Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Zweiter Band
Gustav Weil

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Parabeln.

Es war vor alten Zeiten ein Pfau, der mit seiner Gattin einen Wald, in welchem viele andere Tiere sich aufhielten, am Ufer des Meeres bewohnte. Des Nachts verbargen sie sich daher in einem der Bäume, aus Furcht vor wilden Tieren, und des Tages flogen sie umher, um Nahrung zu suchen. Sie lebten lange so fort, bis ihnen einmal der Gedanke kam, einen anderen Wohnort zu suchen, wo sie sicherer und ruhiger leben könnten. Da kamen sie auf ein fruchtbare Insel, die reich an Bäumen und Gewässern war, ließen sich da nieder und aßen und tranken. Auf einmal kam eine Ente zu ihnen, welche gar zu ängstlich aussah und furchtbar zitterte. Der Pfau dachte: der muß gar Schlimmes widerfahren sein; er stieg von seinem Baum herunter, grüßte sie und bat sie, ihm zu erzählen, was ihr begegnet. Nachdem sie seinen Gruß erwidert hatte, sagte sie: »Schütze mich gegen die Menschen und sei selbst auf deiner Hut! gelobt sei Gott, der mich von meiner Angst erlöst und mich zu euch geführt hat, wie sehr habe ich mich nach eurer Nähe gesehnt; laß nur auch dein Weibchen heruntersteigen, daß es höre, was mir zugestoßen.« Das Weibchen kam auch herunter, bewillkommnete die Ente und sagte ihr: »Sei nur ohne Furcht, woher soll ein Mensch auf diese Insel, inmitten im tobenden Meer, kommen? sei nur ganz ruhig, es kann niemand zu uns gelangen; erzähle mir, was dir zugestoßen und warum du die Menschen so fürchtest?« Da begann die Ente: »Wisse, o Pfau! ich bringe nun mein ganzes Leben schon in Sicherheit auf dieser Insel zu und wußte von nichts Bösem. Eines Nachts erschien mir im Traum ein Mensch, der sich mit mir unterhielt; darauf hörte ich eine Stimme, welche mir zurief: O Ente! hüte dich vor dem Menschen, laß dich nicht verführen durch seine süßen Worte, denn du hast nur Unglück von ihm zu erwarten, weil er gar zu listig ist. Nimm dich wohl in acht, denn wisse, daß der Mensch durch List die größten Meerungeheuer zu fangen versteht, mit seiner Flinte die Vögel in der Luft zu sich herunterzieht und den Elefanten in eine Grube stürzt. Niemand ist vor der List der Menschen sicher, kein Fisch, kein Vogel, kein wildes und kein zahmes Tier. Nachdem ich dies gehört hatte, erwachte ich voller Angst und Furcht und ich konnte, teure Schwester! mich den ganzen Tag nicht fassen und hatte kein Lust, weder zu essen noch zu trinken; so sehr setzte mich die Bosheit des Menschen in Schrecken. So lief ich unruhig umher, bis ich zur Höhle eines jungen gelben Löwen kam. Dieser freute sich über alle Maßen, als er mich ankommen sah, denn meine Farbe und schöne Gestalt gefielen ihm sehr gut; er hieß mich in seine Nähe kommen und fragte mich nach meinem Namen und Geschlecht. Ich sagte: »Ich heiße Ente und gehöre zum Geschlecht der Vögel.« Ich fragte ihn, warum er so lange hier bleibe? Er antwortete: »Mein Vater, der Löwe, der warnt mich schon so lange vor den Menschen, nun sah ich diese Nacht in einem Traum einen Menschen, mit dem ich mich sehr gut unterhielt; zwar hörte ich eine Stimme, welche mich vor ihm warnte, aber er gefiel mir so gut, daß ich, weil ich weiß, daß zuweilen Menschen hier vorüberkommen, hier warte, denn ich möchte gar zu gern einen Menschen sehen.« Als der Löwe zu reden aufgehört, sagte ich ihm: »Sei auf deiner Hut und suche den Menschen auszuweichen, dessen List allmächtig.« Ich warnte ihn dann solange, bis er sich endlich entschloß, mit mir wegzugehen. Als wir eine Weile miteinander umherliefen, sahen wir einen großen Staub, der uns immer näher kam, und endlich entdeckten wir einen umherirrenden Esel, der bald stampfte, bald in die Höhe sprang, bald schrie. Der Löwe rief ihn zu sich, und der Esel näherte sich ihm ehrfurchtsvoll und küßte die Erde vor ihm. Da sagte der Löwe: »Wie heißt du, blödsinniges Tier, und wieso kommst du hierher und was springst du so?« Der Esel antwortete: »O Prinz! ich heiße Esel und komme hierher aus Furcht vor den Menschen. Denn der Mensch ist ein Unheil von den allergrößten, ein wahres Verderben der Tiere.« - »Fürchtest du, daß ein Mensch dich töte oder zerreiße?« - »Bei Gott, o Prinz! ich fürchte weder von ihm getötet, noch zerrissen zu werden; aber er gebraucht List, um auf mir zu reiten und mich zu beladen. Da hat er etwas, das er Decke nennt, das legt er auf meinen Rücken, dann hat er so ein Leder, das er Gurt nennt, damit umgürtet er mich, dann hat er etwas zum Sitzen, von ihm Sattel genannt, und einen Riemen, den er unter meinen Schweif legt; auch steckt er mir ein Stück Eisen, das er Zaum nennt, in den Mund und er macht einen Stachelstock, mit dem er mich antreibt, so muß ich dann laufen und tragen über meine Kräfte; stolpere ich, so schmäht er mich, schreie ich, so flucht er, und gehe ich ein wenig zu langsam, so schlägt er mir die Rippen auf, und wenn ich alt werde, so macht er mir so einen groben, hölzernen Sattel und übergibt mich den Wasserträgern, die mich mit Wasserschläuchen und großen Krügen beladen. So lebe ich bei den Menschen in Mühseligkeit und Elend und Erniedrigung, bis ich sterbe, da wirft man mich auf einen Schutthaufen den Hunden zur Speise hin. Gibt es wohl eine größere Qual, als die meinige?«

