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Der Thorner Rat war noch nie in so schwerer Bedrängnis gewesen.
Tileman vom Wege hatte gehofft, jetzt den furchtbaren Krieg durch eine letzte Anstrengung zugunsten des Bundes beenden zu können. Es war ihm gelungen, mit Ulrich Czerwonka und den andern Hauptleuten der böhmischen Söldner des Ordens über die Kaufsumme für die Schlösser einig zu werden und billige Zahlungstermine festzusetzen; es war ihm gelungen, den König und seine Räte zu bewegen, die Hälfte davon als polnische Schuld zu übernehmen, und stolz hatte er den Unterhändlern, die von des Königs großen Verwendungen für Preußen sprachen, antworten dürfen, nicht er erweise dem Lande eine Gnade, sondern das Land kaufe ihm die Schlösser zum Geschenk; es war ihm gelungen, im Landesrat und auf dem Tage zu Elbing die Verteilung der Steuer auf die einzelnen Glieder des Bundes nach heißen Streitigkeiten zu ordnen, wobei dann freilich die einzige Stadt Thorn so viel aufzubringen übernahm als die gesamte Ritterschaft des Landes – wurde die Marienburg dem Bunde übergeben und der Orden aus dem Besitz der andern festen Schlösser gesetzt, die seine Söldner innehatten, so mußte der Kampf aus sein und der Bund Sieger bleiben. Nie mehr konnte sich der Gegner aus seiner Ohnmacht aufrichten. Da war dem eifrigen Mann, der sich allezeit kaum die nötige Nachtruhe gegönnt hatte, plötzlich ein Strich durch die Rechnung gemacht: die Gemeine weigerte sich, die Steuer zu bezahlen.
Und sie hatte sich nicht nur geweigert, sondern sogleich, wie von einem bösen Geist besessen, dem Rat den Gehorsam aufgesagt, vier Männer aus ihrer Mitte, den Kahnreeder Jürgen Langrock, den Krämer Tobias Groß, den Schmied Matthias Klinger und den Faßbinder Peter Borrich, Älterleute ihrer Zünfte, die sich dann weiter auf sechzehn und zuletzt auf vierundzwanzig selbst ergänzt, zu Deputierten erwählt und durch sie auf dem Rathause ihre Bedingungen gestellt. Es waren keine geringeren gewesen, als daß der Rat ihnen die Schlüssel zu den Stadttoren ausliefere, alle fremden Söldner, Polen und Böhmen, aus der Stadt fortschicken und den König nur mit kleinem Gefolge aufnehmen sollte. Die Steuer dürfte ohne ihre Bewilligung nicht erhoben werden. Rutger von Birken, der regierende Bürgermeister, war über diesen einmütigen Angriff der Zünfte nicht wenig bestürzt gewesen, und auch Tileman vom Wege hatte keinen besseren Rat geben können, als die Zünfte durch einige Zugeständnisse vorläufig zu beschwichtigen, nachdem er sich bei seinem Sohn, dem Hauptmann der städtischen Söldner, die Gewißheit geholt, daß er der Übermacht der bewaffneten Handwerker nicht gewachsen sei und das Rathaus gegen einen Ansturm derselben nicht würde decken können. An den König hatte man sich nicht wenden wollen, um ihm nicht Einfluß auf die inneren Angelegenheiten der Stadt einräumen zu müssen. Dieser Weg war aber dann doch unvermeidlich geworden, nachdem die Sechzehn halb und halb ins Stadtregiment aufgenommen, die Steuer entschieden verweigert und danach die ganze Gemeine sie einmütig abgeschlagen hatte. Vom König war der Bischof von Cujavien geschickt worden, über die Steuer mit den Widerspenstigen zu verhandeln. Er hatte auch, da man des Königs Zorn fürchtete, einen Vergleich erzielt, worauf die Sendboten des Rates zum Tage nach Elbing abgegangen waren. Die Unzufriedenheit und das Mißtrauen der Kleinbürger gegen die Stadtherren, die nur des Kaufmannes Wohl zu bedenken schienen, waren nicht beseitigt. Zwei Parteien standen sich seitdem schroff gegenüber, sehr ungleich an Zahl, aber die kleinere jetzt noch die herrschende, die größere mehr und mehr entschlossen, eine dauernde Vertretung der Zünfte im Rat zu fordern und bei beharrlicher Weigerung die Stadt dem Orden zu übergeben, auf dessen Dank dann gerechnet werden konnte.
Nun waren die Sendboten von Elbing zurückgekehrt. Der Rat hatte die Bürgerschaft vor das Rathaus entboten und ihr die dort gefaßten Beschlüsse mitgeteilt, auch das Steuerausschreiben angekündigt. Da aber war plötzlich der Aufruhr mit einer Gewalt losgebrochen, der Widerstand zu leisten die Machthaber nicht einmal zu versuchen wagten. Die Handwerker von allen Zünften. Meister und Gesellen, bewaffnet mit Spießen, Messern, Eisenstangen und Armbrüsten, voran die Neustädtischen, rotteten sich zusammen, erhoben einen gewaltigen Lärm auf den Straßen und Platzen, schlugen die Tür der Akzisebude ein, zerrissen die Steuerregister, streuten die Blätter umher und traten sie mit Füßen. Tileman vom Wege und Johann von Loë, die vom Rathause herbeieilten, um, im Vertrauen auf ihr Ansehen, durch vernünftige Vorstellungen diesem wahnsinnigen Treiben Einhalt zu tun, wurden verhöhnt, mit Kot beworfen und von den wütenden Anführern zurückgedrängt. Johann von Loë erhielt einen Stoß gegen die Brust, der ihn zu Boden warf, und Tileman vom Wege einen Messerstich in den linken Arm, mit dem er ihn halten wollte. »Ihr vom Rat seid allesamt meineidige Buben«, schrien die Anführer ihnen zu, »ihr habt eure Herren verraten und uns an die Polen verkauft – ihr habt die Stadt ins Verderben gebracht und wollt sie jetzt brandschatzen! Gesteht nur ein, worauf ihr mit den Söldnern einig geworden seid! Für den Sold habt ihr ihnen erlaubt, die Stadt zu plündern und uns so lange zu schatzen, bis sie sich ihres Schadens erholt. Wir wissen eure nichtswürdigen Heimlichkeiten. Aber jetzt wollen wir das Regiment in die Hand nehmen und ein strenges Gericht halten!«
Sie brachen ins Rathaus ein, vernichteten das große Stadtbuch, plünderten die Kassen, zerschlugen alle Kasten und Behältnisse, rissen die Schlüssel der Stadttore an sich und vertrieben alle Polen aus der Stadt. Das war geschehen ohne der gewählten Vorsteher Leitung. Nun aber versammelten sich die Aufständischen im Franziskaner-Kloster, von wo die ganze Bewegung, dem Rat unerklärlich, ausgegangen war, und berieten mit den Anstiftern, was weiter zu tun. Alle Straßen wurden zur Nacht mit Ketten gesperrt, die Bürger blieben in Waffen.
