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Einst pflückt' ich dir Veilchen im Frühlingslicht
Und einmal – beim Scheiden – Vergißmeinnicht;
Dann wand ich dir blühende Rosen zum Strauß
Und trug sie dir blühenden Herzens nach Haus.
Es war in des Lebens Rosenzeit;
Da brannte in glühender Seligkeit
Das Blut uns in jeder Fiber;
Heut' aber bring' ich, dir ewig hold,
Dir duftendes Geißblattdoldengold.
Es heißt auch »Jelängerjelieber«.
Je länger, je lieber! Schon sehn wir zurück
Auf rollende Jahre im Liebesglück.
Hoch über uns blaute des Himmels Zelt.
Wir zogen hinaus in die leuchtende Welt.
Vom Rheine hinab zum Guadalquivir,
Hinauf an die Newa zog ich mit dir,
Vom Don zum Ilissos und Tiber!
Dann kehrten zurück wir zum alten Rhein.
Wie warm ist der heimische Sonnenschein!
Ich hab' dich je länger, je lieber.
Die schönen Ruhetage in Biarritz verflogen wie ein kurzer Rausch. Schon am 5. Mai 1879 traten wir unsere Weiterreise an. Erst am 5. Oktober kehrten wir in unser Düsseldorfer Heim zurück. Fünf volle, anstrengende Reisemonate, in denen Frankreich und England sich vor uns auftaten, lagen noch vor uns. Die Hauptarbeit für meine eigentlichen Reisezwecke begann jetzt erst. Das Ziel, alle alten Landschaftsgemälde aller öffentlichen und Privatsammlungen Englands und Frankreichs kennenzulernen oder wiederzusehen, war wohl zu weit gesteckt; aber soweit es innerhalb der gegebenen zeitlichen und örtlichen Grenzen lag, wurde es erreicht.
Daß ich die junge Frau, die mich begleitete, bei dieser Gelegenheit aber auch allen übrigen Kunstschöpfungen, Naturschönheiten und Lebensfluten, die diesen Ländern eigenen, zuführen, sie ihr deuten und mit ihr genießen durfte, umwand auch diese arbeitsreichen Monate mit unverwelklichen Blütenkränzen reinsten Erdenglücks. Wollte ich den Eindruck und die Nachwirkung der inhaltsreichen Wochen schildern, die ich damals an der Seite meiner für alles empfänglichen, alles mitempfindenden Reisegefährtin in Paris und in London schauend und sammelnd, vergleichend und ergründend und doch nach aller Arbeit wieder unbefangen und voll genießend verlebt habe, würde ich keinen Anfang und kein Ende finden.
Lehr- und genußreich waren auch die Zickzackfahrten durch ganz Frankreich, die, von ewigen Kathedralen durchragt, vor allem den französischen Provinzialgalerien galten; noch lehrreicher und genußreicher aber in Großbritannien die kunstgeschichtlichen Streifzüge von einer Grafschaft zur anderen, von einem der an Gemäldeschätzen so reichen, vornehmen englischen Landsitze zum andern, die sich uns, dank dem offenen Empfehlungsbriefe an die » Nobility and Gentry« des Landes, den unser Londoner Botschafter, Graf Münster, mir mitgegeben hatte, fast ausnahmslos öffneten. Aber auch die kleineren Städte wurden nicht vernachlässigt. Salisbury mit seiner entzückenden frühgotischen Kathedrale hielt uns zwei Tage fest; und von hier aus besuchten wir Stonehenge, das am geschlossensten erhaltene Baudenkmal der vorgeschichtlichen Bronzezeit Europas. Welche Fülle nicht nur baugeschichtlicher, sondern auch landschaftlich malerischer und poetischer Anregung! Auch Bristol, Clifton und Bath sah ich wieder, in denen mich die Erinnerung an alles, was ich als Sechzehnjähriger hier erlebt und geschaut hatte, unentrinnbar verfolgte. In Shakespeares Geburts- und Sterbestadt Stratford am Avon traten uns im Hause, im Garten und am Grabe des Dichters die Erinnerungen an ihn als den großen Dichter so handgreiflich und lebendig entgegen, daß wir die Zweifel daran, ob er, der große Schauspieler, auch der Dichter seiner Stücke gewesen sein könne, gar nicht verstanden haben würden, wenn diese Zweifel damals schon an die Öffentlichkeit getreten wären. Edinburg erschien mir nach Konstantinopel, Neapel und Genua wieder als eine der schönsten Städte der Welt.
