Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Vierzehntes Kapitel

Eine tiefe Wunde

Eines Sonntags nach dem Kirchgang trat Marcus in seines Vaters Stübchen.

»Herr Vater«, sagte er, »wollet mir's gütig nachsehen, wenn ich eine Bitte an Euch richte, die Euch vielleicht voreilig scheint. Ihr habt mich sonst wegen meiner Bedachtsamkeit belobt und gemeint, sie sei meinen Jahren voraus. Seid deshalb auch jetzt freundlich überzeugt, daß mich nicht die Ungeduld treibt.«

Blume sah ihn etwas verwundert an. Es mußte sich um ganz absonderliche Dinge handeln, wenn Marcus das Gespräch so feierlich eröffnete. Auch glühten ihm die Wangen, und die Stimme hatte einen zitternden Klang. Blume nahm seine Hand. »Aber was hast du denn? Sprich ohne Scheu.«

»Ich hab Euch bisher treu gedient, Vater«, fuhr Marcus fort, »wie es einem Haussohn geziemt, und des Lohnes nicht geachtet. Hab ich doch von dem Eurigen nehmen können, soviel ich brauchte, und nie eine Sorge um das tägliche Brot gehabt. Nun aber bin ich, wie Ihr wisset, kürzlich zu meinen Jahren gekommen, und da schickt es sich wohl, daß ich auch meine Zukunft bedenke. Strebt doch ein jeder Vogel aus dem Nest, und wenn's ihm noch so warm wäre; er hat den Trieb, sich sein eigenes zu bauen. So ist's nun auch mein Wunsch, selbständig etwas zu leisten und zu erwerben. Deshalb frag ich jetzt in allem Gehorsam an, wie Ihr über mich zu bestimmen gedenkt.«

Der Alte musterte ihn eine Weile kopfschüttelnd. »Was ist denn das?« sagte er dann. »Ich hatte gemeint, wir würden zusammenbleiben, Marcus, bis an mein Ende. Hab ich doch nur den einen Sohn. Alles, was ich besitze, bleibt dir und Magdalene. Ich fürchte nicht, daß deine Schwester bei der Ausschichtung zu kurz kommen werde.«

»Sprecht nicht davon«, bat Marcus, seine Hand küssend. »Gott mag Euch ein langes Leben und gesegnetes Alter geben; er weiß, daß ich nichts vor der Zeit verlange. Nur darum ist mir's zu tun, Vater, daß ich für meine Arbeit ein Bestimmtes erhalte, worüber ich freie Verfügung habe, hier oder an anderer Stelle, wenn es sein muß. Am liebsten blieb ich bei Euch, wolltet Ihr mich nun in Eurem städtischen Handelsgeschäft oder als Landwirt anstellen. Mögt Ihr mich aber so selbständig mit einem Teil des Eurigen nicht walten lassen, so gestattet, daß ich mir eine Pacht suche, und helft mir mit Eurem Rat dazu. Die Kreuzherren brauchen treue und arbeitsame Amtsleute; sie haben zu Euch gutes Vertrauen und übertragen es wohl auch auf den Sohn. Es wird Euch, mein' ich, nur ein Wort kosten, mir eine herrschaftliche Pacht zu verschaffen, zumal wenn Ihr für mich Bürgschaft leistet. Ist's aber nicht genehm, so will ich auch selbst mein Heil versuchen. Ich hoffe, daß man mich nicht abweist, wo man mich kennt oder erfährt, daß ich Euer Sohn bin.«

»Das ist wunderlich«, sagte Blume, das lange Haar hinters Ohr streichend. »So also hast du schon für alle Fälle vorgesorgt. Weiß die Mutter davon?«

»Nein, Vater. Das ist eine Sache, die Euch zuerst angeht.«

»Aber der Grund ...?«

Marcus blickte zur Erde. »Es ist bisher nichts zwischen uns gesprochen, was darauf Bezug hat.«

»Aber warum sollt' ich dich denn von mir lassen? Deine Dienste sind mir wert. Wenn ich dich halten kann ... Sage mir, wie du dir's denkst.«

Marcus küßte wieder seine Hand. »Am liebsten übernähm' ich unser Landgütchen vor der Stadt in eigene Wirtschaft, Vater, Ihr kennt den Ertrag und mögt leicht berechnen, was ich Euch jährlich abgeben kann an Naturalien und Geld, um doch für mich noch das Auskommen zu behalten – für mich und ...«

»Da kommt's nun also«, rief der Alte lachend. Gesteh's nur ein, du denkst ans Heiraten.«

»Ja, Vater.«

»Ein paar Jahre könntest du dich wohl noch gedulden.«

»Es soll auch nicht auf der Stelle geschehen.«

»Hm ... Und hast dir gar wohl schon etwas ausgesucht? Oder soll ich für dich wählen?«

»Ich bin schon mit mir einig, Vater.«

»So, so. Und darf ich wissen –?«

Marcus sah auf, senkte den Blick und sah wieder auf. »Wißt Ihr's nicht schon?« fragte er.

