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Zerfetzt! Am Boden! Was jetzt, wie weiter?
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Erst nicht verzagen! Arbeiten! Gutes tun, wirken ohne Amt, Vereine für Wohltätigkeit, – Erziehung Verwahrloster. – Für mich meine Bücher, hab' nun Zeit. Schreiben – halt! an die Pfahldorfgeschichte! – gleich aufnehmen! Fortreisen, noch einige Sammlungen sehen von Ausgegrabnem aus der Pfahlzeit – Studien machen. – Man nimmt an, es seien Kelten –
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Das Ueberschnappen der Stimme, das war das Aergste, das scheußliche Auslachen. Alles andre ertrüg' ich eher. Teufel!
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Es muß ertragen sein. Dabei noch ein Trost. Jetzt muß ich die Türe von meinem Amtszimmer in die Kanzleistube doch nicht mehr knarren hören. Einölen schwierig und half so gut wie nichts. Der pfeifende Knarrton tat immer ganz deutlich wie »eo ipso!« O, ja freilich, will's ja glauben, es versteht sich von selbst, daß du knarrst! auch, daß ich gehen muß! – Noch als ich das letztemal dort war, auf immer Abschied vom Amte zu nehmen, knarrt das Luder: eo ipso! – Dich, unverschämter Regenpfeifer, dich bin ich doch nun los – Eo ipso!
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Es geht ja vorwärts. Fort, ihr Dämonen, sollt mich nicht abbringen! – Ich weiß jetzt, ich mach's wie Luther, der dem Teufel das Tintenfaß an den Kopf warf! Will noch anders reagieren, als mit Exekutionen – literarisch – will euch brandmarken – ein ganzes System gegen euch, euch an den Kopf! Etwa: »System des harmonischen Weltalls« oder –
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Ich bin zu ehrgeizig, um ehrgeizig zu sein. Ich habe ein heimliches, sehr verfängliches Verhältnis, eine unglückliche Liebe zu einer sehr spröden Schönen: der Nachwelt. Daher geize ich so wenig um die Ehre bei der Mitwelt, versäume so oft schuldige Aufmerksamkeit und bin so zerstreut gegen Formen: wie es eben allen Verliebten zu gehen pflegt. Es ist stolz gesprochen, ach, zu stolz, denn was habe ich getan meine Schöne zu erobern? Mein Wirken? – Lächerlich geendet! Da die Pfahlnovelle? Dichterruhm? Pah!
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Wie ich das wieder lese – unselige Vergleichung! – Vier Worte, Laute habe ich ihr geschrieben: »O Gott! o Gott!« – Mehr nicht? Muß sie nicht einen inhaltvollen Brief erwarten? Wohl zehnmal angefangen, verbrannt! Und es wäre doch so natürlich, wäre Pflicht. Ja, aber daß in jeden Brief etwas hinein will, – was doch nicht darf, nicht soll – davon darf kein Hauch – Sie wird wohl erraten, aber – o Knäuel von Verflechtung!
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Arbeit will nicht gehen. Fehlt mir doch gar sehr Dienst, Pflichtzwang der Stunde. Daher auch die Teufel wieder in Legionen. Merken wohl meine Absicht, wollen mich vorher aufreiben. Zwei Tage ein entzündetes Auge. Fliegt mir eine Mücke just ins rechte, worein mir kurz vorher ein Funke Brennstoff von einem Zündhölzchen gefahren.
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Das Leben ist eine Fußreise mit einem Dorn oder Nagel im Stiefel. Felsen, Berge, Schluchten, Flüsse, Löcher, Sonnenglut, Frost, Unwetter, Räuber, Feinde, Wunden, damit müssen wir kämpfen, das will bestanden sein, dazu haben wir die Willenskraft. Aber der Nagel im Stiefel: das ist die Zugabe, kommt außerdem und überdies dazu, und für den Nagel bleibt dem Manne, der mit den großen Uebeln redlich ringt, keine Geduld übrig. Haben denn die Menschen Zinkblech statt Haut an den Fußsohlen, daß mich darin niemand verstehen will? – Oder auch: das Leben ist eine Schublade, die nicht geht, stockt, staut, spannt –
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In meiner Arbeit mag ich oft einen Haufen Papier, wo ich notwendig etwas herauszunehmen hätte, stundenlang nicht anrühren, weil ich weiß, beim ersten Griff fährt der helle Teufel hinein, alles schlüpft, klebt oder entwischt, – was nicht mit soll, geht mit, was mit soll, geht vom andern nicht los, die Feder fliegt zu Boden und spießt sich ins Holz, daß ich eine halbe Stunde brauche, eine neue zu schneiden, – der vollendete Pöbelaufruhr. –
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Lang, lang nicht unter die Leute gegangen – was soll mir –? Frau Hedwig treibt – hat wohl recht. Habe mich doch oft vergessen, bin aufgetaut, wenn ich von Gram und Verdruß zu Stein, zur starren Maske gefroren unter die Menschen kam; eine Mehrheit von Augen wirkt erweckend auf mich.