Zum Abschluß unserer Reise aber suchten wir den hohen Norden Schottlands auf. Die eigenartige Größe der nordwestschottischen Küsten- und Insellandschaft mit ihren tiefeinschneidenden Meeresarmen, ihren kahlen Bergen, ihren blauen Buchten und weitgestreckten, in schroffe Vorgebirge auslaufenden Landzungen verwebt sich in unserer Erinnerung mit der griechischen Landschaft, der sie gleicht. Nordisch wild und reckenhaft kühn aber umfing uns die Insel Skye mit ihren steilen Abhängen und ihren mächtigen grauen Felsennadeln, die, obeliskenhaft aufgeschossen, gen Himmel starren. Wie ergreifend die Aussicht von der Platte des Berges Quiraing! Tief unten lag das Meer. Totenstille herrschte rings umher. Nur ein heiserer Möwenschrei tönt von Zeit zu Zeit durch die Luft. Alles menschliche Treiben liegt in unerreichbarer Ferne. Wir vergessen, daß es noch andere Menschen auf der Welt gibt als uns, die wir eins sind. Wir glauben am Ende der Welt, in Ultima Thule zu sein. Einen würdigeren Schlußstein konnte unsere große Reise nicht finden, die uns von der Natur zur Kunst und von der Kunst, der sie galt, immer wieder ans Herz der Natur zurückgeführt hat.
Als wir nach vierzehnmonatiger Abwesenheit 1879 wieder in Düsseldorf einzogen, fanden wir hier nur wenig verändert.
Immer noch wälzte der alte Rhein seine graugrünen Fluten breit und reißend unter der niedrigen Schiffbrücke her und an der Ruine des alten, 1872 abgebrannten Schlosses vorüber durch das fruchtbare Flachland; immer noch rauschten die hohen, jetzt herbstlich gelben Bäume des Hofgartens im Herzen der Stadt ihre idyllischen Friedensmelodien, unbekümmert um den Lärm der Fabriken, die die äußere Stadt von Jahr zu Jahr in dichterem Halbkreis umschlossen; immer noch wandelten an sonnigen Nachmittagen die wohlhabenden Düsseldorfer und Düsseldorferinnen festlich gekleidet, um zu sehen und gesehen zu werden, in langer Doppelreihe einander begegnend, unter dem breiten Baumgang am schnurgeraden Düsselkanal der Königsallee auf und ab. Der Malkasten, das schöne Düsseldorfer Künstlerheim, stand immer noch an seinem alten Flecke. Im Bau begriffen waren die neue Kunsthalle Ernst Gieses auf dem Friedrichsplatz und das neue Ständehaus Raschdorffs am Schwanenspiegel. Fertig aber erhob sich am Rheinhafen der stattliche Neubau der Kunstakademie, in die nach sieben Behelfsjahren übersiedeln zu dürfen die lehrende und die lernende Künstlerschaft der niederrheinischen Kunstanstalt sehnsüchtig erwartete.
Die Einweihung des Neubaues fand am 20. Oktober 1879, vierzehn Tage nach unserer Rückkehr von unserer Reise, mit großen Feierlichkeiten statt, zu denen Abgesandte aus ganz Deutschland erschienen. Sie galt als ein Ereignis im Kunstleben Deutschlands und war wirklich ein solches im Kunstleben Düsseldorfs. Da mir die Festrede im neuen Gebäude zu halten und das Festmahl in der Tonhalle auszurichten übertragen wurde, hatte ich gleich vollauf zu tun.
Es war keine Kleinigkeit gewesen, den Neubau an dieser Stelle durchzusetzen, die Frage hatte alle beteiligten Behörden und den Lehrkörper der Akademie schon während meiner ersten Düsseldorfer Jahre lebhaft beschäftigt. Ein Neubau auf dem üblichen Grundriß eines gleichseitigen Vierecks scheiterte an der Weigerung des Besitzers eines Grundstücks, das zu dem schmalen städtischen Gelände hätte hinzuerworben werden müssen. Erst diese Weigerung aber zeitigte den Entschluß, aus der Not eine Tugend zu machen und ein ganz langgestrecktes Gebäude von geringer Tiefe auf dem Streifen Landes zwischen dem Hafen und der Stadt zu errichten. Die Ausführung wurde dem jungen Architekten Heinrich Riffart aus der Berliner Renaissanceschule Heinrich Stracks übertragen. Der Grundstein war 1875 gelegt worden.
