Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Landschaft

Über die Pampa ist der Winter heraufgezogen. Gegen die Steinbockwende ist er auf feuchtkühlem Südost vom Atlantischen Meer herangefahren. Das verdorrte, in Staub und grauen Dunst unermeßlich hingebreitete und leergebrannte Gefild hat sein Kommen erwartet wie eh und je; wie in jedem Jahr liegt es im Sterben, wenn er kommt; und kein heiterer Baum, kein Blatt niedrigen Gesträuchs, das sich dem aufholenden Südost darböte. Dürres Gehalm rauscht; mannshohe Artischockendisteln, die wenig Wesens aus dem Leben machen; unfrohes Dorngestrüpp und stumpfe Kaktusse sind ans Ende ihrer hartnäckigen Zähigkeit gebracht.

Dann naht in seinem Gefolge dunkles Gewölk, und der kristallene Himmel dunkelt ein. Eines Nachts löst das schwere Gebausch sich und entläßt rauschenden Regen, der viele Wochen lang, lau erst, dann immer kälter, ohne Unterlaß über das hinsterbende Land sich 8 ausgießt. Aus hoffnungsloser Starrnis, die es in jedem Jahre überfällt, obwohl es noch keinmal betrogen ward, errafft es sich dann. Es hat keine Lust an großer Buntheit; kein Auftrag ward ihm, schön zu sein. Überfluß ist sein Bemühen; und wenige Tage nach dem ersten Regenschauer ist über das graue Gefild eine überschwengliche Schöpfung hingebreitet.

Hohes Gras rauscht mit dem stoßenden Südost ins unabsehbar Grüne hin. Helle Akazien stehen gruppenweis mit Araukarien und dunklem Lorbeergebüsch. Wilde Pfirsiche und Orangenbäume, die an Flußufern wachsen, müssen die Regenwochen verwarten, ehe sie unscheinbare Blüten treiben. Mimosen stehen verstreut, und wenn sie mit einbrechendem Dunkel ihre feinen und scheuen Blätter zusammenfalten, lassen sie das Sternenlicht durchscheinen. Noch aber werden wochenlang die Sterne nicht scheinen. Graugelbe Nebel fahren mit dem Wind über die Steppe und schleifen ihre Schleppen über die Kronen triefender Bäume.

Lange ist das niedere Dorngestrüpp ersäuft. Das Artischockendickicht steht meilenweit tief im Wasser. Der breite Strom, der die Pampa von Nord nach Süd in zwei ungleiche Teile schneidet, ist gelb und riesig geworden. Dichte Wälder säumen ihn im Sommer. Jetzt ist er weit über seine Ufer hinaus; lautlos 9 und tückisch, unübersehbar und ohne Wellen steht er im Land.

Wo die Ebene sich faltet, ragen Inseln hervor. Auf sie flüchten Herden verängstigter Tiere, die nach langer Dürre vor dem Ertrinken sich retten. Aus jahrhundertalter Erfahrung wissen sie die Plätze, wohin das Wasser nicht steigt, wo sie kümmerliche Weide für die Wochen dieser Sintflut finden.

Lange hat der Jaguar sich aus den Wäldern am Flußufer davongemacht. Mit dem fallenden Strom wird er wiederkehren, wenn das hohe Gras ihn verbirgt. In den rauschenden finsteren Nächten kommt sein Schrei über die Wässer her, wenn das Gebrüll verängstigter Rinder oder das Wiehern hungernder Pferde ihn reizt.

Mit den austretenden Fluten gelangen Tiere über das Land, das ihnen sonst die große Fremde ist. Alligatoren planschen im gelben Gischt um die Inselränder, liegen auf der Lauer an schmalen Furten, die im Sommer meilenweit von ihrer gurgelnden Welt entfernt sind. Fische und Schildkröten treiben ihr Leben über fremden Bezirken, und die schönen Leiber der Zitteraale schlängeln sich weit hinein über die unabsehbare Heimat der Landtiere.

