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11.
Die Abendgesellschaft.


Der letzte Tag der Gefangenschaft war gekommen, und draußen wartete Tony, um den Befreiten in Empfang zu nehmen und ihn zurück zu geleiten. Er stand etwas an der Mauer gelehnt, so daß ein Schatten ihn deckte, aber Friedrich's Auge hatte ihn sogleich gefunden. Er ging auf ihn zu, und sie schüttelten sich die Hand. Um alle Schätze der Welt willen hätte Friedrich in diesem Augenblicke nicht die leiseste Anspielung sich erlaubt. Er wußte, wie stolz der Neuschateller war, und wie sehr es ihm Mühe gekostet haben mußte, überhaupt hinzukommen.

»Ein recht schönes Wetter, Wickye« –

»Ja, aber heute Morgen war es neblig. Die Fenster in der Unteroffizierstube sind neu eingesetzt; und unser Major ist auf Urlaub.«

»Das ist sehr merkwürdig, Wickye.«

[107] Sie gingen jetzt zusammen an der Mauer hin; die Anderen waren etwas zurückgeblieben, da konnte Tony es doch nicht länger über's Herz bringen; er reichte halb von der Seite dem Kameraden die Hand. und sagte: »Ich danke Dir!«

Dem Pommer schnürte es die Brust zu, als er den stolzen Neuschateller danken hörte: er konnte nichts weiter erwiedern, als: »Denk an Friedericia!«

Sie kamen in der Kaserne an, und dort fand sich schon ein Befehl des Lieutenants mit der großen Korbsammlung, daß Friedrich sogleich zu ihm kommen solle. Friedrich wußte nicht, was der Lieutenant von ihm wolle; der Lieutenant wußte es eigentlich selbst nicht, und war darum in einiger Verlegenheit.

»Kennen Sie die Gräfin Waldensee?«

»Nein, Herr Lieutenant.«

»Nicht? I, wie ist das möglich; Sie müssen sie kennen. Es ist meine Cousine. Ich sage nicht, daß Sie sie deshalb kennen müssen, weil sie meine Cousine ist. Verstehen Sie mich?«

»Zu Befehl, Herr Lieutenant.«

»Da erhalte ich eben einen Brief von ihr, in welchem sie mir aufträgt, Sie zu dem heutigen Abend einzuladen.«

»Zu der Gräfin Waldensee?«

[108] »Ja, zu der Gräfin Waldensee. Mich soll Der und Jener holen, wenn ich das begreife. Allein es ist an der Richtigkeit der Einladung nicht zu zweifeln. Sie müssen sich also bereit machen hinzugehen. Man ist zu neun Uhr eingeladen. Sie haben doch eine Civil-Kleidung?«

»Zu Befehl, Herr Lieutenant.«

»Nun also – zu neun Uhr!« Der Schütze war entlassen und der Lieutenant drehte sich dreimal auf dem Absatz herum und rief: »Mich soll Der und Jener holen, wenn ich von den Tollheiten meiner Cousine diesmal nur das Mindeste begreife. Sie macht zu Zeiten geniale Sprünge; ich besitze auch einige Ueberspanntheit in meinem Charakter, wenigstens warf mir das die kleine Mimi vor, als Grund, weshalb sie an meiner Seite nicht glücklich zu werden hoffte, allein diesmal weiß ich – und wenn ich mir den Kopf abschlagen lasse, nicht, wohin sie hinaus will.«

Tony beneidete Friedrich um diesen Gang, aber er sagte nichts.

»Was will sie von mir?« sagte Friedrich zu sich selbst, als er in den Bereich des hellen Scheines gelangte, den die erleuchteten Fenster der Wohnung der Gräfin auf die Straße warfen. Er ging mit [109] dem Strom der Gäste die mit Teppichen belegte Treppe hinauf, und gelangte glücklich in das Empfangzimmer. Hier war es sehr gefüllt mit geputzten Herren und Damen, die flüsternd und in einer warmen, wohlduftenden Atmosphäre sich hin und her bewegten. Das Gedränge wurde immer größer. Friedrich hatte eine Ecke am Kamin erobert und stand hier wie eingeklemmt. Niemand bemerkte ihn, alles hatte mit sich und seinem nächsten Nachbar zu thun.

Jetzt, dachte der Schütze, jetzt wird die Gräfin auf mich zu kommen, um mir zu sagen, was sie von mir will. Aber keine Gräfin kam. Vielleicht kann sie mich nicht sehen, ich will mich auf die Fußspitzen heben; ein anderes Signal kann ich ihr nicht geben. Er that es, aber es half nichts.

Nach einer Weile verzog sich der Schwarm in die anstoßenden Gemächer. Es kamen nur noch wenige Gäste hinzu, und diese setzten gleich ihren Weg weiter fort. Um keinen Preis der Welt hätte Friedrich sich ihnen anschließen mögen. Er blieb in seiner Ecke.

Jetzt war das Zimmer ganz leer; aber in dem Saale wogte und rauschte es. Friedrich war sehr vergnügt: Die Gräfin hat nur abgewartet, daß sie [110] mich allein findet, um mir zu sagen, was sie von mir will! – Aber die Gräfin erschien nicht. –

Ein Herr kam an, trat vor den Spiegel, ordnete seine Perrücke, die ein äußerst kurz geschnittenes, kastanienbraunes Haar darstellte, und ging mit einem leichten schwebenden Gang in den Saal. Er hatte Friedrich keines Blickes gewürdigt.

