Friedrich Theodor Vischer
Auch Einer
Friedrich Theodor Vischer

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»Herein!« Der Druide saß eben, während im Hinterraum das Wasser zum Kaffee siedete, behaglich in seinem pelzverbrämten Schlafrock, und hinter ihm stand seine alte Hauserin, beschäftigt, ihm die Haare zu ordnen. Er pflegte den noch reichlichen Naturschmuck seines Hinterhauptes in Anspruch zu nehmen, um die Kahlheit seines Vorderhauptes nach Möglichkeit anständig zu decken. Die Alte wußte die herübergezogenen Stränge zierlich mit ausgesucht zartem, höchst geläutertem Tannenharz festzukleben. Der Wächter meldete den Fremdling. Angus, so hieß der Druide, gebot, ihn einzuführen, stand auf, nahm seine hohe, spitze Pelzmütze vom Ende eines Hirschgeweihs, das, zum Zweck eines Aufhängegeräts sehr bequem zugerichtet, an der Wand angebracht war, setzte sie auf und gab sich eine Positur, wie sie seinem dreifachen, ja vierfachen Amte entsprach. Denn er vereinigte in seiner Person den Priester, Polizeibeamten, Richter und dazu den Schatzmeister des auf den Abgaben schön sich mehrenden Kirchenguts, das in viel Vorrat an Getreide, Fellen, Wolle und ansehnlicher Rinderzahl bestand. Der Wächter führte jetzt Arthur herein, dieser stellte sich schweigend vor dem Druiden auf in geneigter Haltung und die Hände über der Brust kreuzend, denn dies war die Begrüßungsform, wie die Würde des Seelenhirten sie forderte. Der ernste Beamte ließ sich nun vom Wächter Bericht erstatten, die nie gesehenen Waffen näher vorzeigen und eröffnete dann das Verhör mit einem Hustenanfall. Es war etwas in dieser Aktion, wodurch sie sich fühlbar von einem bloßen Naturereignis unterschied; es war Takt und Tempo, es war Rhythmus, es war etwas Feierliches, Erhabenes darin. Arthur kannte das und verharrte in seiner ehrerbietigen Stellung. »Woher, o Fremdling?« begann nach dieser musikalischen Einleitung der Druide. – »Vom See Nuburik« (– er meint den See, den wir jetzt den Neuenburger nennen.) – »Was willst du hier bei uns?« – »Den Bürger Odgal besuchen, meines Vaters Geschwisterkind.« – »Willst du Urfehde schwören, daß du nichts Feindliches willst beginnen?« Der Druide nahm das Schwert auf, besann sich einen Augenblick, ob er es für die Steinstreitaxt, worauf seine Bürger zu schwören pflegten, wolle gelten lassen, bot es dann Arthur hin, und dieser legte drei Finger auf die Klinge und schwor. Jetzt erst erlaubte sich der Priester, seiner neugierigen Verwunderung über die Erzwaffen Ausdruck zu geben und Frage auf Frage darüber zu stellen. Er hatte vorlängst ganz dunkel etwas sagen hören von Geräten aus einem neuen, harten, gelbglänzenden Stoffe, die man in Turik gesehen haben wollte; er hatte es kaum aufgefaßt und bald vergessen; der Verkehr mit der Pfahlstadt war eben kein sehr häufiger; jetzt fesselte der Augenschein nicht wenig seine Aufmerksamkeit. Arthur gab ihm alle gewünschte Erläuterung. Vor Jahr und Tag sei ein Fremdling fernher über das Alpengebirge gekommen zur Gemeinde Nuburik, ein Handelsmann aus dem Lande, wovon alte, dunkle Kunde gehe, daß da eine wärmere Sonne scheine und Menschen wohnen, die in allerhand Kunst denen des Alpenlandes weit voraus seien; der habe Beile, Hämmer, Meißel und manches andre aus diesem blinkenden Stoffe gebracht und gegen Felle, Rinder, Schafe und Wolle eingetauscht. Dann nach Jahresfrist sei ein zweiter eingetroffen und habe kunstreichere Werke aus derselben Mischung zum Verkauf geboten: Schwerter, Dolche wie die, welche der Druide hier sehe, Speer und Pfeilspitzen, auch Töpfe, Schalen und außerdem gar feine Dinge, Fischangeln, hübsche Schmucksachen, zierliche Kämme, Armringe, Heftnadeln, Halsschnüre aus Kügelchen und Kettchen, die den Frauen gar wohl gefallen haben. Das sei noch immer Tauschware geblieben, dann seien Männer gekommen, die auf Saumtieren ganze Lasten der Stoffe gebracht haben, wie man sie auf den Bergen grabe, schmelze und aus der Mischung des weißen und roten, des Zinns und Kupfers dies blinkende harte Erz bereite. Aber auch Gußformen haben sie mit sich geführt und gezeigt, wie man verfahre, und nun habe man das gelernt und verfertige selbst alle diese nützlichen und schönen Dinge. Dann habe man angefangen, in den eignen Bergen zu graben, die Metallstoffe gefunden, und seitdem sei nun ein ganz neues Leben dort auf dem See zu Haus, es komme da den Menschen alles leichter vor, und sie seien geweckter, beweglicher geworden. Auf dem großen Nachbarsee Leman und dann in Turik habe man in den letzten Zeiten diesen wichtigen neuen Zeug auch kennen gelernt und mit Eifer ergriffen. Ihm, dem Herrn Druiden, aber beehre er sich hiermit eine bescheidene Gabe für seinen Haushalt demütigst zu überreichen mit der Bitte, sie in Gnaden anzunehmen.

Er zog aus seinem Rucksack ein zierliches Messer hervor, die Klinge hübsch jataganförmig geschwungen, zierliche Ornamente auf ihrer Fläche, das Heft ungleich feiner als bei den schweren Steingeräten, aus Hirschhorn gebildet.

Der Druide hatte bei jenen Erläuterungen nachdenklich den Kopf hin und her gewiegt. Er zögerte ebenso nachdenklich, nach dem schimmernden Geschenke zu greifen. Ein Schatten glitt über sein dickes Gesicht, seine kleinen, tiefliegenden, sonst behaglich glitzernden Augen.

