Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Achtes Kapitel

Die Verlobung

Am nächsten Vormittag brachte der Junge des Kämmerers, der mit Milch und Butter nach der Stadt geschickt war, einen Zettel für Frau Christine mit. Der Bürgermeister schrieb ihr, sie solle nach dem Essen den Wagen anspannen lassen und mit Magdalene hineinkommen, sich auch darauf einrichten, die Nacht und den andern Tag in der Stadtwohnung zuzubringen – »wovon du die Ursache alsobald erkennen sollst, wäre aber zu weitläufig hierherzusetzen, auch sonst nicht schicklich, bitte dich aber, an nichts Beschwerliches zu denken, sondern samt dem Kinde guten Mutes zu sein.«

Frau Christine zerbrach sich nicht sonderlich den Kopf darüber. Sie meinte, es könnten wohl Gäste angelangt sein, die ihr Mann zu beherbergen habe, wie das öfters vorkam, da niemand gern beim Krüger einkehrte, der unter den Bürgern Freunde hatte. »Wir werden ja sehen, was der Vater will«, sagte sie zu Magdalene, die sich auffallend beunruhigte. Warum sollte es nicht schicklich sein, der Gäste zu erwähnen, und warum sollten sie guten Mutes sein? Wenn die Mutter richtig voraussah, hätte er gewiß anders geschrieben. Und weshalb sollte Ursula sie nicht begleiten? Sicher war mit Vorbedacht von ihr nicht gesprochen. Sie konnte sich selbst nicht Rechenschaft geben, aus welchem Grunde ihr Herz so unruhig schlagen mochte. Aber um etwas Ungewöhnliches mußte es sich diesmal handeln.

Sie suchte Ursula auf, mit ihr die Sache zu besprechen – in der stillen Hoffnung vielleicht, daß die Freundin eine Vermutung wagte, die sie beglücken könnte. Aber sie fand Ursula merkwürdig zerstreut und teilnahmslos. Es schien ihr gar nicht unlieb, daß sie ein paar Tage mit der alten Wirtin auf dem Hof allein sein sollte, und fragte nur: »Ist auch Marcus in die Stadt berufen?« Sie versicherte, die Weile solle ihr nicht lang werden, fiel ihr um den Hals, wirbelte sie im Kreise herum und sang ein neckisches Lied dazu. Es fiel ihr gar nicht ein, Magdalene mitzuteilen, was gestern geschehen war; nur ihre glückliche Stimmung konnte sie ihr nicht verbergen.

Herr Barthel Blume aber hatte mit gutem Bedacht gehandelt. Was in Frage stand, ging zunächst nur Frau und Tochter an – zu allernächst nach seiner Schätzung die Frau und Mutter, aber Magdalene durfte doch auch nicht fehlen. Es war nämlich in der Morgenstunde der Junker Jost vom Wege zu ihm gekommen und hatte ihm einen Brief seines Vaters überbracht, dessen Inhalt ihn in einige Aufregung versetzte, obschon er's den jungen Freund nicht merken zu lassen bemüht war. Tileman vom Wege schrieb ihm: »Lieber Gevatter! Wiewohl ich damals in Elbing vergeblich auf Euch gewartet habe und indessen von Eurer Seite nichts geschehen ist, das Unrecht wieder aufzuheben, das Ihr dem Bunde durch Verkleinerung seiner Sache und Rückforderung des Siegels zugefügt, so will ich doch des Vertrauens sein, daß solches nur im Gedrang der Umstände und auf Antrieb unserer Gegner geschehen, deren sich Eure Stadt schwerer als eine andere erwehren mag, und mich in Geduld fügen, daß Euch zu rechter Zeit die Einsicht zurückkehren wird, was Ihr durch Euer Beispiel dem Lande schuldig. Lasse daher diese Dinge für jetzt unberührt und tue Euch zu wissen, daß mein Sohn Justus mit vielen beweglichen Bitten in mich gedrungen ist, bei Euch für ihn um Eurer Tochter Magdalene Hand anzuhalten, was denn hiermit auch alter Freundschaft unserer Häuser zuliebe und aus Wohlmeinung für Euer Kind, wiewohl sonst nicht ohne etliche schwere Bedenken geschieht, deren Aufzählung ich glaube entledigt zu sein. Wollet also diesen meinen ehrlichen Antrag freundlich ansehen und Eurer Frau Eheliebsten mit guten Worten empfehlen, auf daß sich unserer Kinder Herzenswunsch erfülle und durch der Eltern Segen ein gottgefälliges Werk geschaffen werde. Amen! Lieber Gevatter, ich hoffe auf rechte Einigkeit und einmütiges Zusammengehen nach diesem in allen Dingen. Denn ich bin in großer Sorge, daß man uns mit Gewalt zu unterdrücken trachtet. Gott wolle uns durch unsere Standhaftigkeit den Frieden bewahren. Amen! Bestellet auch dem Jungfräulein meinen Gruß und meldet mir, welchen Tag Ihr zur Hochzeit bestimmen mögt, worinnen ich mich ganz Eurem Gebote füge. Lebet Wohl! Tileman vom Wege.« Der Unterschrift war das Siegel beigefügt.

