Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Zweiter Band
Gustav Weil

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Sklavin Harun Arraschids.

Harun Arraschid ging einst am Gemache einer seiner Sklavinnen vorüber, mit der er schon lange entzweit war. Sie war vom Weine erhitzt und hatte einen langen Mantel an, den sie selbstgefällig nachschleppte. Raschid trat zu ihr und wollte sie umarmen. Sie aber sagte: »O Fürst der Gläubigen, du hast mich schon so lange verstoßen, daß ich mich nicht mehr auf deinen Besuch vorbereitete. Warte also bis morgen, da will ich mich gehörig schmücken und zu dir kommen.« Am folgenden Morgen gab der Kalif den Befehl, daß man niemanden zu ihm lasse, und erwartete die Sklavin. Da sie aber nicht kam, ging er zu ihr und fragte sie, warum sie ihr Versprechen nicht gehalten? Sie antwortete: »O Fürst der Gläubigen, der Tag löscht die Worte der Nacht wieder aus.« Der Kalif verließ sie und ließ die Dichter, welche im Vorsaale harrten, hereinrufen; sie hießen: Rakaschi, Mußab und Abu Nuwas. Raschid erzählte ihnen sein Abenteuer und befahl ihnen, Verse zu dichten mit dem Schlußverse: Der Tag löscht die Worte der Nacht aus. Da sagte Rakaschi:

»Wie wolltest du sie vergessen, wenn dein Herz ihr stets entgegenschlägt? Ein Mädchen, das niemanden besucht und von niemanden besucht werden will, ließ dich vor Liebe rasen, als du sie besuchtest, und als du wiederkamst, sagte sie: der Tag löscht die Worte der Nacht aus.«

Mußab sprach dann folgende Verse:

»Bei Gott, liebtest du wie ich, so wäre in Bagdad kein Haus mehr weit genug. Seht, wie meine Augen triefen und wie bei ihrer Erwähnung eine brennende Flamme mich durchglüht. Wo bleibt euer Versprechen, meine Herrin? Sie aber antwortete: Der Tag löscht die Worte der Nacht aus.«

Dann sprach Abu Nuwas:

»Eine Nacht saß sie, vom Weine gerötet, doch voller Würde, im Schlosse, ein Mantel umhüllte ihre Schultern und ein Zephyr umwehte einen schmiegsamen Zweig, der kleine Granatäpfel trug; da sagtest du ihr: Gewähre mir doch eine Zusammenkunft! Besuche mich morgen, entgegnete sie; als du aber erschienst, sagte sie: Der Tag löscht die Worte der Nacht aus.«

Raschid sagte: »Gott verdamme dich, Abu Nuwas! Man glaubt ja, du wärest zugegen gewesen.« Er ließ jedem fünftausend Drachmen geben, Abu Nuwas aber zehntausend und noch ein kostbares Ehrenkleid.

Dann fuhr Schehersad fort:


 << zurück weiter >>