Inzwischen war hinten im Anbau das Frühstück fertig geworden. Wir haben es als Kaffee bezeichnet, und es war auch Kaffee, nur nicht aus der arabischen Bohne, sondern aus gerösteten und gemahlenen Eicheln, ein recht gutes und gesundes Getränke, wie man weiß. Die Bereiterin dieses Labsals ist dasselbe Wesen, das wir im Anfang spinnend und singend bei Sigunen und soeben als Haarkünstlerin gefunden haben, es ist Urhixidur, die geschäftige Pflegerin, Hausverwalterin des Druiden und von Geburt seine Base; sie hat sich bei Arthurs Eintritt zurückgezogen, unter der Arbeit an der Matte gelauscht, hervorgeschielt und trägt jetzt auf hölzernem Runde das duftende Getränk herein, mehr als dies: ein Ganzes, von dem man sagen kann, es wetteifere mit der Vollständigkeit eines englischen Frühstücks, denn nicht nur ein Topf herrlichen Rahmes voll gesellt sich zum Kaffeegefäß, sondern nebst einem Brotlaib auch gesottene Eier, Butter, Honig und ein Bärenschinken, ein Teil des Tieres, welches Alpin kürzlich in so mutigem Kampfe getötet hat. Sie ist in dem Moment eingetreten, wo Arthur dem Druiden das Messer hinbeut, und die ehrsame Schaffnerin findet es passend, ohne Zögern und mit scharfem Tone zu bemerken: »Dies ist auch wieder so eine von den gefährlichen Neuerungen. Soll denn alles gute Alte zugrunde gehen?« Der Druide strich sich verlegen seinen mit Grau durchschossenen Bart, Widersprechendes ging in ihm vor: er schämte sich des Pantoffels, dessen Herrschaft die kecke Einmischung so klärlich an den Tag legte, die Waffen gefielen ihm eigentlich und noch mehr das hübsche Messer, zugleich aber mußte er im Innern der Hauserin recht geben, denn von Anfang an, beim Anblick der Waffen schon, hatte ihm so etwas vorgeschwebt, wie es die vorlaute Alte nun in Worte faßte. Diese ergriff jetzt ein sauberes, glattes Holzmesser, trennte damit ein Stück von der Butterform ab und lobte die guten alten Werkzeuge. Arthur hatte schon vorher den Schinken ins Auge gefaßt; er war angeschnitten oder vielmehr angemeißelt, was wir ja bereits kennen; man sah deutlich die rohen einzelnen Eingriffe des unzureichenden Werkzeugs, und zum Ueberfluß lag ein solches daneben. Arthur trat hinzu und schnitt mit sicherem Druck und Zug seines Erzmessers eine dünne Scheibe des rötlichen Fleisches herunter. Der Alten funkelten die schwarzen Augen in ihren tiefen Höhlen, ihre gelbe Haut wurde blaß, das heißt hellgelb, dann grünlich, dann rot, richtiger orangegelb, sie riß Arthur das Messer weg, schleuderte es zu Boden und rief: »Man wird uns auch noch unsre gute alte Religion zerschneiden.« Arthur stand schweigend, lächelnd über die rasche Logik und sah den Druiden an mit einem Blicke, der deutlich sagte: »Was wirst du nun dazu sagen?« Der Druide zog einen mittleren Weg vor – das liebte er, mit gewissem Ausnahmen – überhaupt. Er fühlte, daß dem Weibe, dessen vorstürzende Leidenschaft ihn vor dem Fremden beschämte, ein Verweis gebühre, allein er kannte ihre Wehrhaftigkeit, und zudem, wenn denn einmal sein ahnendes Gefühl den Besorgnissen der Alten beistimmte, so konnte er auch nicht umhin, die so weit gedehnten Folgerungen gutzuheißen. Er beschloß in dieser Verwicklung, der gestrengen Herrscherin seines Hauses sowohl Unrecht als Recht, das heißt dem Ankömmling sowohl eine Artigkeit als auch einen ernsten Wink zukommen zu lassen. Die Artigkeit lautete: »Ich nehme die Gabe an, o Fremdling, und gebe dir deine Waffen zurück.« Eigentlich fragte er sich, ob er nicht zu Ehren höflicher Sitte, auch zu schärferer Bestrafung seiner unbotmäßigen Schaffnerin ihn zum Kaffee einladen sollte, aber diese las ihm das aufrührerische Vorhaben aus den Augen ab, und ein strenger Blick aus den ihrigen genügte, es nicht zur Ausführung gedeihen zu lassen. Der Wink aber bestand in den Worten: »Ich hoffe, daß du unsre heiligen Gebräuche achtest, und erwarte, daß du heute abend bei dem ersten Vorakte des großen Festes, der Betuchung unsrer frommen Jugend, erscheinest.« Arthur bejahte, verabschiedete sich, und der Druide machte sich an seinen Kaffee. Er trank mit wenig Behagen diesmal; er hätte sich sogar fast unterstanden, einen an der Beharrlichkeit Urhixidurs längst erlahmten Widerstand heute nach langer Zeit wieder zu eröffnen; sie ließ sich's nicht nehmen, dem redlichen Getränk eine Beimischung von der Wurzel einer Pflanze, genannt Wegeluge, zu geben: demselben Vegetabil, das wir jetzt Zichorie benennen; sie behauptete, es gebe dem Kaffee eine bessere Farbe und Konsistenz; der Druide meinte: aber keinen guten Geschmack; es hatte darüber schon Szenen gegeben, die stärkste, als der würdige Mann einmal sich so weit vergessen hatte, aufzustellen: die kleinste Dosis von dieser gemeinen Pflanze gebe dem Kaffee einen Geschmack von Jauche; darüber war die Verfechterin guter alter Sitte so wild geworden, daß von nun an der Mut des Widerstrebenden gebrochen war. Schweigend, mitunter zwischen den Zähnen murmelnd, trank und aß er und ebenso die Alte. Einen giftigen Blick auf sie werfend, schnitt er sich mit dem Erzmesser ein Stück vom Schinken ab, mit einem noch giftigeren meißelte sie sich einen derben Schnitz davon herunter und schmatzte zum Essen etwas stärker als sonst, denn sie wußte daß der Druide das nicht leiden konnte.

»Der Fremdling besucht Odgal?« fragt die Alte.

»Ja,« antwortete der Druide.

»Kann Sigunen gefährlich werden.«

»Ah bah!«

Doch ließ es einen Stachel in ihm zurück; er hatte daran noch nicht gedacht. Er war ein entfernter Vetter von Ullin wie von Urhixidur, die also das lebendige verwandtschaftliche Band zwischen beiden Häusern vorstellte. Daß diese dem frommen Hirtenjüngling, wie sie Alpin nannte, wohlgewogen war und ihn bei Sigunen eifrig unterstützte, haben die Leser schon aus dem Anfang unsrer Geschichte ersehen. So war ihm auch ihr Hausherr freundlich geneigt, nicht nur als Verwandter, sondern insbesondere als Freund des Hirtenstands, in welchem er einen Träger der guten, gläubigen, alten Sitte und Gesinnung sah. Sigunens Mutwille machte ihm weniger Sorge als der Alten, er scherzte selber manchmal mit der munteren Maid und mochte dem braven Burschen wohl gönnen, daß es ihm mit ihr gut werde.

Alpin war inzwischen eine Strecke weit in tiefen Gedanken mit seiner Herde hinausgezogen; plötzlich hielt er, sagte dem Rinderbuben, er solle nur zufahren, und ging zurück, anfangs langsam, dann schneller, dann war der Gang ein Laufen, endlich ein keuchendes Jagen, so kam er an bei Odgals Hütte und stand an demselben Fenster, durch das er gestern Sigunen belauscht, geneckt, herzlich begrüßt hatte.