Dem Rat war es gelungen, den Woywoden von Kulm, Gabriel von Baisen, durch einen Eilboten von dem Geschehenen zu benachrichtigen. Er eilte mit einigen Kulmer Ratsherren herbei, wurde eingelassen und berief den Rat und die sechzehn Vertreter der Zünfte in den inneren Hof des Rathauses in der Hoffnung, Frieden stiften zu können. Viele von den Ratsherren waren aber so eingeschüchtert, daß sie sich von der Gemeine erst sicheres Geleit versprechen ließen, ehe sie sich aus ihren Häusern wagten. Tileman vom Wege lag krank. Zu einer ordentlichen Verhandlung kam es nicht. Vergeblich mühte sich der Woywode, das Wort zu erhalten, vergeblich suchten die Kulmer Herren zu vermitteln. Es waren schon nicht mehr einzelne Beschwerden, die gegen den Thorner Rat vorgebracht wurden und durch Nachgiebigkeit hätten abgestellt werden können; die Angriffe richteten sich unverhüllt gegen den Bund selbst. Jürgen Langrock schrie ihn an: »Geht, geht! Wir Bürger sollen nur zahlen und opfern, damit der König herrsche!« Und der Faßbinder Peter Borrich fügte noch deutlicher hinzu: »Das Land ist weggegeben um drei oder vier Schwaben! Das haben getrieben der lahme Stümper, der Kirchenverräter und sein Bruder, der Woywode, die haben uns verleitet und die Herren und das Land verraten!« Mit dem Woywoden war er selbst gemeint, wie er wohl wußte, mit dem lahmen Stümper und Kirchenverräter Hans von Baisen, der Gubernator, sein Bruder.
Er wollte sich verteidigen und ihnen ihre Ungebühr vorhalten, aber sie schrien ihn nieder und hießen ihn schweigen. Zu den Thorner Ratsherren sagte Tobias Groß: »Nun sind die Herren vertrieben, und ihr habt das Haus gebrochen; ihr sollt es auch wieder bauen, wenn die Herren wieder herkommen!« Und der Schmied Matthias Klinger schlug mit dem schweren Hammer, den er in der Hand hielt, auf das Pflaster, daß die Funken stoben, und schrie: »Wir wissen, wo wir Gerechtigkeit finden. Fort mit den polnischen Blutsaugern!«
Da war's klar ausgesprochen, wohin der Aufruhr eigentlich zielte: dem Orden sollte die Stadt Thorn zurückgebracht werden. An Versöhnung konnte unter solchen Umständen nicht zu denken sein. Gabriel von Baisen war des eigenen Lebens nicht sicher, wenn er länger in der Stadt blieb. Die von den Zünften verlangten stürmisch seine Entfernung: sie könnten sonst für nichts gutstehen. »Ihr seht, liebe Herren«, wandte er sich achselzuckend zu denen vom Rat, die mit bleichen Gesichtern dastanden, »ich kann euch nicht helfen. Mein Amt und meine Person sind mißachtet. Ich weiche der Gewalt. Bedenket vorerst selbst, wie ihr euch gegen solchen Sturm haltet.« Damit verließ er sehr besorgt die Stadt.
Nun fühlten die Aufständischen sich darin erst recht als die Herren.
Jost vom Wege war Hauptmann der Stadtwache und der städtischen Söldner innerhalb der Mauern. Es war ihm aber nur gelungen, ein kleines Häuflein unter seinem Befehl zusammenzuhalten und in einigen der festesten Stadttürme gegen die Angriffe der wütenden Aufrührer durch Verrammlung der Zugänge zu sichern. Die Wachmannschaft der Quartiere bestand zumeist aus Handwerkern und blieb aus; die polnischen Söldner hatten sich aus dem Staube gemacht; die Deutschen, die ihrer Pflicht treu blieben, waren in viel zu geringer Zahl, um den Aufstand bewältigen zu können. Jost selbst mußte ihnen raten, sich stillzuhalten. Sie hatten über die gedeckten Wehrgänge zwischen den Türmen hin Verbindung miteinander und tauschten den Proviant aus. Auch konnten sie, wenn's not tat, über die Mauer ins Freie. Ein unterirdischer Gang, der nur dem Hauptmann bekannt war, führte durch eine schmale Mauerpforte bis unter das Rathaus. Jost benutzte ihn, um unbemerkt mitten in die Stadt Zu gelangen und von einem Patrizierhause zum andern zu schleichen, Erkundigungen einzuziehen und sich weitere Verhaltungsmaßregeln zu erbitten.
Tileman vom Wege sah in seinem Lehnstuhl, den linken Arm in der Binde. Auch sonst fühlte er sich unwohl. Sein Gesicht war gelb, die Augen lagen tief. Zu groß waren die Anstrengungen und Aufregungen der letzten Zeit gewesen; selbst so eiserne Nerven waren ihnen nicht gewachsen. Nun hatte ihm der Ärger über der Bürger Unverstand und der Bündischen Lässigkeit die Galle aufgerührt. Er hatte gemeint, ein Haus aus Quadersteinen errichtet zu haben, und seine Mauern zerbröckelten beim ersten Ansturm von innen wie loser Mörtel. Niemand tat voll seine Schuldigkeit; der König nicht, der nur mühelos ernten wollte, die polnischen Großen nicht, die von einer Eroberung Preußens geträumt haben mochten und nun den preußischen Edelleuten die Ämter überlassen mußten, der Gubernator und die Woywoden nicht, denen es nur um Stärkung ihrer Macht zu tun war, wenn sie den König durch Fügsamkeit in guter Laune erhielten, die Bündischen selbst nicht, die eifersüchtig einander bewachten oder sich ihren Verpflichtungen nach Möglichkeit zu entziehen suchten. Wie hätte Thorn sonst in dieser traurigen Lage auch nur wenige Tage gelassen werden können! Sollte dieser lange Kampf wirklich umsonst gewesen sein, der Orden triumphieren? Der Gedanke machte ihn wild.