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Das war ein Tag! – Wetter: oberer Föhn bei unterem unverschämtem, injuriösem, rechtsverletzendem Nordwestwind, der mir meinen Hut nimmt, den ich doch um mein Geld erstanden habe und daher als rechtmäßiger Eigentümer besitze. Nerven und Gehirn elektrisch durchzuckt, Blut kochend, Haut stechend. Dennoch und auch unterschiedlichen Teufeln zum Trotz den ganzen Tag scharf gearbeitet. Abends sehr Erholung, Ausspannung bedurft. In Gesellschaft. Und hier? fängt erst die rechte Folter an. Zu acht an einem Tisch, eine Zahl, durchaus nicht zu groß, um recht gut noch eine gemeinschaftliche Unterhaltung zu erlauben. Beginnt folgendes liebliche Spiel:
A eröffnet mit C ein Sondergespräch, dann E mit G, dann H mit F, und D foltert mich B, ich soll mit ihm eines führen. Da jedes dieser vier Sondergespräche das andre übertrommelt, so fangen alle das Schreien an, und nun hört man das eigne Wort nicht mehr. Ich suche auszuwickeln, suche laut ein Gespräch für alle aufs Tapet zu bringen, – vergeblich, niemand begreift mich.
Nicht genug, weiter! Sie fangen übers Kreuz an: A mit D, E kräht nach mir (B) herüber, E mit H, G mit F. Nun ist zum Beispiel in einer der lieblichen Gruppen von Preußen und Bayern die Rede, in der Diagonale schlagen den zwei Politikern die Namen Dante und Petrarca, von andrer Seite Zervelatwurst und Gansleberwurst, in der dritten Kreuzung scheußlicherweise auch noch die Begriffe Aktien und Prioritäten, in der vierten die Streitfrage über Sängerin Blözke und Grilli aufs Trommelfell.
Noch nicht genug. Eine kurze Pause tritt ein. D fragt A, welcher altdeutsch versteht, nach einem verwickelten Punkte, nämlich: wann das E geschlossen, wann offen zu sprechen sei. Man sieht, es ist ihm wirklich darum, belehrt zu werden, den andern ist es auch von Interesse, mir nicht weniger, und alle horchen. Während nun der A eben recht im Zug ist, den Punkt auseinander zu setzen, bricht ihm der D, der ihn ja eben selbst gefragt hat, in die Rede mit der Frage, ob er gestern im Konzert gewesen sei, gleich darauf fängt der C mit mir vom Theater an und so läuft es fort: Jeder hat vergessen, daß er soeben sich für einen Zusammenhang interessierte.
Ich schoß auf und fort, zermartert, zerschunden, zerfetzt, zersägt, zerrieben, zerdroschen, zerwirbelt, zerraspelt in allen Nerven kam ich nach Hause. Das war meine Abenderholung: nach schwerer Tagesarbeit noch schwerere am Abend! Möchte das arme Hirn entlasten und muß mir alle seine Saiten zerreißen lassen.
Die Mehrheit der Menschen besteht nicht gerade ganz aus Betrügern, Räubern, Dieben, Mördern, aber aus sozialen Ungeheuern, und zwar durch alle Stände und beide Geschlechter, die Weiber treiben's ärger, aber die Männer kaum um ein Haar besser. Was habt ihr dumpfe Geschöpfe nur für eine Vorrichtung in den Hörwerkzeugen, daß ihr das eine Gespräch gegen die andringende Lautmasse der fremden Gespräche in eurer Auffassung zu isolieren vermögt? Einen eisernen Rolladen? Einen Ofenschirm von Sturz? Ei was! nichts habt ihr, grobe, stumpfe, abnorme Sinne habt ihr und konfus im Kopf wollt ihr sein und bleiben, alles schlechterdings nur halb denken, und mich, der ich normale Sinne habe und klar sein will, mich haltet ihr für ein Monstrum! Ihr wollt sprechen und gehört sein, ihr wollt hören, und im Augenblick vergeßt ihr es wieder, weil euch noch viel lieber als Sprechen und Hören das Wirrsal, weil der Durmel euer Element ist.