Das Gebäude, das jetzt bezogen wurde, besteht fast nur aus einer einzigen langen Fassade mit reinem, ruhigen Nordlicht. Der Eingang ist an die östliche Schmalseite verlegt worden. Der Sockel, das Erdgeschoß und das erste Stockwerk sind aus Quadern errichtet. Terrakottaplatten, die auf rotbraunem Grunde mit gelblichen Renaissanceornamenten geschmückt sind, beleben das erste, ähnliche, mit bildlichen Darstellungen ausgestattete Platten das zweite Obergeschoß, das das höchste und vornehmste des Gebäudes ist. Als Meisterwerk deutscher Baukunst werden wir die Düsseldorfer Kunstakademie von 1875, die sich immerhin gut gegliedert in den Wellen des Hafens spiegelt, nicht eben feiern wollen; aber da der Bau seinen Zwecken genügte, fühlten wir uns rasch und behaglich in ihm zu Hause. Mein Vorlesungssaal, dem ein kleines Arbeitszimmer angehängt war, lag an der aussichtsreichen westlichen, dem Strom zugekehrten Schmalseite. Größer war die Aula im Mittelbau, die Peter Janssen, der spätere Direktor der Akademie, mit einem wohl abgewogenen Gemäldefries ausstattete. In ihr wurde die kleine Sammlung alter Bilder aufgehängt, die Düsseldorf durch irgendeinen Zufall aus seiner alten berühmten Galerie gerettet oder seitdem erworben hatte. Rubens' großes Bild der Himmelfahrt Mariä, das sich ebenbürtig den beiden herrlichen gleichen Darstellungen des Meisters in der Kathedrale von Antwerpen und im Brüsseler Museum anreiht, blieb 1805 nur deshalb in Düsseldorf zurück, weil es, auf Holz gemalt, zu groß und zu schwer war, in derselben Art wie die übrigen Gemälde fortgeschafft zu werden. Jetzt hing es, weitaus das wuchtigste Kunstwerk, das Düsseldorf besaß, an der östlichen Schmalseite des Aulasaales.
Bei der Einweihungsfeier stand das Rednerpult gerade unter Rubens' Himmelfahrt Mariä; zu seinen beiden Seiten saßen die Mitglieder des Kuratoriums und des Lehrkörpers der Akademie. Die gegenübergelegene Schmalseite der Aula war mit alten Kunstgeweben, frischen Laubkränzen, aus denen goldene Früchte hervorblitzten, und funkelnden Geräten jeder Art malerisch und festlich ausgestattet. Aber erst das große, in überirdische Sphären emporweisende Bild des großen Flamen gab dem ganzen Raumschmuck Halt und Weihe.
Weihevoll und stimmungweckend eröffneten die Ouvertüre zum Egmont und der Festchor aus den Ruinen von Athen des großen niederrheinischen Meisters der Töne die Feier. Zur Begrüßung der Ehrengäste ergriff zuerst als Vertreter des Direktoriums – einen Direktor besaß die Akademie seit Bendemanns Abgang nicht – der treffliche Hermann Wislicenus das Wort. Die Reihe der Glückwunschansprachen eröffnete sodann der Kultusminister Robert Viktor von Puttkamer, ein großer, vornehm dreinblickender, mit lang herabhängendem weißen Backenbart geschmückter Herr, der die Grüße des alten Kaisers Wilhelm überbrachte. Er war erst vor einigen Monaten zum Bedauern der meisten von uns an die Stelle des energisch und bürgerlich dreinblickenden, von uns allen geliebten Adalbert Falk getreten, dem die Akademie, wie alle ihre neuen Einrichtungen und Lehrer, so auch ihr neues Haus verdankte. Natürlich sprach Herr von Puttkamer in jeder Hinsicht tadellos. Wärmer sprachen Herr von Bardeleben, der Oberpräsident der Rheinprovinz, Herr von Kühlwetter, der Oberpräsident der Provinz Westfalen, Herr von Hagemeister, der Regierungspräsident von Düsseldorf, der als der schwarze Becker bekannte Oberbürgermeister von Düsseldorf, der nachmals Oberbürgermeister von Köln wurde, und die Rektoren der Bonner Universität und der Aachener Technischen Hochschule. Die Glückwünsche der außerakademischen Düsseldorfer Künstlerschaft überbrachte der alte Rudolf Jordan, dessen Bilder aus dem Leben der Küstenbewohner damals noch immer als klassisch in ihrer Art galten. Wislicenus erwiderte geschickt und herzlich jede der Ansprachen.
