Louis Weinert-Wilton
Die weiße Spinne
Louis Weinert-Wilton

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

Das Gebäude, das ausschließlich Klubzwecken diente, machte einen sehr vornehmen Eindruck, und nach dem Kommen und Gehen in der Vorhalle und der Menge der wartenden Autos zu schließen, schien großer Betrieb zu herrschen.

Eben jetzt trat Ralph Hubbard in das Vestibül, und die Diensteifrigkeit des Portiers verriet, daß er ein gerngesehener Gast war.

»Sie haben uns lange nicht beehrt, Sir«, sagte der geschmeidige Haushüter, wegen seines ehrwürdigen Spitzbubengesichts und seines Amtes kurz der »Erzengel« oder auch nur »Gabriel« genannt, indem er dem Gast beim Ablegen behilflich war.

Hubbard rückte vor einem der großen Spiegel seine Krawatte zurecht und schnippte einige Stäubchen von seinem tadellosen Frack.

»Es gibt glücklicherweise auch noch andere Vergnügungsstätten in London, mein lieber Gabriel, in denen es etwas lustiger zugeht als bei euch. Ich hatte eigentlich etwas anderes vor, aber die Geschichte mit Mr. Lewis hat mich hergetrieben. Ich bin ganz überrascht, daß ihr keine Trauerfahne herausgehängt habt.«

»Man hat davon abgesehen«, erklärte Gabriel mit salbungsvoller Vertraulichkeit. »Mr. Lewis war zwar gewissermaßen der Hausherr des Klubs und hat hier eine hervorragende Rolle gespielt, aber man glaubte, von seinem Ableben der Öffentlichkeit gegenüber kein allzu großes Aufsehen machen zu dürfen . . .«

»Sehr schön gesagt, mein Lieber«, bemerkte Hubbard anerkennend und klopfte dem Mann auf die Schulter. »Aber wenn Sie das noch einige Male sagen, werden Sie den Zungenschlag bekommen.«

»Es war entsetzlich, Sir«, fuhr Gabriel fort, entzückt, jemanden zu finden, dem er die Geschichte noch nicht erzählt hatte. »Ich war der erste, der ihn sah. Es war mir nämlich aufgefallen, daß von dem grünen Salon in der zweiten Etage der Schlüssel nicht abgegeben worden war, und als ich das Zimmer versperrt fand und öffnen ließ, da sah ich ihn hängen. An dem Schiebehaken des Ventilators. Die Seidenschnur hatte man von einer Portiere genommen. Natürlich haben wir sofort eine neue gekauft.«

Hubbard drückte ihm ein Geldstück in die Hand, was den gefälligen Gabriel veranlaßte, ihn mit tiefen Bücklingen zu verfolgen, bis die Flügeltüren des Klubs hinter ihm zugefallen waren.

*

Der »Klub der Siebenundsiebzig« war in seiner Art wohl einer der seltsamsten in London, denn er hatte nicht gerade alltägliche Satzungen. Nicht nur, daß die Zahl seiner Mitglieder, wie schon der Name besagte, beschränkt war und auf keinen Fall überschritten werden durfte, die Aufnahme war auch noch an eine gewisse, nicht so leicht zu erfüllende Bedingung geknüpft: Jeder Anwärter auf die Mitgliedschaft mußte auf irgendein Ereignis verweisen können, das ihn, wenn auch nur für Tage oder Stunden, in den Vordergrund des öffentlichen Interesses gerückt hatte.

Hinsichtlich der Art dieses Ereignisses war man sehr vielseitig und nichts weniger als engherzig.

Neben Lord Stanley Summerhay, der seine Aufnahme dem Umstand verdankte, daß er in den englischen Gewässern den größten Lachs seit Menschengedenken gefangen hatte, und dem durch seine fünf Ehescheidungen bekannt gewordenen Sir Milton Murray gab es hier noch eine Menge anderer Persönlichkeiten, die ein recht buntes Gesellschaftsgemisch abgaben. Mr. William Lawton besaß eine wertvolle Sammlung der seltensten Fliegen, Mr. Harald Shearer hatte es verstanden, in einem Jahre eine Erbschaft von mehreren hunderttausend Pfund durchzubringen, Charles Ward war in einen etwas anrüchigen Meineidsprozeß verwickelt gewesen, und der elegante John Corner hatte in einer vielbesprochenen Affäre am Spieltisch ein Auge eingebüßt. Dann waren hier weiter noch der kahlköpfige Mr. Edward Phelips, dessen Bild bei der Aufdeckung so ziemlich jedes großzügigen Schwindels in den Blättern erschien, der bekannte Sportsmann Mr. Dick Bryans, der bei einer nächtlichen Autofahrt drei Verkehrsschutzleute zur Strecke gebracht hatte, und Mr. Arthur Hills, der gesuchte Anwalt, dem kurz vor seiner Aufnahme in den Klub sein zwölfter Klient durch die gewisse Falltür geglitten war.

