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Soll auf einige Wochen nach Schwaben reisen, städtische Anstalten einsehen, Gefängniswesen und andres. Auch gut, verlufte mich nebenher, möchte auch bei der Gelegenheit die alte süddeutsche Malerschule besser kennen lernen; Zeitblom muß etwas von Stil haben und Farbe dem Giovanni Bellini verwandt.
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Einen heiligen Sebastian von ihm aufgetrieben um viel Geld, das Geld fast so gern ausgegeben wie für großen Opferakt an rebellischem endlichen Objekt. Wahr, wahr, auch da ist Stil: Feier, Gesammeltsein tief in sich vor Gott. Farbe warm verarbeitet, leuchtend. Aber etwas Geschmackloses, etwas Vertracktes muß hinein, anders tun sie's nicht, unsre alten deutschen Meister. Bei Zeitblom außer der eckigen Dürre überall die dumme, bornierte Schwellung über der Nasenwurzel, die Nase selbst immer rot angezogen. Will er, muß er damit die gewisse Verknopfung im schwäbischen Wesen ausdrücken?
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Meine sie nun zu kennen, diese Schwaben. Schwerblütig, unvermögend, sich aus sich herauszuleben. Wie leichtlebig dagegen selbst unsre mitteldeutschen Stämme! – Und dabei merkwürdig starkes Stammesgefühl. Meinen, ihre Eigenheiten seien bessere, eignere Eigenheiten, als die Eigenheiten andrer Stämme. Meinen, sie haben die Gemütlichkeit gepachtet.
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Gemütlichkeit? Es ist jeder Dialekt gemütlich, und behüte uns der Himmel vor Dialektlosigkeit! Sie mögen recht haben, daß sie durch alle Stände daran halten. Aber es ist auch Gefahr in diesem Hegen, es bildet sich ein behagliches Einander-Mögen und -Gernhaben im engen Kreise, ein Element, aus welchem schwer zum resoluten Aussprechen der Wahrheit aufgetaucht wird, wenn sie unangenehm ist. Die Vettermichelsgemütlichkeit liegt so nahe an der unwahren Höflichkeit, als der weltglatte Bildungsschliff, mag sie auch am unrechten Orte manchmal grob sein. Man sollte jedem, der unfrei am Dialekt hängt, auf zwei Jahre den Gebrauch desselben bei Strafe verbieten und nachher wieder erlauben.
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Nachdenkliches Wesen, viel Talent, aber da stellt sich das T und L um: Talent bleibt latent. Sind so gescheit wie nur irgend jemand, haben aber wie die Schildbürger beschlossen, heimlich gescheit zu sein. Will nichts heraus. Kein Zusammenleben, keine Gesellschaft – denn verhockte Wirtshauskreise sind nicht Gesellschaft, – kein Gespräch. Man trifft freilich im kleinsten Winkel vereinzelt unterrichtete Menschen, wenn man sie anbohrt, oft und viel, – guter Verstand überall. Aber kein Gespräch, will sagen kein geselliges, verbreitetes, Städte durchfliegendes Ventilieren neuer Dinge, die jedermann interessieren. Kein warmes Wort, kein lebendiger Ideenstreit über neue Bücher, Theaterstücke, Kunstwerke, aufregende politische Ereignisse oder Fragen. Scheint mir auch verstockter Eigensinn zugrund zu liegen, machen Gesichter, die sagen: jetzt, weil jedermann davon spricht, weil alle Welt meint, davon müsse die Rede sein, jetzt gerade erst recht nicht. – Sind übrigens auch fremdenscheu, fremdeln.
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Auch Gutes in dieser Verstocktheit? Hassen windiger Volubilität? Flunkerhaften Leichtredens? Gewiß, und darin viel Recht. Begründeter, gerechter Widerwille gegen das Umsichwerfen mit vergriffener Sprachmünze bei so manchen Norddeutschen, gegen die Schwatzvirtuosität und Wohlweisheit des Berliners. – Auch eine gewisse edle Scham, das Innere nur so geschwind herauszugeben? Selbstgefühl, das sich gegen Modelebtag sperrt? Ja, auch davon ein Korn, im übrigen Phlegma, oder ist es anders zu bezeichnen? Man meint oft, diese Leute müssen ja Fischblut haben, wird irre, wenn man wieder den nachhaltigen Zorn sieht.
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Die Schwaben sind zornig. Muß namentlich vom Neckarwein kommen, der bös macht; hab's in jenen Wochen an mir erfahren. Schiller hat diesen Zorn zum Zorn gegen das Gemeine veredelt. Das Volk sehr roh, soviel ich an Sonn- und Feiertagen auf der Eisenbahn bemerken konnte. Besonders wüstes Fluchen. Auch wilde Tiermißhandlung. Beamter in Stuttgart, klarer Mann, fähig, aus Vogelperspektive zu sehen, sagte: was ein rechter Schwab ist, wird nie ganz zahm. – Sehr häufig die »oculi truces« des Tacitus.
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Formlosigkeit prinzipiell gemacht: sie gilt für wahre Natur; Form gilt für affektiert, vor allem: höher belebte Form, doch auch einfach richtige Form, zum Beispiel reines Deutsch. Wissen aber doch in Kunst und Wissenschaft sehr wohl, was große Form ist.
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Vieles offenbar auch Folge der langen Abgeschlossenheit vom großen Verkehr. Weltlosigkeit, Versessenheit, Stagnation. Hauptstadt in einem Kessel, können nicht oben hinausgucken. Entsteht ein deutsches Reich, so wird sie vielleicht die Luftdurchströmung wecken; wird etwa sein, als ob man einen großen Fluß durchleitete. – Doch gewiß langsam.
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Halten sich in ihrer Selbstliebe für besonders ehrlich, solid, reell – während es mit der Gewissenhaftigkeit in Handel und Wandel, im Handwerk um kein Haar besser steht als irgendwo in unsrer Zeit. Herrschend selbst in Städten, lange sogar in der Hauptstadt, lumpiger, fünf Zoll dicker Holzriegelbau, Nomadenzelte. Von diesen gefälschten Mauern muß ein Geist der Unsolidität in alle Geschäfte ausströmen. – Hören gern: »biedre Schwaben«. Der wahre Biedermann wird aber die Biederkeit haben, dies Prädikat nicht anzunehmen, weil es klingt, als ob die Leute anderswo nicht bieder wären.
