Edgar Wallace
Der leuchtende Schlüssel
Edgar Wallace

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22

»Der Geruch kommt hier aus dem nächsten Zimmer.«

Surefoot kniete nieder und drückte das Gesicht auf den Fußboden. Der Gasgeruch war sehr stark. Die Tür ließ sich nicht öffnen, da sie von innen zugeschlossen war. Auf wiederholtes Klopfen erhielt Smith keine Antwort. Entschlossen trat er ein paar Schritte zurück und warf sich dann mit voller Wucht gegen die Tür. Krachend flog sie auf, und er fiel der Länge nach in das Zimmer. Es war so von Gas erfüllt, daß er nicht atmen konnte. Er taumelte zurück, lief in Marys Zimmer, feuchtete ein Handtuch an und preßte es auf den Mund. Dann eilte er in den nächsten Raum, und nachdem er das Fenster aufgerissen hatte, hob er den Mann auf, der auf dem Bett lag, und schleppte ihn in den Gang.

Einen Augenblick sah er in das gerötete Gesicht und erkannte zu seinem Erstaunen Leo Moran. Das ganze Hotel war jetzt auf den Beinen. Ein Arzt, der auf demselben Korridor wohnte, kam im Pyjama heraus und leistete die Erste Hilfe, während Surefoot in das Zimmer zurückging.

Er bemerkte, daß immer noch Gas aus dem Ofen strömte, drehte den Hahn ab und öffnete das Fenster noch weiter. Dabei entdeckte er, daß diese Tragödie sehr gut vorbereitet worden war. Alle Fensterritzen waren mit Isolierband zugeklebt, sogar das Schlüsselloch. Der Spalt in der Tür zum Badezimmer war mit einem Handtuch zugesteckt. In der Nähe des Bettes stand ein Glas auf dem Schreibtisch, das noch halb mit Whisky gefüllt war. Moran hatte vorher anscheinend geschrieben. Surefoot nahm den angefangenen Brief, der an den Generaldirektor von Morans Bank gerichtet war.

Sehr geehrter Herr,

ich teile Ihnen mit, daß ich wieder nach London zurückgekehrt bin. Aus Gründen, die ich Ihnen persönlich auseinandersetzen werde, wohne ich unter angenommenem Namen im Hotel. Ich hoffe, daß diese Erklärungen Ihnen genügen werden . . .

Hier endete der Brief mit einem merkwürdigen Strich, als ob Moran plötzlich von einem Unwohlsein befallen worden wäre.

Es lag auch ein großer, mit Maschine beschriebener Aktenbogen auf dem Tisch, aber Smith entdeckte ihn nicht gleich.

Der Chefinspektor schaute sich im Zimmer um. Zuerst fiel ihm auf, daß die Tür des großen Kleiderschranks weit offenstand. Er sah hinein – der Schrank war leer, auf dem Boden waren zwei schmutzige Fußspuren, unverkennbar Abdrücke von Gummischuhen. Hier hatte sich also jemand versteckt. Draußen regnete es stark, und die Fußabdrücke waren noch naß.

Smith trat in den Korridor hinaus und sah, daß Moran in ein anderes Zimmer getragen worden war. Der Arzt und der Portier bemühten sich, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Surefoot ging zurück, und nun bemerkte er den Aktenbogen, der oben auf dem Stapel anderer Papiere lag. Als er ihn aufgenommen und den Anfang gelesen hatte, setzte er sich schwer in einen Stuhl, denn dieses Schriftstück war ein Mordgeständnis.

Ich, Leopold Moran, stehe im Begriff, aus der Welt zu scheiden. Aber bevor ich gehe, möchte ich ein Geständnis ablegen über drei Morde. Das erste meiner Opfer war ein gewisser Tickler.

Er hatte entdeckt, daß ich die Bank schädigte und beraubte, und erpreßte mich infolgedessen seit vielen Monaten. Er wußte, daß ich unter dem Namen Washington Wirth Gesellschaften gab und daß ich mich in dem Zimmer über einer Garage umzukleiden pflegte. Dort überraschte er mich und verlangte von mir tausend Pfund. Ich gab ihm hundert einzelne Banknoten zu je einem Pfund und überredete ihn dann, mit mir nach West End zu fahren, und zwar in einem Taxi, das in einer Nebenstraße stand. Als er einstieg, erschoß ich ihn, schloß die Tür und fuhr nach Regent Street, wo ich den Wagen an einem Parkplatz stehenließ.

