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Dann kommt eines Tages mit dem Südost fernher dünnes Gewieher. Mannsräuschlin liegt im dürren Riedgras und hat alle vier von sich gestreckt und äugt blank in die graublaue Dämmerung des Augustmorgens. Da kommt aus der Weite mit dem sacht ziehenden Wind das Gewieher. Mit einem wilden Satz ist die Stute in der Höhe. Sie hat die Richtung, aus der das Wiehern kam, nicht deutlich aufgenommen, weil sie auf einem Ohr gelegen ist. Wird es noch einmal zu hören sein? Unbeweglich, hoch versammelt und gestrafft steht Mannsräuschlin. Der Atem geht in der Morgenfrische dampfend aus den Nüstern, die Ohren spielen nach allen Seiten, die Augen starren ins Weite. Gibt es noch Sippen? – Da . . . wieder . . . undeutlich . . . weit fern . . . der Schrei eines Hengstes. Mit allen Beinen zugleich fast tut 292 die Stute einen mächtigen Satz in die Richtung und verhält wieder, verhofft, ist nur mehr Gesicht und Gehör und Sprung. Dann tut sie einen hohen und heiseren Schrei.
Drüben äsen die Hirsche. Sie haben aufgeworfen, als die Stute in die Höhe polterte, und haben lange aus ruhigen Lichtern herübergeäugt. Natürlich haben auch sie das ferne Wiehern gehört. Sie wissen, daß der große Kamerad mit der vertrauten Witterung jetzt davonstürmen wird. Sie kennen die Macht der Sippe über das Gemüt.
Wieder ein ferner Schrei. Hell antwortet die Stute und poltert in großem Galopp durchs raschelnde Gras davon. Das Kälbchen schlieft erschrocken unter die Mutter und fängt zu saugen an. Dabei fühlt es sich geborgen. Der Boden zittert unter den Hufen Mannsräuschlins, wie es jetzt nahe an den Hirschen vorüberrennt. Die stillen Tiere schauen der Stute nach. Sie ist bald im Dunst verschwunden. Ein feines Beben geht vom Boden noch eine Weile in die dünnen Fesseln der Hirsche, und das scharfe Gehör erhorcht noch lange den stürmenden Galopp. Sie schreiten langsam zu ihrem Lager. Sie sind satt und werden den heißen Tag im hohen Gras verschlafen. Das kleine Abenteuer ist in die Unendlichkeit ihres Lebensraums eingegangen, 293 hat eine freundliche Merke im Gemüt gelassen, ein Inselchen, um das der große und breite Strom des Daseins einen kleinen Strudel drehte. Jetzt ist wieder die ruhige und stete Strömung die feinen Flanken des Leibes und Lebens hin . . .
Ruf und Antwort, Antwort und Ruf! Helles hohes Wiehern, befehlende Schreie und dumpfes Kollern. Dann braust es durch die Steppe heran und ist in eine Wolke gehüllt. Der Boden dröhnt von vielen Hufen. Weiten und herrlichen Ganges kommt die Herde heran. Voraus der Hengst. Mannsräuschlin verhält mit fliegenden Flanken, stampft, dreht bei, steht verquer, äugt aus weißen Augenwinkeln und hat die kurzen Ohren flach nach hinten gelegt. Oh, was alles geht durchs Gemüt! Ist der Mensch da? Wird gleich die Stimme des Menschen da sein? Wird man um den Hals genommen werden? . . . Gell schreit der Hengst auf. Oh, die Sippe! Erinnerung stürmt daher. Der braune riesige Hengst! Die Stuten mit den Fohlen! Der weiße Lippizaner! Der Mensch! Die Hürde . . . der Stall . . . die große Freiheit . . . die Wanderungen im großen Regen . . . die schwarzen Leute . . .
Da ist die Herde heran, und man ist gleich umzingelt. Mannsräuschlin bäumt, wendet, tut einen mächtigen Satz. In großem Galopp geht die Stute vor dem 294 Hengst durch. Der kollert zornig und nimmt die Verfolgung auf. Die Herde braust hinterher. Es ist der Stute wohl nicht ernst mit der Flucht? Warum läuft man vor den Sippen davon, die man wochenlang gesucht hat? Vielleicht gehört man doch nicht dazu? Man ist nicht sicher, wie man aufgenommen wird. Ist man damals wohl davongelaufen? Man erinnert sich nicht deutlich. Man hat vielleicht irgendein schlechtes Gewissen? Man stürmt so hin und zeigt schöne Kapriolen, aber der Hengst tut das alles leicht mit, und der Kreis, in dem man da hinhetzt, wird immer kleiner. Und es wird einem immer weniger ernst mit dem Davonlaufen. Oh, es ist wohl eine Lust, wieder im Kreis zu laufen! Im großen herrlichen Kreis! Das unermeßliche Dasein allenthalb, ohne Planke und Halfter, ohne Stimme und Gestalt des Menschen! Der überschwengliche Kreis des Lebens!
Da ist der Hengst an der Flanke. Man hört ihn schnauben. Ho, ja, ich bin's! Bin wieder da! Es ist schön, daß ich wieder da bin! . . . Da beißt der Hengst in den Widerrist. Mannsräuschlin schreit hoch auf und fällt in Trab.
