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22.
Das Päckchen Briefe.


Wenn die »Stolzen« gestürzt werden und die »Eiteln« ihren Platz räumen sollen, so ist Lärm und Tumult die Menge. Wenn ein hoffärtig Herz sein Spielzeug abgeben muß, so thut es dies mit Unwillen und Trotz.

Der Präsident empfing den Brief Constance's, und überlas ihn dreimal, und stampfte mit dem Fuße und knirschte mit den Zähnen, und warf, in tausend kleine Fetzen zerrissen, das unglückliche Billet in die Flamme des Kamins.

»Daran ist er Schuld!« rief er wüthend. »Niemand anders, als er. Nicht umsonst hab' ich ihn fast täglich, wenn ich kam, dort gefunden. Was hatte er dort zu suchen, wenn es nicht ein Complot gegen mich galt? Ueberall, überall tritt sein kecker Fuß dem meinigen voran! Ueberall finde ich auf meinem Wege [243] ihn, den ich hasse – den ich nie geliebt. Denn er trägt die Züge meiner Mutter, die mit einem Fluche auf mich zu Grabe ging. In ihm ist ihr der Feind und Rächer erstanden. Aber ich werde ihn vernichten, ihn auf immer unschädlich machen!«

Er klingelte; der Diener kam.

»Wo ist mein Sohn?«

»Auf seinem Zimmer, mit Einpacken beschäftigt.«

»Ich ließe ihn ersuchen herüberzukommen – jetzt gleich.«

Der Präsident nahm die Miene der Freundlichkeit und der heitern Laune an. Ich will es erst so versuchen – sagte er zu sich selbst. Bernhard kam herein und sah bleich und verstört aus. Er hatte die ganze Nacht mit Briefeschreiben und Anordnungen durchwacht; in einer Stunde wollte er die Stadt, und er war entschlossen, auf immer verlassen. Der Vater ging auf ihn zu und faßte seine Hand. Es hatte den Anschein, als wenn zwei Brüder mit einander sprächen. Bernhard war durch den Kummer weniger Stunden gealtert, der Präsident sah frisch und wohl aus. Der Zorn hatte seine Wange noch mehr geröthet, seine Haltung war noch fester, als sonst.

»Du willst also doch gehen?« fragte der Präsident.

[244] »Ja,« sagte der Sohn. »Ich will diesen Urlaub, der mir so rasch bewilligt worden ist, benutzen, um die Reise anzutreten, die ich schon lange im Plane gehabt habe.«

»Und die Dir Dein ganzes mütterliches Erbtheil kosten wird, gieb Acht, mein Sohn. Du bist kein guter Wirth. Doch das nebenbei. Willst Du nicht wenigstens noch meine Hochzeit abwarten?«

Bernhard sah den Vater starr an, und sagte dann ein trockenes: »Nein!«

»Söhne machen doch sonst die Fest- und Feiertage ihrer Eltern mit,« hub der Präsident wieder an. »Oder sollten hier gewisse Gründe herrschen, die ich nicht kenne. – Gewisse Einverständnisse – hinter meinem Rücken – hm?« –

Die bleiche Wange des jungen Mannes wurde von einer Purpurröthe übergossen. Er richtete den selben dunkeln, unheimlichen Blick wie früher auf den Frager, antwortete aber auch jetzt nichts.

»Immer stumm! Nun, ich will deutlicher sprechen« – fuhr der Präsident schon erhitzter fort – »Meinst Du, daß meine Ehe mit der Wittwe zu Stande kommen wird?«

»Wie sollte sie nicht?« fragte der Sohn bestürzt, und trat einen Schritt zurück.

[245] »Eine gute Frage – eine treffliche Frage! Ganz passend für Jemand, der die Antwort schon weiß, und nun mit seinem Opfer spielt, wie die Katze mit der Maus.«

»Eine Erklärung, mein Vater.«

»Die habe ich vor einer Stunde selbst erhalten. Die Wittwe hat mir einen Absagebrief geschrieben. Sie sagte sich von mir und ihrem Versprechen los.«