Das Interesse an dem Klub war so rege, daß die Leitung sich schließlich zu einer harmlosen Umgehung der Satzungen verstehen mußte, indem sie jedem Mitglied das Recht einräumte, einen Gast anzumelden, der aller Annehmlichkeiten eines ordentlichen Klubmitglieds teilhaftig wurde, bis auf die Auszeichnung, sich zu den auserlesenen Siebenundsiebzig rechnen zu dürfen.

Ein kleine Krise hatte der Klub vor ungefähr zwei Jahren durchgemacht, als der unternehmende Lewis ihm räumlich einen Spielsaal angegliedert hatte, der den Freunden des Spiels die umständliche und kostspielige Reise nach Ostende oder Monte Carlo ersparte. Es war damals in den Räumen des »Klubs der Siebenundsiebzig« etwas stürmisch zugegangen, aber die hochgehenden Wogen hatten sich rasch wieder gelegt, denn Lewis besaß Geschick und hatte alle Differenzen mit bewundernswertem Takt zu beseitigen gewußt. Der Spielklub erhielt einen eigenen Aufgang zu seinen Räumen im zweiten Stock, und während es seinen Besuchern ganz unmöglich war, zu den darunterliegenden Klubzimmern Zutritt zu erhalten, konnten die Siebenundsiebzig und ihre Gäste auch in den Spielsälen nach Belieben ein- und ausgehen, ohne erst einer Empfehlung zu bedürfen.

Diese Einrichtung hatte sich bereits nach kurzer Zeit als sehr vorteilhaft erwiesen, denn als eines Nachts die neugierige Polizei im Hause erschienen war, um sich die Spielsäle etwas näher anzusehen, war hierdurch der »Klub der Siebenundsiebzig« in keiner Weise behelligt worden. Nur Mr. Lewis mußte damals eine mehrmonatige »Auslandsreise« antreten.

Hubbard hatte sich im Lesezimmer einen Whisky servieren lassen und machte sich daran, die am Abend eingelaufenen Blätter vom Kontinent durchzufliegen, wurde aber immer wieder von Bekannten begrüßt. Er schien sehr beliebt zu sein.

Auch der Mann mit dem Pferdekopf hatte ihn kaum erblickt, als er auch schon eilig heranstelzte und ihm die knochige Rechte entgegenstreckte.

»Endlich«, rief er. »Ich habe Sie seit mehreren Tagen vergeblich erwartet, seitdem ich Sie am St. James Square gesehen hatte. Sie erinnern sich doch? Ich hatte dort eine Zusammenkunft mit Corner. Wenn Sie nicht in Gesellschaft gewesen wären, hätte ich Sie sehr gerne begrüßt. Aber ich habe mich doch tadellos benommen, nicht wahr? Kein Mensch hätte geahnt, daß wir so gute alte Bekannte sind.« Er meckerte leise und blinzelte den andern vertraulich an. »Sind Sie wieder einmal längere Zeit weggewesen? – Wieder dort, wo wir zusammen spazierengegangen sind, oder diesmal anderswo?«

»Anderswo«, erwiderte Hubbard einsilbig und streifte bedächtig die Asche von seiner Zigarre.

Mr. Phelips schlug ihm mit einem verschmitzten Lächeln auf die Schulter.

»Sie sind ein patenter Junge«, meinte er, »aber ich glaube, Sie verplempern sich. Mit ihrer Erscheinung und Ihrem Auftreten müßten Sie es doch zu etwas bringen können. Ich will mich nicht in Ihr Vertrauen drängen, aber Sie wissen, daß ich Sie sehr schätze, und wenn Sie offen mit mir sprechen wollten, könnte ich vielleicht etwas für Sie tun. – Wie geht es Ihnen augenblicklich?«

»Danke. Nicht zum besten. So hoffnungslos, daß ich beabsichtige, die erstbeste Stellung anzunehmen, die sich mir bietet.«

Der Mann mit der Glatze horchte überrascht auf und überlegte dann, aber Hubbard kam ihm zuvor.