Ach, der Biß war nur ein Willkommen! Ein Grüßgott! Eine Vertraulichkeit! Und natürlich eine Aufrichtung der Herrschaft über die Fremde! 295 Mannsräuschlin kollert fügsam, und der Trab wird recht kurz. Da sind die Stuten heran. Im Augenblick ist man umringt. Man hält stand, und die vertraute Witterung schlägt über einem zusammen. Jetzt steht man dem Hengst gegenüber, Aug in Aug. Ho, es ist nicht der braune Einaug. Ein junger Kerl ist's, nicht viel älter als man selber. Kennt man ihn? Vielleicht kennt man ihn! Aber es ist nicht wichtig. Weil er nur da ist, der Herr, der Führer, den man braucht. Ja, es ist jener Bursch, den der alte rote Hengst vor drei Jahren aus der Herde gejagt hat. Ein Mordsbursch! Hat er sich nicht in drei Jahren zwölf Frauen erobert? Sind da nicht schöne Jungpferde und Fohlen, alles miteinander an zwanzig Sippen? Ein Blitzkerl mit einer flatternden dichten Mähne und einem mächtigen Schweif. Was er für herrische Augen rollt! Die Nüstern fassen die Lebenslust nicht; weit wölben sie sich und flattern.
Schnuppernd umschreitet er die Fremde und drängt einmal hart an ihre Flanke, daß Mannsräuschlin ausprescht. Aber es ist hoher Sommer, es geht in den September; er will nichts von ihr, der Jungkerl, der Führer, der Herr. Aber sie gefällt ihm, gut gefällt sie ihm. Eine Frau mehr! Gut! Er kollert wohlwollend. Das merken die Stuten sogleich. Sie umdrängen, beäugen, beschnuppern Mannsräuschlin und merken 296 natürlich gleich, daß die Fremde trächtig ist. Sie nehmen sie freundlich auf. Die Jungpferde und Fohlen machen sich nichts aus dem Ereignis.
Aber eine ist unter den Stuten, eine hohe rote, die seitlich, von der Kruppe her, mit bösen tückischen Augen Mannsräuschlin abschnuppert. Wie sie gegen den Hals hingerät, gurgelt sie gehässig, als ob sie beißen wollte. Mannsräuschlin tut einen Satz, wiehert gell auf und macht sich davon. Die Rote steht steif und fletschend und kollert vor sich hin. Dann beugt sie sich herab und tut, als ob sie weidete. Aber sie weidet nicht. Sie äugt aus tückischen weißen Augenwinkeln um sich.
Niemand in der Herde mag sie leiden. Sie hat noch kein Fohlen gehabt und wahrscheinlich wird sie nie eines haben. Sie duldet den Hengst nicht über sich. Mehrmals hat er diesen Übeltäter, der von einer gewalttätigen Bösheit ist und stets Streit sucht, aus der Herde gejagt. Dann hielt sie sich ein paar Tage lang draußen in Sichtweite und war eines Morgens wieder unter den Stuten, die ihr gleich Platz machten. Sie ist auch in der Herde immer allein. Sie ist nicht in der Herde geboren. Sie war eines Tages da. Wahrscheinlich von ihren eigenen Sippen verjagt. Natürlich war sie schon ein böses Fohlen. Oh, ein hübsches Geschöpf wahrscheinlich, als es zur Welt kam. Aber bald 297 fing es zu beißen an. Zuerst die Mutter ins Euter, daß sie es früh abschlagen mußte. Dann biß es nach den Vorbeitrabenden, die groß äugten ob solcher Kühnheit. Im zweiten Jahr bekamen die Augen eine böse tückische Blankheit, und die Ohren lagen meist nach hinten. Die Mähne war struppig, über der Stirn zusammengeknäuelt und fiel über die Augen herab. Stundenlang stand das Fohlen, wie mit schwarzen Plänen umgehend, stets schlagbereit. Die Mutter wußte wohl wenig mit ihm anzufangen. Wenn sie sich näherte, konnte sie die Hinterhufe des Sprößlings an die Flanke kriegen. Sie gab es wohl auf. Wenn ein Verwandter herbeikam, ging das Struppige steif und niederträchtig, wie ein Hund einen anderen umschreitet, darauf zu und fletschte dünn kollernd das Milchgebiß. In zwei Jahren war dann ein grimmiger Übeltäter herangewachsen. Vom Vater? Vom Ahn? Von einer Ahne vielleicht angeerbt, die trächtig vom Jaguar angefallen war, und Grimm und Wut schlugen rückwärts den Enkel? Oder, frei geworden von menschlicher Mißhandlung, vererbte der Hengst Haß und Verachtung? Wer weiß es? Ein Übeltäter! Sich selber und den Sippen ein Ärgernis . . .
Und nun ist alles wieder, wie es war. Die große Dürre ist da, die ausdampfenden Salzlachen, das 298 Gekrächz der schwarzen Leute draußen irgendwo, die nächtlichen Blutsauger, das Rascheln des hohen Dürrgrases, die Tage und Nächte im Bann des Hengstes und der Sippen, und alles miteinander: die große herrliche Freiheit, durch die man schreitet, trabt, galoppiert, hungert, dürstet, schwitzt und friert, und des Lebens trotz allem froh und dem Gesetz des Daseins willig und vertrauensvoll untertan ist. 299