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Alpin kam spät abends nach Hause. Als er Ruhe suchen wollte – mit wenig Hoffnung, sie zu finden –, hörte er in geringer Entfernung einen Einbaum lösen, stand auf, sah hinaus und erkannte Arthur aufwärts rudernd im See. Jetzt hörte er auch eine weibliche Stimme fernher vom Saume des Gewässers, wo der helle Mond in den Nebel über dem Röhricht schien. Augenblicklich löste er den eignen Kahn, der angebunden unter dem Haufe lag, fuhr schnell und leise am Gestrüppe des Ufers hin und hielt im dichteren, höheren Schilfe, als er so nahe war, daß er deutlicher sehen und hören konnte. In kurzen Kreisen sah er langsam einen Kahn sich drehen, darin eine dunkle weibliche Gestalt. Sie sang oder schleppte vielmehr durch wenige Töne dumpf, einförmig, hohl, einen uralten Zaubersegen:
»Unser Herr Grippo fuhr über Land, |
Nach je zwei Zeilen wurde kurz pausiert, und Alpin glaubte zu sehen, daß die weibliche Gestalt über einem undeutlichen Gegenstand, der ausgestreckt im Kahne lag, mit der Rechten, worin sie etwas hielt, das sich im Helldunkel nicht erkennen ließ, seltsame Handbewegungen machte, senk- und wagerechte und kreisförmige Linien in der Luft zog. Was es für ein Körper war, der sich im Einbaum befand und dem diese Gebärden galten, darüber konnte er nicht im unklaren bleiben, als er in diesen Pausen ein schwaches Aechzen vernahm. Er sah Arthur jetzt ganz nahe fahren, Kahn an Kahn drängen, sich hinüberbücken, die sich Widersetzende gewaltsam beiseite drücken, etwas Dunkles in die Höhe richten. »Soll das ein Verband sein?« hörte er ihn rufen. – »Zauber tut mehr denn Verband.« – »Gib ihn her, du mordest ihn.« – »Hinweg, Gottloser!« – »Du mußt!« Er ist in den andern Kahn hinübergesprungen, sie packt ihn an und rauft mit ihm, ein schnellender Ruck, und das hexenhafte Weib ist beiseite geschleudert, fällt ins Wasser, Arthur hebt mit der Sicherheit gewandter Kraft den Verwundeten in seinen Kahn und fährt mit pfeilschnellen Ruderzügen hinweg. Alpin ließ untätig alles geschehen, sah zu, wie von Geistern gebannt und gefesselt. Jetzt rückt er hervor aus dem Röhricht. »Hix, Hix!« ruft er, »ich komme.« – »Bist du's, Alpin! Hilf! Hilf!« Der Alten ist es nach einigem Umplätschern gelungen, den Rand ihres Kahnes zu erfassen, er hilft der Zappelnden hinein, läßt die Durchnäßte auf das Fell nieder, auf welchem vorher der Verwundete gelegen, und zuckt das Ruder, sie fortzubringen. »Halt, halt! mein heiliger Mistelzweig, in heiliger Herbstmondnacht geschnitten mit der heiligen Sichel, dort schwimmt er,« ächzte die Alte. Alpin gab dem Kahn ein paar Stöße, fischte ihn heraus und ruderte weiter dem Pfarrhause zu. Er trat in etwas Hartes und Scharfes, das ihm in die große Zehe schnitt, griff hinab und zog eine Scherbe herauf. Urhixidur stieß einen Schrei der Verzweiflung aus: »Coridwen! Coridwen! mein Zauberhafen hin! O hin, hin!« Sie wälzte sich vor Jammer im Boot und weinte laut auf, daß es fernhin hallte. Alpin erinnerte sich jetzt, daß er bei dem Kampfe zwischen Arthur und dem unheimlichen Weib ein gellendes Schüttern gehört hatte, wie wenn ein irdener Körper zerbricht. Sie hatte geglaubt, den Schwingungen des Mistelzweigs mehr Zauberkraft zu verleihen, wenn sie ihn in dem geheimnisvollen Gefäße mitnehme, und unvorsichtig genug das Heiligtum einer Wasserfahrt anvertraut. Endlich schwieg sie erschöpft vom Stöhnen und lag stumm, auf einen Arm gestützt, im Kahne. Auf einmal fuhr sie mit einer zuckenden Bewegung in ihre Rocktasche und ein neuer Aufschrei folgte dieser Bewegung: »Auch das, auch das! Mein Wirtel auch dahin! Heilige Erbstücke! O, Urururahnmutter Coridwen, du, die aus der Weltenspinnerin eigner Hand die göttlichen Gaben empfangen, schau nieder aus den Wolken und hilf rächen, strafen!« Schließlich verstummte auch diese Klage, und man legte an dem Stiegchen an, das in das Haus des Druiden hinaufführte. Dieser lag schon in so festem Schlafe, daß das Geräusch ihn nicht weckte, das überdies von seinem gewaltigen Schnarchen übertönt wurde. Er hatte ja sein Amt als Heilkünstler mit so voller Ueberzeugung an Urhixidur abgegeben, ihr den Verwundeten mit so vollem Vertrauen überantwortet, daß er sich, als sie mit ihm abfuhr, mit ganzer Seelenruhe zum Schlummer niederlegen konnte, und der pflegte bei ihm tief und gesund zu sein. – »Es gibt ein kaltes Bad, aber auch ein heißes,« murmelte die Alte, als sie ausstieg. »Ein gefährlicher Ketzer,« sagte Alpin, »er hat auch über unsre Religion gespottet,« mit diesen Worten löste er den Wiedring, an dem er seinen eignen Kahn nachgezogen hatte, und fuhr heim.
Er mußte wissen, was er tat, als er in so gehäuften Brennstoff die Brandfackel dieser Angeberworte warf, es war ihm gar wohl bekannt, was die Base bei dem Druiden galt, und er war nicht so blind, das verborgene sehr Gefährliche in diesem Manne nicht wenigstens dunkel zu ahnen. Aber er kam sich ganz zufrieden mit sich vor, sein Gemüt schien ihm ruhig wie der See, dessen Spiegel kein Lüftchen bewegte. Es war nur in dem Einbaum so eine sonderbare Unruhe, er wollte in keine regelmäßige Gangart kommen, er schwankte, und das Vorderteil fuhr manchmal so eigentümlich wie ein Ausruf in die Höhe. Das Wasser gluckste am Holze wie sonst eben auch, aber es klang heute so seltsam; einmal meinte der Ruderer gar flüstern zu hören: »Alpin, das war nicht recht!« Dann kamen dumpfe Töne, die murmelten etwas wie: krumm, oder: Lump! dann spitze, die taten wie: Wicht! Wicht!
