Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Zehntes Kapitel

Ein Wagnis der Treue

Nach dem Abzug des Königs wurde es in der Marienburg bald recht still. Freilich nahm dort der Gubernator Hans von Baisen seinen Amtssitz, aber das Haus, in dem die Hochmeister residiert hatten, war ihm unheimlich; er verweilte ungern darin längere Zeit und hielt sich lieber auf seinen Gütern auf oder reiste im Lande umher, wenn ihn nicht sein kranker Fuß ans Lager fesselte. Mit vielem, was jüngstens geschehen war, hatte er sich nicht befreunden können. Die Dinge nahmen einen gar anderen Verlauf, als zum Nutzen des Landes gut schien. Jeder suchte sich zu bereichern, wie er konnte; den Löwenanteil an der Beute nahmen aber die Städte Danzig und Thorn hinweg, und es war noch gar nicht abzusehen, wie weit sie ihre Forderungen steigern würden, wenn neue Geldvorschüsse von ihnen verlangt werden mußten. Schon jetzt waren sie fast unabhängige Republiken, mächtiger als die Landesregierung selbst. Die kleinen Städte lenkten sie nach ihrem Willen. Die Ritterschaft mußte sie gewähren lassen; es war nur deren stetes Bestreben, die Lasten nach Möglichkeit von sich abzuschieben und durch die Gunst des Königs für sich immer neue Privilegien zu erlangen. Jeder von den Großgrundbesitzern strebte danach, Herrschaftsrechte zu erlangen und sich die kleinen Freien zu unterwerfen. Es war ihr Stolz, sich der Freiheit des polnischen Adels rühmen zu dürfen. Hans von Baisen sah mit Bekümmernis in die Zukunft. Das hohe Ziel, das ihm vorgeschwebt hatte, dem deutschen Lande Preußen seine Selbständigkeit zu bewahren, war schon von den Mitkämpfern aufgegeben. Was dem Orden genommen wurde, fiel nicht der neuen Herrschaft zu, sondern kam zur Teilung unter den Gläubigern, die dem unseligen Krieg ihren Anspruch verdankten.

Und sie konnten nicht einmal befriedigt werden. Die ungeheuren Summen, die den Söldnern hatten zugebilligt werden müssen, ließen sich nicht sogleich aufbringen. Sie behielten die Pfänder. Sollte der Krieg fortgesetzt werden, so waren neue Mittel erforderlich. Das verarmte Land konnte sie nicht mehr aufbringen. Die aber reich geworden waren, beanspruchten für weitere Vorschüsse weitere Berechtigungen. An energische Fortsetzung des Krieges war vorerst gar nicht zu denken. Der König hatte große Versprechungen gegeben, brauchte aber sein Heer an anderer Stelle und war beständig in schlimmster Geldnot; seine neuen Untertanen sollten sich selbst helfen. So blieb zwar eine Besatzung in der Marienburg, aber sie reichte nur eben hin, das Schloß gegen Überfall durch den Feind zu sichern. Das Lager vor der Stadt war längst aufgehoben. Thorn hatte seine Söldner, soweit sie nicht zum Schutz der eigenen Mauern in Dienst gehalten werden mußten, entlassen.

Unter solchen Umständen durfte der Orden, so kümmerlich auch seine Lage war, noch nicht ganz verzweifeln.

In der Stadt Marienburg herrschte eine trübe und unzufriedene Stimmung. Jetzt erst wurde den Bürgern recht klar, was sie durch Vertreibung des Ordens verloren hatten. Keine andere Stadt des Landes erlitt eine so große Einbuße. Seit anderthalb Jahrhunderten war das starke Schloß an der Nogat die hochmeisterliche Residenz gewesen. Der fürstliche Haushalt dort setzte die Bürgerschaft in Nahrung. Kein Tag verging, an dem nicht Fremde anlangten, die im Schloß Geschäfte hatten: Komture und Vögte der entfernteren Gebiete, Abgesandte von Ländern und Städten, Sendboten des Deutschmeisters, des Landmeisters von Livland, der deutschen Reichsfürsten, Gäste fürstlichen und adligen Standes. Die meisten brachten ein stattliches Gefolge mit, das in der Stadt einquartiert wurde; zu den Festlichkeiten lieferten die Bürger einen Teil des Bedarfs. Nie fehlte es an Neugierigen und Schaulustigen, die hier aus weiter Ferne zusammenströmten, das Gepräge des Hofes zu bewundern und etwas Neues zu erfahren. Die Handelsstädte, die mit der Hansa in Verbindung waren, hielten hier ihre Tage ab und führten viel Geld zu; hier wurde über Landesordnungen beraten; hier hatte auch einer der Großschäffer des Ordens seinen Sitz, und Marienburger Bürger waren seine Agenten bei den wichtigen und umfangreichen Handelsgeschäften, die er betrieb. Die Stadt unter den Mauern des Schlosses war wohlhabend geworden und hatte sich darauf eingerichtet, daß dieser Verkehr ein dauernder sein würde. Nun sollte man nicht nur in den Jahren des Krieges große Verluste zu beklagen gehabt haben, sondern sich auch an den Gedanken gewöhnen, daß die guten Zeiten nie mehr wiederkehren könnten. Ja, wenn statt des Hochmeisters fortan ein König im Schloß hausgehalten hätte! Aber künftig war nur in längeren Zwischenräumen sein Besuch für wenige Tage zu erwarten. Und nicht einmal einen Statthalter hatte er eingesetzt, der fürstlichen Aufwand treiben sollte und konnte. Das mittlere Schloß war wie verödet, und nie wieder sollte dort ein glänzender Hof die Blicke der ganzen Christenheit auf sich ziehen. Handel und Wandel stockte, die Speicher der Kaufleute standen leer, die Kahnreeder hatten nichts zu tun, die Arbeiter waren ohne Beschäftigung, die Handwerker erhielten keine Bestellungen. Man zehrte von den Resten des früheren Wohlstandes und sah mit Schrecken, daß ihm alle Wurzeln untergraben waren und in kurzem alle Säfte stocken mußten.

