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Die wilden und gewalttätigen Hochzeiten in der Herde sind vorüber. Es ist hoher Sommer geworden, und das Dasein wird strenger mit jeder Woche. Lotrecht stürzt der Glanz schneeweißer Sonne herab aus leerer dunkelblauer Glocke, und es ist ein Gefunkel und Gebraus des Lichts, ein Gesenge und tausendfältiges Geflirr stechender Lanzen. Dröhnender Mittag des Jahres vergewaltigt die hilflos hinwelkende Steppe.
Die Pferde haben ihre Munterkeit verloren. Ihre Weide ist verdorrt. Das hohe Gras knistert saftlos und ist graugelb verbrannt. Wenn sie es abweiden, zerfällt es unter ihren Zähnen. Nirgendwo ein Wasserlauf, kein Tümpel weithin. Der Boden beginnt zu reißen. Tiefe Schründe klaffen durchs vertrocknete Erdreich. Weit hinab ist es grauweiß und geborsten, und steigt keine Feuchte auf. Die den Pferden bekannten Salzlachen und dünnen Wasserrünste sind 38 versickert. Wochenlang haben sie an deren Rändern geweidet, weil dort das Gras nicht völlig verbrannt war. Wenn sie die dürren Spitzen abbissen, gelangten sie noch an halbwegs saftige Rippen. Jetzt sind die Gründe und Ränder dieser Wasserstellen weißlich bestäubt, und wenn man sie beleckt, wächst der Durst. Die Sonne steht inmitten des feurigen Löwen und herrscht unerbittlich aus ihrem königlichen Zeichen.
Das gelle Gezirp der Zikaden schallt durch die Tage und hört auch nachts nur gegen die Frühdämmerung hin auf. Tiefes Summen blutsaugender Insekten geht mit den schweifenden Herden. Wolken von Stechfliegen schwirren in Wolken von Staub um die gequälten Leiber der hungernden und dürstenden Pferde. Da und dort bäumen sie, brechen gequält in kurzem Galopp aus, werfen sich schnaubend und gell wiehernd auf den Rücken, wälzen sich im Staub und werden sogleich überfallen, wenn sie ruhig liegen.
Mannsräuschlin zottelt neben oder hinter der Stute her. Es ist jetzt fünf Monate alt, hat bald seine Milchzähne vollständig und galoppiert lieber, als daß es trabt. Meist zottelt es steifen Schritts vor sich hin. Die große Hitze fühlt es weniger, weil es sich immer im Schatten der Mutter hält und weder Hunger noch Durst leidet. In den letzten Tagen ist ihm manchmal 39 gewesen, als ob die Stute weniger gut zu ihm wäre. Sie hat es nicht solange wie sonst saugen lassen; und als es dann immer wieder sich herandrängte, hat sie es unsanft abgewiesen. Das Fohlen hat in aufsteigendem Trotz die Ohren zurückgelegt; unwirsch hat es geschnaubt und ein dünnes Wiehern ausgestoßen. Die Stute drehte den Kopf nach ihm, und ihre großen sanften Augen blickten das Fohlen an, das gleich die Ohren aufstellte und ihre Nüstern abschnupperte. Sie bog ihren Hals über den kleinen Kopf, und Mannsräuschlin schnaubte vor Zärtlichkeit.
Weil sie für das Durstige nicht mehr genug Milch hat; weil sie selber hungert und dürstet; weil sie große Sorgen hat und weiß, wie lange es dauert, bis der Regen kommt: so kann sie aus bekümmertem Gemüt nichts anderes tun, als das Junge in großer Zärtlichkeit hegen. Sie streichelt mit ihrem mageren Hals den schmalen Nacken des Fohlens.
Die Sommernächte über der Pampa sind kurz. Noch gewähren sie den erschöpften Pferden ein wenig Erquickung. Die Kühle labt sie wie ein dünner Trunk, und der manchmal heranstoßende Nachtwind riecht feucht. Dann wirft der Hengst auf und trabt in kurzem Gang dem Wind entgegen. Der verrät ihm eine ausdunstende Lagune. Mit weit offenen Nüstern, die Lefzen 40 geschürzt, nimmt er in gestrecktem Trab die Richtung. Polternd traben Stuten und Jungpferde hinter ihm her. Mannsräuschlin hält sich hart an der Mutter und hat große Mühe, mitzukommen. Es muß galoppieren, um dem Trab der Großen zu folgen. Wenn der Wind flaut, verhält der Hengst. Er darf der Herde keinen überflüssigen Weg zumuten. In der kurzen Dämmerung hat er sie mehrmals umkreist und hat die Erschöpfung wahrgenommen. Er selber ist mager und struppig geworden, und wenn er aufwiehert, den Stuten Mut zu machen, ist es ein heiseres wildes Bellen. Da und dort antwortet ihm schwaches Gewieher. Er merkt, daß er älter wird; der Sommer setzt ihm härter zu als bisher. Er schwitzt stärker, und der Staub krustet an seinem roten Fell.
Das Schleifen der Zikaden hört auch nachts nicht ganz auf und zittert im heißen Dunst unterm weißen Sternenlicht.
Die hintrabende Herde umflattern lautlose Fledermäuse. Einen erschrockenen Satz tut Mannsräuschlin, als das große schwarze Segel einen Augenblick vor seinen Nüstern hingaukelt. Aber weil die Stute, die diese Nachtleute aus jahrelanger Erfahrung kennt und weiß, daß man ihrer sich nicht erwehren kann, ruhig vorwärts trabt, beruhigt das ängstliche Fohlen sich, 41 dem die Nacht noch immer sehr viel aufregender ist als der unbarmherzige Tag.
