Edgar Wallace
Der leuchtende Schlüssel
Edgar Wallace

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13

Der Krankenwagen war gekommen und wieder fortgefahren, und nun saßen vier Herren in dem Arbeitszimmer des Ermordeten: Surefoot Smith, Dick Allenby, Binny und der Polizeiinspektor des Bezirks.

Smith wandte sich an den Butler, der vollständig verstört mit aschgrauem Gesicht auf seinem Stuhl hockte.

»Erzählen Sie uns, was sich zugetragen hat.«

Binny schüttelte den Kopf.

»Ich weiß es nicht . . . es ist doch entsetzlich, daß er so ums Leben kommen mußte . . .«

»Hat Mr. Lyne heute Besuch empfangen?«

Binny schüttelte den Kopf.

»Es ist niemand im Haus gewesen, soviel ich weiß.«

»Wo war Mr. Lyne um ein Uhr?«

»Hier in seinem Zimmer. Er saß in dem Stuhl, in dem Sie jetzt sitzen, und schrieb etwas. Als ich näher trat, deckte er das Blatt mit der Hand zu, und ich konnte infolgedessen nicht sehen, was es war.«

»Wahrscheinlich war es der Brief an Miss Lame«, meinte der Detektiv. »Schrieb er öfter solche Mitteilungen?«

»Nein.«

»Brachten nicht Sie seine Briefe fort?«

»Nicht immer. Der arme Mr. Lyne war sehr mißtrauisch. Er konnte nur noch schlecht sehen und hatte immer die Vorstellung, daß Leute an der Tür lauschten oder seine Briefe lasen. Er rief gewöhnlich jemand von der Straße, um die Briefe zu bestellen, die er geschrieben hatte. Aber das kam nicht häufig vor.«

»Wer hat ihn in der letzten Zeit besucht?«

»Mr. Dornford war gestern abend hier, und sie hatten eine ziemlich scharfe Auseinandersetzung. Soweit ich es beurteilen kann, handelte es sich um Geld.«

»Gerieten sie ernstlich aneinander?« fragte Smith.

Binny nickte.

»Mr. Lyne hat mich aufgefordert, Mr. Dornford hinauszuwerfen. Aber er war in dieser Beziehung immer etwas heftig.«

Surefoot Smith machte sich eine Notiz.

»Wer war sonst noch hier?«

Binny machte ein ernstes Gesicht.

»Vor zwei Tagen war Mr. Moran hier. Er kam, um mit Mr. Lyne über Bankangelegenheiten zu sprechen. Außerdem war Miss Lane hier. Ich glaube, das waren alle. Wir hatten im allgemeinen nur wenig Besuch.«

Smith notierte sich alles Wichtige in einer eigentümlichen Stenographie.

»Nun erzählen Sie uns mal, was heute geschah. Fuhren Sie Mr. Lyne gewöhnlich am Nachmittag aus?«

»Ja. Aber gegen Mittag sagte er, daß er nicht ausfahren wollte, weil er um drei Uhr Besuch bekäme. Um zwei änderte er aber seine Absicht wieder. Ich fuhr ihn in den Park, setzte mich neben ihn und las ihm die Verhandlungen vor dem Polizeigericht vor.«

»Hat Mr. Lyne etwas gesagt, als er im Park war?«

»Nichts Besonderes. Als wir eine Viertelstunde dort waren, sagte er, ich solle seinen Rockkragen hochklappen, weil es ihm zog. Ich las dann weiter, bis ich glaubte, er wäre eingeschlafen.«

»Haben Sie kein auffallendes Geräusch gehört?«

Binny dachte einen Augenblick nach.

»Doch. Ein Auto fuhr vorüber.«

Smith und Dick hatten bis jetzt vergessen, daß Dornford an ihnen vorbeigefahren war, und warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu.

»Haben Sie denn keinen Schuß gehört?«

Binny schüttelte den Kopf.

»Nein. Außer dem Auto habe ich nichts gehört.«

»Hat Mr. Lyne irgendwann gesprochen, vielleicht gestöhnt oder sich bewegt?«

»Nein.«

Surefoot stützte die Ellbogen auf den Tisch.

»Nun noch eine Frage. Wann hat Mr. Lyne zum letzten Mal mit Ihnen geredet, bevor wir ihn tot auffanden?«

Binny dachte nach.

»Es muß ungefähr zehn Minuten vorher gewesen sein. Ein Parkwächter kam vorbei und sagte guten Tag zu ihm. Als er nicht antwortete, glaubte ich, er sei eingeschlafen, und hörte auf zu lesen.«

»Nun zeigen Sie mir einmal das Haus«, bat Smith und erhob sich.

Binny ging voraus und führte die anderen zuerst in die Küche, an die ein kleines Schlafzimmer stieß.

Seine Frau befand sich auf dem Land bei Verwandten, wie er Surefoot erzählte, aber davon merkte Mr. Lyne kaum etwas, da Binny fast den ganzen Haushalt allein versah.

»Sie trinkt, wenn ich die Wahrheit sagen soll, und ich bin froh, daß sie aus dem Hause ist.«

Die Küche war nicht gerade allzu sauber. Surefoot sah etwas auf dem Fußboden, bückte sich und nahm ein dreieckiges Stückchen Glas auf, das unter dam Tisch in der Nähe des Fensters lag. Dann betrachtete er das Fenster und befühlte den Kitt.

»Ist das Fenster eingedrückt worden?«

Binny zögerte.

»Mr. Lyne wollte nicht, daß etwas darüber bekannt wurde. An einem der letzten Abende hat jemand die Scheibe eingedrückt und das Fenster geöffnet.«

»Ein Einbrecher?«

»Mr. Lyne nahm es an. Er wollte aber durchaus nicht haben, daß ich die Polizei verständigte.«

Sie gingen dann in das obere Stockwerk und traten zuerst in das Zimmer, das nach vorn hinaus lag. Es befand sich in jedem Stockwerk nur ein sehr großer Raum, der durch Schiebetüren geteilt werden konnte.

Im obersten Geschoß war Lynes Schlafzimmer, aber auch dort konnten sie nichts feststellen. Der Polizeiinspektor und zwei seiner Beamten prüften oberflächlich die Papiere und die Sachen des Verstorbenen. Surefoot hatte die Schlüssel aus der Tasche des Toten genommen. Er selbst hatte vorher schon alles durchgesehen, besonders den Geldschrank, hatte aber nichts entdecken können.

Schließlich kamen sie ins Arbeitszimmer zurück. Smith stand lange am Fenster und starrte hinaus.

»Der amerikanische Detektiv, der morgen nach New York zurückfährt, könnte uns wahrscheinlich helfen. Es wäre vielleicht gut, wenn ich ihn um Rat fragte.«

»Wer ist denn das?« fragte Dick neugierig.

»John Kelly, Chef der Geheimpolizei in Chikago. Möglich, daß er uns einen Tip geben kann. Ich werde es jedenfalls versuchen.« Er sah nach der Uhr.

»Ich möchte nur wissen, ob noch Nachrichten über Moran eingelaufen sind. Ich will mich einmal in seiner Wohnung umsehen. Hoffentlich finde ich dort jemand vor?«

»Wenn nicht, dann kann ich Ihnen helfen«, erwiderte Dick. »Er sagte mir, daß er verreisen und mir den Schlüssel senden wollte, damit ich ihm seine Post nachschicken könnte. Wenn Sie nichts dagegen haben, begleite ich Sie sehr gerne.«

Als sie ankamen, machte ihnen der Hausmeister eine überraschende Mitteilung. Er sagte, daß Moran die Wohnung erst vor einer Stunde verlassen habe.

»Stimmt das auch?« fragte Dick aufs höchste erstaunt. »Ist er nicht schon heute morgen abgereist?«

»Nein, er ist den ganzen Morgen fortgewesen, kam aber zurück und hat die Wohnung erst um halb vier verlassen. Wenn ich nicht irre, sind Sie Mr. Allenby? Ich sollte einen Brief an Sie zur Post bringen.«

Der Mann ging in sein kleines Büro und überreichte Dick ein Kuvert, das nur zwei hastig hingeworfene Zeilen enthielt. Der Schlüssel lag bei.

Bin gerade im Begriff abzureisen. Die gemeinen Kerle haben mein Gesuch abgelehnt.

»Wer sind denn die gemeinen Kerle?« fragte Surefoot.

Dick lächelte.

»Wahrscheinlich meint er damit den Aufsichtsrat der Bank. Er sagte mir, er würde abreisen, ob sie ihm Urlaub bewilligten oder nicht.«

Als sie die Wohnung betraten, sahen sie, daß Moran in aller Eile aufgebrochen war. Sie fanden an einem Bettpfosten eine Weste, in der noch die goldene Uhr, das Zigarettenetui und etwa zehn Pfund in barem Geld steckten. Er hatte sich so schnell umgezogen, daß er vergessen hatte, die Taschen zu leeren.

Surefoot trat ans Fenster, und Dick folgte ihm dorthin. Von hier aus konnten sie den Park übersehen, besonders die Stelle, an der Hervey Lyne in seinem Rollstuhl gesessen hatte.

»Fällt Ihnen etwas auf?« fragte Surefoot.

Dick nickte, und ein Schauder überlief ihn. Von seinem Standpunkt aus konnte er durch das offene Fenster direkt auf den Platz sehen, an dem der alte Mann erschossen worden war.

Surefoot musterte den Fußboden in der Nähe des Fensters eingehend, aber er konnte nichts finden. Dann ging er in das elegante Schlafzimmer und durchsuchte es in aller Eile. Als er den Kleiderschrank aufmachte, fiel ein Militärgewehr heraus. Ein zweites lag auf dem Boden des Schrankes, und daneben lagen ein halbes Dutzend langer, schwarzer Metallhülsen.

Surefoot öffnete die Kammer, roch daran, trug die Waffe ans Fenster und sah durch den Lauf. Wenn kürzlich ein Schuß daraus abgegeben worden war, mußte das Gewehr sofort gereinigt worden sein, denn man konnte im Laufinnern keinen Pulverrückstand sehen. Er prüfte das andere Gewehr in derselben Weise und nahm dann einen Metallzylinder in die Hand.

»Was ist denn das?«

Dick betrachtete den Gegenstand genau.

»Ein Schalldämpfer«, erwiderte er. »Moran interessierte sich sehr für Gewehrschießen und besonders für jede neue Art von Schalldämpfern. Er hat mich selbst ein- oder zweimal um Rat gefragt und mir häufig gesagt, ich sollte mich mit der Konstruktion solcher Instrumente befassen. Sie dürfen nicht vergessen, Smith, daß Morans Lieblingsbeschäftigung und Erholung Gewehrschießen ist.«

»Eine nette Erholung!« entgegnete der Chefinspektor.

Er durchsuchte den Kleiderschrank und die Schubladen nach Patronen, konnte aber nichts finden. Die Kammern der beiden Gewehre waren leer. Auch konnte er keine abgeschossene Patronenhülse in der Wohnung entdecken.

Smith trat vom Fenster zurück und schätzte den Abstand bis zum Tatort.

»Nicht ganz zweihundert Meter«, meinte er.

Moran hatte seinen Diener nicht mitgenommen. Surefoot ließ sich vom Hausmeister die Adresse des Mannes geben und schickte einen Schutzmann zu ihm, der ihn in sein Büro bringen sollte.

»Sie gehen jetzt am besten zu der jungen Dame«, wandte er sich an Dick. »Sie ist sicherlich durch das traurige Ereignis sehr beunruhigt.«

»Das glaube ich kaum. Aber ich werde sie aufsuchen. Wohin gehen Sie denn?«

Surefoot lächelte nur geheimnisvoll.


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