»Wie sollt' ich?«

»Ursula ...«

Blume fuhr vom Stuhl in die Höhe. »Ursula –? Die Tochter der Waldfrau?«

Marcus behauptete seine Ruhe. »Ich dachte wohl, daß es Euch zu Anfang erschrecken würde«, sagte er, »wenn Ihr's nicht schon erraten hättet. Und daß Ihr's nicht erraten habt ... Es mag Euren Gedanken wohl ganz fernab gelegen haben. Aber wenn Ihr's nun freundlich erwägt, Vater ... Gibt es auf der ganzen Welt ein schöneres und herzigeres Jungfräulein als Ursula? Würdet Ihr sie nicht gern als Eure Tochter annehmen, wenn sie ...«

Er stockte. »Das ist's, das ist's«, rief Blume. »Wie kann man darüber hin? Du bist verliebt – das ist begreiflich. Aber deine Frau ...«

»Ich hab' ihr gesagt, daß ich sie liebe, Vater, und daß kein anderes Weib –«

»So? Das hast du ihr gesagt! Und dann ist ja auch wohl nicht mehr daran zu rütteln und zu rühren?«

»Daran nicht, Vater.«

»Es ist noch nicht genug an dem Unheil, das schon über unser Haus gekommen ist! Sieh Magdalene an. Das Herz könnt' einem brechen vor Betrübnis und die Galle ins Blut gehen. So wie du zu mir, so hat Jost zu seinem Vater gesprochen. Es sollte und mußte ja sein. Und als die Tollheit freie Bahn hatte ... Was sage ich dir das?«

Marcus richtete sich hoch auf. »Ich bin nicht der Junker Jost vom Wege, Vater.«

»Nein, aber Ursula ... Du kennst mich, Marcus: ich schätze jeden Menschen nach seines Herzens Wert. Aber es gibt bürgerliche Verpflichtungen ... Du verstehst mich.«

»Wer darf Ursula etwas anhängen?«

»Aber wer vermag für ihre ehrbare Abkunft gutzustehen?«

»Ihr selbst habt sie in Euer Haus aufgenommen, Vater.«

»Weil der Herr Hochmeister –«

»Ist der nicht ein vollgültiger Zeuge?«

Der Bürgermeister seufzte. »Und wie hat sie's uns vergolten? Bei Nacht und Nebel ist sie fortgelaufen.«

»Vater –! Ihr wißt nicht, wie ungerecht Euer Vorwurf ist.«

»Marcus, Marcus!« rief Blume, »wie ich dich kenne, ist dein Entschluß unwandelbar. Was soll ich tun, daß ich nicht auch dich verliere? Du bist ein Mann und wirst handeln wie ein Mann, dem nicht zu raten ist. Mich aber zwingst du zu deiner Wahl –«

»Nein, Vater, das soll nicht geschehen. Laßt mich fort, so wird es heißen, ich sei gegangen, weil Ihr nicht billigen konntet, was ich plante. Niemand wird Euch eine Schuld aufbürden an meiner Torheit. Nur Euren väterlichen Segen versagt uns nicht.«

Blume drückte seine Hand. »Was ich tue, soll nicht halb getan sein. Längst schon hab' ich im Sinn, dir das Gütchen zu überlassen, das ich doch einem Fremden vertrauen müßte, wenn du ihm nicht der Wirt sein wolltest. Denn meine Zeit reicht nicht dafür. Freilich hatt' ich gehofft, daß dort eine Frau ... Aber laß mich's mit der Mutter überlegen, Marcus – sie liebt ihren Sohn und ist dem Mädchen wohlgeneigt. Erscheint ihr dein Wunsch unklug, so ist er's gewiß. Dann sieh' zu, wie du sie umstimmst.«

Er war's zufrieden. Da zeigte sich's nun, daß Frau Christine anfangs noch viel eifriger entgegensprach als der Vater. Nimmer könne Ursula eine gutbürgerliche Hausfrau werden. Wie sie in der Wildnis aufgewachsen sei, so werde sie auch immer zur Wildnis zurückstreben und sich nur wohlfühlen in voller Ungebundenheit. Sie habe etwas von der Art der Zigeuner, die manchmal von Ungarn her über die polnische Grenze kämen und durch das Land schweiften. Gerade so habe sie das Haar getragen und in ihrem bunten Putz auf dem kleinen Pferde gesessen. Vielleicht sei ein Edelfräulein an ihr verdorben, aber zur Frau eines kleinstädtischen Bürgers passe sie nimmer.