Nach diesen Wechselansprachen bestieg ich die Tribüne zu Füßen des großen Rubensbildes, um im Namen des Lehrkörpers der Akademie die eigentliche Festrede zu halten, die hauptsächlich den Gegensatz des Geistes der alten Akademien des achtzehnten Jahrhunderts, deren schablonenhaftes Treiben dem Beiwort »akademisch«, auf Kunstwerke angewandt, einen tadelnden Beigeschmack verliehen, zu dem Geiste der neuen Akademien des neunzehnten Jahrhunderts betonte, die, wie zuerst Cornelius bei der Begründung der neuen Düsseldorfer Akademie im Jahre 1819 hervorgehoben hatte, jeden Schul- und Pinselzwang verwarfen, eine »Manchfalt wahrer Bestrebungen« fordern und fördern und jeden Schüler seinen eigenen Weg gehen lassen sollten und wollten. Auch auf die Zinnen unseres neuen Gebäudes, meinte ich, sollten wir das Banner der Wahrheit und der Schönheit aufpflanzen, unter dem Umwelt und Kunst, Wirklichkeit und Ideal, Natur und Geist sich innig verschmelzen. Wie die Natur die Mutter, sei der Geist der Vater der Kunst.
In bezug auf die Wechselwirkung der bildenden Künste mit der Dichtkunst meinte ich, daß aus ihr von jeher eine Fülle der edelsten und ergreifendsten Schöpfungen hervorgegangen seien. »Zunächst tritt die bildende Kunst, ohne sich etwas zu vergeben, ja oft genug als Illustration geradezu in den Dienst der Poesie. Fern sei es von uns, die Bilder und Zeichnungen, die geistreiche Meister zu unseren Dichtern geschaffen haben, mit Mißgunst anzusehen. Aber die Kunstakademien haben gerade als Wächterinnen der Freiheit der Kunst ihren Bund mit der Poesie doch in freierer und höherer Art aufzufassen. Cornelius sah auch hier das Rechte. ›Der Künstler braucht nicht‹, sagt er, ›den Dichtern nachzudichten. Unsere Kunst ist frei und muß sich frei gestalten. Erwärmen sollen wir uns an der Begeisterung der Dichter. Das ganze Leben soll von ihnen durchdrungen sein; aber wo wir dichten, sollen wir dichten, nicht für uns dichten lassen.‹ Daß das Stoffgebiet der Dichter eine unerschöpfliche Fundgrube für den Maler und den Bildhauer sei, wollte Cornelius gewiß nicht leugnen; aber er sah die Wahrheit, daß dieser Stoff aus der poetischen in die malerische Phantasie hinübergeleitet und aus ihr neugeboren werden müsse, um zum Gemälde zu werden, und daß die Begeisterung, welche die eine dieser Künste entzündet, auch von jeder Gleichheit des Stoffes abgesehen, in der anderen die schönsten Früchte tragen kann. Deshalb werden auch Vorträge über die Werke der Dichtkunst an unseren Akademien gehalten; aber wir suchen sie so einzurichten, daß die Dichtwerke die Einbildungskraft der jungen Künstler befruchten, ohne daß wir uns anmaßen, ihnen vorzuschreiben, wie die Kunstgelehrten zur Zeit der Zopfakademien und selbst noch die Weimarer Kunstfreunde es taten: Male diese oder jene Stelle dieses oder jenes Dichters.«
Nach der Beendigung meiner Rede fiel die Musik unter Julius Tauschs, des städtischen Musikdirektors bewährter Leitung, mit Händels gewaltigem Halleluja aus dem Messias ein und brachte den Festakt, Sammlung und Aufschwung verleihend, zum feierlichen Abschluß.
Bei der Festtafel im Rittersaal der Tonhalle, die nach damaliger Sitte aus einer reicheren Speisefolge bestand, als sie ein Menschenalter später üblich war, folgte natürlich wieder Trinkspruch auf Trinkspruch. Mir war die Tischrede auf das Gedeihen der wissenschaftlichen Schwesteranstalten, deren Vertreter am Festmahl teilnahmen, übertragen worden. Ich schloß mit den Worten: »Nicht nur ergänzen wollen wir uns gegenseitig. Ihnen bleibt ein gutes Stück der Schönheit, wie uns ein gutes Stück der Wahrheit. Gemeinsam wollen wir hochhalten das köstliche Banner. Wie bei den alten Griechen das Gute und Schöne zu einem Begriffe verschmolz, so wollen wir das Wahre vom Schönen und Guten nicht trennen. Im Namen des feierlichen Dreiklangs ›wahr, gut, schön‹ fordere ich Sie auf, mit mir auf das Wohl des Herrn Rektors der Universität Bonn, des Direktors des Polytechnikums Aachen und der Herren Vertreter unserer Düsseldorfer Schulen zu trinken.«
Nach 8 Uhr abends trennten die Festgenossen sich. Die eine Hälfte, in der sich die Minister befanden, begab sich in den »Malkasten«, der, ohne dieses Mal eine besondere Aufführung veranstaltet zu haben, seine Pforten gastfrei, wie immer, öffnete; die andere Hälfte, zu der die Mehrzahl der Akademieprofessoren gehörte, zog auf die feierliche »Kneipe«, die die Akademieschüler nach altakademischer Sitte in einem besonderen festlich geschmückten Saale veranstaltet hatten.