Bernhard wankte. Der Sturm seiner Gefühle drohte ihm die Besinnung zu rauben, der Vater betrachtete ihn mit einem kalten und höhnischen Blicke. »Nichtsdestoweniger,« hub er an, »glaub' ich, daß sie sich doch verheirathen wird, nur nicht mit mir. Du wirst nun wieder fragen: mit wem? Und ich werde wieder darauf antworten: man fragt manchmal, wenn man gleichwohl die Antwort schon weiß. Aber dieses boshafte Spiel, wo Einer den Andern zum Besten hat, langweilt mich. Ich frage kurz: Was soll das bedeuten? Warum hast Du hinter meinem Rücken mir meine Braut abspenstig gemacht?«

»Ich, mein Vater!« zürnte der Sohn. »Wer wagt das zu behaupten?«

»Man täuscht mich nicht. Ich weiß, daß Du gegen mich operirst in jeder Beziehung, auf jedem Felde: in der Politik, in der Liebe. Nun ist damit [246] nicht gesagt, daß Du siegst – auch in diesem Falle tröste Dich nicht mit Hoffnungen. Ein Weiberkopf ist bald wieder zurechtgerückt, wenn er verschoben war. Ich übernehme auch diesmal dies Zurechtrücken, wie ich es schon oft übernommen habe.«

»Ich zweifle nicht,« sagte der Sohn mit bitterm Lächeln – »daß Sie siegen werden, auch wenn der Fall so stände, wie er nicht steht.«

»Also Du willst mich glauben machen, daß Du die Wittwe nicht liebst.«

»Ich habe es nicht gesagt,« erwiederte der Sohn mit sanfter und tief erschütterter Stimme. »Aber kein Fremder ist Richter über unser Herz.«

»Nun – oder soll ich annehmen, daß die Wittwe gegen Dich gleichgültig ist?«

»Sie hat mir nie Zeichen ihrer entschiedenen Gunst gegeben.«

»Du hast aber auf diese Zeichen gewartet? Sie hervorzurufen gesucht –«

»Mein Vater, ich habe diese Frau als die Ihrige betrachtet. Ich habe mein Gewissen und meine Pflicht nie verletzt. Beweis dafür ist, daß ich jetzt – wo ich mein Thörichtes nicht mehr zu bändigen weiß, die Flucht ergreife und mich ewig verbanne.«

[247] »Das ist eine romanhafte Sprache! Wir kennen das. Nicht ein Monat wird vergehen, so bist Du wieder da und wirst meiner Frau die Cour machen.«

Der junge Mann schauderte: »Meiner Mutter! Um Gotteswillen!«

»Spiele nicht den Tugendhaften! Doch um die Sache kurz zu enden – Du reisest ab, ich heirathe.« –

Bernhard machte eine kurze Verbeugung und wollte gehen.

»Noch Eins« – rief der Vater. »Was die Politik betrifft, so erbitte ich mir kein Aufpassen, kein Spähen hinter meinen Schritten her. Ich habe Geheimnisse, für die man viel zahlt von einer gewissen Richtung her; Du könntest in Geldverlegenheit kommen, und man würde Dich zu bestechen suchen. In dem Falle nenne mir die Summe, die man Dir bietet, und wenn sie nicht zu hoch ist, so gieb mir den Vorzug und laß mich den ersten Käufer meiner eigenen Geheimnisse sein. Hast Du mich verstanden?«

Bernhard stammelte: »Kaum. Sie halten mich für fähig, Sie zu verrathen?«

»Ich meine nur, wenn Du in Geldverlegenheit bist – sonst nicht!« lachte der Präsident. »Jugend hat keine Tugend.«

[248] Schweigend nahm der Sohn ein Päckchen Briefe aus der Tasche und legte es nebst einer Quittung auf den Tisch. Seine Hand zitterte, seine Lippen waren blau, seine Wangen leichenfahl. Er ging so rasch fort, als seine wankenden Schritte es gestatteten.

»Was ist das? Was soll das Alles?« fragte der Präsident, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Er blätterte in den Briefen und sah die Quittung an. »Hm!« sagte er nach einer Pause – »er hat gewisse Papiere – für sein Geld – in Sicherheit gebracht! Teufel! daß der Bursche ein Recht hat stolz zu sein! – Er soll, er muß fort! – Jetzt gerade.« –

Mit großem Erstaunen und heftiger Entrüstung blätterte er in den Briefen. »Man kann sich auf Niemand verlassen,« rief er, » alle Freunde betrügen, alle Zusicherungen lügen. Das Geld ist unbeschränkter Gebieter unserer Zeit!« –

Er schickte nochmals nach dem Sohne, doch dieser ließ sich entschuldigen.