Sie redete sich so eifrig in den Widerspruch hinein, daß Bartholomäus selbst lächeln mußte. Wer sie jetzt gehört hätte, würde sich's gar nicht haben zusammenreimen können, daß sie früher so mütterlich für das fremde Kind gesorgt, wie sie's für die eigene Tochter nicht besser konnte. Marcus bedrängte sie denn auch durchaus nicht mit Bitten, sondern ließ ihr Zeit, ihre Bedenken selbst herabzumindern und sich an den Gedanken zu gewöhnen, am Ende doch wohl nachgeben zu müssen. Magdalene nahm sich bei ihr der Freundin an. Keine liebere Schwägerin könne sie sich denken. Aber Frau Christine war diesmal hartnäckig. Gegen Ursula selbst, gab sie nun zu, habe sie eigentlich nicht so viel; wenn sie in eines tüchtigen Mannes Erziehung komme, könne der ihr manche Unart abgewöhnen, die ihm ja selbst verdrießlich sein und unleidlich scheinen müsse. Aber wie dürfe man sich eine Schwiegertochter gefallen lassen, die vielleicht nicht einmal ordentlich ins Kirchenbuch eingetragen werden könne. Wer sei denn eigentlich die Waldfrau, ihre Mutter? Könne sie ihre Witwenschaft nachweisen, oder lebe ihr Mann noch, oder ... Sie bekreuzigte sich dreimal. Es gehe sie sonst wenig an, wessen Kind Ursula sei, und sie wolle ihr's auch nicht nachtragen, wenn's bei ihrer Geburt nicht ganz nach der Ordnung zugegangen sein sollte – denn was könne das arme Mädchen dafür? Aber ihres Sohnes Ehefrau dürfe keinen Makel an sich tragen; darunter würde die ganze ehrsame Familie leiden und sich nie wieder davon erholen können. So sehr sie ihn liebe, nie würde sie sein Haus betreten, wenn sie sich der Schwiegertochter zu schämen habe. Das sei sie ihrem Manne schuldig. Ehe daher nicht Klarheit in diese dunklen Verhältnisse gebracht sei, solle man ihr von der Sache nicht sprechen.

Blume mußte ihr beitreten, und Marcus, wenn er auch diesen Umständen für sich selbst gar kein Gewicht beilegte oder in Zukunft beizulegen entschlossen war, wußte doch zu gut, daß seiner Mutter Meinung die allgemeine Billigung finden würde, um auch nur eine Widerlegung zu versuchen. Er entgegnete daher nur, Frau Regina scheine allerdings ein Geheimnis hüten zu wollen, das sie vielleicht auch nötige, den Schleier über Ursula zu breiten. Aber die Befürchtungen, wie sie die Mutter hege, seien gewiß ungerecht. Er glaube zuversichtlich, daß Frau Regina solche Versicherungen geben könne, die auch ihrer ängstlichen Prüfung genügen würden. Es solle ihm nur erlaubt sein, die Waldfrau zu befragen; sicher werde sie nicht einmal darauf warten, sondern ihm mit einer Eröffnung entgegenkommen, sobald sie erfahre, daß er Ursula zu seinem Weibe begehre.

Nun aber hielt es Frau Christine in ihrer mütterlichen Sorge doch für bedenklich, auf diese Möglichkeit hin den Sohn seine Werbung anbringen zu lassen. Treffe er erst wieder mit Ursula zusammen, so dürfe er sich's selbst kaum noch zumuten, unbefangen Erkundigungen einzuziehen und nach deren Ergebnis zu handeln. Endlich erklärte der Bürgermeister, er habe die Sache nach allen Richtungen erwogen und sei bereit, für seinen einzigen Sohn zu tun, was Freundespflicht sei. Er selbst wolle in die Wildnis hinter Heilsberg, mit Frau Regina zu verhandeln. Marcus dürfe sich auf ihn verlassen, daß er seinen Wünschen nicht abstreben, sondern ihm ein gewissenhafter Sachwalter sein werde.

Davon war denn auch der Sohn überzeugt. Freilich wäre er lieber selbst gereist, aber doch nur, um Ursula wiederzusehen. Er mußte sich's im stillen zugeben, daß diesmal der Mutter Mißtrauen in seine Geschäftsklugheit wohl gerechtfertigt sei. Dem Vater dankte er mit knappen, aber warmen und aufrichtigen Worten. Nun aber gefiel's anfangs Frau Christine wenig, daß Barthel, »doch auch nicht mehr der Jüngsten einer«, zu dieser späten Jahreszeit auf die Landstraße hinaus und gar in die Wildnis sollte. Am liebsten wäre sie eigentlich selbst gereist, da sie meinte, ein Mann komme solchen Dingen doch schwerlich auf den Grund und habe den Weibsen gegenüber einen gefährlichen Stand. Das sagte ihr denn auch Blume lachend geradeaus. Die Jahreszeit sei ihm gar nicht so uneben, da er zu Hause wenig versäume; die Wege wären noch nicht grundlos, und gegen plötzlichen Frost könne man sich mit Pelzen versehen. »Ich merke schon«, sagte die Frau, »bei dir hat Ursula einen Stein im Brett. Sie ist eine rechte Hexe. Nun – zuwider will ich ihr auch nicht sein, wenn sich sonst alles richtig findet.«

Jetzt fiel ihr auch ein, daß Barthel bei Frau Regina gut anfragen könne, ob sie nicht ein Kräutlein oder sonstige Arznei wüßte, die Magdalene helfen könnten. Sie solle sich ja so vielen wundertätig bewiesen haben. Hier verzage sie schon an aller ärztlichen Hilfe. Dies griff die Kranke auf. »Laßt mich den Vater begleiten«, bat sie. »Wie soll die Waldfrau meinen Zustand aus der Beschreibung erkennen? Wenn sie mich aber sieht, mag es ihr wohl durch ein geheimes Mittel gelingen, mich wieder zu Kräften zu bringen, daß ich euch nicht so sehr zur Last falle.« Bei sich selbst dachte sie, das müßte in der Tat ein wundersames Mittel sein, durch das ihres Herzen Kummer besänftigt werden könnte; ihren Leib wünschte sie nur recht bald aufgezehrt, wenn sie's auch nicht sagte. Sie sehnte sich aber nach Ursula, die doch allein wußte, was ihr geschehen war und allein mit ihr zu fühlen vermochte. Auch meinte sie Marcus nützlich sein zu können.