Vor ihm stand Jost in dem roten Schlitzwams, wie es die Söldnerhauptleute trugen, die Hand auf das Schwert gestützt, in dessen Korb die langen Lederhandschuhe eingeklemmt waren. Die Eisenkappe hielt er in der Linken. »Ihr solltet zu Bett gehen, Vater«, sagte er besorgt, »Ihr seht recht übel aus und verschlimmert Euer Leiden durch so trotzige Nichtbeachtung.«
»Es ist jetzt nicht die Zeit«, antwortete der Alte, gleich wieder die Zähne zusammenbeißend. »Was tun die Danziger?«
»Sie sind selbst in schwerster Bedrängnis durch ihre Gemeine. Der Rat hatte einen Boten hierhergeschickt. Wir halfen ihm über die Mauer. Auch dort ist der Teufel los, die Gemeine obenauf. Fast zu gleicher Zeit ist's angegangen. Die Anführer haben Verbindung miteinander. Sie sprechen auch dort davon, die Stadt dem Orden zu übergeben; der Rat soll abgesetzt und aus den Zünften wiederhergestellt werden – das meinen sie mit Hilfe des Ordens durchsetzen zu können.«
»Und unsere Söldner in Neuenburg und Stargard rühren sich nicht?«
»Ich habe sie auf des Bürgermeisters Geheiß entbieten lassen. Aber sie bedenken sich des rückständigen Soldes wegen, den sie jetzt leicht erpressen können, und schützen vor, daß sie von der Stadt Thorn allein keine Befehle anzunehmen haben. Indessen wächst täglich die Gefahr, daß die Ordenshauptleute, die bei Neumark und Lessen stehen, mit ihrem Heer aufbrechen und den Aufständischen zu Hilfe kommen. Sind aber noch nicht unterwegs.«
»Verdammt!« knirschte Tileman. »Das haben unsere Schufter und Schneider nicht von sich selbst. Der Aufstand muß von langer Hand vorbereitet sein und seine Anstifter außen haben. Die Pfaffen sind die Vermittler gewesen. Wir hätten sie allesamt aus der Stadt jagen sollen, als sie des Papstes Bann verkündeten. Aber es waren da zuviel Zaghafte, die es mit dem heiligen Stuhl nicht ganz verderben wollten. Die redeten uns zu, es sei nicht so schlimm gemeint und werde bald wieder in Vergessenheit gebracht werden. Nun danken uns die Kutten solche Vorsicht.«
»Ja, die Franziskaner helfen den Aufrührern«, bestätigte Jost. »In ihrem Kloster sitzen die Vierundzwanzig beständig und beraten und lassen Briefe schreiben. Der Pfarrer Andreas soll wieder zurück sein und von den Mönchen beherbergt werden. Der schreibt ihnen die Briefe.«
»Ich riet, ihm den Kopf abzuschlagen, wie dem Helwig und den andern Buben«, rief Tileman, »aber er war ja ein Geweihter des Herrn – an dem vergriff man sich nicht. Hahaha!«
»Und noch einen andern hab ich mit eigenen Augen nach dem Kloster schleichen sehen, um den's der Rat auch nicht verdient hat«, fuhr Jost fort. »Den Götze Rubit! Ich schwör darauf, er war's.«
»Er kommt, sein Geld zu holen«, grinste der Alte. »Daß man's nicht geschmolzen und ihm in den Hals gegossen hat!« »Der gefährlichste aber ist ein Einäugiger, der sich im Kloster versteckt hält.«
»Ein Einäugiger? Wer ist das?«
»Man weiß es nicht. Die Aufrührer selbst kennen nicht seinen Namen und Stand. Den Pfaffen mag er sich wohl offenbart haben. Wir fingen gestern nacht einen Schuster, der sich betrunken hatte und zu nahe an unsere Verschanzung herantaumelte. Dem gossen wir einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf, daß er sich ausnüchterte, jagten ihm mit vorgehaltenen Spießen großen Schreck ein und fragten ihn aus. Da hat er gebeichtet, was er wußte. Das war nicht viel, aber es kam doch heraus, daß der Herr Hochmeister ihnen den Einäugigen geschickt und durch ihn das Stadtregiment für ewige Zeiten versprochen hätte, wenn sie wieder den Orden als Oberherrn aufnehmen wollten. Er hätte ihnen zugesichert, sie sollten von allen Bußen für den Abfall frei bleiben, die Forderungen der Soldhauptleute beider Teile aber den reichen Kaufleuten allein zu berichtigen aufgegeben werden; die Herren sollten von Haus und Hof kommen, besonders die im Rat gesessen. Danach sollte wieder die alte gute Zeit zurückkehren und die Teuerung aufhören und niemand unbillig besteuert werden. Deshalb täten sie sich selbst den besten Dienst, wenn sie dem Herrn Hochmeister die Tore öffneten.«
»Und das sei auch beschlossen worden –?« fragte der Alte in fieberhafter Erregung, sich mit dem Sacktuch die Stirn trocknend.