So hörte Bartholomäus Blume täglich nur Klagen und Verwünschungen. Ihm freilich konnte man diese trostlose Wendung der Dinge nicht zur Last legen; aber er war doch das Oberhaupt der Stadt und sollte Rat schaffen. Es schien nur geholfen werden zu können, wenn der Orden wieder Herr des ganzen Landes wurde, der Hochmeister wieder in seine Burg einzog und von hier aus die Thorner und Danziger demütigte. Schon wurden in allen Ständen Stimmen laut, man habe nur gezwungen dem König gehuldigt und sei ihm von Rechts wegen zu nichts verpflichtet; man müsse trachten, den Orden wieder zu Kräften zu bringen und das Schloß in seine Gewalt zu geben; die Stadt dürfe nicht den verräterischen Buben zuliebe gänzlich zugrunde gerichtet werden.

Blume suchte zu trösten und zu beruhigen, aber ihm selbst war bange zumut. Litt er doch am schwersten unter der Pein dieser traurigen Verhältnisse. Auch ihm fehlte es nicht an geschäftlichen Sorgen, aber ohne Klagen hätte er noch größere Verluste erduldet, wenn er so nur seinem alten Herrn die Treue hätte bewahren können. Sein Herz gewöhnte sich nicht daran, von ihm abzulassen. Die Hoffnung, daß der gnädige und gerechte Gott nach dieser Zeit der Prüfung ihn wieder in all seine frühere Herrlichkeit einsetzen werde, wollte ihm nicht ersterben. Jede Nachricht, daß des Königs Macht geschwächt sei, daß die Bündischen Verluste erlitten hätten, daß sie ihre Streitmacht zu schwächen genötigt gewesen, erfüllte ihn mit Freude. Daß der Orden auch in dieser furchtbarsten Not seine Sache noch nicht verloren gab, die Burg Königsberg befestigte, Marienwerder behauptete, das mit seinem Gebiet bis an die Weichsel herantrat, Soldhauptleute fand, die seinem Stern vertrauten, gab ihm neue Ermutigung. Er schickte Marcus ins Land, Erkundigung einzuziehen, und hörte gern, wenn er berichtete, wie überall Mißvergnügen über das Treiben der Bündischen herrschte, die das arme Volk betrogen hätten, und die Herrschaft des Ordens zurückgesehnt würde. Wie lange konnte ein allgemeiner Aufstand noch auf sich warten lassen? Dann würde der Orden auch seine Stadt Marienburg wieder einnehmen und sie des erzwungenen Eides entbinden.

Frau Regina war mit ihrer Tochter in der Stadt geblieben. Freilich hatte sie die Gastlichkeit des Bürgermeisters und seiner guten Frau nicht mißbrauchen wollen und deshalb an eine Beschäftigung gedacht, mit der sie sich den Unterhalt verdienen könne. Blume schlug ihr vor, ihre ärztliche Kunst auszuüben, und räumte ihr mit des Rats Bewilligung die kleine Wohnung im städtischen Spittel ein, die vom Aufseher benutzt zu werden pflegte. Der Apotheker versorgte sie mit Arzneimitteln. Da sie aber Verlangen nach ihren eigenen Vorräten hatte, machte Marcus sich auf den Weg nach Heilsberg und in den Wald. Er fand das Waldhaus verlassen und ausgeplündert, kein lebendes Wesen mehr darin; die alte Magd hatte flüchten müssen. Die Kräuterkammer war verschont geblieben. Marcus packte sorgsam zusammen, was er dort fand, und brachte es nach Hause. Seitdem wurde das Stübchen im Spittel von Hilfesuchenden selten leer. Frau Regina hieß nicht mehr die Waldfrau, sondern weit im Umkreise die kluge Frau von Marienburg. Marcus hatte Ursula aus dem Walde einen jungen Star mitgebracht. Den lehrte sie sprechen und singen, daß sich die Leute darüber verwunderten. Wenn er »Marcus, lieber Marcus« rief, meinten sie seine Mutter zu hören.

So verging die Zeit bis in den Herbst hinein. Eines Tages – es war nebliges, unfreundliches Wetter – meldete sich im Hause des Bürgermeisters ein Graumönch und bat, zu ihm gelassen zu werden, da er von auswärts komme und für sein Kloster etwas zu erbitten habe. Frau Christine wollte ihn mit einer reichlichen Gabe abtrösten, er blieb aber dabei, daß er den Hausherrn selbst sehen müsse. Nun fiel's der Bürgermeisterin auf, daß seine Haltung für einen Klosterbruder wenig demütig war und seine Stimme rauh wie die eines Kriegsmanes klang. Sie forschte deshalb nicht weiter, sondern ließ ihn bei Bartholomäus ein.

Sobald die beiden Männer allein waren, warf der Graumönch die Kapuze zurück, die sein bärtiges Gesicht beschattet hatte, und sagte: »Kennt Ihr mich, Herr Bartholomäus Blume?«

Der Bürgermeister stutzte. Im nächsten Moment leuchtete die Freude in seinen Augen auf. »Gnädigster Herr Spittler ...«, rief er aus und streckte ihm die Hand entgegen.

