Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

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4

Mr. George Turner hatte an diesem Abend eben sein Theater in Piccadilly betreten und war in den spärlich beleuchteten langen Gang eingebogen, der zum Treppenaufgang führte, als der erste Kapellmeister auf ihn losstürzte. In seinen flackernden Augen lag eine ratlose Verzweiflung, die Turner auf das Schlimmste gefaßt machte.

»Miss Mariman hat eben sagen lassen, daß sie heute nicht singen könne«, sprudelte der Dirigent aufgeregt hervor. »Jetzt – eine halbe Stunde vor Beginn der Aufführung.«

Der schwitzende Mann im Frack fuhr sich mit dem Finger zwischen Kragen und Hals und verzog das Gesicht, als ob er im Begriff stünde, sich die Kehle zu durchschneiden.

»Sie müssen uns eine andere Amneris besorgen«, stieß er keuchend hervor.

»Den Teufel muß ich«, fuhr ihn Turner an und schritt in sein Büro, wo er Hut und Mantel in weitem Bogen auf den nächsten Tisch warf.

»Wissen Sie, was ich tun werde?« rief er. »Ich werde statt der Amneris einfach eine Nackttänzerin auftreten lassen. Bei Gott, das werde ich«, schrie er, als er die gekränkte Miene des anderen sah, »damit das Publikum endlich einmal einen Begriff davon bekommt, welch eine verdammte Arbeit ich mit Ihrer Oper übernommen habe. Ich war unbedingt unzurechnungsfähig, als ich mich überreden ließ, in Kunst zu machen. Solange ich meine Revuen gab, hatte ich Geld und keine Sorgen – und jetzt habe ich kein Geld und nur Sorgen! Und für die großen Gagen, die ich zahle, habe ich eventuell eines Abends nicht einmal eine Vorstellung. – Was ist überhaupt los?« fuhr er den Dirigenten an. »Wo ist Miss Mariman, und warum kann sie nicht singen?«

»Miss Mariman ist in ihrer Garderobe. Aber sie hat einen schweren Nervenanfall gehabt . . .«

»Kommen Sie mir nicht mit solchen Albernheiten«, wütete Turner. »Einen Nervenanfall! Wenn Sie Gallensteinanfall sagen würden, das könnte ich verstehen. – Wenn das einreißt, daß die Mitglieder wegen Nervenanfällen nicht auftreten, dann können wir unsere Bude glatt zusperren. Es wäre ohnehin das beste.«

»Sie hat einen furchtbaren Schrei ausgestoßen«, fuhr der Mann fort. »Ich habe ihn bis ins Probezimmer gehört, und das ganze Bühnenpersonal ist zusammengelaufen. Kurze Zeit darauf ist ihre Ankleidefrau ganz verstört auf mich losgestürzt und hat mir mitgeteilt, daß Miss Mariman auf keinen Fall singen könne.«

»Hat man nach einem Arzt geschickt?«

Der Direktor hatte plötzlich seine Ruhe wiedergewonnen, und in seinem feinen Künstlergesicht mit den ausdrucksvollen Augen spiegelte sich sogar so etwas wie Teilnahme.

»Jawohl«, versicherte der Dirigent, »aber sie hat ihn nicht vorgelassen.«

Turner wollte neuerlich auffahren, aber es fiel ihm ein, daß Miss Mariman ihre gewissen Eigenheiten hatte, und er beschloß, selbst nachzusehen, wie die Dinge eigentlich standen.

Er mußte einige Male an die Garderobe klopfen, bevor die Tür sich spaltbreit öffnete und der Kopf der Garderobiere erschien. Die schweigsame Alte gehörte nicht dem Personal des Theaters an, sondern stand in Privatdiensten der Sängerin. Dies war nur eine der Bedingungen, die Miss Mariman gestellt hatte.

Als die Frau den Direktor erkannte, zog sie die Tür etwas zu und wandte sich flüsternd nach innen.

Gleich darauf erschien ihr Gesicht wieder, und es blickte diesmal weit freundlicher als vorher.

»Madam läßt bitten, sich noch einige Augenblicke zu gedulden. Sie ist mit dem Ankleiden noch nicht ganz fertig.«

»Wird sie singen?« fragte Turner hastig, aber obwohl er seine Stimme gedämpft hatte, schien er doch drinnen gehört worden zu sein, denn es kam von dort eine Antwort.