»Aber eine Stellung ohne Risiko«, sagte er nachdrücklich. »Ich habe in der letzten Zeit zu unangenehme Erfahrungen gemacht und möchte meine Ruhe haben. Wenn man an sein tägliches Bad und etwas Bequemlichkeit gewöhnt ist, findet man sich in gewisse Verhältnisse nicht mehr so recht hinein.«

»Kann ich verstehen«, meinte Phelips, und seine Miene verriet, daß er nicht sehr angenehmen Erinnerungen nachhing. »Aber es ist nun im Leben leider einmal so: Wenn man etwas gewinnen will, muß man auch etwas wagen. – Man scheint Sie das letztemal nicht eben gut behandelt zu haben, mein Junge, aber immer geht es ja nicht schief«, tröstete er. »Was für eine Anstellung schwebt Ihnen übrigens vor? Zum Bankdirektor wird man Sie nicht gleich machen, und mit dem, was zu haben ist, dürfte Ihnen bei Ihren Ansprüchen kaum gedient sein. Sieben, wenn es gut geht, acht Pfund in der Woche – das reicht wohl gerade für Ihre Wäscherechnung und die Zigarren. Warten Sie also damit lieber noch. Durch Lewis' Tod . . .«

Hubbard beugte sich lebhaft vor und sah den andern aus halbgeschlossenen Augen fragend an.

»Richtig. Das interessiert mich. Es ist ein sehr unangenehmer Gedanke, daß unsereiner vielleicht auch einmal an den nächsten Haken gehängt werden könnte.«

Phelips schien von dieser Sache nicht gerne zu sprechen.

»Er war selbst schuld daran«, murmelte er endlich und zuckte mit den Schultern. »Diese ewigen Weibergeschichten mußten ein schlimmes Ende nehmen.«

»Was Sie nicht sagen!«

Hubbard war sichtlich begierig, mehr zu erfahren, und rückte näher heran. »Das hätte ich unserem behäbigen Lewis nicht zugetraut. Ich dachte, seine einzige Leidenschaft wäre das Geldmachen gewesen. – Sie glauben also«, fuhr er fort, »daß ihn irgendeine eifersüchtige Schöne einfach in eine Schlinge gesteckt und an die Wand gehängt hat? Alle Hochachtung. Meiner Schätzung nach wog Lewis mindestens zweihundert Pfund.«

»Daß Sie über so eine Sache noch spaßen können«, brummte der Mann mit dem Pferdekopf. »Sie wissen doch, wie ich das meine. Selbstverständlich war dabei auch ein Mann im Spiel.«

»Ein Mann?« fragte der neugierige Hubbard. »Auch für einen einzelnen Mann ist so etwas ein ganz nettes Stück Arbeit.«

Der Herr mit der Glatze blickte angelegentlich zur Decke und trommelte mit den Fingern auf die Stuhllehne.

»Natürlich ist das nur eine Vermutung. Wie Sie sich denken können, ist im Klub sehr viel über die Geschichte gesprochen worden, aber niemand vermochte eine Erklärung zu finden, wie es geschehen konnte. Sie müssen wissen, daß sowohl die Tür nach dem Korridor wie die nach dem kleinen Balkon versperrt war und daß beide Schlüssel von innen steckten. Corner und mir ist die Sache furchtbar nahegegangen, denn wir hatten mit ihm an demselben Abend eben in dem grünen Salon noch eine geschäftliche Besprechung gehabt. Als wir gingen . . .«

»Lebte er da noch?« fragte Hubbard gedankenlos.

»Natürlich«, erwiderte Phelips etwas gekränkt, »denn er begleitete uns noch bis in die Vorhalle und beauftragte Gabriel, für uns einen Wagen zu besorgen.«

»Und wann ist also die Geschichte hier passiert?«

»Zwischen halb zwölf und drei Uhr nachts. Genau ließ es sich nicht feststellen, aber um Viertel nach zwölf Uhr hat Gabriel noch eine verschleierte Dame hinaufgeleitet, die Lewis selbst einließ, und etwa um drei Uhr wurde dann das Zimmer geöffnet.«

»Und wann hat die Dame das Haus verlassen?«

»Das weiß man leider nicht. Gerade um diese Zeit pflegen die meisten Besucher des Spielsaals aufzubrechen, und es ist möglich, daß die Frau mit diesen das Haus verlassen hat. Jedenfalls ist sie nicht mehr durch das Vestibül des Klubs gekommen, wie Gabriel versichert.«

»Und wer hat hinter ihr die Tür des grünen Salons wieder versperrt?« fragte der hartnäckige Hubbard weiter. Phelips fuhr sich verzweifelt über die rosig leuchtende Glatze.

