Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Steppengewitter

Der Septemberabend ist rötlich und dunstig gewesen. Die Blutsauger schwirrten bis in die anbrechende Nacht; bälder als sonst geisterten die Segel der Blattnasen um die dampfende Herde. Drohend und trächtig ist die große windlose Stille, und die Gestirne starren wild aus dem finsteren Raum. Empörung steigt aus der hinschmachtenden Erde auf, und Drohung ballt sich unterm Firmament. Die Kreatur ist tief verlassen und des Ausbruchs ängstlich gewärtig, der die feindselige Spannung zerreißen wird.

Die älteren Pferde wissen aus Erfahrung um das Kommende. Aus Angst halb und halb aus Hoffnung schnaufen sie stärker. Die Jungpferde haben es ein-, zweimal erlebt und immer wieder vergessen. Sie leben noch im Unbegrenzten und haben keine Weiser des Jahres im Gemüt fest. Die heurigen Fohlen werden von der schrecklichen Spannung des Himmels und der Erde beunruhigt, und das besondere Wesen der Stuten 75 und des Leithengstes in den letzten Nächten steckt ihre Kinderseelen an.

Mannsräuschlin und der kleine Hengst sind von einer Stute, die in diesem Frühling kein Fohlen hatte, freundlich angenommen worden. Sie hat die Herumirrenden lange beobachtet. Als eines Nachts der Schrei des Jaguars nahe herangekommen war und die beiden Jungen in hilfloser Angst die große Dummheit machen wollten, davonzulaufen, war die Stute ihnen mit ein paar raschen Gängen nachgetrabt und hatte sie freundlich gelockt. Augenblicklich drängten die Fohlen sich an die Mütterliche und fühlen sich seither nachts wohlgeborgen. Bei Tag treiben sie sich auf eigene Faust umher.

Schwarzes Gewölk fährt aus den nordwestlichen Gebirgen her. Der Wind hat sich aufgemacht und ist zum Sturm geworden. Wolken von Sand führt er mit und wirbelt sie hoch ins schwarze Firmament. Der rote Hengst hat die Herde zusammengetrieben. Es war kaum notwendig. Von selbst sammeln sich die Pferde und horchen gern auf das mutige Gewieher des sie umkreisenden Führers. Sie haben die Kruppen gegen den Sturm gewendet und stehen mit gesenkten Köpfen, eine schwarze schnaubende Versammlung unterm tief herziehenden Gewölk. Mähnen und Schweife flattern 76 im Sturm. Die Jährlinge und Jüngsten haben sie in die Mitte genommen und beruhigen mit kurzem Gewieher die Fohlen, die von den herpreschenden Staubwolken und dem spitzen Sand, der ihnen scharf ins Gesicht fährt, scheuen. Sie blinzeln aus sandblinden Augen und hören vor Gebraus nur mehr schwach und verzerrt; und das vor allem ist ihnen beklemmend. Ihres feinsten Sinnes fast beraubt, fühlen sie die Richtungen des Lebens nicht mehr deutlich und harren wie auf einer Insel aus.

Eng an die breiten Flanken der Stute gedrängt, stehen die zwei dürren Fohlen und schütteln schnaufend die Köpfe, wenn eine Staubwolke über sie herprasselt. Sie erleben zum erstenmal den Gewittersturm der Steppe und fühlen nichts als eine große Feindseligkeit, der sie gewiß kein Galopp entziehen kann; sonst hätte der alte Hengst lange den hellen Ruf getan. Daß auch der vor dem Herbrausenden sich still und geduckt hält, gewahren die Fohlen und sind sehr erstaunt.

Alle vier wirft Mannsräuschlin von sich und steht in steifer Grätsche und tief schnaufend, als der erste Blitz niederfährt und es mit eins die kauernde Herde im blauen Licht sieht. Vor dem schrecklichen Donnerschlag feuert es entsetzt aus, bäumt und will im Galopp 77 davon. Auch der kleine Hengst bäumt steil auf, und die erschrockenen Fohlen und Jährlinge stoßen kopflos durcheinander, wollen ausbrechen, schnauben und stampfen und wiehern dünn und verängstigt. Die Stuten aber haben den Kreis um ihre Jungen geschlossen; vorne gegen den Wind trabt der Hengst, den der Blitz wild gemacht hat, in kurzem Gang hin und her, und keins der scheuen Fohlen wird es wagen, an dem Herrischen vorbei zu galoppieren. Der weiß, was noch kommen kann, und ist in großer Spannung, ob es kommt. Denn wenn es kommt, ist er sein selber und der Herde nicht mehr mächtig.

