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Rudolf Müller war Großvater geworden: ein kleiner Minardi war geboren und noch an demselben Tage katholisch getauft: Vittorio, Giuseppe, Amerigo.
Also keine Taufe, die Tante Minchen hätte festlich ausrichten können; keine Taufe in der deutschen protestantischen Kirche des Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol; kein Rodolfo unter den drei Vornamen! Der Giuseppe nach dem großen Freiheitshelden Garibaldi; der Vittorio nach Italiens drei savoyischen Königen; der Amerigo nach dem Herrn Vater des kleinen Weltbürgers, dieser selbst ein kaum lebensfähiges schwächliches Geschöpf, daher seinem Vater durchaus nicht ähnlich, was der in seiner Eitelkeit tief Getränkte der Mutter niemals verzeihen würde.
Rudolf Müller der Großvater eines katholischen Enkels, der nicht seinen Vornamen führen durfte – Es war doch nicht so leicht, war – wie so vieles andre – schwerer zu ertragen, als man damals sich vorgestellt hatte: damals! Man mußte jedoch versuchen, damit fertig zu werden. Jedenfalls war die Mutter glückselig: jetzt mußte alles gut werden! Hatte sie doch ihrem Gatten einen Sohn geboren, in einer Niederkunft, die der Mutter fast das Leben gekostet. Doch daran dachte sie nicht. Wann dächte daran eine Mutter? Dem Kinde des geliebten Mannes das Leben geben und sterben – Der Tod hätte für die Frau keinen Stachel gehabt, so schön es auch gewesen wäre, mit dem Kinde des geliebten Mannes leben zu dürfen. O ihr Frauen, ihr Märtyrerinnen, ihr Heldinnen, Heiligen! Tempel sollten die Männer euch bauen, Altäre für euch aufrichten, Rosen und Marienlilien zu euren Füßen streuen, geweihte Kerzen vor euren Bildnissen entzünden, Andacht davor halten – Daß der Knabe kein Cherub war – bei solchem Vater! – warf Herr Minardi der Mutter tagtäglich vor. Er machte ihr daraus ein Verbrechen, mißhandelte die Frau in ihrem Kinde, sie dadurch schmerzlicher treffend, als schlüge er ihr mit geballter Faust ins Gesicht: traf er doch damit das Herz der Mutter. Auch daß diese ihr Mutterrecht sich nicht nehmen ließ und ihr Kind selbst nährte, ward ihr nicht verziehen: war doch die Amme – die »balia« – das Prunkstück einer jungen Ehe, überdies der sehr kostbare Beweis für den Wohlstand des Haushalts. Denn schon die Ausstattung einer Amme kostete ein kleines Kapital; außer den verschiedenen prächtigen Kostümen, dem Bandwerk und Kopfputz in Atlas und Seide, gehörte dazu womöglich ein Goldschmuck. Alle diese Herrlichkeiten hätte sich Herr Minardi von dem Gelde seiner Gattin recht gut leisten können; aber Frau Romana beugte sich hierin nicht unter ihres Mannes Willen, dem dieser brutal genug Ausdruck gab. Ihr Kind selbst zu nähren – Es war von Rudolf Müllers Tochter eben deutsch – gemein! Mochte also des Knaben Mutter dadurch, daß sie ihrem Kinde die Brust reichte, noch dürftiger, noch reizloser werden; der Vater würde sich noch ausgiebiger zu entschädigen wissen ...
Einer anderen Ehe, der traurigen Ehe Heinrich Webers, blieb es versagt, ein Kind zu besitzen: Signora Lavinia fürchtete für ihre Schönheit, die durch die Mutterschaft hätte leiden können. Die meisten ihrer Landsmänninnen nahmen in späteren Jahren zwar zu an Majestät der Erscheinung, verloren jedoch ihre biegsame Schlankheit, die als der weiblichen Reize höchste galt; und Frau Heinrich Weber, das ehemalige Modell der Villa Medici, hatte zur Genüge erfahren, was es für eine Frau bedeutete, reizend gefunden zu werden und – zu reizen.