Blume hatte Jost in seine Herberge zurückgeschickt, aber freundlich vertröstet, er wolle sogleich mit denen beraten, die es vornehmlich anginge, wisse auch nicht, daß seiner Tochter Gedanken sich geändert hätten, seitdem der Schnee gefallen und wieder geschmolzen sei. Es nehme ihn Wunder und geschehe wider sein Erwarten, daß Herr Tileman sich so willfährig zeige, aber er wolle deshalb nicht vergessen, was er für solchen Fall zugesagt, und hoffe ihm guten Bescheid geben zu können. Nun hatte er doch Zeit gehabt, den Brief immer wieder zu lesen und daraus allerhand Grillen zu fangen. Er nahm deshalb zuerst Frau Christine allein in sein Stübchen und sagte: »Der Jost vom Wege ist hier und hat mir seines Herrn Vaters Einwilligung gebracht – jedoch mit einigen Klauseln versehen, die wohl bedacht sein wollen, Liebste. Ratet mir daher nicht nur nach Eurer Neigung, sondern auch nach Eurer Klugheit, damit ich in Ehren bleibe.« Er las den Brief langsam vor und wiederholte die Stellen, die ihm verdächtig schienen, um dann fortzufahren: »Er hütet sich wohl, eine Bedingung zu stellen, da er nachgerade weiß, daß ich darauf nicht zu haben bin. Aber er gibt mich auch nicht frei und meint mich wohl eher mit unzerreißbaren Ketten zu fesseln. Was er von mir erwartet, das spricht er aus. Nehme ich nun, was er bietet, ohne Widerspruch, wird er mir nicht mit Grund vorwerfen, ich hätt' ihn getäuscht? Das wäre mir sehr beschwerlich.«

Frau Christine überlegte eine Weile, doch offenbar frohgemut. »Nehmt's nicht so scharf«, antwortete sie dann, »als hättet Ihr einen Rechtshandel zu entscheiden. Ich höre wohl, was da geschrieben steht, und will auch gern oder ungern für wahr halten, daß es mit Bedacht so geschrieben ist. Aber daß Tileman Euch ein Netz stellt, will ich doch nicht glauben. Er kennt Euch gut genug und weiß, daß Ihr von Eurer Straße so wenig mit Lockung als mit Drohung abzubringen seid, sondern in allem Eurem Gewissen folgen werdet. Nun aber will er selbst nicht vor den Freunden als ein Mann erscheinen, der seinem Fleisch und Blut zuliebe sich ohne Vorbehalt gefangen gibt. Deshalb beginnt und endet er nun damit, daß er stehe, wo er steht, damit seine Nachgiebigkeit nicht falsch ausgelegt werde, und spricht, da er Euch nicht verpflichten kann, eine Hoffnung aus, als ob er daran glaube, Ihr werdet sie erfüllen, überläßt Euch aber, nach eigenem Rat und der Umstände Zwang zu handeln. Deshalb fürchte ich nicht, daß er Euch künftig der Falschheit bezichtigt, wenn Ihr jetzt nicht widersprecht, sondern erwarte eher, daß er Euch Dank dafür sagen wird, wenn Ihr ihn nicht allzusehr in die Enge treibt. Laßt's Euch genügen, daß er seine Einwilligung gibt, mag's auch mit solchem unschädlichen Rückhalt geschehen, und tretet der Kinder Glück nicht in den Weg.«

