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Der Rollstuhl, in dem der alte Lyne tot aufgefunden worden war, stand unter der Treppe. Zu Dicks Erstaunen gab Surefoot Anweisung, ihn in das Arbeitszimmer zu bringen.
Der Chefinspektor hatte dauernd das unangenehme Gefühl gehabt, daß er sich nicht genügend um den Stuhl gekümmert hatte. Die vielen Mitteilungen, die er in den letzten Tagen bekommen hatte, machten es notwendig, sich noch einmal eingehend mit diesem Möbelstück zu beschäftigen.
Direkt gegenüber der Tür des Arbeitszimmers war in der Wand eine Nische eingelassen, und Surefoot erkannte nun, daß sie einem besonderen Zweck diente. Lyne hatte anscheinend die Gewohnheit gehabt, sich in seinem Arbeitszimmer in den Rollstuhl zu setzen. An dem Türrahmen befanden sich verschiedene Kratzer in Höhe der Radnaben. Die Nische war so angeordnet, daß man den Stuhl an der Stelle leicht wenden konnte, und es machte keine Schwierigkeiten, ihn in das Arbeitszimmer hinein- oder herauszubringen.
Surefoot ließ einen der Polizeibeamten in dem Stuhl Platz nehmen und machte sich selbst die Mühe, ihn auf die Straße hinauszufahren. Der Gang war nicht sehr breit, und auch die Haustür ließ auf beiden Seiten nur einen verhältnismäßig schmalen Raum frei. Hier konnte man ebenfalls Kratzer und Spuren von den Radnaben erkennen.
Surefoot erfuhr nicht viel Neues durch dieses Experiment; er ließ den Stuhl wieder unter die Treppe bringen und setzte seine Nachforschungen im Hause weiter fort.
»Was wollen Sie denn finden?« fragte Dick.
»Binny«, entgegnete der Chefinspektor kurz. »Der Kerl ist kein Dummkopf. Er muß hier irgendwo ein Versteck haben. Wenn ich nur wüßte, wo!« Smith sah auf die Uhr. »Ist es möglich, daß Miss Lane hierherkommen könnte?«
Dick Allenby fuhr mit einem Taxi zu ihrem Hotel. Er wußte allerdings nicht, ob sie nach den Aufregungen der letzten Nacht imstande war, ihn in das Haus ihres Vormunds zu begleiten. Aber er fand sie frisch. Sie fragte ihn sofort nach Binny.
»Wir haben ihn nicht gefunden«, erwiderte er. »Ich habe große Sorge um dich, Mary. Dieser Verbrecher schreckt vor nichts zurück.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich glaube nicht, daß er mich noch einmal belästigen wird.«
»Wie erfuhr er denn überhaupt, daß du ihm nachspioniertest?«
»Das merkte er wohl, als ich ihn nach Nordengland schickte. Der Plan war vielleicht etwas ungeschickt. Ich habe seine Intelligenz unterschätzt. Ich glaube sogar, er ist mir gefolgt, als ich die einzelnen Kaufleute aufsuchte. Einmal kam es mir so vor, als ob ich ihn gesehen hätte. Das war an dem Tag, an dem ich in Maidstone war.«
Mary fuhr mit Dick zum Naylors Crescent. Surefoot befand sich gerade auf dem kleinen Hof auf der Rückseite des Hauses, und sie ging mit Dick in die Küche. Schaudernd dachte sie an ihren letzten mitternächtlichen Besuch. Selbst jetzt, bei hellem Tageslicht, hatte der Raum etwas Unangenehmes und Abstoßendes für sie. Die Tür des Schranks stand weit offen, ebenso die Tür, zu der der leuchtende Schlüssel gehörte. Die Küche und die danebenliegende Anrichte erschienen ihr erstaunlich klein. Aber sie erklärte sich das damit, daß ihr in ihrer frühen Jugend wohl unwillkürlich alle Dinge und Räume größer vorgekommen waren.
Surefoot trat gleichfalls in die Küche, als Mary sich dort umschaute, und begrüßte sie.
»Können Sie sich auf diesen Raum noch genau besinnen, Miss Lane?« fragte er.
»Ja.« Sie zeigte auf die weißen Kacheln. »Die sind allerdings erst nach meiner Zeit angebracht worden.«
Sie hatte den ungewissen Eindruck, daß sich auch sonst noch etwas verändert hatte, wußte aber nicht was. Und weil sie keine genauen Angaben über ihre Vermutung machen konnte, schwieg sie darüber.
»Wissen Sie, was das ist?« fragte Smith plötzlich. Er hatte in der Schublade des Küchentisches ein merkwürdiges Instrument gefunden. Es glich beinahe einer kleinen Gartenspritze, nur war das untere Ende ein Saugnapf aus Gummi.
»Eine Vakuumpumpe«, sagte Dick.
Smith drückte den Saugnapf auf den Tisch, setzte die Pumpe in Bewegung und hob den Tisch mit dem Apparat an der einen Seite an. »Miss Lane, haben Sie das Ding schon früher gesehen? Wissen Sie, wozu es benutzt wurde?«
Sie schüttelte den Kopf.
Surefoot hatte auch noch einen kleinen Topf mit dunkelgrüner Ölfarbe und ein Paket Fensterkitt entdeckt.
»Das sah ich schon das letzte Mal. Wissen Sie, wozu es benutzt wurde?«
Er winkte Mary, und sie folgte ihm in den dunklen Gang. Die elektrische Birne an der Decke gab nur wenig Licht, und Surefoot nahm seine Taschenlampe, ging zu der Tür und leuchtete das dicke Eichenpaneel ab.
»Sehen Sie einmal hierher«, sagte er dann zu ihr.
Sie bemerkte eine runde Vertiefung, die mit Kitt ausgefüllt und kürzlich mit Ölfarbe überstrichen worden war.
»Was ist das?« fragte sie erstaunt.
»Das ist die Stelle, an der das Geschoß einschlug, die Kugel, mit der Hervey Lyne getötet wurde. Er ist hier in diesem Gang ermordet worden.«