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Heinrich verließ das Haus des geistlichen Herrn hoch über der Herrlichkeit des römischen Landes; verließ die Wohnstätte, die geweiht war, weil ein guter Mensch darin lebte. An diesen dachte er und nicht an die Beschimpfung, die er soeben erfahren hatte.
Wiederum ging er durch Gassen, die, von Unrat erfüllt, von Haustieren, halbnackten Kindern und keifenden Weibern bevölkert, Rinnsalen glichen. Wiederum verfolgte ihn eine Horde kleiner Kobolde und wiederum erblickte er durch schwärzliche Türbogen eine Galerie leuchtender Landschaftsbilder höchsten Stils, wie sie Meister Preller in diesem Felsenlande schuf. Endlich blieben seine Peiniger zurück, und er war allein.
Die steil abfallende Straße stieg er hinunter, den Sonnenbrand des Mittags nicht fühlend, in dessen Feierlichkeit der große Pan schlafen konnte. Ihn umtönte die Sommermusik des Südens, das Summen der Insekten über den verdorrten Kräutern, die in diesem Tempel der Natur ihren Weihrauchduft ausströmen ließen. Aus den Ölwäldern drang das Geschrei der Zikaden herauf; er aber ließ bei all diesen Geräuschen eine innere Stimme zu sich sprechen.
Was war mit ihm geschehen? Verliebt war er, verliebt in dieses fremdartige, geheimnisvolle Geschöpf. Was sollte daraus werden? Eine Leidenschaft? Das war es bereits geworden. Aber sie? Würde sie seine Empfindung jemals erwidern? Niemals! Sie war ein Modell; doch blieb sie auch als Modell, was ihre Mutter geblieben; blieb rein und unberührt; blieb es selbst bei den Franzosen der Villa Medici, denen sie gehörte. »Gehörte?« Wie das klang ... Weshalb sie wohl die Wallfahrt auf den Monte Autore machte? Und bei dem Schauspiel der Passion die Maria von Magdala darstellte? Ja, und weshalb erregten ihn diese Gedanken von neuem und das in einer Weise, daß es ihn wie Fieber packte? Aber war nicht jede Liebesleidenschaft eine Krankheit, die schlimmste von allen, die den Menschen befallen konnte? Eine Liebesleidenschaft war Wahnsinn! ... Sie war stolz, und stolze Frauen gaben sich nicht als Geliebte einem Manne. Das tat auch nicht ein Modell.
Er dachte an die Gestalt, die er in seiner Seele trug, an seine Statue der »Italia«; dachte an die Gruppe der Verklärung der Liebe des Deutschen zu Italien. Trotz der haßerfüllten Worte des jungen Fanatikers, ihm gewissermaßen im Namen der Jugend Italiens ins Gesicht geschleudert, blieb die Liebe des Deutschen zu Italien bestehen. Also würde er das Monument der Verherrlichung dieser Liebe doch schaffen! War ihm die Komposition nicht gleich einer Eingebung gekommen? Der Erscheinung in der Felsenwildnis des Monte Autore verdankte er den großen Gedanken. Demnach mußte sie, Lavinia, seine Italia werden, einzig und allein sie! Er mußte sie daher den Franzosen der Villa Medici abspenstig machen; sie mußte sich ihm als Modell geben und das in der ganzen hüllenlosen Herrlichkeit der Schaumgeborenen selbst. Gleich Aphroditen, als die Göttin dem Wellenschoße entstieg, aus dem schönsten der Elemente von Nymphenarmen emporgehoben zum Sonnenlicht, mußte sie vor ihm stehen.
Was aber sollte daraus werden, aus seiner sinnlosen Leidenschaft sowohl wie aus seiner erhabenen Idee, wenn sie sich ihm verweigern würde?...
Die Sonne brannte auf ihn herab, schwül und schwer lastete die Luft, als wehte der Wind aus Afrika herüber, an dessen Küsten Italien einen ungerechten, einen schändlichen Krieg führte. Heinrich riß die Weste auf; riß sich, trotz des Sonnenfeuers, den Hut vom Kopf.