Jetzt warf sich der Präsident in einen eleganten Anzug. Er versäumte nichts an seiner Toilette; er kräuselte den Bart, glättete das noch volle schwarze [249] Haar und ließ es in leichten Locken an der hohen gebieterischen Stirn niederfallen.

Mit festen Schritten trat er in das Boudoir der Gräfin, die sich hatte verleugnen lassen; er hatte jedoch sich nicht zurückhalten lassen. Constance erhob sich – sie war bleich, und ihre schönen Augen suchten den Boden.

»Ich komme ungelegen!« hub der Gast an, indem er sich in einen Fauteuil niederließ.

»Wenn Sie meinen Brief erhalten haben –«

»Ich hab' ihn erhalten.«

»So« –

»Nein, keine Folgerung gezogen, Constance. Ein paar Zeilen in, der Himmel weiß, welch' einer launenhaften Stimmung geschrieben, bestimmen nichts. Der Wind verweht sie, wie er sie herangeweht hat. Ich hoffe Sie schon jetzt in einer andern Laune zu finden, und morgen prophezeihe ich, daß Sie sich in der Stimmung finden werden, mich um Verzeihung zu bitten wegen dessen, was Sie heute verschuldet.«

»Sie hoffen vergebens. Eine ernste Stunde der Entscheidung hat zwischen uns geschlagen. Glauben Sie nicht, daß ich zum Wanken zu bringen bin. Wir dürfen uns nie angehören.«

»Sie scherzen.«

[250] »Ueber diesen Gegenstand? Und in diesem Augenblick?«

»Ja wohl, Frauen scherzen über Alles.«

»Vielleicht die Frauen, die Sie bis jetzt kennen gelernt?«

»Und die ich noch künftig kennen lernen werde. Das Geschlecht bleibt sich gleich zu allen Zeiten.«

»Wozu Worte dieser Art.« –

»Also – liebe Constance. Ich sehe mich genöthigt Sie zu bitten, daß unsere Trauung in der nächsten Woche schon stattfinde. Sie werden meiner Ungeduld diese Eile verzeihen. Ich will mich für kleine Launen-Paroxismen, wie diese eben jetzt – sicherstellen. Ein Mann in meinen Jahren behandelt die Liebe zu ernst, als daß er Gefallen finden könnte an ihrem Spiel. Ich wünsche, liebe Constance, daß wir bald das Band knüpfen.«

Die Gräfin sah ihn staunend an. »Ich verstehe das nicht – nachdem ich Ihnen geschrieben, nachdem ich Ihnen eben gestanden.«

Der Präsident stand auf. Er stellte sich stolz und gebieterisch vor seine ehemalige Braut. »Gräfin,« hub er an mit kaltem, gemessenem, und gegen das Ende seiner Rede schneidend scharfem Tone, »Sie kennen mich nicht – Sie wissen nicht, mit wem [251] Sie's zu thun haben. Man bricht mir nicht das Wort, wie man es irgend einem jungen Laffen bricht. Sie sind die Meine – Sie bleiben es.«

Die Gräfin rang mit allen ihren Kräften gegen die furchtbare Autorität dieses dämonischen Willens, der immerdar so viel Macht über sie geübt. Sie rang heldenmüthig und die Liebe stärkte sie. Mit einer Stimme voll Verzweiflung und Muth rief sie:

»Nein – nein! Nein! Sie sind das Schrecken und die Finsterniß meines Daseins. Ich habe Sie erkannt – zur rechten Stunde noch erkannt, um mich blutend von meinen Ketten frei zu machen. Gott und Liebe stärken mich. Ich gehöre Ihnen noch nicht an – ich werde Ihnen nie angehören. Diese grausenvolle Scene soll die letzte sein zwischen Ihnen und mir. Ich will es, sie soll die letzte sein! Diese Marter soll ein Ende nehmen.«

Der Präsident wollte ihren Arm ergreifen, sie entschlüpfte ihm und entfloh in ihr Kabinet, dessen Thür sie zuschloß.

Der Präsident stand eine Weile unbeweglich, ihr nachschauend – dann verließ er eilig das Zimmer.


[252]


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