Er dachte: dummes Zeug! und legte sich schlafen; er sagte sich, er habe nun endlich doch einen ruhigen Schlaf verdient. Kaum lag er auf dem Ohre, so fiel ihm siedend heiß ein: jetzt pflegt Arthur den Verwundeten sicherlich mit Hilfe Sigunens. Er warf sich auf das andre Ohr, da fragte plötzlich etwas in ihm: Alpin, was hättest du tun sollen? Entweder glaubst du, die Hexe könne mit Zauberspruch und Mistel besser heilen, dann durftest du ihr den Verwundeten nicht abjagen lassen; oder Arthur mit den Mitteln, die er anwenden wird, dann mußtest du ihm beistehen. Ueber das Entweder-Oder in den beiden Vordersätzen hatte er nun freilich noch niemals nachgedacht, und er konnte sich betrösten: wenn man zweifelt, wenn man nicht weiß, was tun von zweien, so tut man am besten nichts. Dennoch wollte der Trost nicht vorhalten und – auf einmal sprang er auf, und: – etwas hast du ja doch getan: Pfui! Pfui! und noch einmal Pfui! Er rief es laut, so laut, daß der Rinderknecht im Nebenraum aus seinem tiefen Schlaf emporfuhr und rief: »Was gibt's?« Doch legte sich der wieder zurück und schlief alsbald weiter, auch Alpin streckte sich wieder hin, verhielt sich still und blieb so liegen auf seinem Bärenfell, das nur jetzt kein Fell mehr war, sondern ein Ameisenhaufen.
Mit dem ersten Morgendämmern ging er aus dem Hause. »Auch so früh schon auf?« grüßte er den Büttel, dem er begegnete. – »Das trifft sich gut, Alpin, ich soll dich zum Druiden bestellen.« Er sagte das nicht im Befehlton, sondern freundlich und mit einem gewissen Zwinkern der Augen. – »Später, später, hab' Augenblicks nicht Zeit, der Schafhirt hat ein paar hustenkranke Hammel, muß nach dem Vieh sehen.« Die Ausrede war nicht uneben erdacht, doch immerhin auffällig und der Büttel blieb verdutzt stehen. Alpin begab sich in seinen Herdestadel; es schien ihm, sein Vieh begrüße ihn nicht so herzlich wie sonst, und seine Lieblingskuh, die Lisi, bog gar den Kopf zur Seite, als er zu ihr trat; er gab ihr einen Faustschlag und rief: »Willst auch du mich verachten?« Das Tier, so rohe Behandlung nicht gewohnt, sah ihn mit den großen Augen traurig vorwurfsvoll an, als fragte es: wohin ist's mit dir gekommen?
Er trat heraus, bleich, unschlüssig, ging wieder hinein, streichelte die Kuh, dann fuhr er schnell wieder aus der Türe. Es muß etwas geschehen! es muß durchgebrochen werden! rief es in ihm, dunkel, aber stark. Mit straffen Schritten ging er nach Odgals Haus; er wußte, daß Sigune früh aufstand. Da sitzt sie auch, das Herdfeuer ist schon angezündet, aber sie macht sich nichts dabei zu tun; sie hält ein Ding in der Hand, auf das ihre Augen mit großer Spannung gerichtet sind, während alle Mienen von einem Gefühle lebhaften Wohlgefallens zeugen. »Darf man herein?« fragt Alpin durchs Fenster. – »Ja, komm nur; sieht man dich einmal wieder? Du siehst bleich.« Sie gab ihm die Hand. »Heut nacht hättest dabei sein sollen drüben im Freihof –«
Wir müssen sie hier einen Augenblick unterbrechen, um dem Leser ein Wort vom Freihof zu sagen. Wir befinden uns natürlich in Zeiten allgemeiner Gastfreundschaft, aber auf Pfahldörfern ist eben kein Ueberfluß an Raum, und wenige Familien sind in der Lage, zu beherbergen. Die wohlhabenderen Gemeinden besitzen daher ein Haus zur Aufnahme von Fremden, die eine andre Unterkunft nicht finden können oder nicht wünschen. An Ausstattung, Bedienung ist begreiflich nicht zu denken, einige Pelze zum Lager sind alles, für das übrige muß ein Gastfreund sorgen. Hotel können wir das also nicht wohl nennen; damals sagte man Freihof. In diesen seinen Wohnraum hat Arthur den Unglücklichen gebracht, dem im eignen Hause die richtige Pflege gefehlt hätte.
Also – »drüben im Freihof,« sagt Sigune. »Wir haben,« fährt sie fort, »den Wunden gepflegt, Arthur und ich; solltest sehen, wie der verbinden kann, und ein Glück, er hat von seiner Reise, die ihm selbst Anfall und Wunden bringen konnte, gute, kühlende Salben mitgebracht, aus der Pflanze Selago und Verbena, und hat sie aufgelegt; der Kranke liegt jetzt in erquickendem Schlaf auf Fellen und weicher Streu.« – »Gut, ganz recht,« sagte Alpin, einen Stich verarbeitend, der ihm durch die Seele ging. »Was hast denn aber da?« Sie hatte den Gegenstand beiseite gelegt. »Da schau her,« rief sie jetzt, »was Neues, Wunderbares! Vetter Arthur hat uns zu den schönen Sachen gestern abend noch das gebracht, nun guck! Nachher will ich den neuen Schmuck anziehen und mich so da drin sehen.« Es war eine ovale Scheibe von Erz mit zierlichem Griff; Sigune drückte sie ihm in die Hand. »Was soll's?« – »Nun sieh doch stät auf die Fläche.