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Tag um Tag und Nacht um Nacht trommelt der Regen auf das Bretterdach des Stalles. Naßkalter Südost fegt um die Blockhäuser der Menschensiedlung. Im Stall ist eine gute Wärme, und die Luft ist dick von der Ausdünstung der Pferde.
In breiten Boxen stehen die Mutterstuten und haben ihre Fohlen neben sich. Die Bürschchen sind nicht angehalftert, und hie und da zottelt eins und das andere steifbeinig den Stallgang hin, schnuppert in benachbarte Boxen, bockt ein wenig mit einem Altersgenossen und wird durch einen kurzen Lockruf der Stute wieder an seinen Platz gebracht.
Es geht gegen den Februar. Der Junghengst beginnt von Woche zu Woche mehr sich zu fühlen und lärmt und beunruhigt die Stuten mit seinen Hetzschreien. Da bringt ihn der Mensch in einem anderen Stall, bei dem Wallachen, unter. 245
In der Box neben Mannsräuschlin ist die braune Stute angehalftert, deren Fohlen nun bald ein Jahr alt wird. Meist steht es an ihre breite Flanke geschmiegt, wedelt mit dem kleinen Schweiflein, äugt aus großen Kinderaugen auf die Futterkrippe, an der die Stute lässig rauft, und ist sehr neugierig. Aber um es nachzumachen, ist sein Wuchs noch zu klein. Es reckt den mageren Hals, so gut es kann, und landet dann bei den Lefzen der Mutter, die es freundlich abschnuppert. Dann wieder steht es lange Weilen verkehrt in der Box, äugt den Gang hinauf, hinab, spitzt die Ohren, wenn da und dort Gewieher und Geschnauf herkommen, tut ein paar sehr vorsichtige Schritte aus der Box, gewahrt nicht, daß die Stute aus weißen Augenwinkeln ihm nachäugt, und folgt nicht immer gleich dem kurzen freundlichen Locken. Wenn es dann umkehrt, macht es sich sogleich an das Euter und saugt, tut sich dann nieder und fühlt sich im Leben gut aufgehoben.
Mannsräuschlin, das nun ins vierte Jahr kam, betrachtet aus blanken Augen die ältere Stute. Aufmerksam äugt es, wenn das Fohlen zu saugen anhebt. Eine wochenlange Weile ist Mannsräuschlin ein aufmerksamer, blanker Zuschauer der Vorgänge in der Nachbarbox. Dann, je höher die Sonne das Jahr 246 hinansteigt, geschieht es, daß Mannsräuschlin, wenn es das Fohlen saugen sieht, von einer Art Eifersucht berührt wird. Aber nicht auf den Säugling. Auf die Stute ist es irgendwie eifersüchtig und lockt mit einem fast mütterlichen Laut, den es der braunen Stute abgehorcht hat, das Fohlen. Die wirft erstaunt auf und wendet das gute große Gesicht auf die junge Nachbarin. Eine Weile äugt sie ruhig und blank in das junge Gesicht der jungen Stute und versteht wahrscheinlich in ihrem Gemüt, warum Mannsräuschlin den Lockruf tat. Sie schnaubt und schüttelt den Hals.
Ja, was tut man, wenn man sich allein fühlt? Oh, man streckt den glänzenden Hals über die niedere Zwischenwand und beschnuppert sich mit der braunen Stute. Ja, die antwortet gern; und weil man sich von Herzen wohlwill, beugt Mannsräuschlin seinen feinen Hals über den Nacken der Fohlenmutter. Da stehen die beiden sanften und guten Tiere.
Das Fohlen läßt das Euter, äugt spitz auf die beiden Köpfe und schnuppert an den Nüstern. Dann drängt es sich unter die Hälse der Stuten.
Eine geraume Weile verharren die drei in solcher engen Nähe und erleben aus solchem Wohlwollen jedes das eigene Dasein freundlich und heiter.
Sie haben die Tür ins Schloß fallen gehört. Aber 247 das geschieht so oft am Tag, daß dieses Geschehnis sie nicht in ihrem Behagen stört.