Blitz und Blitz! Im blauen und weißen Licht liegt die Pampa unabsehbar. Sekundenlang bricht die Finsternis in das Geleucht. Den türmenden Raum überwölben die hallenden Bogen unaufhörlichen Donners; wo sie gründen, bebt die Erde. Der Sturm schwillt zum Orkan. Durch schwarze Löcher dieses Getöses kommt Gebrüll ferner Rinderherden. Die Unruhe und Angst der Pferde wächst. Einmal umkreist der Hengst die Herde und noch einmal. Es ist, als ob er durch die gewohnte Weise sich selber beruhigen will. Aber am Stampfen und Schnauben der Stuten, und weil sie seiner nicht mehr achten, merkt er, daß seine Führergewalt an eine Grenze gelangt ist. Darüber hinaus 78 hören Herdengefühl und Hörigkeit auf, und das Leben ist ein schwarzer Abgrund, in den jedes einzeln sich stürzt, nur mehr auf sich bedacht, sich selber gehörig; anders als die Lebensangst, die den großen und heißen Schrecken gebiert und die Pferde in eine Wahnsinnsherde zusammenballt.

Im Gedröhn und tausendfältigen Geleucht hatten die Pferde der herrollenden gleißenden Kugel nicht geachtet. Die Zweige eines Akazienbusches war sie lautlos herabgeglitten und über den Sand herangerollt. Was die Tödliche lockte, in die stumme schwarze Herde zu dringen; welche Spannung und Geheimnis diesen blitzenden Tod in jenes bedrängte Leben höhnisch und freventlich und überaus herrscherlich einzubrechen zwang; welcher Auftrag und von welcher Tiefe des Unergründlichen her er an das furchtbar geballte Element ging: als der Kugelblitz in die Mitte der geängstigten Pferde sich durchgeschlichen hatte, geriet er zwischen die feinen Hufe des kleinen Hengstes. Der Widerstand entfesselte die mühsam geballte Wildheit und Wut. Er ließ sich los. Die schreckliche Spannung barst, schlug weithin die erzitternde Erde und machte sich ins Ungründbare und Finstere krachend davon.

Über und über sind die Pferde schneeweiß. Bei dem entsetzlichen Krach ist es, als bärste ihre Welt. Dann 79 sekundenlange finsterste Stille; und jetzt prasselt es nieder, und ist ein Toben und Gerassel weithin über die Steppe. Nach allen Seiten sind die geblendeten Tiere ausgebrochen. Aufbäumend und ausfeuernd jagen sie in hohem Galopp da- und dorthin. Der Hagel rasselt über ihre Köpfe, peitscht ihnen Rücken und Flanken. Wiehernd und schnaufend stürmen sie hin, prallen in der Finsternis aufeinander; denn stets jagen sie im Kreis, weil allein der Kreis sie wieder versammeln wird.

Ächzend war das schmale Hengstfohlen eine Minute gelegen und hatte sich dann steif ausgestreckt. Der ganze strahlende Tod beinahe hatte den dürren kleinen Körper durchrast, und es hatte nach verbranntem Fleisch gerochen.

Dichter und größer prasselt der Hagel, und der Sturm schleudert ihn hart wider die mageren Leiber. Da und dort stürzen welche, wälzen sich überschlagend, springen wieder auf, jagen weiter. Eine Rinderherde poltert brüllend durch die Finsternis. Was ihr im Weg ist, wird überrannt, mitgerissen, gerät unter Hörner und Hufe. Eine Stute, die den Lärm der Hertosenden überhört, weil die Schloßen ihr den Kopf betäubt haben, wird schrecklich aufgeschlitzt. Die Aufschreiende und Taumelnde liegt zerstampft unter der 80 überhinstürmenden Herde. Im schrecklichen Dunkel und in der großen Verwirrung ist ein Jungpferd ins Gestrüpp der Artischockendistel geraten. Die mannshohen Stachler geben es nicht mehr frei. Tiefer gerät das um sich Schlagende in den mörderischen Bezirk. Erst die Rabengeier werden es finden.

Zerstoben ist die Herde. In der Morgendämmerung, die über einen sanftblauen Himmel sich herwölbt, stehen da und dort, traben und galoppieren verzaust, blutend, triefend vom Regen, der dem Hagel stundenlang nachstürzte, wiehernd, schnaufend und immer noch zitternd vor den Schrecken der Nacht, die Pferde der Pampa. 81

 


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