« Alpin schaute und schaute, er sah sich selbst. Vergliche man dies Bild mit dem, das unsre jetzigen Spiegel uns zeigen, so müßte es freilich nur als ein verschwommenes erscheinen; das wäre aber sehr unrichtig, wir haben das Bild im Erzspiegel mit dem ungleich verschwommeneren aus dem Wasserspiegel zu vergleichen, dem einzigen, das unserm Alpin bekannt ist, und so kommt es ihm deutlich in einem Maße vor, das alle seine Begriffe übersteigt. Er läßt den Spiegel fallen, geisterhaft wird ihm zumute. Er steht so und starrt vor sich hin, hinaus ins Leere, wie in eine tiefe Finsternis. Allmählich taucht ein schwaches Licht in dieser Finsternis auf: »Also – also so – von nun an wird der Mensch sich selbst sehen – zweimal dasein – und dann – wenn er von dem Bild weggeht, wird es doch in ihm bleiben – und er wird inwendig sich selbst sehen – wird nicht mehr einfach, nicht mehr ein Einfacher sein – wird sich zugleich immer auch inwendig fragen, wie er wohl andern Menschen vorkomme – und dann – wenn er etwas denkt oder sagt oder tut, wird man nicht mehr wissen, ob er's nicht denkt oder sagt oder tut, weil er sich vorstellt, wie er dabei aussehe, sich ausnehme –«
Er stockte – wie hätte der Pfahlhirte für das, was ihm in dunkler Ahnung aufdämmerte, die Begriffe finden können und die Worte für die Begriffe! Wir Jetzigen freilich könnten ihm gut nachhelfen, wir, denen so leicht ersichtlich ist, daß mit der Erfindung und Vervollkommnung des Spiegels eine gründliche Veränderung in das Seelenleben, in alle Zustände der Menschheit getreten ist. Verschärfung des Selbstbewußtseins, aber auch eitle Selbstbespieglung und eitle Bespieglung in andern: wie sollte der arme Alpin diese Bezeichnungen aufbringen und wie all das Unabsehliche ermessen, das sich aus einer solchen Wendung im Bewußtseinsstande des Menschen ergeben, entwickeln mußte! Ihm wurde schwindlig vor dem Bilde der künftigen Jahrhunderte, das ihm dunkel vorschwebte und das er nicht erfassen konnte. Er fand noch das Wort: schillern – ihm scheine, da schillere alles. Weiter reichte es nicht. Und nun bedenke man noch dazu, daß er nicht in der Lage war, mit freiem Gemüte über dies Rätsel zu forschen, denn ach! der Spiegel gehörte Sigunen, war ein Geschenk Arthurs! Ob sie ihm gefalle, wird sie den Spiegel fragen, und dann wohl auch, wie dem und jenem und einem dritten – und wie wird sie dann werden? Nun, den Namen Kokette lieferte ihm wahrhaftig sein Sprachvorrat eben auch nicht, aber die Sache flimmerte ihm vor dem inneren Blick. Wir werden also billig sein: es kommt vieles zusammen, was jetzt in diesem Herzen umwühlt. Grauen überrieselte ihn, dann kochte ein Grimm, eine Wut auf. Mit wilden Blicken fuhr er in die Höhe, hinaus zur Türe und schleuderte den Spiegel ins Wasser. Wie er sich umkehrt, steht Arthur vor ihm. Er packt ihn an der Kehle und ruft: »Giftschenk!« Arthur legt die Hand an sein Schwert und zuckt es halb aus der Scheide. Alpin fällt ihm in den Arm: »Nicht so! nicht hier!« Sigune war herbeigestürzt, flehte Arthur, hing an Alpins Knien: »Laßt, laßt!« Die beiden Feinde vereinigten sich, sie zu beruhigen, ihr die Vorstellung beizubringen, als könnte vielleicht mit Worten ausgeglichen werden, führten sie mit freundlicher halber Gewalt in ihre vier Wände zurück, eilten hinweg und mit wenigen Silben war verabredet, was in schweigendem Einverständnis schon innerlich beschlossen war. »Steinaxt und Hirschhorndolch gegen Erzschwert und Erzdolch, soll's gelten?« – »Gut,« sagte Arthur, »es soll.« – »Draußen im Fichtenwald, wo die kleine Lichtung ist, dreihundert Schritte in gerader Richtung hinter dem Dolmen und Eichenhain! Ich hab' erst noch einen Gang zu tun, in einer Stunde bin ich da!« – »Du triffst mich.«
Alpin war es so leicht und frei zumut, als wären ihm Zentnergewichte von der Brust gefallen. Er tat einen Jauchzer, als er zu Hause seine Steinaxt genau untersuchte, ob der Stiel auch fest genug sitze, und unter zwei Dolchen den stärkeren und schärferen wählte. Aber ein leiser Seufzer folgte dem Jubelruf. Sigune! – doch das war nicht das Schwerste; Zorn, Grimm war zwar verflogen und die Seele hatte zum Sorgen und Bangen um sie wohl wieder Raum, aber das mußte jetzt zurückstehen, denn jetzt galt es nur eines: Mann gegen Mann; sie ist Weib, Schicksal ist Schicksal, sie soll's tragen, wie es fallen mag. Aber, aber! da hing noch ein böses Gewicht; wie es abschneiden? Da saß noch ein böser Flecken; was auf der weiten Welt tun, ihn abzuwaschen? Er war ja zum Druiden gerufen, nicht eigentlich befohlen, er konnte wegbleiben, aber das wäre feig, sagte er sich; heut wollte er gut machen als gerader Mann, was er gestern nacht schlecht gemacht als krummer Angeber, aber der Vorsatz, der Entschluß zur Tat, zum Zweikampf, genügte ja nicht und die getane Tat doch auch nicht, der Flecken der Verdächtigung stand für sich da, kohlrabenschwarz, er wollte für sich behandelt, ausgelöscht sein, er blieb sonst hängen, klebte seinem Gewissen an, wenn er lebte, seinem Namen, wenn er fiel. Was tun, was tun? – Halt! – ihm kam Licht – die Wahrheit! Die Wahrheit: sonst gibt's hier nichts! Die Wahrheit befreit!