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Das viele Talent sichtbar in viel Humor. Aber dieser Humor öfters ins Kleine, eng Lokale verkräuselt. Lach- und Spottneigung: gefährlich, kehrt sich leicht gegen wahres wie gegen falsches Pathos. Spottlust dadurch etwas entschuldigt, daß man sie selbst viel verspottet, und doch viel mit Unrecht. Auch ihren Dialekt verspottet man oft ungerecht; unter all seiner Unschönheit ist doch ein feiner Sprachsinn verborgen, ein Ohr, ein Nerv von viel Schärfe für Sprachfehler moderner Abschleifung, naturloser Sprachkultur. Habe zum Beispiel niemals den Akkusativ und Ablativ, nie das Her und Hin, Hier und Dort verwechseln hören.
Beamtenstand habe ich in Mehrheit sehr gewissenhaft gefunden. – Auch die Sitte im ganzen und großen noch etwas intakter, als anderswo. Verkehrsanstalten exakter Dienst. – Viel Tüchtigkeit. – Schulwesen höchst solid. – In diesen Dingen mehr Ernst, Sorgfalt, Genauigkeit als bei den südöstlichen Nachbarn. Protestantisches Land.
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Summa: Völklein schwer zu begreifen; Gutes und Schlimmes verknäuelt wie kaum irgendwo. Ueberrascht auf seiner engen Existenz die Welt auf einmal mit einem Schiller, Schelling, Hegel. Vielleicht kann man sagen: unter dem dichten, knorpligen Schildkrötenschild ein stets gesparter, obwohl auch viel zu sehr gesparter Schatz von Talent und Kraft. Dies die mildeste Ansicht und billigste Entschuldigung. – Nur der Lebtag von der Gemütlichkeit sehr verdammenswert, erregt Ueberdruß.
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Das ist übrigens auch wahr: keinen einzigen blasierten Menschen habe ich gefunden, und bin doch mit vielen umgegangen. Dies besagt nicht wenig.
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Gemüt ist warmes, inniges Eingehen in Zustände, Tiere, Menschen. Scharfer Gegensatz gegen die Sinnesart, die mit Begriffen oder Zwecken sich nur von außen über die Dinge herspannt, daher humorlos ist und zum Beispiel nicht begreifen kann, warum ich auf der Straße stehen bleibe, dem Spiel junger Hunde zuzusehen. Ist sehr arm an Sinn fürs Naive, versteht vom Komischen fast nur das Ironische. Hierin nun sind die Schwaben sehr gut organisiert, auch die Bajuwaren; die Franken, zu denen ich mich rechne, obwohl nahe der alten Sachsengrenze, bin ich noch so eitel zu nennen. Das Niederdeutsche ist schon im Sprachklang laugiger, neigt mehr zum schelmischen Aufziehen (Reineke Vos). – Zum Finden oder Erzeugen des Komischen gehören zwei Dinge: jenes Eingehen, Mitsein, sich Mitfühlen im andern, also selbst noch naiv sein; gleichzeitig aber darüberschweben mit Blick der Geistesschärfe. Wem das erste fehlt, der mag lieber gar keinen Versuch machen, echt Komisches zu genießen, mag sich mit der sauern Dünnkost des Spottes begnügen. – Gut, also Gemüt. Etwas andres ist Gemüt lichkeit, sie ist verbreiteter Gemütston, ist Gemütston als Lokal- oder Provinzialkostüm, namentlich im Dialekt (zum Beispiel starker Gebrauch von Diminutiven). Nun aber, wenn dies Ton, Kostüm geworden, so spricht und tut auch der Spitzbube, der Betrüger, ja der Mörder gemütlich. Damit verliert es allen Wert; konventionell gewordenes Gemüt ist kein Gemüt mehr. Man kann höchstens sagen: denen, die doch wirklich Gemüt haben, hält rings herrschender Gemütston das Wesen des Gemüts in stets frischer Erinnerung und dient ihnen zugleich als Mittel, das Gemüt in angemessener Sprachform auszudrücken.
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Noch Abstecher in die Schweiz. Tüchtige Männer kennen gelernt, brave, gastfreundliche Häuser. – Schon auf der Eisenbahn aufgefallen: man sieht mehr ganze Köpfe als anderswo. Ganz: worüber die zermürbende Egge der Kultur mit ihren teils nützlichen, teils charakterebrechenden feinen giftigen Spitzen nicht gegangen ist. Man hört auch gottlob nicht so viel von Gemütlichkeit. Was ich von jungen Leuten aus der Sphäre wissenschaftlicher Bildung kennen gelernt, frisch, frei von Ironie. – Schulen blühen, Dörfern ein schönes Schulhaus Ehrensache. Reinlichkeit höchst wohltuend. – Habe bemerkt, daß die Wahrheit mehr ins Gesicht gesagt wird, als in unsrer verschliffenen Welt, obwohl oft stroblig rauh; doch wie viel besser dies, als nach dem Maul schwätzen! Aber ernste Männer klagen über den reißenden Fortschritt des Geldgeistes. Monarchien, sagte ein Schweizer selbst, ein guter Republikaner, zu mir, öffnen den menschlichen Leidenschaften mehr Abzugskanäle, zum Beispiel Titel, Adelsdiplome, Hofdienste, Orden dem Ehrgeiz, der Eitelkeit; hier aber wirft sich aus Mangel an andrem die ganze Sinnlichkeit fast allein aufs Geld; dazu das Unglück, daß unser Land von der unendlichen Reiseflut überschwemmt wird; das ist ein Fluch, das muß verderben. Ach, schloß er, wir brauchen bald eine neue, große Bluttaufe, einen furchtbaren Kampf um unser Dasein; ich vertraue, es sei noch so viel alte Schweizertugend da, ihn zu bestehen. – Gebe ihm der Himmel recht, dem braven Manne! Denn daß inmitten unsrer monarchischen Großstaaten noch eine Republik besteht, auf altgesunder Grundlage, verständig, nicht ideologisch, gut konservativ: das soll sein, ist recht und in der Ordnung. Wenn sie sich nur auch vor der modernen Demokratie brav hütet! Gerade einer Republik nichts verderblicher, als der falsche, abstrakte Freiheitsbegriff!
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Wieder zu Haus, kleine Reise will in der Nachkur nicht vorhalten. Wenn ich mich vom Amt verschnaufe und meinen Zeitblom ansehe, seinen Ansatz zur Streckung der Formen und daneben doch das Verwachsene, Unfreie, Verknorrte, so kommt mich's nun erst recht an: ich sollte eben doch hin, ich muß hin, muß den freien, großen Stil in der Kunst endlich einmal anders schauen, als nur in Gipsabgüssen und Stichen. Ein unwiderstehlich Sehnen kommt mich an, wie ich da schreibe: die Formen strecken. In meinem Leben, in dem Rattenkrieg mit dem kleinen Uebel ist alles geknittert, gekettelt, genergelt, gezupft, klein gebrochen, knopfig genestelt. Strecken! An dem, was dem Auge große Bahnen gibt, muß ich mich selber strecken. – Ich muß sehen, wie ich's mache. Muß aber dann, wenn es gelingt, mit aller Kraft meinen Vorsatz halten, nach den politischen Werdekämpfen Italiens nicht hinzusehen. Verzeih mir's zum voraus, Genius eines aufstrebenden, geistvollen und liebenswürdigen Volks!
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Und ihrer Mutter Heimat sehen, das wird ja erlaubt sein und nicht zu stark an der Seele zucken, so daß sie aus der Ruhe der Betrachtung gerissen würde.
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Bravo! Noch einmal Bravo! Zwei Dinge auf einmal: Neues Amt, größere Kreisstadt und vorher Urlaub! Doktor wieder brav; schreibt mir Zeugnis: »Abgearbeitet – akute und chronische Affektion der Schleimhäute – gestörte Verdauung – mildere Luft – Bewegung – mildes Klima –.« Wollte eigentlich Kairo, doch läßt mit sich auf Italien herunterhandeln. Regierung willfährig, insbesondere weil ich dazumal mit dem kommunistischen Gesindel fertig geworden und weil ich die Faust fest auf die verrotteten Volksbeglücker drücke. – Daß man mich nur nicht für gar zu brav hält!– Doch für jetzt schon recht!– Aufgepackt, fort! Von Karo schwerer Abschied, doch in guter Hand!
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Sammlungen von Pfahlbewohnerresten – Bodensee – Schweizerseen – Steinzeit, Bronzezeit. Man wird ganz zu Hause, haben es auf ihre Weise ganz bequem gehabt, glaubten sich gewiß auf Bildungshöhe. – Gedanke einer Pfahldorfgeschichte. Mondsymbole – halt, daraus kann eine Religion für die Pfahlmenschen herausgesponnen werden!
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Desenzano. Muße zum Schreiben, Strafe für meine Dummheit und vielleicht doch gut, daß ich mich etwas sammle von der Hast. – Durch die Schweiz gehetzt, will jetzt nichts vom Gebirgsland, vollends wenn vollgestopft mit Reisegeziefer. Abgeleckte Idylle. Wenn einlassen, dann brauchte es mehr Zeit, erst im Volk, fernab von den Gasthöfen, zuzusehen, wieviel noch alter Kern da ist. Hat mich nur der Splügen gefreut und wie flott der Postknecht die Zickzackwendungen hinabfuhr nach Chiavenna; das Resolute tut wohl, die hohen Berge sind auch resolut, aber mir für jetzt zu hart, zu formlos. Dürste nach andern, schwungvolleren Erdbildungen, auch nach großen Wasserflächen, dies hat mir doch Norwegen angetan mit seinen zwei Größen: Gebirg und Meeresbucht. War mir dann der Comersee doch wieder zu weich, will den Gardasee mit ihm vergleichen und seinem gestrengeren und doch, wie ich aus Beschreibung weiß, schon südlich plastischen Monte Baldo. Unterwegs in Brescia an zwei Gegenständen hoch erbaut: Köpfen weiblicher Heiligen von Moretto und antiker Erzfigur, griechischer Arbeit: Nike. Dort die Züge, hier die Gestalt – rühren mich noch anders, als Hinz und Kunz. Weiß warum; – erinnern. – Den Gardasee hinauf und herab. Meine ich Dummkopf, in Italien geb's keinen Katarrh, kleide mich zu leicht, fange einen gründlichen und sitze nun da und kann ihn ausbrüten. Ufer mit Limonengärten, malerische Steige hinauf nach Ledrotal, Ortschaften wie Schwalbennester hängend, rechts dann die rein modellierten Formen des Monte Baldo, sanft gerötet von Morgenlicht, herrliches Grünblau des Sees, alles nur wie im schweren Traum durch verklebten Flor gesehen – hat mich nicht gekühlt, Nase, Ohren, Augen glühend – das der Einstand? Du dort oben auf höchstem Berg, Madonna di Salò, bist gewiß eigentlich die Minerva, die dort sicher ihren Tempel hatte, warum hast du mir nicht gnädig Gehirn kühl, Augen klar bewahrt?
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Vom Bahnhof auf die Spia d'Italia gesehen, steht bei Solferino auf der Höhe, wo der blutige Kampf war. Nicht hinüber! Das nicht sehen! Die Faust ballt sich mir gegen den glücklichen Croupier, während doch Oesterreich auch recht geschah für seine Lumperei. Aber der Croupier wird's auch noch büßen, das weiß ich. Doch Vorsatz halten! Keine Politik!
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Verona. Arme Maultiere und Esel! Seufzende Kreatur! – Ihr stammt von dem Gesindel, ihr Tierschinder, das einst dort in der Arena die scheußlichen Kämpfe ansah. – Für was lauft ihr in die Kirchen?
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Das katholische System ist Reklame, Revalenta arabica, Königstrank, Mailänder Haarbalsam. Kommt zu mir, ich habe eine Apotheke, euch selig zu machen ohne eigne Mühe! Was ihr am meisten fürchtet: das Gewissen und den Tod: ich zieh' euch den Zahn schmerzlos aus!
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Doch nett in San Zeno. Ich trete in der Abenddämmerung ein. Dort in einer Kapelle ein gewöhnliches Kerzenlicht. Ich gehe hin: eine alte Nähterin näht an einem Röckchen fürs Christkind auf morgen zum Fest, ein alter, dicker geistlicher Herr steht dabei und fädelt ihr ein, mit großer Brille auf der Nase.
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Und nun heut abend! In der Kapelle das ganze neue Kindszeug ausgestellt: Häubchen, Kittelchen fürs Christkind. Gedräng dahin von Mädchen, Frauen. »Ma, quanto grazioso! che carino!« – Man muß immer wieder lachen. Die Menschen bleiben Kinder.
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Bologna. Akademie. Wie wird mir nun meine Vorstellung von diesem Pietro Perugino zur Wahrheit! Zu den Menschen da unten, die in unsagbarer Sehnsucht hinaufweinen, wie, mit welchem Blick der Unendlichkeit neigt aus geöffnetem Himmel die Jungfrau sich herab! Dabei alles noch grundnaiv, auch die mandorla, die Mandelform der Oeffnung des Himmels. Und doch Farbe schon tief warm, leuchtend von Seele.
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Florenz. Hier nachts im Mondschein! Da wandle mit Andacht! Wo wären wir ohne diesen Quellpunkt aller neueren Bildung? Barbaren, nichts weiter. Dort im Garten lehrten die Griechen. Dann all die Dichter und Künstler! Die Geisterluft, die von hier aus wehte, ist weicher noch, als die Lüfte dieser Mondnacht.
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Es ist wahr, die Renaissance war nur die eine Hälfte der Wiedergeburt, die andre die Reformation. Diese die ethische, und wie notwendig! Eine Halbheit zwar, auch mit ihrem eignen Maßstab, dem der Religion, gemessen. Aber durch Halbheiten geht die Geschichte; die Menschheit erträgt nichts Ganzes. Und wohl der Halbheit, die ein gut Stück vom Zentrum, vom Kern des Ganzen hat! Luther hat viel Unnötiges stehen lassen, aber in ihm brannte Zentralfeuer, heiliger Grimm aus heiliger Liebe sprühend. – Deswegen gehören auch nicht je wieder zwei Völker so zusammen, wie Deutsche und Italiener. Die zwei Hälften der Menschennatur suchen sich. Die Italiener erkennen es jetzt noch wenig, hassen uns historisch-politisch, aber es wird schon kommen.
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Wie sich's gestreckt hat, weiß ich jetzt, hab's mit Augen verfolgen können. Kapelle Brancacci in S. Maria del Carmine: Masaccio, der hat den größten Ruck getan im Strecken. Aber wenn mir ist, als geriete ich bei diesem Anblick selbst ins Wachsen und freie Auswickeln, wie eigen rührt mich doch gleichzeitig die holde Unreife, die liebenswürdige Armut des Nochnichtkönnens! Sie hilft ja den geschaffenen Kern der Innigkeit streng bewahren, daß er in der entbundenen Form nicht verdunste. Seit ich den Perugino in der Akademie zu Bologna gesehen, ist mir das erst recht aufgegangen. Nun hier weiter in der Zeit zurück der herrliche Fiesole! Auch in ihm ist schon Zug zum Strecken, will da und dort die mündige Form schon ausschlüpfen, – welche große Bahnen in den Falten des weißen Mantels, der den auferstehenden Christus majestätisch umfließt – dort in der Klosterzelle von San Marco –, aber sein frommes Kinderherz! Welche Welt von Rührung! Wie keusch zusammengehalten!
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Und dann, ich kann sagen, wahrhaft gute Stunden genieße ich in S. Maria Novella. Welch ein edel freier, heiterer Mensch ist dieser Domenico Ghirlandajo! Da geht's hinaus in die schöne, sonnige Welt. Und hinein in das Wärmeliche der Zustände menschlichen Behagens. Wie köstlich diese Kindsstuben, das Pflegen der Neugeborenen, die Nachfragen der besuchenden schönen Frauen und Mädchen, die wohnlichen Räume! Und wieder, welche Würde der Gestaltung schon! welch ernste Ruhe und adlige Bewegtheit.
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Pitti. Madonna del Granduca. Nicht ganz, ihr Gesicht um einen Hauch schmäler, aber doch sie! O ja, sie, das ist sie! – Solches Oval, solches Blicken, Neigen, Beugen – nur Raffael, nur er, und er, als hätte er sie gesehen!
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Der große Grabmalkünstler von San Lorenzo will mich nicht recht annehmen, stehe dort bald hingerissen, hoch getragen, bald geärgert. Zu dieser genialen Geistertiefe der übertriebene Wurf und so viel widerwärtige Gedunsenheit. – Rom abwarten. Dort laß dich auch von der Antike erst ganz erfüllen, – Seele! Und von Raffaels ganzer Herrlichkeit!
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Oft, wenn ich oben stehe, bei dem Kleinod altfrommer Baukunst, bei San Mignato, und herunterschaue auf Tal und Berg und Fluß und Stadt, und dann auch jenes Wunderbaren gedenke, dessen Schatten hier umschwebt, des Hölle, Himmel und Welt umfassenden Dante, des Geistes, der einer weitgespannten, hochgewölbten Kuppel gleicht, und wenn ich dann denke, wie viel Wildes und Furchtbares doch auch an den Flächen dieser Kuppel wie mit Glut und Blut gemalt ist, dann entsinne ich mich auch, wie viel doch gewütet und gemordet worden ist in dieser sanften, edeln Stadt. Ja, ich weiß, ich kenne, was Wildes im Menschen ist. O ebnet mich, ihr weichen Linien! Singe mich in Schlaf, mild rauschender Fluß! Lindert mich, ihr Oelbäume, kühlet mich, ihr stillen Zypressen, und hebet mich, ihr schlanken Pinien mit der leichten, rundlich geschwungen übergelegten dunkeln Krone!
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Da beginnt es, in Siena, da sieht man die traumhaft verschleierten, mandelförmigen Augen. Wie stimmen sie mit der Madonnenanmut der keusch hageren alten Bilder! Ist es etrurisch, umbrisch? Wer waren diese alten Umbrier? Doch gewiß nicht Kelten, nicht Gallier; – Iberer? Dunkles, vorgeschichtliches Volk der Eusken? – Und ihre, ihre Sprache! Lingua Toscana in bocca Romana; nur in ihrem Mund feiner, ganz leiser, entfernt nicht unschöner Anklang des Englischen, – Stimme einer milden Fee, wenn sie lispelt. –
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Gute stimmungsvolle Stadt, nicht nur so reich an Bildern, selbst Bild an Bild! Die gotischen Paläste, burgartig, die Zinnentürme, sie gemahnen den Deutschen deutsch – plaudernd mit deinen freundlichen, feinen Bewohnern lebt man sich zurück in die alten Zeiten, ich wandle mit dem guten, innig zarten Simone Martini, dem freieren Ambrogio Lorenzetti, der schon feinere Anmut und bewegteres Leben kennt, über den schönen, eingetieft aufsteigenden, halbrunden Marktplatz und sehe sie ihre kindlichen Bilder malen in den Rathausräumen, Ambrogio schaut mich freundlich an, da er merkt, wie mir sein ehrliches, grundnaives Bild gefällt: gutes und schlechtes Regiment – Wert der Polizei! –; ich begleite den sanften und doch so gestaltenreichen Duccio nach dem prächtigen Dom und freue mich mit ihm der leuchtenden Augen, womit das Volk seine herrliche Tafel betrachtet. Und hier, in der Libreria, schon Raffael näher, schon seine jugendliche Hand fühlbar in den Fresken! – Für Hände, die schon alles los haben wie Sodoma, so schön er's oft macht, kann ich jetzt, hier, keinen rechten Sinn in mir aufbringen.
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Tiefer hinein in die alte etrurische Welt. Unheimliche Fahrt allein mit spitzbübischem Vetturino. Regen, Einkehr in Casciano; sitze fieberkrank auf dem Herd am Kohlenfeuer. Vetturin flüstert mit den Wirtsleuten, ich merke, daß er mich hier über Nacht festhalten, so den ganzen Kontrakt zu seinem Vorteil verwirren, vielleicht morgen mich Banditen in die Hände liefern will; weigert sich, einzuspannen. Ich springe wie ein Panther vom Herd und herrsche ihn an, daß er schnurstracks gehorcht. Kann doch noch befehlen. Und, Kerl, du ahnst nicht, wohin, wohin mein Sinn steht!
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Mondnacht. Dort im Bergegürtel, hoch überragt von geisterhaften Gipfeln, blitzt silbergrau zwischen schwarzen Eichen der Trasimenersee auf. Im Röhricht flüstert's von Hannibal und Flaminius. Geisterheer von Reitern jagt die gedrängten Römer hinein in die Wasser, ich meine das Röcheln der Untersinkenden zu hören zwischen dem Schlachtgeschrei, karthagische, römische, gallische Rufe wild durcheinander.
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Chiusi. Alter Herrschersitz des Porsena. Heut alles grau, schwerer Himmel, wandle durch Hügelland, Eichengründe nach alten Gräbern. Da – reichbemalte Grabkammer, kleiner Aschensarkophag mit stämmiger Figur des Toten. Stilles, stilles Totenhaus; Geisterstube, ganz wohnlich, ausgestattet mit allem, was dem Lebenden einst lieb war; sieht sich an der Wand im Bilde jagen, ausfahren mit zierlichen, schlanken Rossen. Tot sein ist doch auch gemütlich. – Was schwebt im Halbdunkel? Welche liebe Geistgestalt? Warum so bleich, da sie ferne noch atmend im frischen Leben wandelt?
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Chieserella in Citta della Pieve. Die Anbetung der Könige. Da bist du etwas eilfertig gewesen, guter Meister Raffaels! Doch in der Madonna finde ich dich wieder. Sie schaut über das Kind hinaus zu Boden im reinsten, sinnenden Nichtwissen. Wie wollt ihr heutigen Nazarener diese holdselige Unschuld zuwege bringen, welche träumend die königlichen Ehren nicht versteht und nicht, wie königlich sie doch selbst ist! Männerköpfe in ernste, wehmutvoll beglückte Andacht ganz versunken. – Und wie wenig fragt meine Rührung danach, daß dies alles Märchen ist! Es ist dennoch wahr; wenige wissen wie ich, warum –
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Und nun zur Abwechslung Salvator Rosa in natura: Einkehr in ländlicher Osteria, Wirtschaft in der Küche, Spieß dreht auf dem Herd; ein Jäger in hohen Campagnagamaschen mit Hund sitzt beim Wein. Alle Wände geschwärzt und darüber der rote Feuerschein der Herdflamme. Hexenhafte Wirtin, höchst malerischer Schmutz ringsum. – Dann hinaus, weiter, von Ochsen hinaufgezogen nach Perugia.
Perugia. Da bin ich. Durfte es ja wagen, sie ist ja nicht da! – Ahnungsvolle alte Stadt, über Bergrücken kletterndes, durch Schluchten geschlungenes Labyrinth altergefurchter Häuser, Kirchen, Paläste, Klöster. Lucumonensitz im grauen Altertum. Dann Römerpomp, Tor des Augustus, Porta Marzia. Germanenzeit – ihres Bluts sicher auch ein Tropfen zurück; dann Mittelalter – Hohenstaufen – im Dom von Assisi Friedrich II. getauft, hat Kinderjahre dort drüben auf der Burg verlebt, – dies alles auf dem dunkeln alten Grund – wie seltsam alles, Klang einer alten Sage, wie wundersam fremd und magisch anziehend! Auch fürchterliche Zeiten – Bluthochzeit von Perugia! Alter Marktbrunnen mit den Figuren der pisanischen Meister, die aus halboffener Knospe der Kunst so frisch hervorquellen, was plauderst du? Was erzählst du die ganze lange Nacht, wenn's still ist ringsum? Weißt noch, wie du prangtest an Astorres Vermählungstag? Wie die Mordnacht folgte? Wie Simonettos Leiche, den alten Trotz im Angesichte, zum Himmel starrte? Und wie die zwei Frauen Atalanta und Zenobia die weißen Gewänder im Blut nachschleppten, als sie gingen, das Herz des sterbenden Grisone zu rühren, daß er seinen Mördern verzeihe? – Fort von den grausen Bildern! – Ihr blauen Gebirge, so feierlich violett am Abend, was habt ihr alles gesehen! Auf euch hat Raffaels junges Auge geweilt. – Alter Tiberfluß, wie viel Zeiten hast du geschaut! – Und diese Welt war das Bilderbuch der Kindheit ihrer Mutter. In reiner Unwissenheit über das Wilde, was einst in diesen Gassen, diesen Tälern getobt, wird sie den Ernst und im Großen das Sanfte, das Ahnungsvolle eingesogen haben, das rings in diesen tiefen Farben und gewaltigen Bahnen webt und waltet, wird oft da oben geweilt haben im Kloster Francesco del Monte und hinab, hinaus ins Weite geblickt! Da ist auch das liebliche Presepe, von Pietro Perugino; solchen Bildes mag sie in der Ferne gedacht haben im nebligen Norden, als Cordelia in der Wiege lag; wird dem heranwachsenden Kinde, wenn sie vom hohen Schloßturm in Edinburg mit ihm hinausschaute auf das graue Meer, erzählt haben, wie viel blauer und sonniger alles sei in ihrer Heimat und welche seligen Augen dort von Leinwand und Mauer auf fromme Beschauer blicken, und die Künstlergesichte werden wie ein Märchen in die träumende Seele des Kindes hineingeleuchtet haben.
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Deutschen Kunstkenner getroffen; nennt Perugino süß sentimental. Man darf ihn nicht an die strengen, kräftig herben florentinischen Realisten halten, sage ich, man muß ihn für sich nehmen, sonst tut man ihm unrecht; seine weiche Welt ist seine Welt.
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Das Elternhaus ihrer Mutter erfragt, auch erfahren, daß noch eine Muhme lebt, in Assisi verheiratet. Hinüber! Dort winkt sie schon von weitem her über die hohen Mauerbögen, die Franziskuskirche. Stigmatisiert, heiliger alter Bruder? Gut. Ich auch. Wir alle – wer nämlich in Wahrheit lebt. Wundenmale Christi – erfahren haben, was heißt: Mensch sein. Nur aber fort mit dem Heiligengeruch! – Warum mußte er heilig werden, genügte es nicht, daß er gut war? Ich mag ihn, seit ich seinen Hymnus kenne, jenen Hochgesang, worin er in seinem ehrlichen Altitalienisch den Allmächtigen preist, daß er geschaffen hat Herrn Bruder Sonn – misser lu frate Sol –, der da schön und strahlend ist mit viel Glanz, daß er uns erleuchte für ihn, und Schwester Luna und die Sterne, die er am Himmel gebildet hat klar und kostbar und schön, Bruder Wind und Luft und Wolken und heiteres und jeder Art Wetter, die den Kreaturen ihren Unterhalt geben, Schwester Wasser, welche sehr nützlich und niedrig und köstlich und keusch ist, und Bruder Feuer, welcher ist schön und lustig und gewaltig stark, und unsre Mutter Erde, die uns trägt und führt und hervorbringt mancherlei Früchte und farbige Blumen und Kräuter. – Und am Schluß preist er den Herrn noch für den Tod, er ist ihm weiblich (la morte), und er nennt ihn unsre Schwester.
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Die Tante gefunden, gesprochen. Frau Cornelia Ruggieri. Entfernte Aehnlichkeit, mehr latinisch. Gute Frau, echt katholisch, doch ohne Gift. Man sei sich etwas fremd geworden, seit ihre Schwester nach Schottland geheiratet habe und dort zwar nicht förmlich ins Lager der Unchristen übergetreten, doch, wie man vernehme, nicht mehr zur Messe gegangen sei. Als sie dem Tode nahe mit ihrem Mann nach Perugia kam, habe es sich bestätigt, daß sie der Kirche fremd geworden, und als sie gar auf dem Sterbebett die Sakramente nicht nahm, das sei ein Entsetzen für alle guten Christen gewesen. »Aber,« fügt Frau Cornelia weinend hinzu, »ich glaube doch, daß sie Gott Vater in Gnaden in den Paradiso aufnehmen wird nach kurzem Fegfeuer, sie war bis zum letzten Augenblick so carina, tanto, tanto buano.« – Die Tochter, befürchte man, folge der Mutter nach in der Ketzerei, man erfahre wenig von dorther, außer neulich sei eine Nachricht gekommen, daß Cordelia besorglich kränkle; das Klima Schottlands und Norwegens scheine dem südlichen Blute nicht zuträglich. –
Wirst du früh hingehen, hinwegschweben in goldgesäumte Wolken, aus denen du mir kamst? Und ich – dir nachsehen, wie die Apostel auf dem alten Bilde dort im Kloster, gebräunt von Erdensonne, verlassen, arm, hilflos emporschaun, da die Erde nun öde, leer, grau, verwaist?
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Werde ich Nazarener? Man spürt hier recht, wie diese alten Bilder es unsern Overbeck, Veit, Steinle haben antun können. Bei unsereinem ist aber doch besser dagegen gesorgt, ja gründlich. – Jetzt auf nach Rom! Das Große soll mich aufnehmen, umgeben. Da halt' ich's am ehesten aus, so tief bekümmert, so feierlich bang, wie mir zumut ist.
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Rom. Es ist wahr, es ist richtig. In Rom erfährt ein nordischer Mensch, daß sich etwas in ihm setzt. Wenn ich sehr übel aufgelegt, Blut im Kopf, Hirn gereizt, Augen trüb, brennend, Ohren rot und blau flammend, dann hat mir öfters ein gutes, gut gegebenes Theaterstück geholfen: Kopf wurde kühl, Augen klar, alles, was nicht oben im Kopf sein soll, niedergeschlagen. Aristoteles hat seine καθαρσις halb physiologisch gemeint und muß genau an diesen Zustand gedacht haben. Nun, und so wirkt Rom auf die Grundstimmung. Das alles ist zu groß, als daß deine Grillen, deine Ich-Aushegungen, Ich-Brütungen, Hirnschnaken dagegen bestehen könnten! Sie werden zu Boden gelegt. Höhere Art von Brausepulver. – Nun auch namentlich die Campagna. Diese plastische Erdhorizontale, dies Meer von Erde, dahinter die schönen Berge, rechts fern die See: da wird der innere Mensch wie mit einem Modellierholz ausgestrichen, Knöpfe, Warzen, Buckeln, Naupen in der Seele planiert.
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In unserm Klima, seiner Kälte, seinen Schermesserwinden, strupft, so schneidig angeweht, der ganze Mensch nach innen um und zieht sich krampfhaft auf einen Punkt zusammen: das ärgerliche Ich. Da soll man nicht subjektiv werden! Der Südländer lebt mit seiner gesund transpirierenden Haut von innen nach außen, wir von außen nach innen. Doch mit dieser unsrer Krankheit hängt untrennbar auch unser innerer Reichtum zusammen.
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Also noch einmal: doch germanisch bleiben, nur lernen, nicht nachahmen, sonst flach, abgeflacht, leer wellenlinig wie die italienisierten, akademisierten Niederländer, denen Rubens und noch viel gröber Rembrandt die Faust entgegenballte.
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Nimm dem Albrecht Dürer seine Ecken, Knorren, wurmgeringelten Faltennester: gut, versuch's und sieh zu, wo du durchschneiden kannst, ohne seine Eigenart gestrengen Charakters, sein Gefühl des warm Beschränkten und traulich oder herb Geflossenen, seine treulich zusammengehaltene Empfindung mit wegzumähen. Hätte er den freien Fluß der Linie gehabt, den Löwen des heiligen Antonius schlank, rund plastisch zu zeichnen, hätte er dann das Ganze gezeichnet, wie es ist? So gutes, warmes Stübchen, Sonnenbild der runden Scheiben an der Fensterlaibung, Schere im Riemen an der Wand, Kürbis an der Holzdecke hängend, ganzer Raum so gemütlich ausgefüllt, Spitzhund so schmuckelig hingelagert neben dem zahmen Raubtier, und den Heiligen so ehrlich vertieft?
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Aber jetzt fort mit Vergleichungen, Unterscheidungen! Sei ganz hier! Wandle unter Göttern im Vatikan! Wesen aus einem Stück. Haben keinen Pfahl im Fleisch.
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Der Künstler will uns sagen und sagt es ganz und rund: hier siehst du Wesen, die auf den Höhen des Olymp und Parnaß wohnen, wo allerdings (den Ausschmückungen der Dichter zum Trotz) bis in Sommers Mitte Schnee liegt, die aber dennoch nie einen Katarrh haben. Die innere unbewölkte Einheit dieser Wesen mit sich fühlt man nun erst im Marmor ganz, dessen körnige Textur, auf der Oberfläche durchscheinend, uns sagt, daß solches System ungestörter seelischer Prozesse spezifisch von ungestörtem Hautleben ausging. – O Stubenexistenz unsrer traurigen Menschheit!