Friedrich war nicht im mindesten darüber beleidigt; aber er wollte nur wissen, was man von ihm wollte. Die Diener trugen Erfrischungen in den Saal und wieder hinaus. Ein Glas Punsch wäre Friedrich sehr willkommen gewesen, aber die Diener boten ihm nichts an; vielleicht sahen sie ihn gar nicht. –

Jetzt kam der Herr wieder und ordnete nochmals an der kleinen Perrücke. Friedrich sah jetzt, daß der Herr alt war, und daß er sich Mühe gab, jung zu erscheinen. Mit jeder halben Stunde, die er im Saale zubrachte, wurde er immer um fünf Jahre jünger. Es mußten wunderbare Einflüsse im Saale walten.

Eine Dame erschien, die ein ungezogenes Kind mitbrachte. »Bleibe hier,« sagte sie, »geh nicht in's Vorzimmer und komme mir auch nicht nach in den Saal.« Aber kaum war die Dame fort, so wollte [111] das Kind wo möglich zugleich in den Saal und in das Vorzimmer, von einem so unbändigen Geiste des Ungehorsams war es beseelt. Friedrich machte aus seiner Ecke heraus diesem aufrührerischen Wesen Vorstellungen. Kaum hatte die Dame bemerkt, daß Jemand sich fand, der mit ihr die Lasten der Erziehung theilen wollte, als sie den gutmüthigen Friedrich vollständig anstellte nach dem Kinde zu sehen.

Friedrich hatte jetzt etwas zu thun. Die Zeit wurde ihm weniger lang.

Im Saale unterhielt man sich vortrefflich, aber im Vorzimmer war die Unterhaltung etwas eintönig. Immer dieselben Versuche des Kindes, in das Vorzimmer zu entspringen, immer dieselben Maaßregeln Friedrich's, diese Versuche zu vereiteln.

Zwischendurch als Erheiterung kam der alte Herr, der den Spiegel nicht auf lange entbehren zu können schien. Er war jetzt schon so jugendlich, daß er eine Arie pfiff und mit einem Beine einen kleinen Pas auszuführen strebte. Jetzt bemerkte er Friedrich und sagte zu ihm, indem er sein eingeklemmtes Augenglas aus der Augenhöhlung fallen ließ: »Mein Freund, wollen Sie mir einmal gütigst helfen meine Kravate etwas fester zuzuschnüren?«

Friedrich that es sehr gern. Durch dieses Mittel [112] schleuderte der Herr wieder eine Unsumme von Jahren von sich ab. Sein kleines, verschrumpftes Köpfchen glühte jetzt wie eine Rose, aber ein schlimmer Stickhusten befiel ihn, und er würgte auf eine traurige Weise, so daß Friedrich wieder zusprang, um die Halsbinde zu lösen, allein der Herr hatte die Krise überstanden und ging jetzt äußerst rasch in den Saal.

Das Kind war unterdessen in den Vorsaal geschlüpft.

Friedrich schoß hinterdrein. –

Endlich war der Abend zu Ende, die Gäste entfernten sich; Friedrich war der letzte, denn er hatte bis auf den gänzlichen Schluß der Gesellschaft immer noch gewartet, daß die Gräfin ihm mittheilen sollte, weshalb sie ihn gerufen. Zuletzt war er überzeugt, die Gräfin habe ihn gebeten, um gewissen, von einer großen Gesellschaft untrennbaren Verlegenheiten abzuhelfen. Er war auch ganz befriedigt in dem Bewußtsein, nützlich gewesen zu sein. Aber er fühlte einigen Hunger und auch Durst. Dabei war er müde, denn er hatte im Gefängniß schlecht geschlafen. Eines machte ihm große Freude, er hatte die schöne Unbekannte wiedergesehen, die er bei dem wahnsinnigen Apotheker zuerst erblickte. Hier war sie ihm doppelt schön erschienen, denn sie war [113] glänzend geputzt und die Herren und Damen machten ihr fortwährend Verbeugungen.

Wie er durch die Nacht nach Hause ging, fiel ihm wieder das Lied aus dem Kerker ein. Es war, als lebte und webte es in der Luft und führe im nächtlichen Winde dahin, als klammerte es sich an die hier und da noch hellen Fenster und schaute zu den fröhlichen Leuten hinein mit einer Menge blasser Gesichter, eins immer über dem andern, und als verlöschte davon der Glanz der Lichter und würde alles nun finster und still wie das Lied selbst.

Der Lieutenant hatte mit seiner Cousine denselben Abend noch einen Streit: »Warum haben Sie mir meinen Ritter nicht mitgebracht, Vetter?« – »Aber mein Gott, Cousine, er war ja den ganzen Abend hier, Sie haben ihn aber keines Blickes, noch weniger eines Wortes gewürdigt!« – »Unmöglich, Vetter. Ich hätte ihn, wenn er hier gewesen wäre, unter Hunderten herausgefunden!« – »Wirklich! Unter Hunderten! Gleichwohl war er hier und Sie haben ihn nicht herausgefunden.« – »Ich sage Ihnen, das ist rein unmöglich. Sie haben mir doch den Rechten herbeschieden?« – »Gewiß, Cousine. Sie schrieben mir, daß Sie den Namen gütigst vergessen hätten, daß ich jedoch den Schützen mitbringen [114] sollte, der in der Nacht vom Sonntag bis zum Montag aus der Kaserne ohne Urlaub weggeblieben. Nun, da ist kein Anderer als Dieser, den ich Ihnen heute mitgebracht.«

Die Gräfin verfiel in Nachdenken, und der Lieutenant sagte zu sich selbst, indem er sich entfernte: »Es ist doch ein Unglück, eine geniale Cousine zu haben.«


[115]


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