»Woher soll ich das wissen?« seufzte er und verdrehte die Augen. »Ich glaube, daß sich auch Leute, die etwas davon verstehen sollten, darüber vergeblich die Köpfe zerbrechen. Inspektor Dawson und seine Gehilfen haben sich die Sache sehr angelegen sein lassen und haben stundenlang in dem Zimmer gesteckt, aber ich glaube nicht, daß sie bisher viel klüger geworden sind.«

»Nun, der arme Dawson ist dieser Sorge ledig, wie ich gehört habe«, meinte Hubbard leichthin.

Phelips nickte wehmütig, aber er kam nicht dazu, sich darüber auszusprechen, denn in diesem Augenblick gewahrte er Corner, der den Kopf durch eine der Portieren steckte.

»Also, übereilen Sie nichts«, verabschiedete er sich. »Ich werde schon sehen, was sich für Sie tun läßt.«

Er blinzelte dem eleganten Mann freundschaftlich zu und schritt dann mit Corner langsam durch die Klubräume.

*

Keiner von beiden sprach ein Wort, und auch als sie bereits in dem behaglichen Privatzimmer saßen, herrschte noch eine geraume Weile Schweigen.

Endlich unterbrach Corner die Stille mit der Frage:

»Kennen Sie ihn näher?«

»Nun, näher wäre etwas zuviel gesagt«, erwiderte Phelips mit einem breiten Grinsen. »Aber immerhin ganz gut. Wir haben voriges Jahr einige Wochen lang immer zusammen frische Luft geschöpft und sind sogar meistens nebeneinander spaziert. Ein sehr netter Junge. Nur scheint er plötzlich etwas kopfscheu geworden zu sein.«

»Haben Sie etwas mit ihm vor?« forschte der andere mißtrauisch. »Ich wäre nicht dafür, daß Sie sich mit ihm irgendwie einlassen. Der Mann gefällt mir nicht – obwohl ich ihm auch schon begegnet bin.«

»Sie auch?« meinte Phelips belustigt und schlug sich lachend aufs Knie. »Großartig, der Bursche scheint bereits so ziemlich alle Gefängnisse Englands ausprobiert zu haben.«

Corner liebte es nicht, wenn sein Freund so freimütig sprach.

»Hat er uns an dem gewissen Abend in dem Lokal am St. James Square gesehen?« fragte er kurz.

»Natürlich. Und ich habe ihn auch noch an die Begegnung erinnert.«

»Schön.«

Der Einäugige begann, nervös auf und ab zu gehen und machte dann plötzlich vor Phelips halt.

»Ich glaube nämlich, daß wir nicht genug Zeugen haben können«, sagte er mit dünnen Lippen.

Der Mann mit dem Pferdekopf bekam ein fahles Gesicht, und seine vorstehenden Augen flackerten unruhig.

»Ist etwas geschehen?« stieß er bestürzt hervor.

Corner zuckte mit den Achseln.

»Soviel ich weiß, noch nicht, aber ich habe auf einmal das fatale Gefühl, als ob wir ins Rutschen geraten seien. Oder ist Ihnen vielleicht besonders wohl bei der Geschichte?«

Er nahm seinen Marsch wieder auf und nagte an den Lippen.

»Der Teufel hole Strongbridge«, zischte er und ballte die Hand zur Faust.

»Sagen Sie das nicht so laut«, warnte Phelips hastig und dämpfte seine Stimme. »Es könnte schlimm ausfallen. Haben Sie gewisse Dinge denn nicht gewitzigt? Da hilft jetzt nichts als durchhalten.«

Corner fand darauf keine Antwort, und Phelips betrachtete ihn mit ernster Besorgnis. Wenn sogar sein hartgesottener Genosse es mit der Angst zu tun bekam, war dies ein bedenkliches Zeichen.

*

Um dieselbe Zeit führte Hubbard im Vestibül mit Gabriel, der ihm die Garderobe reichte, eine leise Unterhaltung.