»Still!« unterbrach Plauen, »mein Name darf nicht ausgesprochen werden. Die Wände haben Ohren. Ich habe mich nicht ohne Grund in solcher Vermummung in die Stadt eingeschlichen. Eure Stadt hat polnische Besatzung.«

»Gott sei's geklagt«, antwortete Blume. »Zwar ist sie nur schwach, aber darum nicht weniger lästig. Herr Ulrich Czerwonka, der Schloßhauptmann –«

»Ich weiß alles«, fiel Plauen ein, »die Stadt ist vergewaltigt.«

»Und Ihr kommt –«

»Um Euch einen Gruß vom Herrn Hochmeister zu bringen, der Eurer oft in Ehren gedacht.«

»Das ist mir eine Freude zu hören. Und wie geht's meinem gnädigsten Herrn?«

»Traurig genug, aber doch so traurig nicht mehr, als da er von der Marienburg schied und von Schloß zu Schloß wanderte, ein sicheres Obdach zu finden, und überall nur Not und Elend traf, das er nicht mehren wollte. Sein Mut ist wieder merklich aufgerichtet, da ihm von mancher Seite Unterstützung geworden, wo er sie nicht erwartet. Die deutschen Söldner sind ihm meist treu geblieben. Wir haben unsere festen Plätze behauptet und einige Burgen dem Feinde wieder entrissen. Das Glück, das uns schon ganz verlassen zu haben schien, zeigt uns ein freundlich Gesicht. Die Verräter meinten den Lohn ihrer schnöden Tat geerntet zu haben und sind lässig geworden. Sie wagen nicht mehr anzugreifen, nachdem sie wiederholt im Felde geschlagen sind. Ihr Vertrauen auf die Hilfe des Königs ist erschüttert, da der Reichstag ihm die Mittel versagt, den Krieg hier im Norden kraftvoll fortzusetzen. Seine Polen merken wohl, daß sie von den Bündischen arg hinters Licht geführt sind und der Gewinn den Aufwand nicht lohnt. Der Heilige Vater hat auf des edlen Aeneas Sylvins Mahnung von neuem den Bannfluch gegen alle Feinde des Ordens ausgehen lassen, und man weiß, daß der König mitgetroffen sein sollte. Das macht die polnische Geistlichkeit scheu und einen Teil des Adels bedenklich. So hoffen wir, trotz aller Kümmernisse, am Ende doch Sieger zu bleiben.«

»Das wolle Gott geben«, sagte Blume, die Hände faltend. »Täglich bestürm ich seine Gnade deshalb mit meinen Gebeten.«

Der Spittler drückte ihm die Hand. »Wir kennen Euch als treu und unserer guten Sache sehr ergeben«, versicherte er, »und vertrauen, daß Ihr nicht nur für uns beten, sondern im rechten Augenblick auch für uns handeln werdet.«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte der Bürgermeister, durch den strengen Ton betroffen. Seine grauen Augen forschten im Gesicht des vornehmen Gastes, was dessen Meinung sein mochte.

»Ihr wisset«, fuhr Plauen heimlicher fort, »daß unseren Orden kein schwererer Schlag treffen konnte als der Verlust seines Haupthauses. Die Marienburg zurückzugewinnen, muß das Ziel all unseres eifrigsten Strebens sein.«

»So ist's, gnädiger Herr, so ist's.«

»Euch hat nicht entgehen können, wie's jetzt darin bestellt ist. Meint Ihr, daß uns ein unvermuteter Angriff gelingen könnte?«

Blume hob aufmerkend den Kopf. »Die Mauern sind sehr fest – sie haben bisher noch jedem Ansturm widerstanden. Freilich hat Herr Ulrich Czerwonka zur Zeit noch achthundert Mann ins Schloß gezogen, sehr wider Willen des Herrn Stibor von Baisen, der eifersüchtig darüber wacht, daß der Hauptmann sich nicht der Burg als seines Eigentums bemächtige. Doch auch diese Verstärkung reicht zur Verteidigung der ausgedehnten Werke bei weitem nicht aus. Aber wie wolltet Ihr unvermutet mit einem Belagerungsheer von vielen Tausenden ...«

»Es steht uns für jetzt nicht einmal zu Gebot. Nur ein überraschender Überfall kann Erfolg haben. Hört! Unser getreuer Bernhard von Zinnenberg will ihn von der Burg Stuhm aus wagen.«

»Bernhard von Zinnenberg? Der wackere Mann! Ja, er hat bisher Stuhm dem Orden treu bewahrt, wie der König und die Bündischen ihn auch zur Übergabe drängten. Auf ihn ist Verlaß.«

»Er hat nur zwei gute Meilen Weges bis hierher. Wenn er wüßte ..«

»Was, gnädiger Herr?«

»Daß er in die Stadt aufgenommen würde ...«

»In die Stadt –?«

»Nun erschreckt Ihr. Ich glaubte, Ihr wolltet mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, Eurem alten Herrn zu dienen.«

»Gewiß, gewiß –! Aber ...«

»Das Schloß kann nur von der Stadt her überrumpelt und rasch eingenommen werden. Es mag ein großes Wagnis sein –«

»Das bedenk' ich nicht, gnädiger Herr, aber ...« Ihm wurde sichtlich heiß; Schweißtropfen standen auf seiner Stirn unter dem lockigen Haar.

»Was ist's also?« fragte der Spittler.

»Gnädiger Herr«, antwortete Blume gepreßt, »die Stadt hat dem König gehuldigt.«

»Hoffentlich nur gezwungen. So haben wir's angesehen.«

»Gezwungen – Gott weiß es! Aber unser Eid –«

»War ein gezwungener Eid. Er hat keine Gültigkeit über die Zeit der Not hinaus.«

»So ist er nicht verstanden, gnädiger Herr – vom König nicht verstanden.«

»Wie? Und Ihr wolltet Euch durch solchen Zwang in Eurer Seele für gebunden halten? Wie könnte das geschehen, Bartholomäus? Dann wahrlich hättet Ihr die Treue dem alten Herrn gebrochen und schmählichsten Verrat geübt. Gott könnt' Euer falsches Gebet nicht erhören.«

»Und wär's nicht Meineid, den seine Gerechtigkeit strafen müßte ...« »Das fürchtet nicht. Habt ihr Marienburger nicht dem Herrn Hochmeister und seinem ganzen Orden geschworen?«