»Als ich«, fuhr die Ente fort, »diese Worte des Esels hörte, ergriff mich ein furchtbarer Schauder und eine noch größere Furcht vor den Menschen, und ich sagte zum Löwen: »Bei Gott! der Esel hat Ursache, den Menschen zu fürchten.« Er fragte dann den Esel, wo er hingehe? »O Prinz!« antwortete der Esel, »ich fliehe von hier, so schnell als ich kann, denn ich habe vor Sonnenuntergang in der Ferne einen Menschen erblickt.« Während dieses Gesprächs, als gerade der Esel wieder von uns Abschied nehmen wollte, entdeckten wir einen dichten Staub, der Esel schrie laut auf, und blickte nach dem Staub hin. Auf einmal kam unter dem Staub ein schönes schwarzes Pferd hervor, das scheu und schüchtern umherlief. Als es in die Nähe des Löwen kam, empfing er es mit Achtung und fragte: »Wie ist dein Name, verehrtes Tier, und warum irrst du so umher?« Das Pferd antwortete: »O Herr der Tiere! man nennt mich Pferd und ich bin hier auf der Flucht vor Menschen.« Der Löwe rief ganz erstaunt: »Bei Gott, wunderbar! was sagst du mir da; das ist eine Schande für dich, du bist ja so stark, so groß und so dick, und doch fürchtest du dich vor den Menschen? Ich wünschte sehr, einem Menschen zu begegnen, ich hoffte mich an seinem Fleisch zu sättigen und an seinem Blut meinen Durst zu stillen, um dieser schwachen, zitternden Ente Ruhe zu verschaffen; nun aber zerschneiden mir deine Worte das Herz, du machst mir bang durch deinen Schrecken und nimmst mir die Luft, mich mit ihm zu messen; du bist doch viel größer und siehst stärker aus, als ich, ich dächte, daß du mit einem Tritt deiner Füße einen Menschen töten könntest.« Das Pferd lachte und sagte: »Hüte dich wohl vor dem Menschen und laß dich nicht durch sein unbedeutendes Aussehen betören; o Prinz! mir hilft weder Stärke, noch Größe, noch Breite; der Mensch macht aus List und Bosheit etwas, das man Pfahl nennt, und etwas, das Strick heißt, aus Palmfasern mit Filz geflochten und stark gedreht, den Pfahl befestigt er in dem Boden, und mit dem Strick bindet er meine Füße an. Mit einem anderen Strick, der in der Höhe an einen Pfosten gebunden wird, zieht er meinen Kopf aufwärts und so muß ich wie gekreuzigt auf den Füßen stehen und kann nicht liegen und nicht schlafen; will er auf mir reiten, so legt er mir etwas auf, das man Sattel nennt, woran spitzige Eisen befestigt werden, die Steigbügel heißen. Der Sattel wird mir durch zwei Riemen um den Leib geschnürt, dann bekomme ich auch noch ein Eisen in den Mund, Gebiß genannt, daran befestigt man Riemen, die man Zaum nennt und die der, welcher auf mir reitet, in die Hand nimmt, und so zieht er mich hin, wo er will, und spornt mich dabei, daß mir das Herz blutet. Frage nur nicht, o Prinz! nach allem, was ich von ihm in meiner Jugend dulden muß, und wenn ich gar alt werde und mager, so verkauft er mich einem Müller, wo ich im Kreise umhergehend, Weizen und Gerste mahlen muß, Tag und Nacht; und bin ich auch dazu nicht mehr tauglich, so werde ich geschlachtet, meine Haut und mein Schwanz wird dem Siebmacher verkauft, mein Fett wird geschmolzen und mein Fleisch wird auf allen Straßen ausgeschrien, und wenn es nicht gut abgeht, so mischt es der Metzger mit Esel- und Mauleselfleisch und kocht es mit Essig, um den schlechten Geruch zu vertreiben.«