Was mußte er sehen! Arthur saß neben Sigunen, den Arm um ihren Nacken, und sah mit glänzenden Augen zu, wie sie einen blinkenden Gegenstand in der Hand wiegte. Es war eine Halsschnur, wie er sie noch nie gesehen; ein zartes Geflechte von gewundenen Erzfäden wechselte mit Kugeln fein gegliederter und verzierter Gestalt von demselben Metall und von Stelle zu Stelle mit ebensolchen Formen aus durchsichtigem Bernstein. Entzückt betrachtete sie den wunderneuen Schmuck und ließ seinen Glanz in der Morgensonne spielen. Und was dem Armen noch einen rechten Stich ins Herz geben mußte: daneben auf dem Tisch lag unbeachtet das Werk seines Fleißes, seines Schweißes, die Halskette aus Bergkristall. Zugleich bemerkte er, daß der Geber des Geschenks einen ähnlichen Schmuck selbst trug; zwar einfacher: ein Erzgeflechte ohne Zutat, doch vornehm und prächtig schimmernd auf der bräunlichen Haut des schlank geschwungenen Halses. Es war allgemeine Sitte der Männer, einen Halsring zu tragen, aber um den Hals Alpins zog sich nur ein Reif aus geschlungenen gelben Wollfäden: ein Schmuck, der ihm jetzt gar trocken und ärmlich vorkam trotz dem Klunker von Bärenzähnen, den er kürzlich darangehängt hatte. Die Kinder jubelten laut auf, auch sie hatten herrliche Gaben bekommen; das ältere Mädchen Ohrenringe: da baumelten an feinen Kettchen durchbrochene Kugeln, in jeder eine kleinere eingeschlossen, – wie es nur möglich war, diese in das gegitterte Gelaß hineinzubringen! Und wie allerliebst mußte das immer spielen, klingen, glöckeln, wenn man's nun im Ohrläppchen trug! Der Knabe war beschäftigt, einen Boug, will sagen einen Armring über sein Handgelenk zu streifen, in dessen schimmernde Oberfläche gar anmutige Ordnungen spielender Linien eingegraben waren, ein Gebilde fast so schön wie jenes, das an Arthurs eignem Arme funkelte. Das kleinere Mädchen schüttelte ein Spielzeug von Erzringen, die an einem Zinnring hingen, und ergötzte sich an ihrem Rasseln. Der Vater aber stand unbeweglich, sprachlos über ein winziges Objekt gebeugt, das er in der Hand hielt und das ihm wie ein Weltwunder erscheinen mußte: eine Fischangel, die ihm von nun an die kümmerlichen Aushilfen von Bein ersetzen sollte; und was sein Glück bis zur Höhe des Verstummens steigerte, das war eine Gußform für dasselbe Geräte, die er in der Linken hielt.

Alpin blieb unbemerkt; er wollte sich still zurückziehen, aber sein Ryno war ihm gefolgt, er schnüffelte an der Türe, ihn hörte und witterte Tyras, der gestrenge Begleiter Arthurs, stieß die Türe auf, und im Nu waren sich beide Hunde in den Haaren. Ein wildwütendes Raufen ging los, während die Familie und der Gast herausstürzten. Der große Bulle war dem braven Schäferhund nicht an Tapferkeit, aber an Kraft überlegen, das zottige Fell des Feindes bot seinen Zähnen Anhalt, und er verbiß sich nach Art seines Schlages so in dessen Genick, daß Alpin nicht zaudern durfte: er packte das starke Tier um den Hals und schleuderte es mit einem mächtigen Schwung über die Brustwehr des Pfahldorfs; erst der Flug durch die Luft vermochte die festgeklemmte Zange seiner Zähne zu lösen, so war Ryno mitgerissen worden und fielen beide Hunde zusammen in das Gewässer des Sees. Mit rollenden Augen standen Arthur und Alpin einige Minuten sich gegenüber, Odgal suchte seinen Gast zu beschwichtigen, auf Alpin fiel ein Blick von Sigunen, seltsam gemischt aus Unwillen und zugleich aus Mitgefühl, und dann doch auch aus Furcht und Scheu, wie ein Weib sie wohl fühlen mag vor einem Mann, den sie als gutmütig kennt, von dem sie aber weiß, daß er doch auch einmal schrecklich werden könne. Mitten in seinem Zorn und Jammer schöpfte Alpin aus diesem Anblick unbewußt eine gewisse Genugtuung, die ihm so viel Halt gab, daß er sich durch Arthurs drohende Blicke zu keinem Ausbruch hinreißen ließ. Auch dieser nahm sich zusammen und schien nachgerade doch zu bedenken, daß hier kein Unrecht geschehen war.

»Auf Wiedersehen!« sagte Alpin, freilich in einem dumpfen Tone, der nichts Gutes versprach, wandte sich und ging hinweg. Er schritt der Brücke zu, erst jenseits derselben fiel ihm sein Ryno wieder ein, er tat einen schrillen Pfiff, nach kurzer Zeit erschien das treue Tier, keuchend, pudelnaß, ganz erschöpft, wollte am wiedergefundenen Herrn hinaufspringen und mußte, elend zugerichtet, am Nacken blutend, von dem Versuche abstehen. »Armes Tier!« er sagte das mit wenig fester Stimme, und ihm war, als käme ihm die Nässe aus dem zottigen Fell in die Augen. Langsam zog er mit dem matten Begleiter hinaus seiner Herde zu; als er sie erreicht hatte, war sein erstes, eine Kuh zu melken und die Wunde des Tieres mit warmer Milch zu waschen, dann mit welkem Moos sein Fell zu trocknen; als dies geschehen, legte er es wie ein krankes Kind auf ein Rehfell, und nun – dachte er an sich. An wen? An den armen, verlassenen, verratenen Alpin. Er schlich weg ins Dunkel eines Gehölzes, warf sich ins hohe Gras, wälzte sich links und rechts, wie glühende Nadeln arbeitete es in ihm, ein Schweiß brach ihm auf, er fuhr in Wut empor, warf sich wieder zu Boden, betrachtete sich selbst, wie er so hingestreckt lag, und zu neuer Qual tauchte jetzt plötzlich das Erinnern einer Wahrnehmung in ihm auf, die er sich vorher nicht zum Bewußtsein gebracht hatte. Er sah seine Hosen an, sie waren von grobem Lodenstoff und eben nicht geeignet, die Gestalt seiner Beine, die sich eigentlich gar wohl sehen lassen konnte, vorteilhaft zu zeigen, und nun fiel ihm ein, daß Arthurs Beine doch ganz anders sich ausnahmen; da sah zwischen Lederhose und gemustertem Stutzstrumpf das nackte Knie hervor, und unbehindert von knorrigen Falten erschien die sichere Zeichnung des wohlgeschaffenen männlichen Bewegungsorgans in ihrer Kraft und Schönheit. Jetzt erst wurde es ihm siedend heiß, und abermals warf er sich zu Boden. »Ja! ja! ich bin ja nur ein stiller, zahmer, dummer Hirte! Ich hab' keine so gewellten Tanzbeine, trag' ja auch keine Spielhahnfeder und Gemsbart, nur ein paar blaue Häherfedern und einen Wisch von Luchsohrenborsten an der Pelzkappe, und bin nicht wie ein Mädel mit glitzernden Ringen ausgeputzt.« Die Ironie half ihm nichts, die Kraft des Stolzes brach, eine Flut von Tränen stürzte hervor; Ryno kam ihm zugekrochen, wie er so lag. »Komm her, gutes Vieh,« sagte er, »wir sind ja wohl zwei unglückliche Kerle miteinander,« er duldete ihn neben sich, ja legte den Arm über ihn, versank nach und nach in ein stumpfes Brüten, und endlich kam über die beiden Verwundeten, den einen, der im Nacken, und den andern, der tief in der Seele getroffen war, die Wohltat des Schlafes.