Es dauerte mehrere Tage, bis Frau Christine sich an diesen Gedanken hinreichend gewöhnt hatte, um ihn überhaupt ernstzunehmen. Wenn sie freilich ihr armes Kind betrachtete – die großen fieberhaft glänzenden Augen und die eingefallenen Wangen und die abgemagerten Hände, die immer kalter Schweiß bedeckte – wenn sie die matte, keuchende Stimme vernahm und das früher so blühende Mädchen langsam an der Wand hinschleichen sah, dann war doch die Frage nicht abzuweisen, ob je wieder eine so gute Gelegenheit wiederkehren möchte, ihre liebe Kranke der heilkundigen Frau zuzuführen.

So fand sie sich schließlich darein und war nun nur noch darauf bedacht, Lebensmittel für die Reise einzupacken und warme Kleider zusammenzutragen. Marcus rüstete den Wagen, half selbst die Achsen mit Teer einschmieren, band das Erbsenstroh zum Rücksitz fest ein, befestigte einige Tonnenreifen zu beiden Seiten am Gestell und spannte einen Plan von grober Leinewand darüber. Nur von vorn über die Deichsel und den Sitz des Knechtes hin konnte man einkriechen, saß dann aber gegen Wind und Regen ziemlich geschützt. Die Fahrt versprach langwierig zu werden, da meist nur im Schritt vorwärts zu kommen sein konnte.

Nach acht Tagen kehrte Blume zurück – allein. Frau Christine fürchtete gleich das Schlimmste, als sie ihr Kind vermißte, obgleich ihres Mannes freundliche Augen sie hätten belehren können, daß sie ohne Grund erschrecke. »Frau Regina und Ursula lassen ihr Grüße bestellen«, sagte er, »und dringend um die Erlaubnis bitten, Magdalene noch eine Weile unter ihrer Obhut behalten zu dürfen, bis sie ganz genesen.«

»Und das Lenchen wollte ...«

»Mit Freuden. Schon unterwegs war sie frischer und munterer als hier zu Hause, wo sie doch immer an ihr Leid erinnert wird, und unter Ursulas zärtlicher Pflege lebte sie ganz auf. Den ersten Tag wenigstens; am zweiten ließ sie schon merklich den Kopf hängen. Aber es quälte sie auch, daß du sie verkennen könntest, als wüßte sie dir nicht genug Dank für alle deine Mühe und Sorge, und es fehlte nicht viel, daß sie mich doch wieder begleitete.«

»Das wäre auch das klügste gewesen. Es ist mir unbegreiflich –«

»Das sage nicht, Christine, das sage nicht«, unterbrach er, und ein grämlicher Zug lagerte sich auf das offene Gesicht. »Frau Regina hat sich sehr bedenklich über ihren Zustand geäußert. Noch sei vielleicht keine Gefahr; aber dergleichen schleichenden Leiden dürfe man keine Zeit lassen, sich im Körper einzunisten. Solche Kranke müßten die Luft verändern und in heitere Gesellschaft kommen, die ihnen doch durch Zudringlichkeit nicht lästig falle. Sie selbst, meinte sie, sei nun allerdings eine traurige Hausgenossin, dafür aber Ursula die Fröhlichkeit und gute Laune in Person. Man könne solcher Krankheit auch nicht mit einem Tränkchen oder Pülverchen beikommen, sondern müsse ihr täglich in alle Winkel nachgehen, bis sie allen Mut verliere, sich zu verstecken und aus dem Hinterhalt vorzubrechen. Wenn du sie so gehört hättest – du wärest auch nicht klüger als ich gewesen, was zu tun.«

Nun beruhigte sie sich und lobte ihn sogar nach einer kurzen Weile, daß er dem Rat der kundigen Frau gefolgt. »Hätten wir sie nur bald wieder gesund unter uns«, sagte sie. »Vielleicht treibt Ursula ihr die Grillen aus – dann mag auch die Medizin wirken.«

Marcus stand beiseite. Er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als an den Vater eine Frage gerichtet. Der würde sich schon äußern, wenn es ihm gefiele. Aber das Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf, und seine Blicke waren bemüht, von des Alten Gesicht abzulesen, ob er ihm frohe oder trübe Nachricht brächte. Die Mutter merkte es und kam ihm zu Hilfe. »Und was hast du sonst ausgerichtet?« fragte sie. »Marcus ist gewiß schon voll Unruhe.«

Er räusperte sich. »Das ist nicht so mit einem Wort zu sagen«, antwortete er, »obgleich's schließlich doch nur auf ein Wort herauskommt. An das haben wir alle nicht gedacht, und lag doch nahe genug. Wenn's nur von Ursula abhinge, die hast du sicher. Eine rechte Schmeichelkatze kann sie sein, ich hab's erfahren; Magdalene hatte ihr's gleich heimlich gesteckt, weshalb ich die Reise unternommen. Mit welchen Namen sie dich genannt, als sie erst vertrautsamer geworden, das will ich nicht wieder erzählen; du sollst nicht eitel werden. Alles in allem wüßt' ich mir wahrlich kein lieberes Töchterchen –«

»Aber die Mutter –!« fiel Frau Christine ein.