Blume streichelte ihre Schulter, blickte nochmals flüchtig in den Brief, faltete ihn dann zusammen und sagte: »Es läßt sich so auslegen. Will mich einer verdächtigen, daß ich mich an diesem Bande hinüberziehen lasse, so mag mein Wandel für mich zeugen; ich selbst fürchte nicht, deshalb schwach zu werden oder dem Herrn Hochmeister Anlaß zum Argwohn zu geben.«

Nun wurde Magdalene gerufen und mit dem glücklichen Ereignis bekannt gemacht. Sie atmete endlich frei auf, küßte des Vaters Hand, fiel der Mutter um den Hals und vergoß an ihrem Busen reichliche Freudentränen. »Nun mag niemand mehr zweifeln, daß er mich liebt«, rief sie, »wie mir's selbst immer gewiß geblieben ist.«

Der Bürgermeister ließ darauf Frau und Tochter allein und begab sich zu zwei von den angesehensten, ihm wohlbefreundeten Ratmannen, sie zu einer feierlichen Handlung als Zeugen in sein Haus einzuladen. Dann schickte er den Ratsboten zu Jost am Wege nach dessen Herberge mit der Meldung, er solle dem Herrn und der Frau willkommen sein. Jost, dem die Zeit des Wartens nicht wenig lang geworden war, hatte doch durch den Stallknecht in Erfahrung gebracht, daß die Bürgermeisterin mit ihrer Tochter durchs Tor in die Stadt gefahren sei, und gute Hoffnungen daran geknüpft. Nun machte er sich eiligst auf den Weg in seinem besten Feiertagskleide und wurde in die große Stube hinausgewiesen.

Dort waren die Zeugen schon eingetroffen. Frau Christine saß auf der Polsterbank an der langen Wand, und Magdalene stand neben ihr, den Arm um ihre Schulter gelegt, glührot im Gesicht. Als Jost eintrat, blickte sie auf und legte die Fingerspitzen an die Lippen. Seine Augen suchten und fanden sie. Er drückte die Hand aufs Herz und verneigte sich, blieb dann aber nahe der Tür stehen, weitere Weisung abzuwarten. Bartholomäus Blume ging ihm denn auch entgegen, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Ihr habt heute in der Frühe bei mir Eure Werbung um Magdalene angebracht, lieber Junker. Wollet sie denn in dieser achtbaren Zeugen Gegenwart wiederholen, damit ich Euch nach Euren Wünschen Bescheid gebe.«

Jost hatte sich auf solche Förmlichkeit nicht vorbereitet, sondern gehofft, gleich zu Magdalene geführt zu werden und ihr Jawort in Empfang nehmen zu können. Diese kleinbürgerliche Umständlichkeit verdroß ihn, aber er faßte sich, trat ein paar Schritte gegen Frau Christine zu und sagte: »Verzeiht, werte Frau, wenn meine Rede diesmal nicht wohlgesetzt ist. Schlägt mir doch das Herz zu heftig in der lieben Jungfer Gegenwart, die ich gemeint hatte schon als meine Braut begrüßen zu dürfen. Was bedarf's aber auch vieler Worte? Kann ich doch nur wiederholen, was ich dem Herrn Bürgermeister bereits unter vier Augen zu wissen getan, daß ich, wie ich seines schönen und holden Töchterleins Bild schon als Knabe im Herzen getragen, nun vor ihn hintrete mit der Bitte, mir Magdalene zum Weibe zu geben, wenn sie mich erhören will, wie ich zuversichtlich hoffe. Das mögen auch diese würdigen Zeugen vernehmen.«

»Ihr werbet mit Eures Herrn Vaters Genehmigung«, sagte Blume, ihm freundlich zunickend. »Wollet mir auch dies bestätigen, lieber Junker, und Erlaubnis erteilen, sein Schreiben vorzulegen, da er selbst abwesend.«

»Ich mag Euch darin nicht hindern«, antwortete Jost, »obschon ich von diesen ehrenwerten Männern die gute Meinung habe, daß sie Euch aufs Wort glauben werden, es sei, wie Ihr's sagt.«