»Von ganzem Herzen.«

»Und durftet ihr den Eid brechen?«

»Es ist nicht mit unserm Willen geschehen.«

»Es ist überhaupt nicht geschehen. Zwang euch der König zu einem Eide, der hob jenen nimmermehr auf.«

»Ihr seht meine Gewissensangst, gnädigster Herr –«

»Könnt ich Euch zu einer Todsünde verführen wollen? Ich sag' Euch, dieser Eid ist kein Eid, und das möget Ihr allen denen wiederholen, die ihn erzwungen geleistet haben. Er ist null und nichtig hüben und drüben. Hatte der Orden Euch Eures gelobten Gehorsams entlassen? Nein! Durfte der König euch zu Untertanen annehmen, bevor er uns solche Entlassung abgetrotzt hatte? Nein! Erhielt er der Kirche Beistand, euch zu lösen von dem alten Eide, damit der neue gelte? Nein! Was sagt Ihr also, Mann? Wär's ein Fehl gewesen, der Gewalt zu weichen, den wollt' Euch der Orden verzeihen und der Papst in Rom auf seine Bitte gern abnehmen. Denn Eure und der Eurigen Schuld ist wahrlich nicht groß.«

»So wolltet ihr Kreuzherren uns vertreten, daß ihr uns bei dem alten Eide festgehalten hättet?«

»Das wollen wir, und hoffentlich auch mit gutem Erfolg dem König gegenüber. Das eine nur habt ihr zu bedenken, daß ihr mit ihm brecht. Kann er's, so wird er den Abfall rächen.«

»Das mag geschehen«, rief Blume, »und soll uns keine Not zu groß sein. Gebt uns nur das Versprechen, daß der Orden uns beistehen wolle mit ganzer Kraft, daß wir das Werk gemeinsam vollbringen.«

»Ich geb's, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin«, entgegnete der Spittler, wuchtig in seine Hand einschlagend. »Helft dem Orden, wie ihr's ihm schuldig seid, und er wird seine Stadt Marienburg im Kampf nicht verlassen.«

Nun wurde der Plan näher besprochen. Blume sollte davon auf dem Rathause nichts verlauten lassen, bis das Unternehmen reif wäre, indessen aber heimlich alle Vorbereitungen treffen. Das weitere hätte er mit Bernhard von Zinnenberg zu verabreden, der den Spittler unterrichten werde. Er dürfe ihm vollstes Vertrauen schenken. »Und so stehe uns denn die Himmelskönigin in Gnaden bei« schloß Plauen, , daß wir die Verräter überlisten und ihnen den Raub abnehmen, damit wir der gebenedeiten Jungfrau Maria wieder dienen können in ihrem Hause zu Ehren Gottes und der Menschen.«

»Amen«, sagte Bartholomäus Blume, die Hände faltend. Der Spittler zog die Kapuze über den Kopf und verließ das Haus, von Blume bis zur Tür geleitet.

Seitdem hatte der treue Mann mehr als je unruhige Tage und Nächte. Er wußte wohl, was er sich übernommen und wieviel für ihn und die Stadt Marienburg auf dem Spiel stand. Gelang der Überfall, so mochte des Ordens endlicher Sieg wahrscheinlich sein; mißlang er, so war von des Königs Zorn und der Bündischen Rachsucht das Schlimmste zu fürchten. Frau Christine, die ihn sorgend beobachtete, merkte, daß seit jenem Besuch etwas in ihm vorging. Sie sagte es ihm aus den Kopf, das sei kein Mönch gewesen. Er bat sie, ihn nicht zu bedrängen. Da er aber sah, wie sie sich um ihn härmte, meinte er am Ende, es sei am besten, sie ins Geheimnis zu ziehen, zumal er sich doch ohne ihr Wissen nicht aus der Stadt entfernen konnte. So sagte er ihr eines Nachts, da sie beide nicht schlafen konnten, alles und fügte gleich hinzu, er sei entschlossen, seine Pflicht zu tun, es komme, wie es wolle. Darüber erschrak sie anfangs sehr und bat ihn kleinmütig, die Folgen zu bedenken und Weib und Kind nicht zu vergessen. Er aber seufzte nur und sagte: »Das ist alles bedacht und liegt nun in Gottes Hand. Will er uns zeitlich verderben, so werden wir doch seine ewige Gnade gewinnen. Wie sollt' ich vor mir selbst noch bestehen, wenn ich feige den Dienst verweigerte, den mein Herr fordert? Groß ist die Gefahr, aber groß auch der Sieg. Was jetzt versäumt wird, kann nie wieder eingeholt werden. Was für ein erbärmliches Dasein ist das unter der Polen Herrschaft! Deutsch wollen wir sein und bleiben, wie unsere Väter es waren, die ins Land zogen, zur Ehre des deutschen Namens zu kämpfen und zu arbeiten. Vergäßen wir das, uns wäre besser, die Heiden hätten uns erschlagen. Darum hindere mich nicht, liebes Weib, diesen dornigen Weg zu wandeln, der doch allein zum Heil führen kann. Fühlst du als eine deutsche Frau, so werd' ich deinem Herzen um so teurer sein.«

Sie weinte eine Weile still. Dann aber sagte sie: »Du hast recht, Bartholomäus, und überwindest meine Zaghaftigkeit. Wie könnt' ich deine Treue schelten, die mich doch selbst mein Leben lang beglückt hat. Wo du gehst, da will ich auch gehen, und was du zu tragen hast, mit dir tragen. Mag die Last unsern Schultern nicht zu schwer werden!«

»So hab' ich's von meinem lieben Weibe erwartet«, antwortete Blume, »und nun kann ich wieder fröhlichen Sinnes sein, es komme, was da wolle.«

Am andern Tage verließ er die Stadt. Er sagte der Torwache, daß er nach seinem Gütchen hinaus wollte, um dort Marcus zu besuchen, der die Wintersaat bestelle. Dahin ging er auch vorerst. In der Nacht aber begab er sich nach der Burg Stuhm, nannte ein Losungswort, das ihm der Spittler für diesen Fall angezeigt, und wurde nun sogleich zum Hauptmann eingelassen.

