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Einst lebte ein verständiger, tugendhafter König, der Suleiman Schah hieß. Er hatte eine Nichte bei sich, Tochter eines früh verstorbenen Bruders, die er sehr sorgsam erziehen ließ, denn sie hatte viel Verstand und andere gute Eigenschaften und war auch von ausgezeichneter Schönheit. Suleiman Schah hatte schon in Gedanken seine Nichte einem seiner Söhne bestimmt, aber der andere hatte sich auch vorgenommen, sie zur Frau zu nehmen. Der älteste hieß Bahlawan, der jüngere Malik Schah und die Nichte Schah Chatun. Eines Tages besuchte der König seine Nichte, küßte ihr Haupt und sagte ihr: »Ich habe deinen seligen Vater so sehr geliebt, daß du mir teurer als ein eigenes Kind bist; ich will dich nun mit einem meiner Söhne vermählen und ihn dann zu meinem Thronerben einsetzen; du kennst beide Söhne, du bist ja mit ihnen erzogen worden, wähle also einen davon!« Schah Chatun stand auf, küßte dem König die Hand und sagte: »O mein Herr! Ich bin deine Sklavin, du bist mein Gebieter; tu was du willst, dein Wille steht höher als der meinige, und wenn es dir lieb ist, so bleibe ich am liebsten mein ganzes Leben bei dir, um dich zu bedienen.« Der König war sehr zufrieden mit dieser Antwort seiner Nichte, machte ihr kostbare Geschenke, bestimmte seinen jüngeren Sohn, den er zärtlicher als den älteren liebte, zu ihrem Gatten, und ernannte ihn auch zu seinem Thronerben und ließ ihm huldigen. Als Bahlawan hörte, daß sein jüngerer Bruder ihm vorgezogen worden, fühlte er sich so sehr gekränkt, daß er ganz von Neid und Groll erfüllt wurde; doch verbarg er sorgfältig den Haß, den er deshalb seinem Bruder nachtrug. Als aber Schah Chatun nach einem Jahre einen Sohn wie der leuchtende Mond gebar, kannte der Neid und die Eifersucht Bahlawans keine Grenzen mehr. Eines Nachts kam er in den Palast seines Vaters und ging am Zimmer seines Bruders vorüber: Da sah er die Amme vor der Türe schlafen und vor ihr war das Bett, auf dem der Kleine lag; er blieb dabei stehen und bewunderte das strahlende Gesicht seines Neffen; da spiegelte ihm Satan den Gedanken vor: Warum gehört das Kind nicht mir? Mir gebührte doch seine Mutter und die Krone eher, als meinem Bruder. Dieser Gedanke brachte ihn so sehr auf, daß er ein Messer aus der Tasche zog und dem Kinde in den Hals schnitt, bis er es tot glaubte. Er ging dann ins Schlafzimmer seines Bruders und sah ihn an der Seite seiner Frau schlafen; da dachte er zuerst daran, auch sie zu töten, dann sagte er aber zu sich selbst: Wenn ich ihn töte, so gehört seine Frau mir; er stürzte auf ihn los, schnitt ihm den Hals ab und lief in Verzweiflung nach dem Zimmer seines Vaters, um auch ihn zu töten; da er aber nicht zu ihm gelangen konnte, verließ er den Palast und verbarg sich in der Stadt bis am folgenden Tage; dann flüchtete er sich auf eines der Schlösser seines Vaters und befestigte es. Als die Amme am folgenden Morgen das Kind stillen wollte, und es im Blute schwimmend fand, schrie sie, daß alle Leute im Schlosse erwachten. Der König selbst lief zu ihr und fiel in Ohnmacht, als er seinen Sohn und sein Enkelchen getötet sah. Als man indessen das Kind näher untersuchte, fand man die Kehle noch unverletzt; auch gab es bald wieder Lebenszeichen von sich und man konnte die Wunde zunähen.