Da ich bei dieser Feier zum erstenmal in amtlicher Stellung verantwortungsvoll in den Vordergrund trat und wiederholt im Namen der Künstler der Akademie das Wort zu ergreifen hatte, empfand ich sie als bedeutungsvolles Ereignis in meinem Leben. Die Anschauungen, denen ich Ausdruck verlieh, entsprachen denen der zur Erneuerung der Akademie in den letzten fünf Jahren nach Düsseldorf berufenen Künstler, die im damaligen Sinn für modern galten. Daß ich damals eine gewisse Vorliebe für die junge realistische Kunst hegte, ließ ich doch nur ahnen. Daß an dieser Stelle gerade den aufkommenden, einseitig realistischen Auffassungen gegenüber die idealen Seiten der Kunst betont werden mußten, lag mir im Gefühl; und ich freue mich heute, daß ich sie betont habe.
Die ganze Feier erschien uns damals wichtig genug, um die Kunde von ihr der Nachwelt zu übermitteln. Ich wurde beauftragt, sie in einer Denkschrift zu schildern, die 1880 im Verlage der königlichen Hofbuchdruckerei von L. Voß & Co. in Düsseldorf erschien. Der Inhaber dieses Geschäfts, Johannes Voß, ein Urenkel des alten Dichters Johann Heinrich Voß, hatte damals den Wunsch, seine Druckerei zu einer Verlagsanstalt zu erweitern. Ich hatte ihn im »Malkasten« kennengelernt. Wir standen schon seit längerer Zeit in freundschaftlichen Beziehungen zueinander. Ich überließ ihm auf seinen Wunsch daher gern den Verlag nicht nur der Denkschrift, sondern auch der Sonderausgabe meiner Festrede, die er in hübscher Ausstattung erscheinen ließ; ja, als er sich darauf erbot, die Tagebücher meiner jüngsten großen Reise herauszugeben, zögerte ich nicht, ihm auch den Verlag dieses Buches zu übertragen, das 1880 in zwei Bänden unter dem Titel » Kunst- und Naturskizzen aus Nord- und Südeuropa« erschien.
Mein Freund Alfred Woltmann, der inzwischen ordentlicher Professor der Straßburger Universität geworden war, hatte mir freilich von der Veröffentlichung dieser »Kunst- und Naturskizzen« abgeraten. Er meinte, wie er seine Kollegen kenne, würde dieses Buch, da es nicht in streng wissenschaftlicher Form gehalten sei und manche Allotria brächte, meiner Berufung an eine Universität hinderlich sein. Aber das Bedürfnis, mitzuteilen, was ich erlebt und empfunden hatte, das der Urquell alles Schrifttums ist, gewann bei mir, wie immer, die Oberhand über Nützlichkeitserwägungen dieser Art. Das Buch durch Kürzung und Überarbeitung druckfertig zu machen, war mir eine besondere Freude; und daß die Veröffentlichung der »Kunst- und Naturskizzen«, denen auch die Auszüge der vorigen Kapitel in freier Behandlung entlehnt sind, meinem Fortkommen nicht geschadet, sondern genützt hatte, sollte sich bald genug herausstellen. Auch der Verleger mußte mit dem Erfolge nicht unzufrieden sein, da er sich erbot, mir ein anständiges Honorar für den nächsten Band meiner Gedichte zu zahlen, den ich herausgeben würde. Als größten Erfolg der »Kunst- und Naturskizzen« aber empfand ich es, daß ich ihr Schlußkapitel später in dem bekannten norddeutschen Schullesebuch von A. Kippenberg (Hannover 1892) wiederfand.