»Das wußte er nicht«, antwortete Jost; »er gehört nicht zu den Vierundzwanzig. Aber es ist wohl anzunehmen. Wir haben auch von der Dachluke des Turmes aus sehen können, daß sie Boten aus den Toren ausgelassen haben. Sind die Hauptleute ihnen willig, so gewinnen sie die Stadt ohne Schwertstreich. Denn die Aufrührer haben die Schlüssel zu allen Zugängen in Händen.«
»Und der König zögert –?«
»Rutger von Birken hat einen dringenden Brief an ihn geschrieben und durch einen treuen Mann versendet. Auch einen zweiten an den Hauptmann von Dybow, der es mit seinem Heerhaufen am wenigsten weit hat. Das ist mit mehrerer Ratsherren Bewilligung geschehen, die er trotz der Straßensperre hat befragen können. Es ist ihnen bedenklich genug gewesen, sich von den Polen helfen zu lassen, aber in dieser Not kein anderer Weg geblieben.«
»Ja, ja«, klagte Tileman, »die Polen tun nichts umsonst. Wir haben dem König schon so viel Recht eingeräumt auf mündliche Versprechungen, die eitel Wind sind, wenn wir ihn nicht zwingen können, uns Wort zu halten. Er vertröstet uns wegen der Verschreibungen von einer Zeit zur andern. Erst soll die Marienburg in seinem Besitz und der Orden ganz niedergeworfen sein. Es verlautet aber aus seiner höfischen Umgebung, daß man mit allerhand Falschheit umgeht und den Orden nicht fallen lassen will, wenn er bereit ist, den König als Lehnsherrn anzunehmen. Dann soll ihm wieder das ganze Land Preußen untertänig werden und der Bund geopfert sein. Ich weiß nicht, wie weit dieser Plan gediehen ist, aber daran kann kein Zweifel sein, daß man ihm ernstlich nachgehen wird, wenn Thorn und Danzig dem Orden zufallen. Das will ich nicht überleben.«
»Wir können das Rathaus eine Weile verteidigen, Vater«, sagte Jost nach einigem Bedenken. »Rückt das Ordensheer an, so ist meine Absicht, unsere Leute durch den unterirdischen Gang dorthin zu führen, den Hof zu besetzen und die Türen zu verrammeln. Kommen dann die Polen nicht zu spät, so kann es dem Rat nützlich sein, wenn er das Haus in seiner Gewalt hat. Dafür will ich gern mein Blut vergießen.«
Tileman reichte ihm die feuchtkalte Hand. »Gott wolle mir solches Leid ersparen«, sagte er. »Tu aber, was deine Pflicht ist. Wir müssen alle unsere Kraft zum äußersten anspannen, drohendes Unheil abzuwenden.«
Jost hüllte sich in einen langen und weiten Mantel und verließ das Haus durch eine Hinterpforte.
Bei den Franziskanern ließ es Boppo an Rührigkeit nicht fehlen, der Bürgerausschuß stellte sich ganz zu seiner Verfügung und gab ihm Vollmacht, zugunsten des Ordens zu handeln. Die guten Leute glaubten, was er ihnen sagte, und hatten jetzt auch schon keine andere Wahl, als auf des Ordens günstigen Stern zu hoffen. So weit hatten die meisten kaum gehen wollen; nur die Aufnahme von Vertretern der Zünfte in den Rat strebten sie an, um zu hindern, daß der schwerste Teil der Steuern, wie üblich, auf ihre Schultern gewälzt würde. Nun war kein Halt mehr gewesen, nachdem der Aufruhr jede friedliche Verständigung mit dem Rat unmöglich gemacht. Sie wußten, daß sie siegen müßten, wenn sie nicht als Besiegte schwere Strafe erleiden wollten. So war jetzt die Parole ausgegeben: »Wie die Schlösser des Ordens alle an einem Tage gestürmt worden, so würden jetzt die großen Städte auf einen Tag ihre Ratsherren fangen und erschlagen und darauf die Kreuzherren einlassen!« Das war ein Satz, der sich leicht dem Gedächtnis einprägte und glatt vom Munde ging. Er wurde denn auch in allen Baderstuben und Weinkellern und Gesellenherbergen tapfer wiederholt. Nun erinnerten sich die Maurer, Zimmerleute und Dachdecker mit Seufzen, wie sie selbst dem Rat geholfen, das Schloß zu brechen, und mancher sagte, es sei ihm schon damals gewesen, als hätte eine unsichtbare Hand ihn zurückhalten wollen. Eine rechte Schande sei es für die deutsche Stadt, sich mit dem polnischen Gesindel eingelassen zu haben. Sie redeten sich in rechte Wut. Wie die Ratsherren der großen Städte Verrat geübt hätten, gerade so müßte ihnen nun auch vergolten werden.
Die Vierundzwanzig ließen deshalb Briefe an die Gemeinen von Danzig und Elbing schreiben, sie sollten ihrem Beispiel folgen. Pfarrer Andreas war der Schreiber. Der Einäugige setzte sich aber auch mit den Ordenshauptleuten in Neumark in Verbindung und beschwor sie, eiligst aufzubrechen und die Stadt einzunehmen. Sie machten auch Zusagen, zögerten aber, da sie den Nachrichten noch nicht recht trauten und sich den Vorteil nach der andern Seite nicht verschlagen wollten, wenn der Rat doch die Oberhand behielte. Vielleicht war die Stadt leicht zu nehmen, aber schwer zu behaupten. Ostra wurde von Tag zu Tag ungeduldiger. Er entschloß sich endlich, so schwer es ihn ankam, an den Spittler Heinrich von Plauen zu schreiben und ihn um seine schleunige Einwirkung bitten zu lassen. Den Hochmeister wollte er durch einen Brief, der leicht aufgefangen werden konnte, nicht der Gefahr aussetzen, des Einverständnisses mit den Aufwieglern bezichtigt zu werden. Mit den Handwerkern die Stadt gegen die königlichen Truppen zu halten, konnte schwerlich gelingen. Es war die höchste Zeit, daß er waffenkundige Mannschaft zur Unterstützung des Aufstandes erhielt.
Da ereignete sich etwas, das kein Teil hatte vorhersehen können. Zwei Danziger Kaufleute und Ratsherren, Cord von Dalen und Heinrich von Staden, hatten, ehe noch die Unruhen in Danzig ausbrachen, mehrere Kähne mit Waren für Polen befrachtet und die Weichsel aufwärts geführt. Wie es in Kriegszeiten auch sonst üblich war, und weil die Kähne an einigen noch vom Orden besetzten Städten vorüber mußten, hatten sie zur Sicherung des sehr wertvollen Transports fünfhundert Söldner mitgenommen. Nun landeten sie bei Thorn, schifften die Güter aus, die demnächst auf anderen Fahrzeugen weiterbefördert werden sollten, und setzten auch die Söldner ans Land, die Wohl oder übel in der Stadt geherbergt werden mußten. Den Thorner Ratsherren wuchs der Mut, so daß sie sich wieder auf den Straßen zeigten, und Jost vom Wege durfte nicht mehr befürchten, seinen Verteidigungsposten aufgeben zu müssen. Die Gemeine aber mußte sich trösten, die gefährlichen Gäste wären nicht zahlreich genug, etwas Feindliches gegen sie unternehmen zu können, so lange die Zünfte einig zusammenständen.