Sobald der König wieder zu sich kam, fragte er nach seinem Sohne Bahlawan, und als er hörte, Bahlawan sei entflohen, zweifelte er nicht mehr, daß sein eigener Sohn dieses Verbrechen begangen, und dies vermehrte noch die Bestürzung des Königs und des ganzen Hofs. Der König besorgte dann das Leichengewand seines Sohnes, ließ ihn ehrenvoll bestatten und große Trauer halten, seinen Enkel aber ließ er bei sich erziehen, gewann ihn immer lieber, und sein einziger Wunsch war, Gott möge ihn erhalten und einst an Stelle seines Vaters auf den Thron setzen; auch alle Bewohner der Hauptstadt waren für dieses Kind, das, wie sein Vater, Malik Schah hieß, eingenommen und hofften, es werde einst in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters treten. Bahlawan, der inzwischen sich in seiner Festung immer mehr verstärkt hatte, blieb nichts mehr übrig als seinen Vater zu bekriegen. Er wendete sich deshalb an den griechischen Kaiser und bat ihn um Hilfe gegen seinen Vater. Der Kaiser war ihm gewogen und schickte ihm viele Truppen. Als aber sein Vater dies hörte, schrieb er dem Kaiser: »Erhabener und mächtiger Sultan! Stehe doch einem Übeltäter nicht bei: Bahlawan ist mein Sohn, und hat nach vielen anderen Schandtaten noch seinen Bruder und seinen Neffen in der Wiege ermordet,« und sagte ihm nichts davon, daß das Kind noch am Leben war. Als der Kaiser dieses Schreiben erhielt, ließ er Suleiman Schah sagen: »Wenn du willst, o König! So schneide ich Bahlawan den Kopf ab und schicke ihn dir.« Suleiman Schah antwortete ihm aber: »Ich will den Tod meines Sohnes nicht, seine Strafe wird ihn schon treffen, wenn nicht heute, so morgen.« Hierauf fand ein Briefwechsel zwischen beiden statt und sie beschenkten sich gegenseitig. Bald nachher wurde dem Kaiser Schah Chatun so reizend geschildert, daß er bei ihrem Onkel um sie anhalten ließ. Da dieser dem Kaiser nichts verweigern konnte, ging er zu seiner Nichte und sagte ihr: »O meine Tochter! Der Kaiser von Griechenland läßt um dich anhalten, was soll ich ihm antworten?« Sie sagte weinend: »O König, wie hast du das Herz, mir so etwas anzufragen? Wie soll ich nach meinem Vetter einen anderen Mann heiraten?« Aber Suleiman Schah versetzte: »Meine Tochter, es ist freilich, wie du sagst; doch wir müssen an die Zukunft denken; ich bin ein alter Mann und sehe meinen Tod sehr nahe; ich fürchte für dich und für dein Kind, von dem der Kaiser glaubt, Bahlawan habe es ermordet. Da nun der Kaiser um dich anhält, so können wir ihm keine abschlägige Antwort geben, denn wir müssen uns durch ihn eine feste Stütze schaffen.« Da Schah Chatun kein Wort mehr entgegnete, schrieb Suleiman Schah dem Kaiser, er sei bereit, ihm zu gehorchen, und schickte ihm bald nachher seine Nichte. Der Kaiser fand sie über alle Beschreibung schön, liebte sie sehr und erhob sie über alle seine Frauen. Schah Chatuns Herz hing aber immer an ihrem Sohne, doch konnte sie dem Kaiser nichts davon sagen.
Malik Schah wurde indessen von seinem Großvater mit vieler Zärtlichkeit behandelt und in einem Alter von zehn Jahren von ihm zum Thronerben ernannt. Als aber bald darauf Suleiman Schah starb, verschwor sich Bahlawan mit einem Teile der Truppen, die ihn heimlich in die Residenz brachten und ihm als rechtmäßigen König huldigten; doch sagten sie ihm:«Wir geben dir den Thron, du darfst aber deinen Neffen nicht töten, denn er ist uns von seinem Vater und Großvater anvertraut worden.« Bahlawan willigte ein und ließ seinen Neffen in ein unterirdisches Gewölbe sperren. Als Schah Chatun davon Nachricht erhielt, war sie sehr bestürzt, doch mußte sie ihres Onkels willen schweigen und sich in den Willen Gottes ergeben.