Als der Löwe dies hörte, wurde er noch grimmiger, und er fragte das Pferd, wann es einen Menschen gesehen? Es antwortete: »Gegen Mittag sah ich einen Menschen, der meinen Spuren folgte.« Während des Gesprächs entdeckten wir auf einmal wieder einen mächtigen Staub in der Ferne und es kam ein Kamel darunter hervor, das zitternd und bebend umhertrabte, bis es uns nahe kam. Der Löwe hielt es für einen Menschen und wollte schon darauf losspringen; da sagte ich ihm: »O Prinz! das ist kein Mensch, das ist ein Kamel, das auch vor den Menschen zu fliehen scheint, wie wir.« Während ich dies dem Löwen sagte, trat das Kamel zu uns, verbeugte sich vor dem Löwen und grüßte ihn. Der Löwe erwiderte seinen Gruß und fragte es, wie es so hierhergekommen? Es antwortete: »Ich fliehe vor dem Menschen.« - »Wie«, versetzte der Löwe, »ein Tier von so großer Gestalt, so lang und so breit fürchtet den Menschen? bei Gott! mit einem Tritt kannst du ihn ja umbringen.« - »O Prinz!« antwortete das Kamel, »der Mensch ist so klug und so schlau und so fein, daß nur der Tod ihm beikommen kann. Da zieht er mir einen Ring durch die Nase, woran eine Schnur befestigt wird, und wirft mir eine Halfter um den Kopf und übergibt mich seinem jüngsten Kinde, das trotz meiner Größe und Stärke mich hinführt, wo es will. Dann legt er mir die schwersten Lasten auf und unternimmt mit mir die größten Reisen, und gebraucht mich zu den schwersten Arbeiten, so daß ich weder bei Tag, noch bei Nacht Ruhe finde, und wenn ich alt werde und gebrechlich, duldet er mich nicht mehr in seiner Gesellschaft, sondern verkauft mich dem Metzger am Siegestor (in Kahirah). Dieser schlachtet mich, verkauft meine Haut dem Gerber und mein Fleisch den Wirten. Ich kann dir gar nicht alles sagen, o Prinz! was ich stets vom Menschen ertragen muß.« Der Löwe fragte es dann, wann es den Menschen verlassen? Es antwortete: »Gegen Sonnenuntergang, und ich denke, er wird bald hier sein; schütze dich vor ihm und laß mich weiter fliehen in die Wüsten und Einöden.« Der Löwe sagte: »Bleibe nur noch ein wenig, du sollst sehen, wie ich ihm die Knochen zermalme, wie ich ihn zerreiße, wie ich dich von seinem Fleisch nähre und von seinem Blut tränke.« Aber das Kamel rief: »Bewahre Gott, o Prinz! daß ich länger säume, ich bin sogar um deinetwillen in großer Angst, wenn ein Mensch sich deiner Wohnung nähert.« Auf einmal bemerkten wir wieder einen Staub und es trat ein kurzer, magerer Greis hervor, der in einem Korb allerlei Schreinerhandwerkszeug auf der Schulter, einen Baumzweig und acht Bretter auf dem Kopf trug, und kleine Kinder an der Hand führte. Ich fiel vor Furcht auf den Boden, als ich ihn herankommen sah, der Löwe aber trat ihm in den Weg, schüttelte seinen Schwanz und bereitete seine Klauen zum Kampfe vor. Der Mensch trat ihm freundlich entgegen, verbeugte sich vor ihm, lächelte ihm zu und sprach mit einer süßen Zunge: »O erhabener und mächtiger König! Gott schenke dir einen süßen Abend, vermehre deine Kraft und deinen Ruhm, verbreite deine Herrschaft und deine Macht, unterwerfe dir alle deine Feinde und weise dir das Paradies zur Wohnung an. Gewähre mir deinen Schutz und stehe mir bei, ich kann nur bei dir Hilfe finden.«

