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Mai ist. Vor Wochen ist der Frühling in die Gebirge gezogen, und der Sommer ist gekommen. Seine ersten vierzehn Tage hielt er an sich. Zwar schoß ihm das Gras entgegen und ist mannshoch, grün und saftig. Noch gibt es Wasserläufe und tiefe Tümpel, verstreut über das Land. Die Blüten aber sind abgefallen und verdorrt. Mit ihnen sind die Schmetterlinge fort. Da und dort schaukeln Spätlinge, hungern und sterben eines Nachts. Wie auf Verabredung sind die Kolibri davon. Die umschwirren jetzt die größeren und wild duftenden Blüten in den Wäldern und Grasländern der Gebirge. Eintönig geht Gezirp und Gesurr großer Insekten über die Pampa, und der Jaguar brüllt häufiger und aus verschiedenen Revieren. Gezänk der Rabengeier ist in den hohen Lüften und über verendeten Tieren, da und dort. An manchen Tagen zieht ein großer Schatten, den keine Wolke wirft, über das grüne Gefild. Dann drängen die 33 Fohlen sich zusammen. Mannsräuschlin wird durch kurzes Wiehern an die Seite der Mutter gerufen. Es folgt sogleich, und unter dem hinziehenden Schatten steht es steif vor Angst. Aber der Kondor sucht die Steppe nach Rinderherden ab. Kälber zieht er den Jungpferden vor. Auch fürchtet er aus Erfahrung die Wildheit, Gewandtheit und zornige Tapferkeit der Pferde. Weit draußen verschwindet er im graublauen Horizont, und die schneeweiße stiere Sonne wirft keinen Schatten mehr.
Vor dem großen roten Hengst, der die Herde führt und ihr unumschränkter Herr ist, hat Mannsräuschlin große Furcht. Wenn es ihn aufwiehern hört, trabt es zur Mutter und drängt sich an ihre Flanke, und wenn er im Galopp einherpoltert, macht die Stute ihm willig Platz. Die Schar der Jungpferde strebt sofort in die Herde zurück. Sie wissen: er will sie zusammenhalten.
Seit mehr als zwei Dutzend Jahren ist er Gebieter der Herde, und die ist jährlich größer geworden. Als er sich zu ihrem Herrn aufwarf, zählte sie neun Stuten und sechs Fohlen. Jetzt gehorchen ihm an zwanzig Stuten, und wenn er die Jährlinge und Fohlen zusammentreibt und in kurzem Galopp die Herde umkreist, wiehert er hellauf vor unbändigem Stolz und Herrscherlust. Fröhliche und willige Antwort empfängt 34 er dann aus dem Trupp. Wenn an windigen Abenden oder Morgen fernes Gewieher je herankommt, stürmt der Hengst sprühenden Auges in den Wind. Sein rostroter Rücken wogt im gestreckten Galopp durchs hohe Gras. Schwärzlich umflattert ihn die Mähne. Den langen dünnen Schweif wild ausgereckt stürmt er hin, die Lefzen geschürzt, das gelbe gewaltige Gebiß gefletscht. Stampfend verhält er, gebläht die Nüstern, und schmettert den hohen zornigen Kampfschrei gegen das ferne Gewieher eines brünstigen Hengstes.
Neugier und Angst und wilde Spannung läßt die Stuten zusammenlaufen; die Fohlen vergessen ihres Übermuts. Willfährig wiehert die Herde dem Hengst entgegen, der nach solch gewaltiger Drohung in hohem Gang wieder zurückkehrt.
Da gewahrt er unter dem Trupp der Junghengste einen, der unbekümmert um den Herpolternden weidet, hart angedrängt an eine dreijährige Stute, die dies freundlich duldet. Es ist gegen jedes Herkommen, daß vierjährige Hengste sich an dreijährige Stuten heranmachen, wenn es in den Sommer geht, und überdem ein gewalttätiger Herr über der Ordnung des Herkommens wacht. In den Wintermonaten oder auch nach der Sommersonnenwende hat dies nichts auf sich, ist wahrscheinlich Spiel oder gute Kameradschaft, 35 besondere Sympathie oder sonst etwas Geheimes und immer Gutes. Jetzt aber ist es außer jeder Harmlosigkeit und kann nicht geduldet werden. Die Ordnung des Verbandes ist gefährdet, wenn Eigensucht und Unbotmäßigkeit sich regen.
Ein-, zweimal umkreist der Hengst, den Herrschgier und Eifersucht in diesen Monaten ganz erfüllen, mißtrauisch die Herde. Wenn er an dem Jungkerl vorbeikommt, dreht der ihm die Kruppe hin, scharrt den Boden und schlägt mit den Hufen. Das kennt der Alte. Wie er wieder vorbeikommt, feuert der Junghengst aus, daß dem Führer Erdbrocken um die Flanken sausen.
Ho, Jüngling! — Kurz wiehert der Alte auf, und es ist nichts als ein höhnisches Lachen. Aber der Junghengst ist von stolzer Abkunft. Aushöhnen läßt er sich nicht, und gar neben der schlanken braunen Stute, der der Junge gut gefällt. — Als dem aber plötzlich die Vorderhufe des Alten an die Flanken preschen und er, aufbäumend, dem Gewaltigen gerade an den Nacken reicht; als ein blutender Biß an der Mähnenwurzel ihn aufschreien läßt: da weiß die junge Stute sogleich, daß es nur einen Herrn gibt, auf Lebenszeit wahrscheinlich, und sie ist es zufrieden.
Der abgeschlagene Jungkerl hört ihr williges 36 Gewieher, das dem Alten gilt, und macht sich in gestrecktem Galopp, in einem weiten Bogen auf die andere Seite der Herde. Dort wird er Unterschlupf finden und dann wieder zu ihr gelangen. Aber der Alte kennt seine Söhne und kennt sich. Morgen würde der Junghengst andere Stuten mit seiner Liebe bedrängen. Ho, das fehlte dem eifersüchtigen Gatten und Vater so vieler schöner Frauen und Töchter! Die Welt ist groß! Der Frauen gibt es viele! Such sie dir! Kämpfe um sie wie ich! Da, mein Rücken, meine Kruppe, mein Hals, das halbe Ohr! Lauter Narben um Frauen und ihre Liebe und ihren Besitz! Fort! Fort! Die Steppe ist weit! Der Himmel ist hoch! Das Gras wächst überall und die Frauen! Hol sie dir! Marsch!
Da trollt er dem Herrischen ans Gesicht und Gehör und treibt ein einsames und verbittertes Leben, durch Wochen und Monate. Aber einmal wird er wiederkommen! 37