Bahlawan blieb also unangefochten im Besitze seiner geraubten Herrschaft, und Malik Schah schmachtete vier Jahre im Gefängnis, so daß er ganz entstellt wurde. Als ihn aber Gott (gepriesen sei er!) aus dem Gefängnis befreien wollte, sagten einige gute Veziere zu Bahlawan, in Anwesenheit aller Großen des Reichs: »O König! Gott hat dir deinen Willen erfüllt, du regierst in Ruhe an deines Vaters Stelle, bedenke nun, was hat dein Neffe verbrochen, daß er, seitdem er die Welt erblickt hat, aller Freude beraubt bleibt? Durch welche Schuld hat er so viele Qual verdient? Andere waren schuldig, und die hat Gott in deine Gewalt gegeben, aber dieses arme Kind ist unschuldig.« Bahlawan erwiderte: »Ihr habt recht, aber ich fürchte, er möchte etwas gegen mich unternehmen, denn ich weiß, daß viele Leute ihm gewogen sind.« Die Veziere versetzten: »O König! Was kann der schwache Junge tun? Welche Macht hat er? Übrigens, wenn du ihn hier fürchtest, so schicke ihn an irgend eine Grenze des Landes.« - »Euer Rat ist gut«, versetzte der König, »ich will ihn als Anführer der Truppen an die Grenze schicken.« Der König hatte nämlich gerade einen Krieg mit sehr hartnäckigen Feinden zu führen und hoffte, daß sein Neffe im Krieg umkommen werde. Er ließ ihn also zur Freude aller aus dem Gefängnis bringen, schenkte ihm ein Ehrenkleid und schickte ihn mit vielen Truppen gegen den Feind, mit dem sich bisher niemand hatte messen können. Als Malik Schah mit seinen Truppen an der Grenze war, wurden sie auf einmal in der Nacht überfallen; die einen entflohen, die anderen wurden gefangen; unter diesen war auch Malik Schah, der mit einigen Gefährten in eine Grube geworfen wurde, in welcher er ein ganzes Jahr zubringen mußte. Am Anfang des folgendes Jahres wurde er nach der dortigen Sitte mit den übrigen Gefangenen aus dem Kerker geholt und von einer Zitadelle herabgestürzt. Alle seine Gefährten blieben tot liegen, bis sie wilde Tiere fraßen und der Wind zerstreute. Malik Schah aber, dessen Leben der Himmel bewachte, fiel auf die Füße und kam nach einer Ohnmacht von vierundzwanzig Stunden wieder zu sich. Als er sich gerettet sah, dankte er Gott und machte sich auf, ohne zu wissen wohin, und nährte sich von Baumblättern; des Tages verbarg er sich und des Nachts ging er wieder fort, bis er endlich in eine bewohnte Gegend kam und Menschen fand, denen er seine Geschichte erzählte. Als die Leute hörten, daß er von einer Zitadelle herabgeworfen und doch von Gott gerettet worden, bemitleideten sie ihn und gaben ihm zu essen und zu trinken. Er fragte sie nach dem Wege, der in die Stadt seines Onkels führt, ohne ihnen jedoch zu sagen, daß Bahlawan sein Onkel sei. Man zeigte ihm den Weg und er ging unerkannt bis in die Nähe der Stadt, wo er hungrig, nackt und blaß anlangte. Als er sich vor dem Stadttore niedersetzte, kamen einige von der Umgebung seines Oheims von der Jagd zurück und wollten neben ihm ausruhen und ihre Pferde tränken. Malik Schah ging auf sie zu und fragte sie im Laufe des Gesprächs, ob Bahlawan ein guter König wäre? Sie sagten lachend: »Was hast du fremder Bettler dich um den König zu kümmern?« Malik Schah antwortete: »Er ist mein Onkel.« - »Es scheint, du bist toll«, sagten die Leute erstaunt. »Wir wissen nur von einem Neffen des Königs, der im Kerker war, dann in den Krieg gegen Ungläubige gesandt und von diesen getötet wurde.« - »Eben dieser Neffe bin ich«, versetzte Malik Schah; »die Ungläubigen haben mich nicht getötet, sondern nur von einer Zitadelle herabgestürzt:« Als sie ihn näher betrachteten, erkannten sie ihn wieder, standen vor ihm auf, küßten ihm die Hände voller Freude und sagten: »O unser Herr! Du bist Sohn eines Königs und verdienst, selbst König zu sein; wir wünschen von Herzen deine Erhaltung, da Gott die verbrecherischen Absichten deines Onkels vernichtet hat, der, nur um dich zu verderben, dich an einen Ort gesandt hat, von dem niemand zurückkehrt. Wir beschwören dich daher, stürze dich nicht wieder in die Gewalt deines Feindes, rette dein Leben und gehe nicht wieder zu deinem Onkel; entfliehe von hier so schnell du kannst, denn fällst du ihm wieder in die Hand, so wird er dich keine Stunde leben lassen.« Malik Schah dankte ihnen und fragte sie, wohin er sich wenden sollte? Sie rieten ihm, nach Griechenland zu seiner Mutter zu gehen. Er entgegnete aber: »Meine Mutter hat, als der Kaiser bei meinem Großvater um sie anhielt, ihm nichts von mir gesagt, nun mag ich sie nicht zur Lügnerin machen.« Sie sagten: »Du hast recht, doch wir meinen es gut mit dir und solltest du dienen müssen, so ist es besser für dich, als hier zu bleiben.«
Die Leute schenkten ihm dann einiges Geld, Kleider und Lebensmittel und begleiteten ihn, bis er fern von der Stadt und in Sicherheit war. Malik Schah reiste dann immer fort, bis er das Gebiet seines Onkels im Rücken hatte und in ein griechisches Städtchen kam, wo er bei einem Gutsbesitzer als Taglöhner arbeitete.