Bernhard von Zinnenberg war ein ritterlicher Herr, nicht mehr in den jüngsten Jahren, aber noch vollkräftig und gleich dem Jüngsten beweglich. Er hatte nie das Waffenhandwerk, wie so viele Soldhauptleute sonst, nur als ein Geschäft betrieben, das ihm Geld und allenfalls auch Ruhm eintragen möchte. Es war ihm Ernst damit, seine Ritterehre für die Sache einzusetzen, die er vertrat. Dem Deutschen Orden hatte er sich verdungen, weil er dessen Kampf für gerecht und Gott wohlgefällig hielt. Als ein Ritter müsse er den Rittern beistehen, nicht den Krämern, hatte er gemeint und danach gehandelt. Aus dem Reich brachte er eine starke Abneigung gegen die bündnerischen Städte mit, die sich ihrer fürstlichen und ritterlichen Herren entledigen wollten. Nach seiner Gesinnung war er gut deutsch und haßte die Polen wegen ihrer barbarischen Kriegführung und ihres übermütigen, leichtfertigen Wesens. Sein Körper war voll Narben; nie hatte er sich im Gefecht geschont. Immer ritt er voran und warf sich mit rechter Lust gegen den Feind, die Stärke seines Armes und die Schärfe seines Schwertes zu erproben; er meinte den Sieg nicht verdient zu haben, wenn er nicht mit eigener Hand so und so viele Gegner in gutem Harnisch vom Pferde geworfen. Von den Feuerwaffen hielt er nichts; sie schienen ihm nur erfunden, um der Mannhaftigkeit Abbruch zu tun. Er war rauh von Art, geradezu, oft verletzend in seiner Derbheit und Rücksichtslosigkeit, aber auch durchaus zuverlässig und ehrenfest, zäh, ausdauernd, an Entbehrungen gewöhnt und auch in guten Zeiten allem weibischen Luxus abhold. Sein Wams und Mantel waren oft geflickt, aber sein Eisenhut und Panzerhemd immer blank. Seine Leute, so scharf er sie behandelte, hingen an ihm mit schwärmerischer Verehrung; er sorgte aber auch für sie wie ein Vater und hätte lieber selbst die äußerste Not gelitten, als sie darben zu sehen.

Deshalb war es ihm auch gelungen, die Burg Stuhm für den Orden zu behaupten. Sie war jetzt der vorgeschobene Posten, von dem aus das verlorene Gebiet wiedererobert werden sollte.

»Ich weiß, was Euch herführt«, redete er den Bürgermeister an, ohne ihn zu Worte kommen zu lassen. »Der Herr Spittler hat mir angezeigt, daß Ihr nicht zu den Hundsföttern gehören wollt, die ihren Gebieter im Unglück verlassen. Das ist brav und hab' ich auch von Euch nicht anders angenommen. Könnt Euch deshalb die Einleitung sparen und gleich zur Sache kommen. Wie gedenkt Ihr uns bei diesem Wagnis beizustehen?«

»Ew. Edlen sollen erfahren, was ich von der Lage des Schlosses weiß«, antwortete Blume, »und was die Stadt Marienburg an Mannschaft und Waffen bieten kann. Machet dann selbst Euren Plan und zieht mich in Euer Vertrauen. Ihr seid ein erfahrener Kriegsmann und werdet besser als ich des Feindes Stärke und Eure Mittel zu schätzen wissen. Wie Ihr uns anstellt, so wollen wir Euch zu Diensten sein.«

»Das hör' ich gern«, sagte der Hauptmann freundlicher. »Sprecht, lieber Bürgermeister, daß wir für unsere Beratung festen Grund gewinnen. Ich bemerk's Euch im voraus, daß es sich um kein leichtes Stück Arbeit handelt.«

Blume unterrichtete ihn nun getreulich von allem einzelnen, das ihm zu wissen not tun möchte, insbesondere auch von der Beschaffenheit der Schloßmauern nach der Stadtseite hin. »Es ist die Meinung der Bauherren gewesen«, fügte er hinzu, »daß hier die Stadt das Schloß decke. Vor vierzig Jahren ließ sie der Hochmeister von den Bürgern niederbrennen, damit sich die Polen nicht darin festsetzten und einen Halt fänden gegen die Burg. Ist sie unversehrt in den Händen der Belagerer, so mag sie wohl jetzt den Verteidigern noch mehr bedrohlich sein, da sie seitdem stärker befestigt ist.«

»Auf eine regelrechte Belagerung können wir uns nicht einlassen«, entgegnete Zinnenberg, »das muß ein Kind einsehen. Die Frage ist nur, ob wir das Schloß vor der Stadt her überraschen. Vielleicht ließe sich vom Schuhtor eindringen. Ihr nanntet aber auch eine Laufbrücke. Sie muß zu einer Pforte führen. Gelingt's uns, die zu besetzen, ehe der Feind die Gefahr wittert, so haben wir viel gewonnen.«

»Das scheint mir unsere ganze Hoffnung«, sagte Blume. »Einige hundert Mann können auf dem Johanniskirchhof, über den der Weg geht, versteckt werden. Die Brücke aber ist nur schmal und die Pforte nicht breiter, als daß zu gleicher Zeit zwei Personen eintreten können. Gelingt's Euch, Eure Mannschaft hindurchzubringen und auf dem Parchan unter dem alten Hause zu sammeln, so habt Ihr noch eine Pforte an der Ecke nach dem Herren-Dansk zu überwinden. Es wär' aber leicht möglich, daß Ihr sie offen fändet, denn die Polen sind fahrlässig, wenn sie sich vor Überfall sicher glauben, und Herr Ulrich Czerwonka kann die Augen nicht überall haben.«