Die dunklen Gaukler sind mit der Dämmerung aus hohlen Bäumen geschlüpft; aus dichterem Geäst der Mimosen haben sie sich herabgleiten lassen und ihre Segel im Sternenschein aufgetan. Sie sind stumme einzelne. Aber wo sie Blut wittern, versammeln sie sich in Scharen. Der Dunst der schwitzenden Pferde ist ihren feinen Sinnen ein gerader und untrüglicher Weiser; und jetzt sind sie da, lautlos und gespenstisch. Es fällt ihnen nicht ein, ein dürres Jungpferd, wie Mannsräuschlin eins ist, zu schmecken. Überdies: wohin käme man, bis der Wollpelz des Fohlens durchgenagt ist! Wenn man auch nur ein kleines Gebiß hat und sich keinesfalls zu den armseligen Tagfliegern mit ihren mühseligen Schnäbeln zählt, trotzdem man gewiß so gewandt kreuzt wie die gewandtesten unter denen (wenn man manchen Abend von Hunger geplagt zu früh sich aufmachte, begegnete man höchst erstaunt diesen Tagfliegern im dämmerigen Revier): man ist ein echter Räuber, legt keineswegs Eier und hat ein Wolfsgebiß. Und man gebraucht es sehr fein und hinterlistig. Die schöne Stute, die neben dem Jungpferd hintrabt, gefällt einem.
Kaum fühlbar geht die Blattnase nieder, faltet die 42 Segel ein, entert zwei kleine Häkchen ins Fell und kauert, ein dunkler Klump, auf dem Rücken des hintrabenden Pferdes. Oh, sie kennt die Gegend genau, wohin der Schweif nicht mehr peitscht. Es hat viel Erfahrung bedurft, und oftmals ist ihr das scharfe Pferdehaar über Rücken und Gesicht geprescht und hat sie, ehe sie die Segel auftun konnte, zu Boden gefegt. Jetzt weiß sie den Ort, wo sie vor Mähne und Schweif Ruhe hat, und wo auch das Jucken des Fells ihr nicht die Zähne ausbricht. Und sie schickt sich an. Schmerz verursacht sie dem Pferde nicht. Täte sie das, es wälzte sich auf den Rücken, und ihr Magen bliebe leer. Nein, sie macht es ganz sacht, raspelt ein wenig die Haut auf, saugt ein wenig und hat für ein paar Stunden genug. Wenn die Stute schliefe, merkte sie wahrscheinlich nichts von dem Überfall. Nur daß am Morgen eine kleine flache Blutspur da ist, die die Bremsen mit gierigem Gebrumm aufsuchen. Dann freilich weiß die Stute, daß der nächtliche Gast da war, und es hilft ihr wenig, sich auf den Rücken zu werfen. Die Fliegen sind zu behend und haben einen langen und heißen Tag Zeit. Wenn die Wunde sich entzündet und den Bremsen eine herrliche Nisthöhle gibt: dann erst wird die harmlose Gewalt, die die nächtlichen Segler den Pferden antun, zur Qual. 43
Wind und Witterung haben den Hengst nicht betrogen. Eine tiefe Grube, um die ein Akaziengebüsch steht, hält noch Wasser. Davon sind die Blätter halbwegs frisch und haben das Wasser vor dem Verdunsten bewahrt. Der Hengst schlägt einen weiten Bogen. Er kennt die Gefahren heimlicher Wasserstellen. Weiter rückwärts verhält die Herde. Da und dort bricht ein Jungpferd aus, schmachtet gegen die Feuchte und kehrt unwillig schnaufend wieder ins Rudel zurück. Dann tritt der Hengst den Rand an. Näher schiebt die Herde sich. Der Sand gibt nach, rutscht ab. Schnaubend tritt der Hengst zurück. Furchtbar steigt der Durst vor der feuchten und kühlen Witterung. Was tun?
Er weiß nicht, wie tief es ist, und scheut sich. Er kennt die heimtückischen tiefen Wasserstellen, in denen man die Füße brechen, aus denen man schwer heraufklimmen kann. Er wirft sich auf den Hinterbeinen herum und wiehert heiser auf. Die Stuten drängen ratlos aneinander, scharren schnaubend. Wieder tritt der Hengst den Rand an und läßt sich fast auf die Kruppe nieder. Die Vorderbeine weit von sich gestreckt, rutscht er den Rand hinab, gleitet ins Wasser, das ihm übers Sprunggelenk reicht. Die Stuten folgen. Die Jährlinge beißen einander um die Plätze.
Mannsräuschlin, das hart an der Mutter verhält, 44 stemmt sich gegen den Rand. Es scheut vor dem Ungewöhnlichen. Die hohen Stelzen ausgespreizt, steht es und wiehert dünn, als die Stute im Dunkeln unkenntlich wird. Weil es nicht sehr durstig ist, wartet das Fohlen geduldig. Schnaufen und Geschlürf, heiseres Gewieher und das Aufpoltern der emporklimmenden Pferde gehen weithin über die Steppe. Dann erscheint im Osten der graue Streif, und alsbald zücken die Lanzen der schneeweiß aufsteigenden Sonne über die Pampa. 45