»Gewiß, Mr. Turner. In zehn Minuten bin ich fertig.«

Der Direktor atmete tief und erleichtert auf, und als er nach etwa einer Viertelstunde eingelassen wurde, sprach aus dem Blick, mit dem er die Künstlerin betrachtete, ehrliche Besorgnis. Sie war bereits vollständig kostümiert und geschminkt, und es fiel ihm ein, daß er sie eigentlich noch nie anders gesehen hatte. Wenn er ihr auf der Straße begegnet wäre, hätte er sie gewiß nicht erkannt, da er absolut nicht wußte, wie sie im gewöhnlichen Leben aussah. Auch zu den wenigen Proben erschien sie immer dicht verschleiert – um ihr sehr empfindliches Organ zu schonen, wie sie sagte –, und es gab wohl niemanden im Theater, der je ihr wirkliches Gesicht gesehen hatte.

»Sie müssen entschuldigen, wenn ich Ihnen eine große Aufregung verursacht habe«, sagte sie und schlug ein Paar schöne dunkle Augen schüchtern zu ihm auf. »Es war eine ganz dumme Geschichte, und Mary war etwas voreilig.«

Als Turner gut gelaunt durch den Garderobengang zurückkehrte, begegnete er einer alten Garderobiere, die ihn belustigt angrinste.

»So vergnügt, Mrs. Kane?« fragte er jovial. »Warum?«

»Daß Miss Mariman so erschrocken ist«, erwiderte die Alte und schüttelte den Kopf.

Für Turner war die Geschichte zwar abgetan, aber es interessierte ihn doch, Näheres zu hören.

»Was hat es eigentlich gegeben?«

»Wahrscheinlich war es ein Spaß«, meinte die Frau. »So etwas kommt ja hier öfter vor, und man kann doch nicht annehmen, daß jemand gar so schreckhaft ist. Aber Miss Mariman scheint besonders nervös zu sein. Es war furchtbar, wie sie die Sache aufgenommen hat. Ich stand gerade vor der Garderobe, als sie diese betrat, und die Tür war noch offen, als sie den fürchterlichen Schrei ausstieß.«

»Weshalb hat sie denn geschrien?«

»Wegen einer Spinne.«

»Einer gewöhnlichen Spinne?« wunderte sich Turner.

»Ach wo, nicht einmal, sondern nur eine nachgemachte«, erklärte die Alte. »Ich hatte sie schon früher bemerkt, als ich nachsah, ob alles in Ordnung sei. Der Leib war aus Glas, und die Beine sahen aus, als ob sie aus Silber seien. Jemand hatte sie oben an den Garderobenspiegel gesteckt. Miss Mariman aber tat so entsetzt, als ob es eine Giftschlange sei . . .«

Die Vorstellung konnte pünktlich beginnen, aber Turner vermochte doch ein Gefühl des Unbehagens nicht loszuwerden und saß sehr nervös im Hintergrund seiner Loge. Miss Mariman war zwar glänzend bei Stimme und spielte leidenschaftlicher und hinreißender denn je, aber dem scharfen Auge des Direktors entging es nicht, daß sie sich doch nicht ganz in der Gewalt hatte und noch immer gegen die Nachwirkungen einer außerordentlichen Aufregung ankämpfen mußte.

Nach dem ersten Akt traf er im Foyer plötzlich mit Ralph Hubbard zusammen.

Er hegte für diesen etwa dreißigjährigen Mann mit dem regelmäßigen, gelassenen Gesicht eine gewisse Zuneigung, obwohl er ihn eigentlich nur flüchtig kannte. Hubbard, der mit seiner Figur und seinen Manieren auch für die Bühne einen vollendeten Bonvivant abgegeben hätte, wußte trotz seiner kühlen Ruhe ungemein amüsant über alles zu plaudern, und Turner brauchte am heutigen Abend jemanden, der ihn etwas ablenkte.

»Seien Sie nett und leisten Sie mir Gesellschaft«, sagte er, indem er ihn in die Loge zog. »Sie tun ein gutes Werk, denn ich bin in einer erbärmlichen Stimmung. Aber wenn der Eiserne glatt fällt, dann sollen Sie mich in einer Laune sehen wie noch nie, und ich will einige Flaschen Sekt springenlassen.«

Er erzählte ihm, was sich abgespielt hatte.