Für richtige Sinne und für wirkliche Bildung gibt es an einem Tisch, wo nicht so viele sitzen, daß ein gemeinsames Gespräch unmöglich wird, durchaus keinen einzelnen. Neben einem plätschernden Brunnenrohr kann man sich unterhalten, denn es spricht keine Worte, welche die Gesprächsworte durch Bezeichnungslaute aus einem andern Zusammenhang kreuzen, neben einem Separatgespräch ist es unmöglich. Ein Mensch, der gesunde Natur, Disziplin des Denkens und der Form hat, wird sich also im genannten Fall nie, absolut nie an einen einzelnen wenden, wissend, daß, sobald er's tut, die Losung zum allgemeinen Gesprächschaos gegeben ist, er wird immer nur nach der Mitte, ins ganze hinein sprechen.
Da nun die Menschen auch hierin wirr, wild, willkürlich und disziplinlos sind, was folgt? Das folgt, daß sie nicht einmal der Gesprächsfreiheit im Privatleben wert sind. Das folgt, daß man sie auch hier in das Joch der parlamentarischen Ordnung einspannen sollte. Das folgt, daß eine Gesprächspolizei organisiert werden müßte. Macht mich zum Vorstand und ich verspreche euch, ein Tyrann erster Klasse, ein Nero, Caligula, Attila, Dschengis-Chan, Tamerlan der Gesprächszucht zu werden! Aber Strafgewalt müßt ihr mir geben! Mit Geißeln und Skorpionen will ich sie züchtigen, die Gesprächs-Buschklepper, Gesprächs-Strauchdiebe, Gesprächs-Räuber, Gesprächs-Mörder, Gesprächs-Meuterer, in die Wasser der Urflut will ich sie zurückstoßen, diese Gesprächs-Ichthyosauren! Und nie werde ich meine Vollmacht mißbrauchen, nie mir zum Vorteil anwenden, nein, andern soll sie zugute kommen auf meine Kosten! Ein Leben, das der Gerechtigkeit gewidmet war, sei Zeuge für meine Beteurung!
Ach Gott, es ist ja auch dies nur ein schöner Traum! Ich weiß ja: ein Unsinn! Da aber der Zustand, wie er besteht, auch ein Unsinn ist, so bleibt's eben dabei: gerade so unfähig, wie einen vernünftigen Staat zu bauen, ist die Menschheit auch, eine Gesellschaft zu bauen, oder umgekehrt, wie man will!
O Einsamkeit, wie gut bist du!
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Dabei bin ich erst gar kein Pedant. Ausnahmsweise muß man auch in die Rede fallen dürfen, namentlich wenn sonst der Augenblick für einen guten Witz verloren ginge. Aber bei dem Trätschvolk ist die Ausnahme Regel und der konfuse Lärm Lebenselement.
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Wieder lange einsam, hat gut getan und auch nicht. Wäre mein guter Rappe nicht – ihm verdanke ich, daß ich nicht einhuzle, einschrumpfe. Besuch manchmal vom Referendär, jetzt Assessor; der nicht unerquicklich. Gescheit. Wenn nur nicht auch da die Teufel wären – bleibt aus, wenn ich ihn so recht herwünsche, kommt dann im ungeschickten Moment –
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Rezept: – Wenn du einen Besuch erwartest und er kommt lange nicht, so nimm kalt Wasser in den Mund. Es soll bekanntlich hinter den Zähnen gehalten werden, bis es warm ist, um den Mund auszuspülen, sonst verschlägt es sie. Vergiß, ein Gefäß aufzustellen, wohin du das Wasser ausspucken kannst. Laß den Diener entfernt sein, der einen Besuch ins Wartezimmer führen könnte. – In kurzer Zeit wird es klopfen. Der Mensch draußen hört dich zappeln, begreift nicht, klopft und klopft. – O, ich habe einen gekannt, sehr gebildet, sehr manierlich, der riß in der Verzweiflung die Tür auf und sprudelte dem unseligen Besucher die Bescherung ins Gesicht, – bereut innig den schmachvollen Wahnsinn – doch gab es ein Duell; glücklicherweise ohne Blut abgelaufen.
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Ich mag es anfangen, wie ich will, es vergeht keine Woche, ohne daß ich einen oder mehrere Fehler mache. Und das beim redlichsten Bemühen, es recht zu machen. Ganz blind. Hintennach, meistens erst spät, gehen mir dann die Augen auf und senkt sich mir die Einsicht mit solcher Zentnerlast auf die Seele, daß ich allein in meinem Zimmer, ja auch mitten auf der Straße, laut hinausschreien muß, nur irgend einen Laut bellen, nur um mich etwas zu entlasten. Da meinen dann die Leute, ich sei verrückt, und muß ich mich vor meinem Bedienten schämen, wenn er im anstoßenden Raum ist, oder froh sein, wenn gerade Katze oder Hund bei mir im Zimmer ist, daß er etwa meinen kann, ich unterhalte mich mit diesen. – Wie geht es denn nun aber andern? Machen sie denn keine oder aber so viel weniger Fehler? Oder machen sie ebensoviele, werden sich aber nachher nicht durchsichtig, haben eine Seele von dickem Juchtenleder? – Oder werden sich durchsichtig, schütteln aber die Last des innern Vorwurfes federleicht ab? Geht doch kaum! Warum müssen sie denn also nicht auch schreien wie ich?