Meine kunstgeschichtlichen Vorlesungen in der Akademie wurden nach den Einweihungsfeierlichkeiten, wie ich glaube, fruchtbarer, als sie vorher gewesen waren. Zahlreiche große Photographien nach Gebäuden, Bildwerken und Gemälden, die ich von meiner Reise mitgebracht hatte, dienten zur anschaulichen Belebung meiner Vorträge. Störend empfand ich es allerdings, die Blätter mit den gerade erläuterten Kunstwerken vom Katheder hinabreichen und von Hand zu Hand wandern lassen zu müssen. Die Aufmerksamkeit wurde durch dieses Verfahren naturgemäß von dem Folgenden abgelenkt und zersplittert. Ich ging daher bald dazu über, die Abbildungen auszulegen und auszustellen. Dies hatte aber wieder den Nachteil, daß nicht alle Schüler nach dem Vortrag Zeit oder Lust hatten, sie sich anzusehen. Als daher in den nächsten Jahren das »Projektionsverfahren« aufkam, durch das es möglich wurde, die auf Glas übertragenen Abbildungen bei künstlicher Beleuchtung stark vergrößert an der weißen Wand neben sich oder hinter sich erstehen zu lassen, erbat ich mir in einer an das Kultusministerium gerichteten Denkschrift die Mittel, dieses seither allgemein üblich gewordene Verfahren in meinen Vorlesungen einzuführen. Die Bewilligung erhielt ich leider erst kurz vor meiner Abberufung nach Dresden, so daß das damals als notwendige Neuerung empfundene Verfahren, das übrigens seine Nachteile hat wie jedes andere, in Düsseldorf erst von meinem Nachfolger angewandt werden konnte.
Fast noch größere Freude aber als meine regelmäßigen kunstgeschichtlichen Vorträge machten mir nach wie vor meine Vorlesungen über die Werke der großen Dichter aller Zeiten und Völker und aus ihnen. Äschylos und Sophokles, Goethe und Shakespeare, am öftesten Shakespeare, kamen immer wieder an die Reihe und wurden mit Begeisterung vorgetragen und ausgenommen.
Die Schülerabende in meiner Wohnung litten natürlich nicht unter meiner Verheiratung. Im Gegenteil, sie gewannen durch die schöneren und größeren Räume, in denen sie abgehalten wurden, durch die zahlreicheren, von meiner Reise mitgebrachten Abbildungen, die hier im kleineren Kreise zur Hand genommen und erläutert werden konnten, aber auch durch den Vorsitz einer anmutigen jungen Frau bei den gastlichen Abschlüssen dieser Abende, an innerer und äußerer Belebtheit.
Wir waren nach unserer Heimkehr zu meiner Schwiegermutter in das schöne, dem Hofgarten zugewandte, durch den Tod meines Schwiegervaters verwaiste Haus in der Alleestraße gezogen, in dem wir das Erdgeschoß und einen Teil des zweiten Obergeschosses bewohnten, für unsere Geselligkeit aber auch die fein und geschmackvoll ausgestatteten Gesellschaftsräume des ersten Obergeschosses zur Verfügung hatten. Die Voraussetzungen, eine größere gastliche Geselligkeit zu entfalten, als sie jungen Ehepaaren glücklicherweise in der Regel vergönnt ist, waren also gegeben. Wir drängten uns keineswegs dazu, unseren gesellschaftlichen Familienverkehr auszudehnen; aber meine und meiner Frau alte Beziehungen kamen zusammen, und neue Beziehungen, die sich von selbst ergaben, taten das ihre dazu, daß der gesellige Verkehr, der in jenen Jahrzehnten in unserem von Haus aus gastfreien Deutschland in übertriebener und oft ungesunder Weise im Mittelpunkt der Sorgen und des Strebens des Familienlebens stand, uns bald genug nahezu über den Kopf wuchs.
Man kann diese sittengeschichtlich lehrreiche Erscheinung nicht übergehen, wenn man an die Lebensführung der deutschen Professoren-, Beamten-, Offiziers- und Künstlerkreise jener Jahrzehnte zurückdenkt. Es gibt ja nichts Schöneres auf der Welt, als mit lieben Freunden und Freundinnen zu anregender Unterhaltung bei gemeinsamem Mahle zusammenzukommen. Die Sitte gewinnt aber ein anderes Ansehen, wenn an die Stelle der lieben Freunde nach herkömmlichem Brauche Menschen treten, die uns gleichgültig oder gar unausstehlich sind und mit denen wir doch auf dem Fuß gegenseitiger, mindestens einmal jährlich wiederkehrender Einladungen stehen, weil sie unsere Kollegen oder weil sie entfernte Verwandte entfernter Verwandten sind oder weil sie sich aus irgendeinem Grunde für berechtigt gehalten haben, uns zu besuchen. Die Üppigkeit der gegenseitigen Bewirtung sollte in diesen Fällen die Herzlichkeit der Beziehungen ersetzen. Einer suchte den anderen zu überbieten; und »Gesellschaften«, die man gab oder in die man gehen mußte, nahmen einen unverhältnismäßig großen Teil unserer Einnahmen, unserer Zeit und unserer leiblichen und geistigen Kräfte in Anspruch. Die reichen Adelskreise und die Kreise der großen Kaufleute oder Fabrikanten, denen Mittel und Dienerschaft genug zur Verfügung standen, ihre großen »Verpflichtungen« dieser Art großzügig zusammenzufassen, ohne in ihrer täglichen Häuslichkeit dadurch beengt zu werden, hatten es natürlich auch in jenen Tagen leichter, sich ihren Verkehr nach ihrem Gefallen einzurichten. Gerade in Beamten-, Offiziers-, Künstler- und Professorenkreisen aber wurde die Sitte, einander pflichtschuldigst und ohne Herzensdrang bewirten zu müssen, für die weniger Bemittelten oft geradezu ein Verhängnis.