Schah Chatun, welche inzwischen gar nichts mehr von ihrem Sohne gehört hatte, wurde jeden Tag besorgter um ihn. Ihre Unruhe nahm in einem solchen Grade zu, daß sie nicht mehr schlafen konnte, und da sie vor ihrem Gatten schweigen mußte, wendete sie sich an einen alten, klugen Diener, den ihr ihr Onkel mitgegeben hatte, und sagte ihm, als sie eines Tages allein bei ihm war: »Treuer Diener von meiner Kindheit an, kannst du mir keine Kunde von meinem Sohne verschaffen, da ich selbst ihn doch vor niemanden erwähnen darf?.« - »Meine Herrin! Da du das Leben deines Sohnes im Anfange verheimlicht hast, so darfst du auch jetzt, stünde selbst dein Sohn hier vor dir, nichts eingestehen, sonst würdest du alle Achtung beim König verlieren und er würde dir gar nichts mehr glauben.« Die Königin sagte: »Du hast recht, doch möchte ich wissen, ob mein Sohn noch lebt, ich wollte ihn nicht sehen, auch wenn er in unserer Nähe Schafe hütete.« - »Und wie soll ich das erfahren?« fragte der Diener. Die Königin erwiderte: »Nimm so viel Geld, als du willst, aus meinem Schatze; als Vorwand zu deiner Abreise werde ich meinem Gatten sagen, ich habe noch aus der Zeit meiner ersten Ehe Geld in meiner Heimat verborgen, von dem niemand weiß als du.« Sie ging sogleich zum Kaiser und sagte ihm, was sie beschlossen hatte, und der Kaiser erlaubte dem Diener abzureisen. Dieser verkleidete sich als Kaufmann und ging in die Stadt, wo Bahlawan residierte, um Malik Schah nachzuspüren; dort sagte man ihm, der Prinz sei eingesperrt gewesen, dann habe ihn sein Onkel an die Grenze geschickt, wo er umgebracht wurde. Als der Diener dies hörte, erschrak er sehr und wußte nicht, was er tun sollte. Eines Tages erkannte einer der Reiter, welche dem jungen Malik Schah begegnet waren und ihn beschenkt und gekleidet hatten, den Diener in Kaufmannstracht und fragte ihn nach der Ursache seiner Anwesenheit. Der Diener antwortete: »Ich bin gekommen, um Waren zu verkaufen.« Da sagte der Reiter: »Ich will dir ein Geheimnis offenbaren, wirst du es bewahren?« - »Gewiß«, antwortete der Diener. Da sagte der Reiter: »Wisse, daß ich mit einigen Freunden dem jungen Malik Schah in der Nähe dieses Wassers begegnet bin; wir haben ihm Lebensmittel, Geld und Kleider gegeben und ihn nach Griechenland in die Nähe seiner Mutter geschickt, weil wir fürchteten, sein Onkel möchte ihn umbringen lassen.« Als der Diener dies hörte, wurde er ganz blaß und rief: »Gnade!« Der Reiter sagte: »Du hast von mir nichts zu fürchten, und wärest du auch gekommen, den Prinzen zu suchen.« Der Diener gestand hierauf, daß Schah Chatun ihn geschickt, um sich nach ihrem Sohne zu erkundigen, weil sie keine Ruhe und keinen Schlaf mehr aus Sorge um ihn finden kann. Da sagte der Reiter: »Gehe ruhig fort, du findest ihn an der Grenze Griechenlands.« Der Diener dankte ihm und trat wieder den Rückweg an, um Malik Schah aufzusuchen, und der Reiter begleitete ihn bis an die Stelle, wo er Malik Schah verlassen hatte. Diesen Weg verfolgte der Diener; er fragte überall nach dem Jungen und beschrieb ihn nach der Schilderung des Reiters, bis er endlich in das Städtchen kam, wo Malik Schah sich aufhielt.
