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Jim, Hubbards kleiner Affe, war ein so wohlerzogener Junge, daß er weder eines Käfigs noch einer Kette bedurfte, sondern sich seit Jahr und Tag in der kleinen vornehmen Etagenwohnung in Bayswater ungehindert herumtreiben durfte. Er mißbrauchte diese Freiheit nie, aber er nützte sie gehörig aus, denn er hatte am Tage viele müßige Stunden, die doch irgendwie unterhaltend verbracht werden sollten. André war zwar ein ganz leidlicher Gesellschafter, von dem man manches lernen konnte, wenn man ihm auf die Finger guckte, aber auch der ging hie und da fort, und den geliebten Herrn selbst bekam Jim zu seinem Leidwesen oft wochenlang nicht zu Gesicht.
So blieben dem kleinen lebhaften Affen zu seiner Kurzweil nur die Zimmer, in denen es für ihn allerdings Beschäftigung in Hülle und Fülle gab. Er konnte vor einem Spiegel hocken und sich Grimassen schneiden, oder er konnte hundertmal das elektrische Licht an- und wieder abdrehen, und er konnte sogar das kleine Gewehr mit dem Pfropfen so handhaben, daß es einen schrecklichen Knall gab, worüber er dann selbst immer furchtbar erschrak.
Wenn Jim aber schon gar nicht mehr wußte, was er beginnen sollte, so schlüpfte er in sein warmes Bettchen im Garderobenzimmer, zog die Decke bis zur Nase und machte ein kleines Schläfchen, das ihn dann stets auf neue Gedanken brachte.
Gab es aber in der Wohnung selbst wirklich kein Vergnügen mehr und war es draußen hübsch sonnig und warm, so öffnete der kleine Affe spielend eines der Fenster und beguckte sich vom Sims aus mit interessierten Augen das lebhafte Getriebe auf der Straße. Noch lieber war es ihm allerdings, wenn ihn sein Herr, was zuweilen vorkam, in die weiche warme Handtasche steckte und mit sich ins Freie nahm. Jim fühlte sich dann immer äußerst behaglich, reckte sein Köpfchen ununterbrochen nach allen Seiten und war höchst vergnügt, wenn er einen kurzen Ausflug auf eine Mauer oder gar auf einen Baum unternehmen durfte. Aber so sehr es ihm dort auch behagen mochte, ein leiser Pfiff seines Herrn genügte, ihn schnell wieder in dessen Tasche verschwinden zu lassen.
Außer seinem Herrn und André, dem Diener, waren Jim alle Menschen unsympathisch, und er machte daraus kein Hehl. Und wenn ein Fremder die Wohnung betrat, mußte man auf den kleinen Burschen sehr aufpassen, damit er nicht ungemütlich wurde.
Als Hubbard nach seiner interessanten Aussprache mit Phelips kurz nach Mitternacht den »Klub der Siebenundsiebzig« verließ, war er in ausgezeichneter Laune. Er mußte allerdings auch mit einigen kleinen Überraschungen rechnen, die ihm vor allem der einfallsreiche Corner bereiten würde, aber es machte ihm Spaß, solche Dinge zu erleben.
Als er vor seinem Haus aus dem Taxi gestiegen war und eben im Begriff war, das Tor aufzuschließen, glaubte er über sich ein lebhaftes Kratzen und leises Fauchen zu vernehmen.
Er trat unwillkürlich einige Schritte zurück und sah die Fassade hinauf, und da schien es ihm, als ob unmittelbar vor seinem Fenster ein kleiner Schatten eilig hin und her huschte.
Sofort dachte Ralph an Jim. Aber er kannte dessen Gewohnheiten und Liebhabereien und sagte sich, daß diese aufgeregte nächtliche Promenade bei dem unfreundlichen Wetter einen besonderen Grund haben müsse.
Ganz automatisch faßte er nach der handlichen Pistole, die in der Tasche seines Mantels steckte, dann stieß er einen kurzen, leisen Pfiff aus.
Eine Sekunde später antwortete ihm ein freudiges Piepsen und Plappern, man vernahm, wie scharfe Krallen blitzschnell über die Mauer glitten, und dann schoß ein kleines Etwas mit einem Satz auf seine Schulter.
Jim war außer sich vor Freude und Aufregung. Er schlang seine dünnen Ärmchen um den Hals des Herrn, er weinte und lallte wie ein kleines Kind und knurrte und bellte dazwischen wie ein gereiztes Hündchen.
Hubbard erriet, daß in der Wohnung etwas Außerordentliches vorgegangen sein mußte, was ihm der intelligente kleine Jim nun in seiner Art mitteilen wollte, und er dachte sofort an irgendeinen Streich Corners. Wenn das zutraf, dann arbeitete der Mann sehr schnell, und er war begierig, seine Methode kennenzulernen.
Er stieg mit Jim auf der Schulter im Dunkeln die Treppe zur ersten Etage hinauf, aber unmittelbar vor der Wohnungstür begann der Affe wieder unruhig zu werden.