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Wißt es, ihr Köpfe, mit meinen Fehlern und mit meinem Wahnsinn hab' ich so gut ein Recht, zu existieren, wie ihr mit euren Fehlern und mit eurem Kahlsinn!
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Fremdlinge auf Erden lachen gern. Das kommt von ihrem scharfen Auge und von der Höhe ihres Sehpunkts. Aber es ist ein andres Lachen, als das Lachen gemeiner Seelen. – Auch lachen sie gern über sich selbst.
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Du hast Langweile? Mußt nach Unterhaltung jagen? – Hast du denn an dir gar keine Gesellschaft? Kannst du dich gar nicht in zwei spalten und hat, wenn du es kannst, der eine dem andern gar nichts zu sagen?
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Um mich zu bessern, habe ich schon das Mittel versucht, eine Korrespondenz mit mir selbst zu eröffnen. Ich schrieb mir sehr weise ermahnende Briefe. Nun wurde aber der Ich b über die Altklugheit des Ich a verdrießlich, fing an, unwirsch zu antworten, wurde grob und gröber, der Ich a blieb ihm die Antwort nicht schuldig, das Ding machte mir Spaß und endlich gab es eine vollkommene Zank- und Scheltkomödie – Larifari! –
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Man soll den Idealismusnarren nicht trauen! Sie sind immer auch böse Narren. Sie werden giftig. Da sie an alle Welt die Forderung der Vollkommenheit stellen, nur nicht an sich selbst, so ist ihnen nichts und niemand recht, sie verdammen, höhnen, hassen, halten inwendig den ganzen Tag grimmige Monologen, ballen die Faust offen und im Sack, üben Ränke und Tücke. Dahin kommt es mit edeln Menschen, denen die Läßlichkeit fehlt.
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Auch den Hamlet macht sein Idealismus bös, grausam gegen die arme Ophelia. Ein Weib schlecht, so werden es alle sein. – Ein Engländer hat einen unsrer Shakespeare-Erklärer, der die Ophelia für eine leichte Weltdame nimmt, auf Pistolen gefordert. Recht. Der hat meinen Geschmack.
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Was ich immer aufs neue bewundern muß, ist das höchst Stimmungsvolle in allen Teilen dieses Dramas, das doch von Gedankentiefe und scharfer Bewußtheit strotzt. Das Grundgefühl ist Schwüle; dies ist längst erkannt und oft gesagt, aber es ist nicht bloß Schwüle in dieser bestimmten Situation. Hamlet geht um wie ein Mensch, der zu enge Schuhe anhat und sie nicht ablegen kann, dem daher alles Blut nach Herz und Gehirn schießt, und der es daher in seiner Haut fast nicht aushält, und der richtige Zuschauer fühlt nicht nur, wie schwer seine Lage, sondern wie furchtbar schwer das Leben überhaupt ist. Nur der paradiesisch naive, der beschränkte und der gewissenlose Mensch lebt leicht, dem tiefer Gehenden hämmern die Pulse, wenn er bedenkt, welch ein fürchterliches Schraubenwerk das Leben ist, das uns zwischen Fragen einpreßt bis zum Ersticken. Der Monolog »Sein oder Nichtsein« ist nach seinem Gedankengehalt sehr überschätzt worden, sein Wert liegt in der Stimmungstiefe: unerreichbar der Ausdruck des Brütens, das nicht weiß, wohinaus, des atemlosen Eingeengt-, Eingeschnürtseins.
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Ich bin so schrecklich bedenklich, so sehr Buridans Esel, daß mich der Zweifel, in welchem Laden ich einen Kamm oder Bürste kaufen, mit welchem neuen Buchbinder ich es versuchen soll, wochenlang umtreiben, in ein wahres Elend von Einklemmung zwischen Für und Wider versetzen kann. Und doch bin ich auch wieder ganz unbedenklich, gehe frisch weg darauf los, fürchte nichts und niemand, und weiß ganz gewiß, daß ich, wäre ich ein Obergeneral und stünde im Felde, den richtigen Moment für eine Schlacht mit zweifelloser Entschlossenheit ergriffe und draufschlüge. Auch das würde mich nicht irren, daß gezweifelt werden könnte, ob nicht der folgende Tag einen noch günstigeren Moment brächte. Ich würde mir sagen: nach menschlicher Erkenntnis ist der Moment jetzt günstig, ob morgen ein noch günstigerer kommt, kann man nicht wissen, handle ich also jetzt, so habe ich richtig gehandelt, auch wenn's nicht gut ausläuft und wenn sich herausstellt, daß es besser gewesen wäre, zu warten. Daher wäre ich auch ganz fest gegen Reue. – Liest das einmal jemand, er mag's für Prahlerei halten, aber ich weiß, was ich weiß.