Der Löwe, gerührt von dem Flehen und Weinen des Schreiners, sagte ihm: »Ich verspreche dir meinen Schutz; sage mir, wer dir Gewalt angetan und wer du bist, denn ich habe in meinem Leben kein Tier deinesgleichen gesehen, so schön an Gestalt und so beredter Zunge; wie heißt du denn und wer mißhandelt dich?« Der Schreiner antwortet: »O Herr der Tiere! ich heiße Schreiner und fürchte mich sehr vor dem Menschen, der morgen früh schon hier eintreffen wird.« Als der Löwe dies hörte, war das Licht zur Dunkelheit vor ihm, er knurrte und schnaubte, Funken sprühten aus seinen Augen und er schrie: »Bei Gott, ich werde die ganze Nacht hier wachend zubringen.« Dann bat er den Schreiner, er möchte ihm, da er doch mit seinen kurzen Füßen nicht mit wilden Tieren gleichen Schritt halten könne, sagen, wo er hingehe? Der Schreiner antwortete: »Ich gehe jetzt zum Luchs, dem Vezier deines Vaters, dem mächtigen, reißenden Tier, dem Herrn der Klauen und Zähne, der auch gehört hat, daß Menschen in seine Nähe kommen würden, und daher aus Furcht mich rufen ließ, damit ich ihm zum Schutz aus diesen Brettern ein Haus baue.« Der junge Löwe beneidete den Luchs und sagte zum Schreiner: »Bei Gott! ich lasse dich nicht von der Stelle, bis du mir zuerst ein Haus bauest; nachher kannst du zum Luchs gehen.« Der Schreiner sagte: er müsse zuerst zum Luchs und wolle nach vollendeter Arbeit bei diesem zu ihm zurückkehren; aber der junge Löwe drang in ihn, sprang auf ihn zu und faßte ihn zum Scherze mit der Tatze, da fiel der Schreiner mit dem Korb auf den Boden und alle Werkzeuge lagen auf der Erde zerstreut. Der Löwe sagte dann lachend: »Wie schwach bist du, du armer Schreiner; bei Gott, deine Furcht vor dem Menschen ist zu entschuldigen, denn du hast gar keine Kraft.« Der Schreiner wurde sehr aufgebracht, doch verbarg er aus Furcht vor dem Löwen seinen Groll, stand wieder auf und sagte lächelnd: »Gut, ich will dir ein Haus bauen.« Er nahm dann die Bretter, die er bei sich hatte, und nagelte sie zusammen, wie eine Kiste, und brachte eine große Öffnung an. Als er damit fertig war, sagte er zum Löwen: »Mein Herr! geh einmal in dieses Haus, daß ich dein Maß nehme.« Der Löwe ging hinein, vor Freude ganz außer sich. Da aber die Kiste für ihn etwas eng war, sagte ihm der Schreiner, er müsse niederknien, dies tat der Löwe, bis nur sein Schweif noch heraushing; aber auch diesen legte der Schreiner zusammen und drückte ihn in die Kiste, dann legte er schnell den Deckel auf die Öffnung und nagelte sie zu. Der Löwe schrie: »Was ist das für ein enges Haus? laß mich heraus!« Der Schreiner antwortete lachend: »Aus dieser Kiste kommst du in deinem Leben nicht mehr heraus, es bleibt dir gar kein Weg zur Rettung offen, du bleibst nur im Käfig, du abscheulichstes aller Tiere; nun liegst du in der Schlinge, die du so sehr gefürchtet hast; die Bestimmung wollte es so durch mich, da hilft keine Vorsicht.« Als der Löwe diese Worte vernahm, merkte er, daß der Schreiner ein Mensch war, vor dem man ihn wachend und träumend gewarnt hatte. Ich fing nun an«, fuhr die Ente fort, »auch für mich ängstlich zu werden, darum entfernte ich mich ein wenig, aber ich war noch Augenzeuge davon, wie der Mensch ein großes Loch in der Nähe der Kiste, in die er den Löwen gesperrt hatte, grub, die Kiste in die Grube warf, Holz auf dieselbe legte und es anzündete. Als ich dies sah, entfloh ich schnell und befinde mich nun schon zwei Tage auf der Flucht vor den Menschen.«