Er ging zum Druiden, ausgerüstet, wie er war, mit seinen Waffen. Vor der Türe hörte er drinnen einzelne Hustlaute von verschiedenen Stimmen. Er trat ein. Urhixidur war – gottlob! rief es in ihm – nicht da, sie lag in der Hinterstube tief in einen Berg von Wolfsfellen versteckt, da sie, für ihre eigne Person doch mehr auf natürliche Mittel als auf Magie vertrauend, eine Schwitzkur auf das nächtliche kalte Bad für gut befunden hatte. Dagegen standen zu den Seiten des Druiden fünf ältere Männer; sie gehörten zu dem Schlage der »alten Huster«, unter ihnen ein wahres Spinnengesicht, für Alpin doppelt unheimlich, weil er in Dyfuwal (so hieß der Mann) seinen ersten Vorgänger im Denunziantentum ahnte. Der Druide hatte Züge, so hart und gespannt, als wären sie gefroren, man sah auf den ersten Blick: das war ein Verhörgesicht! Der Schluß: ein Zeugenverhör, und die Huster haben schon deponiert, ergab sich von selbst. »Es liegen,« begann Angus, »gegen den Fremdling Arthur mehrere sehr beschwerende Inzichten vor als gegen einen Religionsspötter, gegen einen Götterleugner; von dir, Alpin, ist mir zu Ohren gekommen, du müssest als Zeuge gegenwärtig gewesen sein, als er das eine und andre giftböse Hohnwort über unsern heiligen Glauben und ehrwürdige gottesdienstliche Handlung fallen ließ; dies wird bestätiget durch die Bemerkung, die du in dieser Nacht gegen Urhixidur gemacht hast, als sie von dem Uebeltäter ruchlos gestöret worden in dem Heilwerke, das sie in meinem Auftrag vornahm, als der Frevler sich sogar erfrecht hatte, diese achtbare Person ins Wasser zu werfen, als dabei der heilige Coridwentopf zerbrach, als er ihr den wunden Pflegling raubte und als dich die Gottheit zu ihrem Retter ausersehen; sag an, sprich, was weißt du? Zuerst wiederhole mir die Worte, die du zu meiner Hausmeisterin gesprochen.«
»Hochwürdiger Vater!« sagte Alpin, »erlaube mir, zu schweigen. Mich drückt mein Gewissen, denn ich habe aus Haß gesprochen, was ich zu Urhixidur über den Mann gesagt; ich hasse ihn aber nicht, weil ich nachgedacht hätte über die göttlichen Dinge und mir zutraute, das zu verstehen, und überzeugt wäre, daß er darin ein Frevler ist, sondern ich hasse ihn, weil ich ihn hasse, und nicht der Strafe andrer will ich ihn übergeben, sondern ich selbst will ihn strafen, will es versuchen, ob mir Grippo, der Herr und Gott des Krieges, vergönnt, ihn zu bezwingen und zu vertilgen.«
»Warum hassest du ihn? Ich will es wissen!«
Alpin stockte; ungern rückte er hier und jetzt mit dem wahren Motiv heraus, doch vermochte er es, sein inneres Widerstreben zu bezwingen, und sagte: »Weil er eine Tochter unsres Volks hinwegführen will zu dem seinigen, wo alles fremd und anders ist und –«
Die Sprache lieh ihm auch hier kein Wort, der Satz blieb unvollendet. Auch seine Zuhörer hätten ihn nicht zu ergänzen vermocht mit Worten; woher sollten er und sie Bezeichnungen schöpfen wie: Ueberbildung, von der Natur abweichende Kultur, Raffiniertheit, Frivolität und dergleichen? aber sehr leicht und gern ergänzten sie ihn mit ermahnenden Vorstellungen, mit helldunklen Schlüssen, die, von der Prämisse: Erzwaffen ausgehend, durch eine Kette von unbestimmt vorschwebenden Mittelgliedern rasch bei der Folgerung: Gottlosigkeit anlangten. So war denn Alpins Wort ganz Wasser auf ihre Mühle, ja mehr Wasser, als er eigentlich wollte, da gerade dies ein Punkt war, den er seinerseits, obwohl gestern noch Angeber, lieber dahingestellt sein ließ; wir werden ihn in dieser letzteren Richtung noch näher kennen lernen.
»Was hast du eigentlich vor?«
»Zweikampf; der Fremdling ist einverstanden.«
Die umstehenden Zeugen riefen: »Es sei so! Verhindert es nicht, ehrwürdiger Vater! Es sei Gottesurteil! Gottesurteil auch über die Waffen: ob besser das gute Alte, Stein und Horn, oder der tückisch schimmernde neue Stoff!«
Angus wiegte bedenklich das Haupt hin und her; es mochten einige Zweifel sehr realen, physikalischen Inhalts durch dieses Haupt gehen. Er verschwieg sie und faßte die Frage von einer andern Seite: »Gottesurteil,« sprach er, »muß öffentlich und feierlich sein; Alpin muß anklagen vor der versammelten Gemeinde auf Götterleugnung, Kampfrichter müssen aufgestellt sein und ich muß vorsitzen.«
»Die Anklage erheb' ich nicht,« fiel Alpin rasch ein.
Es war noch eine andre Schwierigkeit: Arthur hatte in der kurzen Zeit doch manche Gemüter gewonnen; daß es in der Gemeinde das gab, was wir eine Linke nennen, haben wir aus den Verhandlungen ersehen, auf denen die Berufung der Barden von Turik hervorging. Es war zu befürchten, daß die Einleitung eines Gottesurteils auf so schwere Anklage großen Widerspruch fände. Derselbe Grund aber mußte dem Druiden starke Zweifel erwecken, ob er einen Prozeß mit der einfachen Folge der Verurteilung Arthurs als Ketzer auch durchzuführen vermöge, ohne seine Autorität und Beliebtheit bei der Gemeinde zu untergraben.
»Kein Gesetz hindert,« sagte jetzt Morbihan, einer der fünf Zeugen, »daß Zweikampf auch geheim stattfinden könne und doch sein Ausgang als Gottesurteil gelte; unser altes Gesetz ist für den öffentlichen, keines besteht gegen den geheimen.« Die Bemerkung wurde beifällig aufgenommen und unterstützt.
Nach einer Pause sagte, leicht zum Ja bekehrt, der Druide: »Es sei! Biete deine Waffen!«
Alpin hielt Axt und Dolch hin, ungern allerdings, denn, was er vorhatte, das meinte er doch eigentlich nicht in dem Sinn, in welchem seine Waffen nun eingesegnet werden sollten. Der Priester beschrieb das Schlangenzeichen Grippos in der Luft und sprach halbsingend in hohldumpfem Beschwörerton:
»Gib, o Gib, o Gib, o |
»Und nun zeuch hin, mein Sohn, und schlag und stoß zu in Gottes Namen!« schloß der Priester.
Alpin trat seinen Gang an. Er war schon einige Schritte entfernt, als ihm Angus nachrief, er solle erst seinem älteren Geißbuben aufgeben, daß er heute noch einmal zu ihm komme. Alpin besorgte dies noch; der Druide machte sich mit dem Jungen seit ein paar Wochen alltäglich zu tun; was? war ein Geheimnis; doch bemerkte man, daß es musikalischer Art sein müsse; der Bursche war ein sehr gelehriger Schüler Alpins auf dem Hirtenhorn.
»Er ertobte des Muotes,« heißt es im Nibelungenliede, da Rüdiger von Bechlarn nach schwerem inneren Kampfe und herzerschütternden Wechselreden das Schwert zückt, gegen seine Freunde, die Nibelungen, zu streiten. Der letzte Auftritt hatte Alpins Seele wieder beschwert; er war eben doch unheimlich gewesen, und es wollte sich nun etwas in ihm regen, was wider den Kampf sprach, aber er nahm sich straff zusammen, spannte seine ganze Seele auf den Gedanken der Entscheidung, die nun einmal dieser Schwüle ein Ende machen müsse, der Kampfgeist fuhr in ihm auf, er beschleunigte seine Schritte, und dies um so mehr, da er befürchtete, er habe über die Zeit gezögert und dies könnte ihm falsch ausgelegt werden. Er war eingetreten in den dunkeln Fichtenwald; er hörte von fern ein Geräusch wie ein Prasseln, Wischen, Streifen, kurze Rufe einer Menschenstimme dazwischen, der Wald gab diese Töne mit dem eigentümlich verklingenden Nachhall wieder, als riefe Baum dem Baum eine Kunde zu, die so fortlaufe bis in unbekannte Fernen. Aber halt! Was ist dies? ein brummender, gezogener Laut ist nun deutlich zu unterscheiden, finster, furchtbar, tief wie aus den Höhlungen der Erde heraufgrollend, – Alpin kennt ihn, es ist das Brummen des Wisents, er eilt vorwärts, so schnell es nur der Wald erlaubt, erreicht die Stelle und erblickt –
Wir wenden uns in der Zeit um ein Weniges zurück. Arthur hatte sich beeilt, den verabredeten Kampfplatz zu erreichen. Er steht in Gedanken verloren, den Gegner erwartend; auch in ihm spricht etwas gegen den Kampf und gegen dieses Etwas wieder die Ehre und der Zorn. So in sich versunken hört er nicht, daß nahe im niederen Holze sich etwas erhebt und gegen ihn herbewegt, bis ein dumpfes Brüllen ihm die furchtbare Gefahr verrät. Es war der Wisent, der gestern den Bürger des Pfahldorfs verwundet hatte; Arthur trug – unvorsichtigerweise, denn er konnte vermuten, daß das schreckliche Tier noch um den Weg sei – sein rotes Brusttuch offen.