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Sonst im bürgerlichen Leben und in allen Lagen, wo es nicht drängt, wo Aufschub nicht Gefahr und Schaden bringt, zapple ich, wenn Wahl ist, endlos im Hexenkreise der Abwägung. Wer denkend ist, hat eben eine lebhafte Vorstellung von den Hindernissen, von den Möglichkeiten des Mißlingens. Hamlet handelt freilich gerade da nicht, wo es eilt und drängt, im übrigen gilt für alle solche Naturen sein hartes Wort: »verzagter Zweifel, welcher zu genau bedenkt den Ausgang – ein Gedanke, der, zerlegt man ihn, ein Viertel Weisheit nur und stets drei Viertel Feigheit hat«. Hamlet ist verklemmt und resolut, beides, – just so geht mir's, ob mir gleich nicht einfällt, mich an Geist mit ihm zu messen.
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Und auch diese Selbsterkenntnis hilft mir nichts, rein nichts. Daß man nicht aus seiner Haut fahren kann!
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In welche führe ich? Ja, da fängt's erst recht an mit: wer die Wahl hat, hat die Qual!
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Nun! in gar keine!
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Es wird schlimmer. Nichts um mich und an mir, was nicht riebe, klebte, zwickte. Es sind keine Ameisen mehr, es sind Klemmer. Haben mir's wohl extra angetan, daß ich meine treffliche Arbeit: »System des harmonischen Weltalls« nicht vollenden soll, weil großer Hauptschlag gegen ihr Armeekorps. – Große Singtragödie will auch nicht werden.In dieser Gegend lagen die verrückten Elaborate, von denen der Leser schon weiß. Anm. d. Herausg. Dort liegt die Pfahldorfgeschichte, – skizziert, kaum angefangen; keine Stimmung.
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Ich werde lebendig mazeriert, zerstochen, zerkitzelt, zernagt, zerkritzelt, zerbröselt, zerstäubt. Seele, wohin? Wohin? O, eine Leidenschaft! – Die Eine, die arme, die unterirdische, gute, stille und tiefe, – darfst sie dir nicht gestehen! – In den Krieg? O, da lebt man! – »und setzet ihr nicht das Leben ein –«. Aber in diesen? in den, der sich in Deutschland bald entspinnen muß? O! –
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Frau Hedwig schickt mich nach Italien. Hat am Ende recht. So vieles dort noch nicht gesehen. – Pfahldorfgeschichte mitnehmen, etwa im stillen Venedig vollenden, war ja einst auch ein Pfahldorf.
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Airolo. Ausatmen, ausatmen! O scheußlich, o Streich in der untersten Hölle ausgeheckt! – Meine Sehnen müssen ja doch von Eisen sein! – Das absolut Lächerliche tödlich tragisch, das Tragische zum Totlachen! – O, wer aus dem Bewußtsein heraus könnte! – Hinab in die Strudel! Schnell! – Ja, wenn nicht da unten – mit den grünen Nixenaugen, sie – sie – Bist du da?
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Gerettet? Heißt man das retten? Oder doch verborgenes Weltgesetz? Daß der gute Mensch sein Leben wagt und daß der zum Retter wird, der gerettet werden soll und – wird? Ist jener zu Diensten aufgehoben für das Leben, zu erklecklichem Wirken? Steht der Zufall in tiefem, nicht zu übersehendem Zusammenhang? Ich, auch ich zu Zwecken gerettet? Ich? o, das ist vorbei!
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Ist meine Natur unverwüstlich? Stößt das Verzweiflungsfieber im Exekutionsverfahren aus, daß der Höllenstoff in Scherben dort liegt am Granitblock in Göschenen! Krise? Aber wozu? Sei's wie es will, was ist, ist, muß sein.
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Immerhin ordentlicher Mensch das, hat's recht vernünftig mitgemacht. Nur komisch, daß er wissen und seinerseits angeben zu wollen schien, – als ob nicht: »Namen sind uns Dunst«. – Cornelia – Augen – seltsam – nicht weiter denken! Fort – dem Lago Maggiore zu! Tüchtig marschieren! –
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Bellinzona. – Dort bei Osogna! Der Reisewagen – mich verborgen – Sie sind es gewesen, deutlich erkannt – und ich? – Hätte ich nicht doch gedurft? Tor, Tor, warum nicht hervortreten? – Nein, nein, es war besser so!