»Gehen wir gleichwohl nach der Ordnung«, erwiderte der Bürgermeister, öffnete das Schreiben, las seinen Inhalt langsam vor und hielt es den Zeugen hin, damit sie das Siegel in nahen Augenschein nehmen könnten. »Beachtet wohl, liebe Gevattern«, sagte er dann, »daß Herr Tileman vom Wege, der Alten Stadt Thorn Ratsherr und des Bundes bereiter Fürsprecher, sicherlich mit viel Widerstreben seine Einwilligung zu solchem Verlöbnis seines Sohnes mit der Tochter eines Mannes gibt, den er zu seinen und des Bundes eifrigsten Gegnern zu zählen guten Grund hat, wie sich denn auch in diesem Schreiben sattsam ausgedrückt findet, das ich doch nicht so deute, als wolle es mir eine Bedingung stellen, sondern strikte nach seinem Wortlaut nehme, der mir eher ein Zeugnis treuen und beharrlichen Festhaltens bei der gefaßten Meinung gibt. Scheint es euch anders, so sagt es mir beizeiten. Sehet ihr aber, wie ich selbst, kein Arg darin, so wollet euch auch in Zukunft dessen erinnern und mich gegen Angriffe freundlich verteidigen. Wir leben in schweren Zeiten, die solche Vorsorge wohl rechtfertigen.«

»Wir können da nichts Verfängliches herauslesen«, antwortete Klaus Engelbrecht, der Schmiedemeister, ihm die schwielige Rechte bietend, »kennen unsern Herrn Bürgermeister auch nicht erst seit heute und wissen, daß er allezeit zu der Stadt Fahne steht. Freundschaft wird ihn nicht locken, seiner geschworenen Pflicht untreu zu werden.«

»So ist es«, bestätigte Kaspar Reincke, der Kahnreeder, »und daran halten wir fest. Die ganze Bürgerschaft wird's hoch erfreuen, daß Eurem Hause solche Ehre und Auszeichnung geschieht, wie durch diese Werbung. Es ist uns leid genug, daß wir uns von der Stadt Thorn abwenden mußten, die von alters der preußischen Städte Haupt ist, und hoffen auch wieder mit ihr zum Frieden zu kommen, wenn schon in anderer Weise, als Herr Tileman meint. Aber müßte der Streit des Bundes wegen auch noch heftiger entbrennen, dieses Bündnisses würden wir froh sein und der Stadt nichts Arges davon vermuten.«

»Ich dank' euch, lieben Freunde«, sagte Blume. Dann nahm er Jost bei der Hand, der während dieser Erörterungen mit sichtlicher Verlegenheit zur Erde geblickt hatte, führte ihn zu Magdalene und fuhr, zwischen beiden stehend, fort: »Es geschieht nicht mit leichtem Herzen, daß ich eure Hände ineinanderlege, so wahr ich euch in solcher Vereinigung alles Glück wünsche, das Erde und Himmel gewähren können. Denn es nützt nicht, die Augen zu schließen, daß man nicht sehe. Es ist viel Feindschaft im Lande, und die Hoffnung des Ausgleichs schwindet immer mehr und mehr. Und wenn ihr nun die Streitenden mustert, so stehen eure Väter dort und hier in den ersten Reihen, ihr aber seid zwischenein in die Mitte gestellt mit geteilten Herzen. Zumal du, mein liebes Kind, wirst oft bekümmert sein müssen, wie du die Pflicht der Frau und der Tochter vereinst. Ist's auch Gottes Gebot, daß das Weib dem Manne folge und ihm in alle Wege treu zur Seite stehe, so erfüllt sich's gewißlich doch leichter, wenn das Band mit der alten Heimat nicht zerrissen zu werden braucht. Und auch Ihr, lieber Junker, werdet unserm Kinde doppelt Vertrauen zubringen müssen, wenn es in Eurem Hause nicht so bald vergessen mag, was es im Vaterhause gelernt. Prüfet euch also beide, da es noch Zeit ist, ob ihr euch die Kraft zumutet, in solchem Zwiespalt einig zu bleiben in Liebe und beieinander geduldig auszuharren in Glück, Not und Gefahr.«

Frau Christine war aufgestanden und trocknete an ihrem Tüchlein die nassen Augen. »Bedenket«, sagte sie zu Jost, »wie reich und vornehm Ihr auch seid, daß wir Euch ein teures Gut anvertrauen. Täuscht unsere Hoffnungen nicht, lieber Sohn.«