Ein gutes Lächeln geht über das Gesicht des mit seinem Knaben herankommenden Menschen, als er die friedliche Gruppe gewahrt. Natürlich weiß er gleich, wie es um diese dunklen Kinderseelen bestellt ist.
Ach, der vernunftbegabte Mensch, das höchste Bild und Gleichnis im herrlich erschaffenen Kreis der Lebendigen!
Er streichelt seinem Knaben über den Kopf und ist jetzt nicht größer, nicht bedeutender, nicht gleichnistiefer als die Erschaffenen vor ihm.
»Ja freilich, Mannsräuschlin, auch du wirst ein Fohlen haben, ein schönes rostrotes Fohlen mit einem weißen Stirnmal und weißen Beinen. Und wenn du's gut mit mir meinst, wirst du ein Hengstfohlen haben.«
,,O Vater«, lacht der Bub, »wie kannst du denn wissen, daß Mannsräuschlin ein Fohlen mit weißen Beinen haben wird!«
»Ja, das kann ich gut wissen, weil Mannsräuschlin unseren weißen Lippizanerhengst, den wir vom Wanderzirkus gekauft haben, zum Mann haben wird.«
Mannsräuschlin und die braune Stute horchen spitz und neugierig auf die Unterhaltung und äugen aus 248 weißen Augenwinkeln auf die Menschen. Das braune Fohlen hat gewendet. Der Knabe hat den mageren Hals des Jährlings unter den Arm genommen und krault die struppige Stirne. Die braune Stute äugt blank und schnaubt ein wenig. Sie kennt die Stimme des Knaben. Aber sie sieht ihr Fohlen lieber in der Gesellschaft des großen Menschen. Gegen Menschenkinder bleibt sie mißtrauisch.
»Nein, nein, ich tue deinem Baby nichts«, sagt der Junge, der das Schnauben und Anstarren kennt. »Aber wenn Mannsräuschlin den Lippizaner nicht zum Mann haben will, Vater?«
»Einen vornehmeren Mann kriegt die Kleine in der ganzen Pampa nicht, mein Junge. Und daß die sich auf Rasse versteht, sehe ich ihr an. Ich gebe unseren Weißen auch nicht jeder Stute zum Mann. Was meinst du! Aber Mannsräuschlin soll ihn haben.«
»Ja du! Glotz mich nur an! Hast wohl deinen Namen erhorcht und weißt, daß von dir die Rede ist, Wildling!«
Der Mensch klopft freundlich die Kruppe der jungen Stute. Sie tänzelt und kollert vor Freude. Da eifert die Braune und schnaubt und stampft.
»O freilich, du auch mein gutes braunes 249 Mütterchen! Ich habe dich ebenso gern! Alle habe ich euch gern!«
Und er streichelt den Hals und die Flanke der Mutterstute. »Alle habe ich euch gern, und alle seid ihr anders. Schau dir das Gesicht von dieser Babymutter an, Junge! Gut! Genau! So! Und jetzt dreh dich um und schau das Gesicht von Mannsräuschlin an! Sind sie nicht ganz verschieden? Pferd ist Pferd, sagen die Leute. Keineswegs. Das sind solche Kerle, die auch sagen: Mensch ist Mensch, und für keinen Herz haben. Lauter Rätsel, mein Junge! Da, unsere braune Babymutter, die schon das dritte Fohlen hat! Sie hat eine schmälere Stirn als Mannsräuschlin. Die Augen liegen tief in den Höhlen, und der Knochen darüber ist recht groß. Schau, wie sie blickt. Aufmerksam, aber nicht sehr klug; treu und gehorsam. Und nun schau die langen Züge von der Wange herab gegen die Lefzen. Schaut sie nicht fast schwermütig aus? Sie ist gar nicht alt. Wir haben sie gut gehalten. Sie ist bei uns geboren. Ihr Vater, der große rote Mischling, ist lang tot, und ihre Mutter habe ich voriges Jahr verkauft. Schau die Nüstern an! Sie fallen ein wenig ein. Temperament hat sie nie zuviel gehabt. Siehst du die merkwürdigen Kummerfalten über der Stirn? Jetzt schaut sie ihr Fohlen an. Sieht es nicht aus, als 250 machte sie sich Sorgen über das Junge? Vielleicht sorgt sie sich. Was wissen wir? Sie ist stumm. Wir wissen gar nichts, mein Junge. Ihr Vater war ein toller Kerl, kaum zu bändigen. Ihre Mutter war eine sanfte Stute aus englischer Zucht. Die da ist ihnen nicht nachgeraten. Eine Seele hat sie natürlich. Woher hat sie die Seele so und nicht anders? Nichts wissen wir. Aber nach ihren Seelen muß man sie schon behandeln, mein Junge.«
Der Knabe, aus dessen Arm das Fohlen sich befreit hat und nun an den Rocktaschen des Menschen herumschnuppert, liebkost die braune Stute, und weil sie nach ihm sich umwendet, schaut er sie ernsthaft an, und sie hält seinen Blick aus und äugt mit spitzen Ohren.