Der Hirtenbub weckte ihn, es mußte heute früher eingetrieben werden, denn Alpin durfte bei der abendlichen Feier nicht fehlen. Der Hunger stellte sich ein, er machte sein einfaches Hirtenmahl kurz ab und fuhr heim mit seiner Herde, entschlossen, Arthur fürs erste zu vermeiden, – und Sigunen? Er wollte sie nie wieder sehen, ja, er dachte gar, dem Vater nachzugeben, sei es, daß er Feuersteinschmied werde, sei es, daß er zu den Druiden oder Barden nach Turik in die Lehre gehe; was dachte er alles, und hinter dem allem dachte wieder etwas andres in ihm, eine dunkle Stimme, die er nicht recht verstand, nur daß ihm schien, sie sage, aus all den trotzigen Vorsätzen werde nichts werden. Er fand die Gemeinde in verworrener Aufregung, das Dorf glich einem Bienenschwarm; alles lief durcheinander, der Plankenboden der engen Gassen polterte von tausend Schritten derb auftretender Mannen. Kurz nach dem unheimlichen Auftritt am frühen Morgen war die Neuigkeit von der wunderbaren Erfindung, deren Erzeugnisse Arthur mitgebracht, wie ein Lauffeuer durch die Hütten gesprungen. Man kam, man sah, man staunte an, man versuchte die Waffen an Fleisch und Holz, man war entzückt, und man schüttelte doch auch die Köpfe. Das Staunen nahm einen eigentümlichen Charakter an, als Arthur nun etwas vorzog, was er in Odgals Hause noch nicht gezeigt hatte. Es war ein kleines Stückchen Erz, flach, viereckig, es zeigte auf einer Seite das Bild einer Kuh, umgeben von einem System sehr kunstreich ineinander verschlungener Linien. Er suchte den sonderbaren Gegenstand zu erklären, er sagte geheimnisvoll, es sei ein neues Tauschmittel; er nahm einen Ansatz, die Bedeutung auseinanderzusetzen, allein er stieß auf solches stummes Stieren, verdrießliches Kopfschütteln, ärgerliches Lachen, daß er sein Erzstückchen wieder einsteckte mit einem Gesicht, das sagte: das ist noch nicht für euch. Einige der Mannen, denen er es gezeigt, sahen ihn von da an mit gewissen Blicken an, die zu fragen schienen: Narr oder verdächtiges Subjekt? Es kam noch etwas dazu, den Luftkreis, der den Fremdling umgab, in eine gewisse Gespanntheit zu versetzen. Es entfielen ihm, wenn er so von Neugierigen umringt war, ab und zu Reden, Andeutungen, die zu denken gaben, als zum Beispiel: es könne sonst auch noch manches anders werden, – es sei nicht gerade alles für die Ewigkeit, was jetzt felsenfest scheine, – die Welt sei weit, und wohl nicht überall kommen den Menschen die Dinge so vor, wie hierzulande. Der Wächter wollte bemerkt haben, daß der Ankömmling die Steinbilder am Ufer nicht begrüßt habe, wie jeder ordentliche Heidenmensch doch tue. Noch eine andre bedenkliche Erscheinung gab viel zu raunen und zu munkeln: niemand hatte Arthur husten gehört; ein Punkt, dessen Erläuterung wir allerdings dem Leser noch schuldig, aber auch mit Nächstem zu geben bereit sind. Darauf legten besonderes Gewicht ein paar Alte, an deren Atmungswerkzeugen diese Art von organischer Erschütterung allerdings in regelmäßiger Wiederholung von Pause zu Pause zu bemerken war; sie liefen zum Druiden und gaben ihm alles an, was unheimliche Bedenken über den Ankömmling erregte, und mit wichtig aufgezogenen Augenbrauen betonten sie vor allem das letztere bedeutungsschwere Phänomen oder vielmehr Nichtphänomen. Der Druide hatte heut keinen guten Tag, er war schlecht bei Laune zum voraus: nicht bloß, weil er sich am frühen Morgen schon bei seinem Kaffee hatte ärgern müssen – eine Erfahrung, die uns bekanntlich den ganzen Tag zu vergällen geeignet ist –; nein, es war da noch ein besonderer Umstand, der ihm die Laune verderbte: die alten Denunzianten brachten ihm zugleich die Nachricht, daß auf morgen die zwei Barden angesagt seien, die man von Turik hergebeten habe, und sie trugen das vor mit Kopfschütteln und mit Vorwurf in Blick und Ton. Wir müssen in der Zeit etwas zurückgehen, dem Leser Licht zu geben.