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Aber wohin jetzt, wohin? Sie ist dort. Es zieht mich schwindelnd hin. Und darf doch nicht. Kann nicht, dürfte nicht, auch wenn ich dürfte.
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Assisi. – Und doch hieher – im Fluge. – Dort bei den hohen, schlanken Säulen des Minerventempels hab' ich sie gehen sehen, schweben – Nacheilen? Halt, nein! Hinab, fort ins Tal, – sie darf mich nicht entdecken. Muß ihr's ersparen. Nicht anders möglich: das Grausen von damals hing doch wenigstens mit Furchtbarem zusammen, aber jetzt – Ja, wenn ich ihr Freund, nur ihr Freund wäre, sonst nichts, – vielleicht nach dem Freund sehnt sie sich trotzdem, aber – es bleibt dabei, es darf nicht sein.
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Habe das Dienstmädchen der Muhme umlaufen sehen, schien eilig zu suchen, mich zu erkennen, verdoppelt ihre Schritte – sie soll mich nicht finden!
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Verborgen im Gedräng der Anbeter in der Kuppelkirche. – Dumpfe, stumpfe Wahnsinnige, Zerrbilder der Menschheit, die ihr da das Bethäuschen des heiligen Franziskus anplärrt, das Rosenwunder anglotzt! – Und doch Wahnsinn – Wahnsinn des Sehnens auch in mir – Madonna degli angioli!
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Hier ist es am besten, in diesem ganz einsamen Hochtal oben hinter dem Kastell. Dies Tal und ich, wir verstehen uns, und es verrät mich nicht. Es ist, als ob diese fast baumlosen Senkungen die wehmütigen Gedanken schon manches stillen Menschen eingesogen hätten, dessen Seele wohl still war, weil sie auch zu laut war wie die meinige. Ihr habt wohl auch schon leises Schluchzen gehört, verschwiegene Gelände. – Hier bleibe ich bis zur Nacht, dann die Nacht durch zu Fuß rückwärts und schnell weiter, hinaus, – wohin?
Hin, wo großes Leben den Todesschlaf schläft – nach Venedig!
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Sag, alter Narr, was rennst du wieder |
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Suchet nicht, so werdet ihr finden.
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– Wer noch zu finden hat!
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Hab' ja auch kein Handwerk mehr. »Der Mensch muß ein Handwerk haben.« – Wohl sagt Nathan: »Man muß nicht müssen,« das gilt ganz, wo es sich um Tat handelt. Anders ist es mit der Tätigkeit, da heißt es: der Mensch muß müssen. Unglücklich, wen kein Dienst an die Zeit bindet, gerade seine Freiheit drückt ihn ins Sklavenjoch der Zeit.
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Eingefahren um Mitternacht in die Lagunenstadt. Ganz still, alles totenstill. Gerade recht für mich. Ihr erzählt viel, alte Mauern, in aller Stille viel. Mancher Mensch ist auch so eine still gewordene alte Stadt. – Unter der Seufzerbrücke heraus ins Offene. Der Mond taucht auf. Dogenpalast. Hier Piazzetta, Markus-Löwe, der heilige Theodor mit dem »cocodrillo«. Stich zu auf den Drachen, hab' auch ge – – – – still, still, davon still, ins Kühle schauen, ins graue Silber auf den Wellen!
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Der Sarg auf der Gondel nach S. Christoforo schwimmend – wie still, lautlos – dort unter Zypressen am Meere – wie gut – dort ruht auch Leopold Robert – unsere Schatten würden sich leis als Verwandte grüßen –
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Die Nacht nicht geschlafen, worauf ich mich nach dem langen Gang zu den fundamenta nuove doch gefreut. Zanzare, Moskitos um die Jahreszeit noch! – Verteufelte Symbole meiner Quälgeister! – Auf Lido, sagen sie, sei mehr Ruhe vor ihnen. Also dorthin, ins Einsame, an den frischen Hauch und Wogenschlag.
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Lido. So mit mir allein, doch besserer Zustand, ein Freund: das Meer. Gänge am Strand. Täglich Bad, kühlend tief hinein. Warum so unstet, zapplich, ihr Möwen? Meer immer groß, stät; auch wenn es die Löwenstimme erhebt, auch im Sturm; immer Rhythmus. Machst mich ruhig, Dank, heiligen Dank, du Großes, du Unendliches! Was alles liegt begraben in dir, du aber schlägst und wogest ruhig darüber hin, wandellos in ewig gleicher Bewegung. Du überlebst, ich kann es auch überleben. Zerre, zapple nicht mehr, Seele, halt stille!