Der Einäugige, dem dieser Zwischenfall sehr verdrießlich war, sendete sofort Götze Rubit nach Neumark ab, ließ den Ordenshauptleuten wegen ihres Zögerns Vorwürfe machen und bat sie dringend, ihren Anmarsch zu beschleunigen. Sie wollten eben, auch vom Spittler gedrängt, mit ihren Leuten aufbrechen. Auf die Kunde von dem Vorgefallenen wurden sie wieder stutzig und ließen absatteln. Sie traten in Beratung und beschieden dann Rubit dahin, die Thorner sollten sehen, wie sie erst wieder die fremde Besatzung los würden; sie selbst seien zu schwach, sich auf einen Kampf einzulassen, und wollten nicht von den Feinden in die Mitte genommen sein.
Diese Ablehnung brachte Ostra in die schlimmste Verlegenheit. Er versammelte die Vierundzwanzig und ermahnte sie dringend, die fremden Söldner aus der Stadt zu werfen und im Notfall mit Gewalt zu entfernen; jede versäumte Stunde verdoppele die Gefahr. Jetzt hätten sie es mit fünfhundert zu tun, bald mit so viel Tausenden, wenn sie die Königlichen herankommen ließen. Zugleich müsse die Hoffnung auf Entsatz schwinden. Viele waren aber zaghaft geworden, andere hatten ganz den Kopf verloren. Die Mehrheit konnte sich nicht entschließen, die Feindseligkeiten gegen die gutbewaffneten Söldner zu beginnen. »Ihr Toren«, rief ihnen der Ritter zu, »seht ihr denn nicht, daß ihr für euer Leben fechten müßt? Laßt den Rat über euch kommen, und seine Rache wird furchtbar sein.« Der Schmied Klinger trat ihm bei und gewann auch einige andere. Die meisten aber wurden nun erst recht scheu und schlössen sich dem Krämer Tobias Groß an, der vorschlug, es mit einer List zu versuchen.
Sie war allzu durchsichtig. Es wurde vorgegeben, die Gemeine wolle sich mit dem Rat verständigen, wobei die fremden Gäste die Vermittlung übernehmen sollten. Die beiden Danziger Ratsherren und die anderen Danziger Kaufleute, die mit ihnen gekommen waren, sowie die fünfhundert Söldner wurden deshalb zum nächsten Morgen auf die Schiffbrücke bestellt; dort wollten sie mit ihnen ratschlagen, Sie hatten sich's so ausgedacht, daß sie dann eiligst hinter ihnen die Stadttore schließen und sie aussperren würden. Das gesamte Danziger Gut wollten sie in Beschlag nehmen und damit die Ordenshauptleute, wenn sie von der andern Seite einrückten, befriedigen. Kaum aber hatte Tileman vom Wege von dieser sonderbaren Ladung Kenntnis erlangt, als er, so krank er war, sein Haus verließ, die Danziger aufsuchte und sie nachdrücklich warnte. Auf seinen Rat schützten sie vor, am andern Tage bei ihren Gütern zu sehr beschäftigt zu sein, und brachten den Sonntag für die Beratung in Vorschlag. Die Handwerker mußten sich dabei beruhigen.
Wieder gingen Eilboten nach Polen ab und trafen Stanislaus von Ostrorog, Woywoden von Kalisch, den König Kasimir schickte, schon unterwegs. Der Hauptmann von Dybow, Koscieletz, verstärkte mit seiner Mannschaft das Heer. Auch die Kulmer schickten hundert Trabanten, die nachts in die Stadt einrückten, nachdem Jost vom Wege mit seinen Leuten das Tor von innen besetzt hatte. Am Morgen sah die überraschte Gemeine ihre Sache völlig verloren. Die fünfhundert Danziger Söldner besetzten den Markt und das nach der Weichsel führende Sigler Tor, die Trabanten das gegenüberliegende Kulmer Tor, durch welches sie eingezogen waren, die Thorner Söldner sperrten die Zugänge nach der Neustadt ab. Ungehindert rückten die Polen dort vor. So von allen Seiten eingeschlossen, wagten die Bürger keinen Widerstand. Ein furchtbarer Schrecken bemächtigte sich ihrer; sie warfen die Waffen fort und suchten in den Kirchen Schutz oder versteckten sich in ihren Häusern.
Und nun begann in der Alt- und Neustadt ein wahres Kesseltreiben der ehrsamen Meister aller Gewerke, die sich rebellisch gegen den Rat als ihre verordnete Obrigkeit aufgelehnt hatten, und ihre mitbeteiligten Gesellen. Während die Polen alle Tore und Pforten verstellten und keinen durchließen, der nicht einen Zettel aus der Ratsstube vorzeigte, durchzogen die Trabanten rottenweise die Straßen, drangen in die Kramläden und Handwerkerhäuser ein, sperrten die Türen zu den Kirchhöfen und drohten den Eingeschlossenen, sie durch Hunger zur Ergebung zu nötigen. Wen sie erwischten, der wurde mit Stricken gebunden und nach den Torwachen gebracht oder in die Keller des Rathauses geworfen. Dabei läuteten alle Glocken von den Kirchtürmen, als ob ein großes Fest angekündigt würde. Genau so hatten es die Herren Bürgermeister beschlossen, die sogleich im Rathause den Rat feierlich versammelten und zu Gericht sitzen ließen. Es wurde beschlossen, daß die Sitzung nicht unterbrochen werden sollte, bis die Ordnung vollständig wiederhergestellt worden.