»Es wäre sehr nett von Ihnen«, sagte er, »wenn Sie es mir ermöglichen würden, einen Blick in den grünen Salon zu tun. Ich war zwar bereits einige Male dort, erinnere mich aber nicht mehr so genau. Und ich möchte doch gerne wissen, wie das mit Lewis eigentlich war.«

Der »Erzengel« setzte eine sehr bedenkliche Miene auf.

»Das wird leider kaum möglich sein, Sir; Mr. Phelips hat strengstens untersagt, irgend jemanden in das Zimmer zu lassen, und da er augenblicklich im Klub weilt . . .«

»Damit ist noch nicht gesagt, daß er davon erfahren muß«, erwiderte Hubbard und unterstützte seinen Wunsch durch einen diskreten Händedruck, der Gabriels strenges Pflichtbewußtsein arg ins Wanken brachte. »Sie können sich auf mich verlassen. Geben Sie mir ruhig den Schlüssel, und ich werde mich ganz unbemerkt ein bißchen in dem Raum umsehen und dann ebenso unbemerkt wieder verschwinden. Den Schlüssel lasse ich stecken, und Sie können ihn in einer halben Stunde wieder abholen.«

Gabriels Bedenken hielten einem derart dringlichen Ersuchen nicht stand.

»Ich bitte Sie aber, Sir, den Aufgang zu den Spielsälen zu benützen. Und wenn zufällig doch jemand kommen sollte . . .«, fuhr er besorgt fort.

»So wird er mich sicher nicht sehen«, beruhigte ihn Hubbard und schritt mit einem freundlichen Nicken zu der Glastür, die die Vorhalle des Klubs von der Treppe zu dem zweiten Stockwerk trennte.

Er stieg diese langsam hinauf und glitt, oben angelangt, wie ein Schatten an den Spielsälen vorüber, bis er am Ende des langen Ganges den grünen Salon erreichte. Er steckte den Schlüssel geräuschlos ins Schloß, klinkte leise auf und verschwand hinter der Tür. Dann sperrte er ebenso geräuschlos wieder von innen ab und schaltete alle Lichter ein.

*

Nach etwa einer Stunde verließen Corner und Phelips schweigsam den Klub, und Gabriel hielt es für an der Zeit, den Schlüssel des grünen Salons wieder in sicheren Gewahrsam zu nehmen. Als er nach dem Schloß tastete – man fand in den Spielsälen hellerleuchtete Gänge nicht stilvoll und auch nicht sehr praktisch –, überlief ihn ein eisiger Schauer, denn das Schlüsselloch war leer.

Der »Erzengel« suchte mit den Händen den Boden ab, dann klopfte er hastig mehrmals an die Tür, und als er keine Antwort erhielt, drückte er krampfhaft auf die Klinke.

Aber die Tür gab nicht nach.

Von furchtbaren Vorstellungen gepackt, lehnte sich Gabriel zitternd an die Wand und überlegte, was er tun solle. Wenn er das Haus alarmierte, so konnte er damit die Sache nur noch schlimmer machen.

Mit schlotternden Knien eilte er endlich davon und schleppte keuchend den Mann heran, der die Arbeit schon einmal getan hatte.

Nach einer endlosen Weile klirrte innen der Schlüssel zu Boden, und der Mann schnappte mit seinem Haken das Schloß auf.

Gabriel griff mit unsicherer Hand in das Dunkel nach dem Lichtschalter und stierte mit entsetzten Augen in den Raum.

Der Salon war leer.

Aber plötzlich gewahrte der »Erzengel« etwas, was ihn zusammenfahren ließ:

An dem Schiebehaken des Ventilators hing eine Portierenschnur mit einer kunstvollen Schlinge . . .

Der arme Gabriel brauchte lange Minuten, bevor er sich wieder gefaßt hatte und imstande war, mit seinem verwunderten Gehilfen den Salon genau zu durchsuchen und die Portierenschnur wieder dort zu befestigen, wo sie eigentlich hingehörte. Dieses neue Rätsel war zuviel für seinen Verstand und bedeutete für ihn eine doppelt schwere Bürde, weil er es niemandem anvertrauen durfte.

Dann dachte er an den netten Mr. Ralph Hubbard, und er mußte sich sagen, daß er keine ruhige Stunde haben würde, bevor er nicht wußte, was aus dem Gentleman, den er als eine Zierde des »Klubs der Siebenundsiebzig« betrachtete, geworden war.


 << zurück weiter >>