»Nun, die Mutter ... ja, die Mutter ... die ist eine treffliche Frau, klug und bedächtig. Ursula hatte sich ihr schon anvertraut. So war sie unterrichtet und kam mir gleich mit allen Bedenken entgegen, die ich selbst einwerfen wollte. Gegen Marcus könne sie nicht das mindeste haben; er sei ihr schon liebgeworden bei seinem ersten Besuch, und sie baue auf seine Ehrenfestigkeit. An ihrem Segen soll es dir nicht fehlen. Aber ...«

»Aber –?« wiederholte Marcus, die Augen gespannt auf ihn richtend.

»Sie müßte zweifeln, ob du gut getan, dich an Ursula und Ursula an dich gebunden zu haben, da ihr einander vielleicht doch nicht Wort halten könntet.«

»O das, Vater –«

»Sie hat recht. Es stehe nicht in ihrer Macht, sagte sie, über Ursula zu verfügen.«

»Nicht in ihrer Macht –?« Marcus wurde weiß wie die Wand. »Und wer –?«

»Sie verwies mich an den Herrn Hochmeister.«

Der Sohn sah ihn wie träumend an. »Verwies Euch – an den Herrn Hochmeister ...?«

»Ja. Seine Erlaubnis sei erforderlich. Nie werde sie ohne dieselbe handeln.«

»Aus welchem Grunde aber?« fragte Frau Christine.

Er zuckte die Achseln. »Das war nicht herauszubringen. Sie betrachte ihn als den Vormund, der Macht über das Kind habe. Mehr erfuhr ich nicht.«

»Und wer ist sie – wer ist Ursula –?«

»Darüber verweigerte sie jede Auskunft selbst unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Der Herr Hochmeister könne sprechen, wenn er wolle.«

»Der Herr Hochmeister!«

»Das war ihr einziges Wort. Sie bat mich, nicht weiter nachzuforschen. Es hätte auch wenig genutzt. Aber so steht's nun. Wir wissen nicht mehr als vorhin. Die Reise ist umsonst gewesen.«

»Doch nicht, Vater!« rief Marcus, seine Hand ergreifend und lebhaft schüttelnd. »Von des Herrn Hochmeisters Zustimmung soll's abhängen ... Gut! Wie kann er sie verweigern, wenn Ursula mich liebt? Er ist ein gütiger, gnädiger Herr und Euch zu Dank verpflichtet, Vater; ich weiß, daß er auch von mir gut denkt. So ist mir nicht bange –«

»Wie? Du wolltest ...?«

»Den Weg gehen, den Frau Regina mir gewiesen hat.«

»Und wenn der Hochmeister wirklich ... Was bedeutet sein Jawort, wenn er nicht zugleich das Geheimnis von Ursulas Geburt ..«

»Wenn ich aus des Fürsten Hand mein Weib empfange – ist Euch das nicht Ehre genug, Vater?«

Blume schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß nicht. Ist dir's unter allen Umständen Ehre genug?«

»Ich brauche sie nicht«, rief Marcus, »Ursula bedarf in meinen Augen keines Zeugnisses ihrer Unbescholtenheit!«

»Aber in den Augen deiner Mitbürger –«

»Sie mögen mich verleugnen, wenn sie den Mut haben!«

»Das sind törichte Reden, lieber Sohn«, fügte Frau Christine, zwischen sie tretend. »Erzürne nicht den Vater, der wahrlich große Mühe für dich aufgewendet hat und gewiß gern auch noch weiter aufwendete, wenn deine Wünsche erfüllbar wären. Sie sind's nicht, über unser Haus ist schon schweres Unglück gekommen durch den Schimpf, den ihm Jost angetan hat; aber wir tragen ihn nicht durch eigene Schuld, und die Bürger unserer Stadt werfen ihn ab auf den Buben selbst. Dafür schulden wir ihnen großen Dank. Wie sollten wir ihnen jetzt dies bieten? Dem geringsten Bürger wär's eine Unehre, seines Weibes Vater nicht nennen zu können. Des Bürgermeisters Sohn darf sich soweit nicht vergessen. Ich will nicht behaupten, was ich nicht beweisen kann; aber welcher Art dieses Geheimnis ist, das läßt sich nun wohl erraten, darum sei verständig und schaffe dir nicht selbst noch schwereres Herzeleid durch törichte Beharrlichkeit.«

Sie streichelte ihm die Wange und küßte ihn auf die Stirn, indem sie seinen Kopf ein wenig niederzog. Marcus schwieg und ging hinaus. Es stürmte zu heftig in ihm, und er behielt nur noch gerade so viel Besonnenheit, sich zu sagen, daß ein unehrerbietiges Wort alles verderben müßte. Aber er war weit entfernt nachzugeben. Sein ganzes Denken richtete sich nur darauf, wie er ohne des Vaters weiteren Beistand zum Ziel gelangen könne.