»Sehen Sie«, meinte er, »von solch lächerlichen Kleinigkeiten sind wir armen Theaterdirektoren abhängig. Eine nachgemachte Spinne, vor der sich nicht einmal ein Kind fürchtet, kann uns einen unerhörten Skandal verursachen und eine Unmenge Geld kosten.«

Hubbard schien nur mit halbem Interesse zuzuhören, fragte aber doch:

»Wohin ist die Spinne gekommen?«

Der Direktor sah ihn verwundert an.

»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat man das Ding der schreckhaften Miss Mariman so rasch wie möglich aus den Augen gebracht.«

In diesem Augenblick setzte das Orchester ein, und als der Vorhang hochging, richtete der junge Mann sein Glas scharf auf die wunderbare Erscheinung der Amneris.

»Wie gefällt sie Ihnen?« flüsterte Turner.

Hubbard setzte das Glas nicht ab, sondern nickte nur leicht, und erst als der Akt zu Ende war, kam er auf die Frage zurück.

»Ist die Frau wirklich so schön, wie sie aussieht, oder kann sie sich nur so fabelhaft herrichten? Ich habe mich vergeblich bemüht, das herauszufinden.«

»Das kann ich Ihnen leider auch nicht sagen«, meinte Turner mit etwas verlegenem Lächeln, und als der andere ihn verwundert ansah, begann er, ihm diesen seltsamen Umstand zu erklären.

»Wissen Sie, die Geschichte mit Miss Mariman ist eigentlich von Anfang an so eine Art Theater im Theater. Schon wie ich zu ihr gekommen bin, war nicht ganz alltäglich. Ich hatte für die Oper ursprünglich eine andere Vertreterin dieses Faches engagiert, die aber einen Tag vor der ersten Vorstellung bei der Generalprobe von ›Carmen‹ einen schweren Unfall erlitt. Alle Abendblätter waren damals voll von der Geschichte, und ich befand mich in schauderhafter Verlegenheit. Denn eher finden Sie eine Hochdramatische, die nicht zu fett ist, oder einen Tenor, der wirklich so viel kann, wie er sich einbildet, als eine halbwegs gute Erste Altistin. – Da wurde ich plötzlich ans Telefon gerufen, und eine Dame erbot sich einzuspringen. Sie hätte das Repertoire, das ich brauchte, und wäre bereit, mir sofort vorzusingen. In solchen Fällen greift man natürlich nach jedem Strohhalm, und ich war einverstanden. Kaum eine halbe Stunde später wurde mir Miss Mariman gemeldet. Die Figur imponierte mir sofort, aber sie hatte einen seidenen Schleier so geschickt ums Gesicht geschlungen, daß davon nicht viel mehr zu sehen war als ein Paar großer dunkler Augen. Das war mir natürlich zu wenig, denn beim Theater kann man schon gar nicht die Katze im Sack kaufen. Aber sowie ich die erste Anspielung darauf machte, stieß ich sofort auf energischen Widerstand. ›Eine meiner ersten Bedingungen wäre, daß ich es in dieser Hinsicht halten kann, wie ich will‹, erklärte sie mit einer so kühlen Bestimmtheit, daß ich sofort wußte, daß da nichts zu machen war. Zuerst ärgerte ich mich über diese Marotte und wollte die verschleierte Dame schon hinauskomplimentieren, aber dann kam mir meine verdammte Situation zum Bewußtsein, und ich entschloß mich, die geheimnisvolle Frau vor allem einmal anzuhören. – Nun, nach der heutigen Amneris können Sie sich wohl vorstellen, wie das damals war, und ich hätte in jenem Augenblick noch ganz andere Bedingungen unterschrieben als die fünfzig Pfund pro Abend und die verschiedenen besonderen Klauseln, auf denen Miss Mariman bestand. Ich muß übrigens sagen, daß mir daraus bisher nicht die geringsten Schwierigkeiten erwachsen sind, und nur mit den Kolleginnen hat es deshalb anfangs einige Reibereien gegeben. Aber die alte Dienerin von Miss Mariman scheint sehr resolut und kurz angebunden zu sein und hat ihrer Herrin rasch Ruhe verschafft.«

»Wirklich, wie in einem Roman«, gab Hubbard lächelnd zu und drehte das Monokel gedankenvoll zwischen den Fingern. Dann klemmte er das Glas wieder ins Auge und schien das Parkett nach Bekannten abzusuchen.

Plötzlich aber wandte er sich rasch um und sagte unvermittelt:

»Können Sie mir die Adresse von Miss Mariman geben, Mr. Turner?«

Der Direktor zog mit einem verschmitzten Lächeln die Brauen hoch, schüttelte dann aber nachdenklich den Kopf.