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Man hat aber immer seine Lieblinge. Trauer ist ja dennoch in all diesen seligen Gestalten. Besagt vielerlei, unter anderm, daß ein solches Volk, das seine Götter so sich dachte, so bildete, weil es so war, nicht lang bestehen konnte; »auch das Schöne muß sterben«. – Besagt mehr, mehr, leise Klage, die durch alles, alles Leben geht. Aber einige dieser Gestalten sind noch anders, sind ausdrücklich traurig. Da ist nun der Eros-Torso, und der ist mein Liebling; etwas versüßt zwar durch den Meißel des späten griechischen Nachbildners, doch das kann man ja abziehen. Selig schöner Halbjünglingsknabe, das Antlitz unter dem Lockenwald niederneigend in wehmutvollem, ahnendem Träumen. Was meinst du damit, Meister Praxiteles? Ist Eros dem Tode verwandt? O ja, er ist es, und nicht bloß, weil ein Ich sterben muß, um im andern aufzugehen. Liebe ist tödlich schön. Ihr innigster Wunsch kann werden: in einem Moment sich geliebt wissen und sterben dürfen.
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Heute wieder Sixtina. Gewaltensturm im jüngsten Gericht, urgebirgs-, urweltkräftig. Wohl! Aber Michelangelo ist eben nicht mein Mann. Verstehe zwar seinen hohen Zorn, das Herum- und Auffahren seiner Geistmenschen gegen die Welt, das Wetternde, Schmetternde; verstehe dies grundmächtige Urgefühl der organischen Form und Bewegung und der Leidenschaft; – Deckenbilder: – ich bin wohl nicht der letzte, der die wahre Großheit hier und das mystisch tiefaufglühende Feuer fühlt, dies abgrundtiefe Brüten, dies sausende Wehen, dies zuckende Außersichsein des tiefsten Insichseins der Ahnung. Aber – aber – wie soll ich sagen? Michelangelo genoß die Titanenehre, in den Rat der Götter gezogen zu werden; er war dabei, stand ganz nahe, als aus dem Urfeuerschoß die ewigen Formen erquollen. Aber da dies doch über Menschengrenzen geht, so brannte er dabei das Hirn etwas an, und das verrät sich in geschwollener Ueberstärke, wildem Herumwerfen, in zu sichtbarem Zeigen seines Könnens, einem Reißen, Stoßen, Schlenkern, Aufbauschen, Rollen und wie man sonst die Auswüchse nennen mag, an welche dann die Ausartung sich knüpfte. Kurz, ich bleibe eben bei meinem Raffael, obwohl ich seine Achillesferse nun auch kenne, bleibe bei ihm, weil man von keinem Künstler in der Welt so sagen kann: was er gemacht, ist schön; – weiß wohl, was man dagegen hat; wird gar noch eine Zeit kommen, wo ein Künstler nichts mehr gilt, wenn er Schönes bildet. Pathologisch fühlen? Es sei darum! – – ich muß noch einmal hinauf nach Florenz zur Madonna del Granduca – dann auch vielleicht wieder nach Perugia. –
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Nein! besser nicht. – Hinauf nach Pietro in Montorio! Dort noch einmal die Abendbeleuchtung! – Zuerst Purpurglut, wie flammt sie über Kapitol, Forum, Palatinus, Kolosseum! Breite ihn, breite ihn, scheidende Sonne, den Kaisermantel über die ewige Stadt, steiget auf im Feuermeer, ihr Riesengeister, die ihr um diese Trümmer schwebt! – Vergiß nicht, Seele, Rom war die Geschichte, Rom war die Welt. Hörst du den wunderbaren Klang in den Lüften? Stimmen der alten Tage, Klagelaut versunkener Götter. Und jene Wolke dort – ist es nicht Jupiters bärtiges Haupt, das auf sein Kapitol niederschaut? – Und doch wieder alles so ruhig sanft; auf Glut- und Blutrot, dann Prachtviolett folgt zarte Rosenröte, weich weilend auf Albaner- und Sabinerbergen und dem rein gezeichneten Sorakte.
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Werde Heimweh haben wie alle. Noch ein Trunk aus Fontana Trevi. Hast mir oft Kühle ins verglühende Herz gerauscht. Rausche mir so kühlend in mein künftig Leben. – Seele hat sich hier doch angesogen, eingenistet. So tragisch groß und doch auch so gut heimatlich! Das bewohnte Rom, das sich zwischen die erhabenen Trümmer, Paläste, Kirchen gelegt, hat ganz gewöhnliches, ordinäres Aussehen, in Wohnungen findet man gemütliches Philisterium, gute Mütterchen, die dem Gast ein brodo lungo bereiten. So werden die Straßen, die Häuser bald alte Bekannte. Diese Mischung des Wunderbaren und des vertraut Gewöhnlichen, dies erst gibt Rom seinen Stempel und macht, daß man so anwächst. Und dazu so viel Stille und die vielen rauschenden Brunnen. – Mag es Italien gönnen, wenn du Residenzstadt wirst, aber ich gehe dann nicht mehr hin. Rom ohne Stille? Nein.
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Genua. Der hat schön gewohnt, der alte Doria. Altersasyl am Golf, von der Stadt gebaut, »ut maximo labore jam fessus honesta vita requiesceret«. Edle Renaissance, heitere Fresken von Raffaels Schüler, Perin del Vaga. Blick über den Garten mit dem Prachtspringbrunnen nach dem Hafen. Drinnen altes Bild, sehr verwaschen, doch erkennbar: der alte Andrea und ein großer, prächtiger Kater. Dieser sitzt auf dem Tisch, der alte davor, beide sehen einander an.
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Mailand. Bernardino Luini: auch die Holdseligkeit der früheren Meister. Das unsagbar sanfte, liebende Neigen des Hauptes haben sie hier von Lionardo da Vinci. Der Johannes dort auf dem herrlichen Abendmahlbilde, wie der sich zu Christus herbeugt. O, ich kenne dies Herneigen. Aber der junge Raffael! Sposalizio: ja diese keusche, kinderreine Grazie, – dies noch sehen ist mir wie noch einmal nach Perugia gehen und ihrer gedenken.
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. . . Da wären wir wieder! Addio, Italia! Alles nur grau hier, was uns blau vorkommt; Grün frischer, das ist wahr. Aber jetzt Schlackerwetter, Entlaubung. Gesichter – doch aber auch fast keins, das nicht verzeichnet wäre, verstaucht wie Zangengeburten, Nasen meist aufwärts, daß es hineinregnet. Vergiß nicht, Seele, vergiß nicht: wenn die Natur die Menschen individueller bilden wollte, so mußte sie von der Normallinie abweichen ins Unendliche.
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Nimm dich zusammen! Frisch ans Werk! Großes Amt, gibt viel aufzuräumen. – Wenn ich nur gegen das Gesindel, das anständig aussieht und der Polizei nicht verfällt, mehr ausrichten könnte! Welche Charakterwelt! Fuchsschwänzer, Speichellecker und Flegel gegen den, der nicht wieder leckt, Tuckmäuser mit Biedermannston, gemütliche Seelen mit Taschen voll Steinen, auf die wenigen zu schleudern, die Charakter haben. Alles soll durch Gunst gehen, jeder tätschelt den andern um Gegendienst – Halunkenpack!