Jost ergriff ihre Hand und küßte sie zu verschiedenen Malen mit Eifer. »Sag' ich nicht alles in einem Wort«, rief er, »wenn ich versichere, Magdalene zu lieben? Und hab' ich seine Festheit nicht schon bewiesen, da mich meines Vaters Widerspruch nicht davon abgebracht? Wahrlich, nicht leichten Stand hab' ich gehabt. So schenkt mir denn auch in Zukunft gutes Vertrauen.«

Magdalene stützte den Kopf an des Vaters Schulter. »Er meint's gewiß treu und gut«, flüsterte sie. »Wie könnt' ich je aufhören, Vater und Mutter zu ehren, wenn ich zu ihm stehe?«

»So schließt denn euren Bund«, sagte Blume bewegt, ihre Hände vereinend, »und Gott gebe ihm seinen Segen, wie wir ihn segnen.«

»Amen«, sprachen die Zeugen.

Jost schloß das Mädchen in seine Arme und küßte den heißen Mund, der sich seinen verlangenden Lippen nicht entzog. Dann sank Magdalene wie schauernd an der Mutter Brust. »Ach, Mutter – Mutter – liebe Mutter!« Es war, als ob sie ein Übermaß von Zärtlichkeit hier erst ausströmen lassen wollte. Die beiden Ratmannen traten heran, ihren Glückwunsch zu sprechen. Nun wurde gelacht und gescherzt. Das Brautpaar ging Arm in Arm durchs Zimmer, leise Worte und scheue Liebkosungen austauschend. Was hätte Jost darum gegeben, jetzt nur wenige Minuten mit Magdalene allein sein zu können! Aber Frau Christine hatte pflichtschuldigst die Ratsverwandten zum Essen gebeten, und sie rührten sich nun nicht von der Stelle.

Erst gegen Abend fand sich ein gemütlicheres Plauderstündchen. Ließ Frau Christine das junge Paar auch kaum für Augenblicke allein, so war sie doch keine lästige Aufpasserin, saß bei ihrer Arbeit halb abgewendet in der Fensternische und ließ es unbemerkt, wenn die Kinder am entgegengesetzten Ende des langen Zimmers verweilten und leise ihre Liebesbeteuerungen austauschten. Sorgte doch Magdalene selbst schon dafür, daß seine Werbung nicht zu stürmisch würde, wenn das heiße Blut wieder und wieder zu feurigen Umarmungen und Küssen trieb. »Du hast dich nicht nach mir gesehnt wie ich nach dir«, sagte er mit zärtlichem Vorwurf. »Doch, doch!« versicherte sie, seine Hand drückend und sich an ihn lehnend, »immer hab' ich deiner in Liebe gedacht, und jetzt ist mein Herz voll Dankbarkeit, daß mir der liebste Wunsch erfüllt wurde. Wie oft hat es ängstlich geklopft! Jetzt ist es ganz ruhig und befriedigt. Ach! ich vermag's nicht auszudenken, daß uns dieses Glück hätte versagt sein können. Du Lieber, Lieber! Wie froh bin ich deiner Treue.«

Blume kam von einem Ausgang nach Hause. Er hatte die große Neuigkeit gleich selbst unter die Leute bringen wollen, um unnützes Hin- und Hergerede nach Möglichkeit abzuschneiden. Auch auf dem Schloß war er gewesen, um dem Herrn Hochmeister zu berichten, bei dem er selbst immer Zutritt hatte. Wie er vermutet hatte, war die Nachricht nicht ohne einiges Kopfschütteln aufgenommen worden. »Ihr verbündet Euch unserm verbittertsten Gegner«, hatte Erlichshausen gemeint. »Wie wollt Ihr Euch zutrauen, in der Stunde der Not unbeirrt auf unserer Seite zu stehen?« – »Gnädigster Herr«, war des Bürgermeisters Antwort gewesen, »das soll, so Gott will, doch geschehen. Diese Dinge gehören nicht zueinander. Wie hätt' ich deshalb meinem lieben Kinde den Schmerz antun sollen, aus Furchtsamkeit des Gemüts solche Vereinigung zu versagen? Erscheint mir's doch recht als ein Wink des Himmels, diese Hände ineinanderzulegen zum Trost der Zukunft, die von unserm Streit und Hader nichts wissen will. Bedenkt, gnädigster Herr, daß es Tileman ist, der einen Schritt entgegen tut. Dem einen können wohl auch noch mehrere folgen.«