Der Pfau war sehr erstaunt über diese wunderbare Erzählung der Ente und sagte ihr: »O meine Schwester! hier sind wir sicher vor dem Menschen, wir befinden uns ja auf einer Insel, die von keinem Menschen betreten wird; wir wohnen schon lange in bester Ruhe hier, bleibe also bei uns, bis der erhabene Gott auf andere Weise uns vor unsern Feinden Ruhe schafft. Was willst du länger so umherziehen? ist etwas über unser Haupt beschlossen, so wird es uns überall erreichen; denn, ist unsere Todesstunde nahe, wer kann uns gegen sie schützen? Und niemand stirbt, bis seine Zeit abgelaufenen.«

Während sie so zusammen sprachen, erhob sich wieder ein Staub; die Ente sprang ins Meer und schrie: Vorsicht! Vorsicht! laß mich dem Unheil entfliehen! Auf einmal legte sich der Staub und es kam ein Reh herbeigesprungen. Da sagte der Pfau zur Ente: »O meine Schwester, kehre nur wieder, das, wovor du dich fürchtest, ist ja ein Reh, das uns gewiß nichts zuleide tut, es nährt sich ja nur von Pflanzen, und gehört zu den vierfüßigen Tieren, wie du zu den Vögeln, sei also ruhig und mache dir keine Sorgen, denn Sorgen machen den Körper mager.« Das Reh hatte inzwischen den Schatten des Baumes gesucht, wo der Pfau und die Ente sich aufhielten, und als es sie sah, grüßte es sie und sagte: »Ich habe in meinem Leben keine fruchtbarere Insel gesehen, die so reiche Weide hat, als diese; wie angenehm ist es hier zu wohnen, ich wünschte sehr, euch Gesellschaft leisten zu dürfen.« Die Ente und der Pfau näherten sich ihm freundlich, grüßten es und sagten, sie haben sich schon lange nach einer so lieblichen Gesellschaft gesehnt; sie schlossen bald ein Freundschaftsbündnis und schwuren sich Treue, und aßen und tranken und wohnten vergnügt beisammen, bis eines Tages ein Schiff an der Insel vorbeikam, das auf dem Meer herumirrte. Die Schiffleute wählten diese Insel als Ankerplatz, stiegen ans Land und liefen auf der Insel umher. Als sie den Baum sahen, unter welchem das Reh, der Pfau und die Ente versammelt waren, liefen sie darauf zu; aber der Pfau entfloh schnell auf den Baum, das Reh suchte das Weite, nur die Ente, die bald vorwärts, bald rückwärts ging, wurde gefangen und trotz aller ihrer Vorsicht gegen die Bestimmung aufs Schiff geschleppt und geschlachtet. Als der Pfau sah, was der Ente geschehen, wollte er diese Insel verlassen, denn er rief aus: »Ich sehe überall nur Unheil; wie schön hätte ich in Freundschaft mit dieser Ente gelebt, wenn nicht das Schiff dazwischen gekommen wäre!« Er flog dann umher, bis er wieder das flüchtige Reh traf; dies wünschte ihm Glück zu seinem Entkommen und erkundigte sich nach der Ente. »Meine treue Freundin«, sagte der Pfau, »ist gefangen worden, darum verlasse ich auch diese Insel, die mir wegen des Unglücks der Ente verhaßt geworden.« Er weinte dann eine Weile und sprach folgenden Vers:

»Der Tag der Trennung hat mein Herz gebrochen, Gott breche auch dem Trennungstag das Herz! Wenn nur noch ein Tag der Vereinigung wiederkehrte, daß ich ihm berichte, was der Trennungstag getan.«