»Darauf müssen wir nun vertrauen«, erwiderte Zinnenberg. »Sind wir erst drinnen, so soll's uns nicht ängstigen, daß die Polen ein paar hundert Mann mehr unter Waffen haben als wir. Die deutschen Landsknechte werden mit ihnen fertig werden, wenn ich sie führe, und Eure Aufgabe ist dann nur noch, uns in der Stadt den Rücken zu decken. Man muß aber auch den andern Fall bedenken, daß wir abgeworfen werden. Dann geht der Tanz für euch Marienburger erst recht los, und möcht' wohl mancher dabei zu kurzen Atem haben, fürcht' ich. Denn die Stadt muß sich gegen das Schloß setzen, und das kann ein absonderlich Schauspiel geben, wie wenn zwei Ringer mit einem Strick umbunden sind und Brust an Brust gegeneinander drücken, wer beim Fall oben oder unten zu liegen komme, überlegt's Euch, Herr Bürgermeister, ob Ihr Eurer Stadt so viel Standhaftigkeit zumuten und zutrauen dürft. Denn was Ihr nicht mit Einsatz aller Kraft zu Ende führen könnt, das fangt lieber gar nicht an. Es wär' mir leid um jeden Mann, wenn ich den Überfall wagte und hätt' hinterher keinen Rückhalt an der Stadt.«

»Daran soll's Euch nicht fehlen, Herr Hauptmann«, versicherte Blume. »Wie wir uns aber gegen Euch verpflichten, im Fall des Mißlingens treulich auszuharren, so wollet auch Euch gegen uns verpflichten, die Stadt ihrem Schicksal nicht preiszugeben, sondern sie verteidigen zu helfen, wie es die Not verlangt.«

»Da habt Ihr mein Ritterwort«, antwortete Zinnenberg und bot ihm die Hand. Blume hielt den Druck aus, ohne mit den Wimpern zu zucken. Das gefiel dem Hauptmann. »Ich merke, wir werden gute Kumpane sein«, sagte er lachend.

Dann beredeten sie den Plan genau und setzten die Zeit fest. Bernhard von Zinnenberg wollte den Spittler benachrichtigen, damit er einen Streithaufen möglichst in der Nähe bereit hielte.

Darauf kehrte Blume nach der Stadt zurück und zog einige von seinen Ratmannen, auf deren Verschwiegenheit er sich verlassen konnte, ins Geheimnis. Sie stimmten ihm freudig zu.

Zinnenberg gewann die andern treuen Hauptleute in Stuhm und auf benachbarten Schlössern, den Grafen Burkhard von Querfurt, Georg von Schliewen, Wend von Eulenburg, Hans von Dohna, Hans von Tettau und andere für seinen Plan. Der Spittler eilte mit einem Fähnlein reisiger Kriegsknechte nach Stuhm. In einer finsteren Herbstnacht brach Zinnenberg mit seinen Rittern, sechshundert Reisigen und sechshundert Mann Fußvolk nach Marienburg auf. Er gelangte bis zu den Mauern der Stadt, vom Schlosse unbemerkt. Blume, der durch einen Boten verständigt war, öffnete ihm sofort die Tore.

Er besetzte die Türme und Wehren. Die polnische Besatzung wurde überrascht, zum größten Teil in den Quartieren niedergemetzelt, der Rest mit ihrem Hauptmann gefangen.

Eine auserlesene Schar besetzte den Johanniskirchhof und den Zugang zur hölzernen Laufbrücke. Auf ein gegebenes Zeichen brachen die vordersten Rotten geschlossen vor und eilten auf den Dietrichsturm zu. Die Wächter lagen im Schlaf und wurden niedergemacht, ehe sie Lärm schlagen konnten. Den Turm besetzte Zinnenberg. Nun aber war noch der offene Weg über den zweiten Teil der Brücke bis zur Mauerpforte zurückzulegen. Sollte der Sturm auf dieselbe gelingen, so mußte eine ausreichende Mannschaft vorgeschoben werden. Die Dunkelheit war nicht so groß, daß die Annäherung so vieler Bewaffneter unbemerkt bleiben konnte, wenn man auf der Mauer nicht alle Wachsamkeit vergaß. Auch knarrte und stöhnte das Holzwerk unter dem Tritt der Männer, und die Eisenplatten der Panzer oder die Ketten der Schwertgehänge rasselten bei jeder Bewegung. Zinnenberg, der mitten unter den Stürmenden war, trieb zur Eile. Die Vordersten hatten Streitäxte und Kolben mit eisernen Spitzen, um im Notfall das Tor einzuschlagen.

Sie gelangten auch im Laufschritt bis an dasselbe. Nun aber war man oben hinter den Zinnen aufmerksam geworden und fragte hinunter, wer da nahe. Da keine Antwort erfolgte und immer neue Rotten über die Brücke vordrängten, erhoben die polnischen Wachen ein Geschrei und weckten ihre Mannschaft, die sich unter dem hölzernen Wehrgange gelagert hatte, aus dem Schlaf. Jetzt hielt's Zinnenberg an der Zeit, Gewalt zu brauchen. Er gab seinen Leuten Befehl, das Tor einzuschlagen und die Leitern anzusetzen. Aber das eisenbeschlagene Eichenholz widerstand eine Weile den wuchtigsten Hieben, und die Brücke war zu schmal, um gleichzeitig einer größeren Zahl von Leitern den Stützpunkt zu bieten. Von der Mauer herab wurden Schleudersteine auf die Stürmenden geworfen, mehrere von ihnen verwundet und getötet. Pfeile und Bolzen schwirrten durch die Luft und beunruhigten die ungedeckt auf der Brücke Stehenden. Sie riefen den Vorderleuten zu, sich zu beeilen. Vor den Mauern wurde es laut, wie auf ihnen.