Am nächsten Tage hatte ich eine Unterredung mit Hervey Lyne, der argwöhnisch wurde. Ich hatte nämlich seinen Namen gefälscht, wodurch ich große Summen von seinem Konto abheben konnte.

Er ließ mich in seine Wohnung kommen, und ich wußte, daß er mein Spiel durchschaut hatte. Vergeblich versuchte ich, seinen Diener Binny zu bestechen. Er sollte mir helfen, den Alten zu beschwindeln. Aber der Mann war entweder zu ehrenhaft oder zu dumm, um auf meinen Plan einzugehen. Binny ist einer der ehrlichsten Menschen, die ich jemals getroffen habe. Meiner Meinung nach war es töricht von ihm, daß er mich nicht unterstützte.

Ich wußte, daß Hervey Lyne sich jeden Nachmittag in den Regent's Park fahren ließ, und zwar immer an einen bestimmten Platz, den ich von meiner Wohnung aus sehen konnte. An dem betreffenden Nachmittag war ich so verzweifelt und in die Enge getrieben, daß ich ihn von meinem Fenster aus mit einem Gewehr erschoß. Ich hatte einen Schalldämpfer daran befestigt. Zufällig machte auch ein gerade vorüberfahrendes Auto großen Lärm. Später schickte ich unter meinem eigenen Namen einen Mann nach Deutschland, blieb aber selbst in London.

Ich fürchtete mich vor Hennessey, der mich auch erpreßte, und ich mußte ihn unter allen Umständen zum Schweigen bringen. Deshalb fuhr ich in einem Auto mit ihm nach Colnbrook und erschoß ihn im Wagen. Vorher erzählte er mir noch, daß Miss Lane im Besitz der falschen Bankabrechnung sei, die ich ihm übergeben hatte. Am Abend brach ich in ihre Wohnung ein und durchsuchte sie, fand aber nicht, was ich haben wollte.

Alles, was ich hier geschrieben habe, ist wahr. Ich bin lebensmüde, scheide aber ohne Reue.

Leo Moran

Surefoot las das Geständnis sorgfältig durch und suchte das Zimmer dann nach Gummischuhen ab, konnte aber keine entdecken. Er fand Mary Lane vollkommen angekleidet in ihrem Zimmer.

»Haben Sie nicht das Gesicht des Mannes gesehen, der bei Ihnen eindringen wollte?« fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Haben Sie ihn sonstwie erkannt?«

Sie erzählte ihm von ihrer Vermutung.

Soweit er die Sache beurteilen konnte, war zwischen dem Auftauchen des geheimnisvollen Mannes und seiner eigenen Ankunft eine Viertelstunde vergangen. Diese Zeit genügte für Moran, sich im Zimmer einzuschließen. Smith dachte gerade darüber nach, als er etwas Glänzendes auf dem Boden sah. Er bückte sich und hob einen Schlüssel auf, der in der Nähe des offenen Fensters lag. Dann ging er in Morans Zimmer zurück, riß das Klebepflaster über dem Schlüsselloch ab, steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn um. Nun hatte er keinen Zweifel mehr.

Moran war noch bewußtlos, aber der Arzt erklärte, daß er außer Gefahr sei. Surefoot hatte telefonisch zwei Detektive ins Hotel bestellt, ließ den Bankdirektor unter ihrer Bewachung zurück und ging zum Scotland Yard.

Mitten in der Nacht wurden drei der höchsten Polizeibeamten aus ihren Betten geholt und zu einer dringenden Konferenz nach Scotland Yard gerufen. Surefoot zeigte ihnen das Geständnis.

»Dann ist ja alles sonnenklar«, erklärte sein direkter Vorgesetzter. »Sobald er wieder zu Bewußtsein gekommen ist, lassen Sie ihn ins Gefängnis überführen und erheben Anklage gegen ihn.«

Surefoot schwieg einen Augenblick und warf einen prüfenden Blick auf das Schriftstück.