Er war inzwischen bis in die Region des Ginsters hinabgelangt, der den wilden Fels mit goldiger Lohe umflammte. Hier nun geschah es, daß sie ihm aus den Ginsterbüschen entgegentrat: sie, Lavinia, auf dem Kopf eine Last der schönen Blumen, die ihre langen schlanken Zweige um die dunkle Gestalt leuchten ließen. Wie gebannt blieb der Künstler bei ihrem Anblick stehen, in atemloser Erwartung, ob sie achtlos an ihm vorübergehen oder von ihm sich würde anreden lassen? Und falls nicht? Sollte er Stolz mit Stolz erwidern? Aber ein Verliebter und Stolz! Einem leidenschaftlich Liebenden zerbrach auch der hochmütigste Stolz gleich einem dürren Stecken.
Achtlos ging sie an ihm vorüber. Und er – er rief sie an:
»Lavinia!«
Da blieb sie stehen. Er sagte mit Anstrengung:
»Du hier? ... Schnittest du alle diese Stauden selbst?«
Er sah an ihrer Seite das breite, sichelförmige Macchienmesser, welches einer Waffe glich, und fragte, um sie festzuhalten:
»Wozu brauchst du den Ginster?«
Sie entgegnete:
»Morgen ist ein Marientag. Wißt Ihr das nicht?«
»Ich bin Protestant.«
»Also seid Ihr ein Ketzer?«
»Meinetwegen nenne mich einen solchen.«
»Seid Ihr Deutschen alle keine Christen?«
»In euern Augen sind wir es nicht. Verachtest du uns deswegen?«
»Was kümmert es mich, ob Ihr nach Euerm Tode ins Fegefeuer kommt oder nicht. Denn brennen müßt Ihr doch wohl?«
»Ich glaube nicht. Würde dir leid sein, wenn ich – nicht brennen müßte, da ich ein Deutscher und kein katholischer Christ bin?«
»Ich bin nicht wie mein Bruder.«
»Also hassest du uns Deutsche nicht? ... Willst du deine Last nicht ablegen? Sie muß schwer sein.« Sie blieb jedoch stehen, beide Arme über der Brust verschränkt. Wieder begegnete ihr Blick dem seinen, und wieder wandte sie den ihren nicht ab.
So standen die beiden jungen Menschen zum zweiten Male einander gegenüber und sahen sich in die Augen: er in aufflammender Leidenschaft, sie forschend und feindselig. Doch dann sprach sie zuerst:
»Ich wußte, daß Ihr diesen Weg kommen würdet, stieg herab, um Euch hier zu begegnen.«
Er rief aus:
»Um mir zu begegnen?«
»Euch!«
»Du hast mir etwas zu sagen?«
»Mein Bruder haßt die Deutschen, haßt also Euch.«
»Wolltest du mir das sagen?«
»Warnen wollte ich Euch.«
»Vor deinem Bruder warnen den fremden Mann?«
»Ihr wart meines Oheims Gast.«
»Warnen wolltest du den Mann, den du doch mit feindseligen Blicken ansiehst?«
»Ihr kamt um meinetwillen herauf.«
»Um deinetwillen; nur um deinetwillen!«
»Begabt Euch um meinetwillen in Gefahr.«
»Warnen wolltest du mich, weil dein Bruder, dieser Knabe, mich und alle Deutschen haßt?«
»Dieser Knabe weiß sein Dolchmesser zu führen wie ein Mann.«
»Ich fürchte mich nicht.«
»Kommt nicht wieder um meinetwillen herauf. Auch wäre es unnütz.«
»Du weißt, daß ich dich liebe?«
»Ich weiß es.«
»Daß ich dich leidenschaftlich liebe; liebe bis zur Tollheit! Ich kämpfe dagegen; aber es hilft mir nicht; es ist so: ist stärker als ich. Und weil es so ist, werde ich wiederkommen.«
»Es wäre unnütz, Herr.« »Und werde deines Bruders Dolchmesser, welches der Knabe wie ein Mann zu führen weiß, nicht fürchten.«
»Um so schlimmer für Euch ... Lebt wohl.«
Noch einmal wollte er sie zurückhalten; sie aber schritt an ihm vorüber, nicht achtend des Ausrufs, in dem des Mannes ganze leidenschaftliche Liebe bat und flehte. Bereits weit entfernt von ihm, vernahm sie noch einmal ihren Namen:
»Lavinia!«
Wie ein Verzweiflungsschrei durchgellte es das tiefe Schweigen des Sommermittags.
Auch in ihm war etwas, »stärker als er«.