Der wilde Stier, den unsre Ahnen Wisent nannten, dessen amerikanischer Vetter Bison dem Leser wohl bekannt sein wird und der nur an einem Ort in Europa durch Hut und Hegung sich noch erhalten hat, im Walde von Bialowicza in Littauen: der Wisent ist zwar weit nicht so groß, wie der längst ausgestorbene, damals schon äußerst seltene Stammvater unsres Rinds, der Ur, der Auerochs, von dem er jetzt fälschlich den Namen trägt, doch weist eine Höhe von sieben und eine Länge von dreizehn Fuß, unter welche freilich seine heutigen Nachkommen stark herabgesunken sind, eben auf kein geringes Kraftmaß hin. Schwerlich war selbst der riesenhafte Ur ein so gefährlicher Feind des Menschen wie dieses unzähmbar wilde Geschöpf. Sein Element ist Wut; man kann nie wissen, wann sie ausbricht, am sichersten geschieht es beim Anblick roter Farbe. In jähem Sprunge fährt das Ungetüm auf Arthur los, er vergißt im schrecklichen Drange des Moments, daß sein Schwert eine unmächtige Waffe gegen solchen Feind ist, zieht, stößt, die Klinge trifft schief, schlitzt nur die Haut unter der wolligen Halbmähne, die den Wisentstier bis in die Mitte des Leibs umkleidet, er wird von der Wucht des Anpralls niedergeworfen, schnellt auf und nun beginnt eine Jagd von Tier auf Mensch, die den Tapfersten endlich betäuben, lähmen, entseelen müßte. Es gelingt Arthur, einen jungen Baum im Sprung zu erfassen, aufzuklettern, der wütende Feind führt einen Stoß dagegen, daß der schenkeldicke Stamm abknallt und der Hingeschleuderte abermals nur seiner pfeilschnellen Behendigkeit die augenblickliche Rettung verdankt. Er besinnt sich, daß man vor einem Stier in scharfen Zickzackbewegungen fliehen muß, weil es dem Tiere schwer wird, rasch umzuwenden: ein Mittel, das vielleicht vorhält, so lang ihm die Geistesgegenwart bleibt; aber kein Augenzeuge der verzweifelten Hetze könnte das hoffen. Fürchterlich an sich schon der Anblick eines Tieres, an dessen breitgestirntem Haupte durch den krausen Haarwald die ohnedies groben organischen Formen so verdeckt sind, daß es einfach bloß zur ungeschlachten, blöckischen Stoßwaffe geschaffen scheint. Tiger- und Löwenkopf hat bei schöner Bildung grundfalsche, blutdürstige Katzenzüge; da mag dem Schrecken des Angegriffenen noch die Seelenqual sich beimischen, so viel Wildheit mit solcher tierischen Schönheit verbunden zu sehen, aber er sieht doch Züge, das Entsetzen ist nicht so dumpf, wie beim Anblick dieses Stierkopfs, der wie ein Stück roher Masse aussieht, von dem langen Leibe wie ein Mauerbrecher vorwärts gewesen, um zu Brei zu zermalmen, was nicht hart wie Fels und Eisen ist, oder mit Hilfe der kurzen, nah an den Schläfen aufwärts stehenden Hörner, was da Lebendiges begegnen mag, und wäre es der schwere Körper eines Bären, wie einen Ball in die Luft zu schleudern. Und doch verkünden furchtbare Zeichen, daß eben in diesem formlosen Blocke der dumpfwilde Geist wohnt, der ihn als seinen Sturmbock, seine Schleuder regiert: Feuerqualm scheint aus den schnaubenden Nüstern zu sprühen, das tiefe, wie aus langem Gewölb herausgeholte Brummen ist nur noch schrecklicher als Brüllen des Löwen, des Bären, dämonische Wut funkelt in dem großen, dunkeln Auge, bei seinem Schwellen und Rollen zeigt sich die Bindehaut, die als weißer Grund dem menschlichen Augenstern seine edle, reine, hebende Umrahmung gibt, als rot durchäderte Folie und erhöht so mit ihrer Blutfarbe das scheußliche Wutbild, aus dem Maule hängt die blaurote Zunge und ein dunkler Bart schwankt am Unterkiefer, als hätte der teuflischen Maske noch ein Stück vom Kopfe des Ziegenbocks gefehlt. Vom mächtigen langen Leibe wird dies Haupt in ungeheuern Galopprucken zum Stoß vorgeworfen und mit der geschwungenen Zottel des Schweifes scheint sich das Untier zu immer erneuter, wachsender Furie zu peitschen. Das war, muß man gestehen, ein Anblick besinnungraubender Art; Arthur stand auf dem Punkte, sie zu verlieren, und sobald er sie verlor, mußte seine Behendigkeit selbst sein Untergang sein, denn eine einzige seiner blitzschnellen Kehrungen verfehlt – und sie mußte ihn gerade in die Stoßlinie des fürchterlichen Feindes hineinführen. Bereits ist ihm dies widerfahren, er blutet aus einer Streifwunde an der Stirne, sein Auge umflort sich, er schwankt, er beginnt zu taumeln. In diesem Augenblick unendlicher Gefahr ist Alpin erschienen, ein Gedanke wie ein zuckender Strahl erleuchtet ihn, er nimmt einen Ansatz, springt dem Ungeheuer auf den Rücken, auf den höckerartigen Wulst des Widerristes, klammert sich mit mächtigen Schenkeln fest und stößt mit der Riesenkraft und mit den sicheren Sinnen des Natursohns den starken, äußerst glatt polierten und spitzen Dolch aus dem Ende eines Hirschgeweihs, ungehindert von der bauschigen Mähne, der dicken Haut, den stahlharten Sehnen, zwischen den Hinterhauptknochen und den ersten Halswirbel hinein, daß er mit Blitzesschnelle die Verbindung von Gehirn und Rückenmark zerreißt. Das schwere Tier bäumt sich empor wie ein Hirsch, schnellt mit einer unwiderstehlichen Schüttelbewegung den tödlichen Reiter weit weg, stürzt auf den Rücken, zappelt und verendet. Arthur sah nur wie durch einen Schleier diese Tat der Rettung, ein starrer, in allen Nerven gelähmter Zuschauer stand er wie in den Boden gewurzelt, an einen Baum gelehnt, und statt dem Retter, der nun bewußtlos am Boden lag, zu Hilfe zu eilen, sank er jetzt selbst zusammen und blieb so liegen wie ein Träumender mit offenen Augen, bis auch ihm die Lider sich schlossen.