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Die Pfahldorfgeschichte hervorgezogen. Das Wässerige um mich, Ufergeruch, Schilf, Röhricht, Seegras, Binsen am Strand bringt Stimmung zum Seebild.
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Kann jetzt wieder unter Menschen. Herüber! – Schöne Wohnung gefunden an der Riva dei Schiavoni. Auch hier Seeluft, frei, frisch, weit. Kann auch wieder lachen. Menschen, selbst die schlimmen, doch alle etwas antik Naives. Puppenspiele drunten, ich stehe gern mitten unter den Kindern, alten und jungen, schaue und lache. Der Hanswurst schrauft seinem Widersacher die lange Nase aus dem Gesicht und haut ihn damit; gut, tief, sehr gut, mir lieber als seine Komödie. Dalmatiner, Montenegriner, Griechen vor den Kaffeehäusern, Feß, Pelzjacken, braune Raubvogelköpfe. – Und keine Tierqual, kein Fahrlärm; Hauptsache.
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Alles groß, geschichtlich stilvoll und doch auch häuslich, heimelig, wie bei uns alte Reichsstadt. Die engen Gäßchen hab' ich besonders gern; Gemüt spinnt sich ein, wird zu Hause. Freunde gefunden, brave, heitere Kameraden. Gondolier plaudert mir vor von Kind und Kegel, auch von seiner Großmutter, liebenswürdig. Und dann wieder die hohen Bilder der alten Macht und Größe, die lebensvollen, blutwarmen und doch so adeligen Maler – die Kirchen, die Paläste; die Farben, die Reflexe im Wasser. Nun ja, man kann doch leben. Hinein in die Kirchen vorerst nicht, brauche Tageslicht, im Helldunkel drohen Gespenster. Die byzantinischen Starraugen an den Wänden in der Markuskirche predigen toten Tod im Leben, widerwärtige Mumien.
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Gehe vom Arsenal zurück an der kleinen Kirche St. Martino vorüber, da ist noch einer der Fratzenköpfe mit offenem Rachen für Denunziationen. Hier gegen Ketzer; Inschrift: Denoncie secrete contro Bestemmiatori et Irreverenti alle chiese. Ein Grusel stieg mir auf und nachher mußte ich lachen, denn ich ertappte mich auf bösem Gewissen. Werden mich schön verketzern, denoncie, nicht secrete, sondern publiche in die Zeitungsrachen stecken, wenn der Reisekumpan sich einst entschließt, meine Pfahldorfgeschichte in Druck zu geben, und wenn sie das Kinderbehör am Fest, die Katechisation lesen. Und ist doch sehr harmlos. Ich muß die Religion der Pfahlbewohner exponieren – die übrigens nicht närrischer ist, als manche alte Naturreligion –, nun, das darf ich doch nicht in eigner Person, nicht direkt tun, muß doch als Poet verfahren, da fällt mir das Motiv ein, es so in Szene zu setzen. Wüßte durchaus nichts andres. – An sich habe ich, als ich zu Hause für diesen Zweck das Konfirmationsbüchlein wieder einmal zur Hand nahm, zweierlei gefühlt. Ganze Klumpen von logischen Widersprüchen, die den Kindern, sobald sie zu Verstand kommen, in die Augen stechen müssen, so daß sich ihr Kopf heftig gegen das Ganze sträuben wird und daß sie dann nicht nur herauswachsen, sondern in Widerwillen das Kind mit dem Bad ausschütten werden. Zugleich aber gewisser ehrlicher, guter Herzton, rührend; man sieht, wie felsenfest diese Theologen an die ganze Mischung von Sinn und Unsinn glaubten. Wären wir Neueren so herzfest in der wahren, der reinen Religion!
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Halt, ein Gedanke! Ueber dem: Qui si denunzia! Alpin soll aus Eifersucht Denunziant an Arthur werden! Gut, muß sehen, wie ich's verwende.
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Den Kirchenlauf nun doch angetreten. Wo freischöne Bilder, ertrage ich auch den Weihrauchgeruch. Wenn doch einmal Heidentum, sei es da, wo es seinen Göttern Herz und Schönheit verlieh. Dabei immer die Anfänge oder ersten großen Schritte, das Flügelregen bei noch nicht völliger Flügge so reizend. Dieser Giovanni Bellini, diese Maria mit den musizierenden Engelknaben am Throne, dort in der Sakristei von ai Frari, ist ganz zum innig reinen Verlieben. – Dann reife Schönheit. Heilige Barbara in S. Maria Formosa – jeden Tag dahin. Schreckte mich zuerst, weil die junonische Gestalt mich – ich stürzte hinaus. Doch wieder gewagt – und nun ganz andres Bild – das Etwas um die weichbeschatteten Augen ganz von ihr – wunderbar. Und diese Weichheit durchrinnt als Welle doch auch die stolze Gestalt – Siegerin über alles Wilde – Und Palmzweig! Ich habe dein Fächeln gespürt! – Gehe nun täglich dahin.