Daß dies damals in unserem jungen Hause der Fall gewesen, wäre viel zuviel gesagt. Weitaus die Mehrzahl der Familien, mit denen wir geselligen Verkehr unterhielten, und der jungen Künstler, Juristen und Offiziere, die in unserem Hause aus und ein gingen, waren uns von ganzem Herzen und nicht nur bei »Gesellschaften« jener Art willkommen; aber ihre Zahl wuchs zusehends, so daß auch wir schließlich versuchten, unseren geselligen Verkehr einzudämmen.
Übrigens berührte der Kreis, den wir als den unseren ansahen, sich nur durch einzelne Familien, wie die des in Japan reich gewordenen Konsuls Kniffler und seiner engelsguten Gattin, die die Tochter eines angesehenen Düsseldorfer Arztes war, und die meines Freundes Georges Oeder, dessen vortreffliche Frau der großindustriellen Familie Haniel angehörte, mit den Kreisen der reichen niederrheinischen Handels- und Fabrikherren, die zu üppigen, ellenlangen Mahlzeiten einluden. In unserem Kreise herrschte das Bestreben, bei einer gewissen künstlerischen und geschmackvollen, vielleicht auch altväterlichen und provinziellen Einfachheit zu bleiben. Frack und Champagner waren, außer bei Tanzgesellschaften und besonderen Familienfesten, ausgeschlossen. Zum »Tee und Abendessen«, manchmal auch nur zum »Tee«, wurde eingeladen. Die Herren erschienen im schwarzen Rock, die Damen in halb ausgeschnittenen Kleidern.
Bei einer Tasse Tee unterhielt man sich zuerst ungezwungen über Gott und Welt und seinesgleichen; und hierbei entfaltete die Düsseldorfer Frauenwelt den ganzen Zauber ihrer angeborenen Anmut und ihres anerzogenen Geschmacks. In manchen Häusern wurde musiziert, in anderen vorgelesen. In einigen Familien wurde ich regelmäßig aufgefordert, Gedichte vorzutragen. Besonders meine Erzählung in Terzinen »In der Weltstadt« war begehrt; aber auch einige meiner neapolitanischen Elegien mußte ich in verschiedenen Häusern wiederholen. In meinem eigenen Hause hielt ich wohl auch einen gemeinverständlichen Vortrag jener Art, wie ich sie in den Nachbarstädten öffentlich zu halten ab und zu eingeladen wurde. Auf die Vorträge dieser Art folgte dann das Abendessen, das nach damaligen großstädtischen Gepflogenheiten als einfach gelten konnte, aber doch immer aus einigen erlesenen Gängen bestand. Eine Bowle, bei der man sich lebhaft unterhielt, machte den Schluß des Abends, der bis weit über Mitternacht ausgedehnt zu werden pflegte.
Zu den Akademieprofessoren, mit deren Familien wir auf diesem Fuße, zum Teil aber auch öfter und freundschaftlicher verkehrten, gehörten namentlich Eduard Bendemann, der feinfühlige Altmeister, Peter Janssen, der kommende Akademiedirektor, Eduard von Gebhardt, der gefeierte Maler tiefreligiöser und zugleich von packendem Gegenwartsleben erfüllter Darstellungen, und Julius Röting, der tüchtige Bildnismaler. Unter den großen Künstlerhäusern der Meister, die außerhalb der Akademie wirkten, spielten nach wie vor die der berühmten Landschaftsmaler Andreas und Oswald Achenbach, die einander zu überbieten suchten, einander aber nicht einluden, die erste Rolle. Das Andreas Achenbachsche Haus galt als das vornehmere, das Oswald Achenbachsche, in dem wir uns heimischer fühlten, als das gemütlichere. Die Häuser Wilh. Camphausens, Benjamin Vautiers, Karl Hoffs, Emil Hüntens, Max Volkharts, Hermann Krügers, jedes von besonderem Gepräge, gehörten zu unserem Freundeskreise. Am prächtigsten, reichsten und freundschaftlichsten zugleich tat sich uns das Haus Georges Oeders nach dessen Verheiratung auf. Von den Häusern der höheren Beamten, in denen wir uns heimisch fühlten, seien, außer dem des Regierungspräsidenten von Hagemeister, der Junggeselle war, das des Oberbürgermeisters Becker, des Akademiekurators Regierungsrats Steinmetz und des liebenswerten Assessors Hermann Wätjen aus Bremen genannt, der eine Tochter Vautiers geheiratet hatte.