Am andern Morgen kleidete er sich feiertagsmäßig an und begab sich aufs Schloß. Die Türhüter kannten ihn und ließen ihn unangefochten durch bis zu des Meisters Vorgemach. Hier freilich mußte er lange warten, bis der Hauskomtur auch nur nach seinem Begehr fragte. Denn der Oberst-Marschall und der Treßler waren drinnen, und es trafen fortwährend Boten ein, die meist in Eile abgefertigt werden mußten. Die Wogen gingen einmal wieder hoch. Länder und Städte waren vollzählig in Marienwerder versammelt, wählten die Sendboten an den Kaiser, schrieben einen Kopfschoß aus, den die Bündischen selbst auf zweimalhunderttausend Gulden veranschlagten, und waren eifrig bemüht, ihn trotz des Hochmeisters Protest einzuziehen, was doch an vielen Orten nicht ohne Gewalttätigkeit gelang. Sie prahlten mit des Kaisers Ermächtigungen und wollten jeden, der nach Thorn käme, auf dem Rathaus seine Genehmigung des Bundes sehen lassen. Man müsse das Dokument unter Schloß und Riegel halten, weil es sonst vor des Ordens Beamten nicht sicher sei. Erlichshausen machte einen letzten Vorschlag wegen des Richttages. So weit er aber auch allen gerechten Wünschen entgegenkam, er schien alles Vertrauen eingebüßt zu haben, so daß man auf der andern Seite nicht einmal mehr ernstlich darüber verhandelte, um so fleißiger aber alle Klagen über den Orden sammelte und in Artikel brachte, den berühmten Advokaten Meister Martin Mayer aus Nürnberg zu informieren, der des Bundes Verteidigung übernommen hatte. Tileman vom Wege erklärte jeden Versuch der Aussöhnung für verspätet. Er hatte keck gesprochen: »Was wähnen sie? Wollen sie uns auf dem Haupte taufen? Nein, sie haben nicht Reue an uns gefunden.« Dem Hochmeister war's berichtet worden; er wußte, daß er sich von diesem Manne nichts Gutes versehen konnte, und wagte doch nicht des Spittlers Rat zu folgen. Es könnte etwas ans Licht kommen, fürchtete er, daß in Nacht begraben sein müßte. Aus allen Schlössern fragten die Komture an, ob sie die Erhebung des Schosses gestatten dürften oder mit Gewalt hindern sollten. Der Bescheid mußte schnell erteilt werden, und guter Rat war teuer. Dem Hochmeister glühte die Stirn. Was sein getreuer Albrecht Kalb aus Thorn berichtete, konnte ihm am mindesten gefallen. Der Münzmeister war der Stadt verhaßt und kam in Gefahr des Lebens; die Werkmeister der Wollenweber in der Altstadt trachteten danach, denen in der Neustadt das Handwerk zu legen. Das war die Strafe für den Abfall vom Bunde.

Es lag da noch ein Zettel bei, der lautete: »Gar ehrwürdiger, lieber Herr Hochmeister, ich versehe mich, daß die Sendboten in kurzem ausziehen werden; wenn es Eure Gnade mit Fuge so anstellen könnte, so deuchte mich, es wäre gut, daß die Bösewichte niedergelegt würden auf ihrem Auszuge, die so viel Bosheit und Unehre auf unseren Orden gedichtet haben.« Darüber erschrak Erlichshausen und wollte den Zettel unterdrücken. Exdorf hatte ihn aber schon gelesen, schlug in die Hände und sprach: »Das ist ein kluges Wort! Man sollte es wohl bedenken.« Der Hochmeister aber schüttelte entrüstet das schwere Haupt. »Man soll's unbedacht lassen«, entgegnete er mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, »und sich hüten, es unter die Leute zu bringen. Was will der Hitzkopf? Der Kaiser hat beide Teile geladen. Es brächte uns in Ewigkeit Schande, suchten wir uns so unserer Gegner zu entledigen.« Der Marschall widersprach. »Nein, nein und aber nein!« rief der Meister zornig. »Wir wollen allezeit ehrlich zu Werke gehen, daß wir Ehre verdienen. Nie wieder soll von solchem Anschlag in meiner Gegenwart die Rede sein!« Exdorf zischte durch die Zahnlücken. Er sagte nichts weiter, aber er dachte allerlei.

Als die Herren dann endlich entlassen waren und Erlichshausen meinte für diesen Tag Ruhe zu haben, meldete der Hauskomtur Marcus Blume. »Was will er?« fragte der Meister verdrießlich. »Fertigt ihn draußen ab.« Das sei schon vergeblich versucht worden, versicherte der Komtur. Der junge Mann sei hartnäckig und bleibe dabei, daß er den gnädigen Herrn unter vier Augen sprechen müsse. Nun erging der Befehl, ihn einzulassen; aber er wurde recht mürrisch erteilt, und der Alte raunte denn auch Marcus zu: »Tretet ein, doch wäret Ihr besser zu anderer Stunde gekommen.«

Marcus fiel dem Hochmeister zu Füßen, hob den Saum seines langen Gewandes und zog ihn an die Lippen. »Verzeiht, gnädigster Herr –« stammelte er sehr erregt.