Die Namen der Vierundzwanzig waren bekannt; nach ihnen sollte vor allem gefahndet werden. Dann kamen die Gefangenen, wie sie eingeliefert wurden, ins Verhör und wurden unter Androhung der Tortur nach den übrigen Anführern ausgefragt. Bald füllte sich die Liste der Proskribierten. Die Franziskaner mußten Jost vom Wege und seinen Leuten ihr Kloster öffnen. Alle Zellen wurden durchsucht, selbst die Dachkammern durchstöbert. Es war auf den Einäugigen und Götze Rubit abgesehen. Sie hatten sich aber mit einigen Mitgliedern des Ausschusses, die zur Nacht bei ihnen waren, rechtzeitig über die Mauer flüchten können. Pfarrer Andreas steckte in einer Kutte, wurde erkannt und ins Gefängnis abgeführt. Bald saßen mehr als hundert von den Aufrührern hinter Schloß und Riegel. Alle festen Gelasse in den Türmen waren gefüllt.
Nun zogen Scharen von Weibern und Kindern vor das Rathaus, lamentierten kläglich und flehten um Gnade. Die Gemeine wollte sich unterwerfen. Aber sie erlangten nur so viel, daß vorläufig von weiterer Aufhebung der Schuldigen Abstand genommen wurde. Niemand sollte sich aus den Häusern rühren bis auf des Rats fernere Weisung. Die Bittenden wurden durch die Söldner vom Markt vertrieben. An die Polen ging eine Deputation von Ratsherren ab, den Woywoden Stanislaus von Ostrorog und den Hauptmann Koscieletz aufs Haus einzuladen. Dort begrüßte Rutger von Birken sie mit feierlicher Anrede und sagte ihnen der Stadt Dank; ein würdiges Geschenk behalte man sich vor. Den größten Dienst freilich hätten sie ihrem König geleistet, dem der Verlust von Thorn der Verlust des Landes gewesen wäre; von ihm dürften sie daher den reichsten Lohn erwarten. Am Schluß deutete er an, daß der Rat, wie sie sich überzeugt hätten, wieder völlig Herr der Stadt sei und ihrer Unterstützung innerhalb der Mauern nicht weiter bedürfe, bäte sie daher, zur Vorbeugung neuer Unruhen ihre Truppen zurückzuziehen und vor der Stadt ins Lager zu bringen. Den Ratsherren schien es kaum eine geringere Gefahr, wenn die Stadt von dem Kriegsvolk des Königs besetzt war, als wenn die Gemeine darin die Herrschaft hatte. Sie meinten sich nicht schnell genug dieser Gäste entledigen zu können, die man sich wahrlich nur in der höchsten Not einzuladen entschlossen gehabt.
Darauf begann die Beratung, was mit den Gefangenen geschehen solle. Johann Ruß, bereits der zwölfte aus der Familie im Rat und deshalb hoch angesehen, Bertram von Allen, Johann Ronnenberg und die drei kürzlich zum erstenmal aus der Neustadt in den gemeinsamen Rat Gekürten, Peter Roger, Hans Gloger und Barthel Stolle, sprachen sich dafür aus, Milde walten zu lassen. Es sei eine Zeit, in der alle gewohnte Ordnung erschüttert worden, und niemand wisse, was der kommende Tag bringen werde. Wer Sieger bleibe, der habe recht. »Es ist keiner von uns«, sagte Bertram von Allen, »dessen Gewissen sich nicht schwer belastet zeigte, wenn ihm ein Priester des Ordens die Beichte abnähme, und in des Papstes Augen, der uns gebannt hat, sind wir nicht minder straffällig. Lasset uns billig erwägen, daß diese armen Leute gegen den Orden keine Klage gehabt haben außer über die schlechte Münze, die er doch zum wenigsten verschuldete, und durch uns zum Abfall gebracht sind ohne ihre besondere Einwilligung, daß sie auch des langen Krieges drückendste Lasten getragen und geringsten Vorteil geerntet haben. Vielleicht wäre solcher Verwirrung vorgebeugt worden, wenn wir rechtzeitig einige von ihren Älterleuten in den Rat aufgenommen hätten. Nun wollen wir es ihnen nicht so schwer verargen, daß sie von Mißtrauen gegen uns erfüllt waren und gegen Ausbeutung gesichert sein wollten. Sind sie nun gewaltsam zum Gehorsam zurückgebracht, so werden sie uns die Milde danken, mit der wir ihnen den Fehl verzeihen, und fortan treu zu uns halten. Andernfalls aber wird ein Groll in ihrem Herzen bleiben und sich ein andermal vielleicht noch schreckhafter entladen. Also stimme ich für ernstliche Vermahnung und Freilassung der Schuldigen.«
»Ihr vergeht«, entgegnete Rutger von Birken, »daß diese Leute sich nicht nur wider ihre Obrigkeit gesetzt haben, um Teil am Stadtregiment zu gewinnen, sondern räuberischer Gewalt und des Hochverrats schuldig sind, indem sie sich dem Orden ergaben. Es müßte den Herrn König wundernehmen, wenn wir solche Frevel gering achteten.«
»Sie sind nicht so sehr von der Gemeine begangen«, suchte Johann Ruß zu entschuldigen, »als von einzelnen losen Buben und schlechten Schelmen. Was die an wildem Aufruhr verbrochen haben, mag man billig den ruhigen Bürgern nicht zur Last legen. Sind sie hinterher vom Sturm mitgerissen, so wissen wir alle, daß dem schwer zu widerstehen ist. Der Plan aber, sich dem Orden zuzuwenden, ist ihnen von fremden Anstiftern eingegeben, die doch leider der Strafe durch die Flucht entgangen sind. Lasset sie uns als Verführte behandeln, die wir versöhnen wollen. Denn wir haben, wie mich dünkt, noch viel zu tun, und können ihrer Hilfe nicht entbehren.«
Dem stimmten die Neustädter Herren vielleicht allzu eifrig zu. Deshalb sagte Albrecht Damm, der Tileman vom Wege rot werden sah: »Allzu scharf macht schartig, aber allzu stumpf schneidet ins eigene Fleisch. So ist meine Meinung, daß wir die schuldigen Anführer auswählen und richten nach der Gerechtigkeit, die anderen aber laufen lassen. So sehen sie unsere Strenge und Milde zugleich.«
»Abgehört und gerichtet müssen sie alle werden«, sprach Johann Ziegenhals, »da sie auf frischer Tat betroffen und gefangen sind. Ob wir hinterher Gnade walten lassen, steht bei uns. Auf Aufruhr und Gewalttat gegen die Obrigkeit steht der Tod!«