Das Reh wurde sehr betrübt, doch bewog es den Pfau, noch einige Zeit auf der Insel zu bleiben, und sie wohnten vergnügt und sicher beisammen und hatten keinen anderen Kummer, als den Verlust der Ente. Eines Tages sagte das Reh zum Pfau: »Du siehst, daß wir unsern Verlust nur den Menschen zu verdanken haben, die aus dem Schiff gestiegen sind, sei also stets auf deiner Hut gegen ihre List.« Aber der Pfau erwiderte: »Ich weiß ganz bestimmt, daß nur die Vernachlässigung des göttlichen Lobes die Ente ins Verderben gestürzt, denn jedes Geschöpf ist verpflichtet, Gott zu preisen, und wer dies unterläßt, wird dafür bestraft.« Das Reh dankte dem Pfau für diese Ermahnung und fing an, den ganzen Tag den Schöpfer zu loben und immer zu rufen: »Gepriesen sei der Richter, der Herr der Kraft und der Macht!«

Auch erzählt man: Vor alten Zeiten wohnte ein Einsiedler allein auf einem Berg, wo er kein lebendiges Wesen, als ein Paar Tauben, bei sich hatte, mit denen er sehr befreundet war, deren ganze Lebensweise er kannte und deren Lobeserhebungen er deutlich vernahm. Dieser Einsiedler teilte seine Nahrung mit den Tauben, die sich bald vermehrten, weil er oft für die Verbreitung ihrer Nachkommen betete. So lange der Einsiedler lebte, hörten die Tauben nicht auf, Gott zu preisen und zu rufen: »Gepriesen sei der Schöpfer, der jedem Geschöpf seinen Lebensunterhalt angewiesen, gepriesen sei der Erbauer des Himmels und der Gründer der Erde!« Als aber Gott den Einsiedler zu sich nahm und die Tauben nicht mehr an ihr göttliches Lob ermahnt wurden, da hatte auch bald ihr Wohlstand ein Ende, sie wurden getrennt und zerstreut in Städten und Flecken, auf Bergen und in Ebenen.

So wird auch erzählt: Es wohnte einst auf einem Berg ein sehr verständiger, religiöser und tugendhafter Hirt, der von der Milch und Wolle seiner Herde lebte. Der Berg, den er bewohnte, war sehr waldig und beherbergte viele wilde Tiere, doch konnten sie weder dem Hirten, noch seiner Herde etwas zuleide tun; er lebte daher in größter Sicherheit und Sorgenlosigkeit auf diesem Berg, unbekümmert um weltliche Angelegenheiten und bloß in der Verehrung Gottes selig. Einst wurde er sehr krank, so daß er seine Höhle nicht mehr verlassen konnte; seine Herde ging indessen jeden Tag auf die Weide und kehrte abends zur Höhle zurück. Aber Gott wollte den Einsiedler prüfen, er schickte ihm daher einen Engel in der Gestalt einer sehr schönen Frau, die sich zu ihm setzte. Als der Einsiedler sie sah, zitterte sein ganzer Körper und er sagte ihr: »Was ruft dich hierher? Was haben wir miteinander gemein, daß du zu mir kommst?« Sie antwortete: »O Mensch! siehst du nicht, wie reizend und schön ich bin und welchen Wohlduft ich verbreite? Weißt du nicht, wie sehr du einer weiblichen Pflege bedarfst? Warum willst du mich denn verstoßen? Was schadet dir meine Gesellschaft, da mir doch deine Nähe so teuer ist, daß ich dir alles gewähren und gar nichts versagen will? Wir haben ja hier niemanden zu fürchten, wir sind ja allein und du wohnst ja so einsam auf diesem Berg, daß es dir nur erwünscht sein kann, ein weibliches Wesen bei dir zu haben, das dich bedient; du wirst auch sehen, daß du durch meine Nähe gewiß bald wieder gesund wirst, und es tief bereuen, solange abgesondert von Frauenzimmern gelebt zu haben; komm zu mir und folge meinem Rat.« Der Hirt antwortete: »Verlaß mich, du trügerisches Weib! ich mag deine Nähe und deine Liebe nicht; wer sich hier seiner Leidenschaft hingibt, dem bleibt jene Welt verschlossen; nur wer hier allen Freuden entsagt, dem werden die des Paradieses zu teil; wehe dem, der durch deine Nähe in Versuchung kommt und von deinen Liebkosungen sich täuschen läßt.« - Darauf erwiderte der Engel: »O Frauenfeind, der du vom rechten Wege abirrst, sieh mich nur an und ergötze dich an meinen Reizen, wie schon andere weise Männer vor dir getan, die besser und erfahrener als du waren; laß ab von deinem Eigensinn, du wirst es sonst bereuen.« Aber der Hirt versetzte: »Du bist ein trügerisches Weib, ich werde fortleben in meiner Enthaltsamkeit und Gott zu Hilfe rufen gegen jede Gemeinschaft mit dir; wie manchen Frommen magst du schon verführt haben, den dann ewiges Unheil traf. Laß mich also, du verworfenes Weib!« Er warf dann seinen Mantel um sein Gesicht, daß er sie nicht mehr sah, und betete zum Herrn.