Die ungewöhnliche Hitze dieses Sommers hatte einen Teil des Sees trockengelegt. Ein Pfahlbürger mit Namen Massikomur, der wie andre öfters den Weg zu seinen Aeckern der Abkürzung wegen über diesen Seegrund nahm, meinte einmal, als er in die Spalten des gedörrten und geborstenen Schlamms hineinsah, etwas wie Tonscherben, ein andermal etwas wie eine rohe Axtklinge von Stein zu bemerken. Er war ein nachdenklicher, wißbegieriger Mann; er fing an, zu graben. Er hackt und hackt und stößt, nachdem er einige Schuh in die Tiefe gelangt, auf größere Scherben von Töpfen, denen gleich, die man jetzt gebrauchte, aber weit roher an Form, ohne verzierendes Glied, und wo sich ein solches findet, besteht es nur in einer Reihe von Vertiefungen am Halse, die sichtbar mit dem Nagel eingedrückt sind; der Ton gröber, unverarbeiteter und viel schlechter gebrannt, als der jetzige, die Rundung unförmlicher, als man sie heutzutage herzustellen versteht: jetzt, heutzutage, das heißt dazumal, als Massikomur lebte, wo die Glasur und die Töpferscheibe zwar auch noch nicht bekannt, aber doch die Brennung sorgfältiger, Augenmaß und Hand in der Formung ungleich sicherer und feiner geworden war. Ferner finden sich Geräte und Waffen aus Holz, Stein, Bein, aber weit nicht so vielfältig und weit roher, als man sie jetzt zu bereiten weiß: die Pfeil- und Lanzenspitzen aus Feuerstein durchaus nur gespalten, nicht nach allerneuester, zwar noch seltener Art geschliffen; was aus weniger hartem Stein gebildet war, Aexte, Kornquetscher, Meißel, von so plumper Form, daß leicht ersichtlich, wo man den Schleifstein anwandte, da fehlte die Geduld zu pünktlichem Gebrauch. Mit Hämmern, Schlegeln muß es dürftig ausgesehen haben; es finden sich mehrere Unterkiefer von dem gewaltig großen Bären jener Zeit, dem Höhlenbären, die sichtbar die Stelle jener Schlagwerkzeuge versehen mußten. Man entdeckt Küchenabfälle: Fischgräten, Körner von Himbeeren, Erdbeeren, allerhand Knochen; hier ein ungeheurer Rückgratwirbel! Den kennt man: er stammt vom Ur, der wohl seltener geworden, aber noch nicht ausgestorben ist; noch gelingt es wenigstens einmal im Jahr, einen dieser Riesenochsen in der Grube zu fangen und (langsam und grausam genug mit den doch immer noch höchst unvollkommenen Waffen) zu töten. Stangenstücke vom Schelch, – die Zeugen der Ausgrabung bedurften keiner Uebersetzung des Worts, noch konnte man, wiewohl nicht oft, die Wälder vom streifenden Geweihe des Riesenhirsches rauschen hören. Hier ein Ende zu einem Dolche verarbeitet – »Wir machen das jetzt feiner,« sagte der Finder. Aber halt! was mag das sein? Ein ungeheures Stück von glattem Bein, rund, es kann nur Zahnbein sein; dort noch ein Stück, beide gehörten sichtbar zusammen und ergeben, da sie Massikomur aneinanderfügt, das Bruchstück eines riesenhaften Zahns, der hauerartig aus dem Rachen eines Tiers herausgeragt haben muß, und zwar zuerst abwärts gebogen, dann nach oben gekrümmt: das muß ein Tier von fabelhafter Größe gewesen sein! Man staunte, man riet vergebens, denn man wußte nichts mehr vom Mammut. Nun tauchten mancherlei Knochen auf von nicht so über alles bekannte Maß großen, doch sichtbar auch sehr ansehnlichen Tieren, die man durchaus nirgends hinzutun wußte. Unsre Pfahlbürger waren so weit ganz exakte Osteologen, daß sie genau bestimmen konnten, ob ein Teil eines Knochengerüstes einem der ihnen bekannten Tiere angehörte; das Verarbeiten des Beins zu so mancherlei Geräten und das beliebte Spalten, um die Kraft- und Leckerspeise des Marks zu gewinnen, hatte ihnen eine große Sicherheit des Blicks verliehen. Aber wer noch kein Nashorn, noch keinen Löwen gesehen und geschlachtet hatte, wie sollte er das Ganze ihres tierischen Baus sich denken, wie ihre Gattung und Art feststellen können, wenn er Reste ihrer Knochen fand?

Es war eine willkommene Abspannung von den Anstrengungen des Staunens, des vergeblichen Ratens, Sinnens, als man wieder zu Lagen gelangte, woraus Geläufiges, Wohlbekanntes ans Tageslicht trat. Auf Getreidebau hatten schon die plumpen Kornquetscher gewiesen, und nun: siehe da! ein Brotlaib, freilich nicht so gefällig rund, wie Sigune sie zu kneten wußte. Und endlich: »Donnerwetter! komm her, Gwalchmai!« rief Massikomur seinem Nachbar zu, der soeben auch den kürzeren Weg über den vertrockneten Seegrund zu seinem Acker ging; »sieh her!« Gwalchmai eilt herbei, und jener hebt ihm eine Schaufel voll verkohlter, kleiner, halbrundlicher Gegenstände unter die Augen. »Hagel auch, Schnitzli!« rief Gwalchmai, denn es waren ja unzweifelhaft Schnitze von Aepfeln und Birnen, wie sie heute noch, so und so verkocht, mit würzigen Körnern, mit Met angesetzt, die große Rolle des beliebtesten aller Gemüse, des allgemeinen Nachtischs, des allgemeinen Vesperbrots spielten! Das hing, um an der Sonne gedörrt zu werden und Vorrat für den Winter zu bilden, an allen Dachgesimsen und Fenstern in Bündel gefaßt herum, wie heutzutage (das heißt diesmal: in den Tagen des Verfassers dieser Geschichte und seiner Leser) die Maiskolben, das wurde dann in großen Holztruhen aufbewahrt, und die Schnitztruhe war den Kindern eines Hauses das wichtigste aller Geräte. Es sammelte sich ein Kreis von Neugierigen; Zweifler waren darunter, die meinten, das Zeug werde eben vom jetzigen Dorf einmal hinabgesunken sein; sie stutzten, als man ihnen die Tiefe wies, aus welcher der Fund kam, sie verstummten ganz und sperrten weit den Mund auf, als Massikomur, vor ihren Augen weiter grabend, zu seiner eignen Verwunderung auf Stümpfe von Pfählen stieß in derselben Tiefe, das obere Ende kohlicht, also das Holz herabgebrannt bis auf den noch im alten Seegrund feststeckenden Stummel. Also kein Zweifel mehr: ein altes Pfahldorf! Alt, wer konnte wissen, wie viele Jahrhunderte! Abgebrannt, wie einst vielleicht – – man schauderte, denn man kannte diese Gefahr, wie sie nicht bloß vom Feinde drohte; strenge Gesetze hüteten ängstlich das Feuer; wenn Föhn kam, ging der Büttel um und sah strenge nach, ob es auf jedem Herd richtig ausgetan sei. Doch viel größer als der Schauer war das Staunen, das Gefühl des Dunkels, der Reiz, die Begierde, es gelichtet zu sehen. Zwar könnte man meinen, es sei doch keine schwere Aufgabe für die Fassungskraft der Verwunderten gewesen, sich vorzustellen: der Seegrund lag einst tiefer, ein Pfahldorf stand darauf, brannte ab, der Seegrund stieg mit der Zeit durch neue Schlammschichten, und in der neuesten stehen die Pfähle der jetzigen Gemeinde. Aber man versetze sich billig in den Kopf eines Pfahlbewohners! Dann versenke man sich in den Gedanken: Kulturperioden! Ungeheure Zeiträume! Ewiger Wechsel! Man werfe nur einen Blick in die Perspektive der Betrachtungen die sich daran knüpfen, und man wird begreiflich finden, daß die Geister gründlich verwirrt, beunruhigt, ja durchschauert waren. – Dem Druiden hatte man gleich im Beginn Anzeige von diesen Funden gemacht; er verhielt sich abweisend, verdrießlich; er kam nicht zur Ausgrabung; er wollte nichts davon wissen. Auch die geregelten alten Huster, die wir erwähnt haben, schüttelten mißlaunisch, mißtrauisch die Kopfe zu der rätselhaften Entdeckung. Das ärgerte nach und nach die aufgewecktere Minderzahl der Bürger, man saß beim Met zusammen, man murrte, man grübelte, man beriet. Eine so gestimmte Gruppe von Pfahlmännern finden wir eines Abends bei Alpins Vater Ullin im Gespräche beisammen. »Von dem, was vorher gewesen, will unsereins eben auch was wissen.« brummt der hagere Griffith. – »Ja,« fällt Nachbar Gwalchmai mit den kleinen, klugen Augen ein, »wir wollen nicht so ganz im Dunkeln wandeln.« – »Und in der Zukunft, was kann da vielleicht alles noch werden?« bemerkt der fortschrittliebende Hausherr und fährt fort: »Wenn der Druide uns nichts sagen will oder am Ende wirklich selber nichts weiß –« – »Gerade das glaub' ich, daß er selber nichts weiß, er hat ja doch nichts als Theologie studiert,« meint der dickbackige Karmor und lacht. – »So verlangen wir,« schließt Ullin, »er solle einen Seanacha aus Turik herbeirufen; ich weiß gleich einen, den hat man mir hoch gerühmt, als ich neulich drüben war, um Häute gegen Meißel zu verkaufen, – Feridun Kallar heißt er –, der wisse mehr von alten Geschichten, auch von Sonne und Mond, Erde, Wasser, Feuer, Bäumen und Tieren und Menschenwesen, als irgend einer. Versteht sich, daß er ein Meister, ein Pencerdd ist.«