Nach wie vor wurde von den beiden so ungleichen Gatten der Kampf fortgeführt; nach wie vor liebte der Mann seine Frau mit der ganzen Leidenschaftlichkeit seiner Natur und – auch wie zuvor – glaubte er an einen endgültigen Sieg. Bis es dahin kam, würde ihn freilich der Kampf aufgerieben haben. Voll Grauens erkannte er mehr und mehr, was ein schönes und schnödes Weib aus einem Manne machen konnte; auch aus einem Manne, der sich für einen sittlichen Menschen gehalten hatte. Heinrich Weber erkannte, daß eines Mannes Leidenschaft für ein schönes Weib entsittlichen konnte; denn für unsittlich halten mußte er, in einer so tief unglücklichen Ehe nicht nur zu leben, sondern darin zu beharren und sich nicht zu trennen von einer Frau, welche ihn niemals geliebt hatte. Und dann doch nicht die Kraft zu besitzen, seine Liebe aus dem Herzen zu reißen gleich etwas Verpestendem. Es war ein Zusammenbruch von allem, was in ihm stark, edel und sittlich gewesen.
Sich nicht trennen zu können –
In seiner Leidenschaft für das schöne Geschöpf war es Heinrich damals vollkommen gleichgültig gewesen, wie die Vermählung mit der Katholikin vollzogen ward. Er, der Protestant, überließ sich der katholischen Kirche, und diese trennte nicht, was sie einmal verbunden hatte. Solcher unlösbaren Ehen zwischen einem Deutschen und einer Italienerin gab es im Lande deutscher Sehnsucht viele. Aber wäre eine Lösung seiner Ehe auch möglich gewesen, so hätte Heinrich sie nicht angestrebt: er wollte unlösbar gebunden bleiben.
Die Unlösbarkeit seiner Ehe wurde zu seiner letzten Hoffnung. So weit war es mit ihm gekommen!
Und der Künstler in dem Manne?
Das war das traurigste, trostloseste!
Nachdem er sein Lebenswerk – es stand wieder in seinem Atelier – geschaffen hatte, wollte er etwas Neues beginnen. Arbeiten wollte er; arbeiten, wie er niemals gearbeitet hatte. Werk auf Werk sollte entstehen. Es ging schwer. Seine Gedanken waren nicht bei seiner Arbeit, sondern bei dem Weibe, dessen Gatte er nicht mehr war, dessen Hüter und Wächter er sein mußte. Zugleich der Wächter seiner eigenen Ehre. Auch das war Demütigung; war Schande des Mannes! Zuerst empfand er sie bis zur Zerschmetterung, allmählich jedoch erstarb dieses Gefühl und er wußte nur noch, daß er hüten und wachen mußte. Inzwischen freilich auch arbeiten, arbeiten! Neue Pläne, denen die Ausführung folgen sollte, wurden gemacht. Es mußte auch dieses Mal etwas Großes und Bleibendes sein; aber konnte er nach seiner Gruppe noch Größeres schaffen? Er zergrübelte sein Hirn, war außerstande, es zu finden, erwartete das Übernatürliche: die Eingebung von oben herab, die Verzückung, die Vision, Sie kam nicht. Da es ihn nicht wie ein Wunder ergriff, so versuchte er das Wunderbare gewaltsam herbeizuführen. Er ging in den St. Peter und verharrte stundenlang vor der Pietà des Michelangelo; ging in die Sistinische Kapelle und starrte hinauf zu dem Gott, der das erste Menschenpaar schuf; ging nach San Pietro in Vincoli und erwartete von dem »Moses« des Giganten seiner Kunst die Offenbarung. Sie blieb aus. Er machte einsame weite Wanderungen durch die Campagna. Plötzlich packte ihn der Gedanke: ›Was geschieht inzwischen zu Hause?‹ Er stürmte zurück nach der trostlosen Stätte, die sein Zuhause bedeutete, wofür die italienische Sprache keinen traulichen Ausdruck besitzt. Zu der schlampigen Magd war ein schmieriger Bursche gekommen, der an den Empfangsabenden der Dame des Hauses in eine schreiend bunte Livree gesteckt wurde und bei ihren Ausfahrten als Bedienter figurierte; die Mohrenjünglinge in dem farbigen Salon hatten verschiedene ähnliche künstlerische Mißgeburten zur Gesellschaft erhalten, während das späte Aufstehen, das ungekämmte Haar, der unsaubere Morgenanzug bis zur nachmittäglichen Ausfahrt dasselbe geblieben war. Signora Lavinias Haushalt – was so genannt wurde – ihre Toiletten und sonstigen Luxusbedürfnisse kosteten viel. Also mußte ihr Gatte arbeiten – arbeiten – arbeiten. Er arbeitete also. Das heißt: er nahm Wachs oder Ton und formte: irgend eine Gestalt, ein Etwas, für das Publikum, für den Verkauf, den großen Markt; denn er mußte verdienen: für den Bedienten, die Lohnkutsche, die Opernloge, die Toiletten, die Empfänge seiner Frau. Konnte er durch seine Arbeit das Geld nicht aufbringen, so würde seine Frau – Nur den Gedanken nicht ausdenken! Es konnte ihn um alle Gedanken bringen.
