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Es war nicht so leicht, die Veranstaltungen zu der verabredeten That zu treffen, und die beiden Freunde hatten sich's öfters und recht ernstlich überlegt. Erstlich und vor allen Dingen mußte es so erscheinen, als wenn Friedrich sich selbst umgebracht. Jedermann war ohnedies geneigt, dies zu glauben, es brauchte daher nicht besonderer Vorkehrungen, um jeden, auch den leisesten Verdacht vom wirklichen Thäter abzulenken. Aber wo das Gewehr hernehmen? Es mußte bei der Leiche gefunden werden, und es durfte daher Tony's Büchse nicht sein. Tony hatte nur eine Büchse, und er durfte sie nicht dort liegen lassen. Aber Friedrich besaß, noch von seinem Vater ihm geschenkt, eine treffliche Büchse, sein Privateigenthum, mit dieser sollte der Todesschuß geschehen, und später sollte Tony als ewiges Andenken, das in [287] seiner Familie einst von Kind zu Kind erbte, diese Büchse behalten. Es war ein Vermächtniß des Freundes.
Vor dem Thore an der Kaserne befindet sich ein Ort, der das schlesische Wäldchen heißt, dort sollte die That geschehen. Nur wenige Spaziergänger besuchen diesen Platz; es giebt da sehr stille, versteckte Gänge.
Der Frühling war gekommen und das erste Grün überkleidete die Zweige.
Da lenkte gegen die Abendstunde ein Wagen nach der Gegend hinaus.
Die, die darin saßen, waren zwei junge Soldaten; der eine bleich wie der Tod, der andere auch bleich, aber nicht wie der Tod, sondern wie der Kummer und das Leid.
Der Wagen hielt nicht weit vom Wäldchen und kehrte dann wieder, nachdem die Beiden ausgestiegen, nach der Stadt zurück. Friedrich, von Tony unterstützt, betrat den ersten besten Pfad, der in das Innere der Waldung lenkte.
Sie gingen schweigend neben einander; Friedrich's Hand hatte krampfhaft Tony's Rechte umschlossen, und Tony's Arm ruh'te auf Friedrich's Nacken. Die mitgenommene Büchse hielt Tony. Nur auf eine [288] halbe Stunde hatte der Kranke Erlaubniß erhalten, eine kleine Erholungsfahrt in's Freie zu machen. Es fehlten an dieser halben Stunde nur wenige Minuten, so langsam waren sie gefahren.
»Da ich doch nicht zurückzukehren beabsichtige,« sagte Friedrich, »so ist's gleich, ob diese halbe Stunde verrinnt. Laß uns nicht unnütz eilen. Ich bin so gefaßt und ruhig, daß ich in keinem Dinge möchte Uebereilung zeigen.«
»Aber denk an mich, Friedrich!« rief Tony unwillig – »ich leide in dieser Stunde, was ein Mensch nur leiden kann.«
»Dann soll's rasch gehen,« sagte Friedrich. »O dann wollen wir schnell machen. Laß mich nur auf eine Minute allein.«
Tony ging den Gang hinauf, und Friedrich sank auf seine Kniee, senkte tief, tief sein Haupt in die keimenden Halme des Bodens und – betete.
Da ging eine Stimme durch den Wald, die sang:
Es ist das alte Preußenvolk nicht mehr,
Es zankt und hadert, ist in sich nicht eins.
Ein Theil zieht hierhin, andrer dort hinaus!
Des Vaters Freude freut den Sohn nicht mehr,
Des Vaters Stolz ist nicht mehr Sohnes Stolz,
Und Bruder gegen Bruder greift zur Wehr.
O Preußenvolk, wenn nun der Feind sich naht,
So wirst du fallen wie des Schnitters Saat!
[289] Friedrich hob sein Haupt leise und sagte: »Ich wußte es wohl, daß ich Dich noch einmal hören würde, Du unbekannter und unsichtbarer Warner. Ach, ist's denn an dem, – und ist es aus mit meinem schönen Preußenlande, so ist mir ja der Tod doppelt willkommen.«
Und er senkte wieder sein Haupt und betete weiter, noch inbrünstiger, noch heißer.
Die Stimme sang:
O Preußenvolk, wenn nun der Feind sich naht,
So wirst du fallen wie des Schnitters Saat! –
In diesem Augenblicke bat der Soldat für den König, für den fürstlichen Heimathsstamm, und nie stieg von treueren Lippen ein treueres Gebet in die ewige Höhe.
Als Tony zurückkehrte, stand Friedrich schon am Baum gelehnt – still und freundlich. Er grüßte herüber, und Tony maaß die Schritte und stellte sich mit der Büchse hin.
Dann legte er die Büchse hin, stürzte lautweinend auf den Freund zu und umarmte ihn lange, und hing an seinem Halse, und sog sich fest mit seinen Lippen an seine Augen, an seine Wangen.
»Ich lasse Dich zurück in einer Welt,« sagte Friedrich, »die voll Falschheit und Aufruhr ist. [290] Bleibe treu! Gott hat nicht gewollt, daß ich von einem Jüngling zum Manne reifte, aber er wird wollen, daß Du reifest. Und wenn Du einst ein Mann bist, so bleibe treu den Eiden unserer Jugend. Versprich mir das!«
»In dieser Stunde der unleidlichsten Qualen verspreche ich es Dir.« –
»Nun denn – jetzt stell' Dich auf Deinen Posten, Schütze.«
Und der Schuß fiel.
Und Friedrich preßte lautlos seine Hand auf das Herz. Es hörte auf zu schlagen. Kein Laut entrang sich seinen Lippen. Er stürzte in die Kniee und sank am Baume hin.
Tony drückte noch einen Kuß auf die bleichen Lippen, hielt seine Hand auf die Wunde, und ging dann mit einem Gefühl von Gott und Hölle zugleich in seiner Brust, von dannen. Er begegnete Leuten, die an jene Stelle hinlenkten, er wußte demnach, daß der Todte bald gefunden werden mußte.
Aber einige Minuten lag er noch allein, und die grünenden Gipfel des Frühlings umschatteten sein Haupt. So ruhe denn in Frieden, Du. keusches, stilles, ehrliches Herz! Du wahrer und ächter Sohn des Volkes, des Volkes, das Gott stark gemacht [291] hat, und das, wenn es den bösen Schein und die Prüfungen dieser Tage besteht, zu einem herrlichen Werke berufen ist. –
Wenn solche Jugend zum Manne reift – Heil dem Vaterlande! –
Was Tony Wickye betrifft, so gab er sich nicht den Tod; allein er kehrte heim in sein Vaterland. Wir haben die bestimmte Zuversicht, daß er seine Schwüre nicht bricht.