Der Diener fragte auch hier nach dem Jungen, aber niemand konnte ihm Auskunft geben; nun wußte er nicht, was er tun sollte; schon wollte er wieder abreisen und hatte bereits sein Pferd bestiegen, als er Vieh mit einem Stricke angebunden sah, und einen Jüngling, der mit dem Stricke in der Hand daneben schlief. Es fiel ihm jedoch nicht ein, daß es Malik Schah sein könnte. Dann blieb er aber stehen und dachte: »Wenn der Prinz, den ich suche, schon so groß wie dieser Bursche geworden ist, der hier schläft, wie soll ich ihn erkennen? O welche Qual, einen Menschen aufzusuchen, den ich, wenn er auch vor mir stünde, nicht kennen würde.« Er stieg dann vom Pferd ab und ging auf den Schlafenden zu, setzte sich neben ihn, betrachtete ihn und dachte: Wer weiß, ob nicht dieser Jüngling Malik Schah ist. Er hustete dann und rief: »Bursche!« Der Prinz erwachte und setzte sich aufrecht. Da fragte ihn der Diener: »Wer ist dein Vater in diesem Städtchen und wo wohnst du?« Der Junge antwortete verlegen: »Ich bin ein Fremder.« Da fragte der Diener: »Wo bist du her? Wer war dein Vater?« Als der Prinz seinen Geburtsort nannte und auf die weiteren Fragen des Dieners seine ganze Lebensgeschichte erzählte, umarmte ihn der Diener, küßte ihn und sagte ihm, seine Mutter habe ihn geschickt, um ihn zu suchen, ohne daß der Kaiser etwas davon wisse; sie wolle sich überzeugen, daß er sich wohl befinde, wenn sie ihn auch nicht sehen könne. Er kaufte ihm dann ein Pferd und sie ritten zusammen bis in den Bezirk der Hauptstadt. Da kamen Räuber, nahmen ihnen alles weg, fesselten sie, warfen sie in eine Grube, abgelegen von der Straße, und gingen fort, um sie da sterben zu lassen, wie sie es schon mit vielen anderen vor ihnen getan. Der Diener weinte heftig, und als der Prinz ihm sagte, alle Tränen könnten hier nichts nützen, versetzte er: »Ich weine nicht aus Furcht vor dem Tode, sondern nur aus Mitleid zu dir und deiner Mutter; ich muß verzweifeln, wenn ich denke, daß du nach so vielen überstandenen Gefahren noch einen so schmählichen Tod sterben mußt.« Aber der Prinz sagte: »Was mir zugekommen ist, war über mich verhängt und mußte vollzogen werden, und ist jetzt meine Todesstunde gekommen, so kann sie niemand verschieben.«
Nachdem sie in dieser Grube zwei Tage und zwei Nächte in der gräßlichsten Hungersqual zugebracht, traf sich nach der Bestimmung und der Allmacht Gottes, daß der Kaiser mit seinen Leuten auf der Jagd ein Tier verfolgte, das sie vor dieser Grube einholten. Als ein Jäger an der Öffnung der Grube abstieg, um es zu schlachten, da hörte er ein leises Seufzen aus der Grube herauf; er blieb stehen, bis die ganze Jagdpartie beisammen war, und sagte es dem Kaiser. Dieser ließ einen Diener hinabsteigen, der Malik Schah und den alten Diener, beide ohnmächtig, heraufbrachte. Man löste ihre Fesseln und goß ihnen Wein in den Hals, bis sie wieder zu sich kamen. Als der Kaiser den Diener seiner Gattin erkannte, fragte er ihn erstaunt: »Was ist dir geschehen und wie kommst du hierher?« Der Diener antwortete: »Ich ging und holte das Gold meiner Herrin, auf einmal wurde ich, als ich der Karawane voraneilte, von Räubern überfallen, die uns das Geld wegnahmen und uns in die Grube warfen, wo wir, wie viele andere vor uns, sterben sollten. da schickte dich der erhabene Gott aus Erbarmen zu uns hierher.«