Jetzt hört man ein Bellen, kurze, kläffende Laute, wie die Hunde sie hören lassen, wenn sie einer Spur nachjagen. Schnell dringt es näher und mit einem Sprunge, heulend vor Freude, wirft sich Tyras auf seinen Herrn und leckt ihm die Hände, die blutende Stirne. Kurz danach rauscht es wieder durch das Gehölz und aus den Büschen taucht Sigunens hohe Gestalt hervor, ihre Haare fliegen, ihre Gewänder sausen noch von der Heftigkeit atemloser Bewegung, ihre schönen Arme sind von scharfen Fichtenzweigen, Stechpalmdornen blutig geritzt, das Brusttuch hat sich im stürmischen Rennen durch diese dichten Hindernisse herabgestreift; so steht sie nun, schaut, sieht die zwei Betäubten am Boden und – wirft sich über Alpin.
Er erwachte, das Antlitz an ihrem weißen, warmen Busen, von ihren braunen Locken überschattet, benetzt von ihren reichlichen Tränen.
»Bist du es?« fragt er.
»Ich bin's,« antwortet Sigune.
»Ja, hast du mich denn lieb?«
Jetzt verfiel sie in ein tiefes, lautes Schluchzen, und als sie die Sprache wieder fand, da brach es hervor: »Vergib! vergib! gequält, gepeinigt, gefoltert hab' ich dich im wilden Mutwill, in der grundbösen Schelmenlaune – Liebe war's – Liebe gegen sich selbst verkehrt – dein will ich sein – mein sollst du sein – beisammen, beisammen, treu bis in den Tod!«
Und sie wußte noch nicht, daß er Arthur gerettet. Alpin wußte es auch nicht mehr, das Geschehene war ihm rein entschwunden, er kannte nur die Gegenwart und preßte wie in seligem Traume, auch er nun in einen Strom von Tränen ergossen, das schöne reuige Weib an seine Brust. Mit sanfter Hand schob Sigune jetzt sein Haupt beiseite, sie errötete, sie besann sich auf sich, verhüllte ihren keuschen Busen und schaute sich nach Arthur um. Ihn hatte nicht eine schöne Menschenerscheinung, nur das treue Tier aus seiner Betäubung geweckt; er sah um sich. Wenige Schritte neben ihm lag das braune Ungeheuer auf dem Rücken, geisterhaft aufstarrend mit den erloschenen großen schwarzen Augen. Er entsann sich. Jetzt sah er auch die zwei; seine und Sigunens Blicke begegneten sich, er nickte, raffte sich auf, trat hinüber, legte die Hand auf Alpins blondes Haupt und sagte, mit der Linken auf die Leiche des grimmen Feindes deutend: »Von jenem hat mich dieser gerettet.« Nun kam auch Alpin das Gedächtnis wieder, doch mit ihm eine Erinnerung, deren Herbe und Bitterkeit ihm plötzlich die erschlafften Lebensgeister sammelte, spannte, um einen peinvollen Gedanken zusammenzog. Er schnellte vom Boden auf: »Danke mir nicht,« rief er, »von dem dort habe ich dich gerettet, aber an einen Schlimmeren dich verraten; o Götter, Götter! was habe ich getan!« Er erzählte mit wenigen Worten, setzte ebenso kurz die Lage, die Gefahr, die vom Druiden und seinem Anhang drohte, ins Licht, starrte dann vor sich hin, einem Menschen gleichend, der eben im Begriff ist, sich in grenzenlosem Jammer zu verlieren, faßte sich aber plötzlich im Bewußtsein, daß hier keine Zeit zum Klagen sei, sann und sann und hatte schnell einen Rettungsplan entworfen. »Es ist«, sagte er, »nicht weit entfernt eine tiefe Höhle mit mehreren Nebenkammern; hier kannst du dich den Tag über verbergen; abends wird alles Volk um die Barden versammelt sein, niemand deine Abwesenheit bemerken, und nachts hole ich dich ab und bringe dich fort.« Rasch überschlug er sich das Weitere. Wohin den gefährdeten Gast zunächst bringen? Am besten nach Turik; denn bei dem Stande der Dinge in der großen Wassergemeinde, wie wir ihn schon kennen, war schwerlich zu erwarten, daß es der Druide versuchen werde, ihn dort mit einer Anklage zu belangen. Wie aber auf dem Wege bis dahin vor etwaiger Verfolgung sichern? Es galt, ihn auf Richtpfaden zu führen. Auf einem Teil des Weges konnte er diesen Dienst selbst übernehmen, aber er durfte nicht zu lange abwesend sein. Er gedachte eines treuen, zuverlässigen Freundes auf dem nahen Gripinsee, seine Hütte war die nächste am Ufer; zu diesem wollte er ihn am Aaflüßchen hin, das sich in den Robanussee ergießt, selber begleiten; er sollte den Flüchtling noch in derselben Nacht über den See setzen; alle nur Hirten bekannten Wege, die von da durch dick und dünn nach Turik führten, waren dem Manne bekannt, und Alpin durfte vertrauen, daß der längst Bewährte, durch manche Dienste und Gegendienste Verbundene sich gern bereit finden werde, seinen Schützling auf diesen geheimen Pfaden sicher zum Ziele zu geleiten. Den Tag über mußte er den teuern Neugewonnenen leider allein lassen, man durfte ihn im Dorfe nicht vermissen, die Bezwingung des Wisents konnte nicht lang geheim bleiben, eine Fabel mußte erfunden, dem wartenden, auf Kunde vom Ablauf des Zweikampfs höchlich gespannten Druiden mußte weißgemacht werden, der Gegner sei nicht zu finden gewesen, dafür plötzlich der gefährlichere Feind erschienen und glücklich besiegt worden. Einen Schutz, der nicht zu verachten war, versprach inzwischen der starke, mutige Tyras, und abends hoffte Alpin doch auf so lange wenigstens abkommen zu können, um dem Einsamen die nötige Erfrischung zu bringen. Die drei wandelten zur Höhle.
»Kannst du mir verzeihen?« sagte Alpin.
»Du hast's ja,« erwiderte Arthur, »mannhaft wieder gutgemacht vor dem Druiden und dann im Walde. Bist bös gewesen, jawohl, aber ich kenne die Eifersucht; hab's auch einmal durchgemacht und noch anders als du, hätte fast einen Mord auf meine Seele geladen.« Ein Schatten lief über seine Züge; er fuhr fort: »Ich hab' in heißer Zeit erster Jugend ein bildschön Mädchen geliebt aus frommem Hause, meine Seele war wie ein Sturm, die Jungfrau schwur mir Lieb' und Treue, und am Tag darauf find' ich sie in den Armen eines jungen Druiden, der eben von der Schule kam und jüngst geweiht war, ein hübsch, glatt Bürschchen mit gescheitelten Locken, fast einer Fee im Mondschein gleich. Und wie ich den Scheinheiligen einsam finde am Ufer des Sees, pack' ich ihn an der Brust und halt' ihm seine Sünde vor. Der entgegnet frech, heuchlerisch und spitzfindig. Ich stoß' ihn ins Wasser, wie ich aber den Tropf zappeln sehe, spring ich nach und zieh' ihn heraus. Das Mädel hat noch manchen betrogen, ich aber hab' mich auf die Jagd geworfen, sie zu vergessen, und wie ich einmal auf einen Wolf laure, kommt mir der junge Pfaff in den Schuß, der eben zum heiligen Haine ging. Ich hatte die Finger an Pfeil und Sehne und will schon drücken, erschrecke aber an mir und setze ab. Bin ein wilder Mensch gewesen, seither hab' ich mich besonnen und bin stiller. Du aber, Alpin, bist ein Narr gewesen, wir sind ja Vetter und Base; ist dir doch auch ein wenig recht geschehen, daß sie dich geplagt hat.«
»Und a schwarzbrauner Jager mit'm Gamsbart auf'm Hut,« sagte halbsingend Alpin und deutete auf den Schmuck an Arthurs Mütze.
»Gefällt mir schon recht,« scherzte Sigune, »aber du steckst jetzt einen Büschel vom Wisentbart auf die deine.«
»Komm, Base,« sagte Arthur, »gib mir die Hand!« er ergriff dazu Alpins Rechte, legte ihnen die Hände zusammen und darüber seine eigne Rechte. Die Blicke des braven Paares weilten ruhig und still ineinander, kein Wort und kein Kuß wurde gewechselt. »Ich kann's jetzt schon sagen,« fuhr Arthur fort; »es hätte meinen Vater gefreut, wenn ich das Bäschen heimgebracht hätte, aber –« Er nahm seine Erzählung wieder auf, als hätte er sie nicht unterbrochen gehabt: »Es träumte mir in der Nacht nach der Wolfsjagd, ich stehe wieder im Wald und ziele und wolle eben abschnellen auf den jungen Priester, da fühle ich meine Hand gehalten und sehe einen Glanz um mich und neben mir steht Taliesin, der Glanz geht von seiner Stirn aus und er spricht: ›Diese soll nicht Pfeil niederstrecken, sondern neuer Taliesin.‹ Es kam dann das Erz zu uns, und ich erfreute mich noch eine Zeit der Jagd mit den neuen Waffen, aber der Traum kehrte öfters wieder, Gedanken wie Blitze sind mir in manchen Stunden aufgestiegen, unser alter Götterglaube und Dienst wollte mir vorkommen glanzlos, zerbrechlich, matt, wie Bein und Stein gegen das gediegene glänzende Metall, das Jagen fing an, mir zu entleiden – und nun auf der Reise – drüben in Turik – bei den Barden – es wurde heller und heller – schicken tut mich niemand als mein Vater zu Odgal, die Verwandten wieder einmal zu begrüßen und nach der Base zu schauen, aber jetzt, seitdem es mir so wetterleuchtet im Kopf und jetzt seit dem Feste da, wo der alte Wust mir wieder so gröblich vor Augen geplatzt ist, jetzt muß ich wandern, wandern, es läßt mir keine Ruhe, und dann – ja, ich spür's, mir schwant's, von diesen Tagen, von gestern, von heute an wird mein Leben – wenn ich's rette – eine Jagd werden – eine Jagd, ich werde jagen, nach Menschen jagen und gejagt werden – und –, glaub mir, Alpin, zur Liebe hab' ich keine Zeit mehr, auch wenn ich wollte.« Die Worte blieben unerläutert und waren dem Sprecher vielleicht selbst nicht so klar, daß er die Erklärung dazu hätte geben können. Und nun war unter all dem das übervolle Herz noch nicht dazu gelangt, die Hauptsache, den Dank auszusprechen. Es geschah erst, als man am Eingang der Höhle angelangt war. Nur erwarte der Leser keinen stürmischen Gefühlsauftritt. Daß auch Männer sich umarmen und küssen können, war den Pfahlbewohnern noch rein unbekannt; hätten sie sehen können, wie das betrieben wurde zu den Zeiten Vaters Gleim und wie noch hentigestags da und dort Männer sich abschmatzen: man darf wohl annehmen, sie hätten sich mit Scham und Schauer abgewendet. Arthur sagte einfach: »Ich danke dir, dem Feind, mein Leben!« und begleitete die Worte mit einem Druck der Rechten, worüber unsereinem das Blut aus den Fingern spritzen würde und den nur eine Hand aushielt, die fähig war, einen Wisent mit einem Horndolchstoß niederzustrecken.
Die Höhle war tief und weit und enthielt Nebenhöhlen in sich, die aussahen, als hätte Menschenhand nachgeholfen, sie zu Wohnungsstätten herzustellen. Einzelne Tierknochen und Scherben lagen umher; es ging eine alte Sage, dort hätten einst Menschen gewohnt. – »Langweilig wird's schon sein,« sagte Alpin. Arthur sah an der hohen, dunkelgrauen Wölbung hinauf. »Ich bin gern allein,« versetzte er dann. »Du hast nun recht Zeit zum Brüten,« meinte Alpin. Arthur nickte lächelnd und strich ihm mit der Hand über die blühende Wange. Eine dunkle Sorge kam über Alpin, als man sich trennte, obwohl es für ihn vorerst nicht auf lange war. Ungleich schwerer noch lag es auf Sigunen. Wer weiß, wann im Leben man sich wiedersehen wird? Ja wer weiß, ob? Es kamen ihr Tränen. »Gib ihm einen Kuß,« sagte Alpin. Sie reichte ihn, die gegenseitigen Lippen verweilten nicht heiß, aber innig in sanfter Berührung. Man trennte sich, der versöhnte Tyras sah wie fragend zu, als die beiden hinweggingen.