Endlich stürzte das Tor ein, aber ein Gatter sperrte den gewölbten Gang unter der Mauer und veranlaßte neuen Aufenthalt. Darauf waren die Angreifer nicht vorbereitet. Es dauerte lange, bis die Pfähle zersplittert zusammenbrachen, zumal die Polen zwischen den Gatterpfählen hindurch mit Lanzen gegen die Stürmenden stachen. Zuletzt drängte sich Zinnenberg vor, ergriff selbst eine Axt mit nerviger Faust und donnerte die Scheidewand nieder. Über die Holzsplitter und eisernen Riegel hinweg schob sich nun die Masse durch den engen Gang dem Parchan zu. Dort wurde sie von den Polen empfangen, die sich gesammelt und zum Kampf aufgestellt hatten. Da immer nur wenige von ihren Gegnern vorbrechen konnten, hatten sie, obgleich selbst nicht zahlreich, längere Zeit die Übermacht. Viele von den Landsknechten ließen da tapfer fechtend ihr Blut und Leben. Aber andere ersetzten sie sogleich. Nach und nach füllte sich der Platz hinter der Pforte. Die Hauptleute ordneten ihre Kolonnen und warfen die Polen zurück. Nun konnten die auf der Brücke ungehindert den Parchan erreichen und die Streitschar verstärken. Die Polen waren bemüht, ihn zu sperren, indem sie sich mit dem einen Flügel an die Mauer lehnten, mit dem andern gegen das Schloß hinschwenkten. Sie wichen nur Schritt nach Schritt.

Jetzt kam alles darauf an, die Pforte am Herren-Dansk zu erreichen, bevor von jenseits Zuzug kam. Zinnenberg feuerte die Seinigen an, stellte sich immer wieder selbst an die Spitze. Schon schien die Kraft der Verteidiger zu erlahmen, die jetzt erkannten, daß sie es mit einem übermächtigen Feinde zu tun hätten. Da aber brachte ihnen Ulrich Czerwonka Hilfe. Der Turmwächter war auf den Lärm und das Waffengeklirr unten aufmerksam geworden und hatte in den Schloßhof hinab das Signal gegeben. Vom Parchan her ritten Boten herbei und alarmierten die Schlafenden. Der Hauptmann wurde geweckt, fuhr in die Kleider und trat halb gerüstet auf den Hof hinaus. Mit einem Trompeter durchschritt er die Kreuzgänge und ließ zum Frühauf blasen. Alles stürzte aus den Schlafstellen und sammelte sich im Hof. Als Czerwonka einige Hunderte zusammen hatte, führte er sie um das Schloß nach dem Herren-Dansk und besetzte die Pforte. Eben drängten sich durch dieselbe die fliehenden Polen. Er trieb sie zurück. Sein Beistand machte ihnen wieder Mut; sie warfen sich, verstärkt durch die Nachdringenden, nochmals gegen die Angreifer. Von der Mauer herab wurde mit Pechfackeln und Windlichtern geleuchtet. Auf dem Parchan entspann sich ein wilder Kampf Mann gegen Mann. Bald wuchs die Schar der Polen und Böhmen so mächtig an, daß die Landsknechte trotz aller Tapferkeit weichen mußten.

Bernhard von Zinnenberg setzte es noch einmal durch, daß sie standen und zum Sturm vorgingen. Wurde der Herren-Dansk genommen, so konnte von diesem starken Außenwerk aus das Schloß beschossen und vielleicht doch noch, wenn schon mit vielem Blutvergießen, erobert werden. Die nächste Stunde mußte entscheiden, ob alle Mühe vergeblich gewesen. Die Lanzen splitterten, die Schwerter klirrten, die Helme barsten, Flüche und Wehrufe erfüllten die Luft. Einen Augenblick schien's, als müßten die Polen den Parchan räumen. Aber schon waren auch die Wehrgänge des Schlosses besetzt. Von dort wurden Steine hinabgerollt, Speere geworfen, hageldicht Pfeile entsendet. Sie trafen freilich Freund und Feind. Czerwonka mußte Leute abschicken und Einhalt gebieten. Nun stürmte Zinnenberg noch wilder an. Es gelang ihm, die Polen durch die Pforte zurückzutreiben. Aber sie selbst vermochte er nicht zu nehmen; das Tor widerstand wie die Mauer.

So behauptete er zwar die Nacht hindurch den Parchan und die Brückenpforte; sein kühner Anschlag gegen das Schloß jedoch war vereitelt, das mußte er sich zähneknirschend eingestehen. Doch gab er noch nicht alles verloren. Er sendete die Verwundeten nach der Stadt, zog frische Mannschaften heran und gab den Bürgern Befehl, noch in der Nacht für den Angriff bewegliche Schutzdächer aus Brettern und Flechtwerk herzurichten. Bei Morgengrauen ordnete er wieder seine Landsknechte unter den Holzgerüsten hinter der Mauer.

Aber auch Ulrich Czerwonka war nicht müßig geblieben. Er hatte eiligst alles grobe Geschütz, das in der Vorburg irgend entbehrlich war, nach dem rechten Schloß schaffen und gegen die Stadt richten lassen. Als nun bei aufsteigender Sonne der bleigraue Himmel sich erhellte, donnerten von dort her die Kanonen. Zum Schrecken der Bürger schlugen die Kugeln in die Dächer ein und fegten die Straßen. Niemand wagte sich unter den Lauben vor, Weiber und Kinder flüchteten in die Keller. Die Kriegsleute durchbrachen im Innern der Häuser die Zwischenwände und stellten so einen Durchgang her, der auch von den Bürgern benutzt wurde. Jeder hielt Löschgerätschaften und Wasser bereit, einen etwa entstehenden Brand sogleich zu dämpfen.