Der Kaiser und sein Gefolge dankten Gott, daß er sie hierher geführt, dann fragte er den Diener: »Wer ist denn der Junge, der hier bei dir ist?« Der Diener antwortete: »Es ist der Sohn unserer alten Amme; seine Mutter bat mich, ihn mitzunehmen, und da er viel Verstand und Geschicklichkeit besitzt, nahm ich ihn gern als einen Diener des Kaisers mit.« Der Kaiser fragte ihn dann nach Bahlawan und seinem Verfahren gegen seine Untertanen, worauf der Diener ihm erzählte, daß alle Leute mit ihm unzufrieden wären. Der Kaiser ging dann zu seiner Gattin und meldete ihr die Rückkehr ihres Dieners mit einem Jungen aus ihrer Heimat, und erzählte ihr von dem Unglück, das sie auf dem Wege gehabt. Schah Chatun kam außer sich und wollte einen lauten Schrei ausstoßen, unterdrückte ihn jedoch. Da sagte der Kaiser: »Was hast du? bedauerst du das Geld, das dem Diener geraubt worden, oder bemitleidest du den Diener?« Sie antwortete: »Es ist nichts, bei deinem Haupt, o Kaiser! Du weißt ja, die Weiber haben ein schwaches Herz.« Dann kam der Diener zu ihr und erzählte ihr alles, was ihrem Sohne seit ihrer Vermählung mit dem Kaiser widerfahren. Schah Chatun weinte lange über die harten Leiden, welche ihr Sohn zu ertragen gehabt, dann fragte sie den Diener: »Was hast du dem Kaiser gesagt, als er den Prinzen sah und dich nach ihm fragte?« Er antwortete: »Ich habe ihm gesagt, er sei der Sohn einer Amme, den wir als Kind verlassen und der nun dem Kaiser dienen solle.«
Sie war zufrieden mit dieser Antwort und befahl dann dem Diener, den Prinzen gut zu bedienen, auch der Kaiser überhäufte den Diener mit Wohltaten und bestimmte dem Prinzen ein ansehnliches Gehalt. Dieser ging im Palast ein und aus, diente dem König und stieg immer höher im Ansehen. Schah Chatun begnügte sich, ihren Sohn durch das Fenstergitter zu sehen, da sie ihn doch nicht sprechen konnte. Eines Tages aber, als sie fast vor Sehnsucht starb, erwartete sie ihn an der Türe ihres Gemaches, drückte ihn an ihre Brust und küßte ihn auf die Wangen. In diesem Augenblicke ging der Schloßverwalter am Harem vorüber und sah mit Erstaunen. wie der Jüngling eine Dame umarmte. Er blieb betroffen stehen und fragte, wer dieses Gemach bewohne, und als man ihm die Kaiserin nannte, fuhr er erschrocken zurück, als hätte ihn der Donner getroffen. Da begegnete ihm der Kaiser und fragte ihn, warum er so zittere? Der Schloßverwalter antwortete: »O Kaiser! Gibt es etwas Schrecklicheres, als das, was ich eben gesehen?« - »Was hast du gesehen?« - »Ich habe den Jüngling gesehen, den der alte Diener aus Griechenland mitgebracht, und mich überzeugt, daß er nur wegen der Kaiserin hierher gekommen ist, ich bin eben an der Türe des Gemachs vorübergegangen, da erwartete sie ihn, umarmte ihn und küßte ihn auf die Wangen.« Als der Kaiser dies hörte, kam er vor Wut ganz außer sich und riß sich fast den Bart aus; dann ergriff er sogleich den Prinzen und den alten Diener und ließ sie in einen Kerker werfen, der im Palast war. Er ging dann zu seiner Gattin und sagte ihr: »Bei Gott! Du hast dich schön betragen, du Tochter der Tugendhaften, um die Könige warben und die ihres gutes Rufes willen für eine kostbare Perle galt. Gott verdamme die, deren Inneres nicht wie ihr Äußeres ist; wie kannst du dir mit einem so abscheulichen Herzen ein reines Aussehen geben? Ich will aber an dir und diesem Taugenichts der Welt ein Beispiel geben. Nun weiß ich, daß du den Diener nur um den Jüngling hierherzubringen weggeschickt. Du wolltest mich mit unerhörter Frechheit hintergehen, nun sollst du aber sehen, wie ich gegen euch verfahre.« Mit diesen Worten spie er ihr ins Gesicht und ging weg. Schah Chatun sagte kein Wort, denn sie wußte wohl, daß ihr der Kaiser in diesem Augenblicke doch nicht glauben würde, und setzte ihr Vertrauen auf Gott, der das Offenbare und das Verborgene kennt, und gegen dessen Willen die Todesstunde weder verschoben noch vorgerückt werden kann.