»Es sind ihrer zu viele«, meinte Ronnenberg, »wir können mit ihnen nicht ins Gericht gehen, es wird ein zu groß Geschrei. Verurteilen wir sie, so können wir sie nicht hindern, an den König zu appellieren, und er wird die Sache aus dem Lande ziehen, weil die heimischen Gerichte Partei sind, das darf um vieler Ursachen wegen nicht sein. Und warum sollen auch gerade diese hundert und etliche büßen, die gefangen sind. Es ist nicht einer in der Bürgerschaft, der nicht schuldig wäre wie sie. Wir müßten denn die ganze Gemeine auf die Anklagebank setzen.«
»Bringen wir die vier auf den Block«, schlug Berniger vor, »die sich zuerst von der Gemeine haben wählen lassen, und ein paar von denen, die in die Akzisebude eingebrochen sind und die Bücher vernichtet haben, so ist ein heilsames Exempel statuiert, und die andern, die wir laufen lassen, werden uns danken.«
Nun stand Tileman vom Wege auf, stemmte die rechte Hand auf den Tisch und sah mit flammenden Blicken im Kreise herum. »Wozu ratet ihr Herren da?« rief er. »Sitz' ich im Rat der Stadt Thorn, der durch Gewalt entrechtet war und nach Niederwerfung der Gegner wieder von seinem Hause Besitz genommen hat, oder in einer Versammlung von Weiblein, die das Herz auf der Zunge haben? Ihr Herren, ihr Herren! Gedenket des doppelten Eides, den ihr der Stadt und dem König geleistet, das sind nicht gute, sondern recht törichte Worte. Ein Körnlein Wahrheit ist wohl in allen, aber es ist in die unrechte Bütte gefallen und wird ausgeschüttet werden mit der Spreu. Sprecht ihr von Milde und Gnade? Aber wenn die Gemeine gesiegt hätte und morgen wär' das Ordensheer eingezogen in die Stadt – was wär' uns dann geschehen? Sie hätten uns aus unsern Häusern gezogen und auf den Markt geschleppt und den Kopf abgeschlagen, wie sie gedroht. Ja, den Kopf abgeschlagen, und hätt' keiner fest genug auf seinem Rumpf gesessen. Und nun sind wir die Sieger. Was soll's mit der Verletzung des Gesetzes und Ahndung strafbarer Tat? Wir sind in einem Kampf begriffen gewesen, von dem die Rechtsbücher nichts wissen und wissen können. Und das war die letzte Frage, wer soll herrschen? Wer soll herrschen in der Stadt – der Rat oder die Zünfte? Und wer soll herrschen im Lande – der König oder der Orden? Wie wollt ihr sie entscheiden nach der Gerechtigkeit? Der Mächtige herrscht, der Schwächere dient. Was Verhör! Was sollen sie euch sagen, das ihr nicht schon wißt, es wär' euch denn darum zu tun, auf der Angeber Beschuldigung die Gefängnisse noch mehr zu füllen. Was Gericht! Wer sind die Richter? Wir. Und wir sind die Sieger. Wir können nicht Recht sprechen in eigener Sache, unser Spruch wär' ein Hohn der Gerechtigkeit. Aber wir wollen ihnen tun, was sie uns tun wollten –: Kopf ab!«
»Ohne Verhör – ohne Gericht – ohne Urteil – alle –?« schrien die Ratsherren durcheinander. »Das kann nicht sein – das darf nicht sein ...«
»Kopf ab!« wiederholte Tileman vom Wege mit eiserner Ruhe, aber noch schärferem Ton. Das Wort fiel selbst wie ein geschliffenes Beil nieder. »Wen wollt ihr aussuchen? Sie sind alle gleich schuldig, und noch Tausende sind schuldig wie sie. Es ist wie in der Kriegsschlacht: diese Vorderen erliegen des Gegners Schwert und die anderen retten das Leben. Wer die Würfel wirft – wir wissen es nicht. So sind diese hundert im Kampf niedergeworfen und gefangen. Kopf ab! Die anderen mögen unbehelligt sein.«
Selbst Rutger von Birken durchlief es kalt. »Es ist zu viel Blut«, murmelte er. »Losen wir den zehnten – oder den fünften – – oder den dritten Mann aus.« Er hoffte, der Freund würde endlich zustimmend nicken. Aber es geschah nicht. »Begnügt Euch mit der Hälfte!«
Tileman zuckte die Schulter. Die Stirn über den Augenknochen wulstete sich; die Falten schienen sich zu vereinen oder von da auszustrahlen. Er war schrecklich anzusehen. »Fordere ich ihre Köpfe für mich?« fragte er. »Mich selbst hat kein einziger beleidigt – auch der nicht, dessen Messer ich diese Armwunde verdanke. Es ist ihm verziehen. Aber wofür leben wir, wofür streiten wir? Wenn wir nicht überzeugt sind, für die Jahrhunderte zu bauen, was soll dieses Puppenspiel? Wir bauen für die Jahrhunderte, und das ist unsere Vollmacht für die Stunde. Wir haben dem Orden abgesagt, und nie wieder soll unser Nacken sich beugen vor dem schwarzen Kreuz auf eines Ritters Gewand. Wir haben dem König geschworen, und nie wieder soll ein anderer unser Herr sein, als der unsere Freiheit achtet. Wir haben in den großen Städten das Regiment beim Rat, und nie darf es abgetreten werden an die Gemeinen. Darum muß dieser Versuch, die Ordnung der Dinge umzukehren, der erste und letzte gewesen sein. Fallen jetzt unbarmherzig die hundert Köpfe, so wird dieses blutige Schauspiel in Thorn sich nie wiederholen dürfen – nie! Aber zeigt euch jetzt schwach, und eure Kinder und Enkel werden euch fluchen. Denn der Kampf wird sich fortsetzen und unablässig Blut heischen und das ganze Land verderben. Das sagt euch Tileman vom Wege!« Diese Rede erschütterte alle Hörer. Noch nie hatte er so scharf und wuchtig zugleich gesprochen. Es war, als ob Feuer von seinem Mund ausging und ihnen ins Gewissen brannte. Mehrere, die zur Milde geraten hatten, kamen sich wie Feiglinge vor, die in einem Versteck ertappt waren. Rutger von Birken, der den Vorsitz hatte, sah auf die Liste der Gefangenen hinab und lächelte verlegen. Manches von dem, was Tileman mit der ihm eigenen Sicherheit als unumstößliche Wahrheit hingestellt hatte, schien ihm anfechtbar; wenn er aber seinen Gesichtspunkt gelten ließ, war es sehr töricht, um dies und das mit Worten zu fechten.