Arm um Hüfte, Arm um Schulter geschlungen, gingen Alpin und Sigune heimwärts durch den Fichtenwald bis an die Lichtung des Eichenhains. Jetzt erfuhr Alpin, wie die Dinge gekommen. Die Herausforderung war aus Blick und dunkelm Wort leicht zu erschließen, Ort und Zeit blieben ihr verborgen. Was litt sie nun! Wie zerwühlte die Reue, die Liebe, die Todesangst, die Höllenqual des Schuldgefühls ihre Seele! Jetzt, jetzt fand sie Worte, und doch weit, weit nicht genug Worte für die Ewigkeit dieser fürchterlichen Stunde. Sie rennt im Dorf um, sie fragt alt und jung, ob niemand Alpin und Arthur habe hinausziehen sehen und in welcher Richtung; niemand weiß Auskunft, zu viele darf sie nicht fragen, denn sie muß Aufsehen vermeiden; da verbreitet sich die Kunde von der nahen Ankunft der Barden aus Turik; zwei Gemeindeälteste sind ihnen entgegengeritten, sie werden, vom Druiden feierlich empfangen, in den Freihof geleitet. Die Türe dieses Gelasses wird kaum geöffnet, so stürzt Tyras heraus und fort über die Brücke ans Land. Sigune hat einen Führer gefunden! Das Schnobern nach der Spur seines Herrn hemmt die Schnelligkeit seines Laufes, Sigune kann ihm folgen und – das übrige wissen wir. Sie standen am Waldsaum, als sie ihre Erzählung – nicht Erzählung, ihr in abgebrochenen Sätzen gestammeltes Bild vollendet hatte. Alpin schwieg, sie sahen sich lang in die Augen. »Darf ich bald vier Pfähle hauen?« fragte Alpin. Sie drückte ihm die Hand, die in ihrer Rechten lag, errötete, zupfte ihn mit der Linken an seinem Nackenhaar und entsprang.
Alpin, als er im Dorf ankam, wünschte sich Glück, daß aller Welt Aufmerksamkeit von den zwei berühmten Fremden hingenommen war. Der Druide, in dessen Haus ein Festmahl für die Ankömmlinge bereitet wurde, hatte keine Zeit, Alpin ausführlich zu verhören; es war also glücklicherweise nicht nötig, die bereitgehaltene Notlüge lang auszuspinnen. Urhixidur, die natürlich schnell erfragt hätte, was im Werke gewesen, war unsichtbar, ganz, wiewohl ungern, Köchin für das große Bewirtungswerk, und den Leuten der Gemeinde gegenüber durfte Alpin doch wenigstens nur ein Stück der Tatsache weglassen, brauchte kaum eigentlich zu lügen. So völlig hatte man nun allerdings nicht bloß für die Barden Sinn und Ohr, daß man nicht mächtig aufschaute bei der Kunde von der Erlegung des gefährlichen Wilds und daß sie nicht wie ein Lauffeuer sich verbreitete. Zwar der Genickstich, »Knickfang«, war keine unbekannte Tötungsart, zufällige Erfahrung ersetzte die anatomische Kenntnis, aber man wußte nicht anders, als daß so gewaltige Tiere wie Ur und Wisent erst in Gruben gefangen, mit Stricken geknebelt sein müßten, ehe an der Stelle der langsamen Vernichtung ihres zähen Lebens durch Axtschläge und Speerstiche diese rasche Abschneidung seines Fadens durch eine ungewöhnlich starke Faust mit Nachhilfe eines Schlegels zum Eintreiben des Horndolchs versucht werden könnte. Alpin wurde angestaunt; »da haben wir ja zum voraus den Schützenkönig für morgen, so trifft doch keiner ins Schwarze!« hieß es, denn der Morgen des ersehnten hohen Freudentags war dem jährlichen Schützenfeste bestimmt. Für Sigunen aber war der allgemeine Jubel kein kleiner Zuwachs zu dem inneren, mit Angst um Arthur wunderbar verwobenen Jubel ihrer Seele; wohl kein Jäger, aber doch ein von der ganzen Gemeinde bewunderter Jagdheld! Und wie heiter glänzten Vater Odgals Augen! Sigune wußte schon lange, daß er nichts gegen die vier Pfähle hätte, aber nun: ein Wisenttöter zum Eidam! Er rühmte sich, einmal einen Wels mit seinem Flintspeer gespießt zu haben, einen hundertpfündigen! Zwei stolze Mannen! Für die Gemeinde aber erstand noch ein Hebel zur Mehrung der allgemeinen Freude nicht sowohl aus der Seele als aus dem Magen: ein seltener Festbraten für morgen! Man machte Anstalten, das Wild zu holen; Alpin beeilte sich, sie zu leiten, damit ja niemand nach Arthurs Zufluchtsstätte sich verlaufe; im Walde wurde schnell eine Tragbahre aus jungen Stämmen gefügt, die man mit starken Wiedschlingen verband, und nicht weniger als zwölf starke Männer schleppten laut jauchzend die Last des Tieres hinüber ins Pfahldorf. Mit Augen, die vor Stolz und Freude leuchteten, stand Vater Ullin an der Brücke, als man die seltene Beute herauftrug. Das war nicht der kleinste Gewinn, daß Alpin jetzt aus diesen Blicken lesen durfte, der Papa werde ihn künftig mit seinen Feuerstein-, Faden- und Buchsmaserschnitzfabrikideen in Ruhe lassen.
Wir werden morgen einem größeren Schmause zusehen als dem, welcher heute die zwei Barden mit den Gemeindeältesten im Hause des Druiden vereinigt, der es – mit wenig Lust – ehrenhalber hat übernehmen müssen, sie zu bewirten; wir wollen uns daher nicht dabei aufhalten, wollen die Reisemüden ruhig ihrem Nachtischschlummer überlassen, noch einige weitere Stunden überspringen und uns am Abend nach dem Dolmen begeben, wo bereits die Gemeinde versammelt ist und dem Priester zu beiden Seiten die Barden sitzen. Blaue Talare sind ihr stattliches Festkleid, ihre Häupter unbedeckt, mit Eichenkränzen geschmückt. Die Pfahlbürger sind bewaffnet; das war, ausgenommen die heilige Betuchungsfeier, unzertrennlich von der Festtracht bei allen Volksversammlungen. Der lange Bogen von Eibenholz hing über die Schulter, der Köcher über den Rücken, der Horndolch stak im Gürtel, nur der Speer, die schwere Steinaxt war zu Hause geblieben. Die Frauen und Töchter waren nicht zu sehen. Zwar verbot keine hergebrachte Sitte ihre Zulassung, das Weib war nur von der politischen Versammlung, der Landsgemeinde, ausgeschlossen; allein das schöne Geschlecht hatte damals noch wenig Lust, belehrende, bildende Vorträge anzuhören, mit rührender Offenherzigkeit wurde vielmehr gestanden, man finde dergleichen langweilig.