Der Kaiser brachte mehrere Tage höchst bestürzt zu; er konnte weder essen noch trinken, noch schlafen und wußte nicht, was er tun sollte; bringe ich den Jungen und den Diener um, dachte er, so bin ich ungerecht, denn die Kaiserin, welche den Alten geschickt, um den Jungen zu holen, ist schuldiger als beide. Alle drei umzubringen gibt aber mein Herz nicht zu; ich will mich daher nicht übereilen und die Sache noch bedenken, ehe ich ihren Tod bereue. Nun hatte der Kaiser eine sehr verständige Amme. Sie fand ihn ganz verändert, wagte es aber nicht, ihm entgegenzutreten, sondern ging zu Schah Chatun. Als sie diese in noch größerer Bestürzung fand, fragte sie, was ihr zugestoßen? Die Kaiserin gestand nichts, aber die Amme schmeichelte ihr solange und schwor ihr, sie wolle das Geheimnis niemandem mitteilen, daß endlich die Kaiserin ihr die ganze Geschichte mit ihrem Sohne, von Anfang bis zu Ende, erzählte. Da sagte die Amme, sich vor ihr verbeugend: »Diese Sache ist ja gar nicht schwierig.« Aber die Kaiserin versetzte: »Bei Gott! Meine Mutter, ich will lieber mitsamt meinem Sohne sterben, als etwas sagen, das man doch nicht glauben würde; jedermann wird fragen: Sie gibt ein Märchen vor, um die Schande von sich zu wälzen. Für mich gibt's kein anderes Mittel als Geduld.« Die Alte hatte Wohlgefallen an diesen verständigen Worten und sagte zu Schah Chatun: »Es ist, wie du sagst; doch hoffe ich, Gott wird die Wahrheit bekannt machen; habe nur Geduld, ich nehme mich der Sache an und gehe sogleich zum Kaiser, um zu hören, was er sagt.«
Als die Amme zum Kaiser kam, fand sie ihn betrübt, den Kopf zwischen den Knieen, dasitzen; sie setzte sich zu ihm und sagte nach anderen süßen Worten: »Mein Sohn, dein Schmerz verwundet mein Herz; seit einiger Zeit reitest du gar nicht mehr aus und bist immer düster: Warum bist du denn so leidend?« Der Kaiser antwortete: »O meine Mutter! Wegen meiner verruchten Gattin, von der ich eine so gute Meinung hatte und die nun so gegen mich verfahren ist«, worauf er ihr die ganze Geschichte erzählte. Da sagte die Alte: »Und eine schwache Frau macht dir so viel Kummer?« - »Ich denke nach«, versetzte der Kaiser, »welchen Tod ich über die verhängen soll, um der Welt ein Beispiel zu geben.« Da sagte sie: »Mein Sohn! Übereile dich nicht, denn Übereilung bringt Reue, du kannst sie ja immer noch umbringen; ergründe erst die Sache wohl, dann tue, was du willst.« Der Kaiser erwiderte: »Hier bedarf's keiner anderen Beweise. Schah Chatun hat ja selbst den Alten fortgeschickt, um den Jungen zu holen.« Da sagte die Alte: »Ich weiß ein sicheres Mittel, wodurch sie alles gestehen wird, was in ihrem Herzen vorgeht.«
»Wie wolltest du das?« fragte der Kaiser. Die Alte antwortete: »Ich bringe dir das Herz eines Wiedehopfs, das legst du deiner Gattin auf die Brust, wenn sie schläft, fragst sie dann, was du wissen willst, und sie wird dir die Wahrheit sagen.« Der Kaiser sagte ihr erfreut: »Das will ich tun, aber sage niemandem etwas davon.« Die Alte ging dann zur Kaiserin und sagte ihr: »Ich habe dein Anliegen besorgt. Der Kaiser wird diese Nacht zu dir kommen, stelle dich dann, als schliefest du, und antworte schlafend auf alles, was er dich fragt.« Hierauf verließ die Alte die Kaiserin wieder, holte das Herz eines Wiedehopfs und brachte es dem Kaiser. Dieser erwartete mit Ungeduld die Nacht, dann ging er zur Kaiserin, und als er sie eingeschlafen glaubte, setzte er sich neben sie, legte das Herz des Wiedehopfs auf ihre Brust und wartete eine Weile, um sich von ihrem Schlafe zu überzeugen. Dann sagte er: »Schah Chatun! War das mein Lohn von dir?