Heinrich Weber, der Mann, der ein Genie sein sollte, Deutschlands zukünftiger großer Sohn, arbeitete für die Luxusbedürfnisse seiner Frau, der Sabinerin, des ehemaligen Modells der Herren Franzosen. Es war trostlos, hoffnungslos. Und die Scham, Herrgott, die Scham!
Rudolf Müller erlebte alles mit dem Freunde, sah alles sich entwickeln wie eine Naturnotwendigkeit und litt um seinen Liebling. Er empfand es für Heinrich fast als ein Glück, daß er krank war, immer kränker wurde, gleichfalls hoffnungslos. Derselbe Rudolf Müller, der seinem jungen Freunde das Gottesgnadentum des Künstlers zugesprochen hatte, wünschte jetzt – da er auch dessen Kunst hinsiechen und sterben sah – dem Menschen einen frühen Tod. So grausam konnte das Leben ändern und wandeln. Daß solche Wandlung eines hochbegabten Menschen in Italien sich vollzog: durch eine Frau dieses Landes, das war es, was dem Freund des Verlorenen besonders schmerzlich ans Herz griff. Dabei sah er nicht nur dieses Schicksal vor seinen Augen sich vollziehen, sondern auch noch ein anderes: das Schicksal seiner Tochter, seines einzigen, geliebten Kindes.
Eines Abends, als sich der Professor bei Frau Romana befand, trat plötzlich, bleich und verstört, Heinrich ins Zimmer: ihn hätte solche Sehnsucht ergriffen, bei guten Menschen zu sein. Da er seinen alten Freund nicht zu Hause gefunden, so wäre er zu seines Freundes Tochter gekommen. Und da sei er nun! Ob er bleiben dürfe? ... Von ganzem Herzen! Hier fände er jederzeit ein Zuhause.
»Ein Zuhause –«
Wie der Mann das sagte! Mit welchem Ausdruck, welchem Blick! Er versuchte dabei ein Lächeln. Von allem Traurigen war sein Lächeln das Traurigste. Er sah Frau Romanas Knaben, dieses kaum lebensfähige häßliche Kind. Aber mit welcher Glückseligkeit die Mutter ihr Kind zeigte; mit welchem Stolz! Es durchschauerte den Mann, dessen Weib keinem Kinde das Leben geben wollte. Die Mutter sah auf den Säugling in ihren Armen herab und – seltsam, er hatte sie doch bisher bar jeder Anmut und unschön gefunden. Und jetzt? Etwas Leuchtendes ging von der Anmutlosen und Unschönen aus; etwas Verklärtes. Und Heinrich Weber erkannte, daß jede Mutter etwas von einer Madonna, etwas Heiliges hat, eine Gebenedeite unter den Frauen. Von Stund' an kam er oft, um die Mutter mit ihrem Kinde zu sehen.
Schweigend saß er neben ihr. Den Sturm seiner Seele durchwehte in der Gegenwart dieser Guten und Reinen ein Hauch von Stille. Ihm ward friedlich zumut. Wie Andacht überkam es ihn. Er verstand die Anbetung der Mutter in der katholischen Kirche; verstand ihre Mutterschaft zwischen einer sündigen Menschheit und dem göttlichen richtenden Sohn; verstand sie bei dieser Anmutlosen und ihrem rachitischen Knaben, um welchen der in seiner Eitelkeit tödlich gekränkte Vater sich nicht kümmerte, um dessentwillen er die Frau tagtäglich seelisch mißhandelte.
Heinrich Weber, der Schöpfer der vielbewunderten »Huldigung Deutschlands für Italien«, der nunmehr für den großen römischen Markt arbeitete, fortan zu jenen gehörend, die in ihr Atelier reiche Fremden aller Nationen zu bringen versuchten, der Gatte der Sabinerin, arbeitete verstohlen, ganz heimlich an einer »Madonna mit dem Kinde«. Beiden gab er die Züge dieser Mutter und dieses Sohnes.