»Mach's kurz«, sagte Erlichshausen. »Schickt dich dein Vater, mir zu melden, daß Marienburg wieder zum Bunde zurückgetreten ist? Es sollt' mich nicht wundern. Es wundert mich nichts mehr in der Welt. Ist er mit Tileman vom Wege versühnt? Wann gibt's Hochzeit?«

»Oh, nichts davon, mein gnädigster Herr«, antwortete Marcus, durch diese Anrede noch mehr verwirrt. »Wie sollte mein Vater ...? Er ist Ew. Gnaden treuester Mann. Und die Stadt Marienburg ...«

»So steh auf und sprich, was dich zu mir führt.« Das klang etwas gütiger. Er ließ die Hand über die Stirn gleiten, richtete sie plötzlich wie ein Dach über die Augen und fuhr fort: »Ah –! Bringst du Nachricht von Ursula?«

»Es betrifft sie«, sagte Marcus, nochmals den Pelzbesatz seines Rockes küssend, sich dann erhebend und in ehrfurchtsvolle Entfernung zurücktretend.

»Geht es ihr wohl?«

»Ich hoffe es.«

»So sahst du sie nicht?«

»Ich nicht, aber mein Vater –«

»Dein Vater? Was hat er bei den Ermlandischen zu tun?«

»Mißtraut ihm nicht, gnädigster Herr. Er reiste auf meine Bitte zur Frau Regina . .. ihrer Tochter wegen ...«

Der Hochmeister sah ihn mit einem überraschten, dann scharf durchdringenden Blick an. »Auf deine Bitte – Ursulas wegen? Was soll das?«

»Gnädigster Herr«, sagte Marcus, die Hände faltend, »ich darf's Ew. Gnaden nicht vorenthalten: ich liebe Ursula mehr als mich selbst und kann von ihr nicht lassen.«

»Und sie –?«

»Sie hat mir gestanden, daß sie mir von Herzen gut sei, schon hier in Marienburg –«

Der Hochmeister schlug eine kurze Lache an. »So, so! Ihr seid also einig. Und dein Vater ging als Brautwerber, und Frau Regina ... Nun? Sie ist die Mutter. War sie einverstanden? Weshalb kommst du zu mir?«

»Gnädigster Herr, ich muß wohl. Denn Frau Regina verwies mich an Eure Gnade.«

Erlichshausen fuhr erschreckt auf. »Wie? Sie hat deinem Vater gesagt ...«

»Nichts, gnädigster Herr. Das ist ja eben meines Kommens Grund. Nicht die mindeste Auskunft hat sie geben wollen über sich und ihr Kind. Das stehe allein bei Eurer Gnade. Auch ob Ursula mir angehören dürfe – das vornehmlich. Denn Ihr seiet des Kindes Vormund. Und so tret' ich Euch nun an mit flehentlicher Bitte, gnädigster Herr, versagt mir Eures Mündels Hand nicht und gebt eine Aufklärung über des lieben Mädchens Stand, die meinen Eltern und den Trauzeugen genügen darf.«

»Auch das noch!« fiel der Hochmeister bitter lachend ein. »Du bist so keck, das Auge zur Sonne zu erheben, und fragst dann noch, mit welchem Recht sie leuchte?«

»Nicht ich, gnädigster Herr –«

»Wer bist du, daß du es wagen darfst, mit solchem Begehren vor deinen Fürsten zu treten? Wenn ich Macht habe über Ursula, wie ihre Mutter bezeugt, ist dir das nicht schon eine Weisung zur Abkehr von allzu dreisten Wünschen? Wer darf bei mir um sie werben, als ein Edelmann? Und vielleicht wär' auch der noch zu gering für des Deutschen Ordensmeisters Schützling.«

Marcus war erblaßt. Ängstlich richteten sich seine Blicke auf des Fürsten Lippen; jedes Wort schien ihm einen Stich ins Herz zu geben. »Gnädigster Herr«, sagte er, »ich bin nur eines Bürgers Sohn und habe nichts zu bieten als einen ehrlichen Namen und ein geringes Gut, das ich dem Vater verdanke – aber fragt Ursula, ob ein Vornehmerer je ihrem Herzen näherstehen kann. Und wenn's der Vornehmste wäre, ich wollt ihm meinen Platz nicht abtreten. Einen Treueren mag sie auf der Welt nicht finden.«