Nun mahnte er Jost zum Aufbruch. Es schicke sich nicht anders, als daß man ihn bei hellem Tage aus dem Haus gehen sehe. Mit Mühe erbat Jost sich noch eine kurze Frist. Mit Schrecken dachte er daran, die langen Stunden bis zur Nachtruhe allein in der Herberge verbringen zu müssen. Zum Glück fand er dort ein paar muntere Gesellen, die schon wußten, was sich ereignet hatte, und das Verlöbnis mit ihm feiern wollten. Er meinte ihnen nicht absagen zu dürfen, und so tranken, sangen und würfelten sie bis in die Nacht hinein. Er verlor viel Geld und zahlte überdies die Zeche. Am nächsten Morgen fehlte nicht viel, daß er die Messe verschlief, zu der man in Blumes Haus gemeinsam nach der Stadtkirche zu gehen verabredet hatte.

Eine Stunde später kam Marcus, den der Vater benachrichtigt hatte, nach der Stadt. Er meinte nun erst recht sein eigenes Anliegen an die Eltern noch eine Weile zurückhalten zu müssen, bis sie ihn in Ruhe anhören könnten. Der Schwester wünschte er herzlichst Glück, doch nicht ohne das Bedenken zuzufügen, daß sie gegen die hochmütigen Thornerinnen einen schweren Stand haben werde. Man müsse sie nehmen, wie sie sei, entgegnete sie; gefalle sie Jost, so solle sie das Naserümpfen seiner vornehmen Gevatterschaft wenig kümmern.

»Das darfst du dir nicht einreden«, mahnte er. »Jost, wie ich ihn kenne, würde jede Zurücksetzung deinetwegen mißmutig ertragen. Je mehr du durch dein kluges Verhalten bei denen gewinnst, die dich ungern in ihren abgeschlossenen Kreis aufnehmen, um so sicherer wirst du ihm gefallen.«

»Weiß Ursula schon?« fragte sie, dieses Gespräch abbrechend, und errötete plötzlich wie erschreckt über ihre Frage.

»Ich sagte ihr, soviel ich selbst wußte«, antwortete er. »Sie brauchte nur zu hören, daß Jost gekommen sei, um alles weitere selbstverständlich zu finden.«

»Wie wird Jost verwundert sein, wenn er erfährt, daß Ursula bei uns ist!«

»Hast du's ihm noch nicht gesagt?«

»Nein – es war davon nicht die Rede. Und wenn ich dir's gestehen soll ...«

»Was denn, Närrchen?«

»Ich habe wohl daran gedacht – gleich in der ersten Stunde –, aber mich nicht entschließen können, ihm von Ursula zu sprechen.«

»Du meinst, weil er damals ...«

»Ich weiß nicht, weshalb mir's jetzt wieder in den Sinn gekommen ist und gar nicht daraus weichen will. Mir ist's, als dürfte er sie jetzt nicht wiedersehen.« Sie lächelte verschämt. »Und doch ist sicher deshalb gar keine Gefahr für mich.«

Das bestätigte er zuversichtlich. »Du bist seine Braut, und ...« Er überlegte einen Augenblick. »Ich will dir's nicht vorenthalten, ob es schon sonst noch ein Geheimnis ist: Ursula gehört mir.«

Sie sah ihn erstaunt an. »Marcus –! Und Ursula konnte mir's verschweigen?«

»Sie durfte nicht sprechen.«

»Aber dem Freunde wirst du's sagen –«

Er schüttelte den Kopf. »Das darf nicht sein. Ehe die Eltern wissen, ehe ihre Mutter ...«

Dann wär's doch das beste, er sähe sie jetzt nicht wieder und erführe gar nicht –«

Marcus lachte. »Ei, ei! das sind eifersüchtige Grillen.«

Sie legte die Hand aufs Herz. »Gewiß nicht. Ich weiß, er liebt mich. Aber es würde doch beide beschämen ... Und warum soll man daran erinnern, was Jost längst vergessen hat? Es ist des Vaters Wunsch, daß er morgen in der Frühe abreist und nach Thorn zurückkehrt. Er kommt dann erst wieder zur Hochzeit, und bis dahin ... Es wird sich ja Gelegenheit bieten, ihm zu schreiben, und vielleicht kann ich dann schon die Meldung anfügen, daß bald eine zweite Hochzeit zu erwarten ist. Wie mich das freut, Marcus!«

