zu sehen. Für den Abend hatten wir alle Karten für die Opéra, wir sahen »Faust«. Am nächsten Abend gingen wir in die Folies Bergères, und am letzten Abend fuhren wir in Autobussen auf den Montmartre, um dort das Pariser Nachtleben kennenzulernen.
Heute sind wir in Montreux. Hier teilt sich unsre Reisegesellschaft in zwei Gruppen. Die andern machen die Rheinreise und fahren dann nach München, in die Bayrischen Alpen und nach Salzburg, während wir die Schweiz und Italien besuchen. Nach Abstechern in Mailand, Venedig, Florenz, Rom und im österreichischen Tirol werden wir in vierzehn Tagen in Wien wieder mit der andern Gruppe zusammentreffen.
Natürlich tut es uns leid, den andern Mädchen – wenigstens den meisten – Lebwohl sagen zu müssen, aber wir wissen ja, daß es nur auf vierzehn Tage ist, und dem Wiedersehn in Wien sehen wir begierig entgegen und freun uns drauf, daß wir einander dann von unsren Erlebnissen erzählen können. Aber, offengestanden, eine oder zwei von den Mitreisenden könnten wir Mädchen gut entbehren. Auf so eine Tour gehen eben immer eine oder zwei mit, die nicht reinpassen, und die ihr möglichstes tun, um den andern den Spaß zu verderben. Jene Miß Powers ist so eine. Immer war etwas los mit ihr, entweder hatte sie dieses vergessen oder jenes stehenlassen, oder gar ihr Gepäck verloren, und wir wurden es wirklich müde, daß sie die ganze Zeit japste, es wären dreihundertsiebenundsechzig Treppenstufen in jenem alten Schrotturm gewesen, und sie wäre bestimmt im Recht, und Miß Turner hätte sich geirrt, – bis Miß Turner schließlich sagte: »Schon gut! Es soll sein, wie Sie sagen. Es waren also dreihundertsiebenundsechzig Stufen. Wen kümmert es denn? Bloß, um Himmels willen, vergessen Sie die Sache doch, und gönnen Sie uns andern ein bißchen Frieden!«
Das natürlich brachte Miß Powers nur noch ärger auf; sie war einfach wütend. Sie ist sicher eine Plage, wenn mir je eine vorgekommen ist. Immer ging sie eins von den Mädchen an und wollte etwas in ihr Memory Book geschrieben haben. Das Memory Book hatte sie immer dabei, ich glaub', beim Schlafengehn legt sie sich's unters Kopfkissen. Und nun, wenn eins von den Mädchen einen Ulk machen möchte, braucht es bloß zu einem andern zu sagen: »Wollen Sie mir nicht bitte was in mein Gedenkbuch schreiben?« Das hat sich bereits zu einem regelrechten Scherz ausgewachsen. Aber Miß Powers war gewiß eine Plage, und keins von den Mädchen aus meiner Gruppe sagt ihr ungern Lebwohl.
Den heutigen Tag verbringen wir in der Schweiz. Heut morgen haben wir Genf, die Stadt des Völkerbundes, und das berühmte Schloß Chillon besichtigt. Und heut nachmittag, während ich hier schreibe, sind die andern alle auf einer Autobusfahrt durch die Alpen. Heut abend fahren wir weiter nach Rom.
Nun, es war eine wundervolle Reise und ein wundervolles Erlebnis, und außerdem war es auch sehr bildend. Ich kann es schon kaum erwarten, daß ich heimkommen und die Zeit finden werde, um über all die vielen schönen Dinge nachzudenken, die ich gesehn habe.
Die Tour ist von Anfang bis zu Ende gut vorbereitet, das merkt man, und im großen ganzen sind die Mädchen davon begeistert, wie fein die einzelnen Reisen geplant, eingerichtet und geleitet werden, denn freilich, wenn man so viele Länder sieht, – es werden insgesamt neun sein: – England, Holland, Belgien, Frankreich, die Schweiz, Italien, Österreich, die Tschechoslowakei und Deutschland – und wenn man dafür, die Schiffsreise abgerechnet, einunddreißig Tage hat, da muß man schon sagen, es ist wirklich wundervoll, was man in so einem kurzen Zeitraum alles geboten kriegt.
Wenn ich versuche, mich an all die Stätten, die wir besichtigt, und an das viele Schöne, das wir gesehn haben, zu erinnern, dann wird mir manchmal ein bißchen wirr im Kopf. Sollte ich je zurückkommen, dann werde ich, denk' ich, langsamer reisen und in kleinerer Gesellschaft, mit einer oder zwei Freundinnen vielleicht. Aber ich bin gewiß froh, daß ich mich der Reisegesellschaft angeschlossen habe, denn die Tour gibt einem auf diese Weise einen Überblick; man kann sich so die wichtigsten Punkte merken, so, daß man weiß, was man wiedersehn möchte, wenn man ein zweites Mal kommt. Und sehr bildend ist es wirklich gewesen. Trotzdem, leid wird mir's nicht tun, die Heimat wiederzusehn. Ich freu' mich jetzt schon drauf.
Und ich freu' mich furchtbar auf das Wiedersehn mit Dir, und sobald ich zurück bin, müssen wir uns gleich mal lange unterhalten. Ich bin ganz ausgehungert nach Nachrichten. Gibt's was Neues? Geht Ted noch mit der Trumbull, oder hat er sich eine neue ›inamorata‹ gesucht? (Ist Liebe nicht was Großes? Besonders wenn man siebzehn ist! Hah-hah!) Bist Du im Sommer auf der Hütte gewesen, und waren Bill und Lola dort? Ließe es sich vielleicht einrichten, daß sie uns übers erste Wochenend nach meiner Rückkehr mithinausnähmen? Gut wird mir tun, mal zur Abwechslung eine Tasse wirklichen Kaffee zu trinken. Der Sommer ist gekommen und gegangen, eh' ich es recht gewahr ward, und bald wird der Herbst wieder da sein –«
... und Holzfeuerrauch in Ohio und flammendes Ahornlaub und frostige Sternennächte und heller Mond, der im gleichen Winkel über tausend Straßen steht und still neben dem Kirchturm untergeht; Nächte von Rad, Schiene und Schelle und mit dem langgezognen Klageschrei der Lokomotive am Flußufer; Nachsommernächte und Nächte von Reif, Stille und Hundegebell, Nächte des lauschenden Menschen, des ungesprochnen Worts und des stummen Herzens, und Nächte im alten Oktober, der wiederkommen, wiederkommen muß, während wir im Dunkel warten und warten und warten auf all unsre Freunde und Brüder, die nicht wiederkommen werden.
»Auf Wiedersehn im September.«