Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Vergebliche Suche

Dann hört eines Tags der Nordwest zu wehen auf. Das Gras raschelt nicht mehr, und die Staubwolken stehen still über der Herde. Drohend ist diese plötzliche Stille, und die weiße Hitze weicht einer bleigrauen Schwüle, die auf die Pferde hinabdrückt, daß sie ungern aufstehen. Selbst die alten Hengste liegen da und dort und vergessen zu sichern. Den Abgezehrten und Verschmachtenden verwirrt sich stundenweise ihre Welt. Sie dösen in fiebrigen Durstträumen, wühlen zuzeiten die dürren Lippen in den Sand, blinzeln aus glasigen Augen vor sich hin; die Stiche der Bremsen fühlen sie kaum, hören nicht das tiefe Summen der Fliegenwolke, bäumen und bocken, weiden und wiehern nicht. Mühselig und rauh geht ihnen der Atem. Wildes Schnaufen da und dort verrät die Pein der Kreatur.

Mannsräuschlin ist dürr und struppig, verwahrlost und über und über mit Staub bedeckt. Die ruppige 69 dunkle Mähne gibt dem schmalen Tier ein verwegenes Ansehen, wenn es einhertrabt. Aber es trabt ungern. Es hat viel Mühens mit Abwehr der Blutsauger, bockt stundenlang, feuert aus und hat am Hals und an den Oberschenkeln große Beulen. Lange hat es eingesehen, daß diese Unentwegten durch einen steifen Galopp sich nicht stören lassen, daß sie sich auf die galoppierenden Vettern ruhig, ohne viel Wesens niederlassen; nicht nur auf Rücken, Hals und Flanken, auch auf die ausholenden Beine, und dann im Augenblick losstechen. Und Mannsräuschlin hat gelernt, daß es unnütze Arbeit ist, loszugaloppieren. Es ist gescheiter, man legt sich hin; dann hat die eine Seite des Leibes Ruhe; natürlich nur, wenn man so klug war, nicht in einer Heerstraße der Ameisen zu landen. Aber so klug ist das Fohlen nach einem einzigen solchen Erlebnis geworden.

Die Ameisen verstehen keinen Spaß. Ihren Weg verfolgen sie rücksichtslos. Was fremd darin ist, wird überrannt oder aufgefressen. Das liegende Jungpferd zu überklettern, war ihnen wahrscheinlich zu mühselig. Also: darunter durch! Da war der Weg eng. Man beginnt ihn herzurichten und macht sich über Fell und Fleisch des Fohlens . . . Lange mußte Mannsräuschlin sich damals in Sand und Gras wälzen, ehe es die 70 großen verbissenen Ameisen abgeschüttelt hatte, denen die Witterung des Blutes sehr appetitlich war. Und lang noch wälzte sich und bockte das Fohlen, als die Unentwegten schon zerquetscht oder abgestreift waren. Die ätzende Säure peinigte es tagelang.

Lebte die Stute noch, sie hätte ihr Junges gewarnt, diesen Straßenräubern sich quer ins Leben zu legen; hätte es durch einen kleinen Ruf an eine ungefährliche Liegestatt gebracht. Aber das Verwaiste mußte seine Erfahrungen nun selber machen, und dabei widerfährt ihm manch Ungemach.

Als der rote Hengst damals, nach dem Tod der Stute, die Herde weiterführte, suchte Mannsräuschlin die Mutter tagelang. Das Hengstfohlen trabte immer mit, und die beiden dürren Verlassenen wußten nicht, wo die Stute finden. In der ersten Nacht – denn die Nächte schlief Mannsräuschlin immer noch neben der Stute – kam es zu keiner Ruhe. Mit dem kleinen Hengst schritt es durch die Herde, schnupperte an den Nüstern der schwarz und still Dastehenden, trat vorsichtig zwischen die Liegenden, beroch sie, tat manchmal einen erschrockenen Satz zur Seite, wenn ein unruhig träumender Junghengst nach ihm biß oder plötzlich aufsprang und hell wieherte. Dann kam der alte Führer herangetrabt und sah nach, was es gäbe. Denn es ist 71 gegen jedes Herkommen, die ruhende Herde nachts durch Wiehern weithin zu verraten. Als der Hengst die zwei verlassenen Fohlen erkannte, wußte er, was die nicht schlafen ließ, und schnaubte sie gutmütig ab. Das tat den Verängstigten wohl. Still schritten sie hinter dem Hengst her, bis der sich niederlegte. Dann taten sie sich in seiner Nähe nieder. Allzu nahe, so nahe wie an die Stute, wagten sie sich nicht an den Herrischen.