Erlichshausen schien eine Minute zu überlegen. Dabei musterte er ihn wiederholt mit langsam hinschweifendem Blick von Kopf bis Füßen. Die kräftige Gestalt, die hohe Brust, die breite Schulter, das offene Gesicht mit den gutmütigen, treuherzigen Augen erregten sichtlich sein Wohlgefallen, wie früher schon so oft. Er erinnerte sich ... Ja! Marcus Blume war's ja gewesen, der Ursula aus der Gewalt des räuberischen Bruders gerettet. Und da auf der freien Stirn hatte sich auch die Narbe scharf gerötet. Marcus Blume ... Er faßte mit der Hand den lockigen, rötlich grauen Bart und ließ ihn mehrmals durch die Finger gleiten. Jetzt konnte er sich einen treuen Mann für's Leben gewinnen – und des Kindes Dank ... Ursula liebte ihn. Aber wenn er seine Einwilligung gab, war's damit geschehen? Marcus hatte schon angedeutet ... Nein, das genügte wahrscheinlich noch nicht. Und was der Bürgerstolz forderte ... »Warum kam dein Vater nicht«, fragte er, wieder die Stirn finster ziehend, in murmelndem Ton. »Bartholomäus Blume fand doch sonst den Weg ins Schloß. Ist er einverstanden mit deiner Werbung?«

In Marcus' Augen leuchtete ein Strahl von Hoffnung auf. »Wenn Ew. Gnaden ihm versichern wollen, daß Ursula –«

»Wenn – wenn!« rief der Hochmeister schneidend hinein. »Ich will nichts hören von solchem Wenn. Es ist eine Unverschämtheit, mir die Bedingung vorzuschreiben, mich zum Sprechen zu nötigen, wenn ich schweigen will. Wenn – wenn! Darum kommt er nicht? Darum schickt er dich ...«

»Er schickt mich nicht, gnädigster Herr«, sagte Marcus ganz mit gewohnter Ruhe und Sicherheit. »Er weiß nicht einmal, daß ich zu Euch gegangen bin. Er wird vielleicht zürnen, wenn er's erfährt. Denn so treu er Euch ist, so stolz ist er auch. Nein, aus eigenem Antrieb bin ich hergegangen und vor Euer Angesicht getreten, und auf mich will ich Ew. Gnaden Antwort nehmen. Mir genügt ein gerades Ja. Das andere mag verschwiegen bleiben. Ungern misse ich der Eltern Segen – aber von Ursula kann ich nicht lassen. So will ich denn zusehen, wie ich mir aus eigener Kraft ein Haus baue, in das ich mein liebes Weib führe. Ich vertraue, daß ich mir mit der Zeit doch ihre Verzeihung gewinne. Euer Gnaden kurzes Ja kann ich aber nach der Waldfrau Willen nicht entbehren.«

Und wieder überlegte Erlichshausen – diesmal noch länger, Marcus schien's eine Ewigkeit. Jetzt hätte er das Ja sprechen mögen, so tapfer es von ihm gefordert wurde. Aber da standen auch schon die Folgen klar vor seinen Augen: das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, eine lange Irrfahrt, kümmerlicher Erwerb – und dann Ursula nicht einmal voll angesehen als sein Eheweib ... Ob er sprach oder ob er schwieg, es war immer derselbe Erfolg. Er seufzte tief in sich hinein. Wie durfte er sprechen? Aber dann war auch das andere unmöglich – er durfte Marcus, den er liebgewonnen, nicht zu einer Torheit verleiten, Ursula nicht der sorgenvollsten Zukunft entgegentreiben. Lieber einen augenblicklichen Schmerz ...

Ja, so mußte es geschehen. Er richtete den Kopf auf und blickte mit der Miene eines vornehmen Mannes, der nur die genau erforderliche Höflichkeit erweisen will, auf den Bittsteller hinab. »Schlage dir's aus dem Sinn, mein Sohn«, sagte er; »deine Wünsche fliegen zu hoch. Das hätte dir Frau Regina gleich antworten können! Aber ich will's ihr nicht übel deuten, daß sie dich an mich gewiesen hat: sie kennt dich als brav und ist dir Dank schuldig, deshalb hat sie dich nicht kränken wollen. Das will auch ich nicht; was ich gehört habe, bleibt unter uns. Du hast dir zu viel zugetraut – das mag ich der Jugend und Unerfahrenheit nicht verargen. Ursula aber ... Ich habe andere Pläne für ihre Zukunft. Sie soll nach Deutschland zu meiner Familie. Sobald die Wirren hier mir Muße geben, an mich selbst zu denken, schicke ich das Fräulein dorthin. Es war längst beschlossen.«

Marcus hielt sich kaum auf seinen Füßen. »Gnädigster Herr –«, rief er außer sich, »gnädigster Herr! Seid so grausam nicht, zwei Herzen zu trennen –«

»Du hast deinen Bescheid«, fiel der Hochmeister streng ein und winkte ihm unwillig mit der Hand, sich zu entfernen.

Dem armen Burschen schossen die Tränen in die Augen. Er wollte noch einen Fußfall wagen. Aber bei der ersten Bewegung trat der hohe Herr zurück und wendete ihm den Rücken. »O Gott – Gott!« stöhnte er und verließ schwankend das Gemach.

Als die Tür zugefallen war, drückte Erlichshausen die Faust auf seine Stirn. »Es konnte nicht anders sein«, murmelte er, »aber es drückt schwer – schwer ... auch meine Schultern. Armes Kind!«


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