Griffith: »Aber die Barden kann unser Herr nicht leiden.«

Gwalchmai: »Ja freilich nicht, weil sie mehr wissen als er! Drum sagt er immer, von Turik wehe ein schlechter Wind herüber.«

Griffith: »So verlangen wir's erst gerade recht. Wir wählen eine Deputation, die soll morgen gleich zu ihm: der Barde muß her!«

»Nehmt mich in die Deputation,« ruft Karmor, »ich freue mich schon jetzt drauf, was der alte Hausdrach Urhixidur für Augen macht, wenn wir unsern Willen vortragen.«

»Ja, ja,« lachte Gwalchmai, »die gelbe Bohnenstange möchte eben immer für eine Gwyllion gelten, und ihr Herr läßt es ihr so hingehen, läßt manchmal selbst so einen Wink fallen, als ob was dran wäre!«

Wir müssen hier einen Augenblick ungern die Redner unterbrechen. Der Leser wird nicht wissen, warum Gwalchmai nicht sagt, Urhixidur möchte für eine Druidin gelten, sondern für eine Gwyllion. Die Druiden leiteten sich, wie man aus unsrer Geschichte des weiteren ersehen wird, von Taliesin, als dem Gründer ihres Ordens, ab, den Druidinnen wollte man so hohe Abkunft, Erleuchtung von so hoher Lichtquelle nicht zugestehen und nicht absprechen; man ging daher einen Mittelweg: sie sollten sich auf ihn zurückführen dürfen, aber aus ihn nur, als er noch Gwyon war, der eben aus dem Zaubertopf genippt hatte. So nannte man sie denn Gwyonkind, Gwyonchen, denn das bedeutet Gwyllion.

Wir kehren zu unserm Gespräch zurück.

»Als ob!« versetzt Griffith.

»Ja, als ob,« fährt Gwalchmai fort, »als ob wir nicht wüßten, daß sie im Examen durchgefallen ist!«

»Ja,« erläutert jetzt Karmor, »und ich weiß, warum? Ich hab' mir's neulich in Turik sagen lassen: sie ist im Prophezeien schlecht bestanden, und da hat sie nun aber den alten Hafen und sagt, es sei der Weisheits- und Zauberhafen der Fee Coridwen, und sie habe ihn von ihr geerbt nebst dem Wirtel, denn sie sei ihre Ur-Ur-Ur-Urenkelin. Der Pfaff nickt dazu, als ob er's glaubte, sie hat ihn ganz in ihrer Gewalt, ja, ja, wir wollen beide recht ärgern.«

Massikomur, bisher stummes Mitglied dieser Gesellschaft, nahm jetzt das Wort: »Müßt nicht so spotten, ihr Bürger wir müssen gesetzte Mannsleut sein; ihr könnte im großen doch nicht anders machen, als es ist, und im kleinen werden die Druiden eben immer auch so ihre schwachen Seiten haben. Gegen diese mögt ihr euch, wenn's der Müh' wert ist, fest hinstellen, aber ohne Bosheit. Wählen wir also Boten, sie sollen ordentlich und ruhig vorbringen, was wir für eine vernünftige Forderung halten; es wird ja gehen.«

Auch Alpin fehlte nicht im Kreise, schon darum nicht, weil man in der Stube seines Vaters tagte; die Funde gaben auch ihm viel zu denken, die scharfen Reden waren gerade nicht sehr nach seinem Geschmack, ohne daß er sich übrigens darüber empört fühlte; er liebte sich eben eine gewisse Ruhe und Stille, daher gefiel ihm die Gesinnung Massikomurs, und da dessen Worte sichtbar wirkten, so wagte er sich in der Pause, die entstanden war, seinerseits mit einem Vorschlag heraus.

»Ich meine,« sagte er, »wir könnten bei der Gelegenheit auch einen Filea, natürlich auch einen Meister, einen Pencerdd, bitten, daß er uns zum Fest ein recht schönes Lied dichte. Ich kenne einen aus der edlen Sängerzunft der Barden, er heißt Guffrud Kullur, ist erfahren in allen Weisen der Dichtkunst und Musik, er baut gar so schöne Lieder, die schönsten Reimgesetzel und singt sie mit Cwlwm und Mwchwl, daß es eine Pracht ist!« Seine Zuhörer wußten besser, als unsre Leser, daß die zwei niedlichen Wörter musikalische Sätze und Weisen bedeuteten; Alpin fuhr fort: »Die Mädel hier singen auch gar so ein schönes Lied von ihm; ihr müßt's schon gehört haben.« Es machte ihm kein Beschwer, zu wissen, daß die Zuhörer gleich auf Sigunen raten mußten, denn keine sang so schön. Er war verschämt mit seiner Liebe und doch auch stolz darauf; wir sind ja, wie sich der Leser erinnert, um einige Wochen zurückgegangen, es stand noch harmloser zwischen den beiden. Alpin hörte denn nicht ungern, daß Massikomur sagte: »Ja, Sigune singt so etwas gar Schönes; hab's öfter gehört; ist das von dem berühmten Barden Kullur? Den wollen wir uns erbitten.« Alpin fing jetzt an, eine Melodie zu summen, und aufgemuntert von Zeichen des Wohlgefallens, ging er in Gesang über, begann wieder von vorn und sang hell bis zu Ende:

»Im Kahne, im Kahne,
Wenn er am Röhricht leise streift,
Das Auge weit und weiter schweift,
Was still ich ahne,
Ich weiß es nicht;
Im Mondenlicht,
Im Nebelschein
    Gedenk' ich dein.

Die Welle, die Welle,
Wenn sie so flüstert und so raunt
Zum Herzen, das so träumt und staunt,
So dunkel helle,
Ob sie es weiß?
Ich singe leis:
Im Nebelschein
    Gedenk' ich dein.

Im Walde, im Walde,
Im Schatten dort schläft Baum an Baum
Und rauschet auf als wie im Traum;
Dort in der Halde
Ein ferner Klang –
Wie wohl und bang!
Im Nebelschein
    Gedenk' ich dein.

Vom Eise, vom Eise,
Vom reinen Schnee, vom hellen Firn
Dort auf des Riesenberges Stirn
Wie Sangesweise
Zieht's in die Brust
In stolzer Lust,
Beim hochher blitzenden Silberschein
    Gedenk' ich dein.«

Die Männer faßten schnell die angemessene, ohrgerechte Melodie auf, sangen die letzten Verse kräftig mit, hielten bis zum letzten Vers die Schlußzeilen gedämpft, wie sich ziemte, ließen sie aber am Ende mit laut vorbrechendem Jubel erschallen, so daß die Tonwelle mächtig und prächtig über die Wasser des Sees hinaus ins Weite schwoll und im Widerhall der nahen Berge verklang.

Massikomur, Ullin und Karmor wurden gewählt, zogen ihre besten Röcke an, verfügten sich zu dem Druiden und trugen ihm gesetzt und höflich ihr Sprüchlein vor.

Der Priester machte ein saures Gesicht, als er den Antrag vernommen. Wir wissen bereits, daß er dem Winde, der von Turik wehte, nicht zu trauen gestimmt war, müssen uns aber die Sachen jetzt etwas näher ansehen. Die Barden waren, wie der Leser sich erinnert, eigentlich eine Zunft im Orden der Druiden. Man sollte meinen, diese hätten sich mit ihren Kollegen friedlich in die Wissenschaften so geteilt, daß sie den Barden das Weltliche überließen, während sie selbst dem Geistlichen oblagen. Zunächst haben wir zur Vervollständigung des früher Vorgebrachten hinzuzufügen, daß in der Körperschaft der Barden auch ein Fach für Erfindung bestand; ein Barde, der sich hiemit beschäftigte, hieß Priveirdd, und da für den Unterricht in diesen Dingen eine eigne Schule errichtet war, so können wir sagen: es bestand neben der Hochschule in Turik ein Polytechnikum. Aus dieser Anstalt waren die Köpfe hervorgegangen, denen die große neue Garnfabrik in Turik und das große Anwesen für neue Feuersteinbearbeitungsmethode am Podamursee, von denen wir Alpins Vater sprechen hörten, ihre Gründung verdankten. Nicht genug. Unlängst hatte man bemerkt, daß ein paar unruhige Geister dieser Schule mit einem Manne, der vom See Leman herübergekommen, viel zusammenstaken und munkelten und daß sie dann mit ihm hinüberreisten. Man sah es nicht gern, denn die Stämme, die dort wohnten gegen Untergang, galten als leichtfertig und neuerungssüchtig. Das sagte man zunächst besonders den Leuten vom See Nuburik nach und wollte wissen, sie üben neuerdings einen schlimmen Einfluß auf die am See Leman, wo es bis dahin den Druiden gelungen war, mit Hilfe eines Anhangs frommer Bürger das leichtblütige Völkchen in guter Zucht zu halten. Nun brachten die Reisenden mancherlei Gerät aus dem wunderbaren Stoffe, dem Erz, mit herüber. Heftiger Streit begann in der Wasserstadt Turik, als man die Neuerung kennen lernte. Man begriff, daß sie die Welt fast auf den Kopf stellen würde. Die einen sahen darin den Untergang aller guten Sitte und Ordnung, und zu diesen gehörten die Druiden, die andern eine unendliche Wohltat, zu diesen gehörten alle Freunde des Neuen, und so auch die Barden; diese warfen sich mit Feuer auf die Aneignung und Fortbildung der durchreisenden Errungenschaft.