Er legte sich's nach ihren Wünschen zurecht und begrüßte den Freund mit um so aufrichtigerer Freude, als er an dessen ernste Absicht kaum noch geglaubt hatte, nachdem ihm von jungen Gesellen, die in Geschäften Thorn besuchten, erzählt worden, wie er's dort treibe. »So soll also doch Wirklichkeit werden«, sagte er ihm, »was sich deine frühe Jugend träumte. Alle Hindernisse hast du mannhaft besiegt und ehrlich dein Wort eingelöst. Nun weiß ich, daß du Magdalene als dein Weib auch ebenso mannhaft gegen alle Ungebühr verteidigen wirst, die ihr etwa deine vornehme und reiche Vetterschaft nicht ersparen mag.«

»Ich hoffe«, entgegnete Jost, »Magdalene wird sich in Thorn stets so zu halten wissen, daß sie meiner Verteidigung nicht bedarf. Sie ist so schön und liebenswert, daß ich eher Neider als Verkleinerer zu finden erwarte.«

Eben trat sie, von der Mutter geschmückt, durch die Kammertür ein. Sie trug ein himmelblaues Untergewand von feiner Wolle mit gepufften Ärmeln, über der Brust nach dem Hals hin geschlitzt und mit Silberband verschnürt; darüber einen faltigen Rock von durchscheinendem weißem Zeuge ohne Ärmel, um Brust und Schultern herum silbern gebordet und über den Hüften von einem mit silbernen Buckeln und Schnallen versehenen Gürtel zusammengehalten, auf dem Hinterkopf, von dem die dicken blonden, mit einer blauen Schleife verbundenen Zöpfe tief über den Rücken hinabfielen, ein kleines Käppchen, mit Perlschnüren eingefaßt. Frau Christine hatte zur Ehre des Tages den allerneuesten Feiertagsstaat aus der Truhe gehoben. Waren die Stoffe für Thorner Ansprüche nicht sonderlich kostbar, da man dort in den reichen Kaufmannshäusern Seidenbrokat und gerissenen Samt, Gold und glänzende Steine zu verwenden liebte, so durfte Magdalene doch darauf rechnen, von ihren Marienburger Freundinnen bewundert zu werden. Das Hellblau und Weiß mit Silber paßte aber auch trefflich zu ihrer rosigen Gesichtsfarbe und dem blonden Haar. Jost konnte nicht aufhören, ihr Lobeserhebungen zu machen.

»Nun wirst du dich aber auch in gemessener Ferne halten müssen«, bemerkte sie, »damit du die Puffen und Falten nicht drückst. Viel lieber möcht' ich mit dir und Marcus, wie damals, als wir noch Kinder waren, im losen Röckchen von selbstgewebtem Linnen durchs Haus tollen und mich von dir im Treppenwinkel oder oben unter den Dachsparren haschen lassen. Ja, ja! Hoffahrt muß Zwang leiden.«

Sie zog auch das Gesichtchen zurück, wenn er sie auf die Wange küssen wollte. »Der rote Fleck von gestern ist noch nicht einmal ganz vergangen«, behauptete sie schalkhaft. »Was sollen die Gäste denken, wenn sie rechts und links so ein Feuermal sehen?« Sie spitzte aber die Lippen und hielt sie ihm vorgebeugt hin. »Für sie will ich's verantworten«, sagte sie, »wenn du versprichst, nachher recht artig zu sein.«