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Sonst mag ich die Venezianer doch mehr als Männermaler, trotz Tizians, Paolo Veroneses, Palma Vecchios, Pordenones, Bordones Weibern. Suche meist vergeblich jenes Etwas. Aber ganze Mannheit, fest, sonnenbraun, im Gegenwärtigen zu Haus und eins mit sich, keine Sehnsucht, eine zweite Antike. – Tizian doch auch oft sinnlich brünstiger, als echte Kunst soll. Doch in der Verkündigung Mariä zu Treviso und in der Assunta auch das hoch mystisch »ewig Weibliche«. Apostel unten auf der Assunta – schon nah' an überreifer Kunst, wenigstens der eine mit dem theatralisch gestellten rechten Bein; andre herrlich – nun mit voller Herrschaft über die Darstellungsmittel jenes Nachschauen, das mich so ins Mark hinein ergreift, Gefühl: die Welt ein Schattental ohne sie.
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Stehe oft und gern nachts auf einer der kleinen Brücken, sehe hinab auf den dunkeln Kanal, da und dort von Lichtschein überblitzt. Wenn dann eine Gondel durchfährt, so ganz still, nur selten der Ruf: Sta li! sonderbar, dann ist mir oft, als liege ich, der da oben zusieht, zugleich tot in der Gondel, und der Tote freue sich zugleich der stillen Nachtfahrt.
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Hübsch – neulich auf der Fahrt nach Treviso; ein paar gebildete Venezianer im Wagen; auch ein Abbate, vernünftiger, klarer Mensch, interessante Ausnahme, Wagenfenster offen, auf dem Bocke sitzt ein hagerer Pfaff, wir kommen auf Klosterwesen, Zölibat, weiter auf andres Ungesunde der katholischen Kirche zu sprechen, ganz gesetzt, ernsthaft. Der Pfaff draußen horcht mit halbgewendetem Kopf. Der Wagen hält einige Minuten. Schaut der Pfaff herein mit durchbohrendem Blick und ruft mit Stentorstimme: Signori, la morte! – Er meinte, er dürfe das Wort nur nennen, so werde es uns wie ein Donnerwetter in die Eingeweide fahren. – Es war nicht möglich, nicht zu lachen. – Aber belehrend: da sieht man, an was die Schauspieler den armen, feigen Menschenpöbel packen. – Fürchte den Tod nicht und dir kann kein Pfaff bei! –
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Einer der Italiener hat etwas höchst Treffendes gesagt. Ich lobte die Reformation, ich sagte, sie sei die unentbehrliche, sittliche Ergänzung zur Renaissance, die Italiener sollten sie irgendwie nachholen, sich beeilen, aus ihrer Kirche hinauszukommen. »Va bene,«, sagt der Herr, »ma poi anderemo più lontano che voi Tedeschi, che vi siete fermati nella prima osteria.« Wie wahr! Wie hat es die Reformation verderbt, daß sie sich gleich wieder in eine Kirche einschloß mit Dogmengezänk, wie ein Fußreisender, der im ersten Wirtshaus hängen bleibt!
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Am Rialto, auf dem alten Börsenplatz jenseits der Brücke, meine ich leibhaft den Shylock zu sehen, wie sie ihm auf den Bart spucken, wie er hinwegschleicht, den brennenden Haß gegen die Christen in der Seele. Ja, Shakespeare! – Wenn er Venedig hätte sehen können, wie es jetzt ist! Das Traumgewordene! O, er hätte es ganz verstanden! Wie ist er traumwebend! Und zugleich heller, wacher Tag. Oft ist's, als sötte sein Gehirn vor Phantasieren, und doch ist er ganz bei sich, durchdenkt, ordnet, befiehlt. – Auf der Brücke, in der Dämmerung zurückgehend, glaubte ich ihm selbst zu begegnen. Konnte seine Züge nicht sehen, nur seine hohe Stirn. Kein Mensch auf Erden unter allen, die gewesen, den ich so drangvoll verlange von den Toten erwecken zu können, um ihn zu sehen, an seinen Lippen, seinen Augen zu hängen. Und wie würde ich ihn mit Fragen bestürmen! – Aber es ist gut, daß er uns nicht mehr erscheinen kann, er würde zu Tod gefragt – mit vielen nötigen und mit noch weit mehr dummen Fragen.
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Pfahldorfgeschichte fertig. Besorge Abschrift für den Reisekameraden; soll bald abgehen. Etwas doch zustande gebracht! Wie es auch sei, es kann doch – im kleinen – ein Ganzes heißen.
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