Nicht schnell genug glaubte Bernhard von Zinnenberg der bedrohten Stadt zu Hilfe kommen zu können. Dies geschah unzweifelhaft am wirksamsten durch den erneuten Angriff auf das Schloß. Er ließ eine Donnerbüchse, die in der Nacht auf den Parchan geschleppt war, gegen das Tor am Herren-Dansk richten und die Sturmleitern ansetzen. Aber die Mauer wurde jetzt von den besten Mannschaften Czerwonkas verteidigt, und sie wehrten sich wie die Verzweifelten, da sie wohl wußten, was für sie auf dem Spiel stand, wenn sie hier lässig wären. Immer wieder wurden die Leitern abgeworfen, die Stürmenden hinabgestürzt. Ihre Verluste waren groß, da nun auch seitwärts von der Schloßmauer her gegen sie Steine und Geschosse geworfen wurden, denen die Schutzdächer nur schwachen Widerstand leisteten. Vornehmlich richteten die Bogenschützen ihre Pfeile gegen die Bedienungsmannschaft am Geschütz und standen selbst hinter den Scharten so gut gedeckt, daß sie nicht getroffen werden konnten. So konnte die Donnerbüchse nur in langen Zwischenräumen eine Kugel gegen die Pforte absenden. Als sie wieder einmal zum Schweigen gebracht war, wagte Czerwonka einen Ausfall. Es wurde von beiden Teilen tapfer auf dem Parchan gekämpft. Zuletzt mußte Zinnenberg doch der Übermacht weichen. Noch verteidigte er die Brückenpforte und den Dietrichsturm, aber ohne Hoffnung, diese Werke zu halten. Er mußte sie aufgeben, nachdem seine Landsknechte in guter Ordnung den Rückzug über die Brücke nach dem Kirchhof bewerkstelligt hatten. Hinter ihnen wurde sie sofort von den Polen zerstört.

An Verfolgung freilich konnte der geschwächte Feind nicht denken. Aber den ganzen Tag über setzte er die Kanonade gegen die Stadt fort und tat ihr viel Schaden. Es war ein Glück für sie, daß es den Polen bald an Kugeln und Pulver fehlte, da sie den geringen Vorrat rechtzeitig zu ergänzen versäumt hatten. Nach einer Nacht voll Angst und Sorge erneuerte sich daher die Beschießung nicht. Auch unterblieb ein Angriff vom Schloß. Czerwonka meinte Unterstützung von Danzig abwarten zu müssen.

Bernhard von Zinnenberg traf mit Blume auf dem Rathaus zusammen. »Der Überfall ist mißlungen«, sagte er. »Wollet mir das Zeugnis geben, Herr Bürgermeister, daß ich reichlich getan habe, was ich tun konnte. Die Schloßmauern mit unsern Spießen einzurennen, ist unmöglich. Wir mußten darauf gefaßt sein.« »Ich war darauf gefaßt«, antwortete Blume mutig.

»Und Ihr werdet die Stadt verteidigen?«

»Mit Eurer und des Ordens Hilfe, wie uns zugesagt worden.«

»Ich vergesse mein Wort nicht«, sagte Zinnenberg. »Lasset uns aber erwägen, wie der Stadt am besten zu helfen ist. Es kann nichts nützen, daß ich sie mit meinen Leuten besetzt halte. Gegen das Schloß wird sie sich vorerst selbst wehren müssen. Das kann sie. Denn seine Besatzung reicht nur schwach zur Verteidigung aus. Es kommt alles darauf an, daß ich die Bündischen hindere, mehr Truppen hineinzuwerfen, Proviant und Munition anzufahren. Um euch Luft zu schaffen, muß ich selbst angreifen, auf dem Lande sengen und brennen, den Feind, sowie er von da oder dort anrückt, zu schlagen suchen, die Thorner und Danziger hinter ihre eigenen Mauern zurücktreiben. Darin wird mich der Herr Spittler nach seiner Zusage unterstützen, und hoff' ich guten Erfolg – auch für euch Marienburger. Müßten wir aber am Ende doch hinter Mauern Schutz suchen, so rüstet euch, uns aufzunehmen. Wir stehen dann zusammen bis zum letzten.«

»Bis Zum letzten«, wiederholte Blume, »wenn alle Bürger meines Sinnes sind. Euren Kriegsplan muß ich billigen. Mag's Euch gelingen, die Bündischen niederzuhalten und den König gänzlich zu entmutigen. Die Hauptsache ist für jetzt, nachdem diese Hoffnung schnellen Sieges verloren ist, daß wir Zeit gewinnen. Vielleicht setzt unsere Beharrlichkeit durch, was keine Gewalt erzwingen könnte.«

»Ihr seid ein ganzer Mann, Bürgermeister«, rühmte der Feldhauptmann; »dafür erkenn' ich Euch in der Not. Hätte der Orden viele solcher Untertanen, die Verräter wären nicht aufgekommen.«

»Wollt Ihr mit allen Euren Leuten abrücken?« fragte Blume, als achte er auf das Lob nicht.

»Ein paar hundert laß ich zunächst hier«, antwortete Zinnenberg, »damit Herr Ulrich Czerwonka Eure Mauern besetzt sieht und nicht auf den Einfall kommt, Euch auch von der Landseite zu bedrängen. Den Rest des Fußvolkes schicke ich gegen Danzig. Mit meinen Reitern brech' ich ins Kulmerland ein, den Feind in Schrecken zu setzen und seine Rüstungen zu stören. Im Vertrauen zu Eurer mehreren Aufrichtung, werter Herr –: Der Bürgermeister Hans Malzkow in Kulm hat den Bund auch schon satt, dessen eifrigster Vertreter er doch früher war. Er merkt, daß die Thorner allen Rahm abschöpfen und den andern Weichselstädten nichts als die Schlittermilch lassen wollen. Ich hoffe, wir erleben's noch, daß sich die Thorner und Danziger in den Haaren liegen aus Neid und Eifersucht. Fressen sie einander auf, so wollen wir ihnen gute Verdauung wünschen.«

Er lachte ingrimmig, aber Blume stimmte nicht ein. »So oder so«, sagte er, »das unglückliche Land muß es entgelten. Gott wolle uns gnädig sein!«

Bald darauf verließ Zinnenberg die Stadt.


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