Nun war es aber eine schwierige Sache zunächst um die Teilung überhaupt in geistliche und weltliche Wissenschaft. Die Druiden nämlich beschäftigten sich auch mit den weltlichen Zweigen und behaupteten, sie seien deren so kundig wie die Barden; die Barden aber beschäftigten sich auch mit dem Geistlichen, mit Fragen vom Ursprung und von der Regierung des Weltalls, und behaupteten, das gehe sie so gut an wie die Druiden. Dieselben waren aber zudem in diesen und jenen Dingen so rücksichtslose Forscher, daß den letzteren die Sache anfing nach allen Seiten sehr bedenklich zu werden. Eben um jene Zeit hatte es ein großes Aergernis gegeben. Es verlautete, ein Barde habe auf dem Lehrstuhl Aeußerungen fallen lassen, welche sehr geeignet seien, den Glauben an Selinur, ein andrer Aeußerungen, nicht minder geeignet, den Glauben an Grippo zu erschüttern: göttliche Wesen, die wir bald näher werden kennen lernen. Ja noch mehr: mit Schauder erzählte man sich, ein besonders kühner junger Meister habe sich erfrecht, Zweifel an der Vernünftigkeit des Wohnens auf Seen, obwohl nur andeutungsweise, vorzubringen, einer Sitte, die doch im tiefsten Zusammenhang mit der Religion stand. Die Druiden wußten aber doch ganz gewiß, daß diese Götter existierten und diese Wohnweise geboten hatten; deswegen gewiß, weil der Oberdruide, der Coibhi-Druid, es gewiß zu wissen befahl, er, der ja nicht irren konnte. Dazu waren denn überdies die genannten umwälzerischen Bewegungen in der Abteilung der Erfinder gekommen: Stoff genug, um zu befürchten, zu schauern, zu hassen. Ging das so fort, verbreitete sich dieser neuerungssüchtige Geist, so war zu besorgen, daß bald den Menschen nichts mehr heilig sein und die scharfe Waffe gegen Ungläubige, der Bann, der Fluch sich abstumpfen werde. Man mußte sich daher nach einem Rückhalt umsehen, der geeignet wäre, diesem geistlichen Schwert im Notfall mit weltlichen Mitteln den gehörigen Nachdruck zu geben. Es war der Adel, der vorzugsweise kriegerische Stand, bei dem man diese Anlehnung suchte. Allein der Adel war in seinen Gesinnungen selbst geteilt. Die einen hielten stark zu den Druiden; denn ihre Ansicht war, ein Orden, der die Götter stütze, stütze auch den Adel, indem der feinere Menschenteig, aus welchem derselbe bestehe, mit demjenigen feinsten Teig, aus welchem die Götter bestehen, auf eine ganz besondre Weise verwandt sei. Die andern hielten zwar auch große Stücke auf ihren feineren Teig, doch dünkte es ihnen löblich, diese Feinheit durch Wissenschaften und Künste weiter zu verfeinern, und diese hielten zu den Barden und machten sich weiter nicht allzuviel aus ihrem Unglauben. Bald hatten die einen, bald die andern das Uebergewicht, und so war denn auf die Stütze des Adels nicht eben stets ein sicherer Verlaß für den höchsten, den Druidenstand. Nun war noch das Volk da. Es hatte freilich seinen Namen von: Gefolg, aber so stark auch das Gefolge der adeligen Herren, es war doch natürlich nicht alles Volk Gefolg, und die Zahl der noch übrigen Fäuste stellte eine Macht vor, groß genug, um als drohendes Mittel in den Händen einer Partei zu erscheinen und in äußersten Fällen den Ausschlag zu geben. Druiden- wie Bardenstand sah bei der Aufnahme seiner Schüler nicht auf die Geburt, nur auf Talent und Fleiß, der erstere allerdings auf noch etwas: auf den Sinn unbedingten Gehorsams; wen er umklammert hatte, der wurde durch strenge Beherrschung zum strengen Herrschen erzogen. Hierdurch gelangte der Orden wohl zu großer Macht über die zu den Volksfäusten gehörigen Volksgemüter, aber die aufgeweckten Bardenschüler und ihre Meister hatten eben auch Eltern, Verwandte, Freunde, gar mancher einfache Mann spürte wohl, daß man mit den nützlichen Erfindungen, die man dieser Zunft verdankte, nicht schlecht fahre, und an diesem Teil der Volksmenge hatte denn jene zweite Adelspartei einen Rückhalt von beträchtlicher Kraft und Breite. In dem Zeitpunkt nun, auf welchem unsre Geschichte vorgeht, bewegte sich das Zünglein der oft schwankenden Wage merklich nach dieser Seite hin. Der Oberdruide, der sich den stolzen Namen Mac-Taliesin beigelegt hatte, war alt und etwas bequem geworden, die alte Rührigkeit des Ordens aus Mangel an Trieb von oben erschlafft und von der jugendlichen Beweglichkeit der Gegner überholt.

Daß dieser Stand der Dinge sich auch im Dorfe Robanus verspüren ließ, haben wir ja eben aus den ziemlich unehrerbietigen Reden erkannt, deren Ergebnis die Deputation an den Druiden Angus war, und es begreift sich nun nicht nur ganz, warum er den Boten ein saures Gesicht machte, sondern zugleich auch, warum er nicht genug Sicherheit in sich fühlte, der unwillkommenen Zumutung zu widerstehen. Er besann sich kurz und sagte dann: »Nun ja, meinetwegen!« Wir werden sogleich noch einen bestimmteren, einzelnen Grund erfahren, der ihm die Einwilligung erschweren mußte. Die Deputation zog ab, dieselben Männer wurden bestimmt, sich zur Einladung der Barden nach Turik aufzumachen, die berühmten Meister daselbst gaben freundlich ihr Jawort, und auf morgen also, den zweiten der drei Festtage, vor denen wir stehen, wird ihre Ankunft erwartet.

Wir haben zurückschreiten müssen, um das Kopfschütteln zu erklären, womit jene frommen Alten dem Druiden diese Nachricht mitteilten; wir begeben uns wieder auf die Zeitstelle, von der aus wir diesen kurzen Abstecher angetreten haben. Angus hat den Ankömmling angefordert, heute abend nicht beim Betuchungsfeste zu fehlen, womit die dreitägige Feier beginnt. In wenig rosiger Stimmung finden wir ihn beschäftigt, mit Hilfe Urhixidurs seinen Ornat anzulegen. Er hat ihr die verdrießliche Neuigkeit nicht vorenthalten. »Mich dauern nur die schönen Verse, die jetzt ins Wasser fallen,« sagt die Alte. Er hatte ihr noch etwas vertraut, früher, ehe von der Berufung der Barden die Rede war. In der gehobenen Stimmung, womit er dem Fest entgegensah, hatte sich eine lyrische Ader, die einst in den Tagen seiner Jugend öfters sich verspüren ließ, merkwürdigerweise wieder geregt, Vers um Vers war ein prächtiger neuer Festhymnus aus seinem Geist hervorgequollen, so oft einer fertig, hat er ihn der getreuen Schaffnerin vorgetragen, und sie hat jedesmal eine sehr günstige Kritik abgegeben; wie wohlwollend hat er ihr noch vor wenig Tagen dafür die welke Wange getätschelt und gesagt: »Bist eben mein gutes altes Durli!« Und nun war ein Fremder berufen, wahrscheinlich ein moderner, phantastischer Dichterling, der ihn um die schöne Frucht seiner Weihestunden bringen sollte! – »Nein, ich weiche nicht,« rief Angus, schwieg eine kurze Weile, preßte dann den unteren Kiefer fest an den oberen und setzte hinzu: »Ich lasse mich nicht verdrängen! Ich werde mein Werk trotzdem zur Geltung bringen! Wirst schon sehen!« Die Alte nickt zufrieden, nestelt weiter am weißen Mantel und sagt, während sie die Teile mit einem fein geglätteten Dorn an der Schulter zusammenheftet: »Sollte der Fremdling mit den neuen unheimlichen Waffen, der heute gekommen, auf seiner Reise nicht in Turik eingekehrt sein? Der Weg führte ihn doch darüber!« – Der Druide schrillte auf; er hatte bei der Vemerkung einen so heftig zuckenden Ruck getan, daß ihm der Dorn in die Haut seiner Achsel fuhr. Das war eine Fernsicht, die zu denken gab. Gar vielleicht ein Sendling der Bardenpartei, als Wühler vorausgeschickt und mit den Gästen fortzuwühlen bestimmt?

Sein Anzug war vollendet, und während Urhixidur im Nebenraum hinter der hängenden Matte ihr Festkleid anlegte, ging er mit großen Schritten auf und nieder. Es wollte ihm scheinen, der Boden schwanke unter seinen Füßen. Freilich war derselbe immer etwas wacklig gewesen, aber heute kam er ihm wackliger vor als sonst. Eines stand ihm als Ergebnis seiner Betrachtungen fest: auf den Fremdling wollen wir ein scharfes Auge haben.


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