Ralph blieb einige Augenblicke lauschend stehen, dann nahm er seitwärts der Tür Deckung, streckte den Arm vor und schob den Schlüssel ins Schloß.
Er fühlte, wie der Riegel zurücksprang, und in demselben Augenblick stieß er den Türflügel mit einem kräftigen Fußtritt auf und sprang zur Seite.
Es erfolgte ein furchtbarer Krach, der donnernd durch das ganze Haus hallte und die Mauern erbeben ließ.
Hubbard wartete noch einige Sekunden, dann knipste er seine Taschenlampe an und besah sich die Bescherung.
Unmittelbar hinter der Tür lagen drei massive Eisenschienen, die bei ihrem Sturz einige Mauerbrocken mitgenommen und den Türflügel durchschlagen hatten. Wäre er ahnungslos eingetreten, so hätte sich Corner seinetwegen bestimmt keine weiteren Sorgen zu machen brauchen. Dabei hatte das Anbringen der höllischen kleinen Vorrichtung gar nicht viel Mühe und Zeit in Anspruch genommen. Man hatte einfach an die Seitenmauern des Vorzimmers links und rechts von der Tür je eine kleine Leiste genagelt, darüber eine starke Latte gelegt und darauf die schweren Eisenstücke. Beim Öffnen der Tür wurde die Latte von den Leisten geschoben, und die wuchtigen Eisen stürzten senkrecht herunter. Sie mußten den Eintretenden nicht gerade auf den Kopf treffen, um ihn gründlich zu erledigen.
Das gewaltige Getöse hatte das gesamte Haus alarmiert, und Hubbard sah sich genötigt, die bestürzten Bewohner durch eine harmlose Erklärung zu beruhigen. Dann schloß er die zersplitterte Tür ab und machte sich, ständig von dem aufgeregten Jim umtanzt, an die Durchsuchung der Wohnung.
Soviel er bemerkte, schien alles in Ordnung zu sein, und seine Sorge galt nun vor allem André. Der ältere Mann, der bereits drei Jahre in seinen Diensten stand und überaus ordentlich und verläßlich war, pflegte von seinen abendlichen Ausgängen pünktlich um 10 Uhr zurückzukehren, und Ralph war daher über sein Schicksal ernstlich beunruhigt.
Er fand das Dienerzimmer von außen versperrt, und als er öffnete und das Licht andrehte, sah er Andrés regungslose Gestalt völlig angekleidet auf dem Bett liegen.
Hubbard war mit einem Satz bei ihm, und es beruhigte ihn einigermaßen, als er an dem Mann keine äußere Verletzung fand. Dann fühlte er dem Bewußtlosen den Puls, und schließlich hob er dessen Lider, um sich die Pupillen anzusehen. Jim sprang neugierig auf das Bett, beschnupperte ängstlich seinen Freund und kratzte sich ratlos das Köpfchen.
Als Ralph mit seiner Untersuchung zu Ende war, nahm er das Äffchen unter den Arm, ging in die Küche und machte sich daran, Kaffee zu kochen, der wahrscheinlich mehr stark als schmackhaft war, um André von den üblen Nachwirkungen des Schlafmittels zu befreien. Es war keine leichte Arbeit, dem Betäubten den Trank einzuflößen, aber Hubbard ging dabei ebenso geschickt wie rücksichtslos vor und ruhte nicht eher, als bis der Mann die ganze gehörige Portion des wirksamen Gegenmittels in sich hatte.
Nachdem Hubbard einige Stunden geruht und sich dann durch ein Bad erfrischt hatte, fand er André wenigstens so weit, daß dieser imstande war, mit verstörten Augen einige Angaben zu machen. Der gute Mann, der auf seinen tadellosen Lebenswandel sehr viel hielt, war völlig niedergeschmettert und vermochte sich nicht zu erklären, was mit ihm geschehen war.
»Glauben Sie mir, Sir«, versicherte er in seiner würdevollen Art, die er trotz seines jämmerlichen Zustandes zu wahren wußte, »ich habe nicht getrunken. In unserer Familie ist es Gepflogenheit, nur am Samstag etwas Alkohol zu genießen, und ich nehme dann immer ein kleines Glas Porter. Nicht mehr. Aber gestern beschloß ich meine Abendmahlzeit bloß mit einem Glas Tee mit Milch. – Es war der ›politische Tag‹«, fügte er erklärend hinzu.
Ralph verstand ihn vollkommen. Wie sein äußeres, hatte André auch sein geistiges Leben genauestens eingeteilt. Er hatte seinen Sport-, seinen Theater-, seinen Familien-, seinen Gesellschafts- und seinen politischen Tag. Innerhalb der betreffenden vierundzwanzig Stunden pflegte er sich ausschließlich nur mit Fragen des jeweiligen Gebiets zu beschäftigen, und es war dann einfach unmöglich, etwas anderes aus ihm herauszubekommen. Hubbard kannte diese Eigenart seines Dieners und hütete sich, mit ihr irgendwie in Konflikt zu geraten.