Tags darauf wurde das Unbegreifliche, daß die Stute nicht zu finden war, so überwältigend für Mannsräuschlins Gemüt, daß es aus der Herde schritt und ohne umzusehen zu der Nachbarherde sich machte, ob es wohl dort die Mutter fände. Ganz behaglich war ihm bei diesem Unternehmen nicht. Es schaute sich nie um. Der kleine Hengst ging eine Weile hinterher, wieherte kümmerlich, schüttelte den kleinen Kopf, verhielt mehrmals, warf auf, drehte endlich in raschem Entschluß um und galoppierte steif zurück. Einmal blieb er stehen und staunte dem Kühnen nach. Da verschwand Mannsräuschlin im gelben Gras.

Die Herden weideten nicht weit voneinander. Das Fohlen landete bald bei den Nachbarn. Die Stuten kannten dem kleinen Kömmling gleich seine Ratlosigkeit an und schnupperten ihn freundlich ab. Mannsräuschlin war es nicht zufrieden. Abschnuppern taten es 72 die Verwandten auch. Aber nie war die Witterung, die Augen, das Gesicht der Mutter dabei. Steif schritt es durch die Herde, wieherte dünn, sog die Witterung ein. Die Stuten folgten langsam dem Fohlen; sie ahnten, was es bewegte. Die Jungpferde machten sich an den dürren fremden Besuch.

Die ungewöhnliche Bewegung seiner Herde beunruhigte den Leithengst, der vorne gegen den Wind sich gelagert hatte. Schnaubend schritt er heran. Schiebend und sich drängend machte die Herde ihm Platz. Dann stand er vor dem kleinen Fremdling.

Mannsräuschlin schüttelte den schmalen Kopf und starrte dem Hengst in die großen wilden Augen. Dann warf es auf und wieherte dünn gegen die eigene Herde. Es kam sich verlassen und fremd vor.

Der Hengst weiß es, und die Stuten wissen es: wenn die Mutter des Fremdlings nicht mehr in der Herde ist, dann lebt sie auch nicht mehr. Aber mit Tod und Leben ist es so beschaffen, daß man es dem Jungen nicht zu wissen tun kann; auch ihren eigenen Jungen nicht. Eines Tages erfahren die dann, daß es das Sterben gibt und den Tod.

Der Hengst weiß, daß es gegen die uralten Gesetze der Sippe ist, ein Fohlen aus der Nachbarherde zu herbergen. Sacht drängt er Mannsräuschlin hinaus, 73 und als es bockt, schnauft er drohend und scharrt den Boden.

Mannsräuschlin erschrickt. Es kennt die Drohung.

Da kommt das Gewieher des roten Leithengstes seiner Herde herüber. Plötzlich überfällt das Fohlen die Angst und das Bewußtsein, welche Unbotmäßigkeit es sich erlaubt hat. Stark ist in seiner Seele das Gesetz der Sippe. Der kurze Ruf geht wie ein Blitz über sein Gemüt. Ratlos, steif dreht es sich einmal um sich selber, wirft auf, schnauft vor Schreck, feuert dann plötzlich aus und galoppiert in steifen Sätzen in die Richtung des Gewiehers. Dann sieht es den roten Rücken des Hengstes durch die gelben Graswellen herschaukeln. Vor dem Heranpolternden bricht es zur Seite aus und landet in einem weiten Bogen bei der eigenen Herde. Der Hengst trabt dem Ausreißer langsam nach. Er weiß um den Beweggrund; und daß dieser Besuch bei einer fremden Herde der erste und letzte der jungen Stute war. 74

 


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