»Ach Vater, sie schaut ganz zufrieden aus, die Babymutter.«
»Ja, das tut sie. Mehr können wir auch nicht tun und verlangen. Wir sind weit, weit entfernt voneinander; aber daß wir den Tieren viel, viel schuldig sind, fühlen wir. Und da hast du wieder ein Rätsel, mein Junge. – Jetzt schau dir Mannsräuschlin an! Was? Die hochmütige Fratze, die die Person hat! Die weiß gar nicht wohin mit den Nüstern, vor Temperament. Die schnuppert noch im Schlaf, glaub ich. Schau den hochgewölbten Augenbogen! Immer 251 erstaunt schaut der Racker aus, immer Darüberwegsehen! Auch über mich möchte sie wegsehen, die impertinente Person; aber das hab ich ihr abgewöhnt. Augen hat sie wie unsere Pampahirsche, fein, sanft, feurig, feucht, klug, hochmütig, alleinselig, was weiß ich. Ein Rätsel, so eine hochgeborene Person. Die kurzen Ohren! Schau, jetzt legt sie sie nach hinten. Lautere Eitelkeit. Das wäre der guten Braunen nie eingefallen. Die legt sie einmal nach hinten, wenn sie etwas nicht kapiert oder sich ärgert. Tut sie aber selten. Keinen Fehlfleck am Huf! Schwarz wie Kohle! Der lange dünne Schweif! Sie stäubt aus lauter Hochmut alles hinter sich weg. Genau so wedelt sie. Hat die Kummerfalten? Die Braune hat sie schon als Säugling gehabt. Mannsräuschlin und Kummer! Ich glaube, die lachte darüber! Haha! Sie nimmt das Lachen übel! Hört zu tänzeln auf, versammelt sich, spitzt und äugt mir frech ins Gesicht! Ist das ein Rätsel? Aus einer wilden Herde fange ich mir die Kleine heraus und habe einen Revenant, ein Gespenst aus Arabien vor mir. Das ist absolute arabische Zucht. Paar Jahrhunderte hat die Seele dieser Person in weiß Gott was für Leibern sich umgetan, und auf einmal taucht sie in der Pampa in aller möglicher Vollkommenheit auf. Rätsel, Rätsel, mein Junge! – Ja natürlich, du bist das Rätsel, 252 mein Feines! Da, deinen Zucker! Und der Braunen ihren Zucker! Keine Eifersucht! Ihr seid mir alle gleich lieb!« –
Dann geht der Mensch zu den anderen Pferden und führt seinen Knaben an der Hand. Überall gibt es Zucker und freundliche Worte. Dann rasselt der Schlüssel im Tor, und es wird mählich still. Gegen Mitternacht wird das Schnaufen und Poltern der Pferde dünner.
Um den dunklen Stall heult der Südost und peitscht den Regen prasselnd gegen die Bretterwände. 253