Zuerst stimmte der Ratsherr Toydenkoß zu, der bisher geschwiegen hatte. Seine Nachbarn schlossen sich lebhaft an. »Wir müssen aufgeräumt haben, ehe der König kommt oder auch nur von Krakau aus Einspruch erheben kann«, sagte der eine, und der andere fügte hinzu: »Wir müssen denen in Danzig einen Schrecken einjagen, dann ergeben sie sich ohne Widerstand. Wäre die Gemeine dort siegreich, so würden wir bald den Rückschlag fühlen.« Nun traten nach und nach auch die übrigen bei, einige mit Entschuldigungen, daß sie eine so klare Sache nicht sogleich richtig erfaßt hatten. Die Neustädter Herren überlegten, daß sie leicht in Verdacht der Begünstigung des Aufstandes kommen könnten, wenn sie gegen die Exekution Einspruch erhöben, und schwiegen. Sie ließen sich überstimmen.
Und so wurde denn am andern Morgen die gesamte Bürgerschaft vor das Altstädtische Rathaus berufen, dem Schrecknis zuzuschauen. Die Söldner umstellten den Platz. Ihre Führer waren angewiesen, sofort scharf einzuhauen, falls sich eine Bewegung zugunsten der Delinquenten merkbar machen sollte. Die Gefängnisse wurden entleert. Es zeigte sich, daß ein Teil der Gefangenen in der allgemeinen Verwirrung entsprungen war. Für einige andere, die angesehene Freunde hatten, wurde unter der Hand Bürgschaft angenommen und Aufschub gewährt. Aber die Mehrzahl kam gebunden und von den Stadtknechten herangetrieben auf den Platz. Es war in der Eile nicht einmal ein Gerüst errichtet, sondern der Block auf das Pflaster gestellt. Zweiundsiebzigmal fiel des Scharfrichters Beil und rollte ein Kopf über die Steine. Weithin spritzte das Blut und sammelte sich um den Block zu einer dunklen Lache, die von Zeit zu Zeit mit Sand überstreut wurde. Stundenlang dauerte die entsetzliche Blutarbeit.
Die Bürgerschaft stand wie erstarrt von Schrecken; sie begriff, daß der Rat seine Rache nahm, und wagte nicht einmal mehr eine Bitte für die Opfer. Nur ein leises Seufzen und Wehklagen ging mitunter durch die Massen. Die Blicke richteten sich scheu nach den geöffneten Fenstern des Rathauses, hinter denen Bürgermeister, Ratmannen und Schöppen in ihren Amtsmänteln standen, ob nicht dem Scharfrichter von da ein Wink kommen werde, endlich Einhalt zu tun. Aber das erhoffte Zeichen wurde nicht gegeben. Immer wieder blitzte das Beil durch die Luft und schlug ächzend in den Klotz. Zweiundsiebzigmal!
Erst als der letzte Kopf gefallen war, trat Tileman vom Wege aus dem Fenster zurück. Nicht triumphierend, sondern mit traurigen Mienen und starrem Blick sah er auf das blutige Schauspiel hinab. Für jeden der Gerichteten sprach er leise ein Vaterunser. Zu seinem Sohne, der als Stadthauptmann bei den Ratsherren stand, aber sich, von Grausen erfaßt, meist im Hintergrund des Saales gehalten hatte, sagte er seufzend: »Es ist vollbracht. Möchtest du nie mehr so Entsetzliches erleben! Vergiß aber nie, daß du Zeuge warst, wie der Thorner Rat seine Pflicht gegen den Bund und gegen den König erfüllte. Jetzt wird die Marienburg unser sein!« Jost wandte sich schaudernd ab. Zum erstenmal empfand er unbewegliche Scheu vor des Vaters herzloser Strenge.
Die Zünfte schickten ihre Älterleute aufs Rathaus, ihre volle Unterwerfung zu versichern und demütig Verzeihung des Geschehenen zu erbitten. Nie wieder würden sie sich betören lassen, des Ordens Herrschaft zurückzusehnen oder das Regiment anzutasten. Willig würden sie zahlen, was ausgeschrieben werde, und den Schaden ersetzen. So wurden sie zu Gnaden angenommen.
König Kasimir, als er Kunde von diesem Blutgericht erhielt, war über der Thorner allzu schnelles Verfahren sehr ungehalten und ließ seinem Dankschreiben wegen Bewahrung des Eides auch einen leisen Tadel einfließen. »Doch schmerzt uns die Vergießung menschlichen Blutes. Wir zweifeln freilich nicht, daß es gerecht vergossen ist, hätten aber lieber gehört, daß es eines solchen Strafgerichtes nicht bedurfte und die Sache auf anderem gutem Wege in Ordnung gebracht wäre.« Die Ratsherren wußten zwischen den Zeilen zu lesen, worüber sich der König beschweren wollte: es verdroß ihn, daß die Stadt so selbständig gehandelt.
»Dieses Schreiben ist unsere beste Rechtfertigung«, raunte Tileman vom Wege dem Bürgermeister Rutger von Birken zu. »Der Herr König wird sich daran gewöhnen müssen, nicht gefragt zu werden, wenn wir uns die Antwort selbst geben können.« »Wer wird das letzte Wort mit den böhmischen Hauptleuten sprechen?« fragte Birken.
»Schickt mich nach Marienburg, wenn es so weit ist«, entgegnete Tileman. »Es gelüstet mich, bei der Übergabe zugegen zu sein. Ich hoffe, der König wird jetzt nicht länger Bedenken haben, uns sein Heer zuzuführen, und mit einem letzten Schlage dem Orden den Garaus zu machen. Damit er um so besser gelinge, wollen wir unsere Truppen ins Ermland vorschieben und gleichsam einen Riegel vor die Tür legen, daß man ihm nicht von Norden her Entsatz bringen könne. Mein Sohn soll sich da die Sporen verdienen. Ich hoffe, der Herr König wird den Dank nicht vergessen, wenn wir Thorner künftig mit ihm abrechnen.«