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Gottlob, tüchtiger Referendar und gute Subalterne. – Hab's gleich bemerkt bei einer Einladung. Bedarfst du gute Arbeitskräfte für irgend ein geduldforderndes Geschäft, so suche die in Frage Kommenden beim Geflügelessen zu beobachten. Wer gern (und säuberlich) nagt, den wähle, wer sich mühelos die Pfaffenschnitten gönnt, mit dem wird nicht viel zu machen sein.
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Gesuche um Theaterkonzessionen. Die Sache mit den städtischen Kollegien erörtert. Abgeschlagen. Weiß, was die Schufte wollen: etwas wie die jetzigen Wiener Vorstadttheater, die Variétés- und Café chantant-Schandbühnen in Paris. Wollen die Jugend vergiften. Das könnten wir in unsrer Zeit noch brauchen, daß das Lebensalter, dem es nottut, die Seele mit dem Hohen und Reinen und mit giftfreiem Humor zu nähren, sich gewöhnt, schamlose Weiber anzusehen und anzuhören, und zwar mit vielen zugleich, wobei jeder den Nachbar im Zustand der Begierde, in der Hundsbrunst weiß. Für die Deutschen gehört: sera juvenum Venus. Dem Deutschen soll das Weib bis in reife Jahre Mysterium bleiben, sonst verkommt sein Seelenleben, verlottert, fault im Kern, wird gemein.
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Im Oeffentlichen noch der alte Stand: Pfaffen überall Oberwasser, Konkordate mehren sich; der Staat, der im Gefühl seiner Sünden die Kirche zu seinem Stab macht, wie wird er's büßen müssen! Einzig rechte, freilich leider nur ideale Formel lautet: der Staat muß die Kirche zerstören, um die Religion zu retten. Es können nicht zwei Arme in einem Aermel stecken, aller modus vivendi ist nur palliativ, es gibt kein gesundes Verhältnis zwischen Staat und Kirche, denn nie wird sie auf Macht verzichten, und Macht gehört doch nur dem Staate. Aber wie ein viel besseres Gewissen müßte der Staat haben, wenn er sich getrauen wollte, der einzige Hüter der ethischen Güter zu werden, wie viel ferner müßte die Gefahr byzantinischer Zustände liegen, die uns in dem Staate drohen würden, wie er bisher war und wie er ist! Er hat ein Gewissen wie ein böses Kind, das sich in der Angst an den Rock einer bösen Mutter hängt. – Und Cavour drüben: freie Kirche im freien Staat!? Unverschämte Kirche im feigen Staat.
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Im besseren Staat wäre der Geistliche einfach Staatsdiener als Volkspädagog und Kultusverwalter. Jeder magische Nimbus fiele weg; der Nimbus enthält immer den Zauberbegriff in sich, und davon geht alle Unmöglichkeit des Friedens zwischen Staat und Kirche aus.
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Die Romanen befreien sich kritisch von der Kirche, aber sie haben keine sittliche Empörung gegen ihre Lügen, Verderbnis, Blutsinn, Frechheit. Das hatte Luther, das ist deutsch. Daher bleibt ihnen die Kirche eine Schachfigur, mit der sie rechnen. Und so werden sie den Giftkörper, den Kanker nicht los. »Il papato è un cancro, che bisogna lusingare,« sagte neulich ein Minister. Da hat man's.
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Weiß der Himmel, daß es der Zeit an Religion fehlt! Aber was ist Religion? Wie tausendmal ist's gesagt, und immer vergeblich, daß an diese und diese übernatürliche Person, behauptete Wundertatsachen und dergleichen glauben nicht Religion ist! Ja, wenn man unter Glauben verstände Glauben an eine sittliche Weltordnung, die wir nicht streng beweisen können! Aber das meint man ja eben nicht bei dem Wort sondern Glauben an genannte Stücke, das heißt an sinnlich Einzelnes, das übersinnlich sein soll. Ein Kind könnte doch einsehen, daß man das alles glauben und doch gemein, niedrig egoistisch, seelenroh, undankbar, lieblos sein, überhaupt so leben kann, als müßte das Weltall diesem Ich dienen. Frage dich täglich: bin ich denn das Weltall? So kannst du dich zur Religion anleiten. Religion ist Opfer der Selbstsucht, Religion ist: Durchschüttert-, Durchweicht-, Durchmürbtsein vom Grundgefühl: ich bin ein Nichts im Ganzen, wenn ich ihm nicht diene! Religion ist daher tragische Freude, zu dienen. Was die Moral fordert, dazu gibt Religion die Lust und Kraft, und was ich fehle, nicht leisten kann: da tröstet mich die Religion durch Gefühl und Ahnen der unendlichen Wechselergänzung im Ganzen.
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Je mehr getreuer Knecht, um so mehr bist du frei und Herr.
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Alle positive Religion unterscheidet sich dadurch von der reinen, daß sie sinnliche Formen ins Uebersinnliche, Begriffe, die nur dem Endlichen gelten, ins Unendliche hinüberträgt. Der Fluch der Pfaffen auf uns heißt, richtig übersetzt: seid verdammt, weil ihr vom Uebersinnlichen nicht sinnlich denkt wie wir!
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Geistlichkeit und Geistigkeit sind jedenfalls keine Synonyma. – Es ist nur das kleine l, was den großen Strich dazwischen macht. Das l ist hier eine Schlinge, mittels welcher in das rein Geistige (sittliche Volkserziehung) ein Zauberbegriff hereingezogen wird. Könnten wir den Begriff aufheben, daß die Verwalter des Kultus und höheren Volkspädagogen Magier seien (in den sogenannten Sakramenten), so wäre ihnen und uns geholfen. Ihnen, denn wie viele brave Männer in diesem Stande werden durch den Machtwahn, zaubern zu können, verführt und verkrümmt!
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Religion zu haben, nicht die wahre, sondern was dafür gehalten wird, gilt jetzt für vornehm. Mit schöngebundenem Gesang- oder Gebetbuch in Predigt oder Messe! Wenn sie's wüßten, wie falsch sie recht haben! Jawohl, jawohl, niemand hat Bildung anzusprechen, der nicht Religion hat! Das wahrhaft Bildende ist nur die Religion; der Feinste bleibt ein Wilder ohne sie. Aber Religion ist eben ein ander Ding, als ihr meint.
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Der Hund hat etwas der Religion Analoges in sich, indem er getreuer Knecht ist. – Um dieses Besten willen ist schändlicherweise sein Name ein Schimpfwort geworden.
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Wie oft in Gesellschaft, die sich für so recht gebildet und interessant hält, bei all dem Gerede und Feintun seufze ich innerlich: wenn doch nur ein Hund da wäre!
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