»Lassen Sie das. Glauben Sie mir, es kommt nichts dabei heraus.«

»Das kann man nie wissen«, erwiderte der andere mit einem so seltsamen Lächeln, daß ihn Turner überrascht ansah. Er hätte diesen kühlen Mann nie für so abenteuerlustig gehalten.

»Schön«, sagte er, »wenn Sie durchaus wollen, kann ich Ihnen dienen: Mayfair, 3 Berkeley Street.«

Als die letzte große Szene der Amneris vorüber und der Abend damit endgültig gerettet war, konnte es Turner nicht abwarten, aus dem Theater zu kommen.

»Worauf legen Sie mehr Wert?« fragte er. »Auf eine glänzende Aufmachung oder auf ausgezeichnete Küche mit allen möglichen Spezialitäten und den köstlichen Tropfen? Im ersteren Falle schlag' ich Ihnen Ritz oder Carlton vor, sonst aber weiß ich etwas Besonderes.«

Hubbard entschied sich ohne weitere Überlegung für das Besondere, und der Direktor ließ seinen Wagen zum Bühneneingang beordern.

»Wohin geht also die Fahrt?« fragte Hubbard lächelnd, als sie am Wagen standen, und Turner nannte ihm ein Restaurant am St. James Square. »Und wie lange werden wir bleiben?«

»So lange wie man eben braucht, um ein gutes Dinner in aller Behaglichkeit einzunehmen und sich nachher gemütlich auszuplaudern. Ich glaube, etwa zwei Stunden werden Sie mir also schon opfern müssen.«

»Zwei Stunden – mit größtem Vergnügen«, sagte sein Begleiter und stieg in den Wagen.

Als das Auto im Straßengewühl verschwunden war, nahm ein kräftiger, unscheinbarer Mann, der am Haupteingang gestanden hatte, die Pfeife aus dem Mund, spuckte kunstvoll aus und sah dann auf seine große Taschenuhr.

Sie zeigte auf ein Viertel nach zehn.

Der Mann klopfte die Pfeife an einem der Pfeiler aus, und wenige Augenblicke später ging er eilig zur nächsten Telefonzelle.

*

Turner hatte wirklich nicht zuviel versprochen. Das von ihm zusammengestellte Dinner war erstklassig, und man konnte verstehen, daß in dem verhältnismäßig kleinen Speiseraum fast kein Plätzchen frei war.

Der Direktor kannte eine Menge der Herren im Frack und der Damen in großer Abendtoilette und tauschte ununterbrochen Grüße aus, und auch Hubbard schien sich für das bunte Bild sehr zu interessieren. Er blinzelte durch sein Glas immer wieder über die Tischreihen, und zuweilen verriet ein leichtes Zucken in seinem sonst so beherrschten Gesicht, daß irgendeine Erscheinung seine besondere Aufmerksamkeit erweckte.

Vor allem galt dies von einem langen, hageren Herrn mittleren Alters, der allein an der gegenüberliegenden Wand saß und seine vorstehenden Augen von Zeit zu Zeit suchend durch den Raum gleiten ließ.

Der Mann hatte einen ausgesprochenen Pferdeschädel mit einem stark vorspringenden Kinn und einer fliehenden Stirn, und der breite Mund mit dem kräftigen Gebiß vervollständigte den brutalen Eindruck. Von den großen, fleischigen Ohren zog sich um den Hinterkopf ein schmaler Haarkranz, und darüber glänzte eine sichtlich mit großer Sorgfalt gepflegte Glatze wie ein riesiger, polierter Fingernagel.

»Wenn ich die nächste Revue gebe, lade ich den Herrn ein«, sagte Turner, der den auffälligen Gast auch bemerkt hatte. »Der Mann ist eine Nummer für sich.«

»Und was für eine Nummer«, stimmte Hubbard mit einem vielsagenden Lächeln bei, und sein Blick wanderte unwillkürlich wieder zu dem Herrn hinüber.

Dieser fing den Blick diesmal auf, und seine kalten Augen hafteten sekundenlang wie in stummer Zwiesprache auf dem Begleiter Turners.

Aber Hubbard sah bereits wieder geradeaus und vermied es von nun an sichtlich, dem andern irgendwie Aufmerksamkeit zu schenken.

