Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Zweiter Band
Gustav Weil

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Geschichte Chalids, des Emirs von Baßrah.

Einst kamen mehrere Leute und schleppten vor Chalid einen jungen, schönen Mann, der sehr vornehm aussah und dessen Benehmen viele Bildung, Würde und Anstand verriet. Chalid fragte sie, was sie von diesem jungen Manne wollten? Sie sagten: »Er ist ein Dieb, den wir gestern in unserem Hause gefangen.« Als Chalid ihn betrachtete und von so feinem und ehrwürdigem Aussehen fand, befahl er ihnen, ihn loszulassen, näherte sich ihm und fragte ihn, ob er wirklich ein Dieb sei? Er antwortete: »Es ist so, wie sie sagen: Ich bin heute ein Dieb gewesen.« - »Und was hat dich dazu bewogen? du bist ja so wohlgestaltet und siehst so vornehm aus?« - »Die Begierde nach Geld und der Ratschluß Gottes, gepriesen sei er!« - »Möchte doch deine Mutter einen solchen Sohn nie geboren haben! dein schönes Gesicht, deine vornehme Erziehung und deine feine Bildung hätten dich doch vom Stehlen abhalten sollen!« - »Laß dies, o Emir! und vollziehe nur das Gebot Gottes, wie ich es verdient habe; denn Gott tut niemand Unrecht.«

Chalid dachte eine Weile über diesen Vorfall nach, dann ließ er den Jüngling nähertreten und sagte: »Dein eigenes Geständnis läßt mich vermuten, daß du kein gewöhnlicher Dieb bist, sondern daß du etwas anderes im Sinne gehabt; erzähle mir nur dein Abenteuer.« Der Jüngling versetzte: »O Emir! laß dir nichts anderes in den Sinn kommen, als was ich dir selbst gestanden; ich weiß nichts zu erzählen, als daß ich in das Haus dieser Männer gegangen bin und Geld gestohlen habe; sie haben mich aber ertappt, mir es wieder weggenommen und mich hierher geführt.« Chalid ließ den Jüngling einsperren und in ganz Baßrah ausrufen: »Wer dem Diebe N. N. die Hand abhauen sehen will, soll sich morgen früh hier einfinden.«

Als der Jüngling in Ketten im Kerker lag, seufzte er und rezitierte folgende Verse:

»Chalid hat mir gedroht, er werde mir die Hand abhauen lassen, wenn ich ihm meine Geschichte nicht erzähle; ich sagte aber: Weit entfernt, daß ich die Liebe bekenne, die mein Herz verbirgt; lieber soll man wegen meines Geständnisses mir die Hand abhauen, wenn nur ihr Ruf rein bleibt.«

Die Wächter, welche diese Verse hörten, gingen zu Chalid und gaben ihm Nachricht davon. Chalid ließ ihn, sobald die Nacht heranbrach, zu sich kommen und fand in seinem Gespräche so viel Geist und Bildung, daß er ihn liebgewann und ihm Speisen reichen ließ. Nachdem er sich eine Weile mit ihm unterhalten hatte, sagte er: »Ich weiß, daß du etwas Anderes, als einen Diebstahl bezwecktest; wenn daher morgen der Richter und das Volk sich versammeln, so leugne den Diebstahl und bringe etwas vor, das die Strafe von dir abwendet, nach dem Willen des Gesandten Gottes, welcher gesagt hat: Wendet in zweifelhaften Fällen die gesetzliche Strafe nicht an!« Hierauf ließ er ihn wieder ins Gefängnis zurückführen.

