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Schließlich fand Dick seine Sprache wieder.
»Verdammt . . .«
Wer konnte das Modell gestohlen haben? Er war so außer Fassung, daß er im Augenblick nicht einmal ärgerlich war. Rasch ging er wieder zur Tür, betrachtete den Schlüssel, der darin steckte, und zog ihn mit einer starken Zange heraus. Das Stück war ziemlich roh gearbeitet und schlecht zurechtgefeilt; aber schließlich hatte es doch genügt, die Tür zu öffnen. Erst als der unbekannte Täter die Tür wieder schließen wollte, hatte es sich verklemmt.
Dick trat zu der Werkbank, auf der der Stahlkasten mit der Luftpistole gestanden hatte, und lachte nervös auf.
»Dieser gemeine Kerl!«
»Es ist ein schwerer Verlust für Sie, nicht wahr?« fragte Moran. Dick schüttelte den Kopf.
»Nein, das nicht. Alle Pläne und Details sind in den Händen der Firma, die das Modell hergestellt hat, und glücklicherweise habe ich die Hauptsachen vor einigen Tagen patentieren lassen. Aber ich möchte gern wissen, wer das getan hat. Wenn der Mensch nicht mit der Waffe umgehen kann und sich nicht sehr in acht nimmt, schießt er sich selbst oder einen andern über den Haufen. Vermutlich hat er doch keine Ahnung, wie man die Pistole entladen muß.«
Er nahm einen Stuhl, setzte sich und lud auch Moran ein, Platz zu nehmen.
»Ich glaube, wir müssen das sofort der Polizei melden. Wenn Surefoot Smith noch im Büro ist . . .«
Er schlug in seinem Notizbuch nach und wählte eine Nummer am Telefon. Nach einer längeren Auseinandersetzung mit der Zentrale im Polizeipräsidium wurde er schließlich mit dem Chefinspektor verbunden und erklärte ihm in kurzen Worten, was geschehen war.
»Ich komme sofort zu Ihnen. Vermissen Sie sonst noch etwas?«
»Nein – das Bier ist noch hier.«
Als Dick eingehängt hatte, ging er in die kleine Vorratskammer und zog eine Bierkiste heraus.
»Der verdammte Surefoot freut sich noch, daß man mir die Luftpistole gestohlen hat, der kann ja die Wissenschaft nicht leiden. Aber machen Sie nur nicht ein so verächtliches Gesicht, Moran – Surefoot ist schlau. Gewöhnlich nimmt man an, daß Biertrinken die Menschen dumm macht. Wie klug müßte Surefoot erst sein, wenn er kein Bier tränke! Sie haben ihn wohl nicht besonders gern?«
»Ich könnte nicht gerade sagen, daß ich große Zuneigung für ihn verspüre«, entgegnete Moran und sah auf die Uhr. »Sie haben wirklich Pech. War das Modell denn versichert?«
»Könnte ein Bankmann anders fragen? Nein, es ist nicht versichert. Eigentlich ist mir noch nie zum Bewußtsein gekommen, daß ich ein Erfindergenie bin, aber nach den letzten Ereignissen scheint es tatsächlich der Fall zu sein. Dieser Diebstahl könnte in einem Kriminalfilm vorkommen. Mir ist jetzt ganz klar, wie sich die Sache abgespielt hat. Der Einbrecher hat sich im Nebel hergeschlichen, und um unbemerkt zu bleiben, hat er die Birne in der Liftkabine herausgeschraubt. Der Fahrstuhl ist nämlich nur durch ein verschiebbares Gitter nach außen hin abgeschlossen. Wahrscheinlich hatte der Mann ein Auto vor der Tür geparkt, mit dem er sich nach geglückter Tat aus dem Staube machte. Am Ende sind wir ihm noch in der Nähe der Haustür begegnet!«
»Wer wußte denn überhaupt, daß Sie das Modell hier aufbewahrten?«
Dick dachte eine Weile nach.
»Mary wußte es – Jerry Dornford wußte es auch . . .« Leo Moran schüttelte den Kopf.
»Jerry hätte nicht die Energie, so etwas zu tun. Außerdem wüßte er ja gar nicht, wo er das Ding zu Geld machen . . .« Er brach plötzlich ab. »Ich sah ihn doch neulich im Snells-Club mit diesem verdammten Jules – dieser Bursche soll doch die Hand im Spiel gehabt haben, als die französischen Mobilmachungspläne gestohlen wurden.«
Dick zögerte, griff dann nach dem Telefonbuch und suchte eine Nummer. Er wählte, die Leitung war aber besetzt. Fünf Minuten später versuchte er es noch einmal, und nun meldete sich Jerry.
»Hallo, Dornford, haben Sie meine Pistole genommen?« fragte Dick geradezu.
»Was soll ich genommen haben?« erwiderte Jerry, ohne die Ruhe zu verlieren und sich im geringsten verblüffen zu lassen.
»Jemand will Sie gesehen haben, als Sie heute abend mit einem großen Paket unter dem Arm aus meinem Haus gingen.«
»Ich bin nicht in Ihrem Haus gewesen, und ich werde es auch nicht mehr betreten, da Sie so ruppig zu mir waren!«
Klick!
Jerry hatte aufgelegt.
»Ich möchte wirklich wissen, ob er etwas damit zu tun hat«, meinte Dick und runzelte die Stirn. »Eigentlich traue ich es ihm nicht recht zu.«
»Könnte es nicht der deutsche Ingenieur gewesen sein?«
»Unsinn! Der hätte mir sofort einen Scheck ausgeschrieben, wenn ich gewollt hätte. Nein, der kommt überhaupt nicht in Frage. Aber wir wollen unserem guten Freund Smith nicht vorgreifen.«
»Sie wollen ihm allein die Untersuchung der Angelegenheit überlassen?« fragte Moran und knöpfte den Mantel zu. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Sie halten doch Ihr Versprechen, meine Briefe abzuholen? Wenn ich abreise, schicke ich Ihnen den Schlüssel in einem Brief.«
»Wohin gehen Sie jetzt?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
Dick blieb allein in seiner Werkstatt zurück und sah auf die leere Bank. Nun kam ihm endlich zum Bewußtsein, wie groß sein Verlust war. Niemals hätte er erwartet, daß ihm jemand das Modell stehlen würde. Aber er war durchaus nicht niedergeschlagen.
Es kam ihm der Gedanke, Mary anzuläuten, er überlegte es sich aber dann anders. Es hatte keinen Zweck, ihr durch die böse Nachricht den Abend zu verderben. Besser war es, wenn er mit der Arbeit von vorn begann. Er setzte sich ans Zeichenbrett, machte einen neuen Plan, und merkwürdigerweise fiel ihm gleich eine Verbesserung des alten Modells ein.
Kurze Zeit später erschien Surefoot Smith. Er hörte Dicks Bericht, betrachtete den Schlüssel, schien sich aber mehr für die Durchschlagskraft der Luftpistole zu interessieren als für andere Dinge.
»Es ist kein außergewöhnlicher Fall«, sagte er schließlich, als Dick ihm erklärte, wie der Diebstahl geschehen sein mußte. »Im Laufe eines Jahres werden Dutzende von Modellen gestohlen.«
Er ging in dem Zimmer umher und erzählte Dick dann, was er entdeckt hatte.
»Der Mann, der die Pistole genommen hat, war größer als Sie.« Er zeigte auf eine Werkbank in der Nähe der Tür, auf der verschiedene Dinge unordentlich durcheinanderlagen. »Dort hat er den Stahlkasten niedergesetzt, während er sich mit dem Schloß an der Tür zu schaffen machte. Sie sehen, daß die Bank bedeutend höher ist als diese hier. Er trug Handschuhe, denn er mußte diesen Zylinder anfassen, und es sind keine Fingerabdrücke darauf. Wer war denn in der letzten Zeit bei Ihnen?«
Dick sagte es ihm.