Übrigens wurde der Mann mit der wunderbaren Glatze gleich darauf in Anspruch genommen. Ein tadellos gekleideter Herr mit einer Binde über dem linken Auge, den er offenbar mit Ungeduld erwartet hatte, nahm an seinem Tische Platz. Die beiden begrüßten einander mit der formlosen Gemessenheit alter Bekannter, aber Hubbard, der jede Phase dieser Begegnung gespannt verfolgte, sah mehr. Es entging ihm nicht, daß in den Augen des Kahlköpfigen eine hastige, besorgte Frage stand, und daß er sich mit einem Ruck zurücklehnte, als der Neuangekommene einige Male mechanisch über die Tischdecke strich, als ob er sie von Brosamen säubern wollte.

Der Mann mit dem Pferdekopf zwinkerte nervös mit den Augen und rieb sich das Kinn. Dann steckte er sich gelassen eine große schwere Zigarre an, vermochte aber nicht zu verhindern, daß seine Hand dabei merklich zitterte.

Turner neigte sich etwas vor und deutete mit einer leichten Kopfbewegung nach dem Tisch.

»Haben Sie Corner bemerkt?« fragte er leise. »Sie kennen ihn doch wohl? Es scheint, daß ihm im ›Klub der Siebenundsiebzig‹ der Boden zu heiß geworden ist, seitdem man dort seinen Herrn und Freund Lewis auf so rätselhafte Weise aufgeknüpft hat. – Übrigens«, fuhr er fort, »ist mir mit ihm vor einigen Tagen etwas Eigenartiges passiert. Ich begegnete ihm nämlich in Soho mit einer Dame, die nach ihrer Figur und ihrem Gesicht, das diesmal nicht verschleiert war, ganz gut Miss Mariman hätte sein können. Aber bestimmt kann ich es natürlich nicht behaupten . . .«

Hubbard widerfuhr in diesem Augenblick etwas, was ihm noch nie geschehen war. Sein Glas fiel ihm aus dem Auge und klirrte auf den Teller.

»Die Spinne . . .«, entfuhr es ihm halblaut.

»Ja, die Dame mit der Spinne«, sagte Turner etwas verwundert. »Aber ich möchte darauf schwören, daß es nur eine Ähnlichkeit war; denn so wenig ich auch von Miss Mariman weiß, ich halte sie unbedingt für eine Dame, und Corner ist kein Verkehr für eine Frau, die etwas auf sich hält.«

Der andere nickte flüchtig, und sein Blick folgte gleichgültig einem Mann, der eben durch die Reihen der Tische schritt und jemanden zu suchen schien. Er paßte nicht recht in diesen glänzenden Rahmen, denn er trug über einem einfachen Straßenanzug einen etwas verschossenen Mantel, und seine behäbige Erscheinung mit dem gesunden, freundlichen Gesicht ließ in ihm einen kleinen Geschäftsmann vermuten, der sich den Besuch eines derartigen Luxusrestaurants wohl kaum leisten konnte.

Als der Fremde an dem Tisch des Herrn mit der spiegelblanken Glatze vorüberging, sah er angelegentlich nach seiner Uhr, und fast im gleichen Augenblick schienen auch die beiden Freunde dafür Interesse zu haben, wie spät es sei.

Hubbard aber malte mit seinem winzigen Bleistift elf Uhr fünfundzwanzig auf das Theaterbillett, das er noch immer bei sich trug, und drehte es spielend zwischen seinen Fingern zusammen.

Der behäbige Mann schien nicht gefunden zu haben, was er suchte, denn er kam bereits wieder zurück und verschwand gleich darauf in sichtlicher Eile.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie nach Hause zu bringen«, sagte Turner, als sie etwa eine halbe Stunde später das Lokal verließen. Aber Hubbard lehnte lebhaft ab.

»Das würde für Sie einen zu großen Umweg bedeuten, und ich bin Ihnen für den reizenden Abend ohnehin schon genug verpflichtet.«

»Nun, gar zu unterhaltend scheint es für Sie nicht gewesen zu sein«, meinte der Direktor. »Sie waren eigentlich recht einsilbig.«

Der elegante Mann beugte sich zu ihm herab und lächelte ihn aus seinen grauen Augen seltsam an.

»Das will ich zugeben. Aber trotzdem dürfen Sie mir glauben, daß es für mich ein äußerst interessanter Abend war.«

Als er die nächste Straßenecke erreicht hatte, kreuzte ein untersetzter nächtlicher Bummler seinen Weg und schob die Pfeife aus einem Mundwinkel in den andern.

Beim Windham Club nahm Hubbard ein Auto und ließ sich zur Charing Cross Station fahren.


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