Am folgenden Morgen versammelten sich alle Leute, um die Hand des Diebes abhauen zu sehen; ganz Baßrah war auf den Beinen, und auch der Emir Chalid erschien zu Pferd mit den angesehensten Männern der Stadt. Dann kamen die Richter, und endlich wurde der Jüngling herbeigeholt, der beschämt den Blick auf seine Fesseln richtete. Niemand blieb ungerührt bei diesem Anblick, und die Frauen erhoben ein lautes Wehegeschrei. Chalid ließ die Frauen zum Schweigen bringen und sagte zum Jüngling: »Diese Leute behaupten, du seiest in ihr Haus gedrungen, um sie zu bestehlen; hast du vielleicht weniger als den vom Gesetz bestimmten Wert gestohlen?« Er antwortete: »Ich habe mehr gestohlen.« - »Du hast vielleicht irgend einen Anteil an dem, was du gestohlen?« - »Nein, ich habe gar kein Recht darauf.« Chalid, über den Eigensinn des Jünglings ergrimmt, schlug ihn mit der Peitsche ins Gesicht, und rezitierte den hierher passenden Vers:

»Der Mensch verlangt, daß seine Wünsche in Erfüllung gehen, aber es wird ihm nur gewährt, was Gott will.«

Er ließ dann einen Metzger rufen, um ihm die Hand abzuschneiden. Dieser hatte schon das Messer ergriffen und die Hand nach dem Jüngling ausgestreckt, als ein schmutzig gekleidetes Mädchen aus den Reihen der Frauen hervortrat und über den Jüngling herfiel; dann entschleierte sie ein Gesicht wie der Mond, und es entstand unter dem Volk ein mächtiger Lärm, der beinahe einem Aufruhr glich. Sie rief dann mit lauter Stimme: »Ich beschwöre dich bei Gott, o Emir! übereile dich nicht mit der Vollstreckung deines Befehls, bis du dieses Briefchen gelesen.« Sie überreichte ihm hierauf ein Briefchen, welches folgende Zeilen enthielt:

»O Chalid! dieser Mann ist ein Sklave seiner Leidenschaft; die Pfeile meiner Blicke haben ihn dahingestreckt, er ist liebeskrank und für sein Übel gibt es kein Heilmittel, ich will gestehen, was er verleugnet, um den Ruf seiner Geliebten zu schonen; laß ab von dem unglücklichen Jüngling, der so edel liebt und kein Dieb ist.«

Als Chalid diesen Brief gelesen hatte, seufzte er, zog sich von seinem Gefolge zurück und ließ das Mädchen zu sich kommen. Auf sein Verlangen erzählte sie ihm, daß dieser Jüngling sie liebe und von ihr wieder geliebt werde, und daß er sie des Nachts besuchen wollte und einen Stein in das Haus warf, um ihr ein Zeichen von seiner Nähe zu geben; »aber das Geschick wollte, daß mein Vater und meine Schwestern hörten, wie der Stein ins Haus fiel und herbeikamen. Als er sie aber kommen hörte, packte er schnell Waren zusammen, um für einen Dieb gehalten zu werden; auch in deiner Gegenwart gab er sich lieber für einen Dieb aus, als mich zu verraten, so groß ist sein Edelmut.« Chalid rief den Jüngling zu sich und küßte ihn, dann ließ er auch den Vater des Mädchens rufen und sagte ihm: »Wir wollten diesem Jüngling die Hand abhauen, aber Gott hat mich davon zurückgehalten; nun schenke ich ihm zehntausend Dinare, weil er seine Hand opfern wollte, um deine und deiner Tochter Ehre zu schonen. Auch deiner Tochter schenke ich zehntausend Dinare und wünsche, daß du sie ihm zur Frau gibst.« - »Dein Wunsch werde erfüllt, o Emir!« rief der Vater des Mädchens: »Ich gebe meine Einwilligung zu dieser Ehe.« Da sagte Chalid zum Jüngling, nachdem er Gott gelobt und eine schöne Anrede gehalten hatte: »Ich gebe dir das hier anwesende Mädchen mit ihrer und ihres Vaters Einwilligung zur Gattin, und schenke ihr zehntausend Dinare als Morgengabe.« Der Jüngling dankte Gott und dem Emir und führte seine Geliebte in sein Haus, und alle Leute gingen freudig auseinander. So war der Anfang dieses Tages traurig, das Ende aber sehr erfreulich.

Sodann erzählte Schehersad die


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