« - »Was habe ich verbrochen?« fragte die Kaiserin. Er erwiderte: »Gibt es denn ein größeres Verbrechen, als das deinige? Schicktest du nicht nach einem geliebten fremden Jünglinge und wurdest mir untreu?« - »Ich kenne keine Leidenschaft, es sind unter deinen Dienern schönere, als er ist, und ich gelüste nach keinem.« - »Und warum hast du ihn umarmt und geküßt.« - »Er ist mein Sohn, ein Stück meines Herzens; aus mütterlicher Liebe zu ihm habe ich ihn umarmt und geküßt.« - Als der Kaiser dies hörte, geriet er in große Verwirrung und sagte zu ihr: »Kannst du beweisen, daß er dein Sohn ist? Ich habe doch noch einen Brief von deinem Onkel, in welchem er mir schreibt, dein Sohn ist getötet worden?« - »Allerdings, aber die Kehle war nicht durchschnitten, mein Onkel ließ die Wunde wieder zunähen und meinen Sohn bei sich erziehen, denn seine Todesstunde war noch nicht gekommen.« Als der Kaiser dies hörte, sagte er: »Dieser Beweis genügt mir.« Er ließ sogleich den Prinzen und den Diener holen und untersuchte den Hals des Prinzen bei dem Scheine einer Wachskerze; da sah er einen Schnitt von einem Ohre zum andern, der zwar wieder geschlossen war, doch entdeckte er, wie eine Naht sich darüber hinzog. Hierauf fiel der Kaiser vor Gott nieder und dankte ihm, daß er diesen Jungen aus so vielen Gefahren befreit und freute sich sehr, daß er ihn nicht im Zorne getötet hatte, was er nachher hätte bereuen müssen. Der Prinz aber wurde nur gerettet, weil seine Todesstunde noch nicht gekommen war. »So werde auch ich«, sagte der Jüngling zum König, »die mir bestimmte Frist erreichen, und ich hoffe, daß Gott mir gegen diese bösen Veziere beistehen wird.«
Der König ließ ihn hierauf wieder ins Gefängnis zurückführen und sagte zu den Vezieren: »Dieser Junge hat eine schlimme Meinung von euch; ich weiß indessen, daß ihr mir aus Liebe ratet; seid daher nur zufrieden; ich werde in allem euern Rat befolgen. Ich habe nur solange seinen Tod verschoben, damit recht viel von der Sache gesprochen werde, nun soll er aber sterben; errichtet einen Galgen am Ende der Stadt und laßt seine Hinrichtung durch einen Ausschreier bekannt machen, damit die ganze Stadt sich versammle und mit ihm zum Galgen ziehe. Der Ausschreier soll vor ihm rufen: Das ist der Lohn dessen, den der König in seine Nähe gezogen, und der ihn dann verraten.« Die Veziere freuten sich sehr über diesen Entschluß des Königs, ein jeder brachte noch etwas anderes vor, und sie konnten vor Freude die ganze Nacht nicht schlafen. Sie ließen die Hinrichtung des Jünglings in der Stadt bekannt machen und einen Galgen errichten, und des Morgens früh kamen sie vor die Türe des Palasts und sagten zum König: »Es sind schon so viele Leute beisammen, daß sie vom Palast bis zum Hinrichtungsplatz alle Straßen füllen, um den Jungen hängen zu sehen.«
Als der König den Jungen holen ließ, sagten die Veziere: »Verworfener Mensch, hast du noch Freude am Leben? hoffst du noch Erlösung?« Er antwortete: »O ihr gottlosen Veziere! Kann ein verständiger Mensch aufhören, auf Gott zu vertrauen? So unterdrückt auch ein Mensch sein mag, kann ihn Gott doch aufrichten und mitten im Tode ihm neues Leben geben; kennt ihr nicht die Geschichte des Gefangenen, den Gott gerettet?« Als der König fragte: »Was ist das für eine Geschichte?« erzählte der Jüngling: