Richard Voß
Brutus, auch Du!
Richard Voß

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Fünftes Kapitel

Den Blütengefilden, die das Seuche bringende Sumpfland bedeckten – so wird ein Leichnam mit Blumen umhüllt – , entstiegen die Dünste. Sie ballten sich, zogen gleich Geisterscharen um das Felsenhaus, auf dessen Turm Abend für Abend eine einsame Frau stand und regungslos in der Richtung nach Rom ausschaute. Ins Meer versank der Sonnenball groß und rot unter einem Gewölk von Scharlach und Purpur, eine sterbende Majestät, und der ganze Himmel entflammte bei dem Tode des Tagesgestirns in der Kaiserfarbe. Über dem weiten wilden Lande erglühte im Osten der Gipfel des Mons Albanus, von dem einstmals Roms Götter auf dieses von den Göttern geliebte Land herabschauten. War es Täuschung, oder konnte jenes aufstrahlende Licht im Norden dort drüben wirklich das Kreuz auf der Peterskuppel sein?

Rom!

In Rom weilte der Mann, ohne den für die ausschauende Frau das Leben kein Leben war. Fühlte dies auch das Kind? War es heute nicht wieder so seltsam in sich gekehrt gewesen? Konnte der Zauber dieses Mannes, der für die wissende Frau Taumel, Rausch, Verzückung war, auch auf das Kind als solcher wirken? ... Es war Einbildung, war die Vorstellung einer vor Eifersucht Fiebernden, Sinnlosen! ... Schon wieder diese Marter der Eifersucht auf die eigene Tochter! Wäre sie nur nicht so jung und holdselig gewesen! Das abscheuliche Altern, das welkende Fleisch – So grausam hatte er es genannt. Mit welkendem Fleisch verzehrte sich die alternde Frau nach den Küssen, deren Glut Gift war, von Sinnen brachte, toll machte ... Daß sie das Kind nicht sogleich verlobt und verheiratet hatte! Ihr selbst war es doch vor Jahren auch nicht besser ergangen: als unschuldiges Kind schon verlobt und verheiratet mit dem alternden Manne, dem sie lange die Treue gehalten, während er die Treue gebrochen und andere Frauen –

Andere Frauen tranken jetzt des Geliebten Küsse. Und sie –

Getrennt vom Gatten und ausgestoßen. Nicht nur aus ihrem Hause, sondern auch aus ihrer Familie, gleichsam verbannt in das ruinenhafte Gemäuer am Meeresstrand, in diesen schrecklichen Sümpfen verarmt, verlassen, verloren. Dabei stand sie Abend für Abend auf der hohen Warte und spähte angstvoll hinaus in die in Dämmerung sinkende Ferne, nach der Richtung, die er kommen mußte. Denn er mußte kommen!

Es war der einzige klare Gedanke, dessen die Unselige sich noch fähig fühlte, während sie horchte, lauschte, harrte, ob nicht der Hufschlag eines galoppierenden Pferdes zu hören sei. Sie stand noch, harrte und horchte, wenn die Finsternis heraufgezogen kam und sie vor den aufsteigenden Dünsten nicht mehr die Hand vor den Augen sehen konnte. In dem verödeten Saal, dem einstmaligen Prunkraum des Schlosses, saß sie dann in Abendtoilette, von neuem harrend und horchend. Scheinbar lauschte sie auf das Geplauder ihrer Tochter, die von ihren Ritten durch den Buschwald und längs des Meeresgestades erzählte. Sie waren herrlich, himmlisch und dennoch – Da war er wieder, der Ausdruck heimlicher Sehnsucht im Blick, und wieder stieg bei der die Rückkehr des Geliebten erwartenden Frau die Frage auf: Sehnsucht wonach? Sehnsucht nach wem? Wenn sie dann glaubte, es erraten zu haben – O du Mutter des für die Sünden der Menschheit am Kreuze gestorbenen Heilands! War es möglich, daß eine Mutter ihr Kind hassen konnte?


Er kam. Wahr und wahrhaftig er kam! Die Mutter versetzte seine Wiederkehr in Verzückung, und die Tochter – Das Kind erglühte, erbleichte, erbebte. Aber die Marchesa hatte nur Augen und Sinne für ihn, der zu ihr zurückgekehrt war trotz ihres Alterns, ihrer Verfemung, ihrer Armut! Eifrig besprach sie mit der Kammerfrau, welches Kleid sie am Abend anziehen sollte, welches ihr am besten stehen würde, in welchem sie ihm am besten gefallen könnte? Sie berief den Koch und beriet mit diesem etwas bedenklichen Künstler der Küche das Menü. Herr Mariano liebte eine reich besetzte Tafel; liebte den Luxus, den allerhöchsten, allerverfeinertsten. Aber eine reichbesetzte Tafel und den Luxus der Dekadenz in dem uralten Gemäuer inmitten der Sümpfe – Die bedrängte Schloßherrin schickte Boten nach Albano und Porto d'Anzio; ließ in das Gemach, das der Geliebte bewohnen sollte, zusammentragen, was an nicht Zerbrochenem und nicht Vermodertem nur irgend sich auftreiben ließ, beraubte ihr eigenes Zimmer von jedem Gegenstand, der vielleicht sein Gefallen hätte erregen können. Und dann – Sie konnte zur Abendtoilette keinen Schmuck anlegen. Ihr sie verklärendes Glück würde sie schmücken und das köstlicher, als die Smaragden, Rubinen und Perlen, die sie für ihn hatte hingegeben, es einst getan ...