Auf solcher Insel, die groß genug ist, um ein wenig 10 zu traben, auch einen kurzen Galopp zu tun, kommt Mannsräuschlin an einem Märztag, da es schon sanfter regnet und manchmal ein heller Fleck auf dem wolkendunklen Himmel erscheint, auf die Welt. Es zittert am ganzen Leib, als ihm der Atem in die Lunge stößt. Dann geht der feuchte Wind über seine fröstelnde Haut, und der kalte Regen läuft an ihm herab. Ein paar Minuten liegt es wie tot, reckt nur ein wenig die langen, mageren Beine; dann hebt es den Kopf, fühlt den warmen Atem der Mutter und fängt an, sie zu sehen. Stückweise und friedlich zieht die geringe Welt durchs Auge in das Dasein des Neugeborenen. Dann steht die Stute auf, und das Fohlen, das die hohe Gestalt vor sich sieht, wird durch sein Gemüt auf die dünnen Beine gezwungen. Es steht aufrecht, wankt ein wenig, zittert und starrt aus großen, dunkelbraunen, erschrockenen Augen in die Fremde. Die Stute geht in langsamen Schritten um den kleinen Kömmling, beschnuppert ihn von allen Seiten, schnaubt vor Freude und Zärtlichkeit, und ihr heißer Atem tut dem steifen unbeholfenen Jungen, das wie ein dürftiger Versuch zur Gestalt der Mutter ist, wohl.

Wenn sie einen Schritt von ihm wegtritt, wendet es den kleinen Kopf nach ihr; selber aber einen Schritt zu tun, scheint ihm unmöglich. In steifer Grätsche 11 steht es da und weiß nicht, was es mit den langen Beinen tun soll. Wahrscheinlich wird es umfallen, wenn es zu gehen anhebt. Weit ist es von der Höhe seiner Augen auf den Boden hinab. Steif steht es und starrt der Mutter nach.

Dann kommen die anderen Stuten, kommen einjährige Fohlen, junge Hengste. Die Herde beäugt das Neugeborene. Die Mütter beschnuppern es, stehen eine Weile vor ihm, machen ihre Wahrnehmungen, haben ihre Gedanken über seine Gestalt, seine Farbe, fühlen ihm sein Wesen und Gemüt, seine Seele und Charakter gleich ab. Sie schnauben freundlich und haben das Junge in ihren Kreis aufgenommen. Mannsräuschlin hat ein gutes Wesen; das haben sie gleich gespürt. Dann gehen sie wieder. Als aber die Einjährigen und gar die tolpatschigen Junghengste sich herandrängen, versteht die Stute keinen Spaß. Ihr kurzes Wiehern bedeutet den Jungkerlen, daß sie sich trollen mögen, und sie fährt einem Zudringlichen scharf an den Hals. Der kennt die breiten gelben Zähne und prescht zur Seite; die übrigen mit ihm. Ihre Neugier ist gestillt. Anzufangen wissen sie nichts mit dem steifen Kameraden. Daß sie vor nicht langer Zeit ebensolche dürre und schüchterne Vettern waren, davon ist nichts in ihrem Gedächtnis. Überdies plagt sie der 12 Hunger. Der seit vielen Wochen strömende Regen und das ihre weite Welt einengende Wasser haben sie mürrisch und verdrossen gemacht. Ärgerlich scharren und schlagen sie den Boden, daß weithin Schlamm spritzt, und machen sich in kleinem Trab davon. Draußen am Rand der Insel, wo das Wasser mählich zurücktritt, haben sie am Morgen die Spitzen hohen Grases auftauchen gesehen. Dort werden sie Nachschau halten. Vielleicht, daß es bis zum Magen reicht.

Mannsräuschlin steht noch auf dem nämlichen Fleck und zittert vor Schreck über den lärmenden Besuch. Seine Mutter hat es immer wieder beäugt und beschnuppert; dann ist sie von ihm weggetreten und hat gewartet, daß es ihr folge. Das Fohlen hat ein paarmal die mageren Beine aufgehoben und hat zu gehen versucht. Wenige unsichere Schritte tat es, blieb wieder stehen, äugte ängstlich nach der Stute und hoffte, sie würde gleich wieder umkehren. Dann wird ihm sehr hilflos zumute. Der Regen läuft ihm über den mageren Hals und die schmalen Flanken hinab; es fühlt Hunger. Die Stute steht ein paar Längen vor ihm und wiehert kurz und zärtlich. Da nimmt Mannsräuschlin sich ein Herz und stelzt steif auf sie zu. Dann hat es plötzlich eine warme und nahrhafte Witterung in der Nase, und als es seinen samtweichen Nüstern 13 folgt, wird es herrlich satt und ist jetzt seiner Mutter so zärtlich zugetan, daß es um keine Länge seines schmalen Leibes mehr von ihr sich entfernt.

Dann bricht die schnelle Nacht herein, und das Fohlen verschläft sie, eng an das weiche und warme Fell der Stute geschmiegt. Mannsräuschlin hat seinen ersten Tag erlebt, und die Glückseligkeit des Erdendaseins ist ihm aufgetan. 14

 


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