Als der Engel die unerschütterliche Frömmigkeit des Hirten sah, zog er sich zurück und stieg wieder in den Himmel. In der Nähe des Einsiedlers war ein Flecken, in welchem auch ein sehr frommer Mann wohnte. Dieser hörte nachts im Traum eine Stimme, welche ihm zurief: »Auf dem Berg in deiner Nähe hält sich ein gottesfürchtiger Einsiedler auf, besuche ihn und tue, was er dir sagt.« Am folgenden Morgen machte er sich auf den Weg, um ihn aufzusuchen; des Mittags ließ er sich unter einem Baum neben einer Wasserquelle nieder, um ein wenig auszuruhen. Da kamen viele wilde Tiere und Vögel, um an der Quelle zu trinken, sie entflohen aber und kehrten wieder um, als sie den frommen Mann sahen. Da dachte er: Mein Aufenthalt hier verscheucht die Tiere und die Vögel, ich will ihnen nicht länger im Wege sein. Er stand daher auf und machte sich Vorwürfe, diese Tiere und Vögel, die doch auch Geschöpfe Gottes, wie er, seien, von der Quelle vertrieben zu haben, und ging gebeugt fort, bis er zum Hirten kam. Dieser bewillkommte und umarmte ihn und fragte, was ihn hierher gebracht, an einen Ort, der von keinem Menschen sonst betreten wird? Der gottesfürchtige Fremde antwortete: »Eine Stimme hat mir im Traume deinen Ort bezeichnet und mir befohlen, zu dir zu wandern und dich zu grüßen.« Der Hirt freute sich mit dem Fremden, nahm ihn gut auf und lebte in seiner Gesellschaft, bis der Tod sie trennte; so belobte ihn Gott für seine Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung.

Der König sagte zu Schehersad: »Diese Erzählung läßt mich alles Unrecht bereuen, das ich in meinem Königreich ausgeübt, und den Tod so vieler Mädchen bereuen; erzähle mir nun wieder etwas von den Vögeln.« Da begann Schehersad: »Ich will dir von der Freundschaft zwischen einem Raben und einer Katze erzählen, woraus man sehen kann, wie ein treues und festes Zusammenhalten gegen jede Gefahr schützt.«

Ein Rabe und eine Katze, welche lange in bestem Einverständnis lebten, unterhielten sich eines Tages unter einem Baum miteinander; da kam auf einmal ein Tiger auf den Baum zu; der Rabe flog gleich auf den Gipfel des Baumes, aber die Katze wußte nicht, wie sich retten. Da fragte sie den Raben, ob er ein Rettungsmittel wisse. Er antwortete: »In der Gefahr kann nur Freundschaft erprobt werden.« Er flog sogleich vom Baum weg auf einen Weideplatz, der in der Nähe war, wo Hirten mit ihren Hunden sich herumtrieben. Er ließ sich auf den Boden nieder, so daß seine Flügel die Erde berührten, und fing an zu schreien und zu lärmen und einem der Hunde die Flügel ins Gesicht zu schlagen und sich dann wieder ein wenig zu erheben. Der Hund folgte ihm, und auch der Hirt, der den Vogel so nieder fliegen sah, kam mit den anderen Hunden nach; so lockte sie der Rabe, immer ganz nahe an der Erde fliegend, bis zu dem Baume hin, wo der Tiger war. Als die Hunde den Tiger sahen, vergaßen sie den Raben und sprangen auf den Tiger los, der die Flucht ergreifen mußte und in seiner Hoffnung, die Katze zu fressen, getäuscht wurde. So wurde die Katze durch die List ihres Freundes, des Raben, gerettet. Du siehst, o König! was wahre Freundschaft vermag.


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