»Sie haben also politisiert?« fragte er verständnisvoll und geduldig.
»Ich habe mich bemüht, die politischen Ansichten einiger Herren, die mit mir in der ›Heiteren Schnepfe‹ saßen, einigermaßen zu klären«, bemerkte André bescheiden. »Unsereiner, der in der glücklichen Lage ist, die Verhältnisse von einer gewissen höheren Warte aus zu überblicken, hat ja die Verpflichtung hierzu. Es gibt leider zuviel Verblendung und ungerechtes Urteil. Ich mußte mich besonders gestern ganz außerordentlich darüber aufregen. Es setzten sich nämlich an meinen Tisch zwei Herren, die sich offen zur Kommunistischen Partei bekannten, und Sie werden verstehen, daß ich den Ansichten, die sie entwickelten, auf das entschiedenste entgegentreten mußte. Seit fünfundzwanzig Jahren bin ich meiner konservativen Gesinnung immer treu geblieben und habe sie auch bei jeder Gelegenheit, so gut ich es vermochte, verteidigt.«
Ralph sah den Augenblick gekommen, den Redestrom seines Dieners in zweckdienliche Bahnen zu lenken.
»Nun, haben Sie die beiden Kommunisten bekehrt?«
André dachte lange nach und hob dann ungewiß die Schultern.
»Das vermag ich leider nicht zu sagen, Sir. Ich erinnere mich nur, daß plötzlich eine große Müdigkeit über mich kam, und ich muß leider feststellen, daß ich nicht weiß, was weiter geschehen ist.«
Aber Ralph bedurfte keiner weiteren Mitteilung, sondern sah bereits völlig klar. Die beiden Burschen hatten sich an André herangemacht, und sein »politischer Tag« war ihnen dabei sehr wesentlich zustatten gekommen. Während er sich an seinen Phrasen berauschte, hatten sie ihm das Schlafmittel in den Tee getan, und als es zu wirken begann, waren sie mit ihm einfach als hilfsbereite Freunde abgezogen. Mit seinen Schlüsseln konnten sie dann das Haus und die Wohnung öffnen und hier in aller Ruhe ihre Vorbereitungen treffen.
Hubbard erinnerte sich an seinen Freund Corner und sah nach der Uhr. Es war etwas nach sechs, und der Brummer lag wohl eben im ersten Schlummer, wenn er nicht etwa von unerquicklichen Gedanken gequält wurde, die ihm den Schlaf verscheuchten.
Nachdem Ralph schmunzelnd eine Weile im Telefonbuch gesucht hatte, rief er ihn an, und er freute sich, durch den Apparat das schrille Alarmläuten am anderen Ende der Leitung zu hören. Wenn er selbst um seine Nachtruhe gekommen war, sollte Corner wenigstens auch zu spüren bekommen, wie das tat.
Endlich meldete sich eine verschlafene, sehr übellaunige Stimme, aber Hubbard merkte sofort, daß es nicht Corner war.
»Ist Mr. Corner zu Hause?« fragte er. »Ja? – Er schläft? – Das tut nichts. Teilen Sie ihm mit, daß ihn Mr. Phelips sofort sprechen muß. – Mr. Phelips, jawohl . . .«
Ralph harrte mit sehr vergnügter Miene am Apparat, bis er endlich Corners hastige, erregte Frage vernahm:
»Was ist los?«
»Nichts Besonderes. Ich wollte Sie nur wissen lassen, daß ich zwar wenig, aber ausgezeichnet geruht habe. Das wird Sie doch sicherlich interessieren. Und mein Diener ist bereits wieder auf dem Damm.«
Der andere schien aus dieser Mitteilung nicht sofort klug zu werden, denn es blieb eine Weile still.
»Wer ist dort?« fragte er endlich mißtrauisch.
»Hubbard . . . Ralph Hubbard, Sekretär im Warenhaus ›Zu den tausend Dingen‹ . . .«
»Hol Sie der Teufel«, klang es wütend zurück. »Was erlauben Sie sich für Späße?«
»Keine so üblen wie Sie«, erwiderte Ralph höflich und sanft, »denn sonst hätte ich bei Ihnen eine Vorrichtung angebracht, damit Ihnen die Zimmerdecke auf den Schädel gefallen wäre, als Sie nach dem Hörer griffen.«
»Ist das alles, was Sie mir sagen wollten?« fragte Corner höhnisch.
»Eigentlich nicht«, sprach Hubbard langsam und bedächtig ins Telefon. »Ich wollte Ihnen nämlich auch noch mitteilen, daß ich es bereits zustande gebracht habe, von der Chalk Farm Station bis zum St. James Square in achtzehn Minuten zu fahren. – Da wird es mit Ihrem Alibi von höchstens vierundzwanzig Minuten verdammt schlecht aussehen, mein lieber Corner . . .«
Ohne auch nur den Eindruck seiner letzten Worte abzuwarten, legte er den Hörer hin und rieb sich höchst zufrieden die Hände. Für die eine gestörte Nacht hatte er nun dem Einäugigen deren wohl mehrere verschafft.