Es war denn auch noch in der neunten Stunde, als schon Besuch gemeldet wurde. Unter allen Umständen wäre eine Verlobung in des Bürgermeisters Haus ein Ereignis gewesen, das alt und jung zu beachten hatte. Kam nun aber dazu, daß der Bräutigam ein Thorner Patriziersohn war, der Sohn Tilemans vom Wege, dessen Name unter den besten des Landes genannt wurde, so verstand sich von selbst, daß bei der Beglückwünschung niemand fehlen durfte, der auch nur in entfernter Beziehung zum Haus stand. Und so sprachen denn in den Stunden bis zum Mittag die Ratmannen mit ihren Frauen und Töchtern, die Schöppen, die Kaufleute und Mälzenbräuer, die Kahnreeder und Älterleute der Gewerke vor. Auch der Stadtpfarrer erschien und sogar der Ordensschäffer, der im Auftrag des Herrn Hochmeisters der Braut ein goldenes Kettlein mit angehängter Schaumünze überreichte. Und weil die große Stube des Bürgermeisters doch viel zu klein war, auf einmal alle die Gäste zu fassen, jeder, der den Eintritt erlangt hatte, sich auch gern verweilte, so mußten viele unverrichtetersache zurückgehen und fanden sich nun am Nachmittag ein, ihre Pflicht nicht zu versäumen und ihre Neugier zu befriedigen. Als endlich die letzten gegangen waren, atmete das Brautpaar auf. Es war eine Kunst gewesen, mit freundlichem Gesicht hundertmal dasselbe anzuhören und denselben Dank zu sprechen.

Dann zog sich Magdalena mit ihrer Mutter zurück, sich umzukleiden, aber auch nach der Rückkehr hatte Jost wenig genug von der Braut, da Blume ihn nun beiseite nahm, um alles Geschäftliche mit ihm zu bereden, das vor der Hochzeit geordnet werden mußte. »Wieviel lieber wäre mir's gewesen, Euer Herr Vater hätte Euch begleitet«, sagte er, »so könnt' ich mit ihm verabreden und aufsetzen, was wegen des Vermögens hier und dort in Zukunft gelten soll und wie er seinem Sohne schon jetzt einen angemessenen Haushalt zu sichern gedenkt. Es wundert mich nicht, daß Euch das alles unwichtig und nicht der Rede wert erscheint. Bin ich doch auch jung gewesen, wie Ihr, und hab's meinem Vater gedankt, daß er mir solche Sorge abnahm. Nun muß ich doch schon mit Euch verhandeln, lieber Sohn. Merkt gut auf, damit Ihr Eurem Herrn Vater genau berichten und seine Zustimmung einholen könnt.«

Jost mußte wohl stillhalten und sich damit begnügen, von Zeit zu Zeit einmal, verstohlen seufzend, zur Seite zu schielen, wo Magdalene nicht weniger ungeduldig auf dem Polster am Fenster saß. Als Blume endlich aufstand, ließ Frau Christine den Abendtisch decken. Und dann mahnte wieder der Bürgermeister, für den Wunsch der jungen Leute viel zu schnell, zum Abschiednehmen. »Ihr müßt Euch morgen in aller Frühe auf die Reise machen«, sagte er »und sollt ausschlafen. Es ist mir, als könntet Ihr gar nicht eilig genug nach Thorn zurück, die Bestätigung unserer Abreden einzuholen. Ich hoffe, Euer Herr Vater überbringt sie mir selbst. Danach will ich sogleich die Gäste zur Hochzeit einladen und gedenke mir vom Rat den Saal im Rathaus zu erbitten. Frau und Tochter nimmt Marcus noch heut' zu Wagen auf den Hof mit. Sie dürfen Ursula dort nicht unnötigerweise noch eine Nacht allein lassen.«

»Wer ist das?« fragte Jost ohne besondere Aufmerksamkeit.

»Ein lieber Gast unseres Hauses«, antwortete Blume, »durch den Herrn Hochmeister warm empfohlen.«

»So, so.« Dabei beruhigte sich Jost. Er bat um die Erlaubnis, Magdalene in den Wagen heben zu dürfen, und so verlängerte sein Aufenthalt sich noch ein wenig. Als Marcus die Pferde anziehen ließ, mußte er nach einigen begleitenden Schritten ihre Hand wohl frei geben. Dann trat er unter die Laube und sah dem Gefährt nach, bis Magdalene ihm vor der Wendung um die Ecke zum letztenmal zugenickt hatte.

Er wußte nicht, wie es kam, daß ihm plötzlich einfiel, er habe hier schon einmal unter den Lauben gestanden und dem Fuhrwerk nachgesehen, das Marcus lenkte. Damals hatte auch seine Schwester auf dem Wagen gesessen, aber ihm nicht zärtlichen Abschied zugenickt. Und er hatte auch gar nicht ihr nachgesehen, sondern ... Das Bild verfloß ihm wieder. »Magdalene, liebe Magdalene!«


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