Ich darf aber auch nicht unerwähnt lassen, daß einer der bekanntesten und bedeutendsten englischen Kunstschriftsteller jener Tage, der als großbritannischer Generalkonsul in Düsseldorf lebte, daß I. A. Crowe, der mit dem Italiener G. B. Cavalcaselle die berühmte große Geschichte der italienischen Malerei geschrieben hatte, zu den Freunden unseres Hauses gehörte. Crowe war eine auffallende, anziehende Erscheinung. Sein kastanienrotes Haar umrahmte, durch einen Vollbart von gleicher Farbe ergänzt, ausgeprägt englische, von einem liebenswürdigen und geistvollen Ausdruck beseelte Züge. Seine Gattin, die Tochter eines hohen preußischen Offiziers, tat, anmutig, lebhaft und schlagfertig, das ihre dazu, das Crowesche Haus in Düsseldorf zu einem geistigen Mittelpunkt zu machen.
Crowe und ich verstanden uns gut. Er hatte mir, noch vor meiner Verheiratung, angetragen, sein klassisches Buch über Tizian ins Deutsche zu übersetzen; doch lehnte ich dieses, so dankbar ich Crowe für sein Vertrauen war, mit der von ihm anerkannten Begründung ab, lieber Eigenes zu schreiben als Fremdes übersetzen zu wollen. Max Jordan, der Direktor der Berliner Nationalgalerie, der schon der großen Geschichte der italienischen Malerei ihr deutsches Gewand gegeben, übernahm darauf auch die Übersetzung des »Tizian« von Crowe und Cavalcaselle; und Crowes Schaden ist das sicher nicht gewesen.
Die Früchte meiner letzten großen Reise wissenschaftlich zu verwerten, beeilte ich mich nicht allzu sehr. Die Gesamtgeschichte der Landschaftsmalerei, die ich zu schreiben gedachte, mußte erst in mir reifen, ehe ich an die Ausführung ging. Immerhin veröffentlichte ich gleich 1880 in den »Grenzboten« meine durch den Besuch in Castiglione d'Olona in mir abgeschlossenen Untersuchungen über die Streitfrage »Masaccio-Masolino«, 1881 in sechs aufeinanderfolgenden Nummern der Zeitschrift für bildende Kunst meine Studien in den Provinzialgalerien Frankreichs und schrieb 1882 einen Aufsatz über die Kirchenlandschaften Belgiens und Italiens, der aber infolge anderer Aufgaben, die seine Vollendung hinausschoben, erst 1890 im Repertorium für Kunstwissenschaft erschien. Im Anschluß an meine schon durch die Festschrift veranlaßten Untersuchungen zur Geschichte der Kunst in Düsseldorf, die auch das Schicksal der berühmten alten Düsseldorfer Gemäldegalerie in Betracht zogen, schrieb ich den Aufsatz »Anfang und Ende einer Gemäldegalerie des vorigen Jahrhunderts«, der 1881 in den »Grenzboten« erschien.
Über mangelnde Anerkennung als Lehrer, als Kunstschriftsteller und selbst als Poet konnte ich mich nicht beklagen. Was ich auf dem einen oder anderen Gebiete schrieb, fand in Zeitschriften sofort freundliche Aufnahme. Von den Wogen der Anerkennung, der Liebe und der Freundschaft getragen, floß mein Düsseldorfer Leben an der Seite der teuren Frau, die jeder verehrte, der sie kannte, nicht eben tiefgründig, aber auch sicher nicht träge, floß es frisch, voll und heiter dahin. Nur auf einsamen Wanderungen in dem schönen, aber beschränkten Bezirke des schattigen Hofgartens war mir manchmal zumute, als dürfe dieses schöne Leben mich nicht auf die Dauer befriedigen.