»So, Mr. Dornford? Aber ich glaube, der kommt nicht in Betracht, weil er nicht den nötigen Mut dazu hat. Früher kam ich einmal mit ihm in Konflikt, weil er einen kleinen Spielklub im Westen aufgemacht hatte. Ich könnte ihn ja aufsuchen, aber ich glaube nicht, daß viel dabei herauskommt. Und ich halte es auch kaum der Mühe wert, ihn beobachten zu lassen. Wollen Sie die Sache durch die Presse bekanntgeben? Sicher würden die Zeitungsleute die Geschichte gern aufgreifen und in großer Aufmachung herausbringen.«
»Nein, so verrückt bin ich nicht.«
»Gut, das ist klug von Ihnen.«
»Bedenken Sie aber, daß die Waffe geladen war!«
Smith schien das wenig zu kümmern.
»Wenn jemand erschossen wird, erfahren wir es bald und können auch den Täter fassen. Daraus ergibt sich dann wahrscheinlich auch eine Aufklärung des Diebstahls.«
Der Chefinspektor interessierte sich anschließend mehr für die Ermordung Ticklers als für den Diebstahl. »Die ganze Sache ist mir ein Rätsel. Diesen sonderbaren Mord kann ich nicht verstehen. Daß Leute im Auto erschossen werden, kennt man bis jetzt nur in Amerika, und es wäre schlimm, wenn diese Unsitte auch auf England übergriffe.«
Smith verabschiedete sich wieder von Dick. Er hatte Scotland Yard nur ungern verlassen, denn John Kelly, der Chef des Geheimdienstes der Chikagoer Polizei, war zur Zeit in London. Dieser bedeutende Detektiv hatte den jüngeren Beamten gerade einen Vortrag über seine Erfahrungen mit Alkoholschmugglern gehalten, als Smith abgerufen wurde. Anschließend hätte Surefoot mit dem Amerikaner gern über die Ermordung Ticklers gesprochen. Da er nun in der nebligen Nacht sowieso unterwegs sein mußte, entschloß er sich, noch den Polizisten zu verhören, der Tickler kurz vor dessen Ermordung gesehen hatte. Bevor er von Scotland Yard fortgegangen war, hatte er angeordnet, den Beamten in die Polizeistation Marylebone Road zu bringen. Als er dort ankam, fand er ihn auch vor. Der Mann war in Zivil und glücklich, daß er mit einem so hohen Beamten sprechen durfte.
Smith ließ sich von ihm erzählen, wie Tickler auf der Haupttreppe saß und auf den Lärm lauschte, den der Betrunkene oben in der Wohnung machte.
»Es ist merkwürdig, daß ich das zuerst in meinem Bericht vergessen hatte. Aber als ich mich heute morgen rasierte, dachte ich –«
»Das ist nicht merkwürdig, sondern einfach eine Katastrophe. Wenn Sie ein Karnickel in Polizeiuniform gewesen wären, hätten Sie sofort daran gedacht, diese Tatsache Ihrem Vorgesetzten zu melden. Ein armes, harmloses Karnickel mit langen Ohren wäre gleich zu seinem Sergeanten gegangen und hätte gesagt: ›So und so. Dies und das.‹ Und wenn schon ein dummes Karnickel das tun kann, warum haben Sie es dann nicht getan? Erzählen Sie mir nur nicht noch einmal, daß Sie angefangen haben zu denken. Ich dispensiere Sie nicht vom Dienst, weil das einer anderen Abteilung zusteht, in der ich nichts zu sagen habe. Früher war ich auch einmal bei der uniformierten Abteilung, aber damals hatten die Polizisten wenigstens noch Grütze im Kopf.«