Der Dichter aber war entzückt. Der hochragende Felsenbau aus sagenhafter Zeit mit dem zyklopischen Mauerwerk; die große Geschichte des glorreichen Geschlechts, dem die Herrin entstammte; das nahe Meer, dessen brausender Wogenschlag die ewige Musik dieses einzigen Aufenthaltes bildete; die tiefe Einsamkeit, Verlassenheit, Wildnis – Es war eine erlebte Ode des Petrarca. Nicht doch: Virgil war's! Er hatte denn auch seinen Virgil mitgebracht, ein überaus kostbares Exemplar, eine mit Malereien verzierte Handschrift aus der Bibliothek einer toskanischen Benediktinerabtei. Um in der virgilischen Landschaft den Virgil zu lesen, war er gekommen. Nur deshalb! Es mußte ein Genuß sein, ganz einziger Art. Wie er in dieser Landschaft Virgil lesen, wie er genießen würde!

Sie hörte es kaum. Er saß ihr gegenüber, sprach zu ihr, war da! Sie lauschte wieder auf seine Stimme, die den sirenischen Zauberklang hatte; auf seine Worte, die in seiner großen Sprache große Gedanken ausdrückten; sah wieder seine Blicke, sein Lächeln. Es sollten Blick und Lächeln eines Vampirs sein. Waren sie das wirklich? Sie wußte es nicht; wußte nur: es war sein Blick, sein Lächeln, und das Glück seiner Gegenwart überwältigte sie fast.

Ob er wohl schon am nächsten Tag wieder abreisen würde?

Es wäre – o, es wäre – Gewiß würde er nicht länger bleiben: in dieser Ruine, dieser Wüstenei! Es wäre ein Opfer seiner Liebe für sie, zu groß, zu übermenschlich, selbst für ihn, den Übermenschen! ... Seiner Liebe! Denn er liebte sie noch immer, sonst wäre er nicht gekommen. Wie konnte sie ihm danken? Wie danken dem Himmel, der Gottesmutter, den Heiligen? Eine Wallfahrt wollte sie tun: zu dem Heiligtum der göttlichen Liebe am Fuß der Albanerberge, auf bloßen Füßen, durch Disteln, Dornen, im Sonnenbrand ...

Er blieb. Am nächsten Tage traf sein Kammerdiener ein. Der Mann brachte seines Gebieters goldenes, mit Aquamarinen besetztes Necessaire; brachte seine mit echten Spitzen garnierten Nacht- und Morgenkostüme; brachte seines Gebieters Parfüm und jene andern Luxusgegenstände, die Herrn Mariano ebenso berühmt gemacht hatten wie seine Dichtungen, Liebschaften und Schulden.

Herrn Marianos Schulden –

Er war auf das alte Felsennest in den Sümpfen gekommen, um in dem Lokal der Äneide Virgil zu lesen, und nicht etwa, um sich seinen Gläubigern, die nicht länger sich gedulden wollten, zu entziehen. Er war gekommen, um nicht beiwohnen zu müssen, wenn er von dem rohen Gesindel – gepfändet ward. Der dem Kastell am nächsten gelegene Ort war Ardea, die virgilische Stadt des schönen Rutulerkönigs Turnus. Dorthin brachte von Albano aus ein berittener und bewaffneter Postbote die Briefschaften für die Bewohner des Kastells. Herr Mariano gab Auftrag, daß während der Dauer seines Aufenthalts die Post von dem mehr als zehn Miglien entfernten Ardea nicht abgeholt werden sollte: jede Nachricht, die von der Außenwelt in dieses Traumland zu ihm drang, würde seine Illusion stören!

Also schien er bleiben zu wollen, und die Marchesa würde die Wallfahrt tun: auf bloßen Füßen, durch Disteln und Dornen, im Sonnenbrand zum Heiligtum der göttlichen Liebe.

Als ob menschliche Liebe ungöttlich wäre?

Der göttliche Dichter Mario Mariano hätte darüber zu den Völkern Italiens in Dithyramben reden können.


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