»Das Geständnis ist aber nicht im Hotelzimmer geschrieben worden«, sagte er. »Es müßte denn sein, daß eine unsichtbare Schreibmaschine dort untergebracht wäre. Ich habe jedenfalls keine gesehen. Die Tür war von innen verschlossen, und ich fand den Zimmerschlüssel in Miss Lanes Zimmer auf dem Boden. Weiterhin habe ich entdeckt, daß das Klebepflaster, das die Ritzen der Balkontür abdichtete, von außen angebracht war. Da hat der Täter einen Fehler begangen.«

Smith nahm eine Flasche mit einer hellgelben Flüssigkeit aus der Tasche.

»Hier ist der Whisky, den ich auf dem Schreibtisch fand. Er muß untersucht werden.«

»Wie war Moran denn gekleidet, als Sie ihn fanden?« fragte einer der Chefinspektoren.

»Er war vollkommen angekleidet und trug auch Schuhe. Aber merkwürdigerweise lag er mit den Füßen auf dem Kissen. In dieser Lage würde ich jedenfalls nicht Selbstmord begehen. Es ist alles sehr sonderbar!«

Sein Vorgesetzter richtete sich im Stuhl auf: »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«

Surefoot überlegte eine Weile.

»Moran war am Abend noch ausgegangen. Der Portier sah ihn dann zurückkommen, und zwar eine Stunde, bevor ich ihn in seinem Zimmer fand. Whisky und Soda waren ihm nach oben gebracht worden, der Whisky in einem Glas, die Sodaflasche war verschlossen. Er hatte das Getränk eine Stunde vorher bestellt. Ich habe die Schriftstücke durchgesehen, die auf dem Schreibtisch lagen, und aus allem die Überzeugung gewonnen, daß Moran nicht die Absicht hatte, Selbstmord zu begehen. Er war nach London zurückgekommen, um die Cassari-Aktien zu kaufen, die am Londoner Markt noch zu haben waren. Außerdem hatte er den festen Auftrag, in London ein Büro der Cassari-Petroleum-Gesellschaft zu eröffnen. Er wollte keinerlei Aufsehen erregen, da sonst vielleicht seine Absicht durchkreuzt worden wäre, die Petroleumaktien zu kaufen. Ich habe das alles aus einem Brief ersehen, den er einem Türken nach Konstantinopel geschrieben hat. Ich nahm mir die Freiheit, ihn zu öffnen. Obendrein wollte Moran morgen den Generaldirektor seiner Bank aufsuchen – das sieht nicht nach Selbstmord aus.«

»Aber wie erklären Sie sich denn dann die ganze Sache?«

»In Morans Abwesenheit ist jemand in sein Zimmer eingedrungen. Das war verhältnismäßig leicht, denn auf der Etage liegen zwei unbewohnte Zimmer, die ebenfalls einen Ausgang auf den langen Balkon an der Vorderseite des Hauses haben. Der Eindringling hat ein Betäubungsmittel in den Whisky gegossen und sich dann im Kleiderschrank versteckt. Als Moran den Whisky getrunken und die Besinnung verloren hatte, trat der andere aus dem Versteck hervor, hob Moran auf und legte ihn aufs Bett. Er verklebte alle Ritzen an Tür und Fenstern und drehte den Gashahn auf. Dann verließ er das Zimmer durch die Glastür, ging auf den Balkon, verklebte auch die Glastür noch von außen und kam in Miss Lanes Zimmer. Wahrscheinlich hat er die Türen auf dem Balkon verwechselt. In ihrem Zimmer hat er dann auch Morans Schlüssel verloren. Auf dem Korridor bemerkte er wohl den Verlust und wollte in Miss Lanes Zimmer zurückkehren. Sie wachte aber auf, und ihr Schrei verscheuchte ihn.«

»Aber wie konnte der Mann das Hotel verlassen, ohne daß ihn der Nachtportier sah?«

Surefoot lächelte mitleidig. »Es gibt drei Ausgänge. Am leichtesten war es für ihn, die Gesindetreppe zu benutzen und das Hotel durch die Küche zu verlassen.«

Surefoot unterstrich mit einem Bleistift ein paar Zeilen des Geständnisses.

»Sehen Sie einmal, wie sehr er Binny herausstreicht und lobt. Das ist doch sehr verfänglich. Jedes Kind muß ja merken, daß Binny dieses Schriftstück verfaßt hat!«

»Was – der Butler des verstorbenen Mr. Lyne?«

Surefoot nickte.

»Ich kenne ihn noch unter verschiedenen anderen Namen. In London war er zum Beispiel als Mr. Washington Wirth bekannt. Er ist der gesuchte Mörder.«


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